Nichts ist vergessen - Marianne Christmann - E-Book

Nichts ist vergessen E-Book

Marianne Christmann

0,0

Beschreibung

In ihrem ersten Fall, den Kriminalhauptkommissarin Jutta Hansen und ihr Kollege zu bearbeiten haben, seit sie zurück in Weinheim sind, haben sie es gleich mit einer Mordserie zu tun, die die Weststadt, ein Stadtteil von Weinheim, erschüttert. Drei junge Männer, alle Ende zwanzig, werden in kurzen Abständen ermordet aufgefunden. Alle drei gehörten zu einer Clique von insgesamt fünf Freunden. Dann wird ein Vierter bei einem Mordanschlag schwer verletzt. Mit Hochdruck arbeiten die Kommissarin und ihr Kollege an dem Fall, um den Täter zu ermitteln. Der fünfte und letzte der Freunde gerät immer mehr in den Fokus der Polizei. Er hatte zuvor Streit mit zwei der Ermordeten. Hat er etwas mit den Morden und dem Mordversuch an seinen Freunden zu tun? Als die Kommissare ihn festnehmen wollen, nimmt der Fall eine dramatische Wendung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Marianne Christmann

Nichts ist vergessen

Ein Weinheim-Krimi

Nichts ist vergessen

Marianne Christmann

Copyright: © 2021 Marianne Christmann

[email protected]>

www.mariannechristmann.de

Druck: epubli

www.epubli.de

Ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei korrekter vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.

Kapitel 1

Markus Rieder sah auf die Uhr. Es war kurz vor neun und schon sehr heiß. Er schaltete die Klimaanlage seines Wagens höher. Trotzdem schwitzte er, außerdem war ihm schwindlig. Er parkte sein Auto vor der Buchhandlung ‚Bücherwald‘ in der Pappelallee, die sein Ziel war.

Er öffnete die Autotür, um ein wenig Luft hereinzulassen. Jetzt war ihm auch noch übel. Die Feier gestern Abend mit seinen Freunden war ihm offensichtlich nicht bekommen. Er öffnete das Handschuhfach und wühlte hektisch darin herum. Endlich fand er, was er suchte. Ein kleines Mäppchen aus schwarzem Leder.

Markus öffnete es und nahm eine Spritze heraus, prüfte, ob auch etwas herauskam und stach sie sich dann in die Bauchdecke. Er wartete, bis die Spritze leer war, dann stieg er aus und schloss die Autotür. Jetzt würde er sich gleich besser fühlen.

Er ging die paar Stufen zur Buchhandlung hinauf, öffnete die Tür und trat ein.

„Guten Morgen“, grüßte er die Frau, die hinter dem Tresen stand, „ich suche ein Buch über die Wirkung von verschiedenen Substanzen, Barbituraten und ähnliches. Haben Sie so etwas?“

„Ja, ich denke, so etwas müssten wir haben“, antwortete die Frau, „ich sehe mal nach. Einen Moment, bitte.“

Die Frau verschwand in den hinteren Teil des Ladens. Markus wurde es erneut schwindlig, er schwitzte und alles drehte sich um ihn. Er atmete schwer, spürte das Blut in seinem Körper pulsieren, dann wurde es um ihn herum schwarz und er stürzte zu Boden.

„So, hier haben wir etwas …“, sagte die Verkäuferin, die gerade wiederauftauchte.

Als sie den Kunden auf dem Boden liegen sah, stieß sie einen Schrei aus und ließ das Buch fallen. Ihre Kollegin eilte herbei.

„Was ist los?“, fragte sie, aber dann sah sie den Mann auf dem Boden liegen.

Sie kniete sich neben ihn und prüfte am Hals, ob sie einen Puls spürte, konnte aber nichts feststellen. Sie war allerdings auch keine Ärztin.

„Einen Krankenwagen, schnell“, meinte sie dann, „ich kann keinen Puls spüren. Und rufe auch die Polizei an.“

Ihre Kollegin hatte bereits ihr Handy hervorgeholt und den Notruf gewählt.

Kurze Zeit später traf der Rettungswagen ein und zwei Sanitäter betraten den Laden.

„Was ist passiert?“, wollten sie wissen.

Die Verkäuferin zeigte auf den Mann am Boden.

„Er kam in den Laden und fragte nach einem Buch. Ich ging nach hinten, um es zu holen und als ich zurückkam lag er auf dem Boden und hat sich nicht mehr gerührt. Meine Kollegin konnte keinen Puls ertasten.“

Auch der Sanitäter suchte nach dem Puls, konnte aber ebenfalls keinen ertasten. Er versuchte es mit Wiederbelebungsmaßnahmen, aber vergebens. Er sah seinen Kollegen an und schüttelte den Kopf.

