Nightshade - Die Entscheidung - Andrea Cremer - E-Book

Nightshade - Die Entscheidung E-Book

Andrea Cremer

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Welches Opfer ist die wahre Liebe wert?

Für die Gestaltwandlerin Calla Tor wird die Welt nie wieder sein, wie sie war. Sie hat alles darangesetzt, ihr Rudel aus der Sklaverei zu befreien. Doch nach allem Schmerz, den sie erfahren musste, hat sie der Verrat ihres kleinen Bruders Ansel am tiefsten getroffen. Calla ist trotz allem entschlossen nicht aufzugeben. Sie muss sich als Alphatier des Rudels beweisen, sich unaussprechlichen Schrecken stellen und die Welt ein für alle Mal von der Magie der Hüter befreien. Und dann ist da noch die Entscheidung, was zu tun ist, wenn der Krieg zu Ende ist. Das heißt, falls Calla ihn lebend übersteht ...

Verführerisch, spannend und voller Action - die packende Fantasy-Trilogie der Bestsellerautorin Andrea Cremer:

Band 1: Nightshade - Die Wächter
Band 2: Nightshade - Dunkle Zeit
Band 3: Nightshade - Die Entscheidung

ONE. Wir lieben Young Adult. Auch im eBook.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 499

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Über dieses Buch

Titel

Motto

Teil 1 – Luft

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Teil 2 – Wasser

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Teil 3 – Feuer

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Alle Titel der Autorin bei ONE

Hat es Dir gefallen?

Impressum

Über dieses Buch

Für die Gestaltwandlerin Calla Tor wird die Welt nie wieder sein, wie sie war. Sie hat alles darangesetzt, ihr Rudel aus der Sklaverei zu befreien. Doch nach allem Schmerz, den sie erfahren musste, hat sie der Verrat ihres kleinen Bruders Ansel am tiefsten getroffen. Calla ist trotz allem entschlossen nicht aufzugeben. Sie muss sich als Alphatier des Rudels beweisen, sich unaussprechlichen Schrecken stellen und die Welt ein für alle Mal von der Magie der Hüter befreien. Und dann ist da noch die Entscheidung, was zu tun ist, wenn der Krieg zu Ende ist. Das heißt, falls Calla ihn lebend übersteht …

ANDREA CREMER

Nightshade

DIE ENTSCHEIDUNG

Aus dem amerikanischen Englisch von Michaela Link

Ich bin daran, meine letzte Reise anzutreten, einen großen Sprung ins Finstere.

– Thomas Hobbes

LUFT

Teil 1

KAPITEL 1

Ich konnte jeden schweren Schlag meines Herzens hören. Das Geräusch schien von den Adern meines Körpers aus den ganzen Raum zwischen dem schimmernden Portal und dem dunklen Haus auszufüllen.

Er war da, ohne jeden Zweifel. Obwohl ich ihn weder sehen noch den leisesten Anflug seines warmen, rauchigen Duftes wahrnehmen konnte, wusste ich, dass er da war. Und auf mich wartete. Aber warum? Warum sollte Ren an diesen einsamen Ort kommen?

Mein Blick wanderte über die Schatten, die jedes Mal tanzten, wenn Wolken über den Mond glitten. Sie weckten ungute Erinnerungen an die Larven. Ich schaute zum Himmel auf, damit ich weder das fertige Haus auf dem Hügel noch die übrigen Bauplätze mit den unvollendeten Rohbauten anzusehen brauchte. Hier war die Zeit stehen geblieben. Der Berghang, den man für eine Sackgasse und einen Ring aus Häusern gerodet hatte, raunte von einer unerreichbaren Vergangenheit. Die weitläufige Haldissiedlung – oder was die Haldissiedlung hätte werden sollen – lag vor mir. Sie war für das Rudel geplant worden, das Ren und ich zusammen angeführt hätten. Sie hätte unsere Wolfshöhle sein sollen. Unser Zuhause.

Ich wandte mich zu Adne um und versuchte, mein Schaudern zu verbergen. »Bleib außer Sicht. Wenn es ein Problem gibt, wirst du mich hören, und wenn ich angerannt komme, öffnest du ganz schnell ein Portal. Egal, was passiert, komm mich nicht suchen.«

»Abgemacht«, sagte sie und zog sich auch schon Richtung Wald zurück. »Danke, Calla.«

Ich nickte, bevor ich Wolfsgestalt annahm. Adne verschwand in der Dunkelheit. Als ich mir sicher war, dass niemand sie entdecken konnte, schlich ich mich an das Haus heran. Die Fenster waren dunkel, das Gebäude lag still da. Es schien verlassen, aber ich wusste, dass dem nicht so war.

