Niemandsland - Caroline Brothers - E-Book

Niemandsland E-Book

Caroline Brothers

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Beschreibung

Aryan und Kabir sind versteckt in Lieferwagen und Güterzügen oder zu Fuß unterwegs. Sie leiden unter Hunger, Erschöpfung und bitterer Kälte. Sie werden um den Lohn ihrer Arbeit betrogen, von brutalen Schleppern hintergangen und von allen anderen ignoriert. Mit Ausnahme der Polizei. Nicht immer gelingt es Aryan, den kleinen Kabir zu beschützen. Und doch: Ihre Reise birgt auch große Momente des Abenteuers, des Staunens, der ergreifenden Zärtlichkeit zwischen den Brüdern und selten - ganz selten - auch der unerwarteten Großherzigkeit eines Fremden. Caroline Brothers erzählt die Geschichte zweier Jungen, die stellvertretend für Millionen von Kindern inmitten der Flüchtlingsströme dieser Welt stehen. Niemandsland ist ein Roman ohne jede Rührseligkeit - und rührt den Leser gerade deshalb. Denn Aryans und Kabirs Europa ist auch das unsere.

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Für Navid, Bashir, Hamid, Alixe, Jawed, Jawad, Ramin, Ramzi, Nazibullah, Rahim, Mushtaba, Ali, Mohammed, Hussein, Sohrab, Reza und Qasim

Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmalz

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-8270-7511-6

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Hinterland

bei Bloomsbury Plc, London

© 2011 Caroline Brothers

Für die deutsche Ausgabe

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2012

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur

unter Verwendung eines Bildes von © David Sacks/getty images

Datenkonvertierung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

Brichst du auf gen Ithaka,wünsch dir eine lange Fahrt

Konstantinos Kavafis

Wie soll ich denn leben?

Jawad, 14

In unsichtbaren Geschwadern treffen sie nachts ein, zerrupft und mit schmerzenden Brustmuskeln und Sehnen vom unablässigen Streben gegen die Küstenwinde. Eine übernatürliche Kraft wirbelt sie genau an die richtige Stelle. Die kleinen Tunnel in der Felswand sind vom Vorjahr noch da, noch immer markieren verblichene weiße Guanofahnen die Eingänge im bröckelnden Lehm. Dort, wo die Spinifexwurzeln die Decke nicht zusammenhalten konnten, stürzen einige der Höhlen ein. Aber sie sind noch da, trotz Wind, Feuchtigkeit und Erosion – die Schutzräume, in denen sie selber geschlüpft waren und wo auch ihre Nachkommen kauern würden vor dem einen lang gedehnten Fall von der Klippe, wenn sich alles Leben in die Winde wirft, die kreischend übers Meer fahren und auf die bodennahen Strömungen prallen, wenn jeder Glaube, jede Erwägung, jeder Gedanke verdrängt wird durch den einen, furchterregendsten aller Instinkte: den ersten blinden Absprung in die Luft.

Es war kein Geheimnis, und doch war es eines der Geheimnisse der Natur, einfach weil der Mensch sie jahrtausendelang nicht ergründet hatte; die lange Pilgerreise südwärts über abakusartige Inselketten, den weiten blauen Spiegel der See, die rauen Küsten der Kontinente, die sich gleich einer Landkarte unter ihnen entrollen, und irgendwann eine Art von Ankunft: Sie torkeln auf dürren Beinchen, schlagen ein, zwei Mal mit den zerfetzten Flügeln und falten sie wie blasse Regenschirme zusammen. Auf einer Insel an der südlichsten Spitze der Welt erlangen sie mit Anmut ihre Würde wieder. Dann die verlumpte Musterung derjenigen, die die Strecke geschafft haben, während die anderen irgendwo entlang der Schnellstraßen der Meere, der Winde und des Himmels abhandengekommen sind. Die Paarung, das Legen, das Schlüpfen, das Fischen, das Füttern. Und schließlich, mit der uralten Sonne schräg auf ihrer Achse, die lange Reise nach Norden, bei der die Nachkommen demselben Navigationsinstinkt ausgesetzt werden, der sie, ihre Eltern und deren Eltern zu dieser langen Staffel des Überlebens verdammt hatte, die nur eines vorsah: unter der Anziehungskraft der Sonne jene endlosen Seemeilen zu bezwingen.

Sie sind zwei Wochen zu spät angekommen, und der Fluss führt Hochwasser.

Der Schnee auf dem fernen Balkan ist früh geschmolzen, und er hat die Bäche anschwellen lassen, die den breiten Grenzfluss mit seiner jährlichen Ernte aus Schlick speisen. Das ansteigende Wasser schmiegt sich gegen die Baumstämme, stiehlt sich in die Reisfelder, die das Niemandsland bedecken und die Wiesen in schillernde Kopien des Himmels verwandeln. Nicht einmal tagsüber gibt es Vögel, nirgends regt sich Leben.

Aryan streicht sich das tropfnasse Haar aus den Augen. Hinter der Brücke kann er soeben die nackten Bäume ausmachen, in der Ferne das steil ansteigende Ufer, das zur Autobahn in Europa führt.

»Hier lang«, sagt der Junge mit dem verkrüppelten Arm.

Die Männer, fünfzehn an der Zahl, bilden eine Reihe und stolpern durch den Morast. Sie halten sich an die kleinen Schwellen zwischen den Feldern, springen von einer Gras- und Erdinsel zur nächsten. Aryan spürt, wie das Wasser in seine Turnschuhe sickert, in die Socken, die sich unter den Fußsohlen anfangen zu wellen. Mit jedem Schritt schmatzen und rutschen seine Schuhe; er zuckt zusammen bei dem Geräusch, das die Anspannung in seinem Kopf hundertfach verstärkt, als sei es meilenweit über diese trübe Landschaft hinweg zu hören. Vor ihm verflucht sein Freund mit leiser Stimme die Blasen an seinen Füßen; Kabir geht zwischen ihnen, macht mit den stämmigen Beinchen große Schritte, fügt einen zusätzlichen Hüpfschritt ein, um nicht zurückzufallen.

Die tief hängenden Wolken, die nur ein schmales Band zwischen Erde und Himmel übrig gelassen haben, bedeuten, dass zumindest heute Nacht kein Mond droht.

Ein Mal bleiben sie abrupt stehen. Sie können die Taschenlampen der Grenzwachen sehen, blinkend und zuckend wie Glühwürmchen entlang der schmalen Brücke. Aryan hofft, dass die Soldaten heute Abend ein Auge zudrücken werden; die Überquerung wird in einem Hinterhalt enden, wenn sich die Leute des Jungen von beiden Seiten schmieren lassen wollen.

Die Mundpropaganda – das gesammelte Wissen, das dieselbe beschwerliche Route nimmt wie die Flüchtlinge – hat ihn vor den türkischen Gefängnissen gewarnt, wo diejenigen, die im Grenzgebiet verhaftet werden, ihr Dasein fristen. Er hockt im Nieselregen und Schlamm und betet, dass es kein Fehler war, diesem missgestalteten Jungen zu vertrauen.

Aber es sind nicht die Lichter auf der Brücke, die ihren Führer dazu veranlasst haben, so plötzlich stehen zu bleiben und auf die Knie zu fallen. Das Geräusch ist an sein Ohr gedrungen, lange bevor Aryan den langsam fahrenden grauen Schatten auf der soeben überquerten Straße erkennt: ein Armeefahrzeug ohne Licht, das zu den Militärgebäuden am Brückenkopf unterwegs ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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