In diesem Moment öffnete sich die Ladentür erneut und eine Frau trat ein. Sie war groß und schlank, hatte dunkles Haar und braune Augen und trug einen großen Koffer bei sich.

„Mein Name ist Heike Wilhelmi, ich bin die Rechtsmedizinerin“, stellte sie sich vor, „was haben wir hier?“

Die Sanitäter setzten sie ins Bild. Frau Wilhelmi öffnete ihren Koffer und kniete sich neben den Mann. Sie nahm ein paar Untersuchungen vor, dann sagte sie: „Der Mann ist tot. Haben Sie schon die Kripo informiert?“

Alle Anwesenden nickten.

„Gut. Dann müsste bald jemand hier sein.“

Sie wandte sich wieder dem Leichnam zu, um diesen noch genauer in Augenschein zu nehmen.

Wieder öffnete sich die Ladentür und zwei Personen traten ein, Kriminalhauptkommissarin Jutta Hansen und ihr Kollege, Kriminaloberkommissar Jan Römer.

Beide hielten den Anwesenden ihre Ausweise hin.

„Hansen, Mordkommission“, stellte sie sich vor, „mein Kollege, Herr Römer.“

„Mordkommission?“, fragte die Verkäuferin entsetzt, „wieso das denn?“

„Wenn man nicht die genaue Todesursache weiß, ist das so üblich“, klärte sie Jan Römer auf.

Jutta Hansen sah die Frau mit dem Koffer an.

„Und wer sind Sie?“

„Heike Wilhelmi, ich bin die neue Rechtsmedizinerin. Wir kennen uns noch nicht.“

„Jutta Hansen, Mordkommission, mein Kollege Jan Römer“, stellte sie sich vor. „Was haben wir hier?“

„Der Mann heißt Markus Rieder, achtundzwanzig Jahre alt, wohnhaft in Weinheim. Kam in den Laden, um ein Buch zu kaufen und als die Verkäuferin zurückkam, lag er auf dem Boden.“

„Einfach so?“, fragte Jutta Hansen.

„Genaueres kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch und ihn gründlich untersucht habe. Aber sehen Sie hier“, sie schob das T-Shirt des Mannes hoch und deutete auf einen kleinen, kreisrunden Einstich, „hier gab es eine Injektion.“

„Drogen?“, fragte Jan Römer.

„Das weiß ich noch nicht. Da müssen wir die Untersuchung abwarten.“

Sie stand auf und packte ihre Sachen zusammen.

„Ich schicke Ihnen dann später meinen Bericht.“

Sie verließ den Laden. Die Kripobeamten wandten sich nun den beiden Verkäuferinnen zu.

„Erzählen Sie doch noch einmal genau, was sich zugetragen hat“, forderte Jutta Hansen die beiden Frauen auf.

Diese erzählten noch einmal den Hergang. Als sie fertig waren, verabschiedeten sich die Kripobeamten und verließen den Laden. Sie stiegen in ihren Wagen.

„Wir fahren zu den Angehörigen und überbringen ihnen die traurige Nachricht“, meinte Jutta Hansen, „ich hasse das. Lässt sich aber leider nicht ändern.“

Sie ließ den Motor an und fuhr zu der Adresse, die sie bei dem Toten gefunden hatten.

Kapitel 2

Kriminalhauptkommissarin Jutta Hansen war achtundvierzig Jahre alt und erst seit kurzem wieder zurück in Weinheim, ihrer Heimatstadt. Nachdem sie viele Jahre in der Nähe von Karlsruhe gearbeitet hatte, hatte sie sich in ihre Heimatstadt zurückversetzen lassen, da ihre Mutter allein war und immer hinfälliger wurde. Diese war nun vor kurzem verstorben und Jutta wohnte jetzt allein in ihrem Elternhaus, das ihr gehörte.

Wie der Zufall es wollte, waren hier zwei Stellen freigeworden, da ein Kollege pensioniert wurde und ein anderer wegen Krankheit vorzeitig in den Ruhestand gehen musste. Da Jan Römer auch eine Veränderung wollte, hatte er sich ebenfalls für eine der Stellen in Weinheim beworben und beide waren mit Freuden genommen worden.

Jutta war es recht, so brauchte sie sich nicht an einen neuen Kollegen zu gewöhnen, denn sie und Jan waren ein eingespieltes Team. Jan stammte zwar nicht aus Weinheim, sondern aus Sulzbach, das aber inzwischen eingemeindet war und zu Weinheim gehörte.

Jutta staunte, wie sehr sich die Weststadt verändert hatte, seit sie sie zum letzten Mal gesehen hatte. Diese hatte sich zum größten Stadtteil von Weinheim gemausert, mit … wie vielen Einwohnern? Das musste sie unbedingt googlen, jedenfalls waren es sehr viele.

Es gab hier Ecken, die sie selbst noch nicht kannte, weil sie damals, vor vielen Jahren, als sie wegging, noch nicht existiert hatten. Sie war auch schon am Waidsee gewesen und hatte auch das Miramar besucht, ein Spaß- und Saunabad, das es bereits seit vielen Jahren gab.

Und jetzt gab es diesen Toten, den in der Buchhandlung, ihr erster größerer Fall, seitdem sie wieder zurück war. Ein junger Mann, offensichtlich gesund und fit und fiel einfach so tot um? Ihr kriminalistischer Instinkt sagte ihr, dass das nicht sein konnte, dass mehr dahinterstecken musste.

„Hast du die Sachen, die der Tote bei sich hatte?“, fragte sie Jan.

„Ja, hier sind sie.“

Er reichte ihr einen Beutel. Sie öffnete ihn und leerte den Inhalt auf das Armaturenbrett ihres Autos, in dem sie wieder saßen. Der Ausweis des Toten lag dabei. Sie nahm ihn und betrachtete das Foto.

„Hm … ein junger Mann, recht gutaussehend, offensichtlich gesund und fällt in einem Geschäft einfach tot um. Das gefällt mir nicht, es gefällt mir ganz und gar nicht. Da steckt mehr dahinter.“

Sie betrachtete die restlichen Sachen, die herumlagen. Ein Schlüsselbund, ein einzelner großer Schlüssel, ein Geldbeutel mit einem größeren Geldbetrag und eine Tankquittung.

„Hatte der Tote ein Auto?“, wollte sie wissen.

„Ja, da vorne steht es, ich habe bereits die KTU benachrichtigt, dass sie es sich vornehmen.“

„Sehr gut, Jan. Wo wohnte der Tote?“

„Er hatte eine Wohnung, gar nicht mal weit von hier. Seine Eltern wohnen in Lützelsachsen.“

„Dann fahren wir erst zu den Angehörigen und überbringen ihnen die traurige Nachricht. Die Wohnung können wir uns später noch anschauen.“

Jutta ließ den Motor an und sie fuhren los.

Kapitel 3

Jutta und Jan hielten vor dem Haus der Rieders und stiegen aus. Sie betrachteten das Gebäude. Es war ein großes Haus auf einem noch größeren Grundstück und eine Auffahrt führte zum Eingang.

„Sieht ja hochherrschaftlich aus“, meinte Jan.

„Der Vater von Markus Rieder, Hubertus Rieder, hat eine gutgehende Firma, die physikalische Geräte herstellt. Das Unternehmen ist vor kurzem an die Börse gegangen und seitdem steigen die Kurse ins unermessliche.“

„Das klingt nach viel Geld“, meinte Jan.

„Nach sehr viel Geld“, verbesserte Jutta und läutete.

Eine Weile tat sich nichts, dann öffnete sich die Tür und sie standen einer Frau gegenüber von Ende fünfzig, die leger gekleidet war und sie fragend anschaute.

„Ja, was wollen Sie?“, fragte die Frau.

„Jutta Hansen von der Kripo Weinheim, mein Kollege, Herr Römer. Sind Sie Frau Rieder?“

„Kripo? Ist was passiert? Ja, ich bin Frau Rieder.“

„Es handelt sich um Ihren Sohn. Dürfen wir reinkommen?“

Frau Rieder ließ die Kripobeamten eintreten und führte sie ins Wohnzimmer. Sie bat sie, Platz zu nehmen.

„Es geht um meinen Sohn, sagen Sie? Um welchen?“

„Ihren Sohn Markus.“

„Oh, was ist mit ihm? Ich habe ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen.“

„Frau Rieder, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn Markus tot ist. Er ist in einer Buchhandlung zusammengebrochen und war sofort tot. Es tut mir sehr leid.“

Jutta beobachtete die Reaktion von Frau Rieder.

Diese war erschüttert und brach in Tränen aus.

„Tot, sagen Sie? Aber wie kann das sein. Markus war doch nicht krank.“

„Genaueres wissen wir auch noch nicht, wir müssen noch den gerichtsmedizinischen Befund abwarten. Wir wissen nur, dass er in einer Buchhandlung war und sich nach einem Buch erkundigt hat. Die Verkäuferin ging nach hinten, um es zu holen und als sie zurückkam lag Ihr Sohn auf dem Boden und war tot.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte seine Mutter mit tränenerstickter Stimme.

„Hat Ihr Sohn irgendwelche Medikamente genommen oder Spritzen bekommen?“, fragte Jan.

„Nein, … er war Diabetiker und musste schon von klein auf Spritzen bekommen. Aber er hatte seine Krankheit im Griff und sie beeinträchtigte ihn nicht weiter.“

„Spritzte er sich denn regelmäßig?“, wollte Jutta wissen.

„Ja, darin war er sehr gewissenhaft, er hat es nie vergessen und auch immer ein Set bei sich, so dass er sich auch eine Spritze geben konnte, wenn er unterwegs war.“

„Was hat Ihr Sohn denn beruflich gemacht? Hat er studiert?“

„Er hat Physik studiert aber sein Studium bereits vor einem Jahr abgeschlossen. Danach hat er sich erstmal eine Auszeit genommen, um sich ein wenig zu erholen. Er sollte eigentlich mal die Firma übernehmen, wissen Sie, Rieder & Sohn, das Unternehmen besteht schon seit drei Generationen.“

„Was ist hier los, Mutter? Wer sind die Leute?“

Im Türrahmen stand ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren und schaute erstaunt auf die Personen im Wohnzimmer.

„Mein jüngerer Sohn Dominik“, stellte ihn Frau Rieder vor, „das sind Frau Hansen und Herr Römer von der Kripo. Markus ist tot.“

„Was?“, stieß Dominik hervor, „Markus ist tot? Das kann nicht sein, er war doch kerngesund, natürlich abgesehen von seiner Diabetis, aber sonst ging es ihm gut.“

Jutta Hansen wiederholte noch einmal was sie bisher wussten und was geschehen war.

Auch Dominik war erschüttert.

„Weiß Papa es schon?“, fragte er.

Seine Mutter schüttelte den Kopf.

„Wir lassen Sie jetzt allein, Frau Rieder“, sagte Jutta Hansen, „aber wahrscheinlich werden wir Sie noch einmal aufsuchen müssen, wenn wir näheres wissen. Es wäre gut, wenn dann auch Ihr Mann da wäre.“

Sie verabschiedeten sich und verließen das Haus. Draußen setzten sie sich in ihren Wagen und fuhren los.

„Was hältst du von Mutter und Bruder?“, wollte Jutta wissen.

„Ich kann sie noch nicht recht einsortieren. Lass uns auf dem Kommissariat darüber reden.“

Kurz darauf waren sie zurück in ihrem Büro und besprachen den Fall.

Kapitel 4

„Was haben wir bisher?“, fragte Jutta Hansen auf dem Kommissariat.

„Der Tote heißt Markus Rieder, ist achtundzwanzig Jahre alt und wohnhaft in Weinheim. Er hat ein abgeschlossenes Physikstudium und sollte einmal die Firma seines Vaters übernehmen.“

Fragend sah Jan Jutta an.

„Ich gehe mal in die Rechtsmedizin und frage nach“, sagte Jutta und verschwand.

Sie ging nach unten und betrat dann die Pathologie. Heike Wilhelmi, die sowohl Rechtsmedizinerin als auch Pathologin war, beugte sich gerade über den Leichnam.

„Und … können Sie mir schon etwas sagen?“, fragte Jutta.

Die Gerichtsmedizinerin sah auf.

„Ja, kann ich. Der Tote war zuckerkrank und musste sich regelmäßig spritzen. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon. Interessant ist allerdings, dass bei allen Spritzen, die der Tote bei sich hatte, die Flüssigkeit ausgetauscht wurde.“

„Wie ausgetauscht?“

„Das Insulin wurde entfernt und durch höher dosiertes Insulin ersetzt. Der Tote hat sich offensichtlich am Morgen eine Spritze gegeben und als er feststellte, dass sie nicht wirklich wirkte, hat er sich, bevor er vor der Buchhandlung ausgestiegen ist, eine weitere Spritze gegeben. Die beiden leeren Spritzen sind hier.“

Sie hielt sie hoch.

„Was bedeutet das genau?“, fragte Jutta nach.

„Eine zu hohe Dosis Insulin führt bei einem Diabetiker zu Unterzuckerung, er kann ins Koma fallen und sterben. Und in diesen Spritzen war Insulin in einer sehr hohen Konzentration. Bei einem Menschen, der völlig gesund ist, kann das Spritzen von Insulin zum Tod führen.“

„Das heißt also, das Insulin wurde in der Konzentration erhöht, um Markus Rieder zu töten. Dann handelt es sich also um Mord?“

„Das denke ich auch.“

„Der Todeszeitpunkt ist ja bekannt aber können Sie etwas dazu sagen, wann der Inhalt ausgetauscht worden sein könnte?“

„Das ist schwer zu sagen, das kann durchaus schon ein paar Tage her sein. Allerdings hat der Tote immer ein Notfallmäppchen bei sich gehabt, indem sich insgesamt vier Spritzen befinden. Zwei davon sind leer, die hat er verbraucht. Die anderen beiden sind unbenutzt. Ich habe den Inhalt untersucht, auch dieser wurde ausgetauscht. Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen.“

„Danke, Frau Wilhelmi, Sie haben mir sehr geholfen. Sollte sich noch etwas Neues ergeben, dann geben Sie mir bitte umgehend Bescheid.“

„Ja, das mache ich.“

Nachdenklich verließ Jutta Hansen die Pathologie und steuerte ihr Büro an, um die Neuigkeiten Jan mitzuteilen. Außerdem musste sie nachdenken.

Sie betrat ihr Büro und berichtete Jan, was sie soeben erfahren hatte. Dieser war genauso überrascht wie zuvor Jutta.

„Dann handelt es sich also um Mord“, meinte er, „dann müssen wir jetzt in einer Mordsache ermitteln.“

„So ist es“, antwortete ihm Jutta, „dafür haben wir bisher aber noch recht wenig. Wir müssen im Umfeld des Toten ermitteln, Familie, Freunde, ob er Feinde hatte etc. Am besten, wir fahren noch einmal zu seinen Eltern und befragen diese. Auch seinen Bruder. Vielleicht weiß der etwas. Vorher sehen wir uns aber seine Wohnung an. Möglicherweise finden wir dort etwas, das uns weiterhilft. Hast du die Adresse?“

„Habe ich“, antwortete Jan.

„Dann los“, sagte Jutta und stand auf.

Kapitel 5

Die Wohnung von Markus Rieder befand sich im zweiten Stock eines Apartmenthauses und bestand aus drei Zimmern, einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einem Arbeitszimmer sowie einer Küche und einem Bad. Alles sah sauber und aufgeräumt aus.

Die Kripobeamten sahen sich um. Jan ging ins Bad und öffnete den Schrank, der über dem Waschbecken hing.

„Jutta, hier ist etwas.“

Er hielt eine Packung mit weiteren Insulinspritzen hoch.

„Die nehmen wir mit und lassen sie untersuchen. Ich will wissen, ob auch hier die Flüssigkeit ausgetauscht wurde.“

Jan fischte eine Plastiktüte aus seiner Jackentasche und steckte die Packung hinein. Dann verschloss er die Tüte und steckte sie ein.

In der Küche war nichts Besonderes zu finden, auch nicht im Schlafzimmer und im Wohnzimmer. Jutta ging ins Arbeitszimmer und sah sich hier um. Der Schreibtisch war aufgeräumt, nur einige Fotografien standen darauf.

Eine zeigte Markus mit seinen Eltern und seinem Bruder, eins die beiden Brüder allein. Auf der dritten waren fünf junge Männer zu sehen, die sich untergehakt hatten und offenbar gerade etwas feierten. Der mittlere war Markus.

„Das hier ist Markus Rieder“, sagte Jutta und zeigte auf den Mann in der Mitte, „aber wer sind die anderen? Das müssen wir herausfinden. Das Bild nehmen wir mit und fragen mal seine Eltern und seinen Bruder, ob sie die anderen jungen Männer kennen und deren Namen wissen.“

Sie steckte das Bild in ihre Tasche. Dann verließen sie die Wohnung und fuhren noch einmal zu Markus Rieders Eltern.

Dieses Mal wurde die Tür von einem Mann Mitte sechzig geöffnet. Er trug Freizeitkleidung und hatte Ringe unter den Augen, so als wenn er einige Zeit nicht geschlafen hätte.

„Herr Rieder?“, fragte Jutta Hansen.

„Ja, der bin ich. Wenn Sie von der Presse sind, können Sie gleich wieder gehen. Wir geben keine Interviews.“

„Mein Name ist Hansen, das ist mein Kollege, Herr Römer, wir sind von der Kripo. Dürfen wir hereinkommen?“