Ich hielt die Schnauze gesenkt und versuchte, Witterung aufzunehmen. Vom Portal aus Richtung Siedlung hatten wir den Wind im Rücken, und ich fühlte mich verletzlich. Ich würde jeden, der sich im Schleier der Nacht versteckte, erst aus nächster Nähe wahrnehmen können. Meine Ohren zuckten und horchten wachsam auf ein Anzeichen von Leben. Doch es gab keins. Keine Kaninchen, die im Unterholz Deckung suchten, keine Nachtvögel, die am Himmel flatterten. Dieser Ort war nicht nur verlassen, er wirkte verflucht, so als wage nichts, sich innerhalb der Grenzen der Lichtung zu bewegen.

Ich beschleunigte das Tempo, überwand die Entfernung zum Haus und sprang über Schneewehen. Meine Krallen kratzten über gefrorene Eisbahnen auf dem Pflaster. Als ich die Vordertreppe erreichte, blieb ich stehen, um am Boden zu schnuppern. Mein Blick folgte frischen Pfotenabdrücken, die zu Stiefelspuren wurden und die Treppe hinaufführten. Rens Duft war scharf und frisch. Er musste erst kurze Zeit vor uns eingetroffen sein. Langsam schlich ich die Veranda hinauf und wechselte die Gestalt, um die Fliegentür zu öffnen. Dann drehte ich vorsichtig den Türknauf. Das Haus war unverschlossen. Ich ließ die Tür aufschwingen, die nur ein leises Knarren von sich gab. Ich schlüpfte hinein, schloss sie und drehte den Riegel. Falls mir jemand gefolgt war, wollte ich vor seinem Eintreffen gewarnt werden.

Ich nahm wieder Wolfsgestalt an, als ich mich durch den vorderen Flur bewegte, und folgte Rens Duftspur zur Haupttreppe. Ich versuchte, nicht zusammenzuzucken, als ich an der Esszimmertür vorbeikam. Ein schöner Eichentisch, wahrscheinlich antik, umringt von Stühlen. Vier auf jeder Seite, einer am Kopfende und einer am Fußende. Zehn. Es war nicht schwer, sich dort Mahlzeiten vorzustellen. Mit unserem Rudel.

Langsam stieg ich die Treppe hinauf und wünschte, meine Krallen würden auf dem Parkett nicht so laut kratzen. Als ich im Obergeschoss angelangt war, hielt ich inne und lauschte. Das Haus antwortete nur mit Schweigen. Immer noch auf Rens Spur kam ich an drei Kinderzimmern und einem Bad vorbei, bevor ich die Tür am Ende des Flurs erreichte. Das Herz wollte mir schier aus der Brust springen, als ich das Hauptschlafzimmer erreichte.

Ich trat ein und blieb nach wenigen Schritten stehen. Mondlicht fiel durch die hohen Erkerfenster auf das Himmelbett, auf dem sich Satinkissen stapelten. Es war mit Jacquardstoff verhängt und hatte an jeder Ecke einen hohen Ebenholzpfosten. Passende Kleiderschränke standen an der einen Wand. An der anderen, dem Bett gegenüber, befanden sich ein Schminktisch mit Spiegel und ein kleines Sofa.

Rens Geruch war überall. Der Rauch von abgelagertem Holz, der unter einem kühlen Herbsthimmel hing, das weiche Aroma von abgenutztem Leder, der verführerische Duft von Sandelholz. Ich schloss die Augen, ließ seinen Geruch über mich hinwegströmen und die Erinnerungen wieder aufsteigen. Es dauerte einen Moment, bevor ich mein Nackenfell schütteln konnte, dann verscheuchte ich die Vergangenheit und versuchte mich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Ren lag zusammengerollt auf dem Fenstersitz, teils im Mondlicht, teils im Schatten. Völlig reglos, den Kopf auf die Pfoten gebettet. Und er starrte mich an.

Für eine gefühlte Ewigkeit verharrten wir in dieser Position und ließen die Augen nicht voneinander. Schließlich zwang ich mich, einen Schritt vorwärtszumachen. Sein Kopf fuhr hoch, und sein Fell sträubte sich. Ich hörte sein leises, drohendes Knurren. Ich hielt inne und kämpfte gegen den Drang, ihn meinerseits anzuknurren.

Immer noch grollend stand er auf und begann, unter dem Fenster auf und ab zu laufen. Ich ging noch einen Schritt nach vorne. Seine Reißzähne blitzten auf, als er eine Warnung bellte. Ich senkte den Kopf, denn ich wollte kein Zeichen der Aggression aussenden. Es spielte keine Rolle.

Rens Muskeln spannten sich an; dann sprang er mich an und warf mich auf die Seite. Ich jaulte auf, als wir über den Holzboden rutschten. Als ich mich wegrollte, schnappten seine Kiefer direkt über meiner Schulter nach mir. Ich rappelte mich hoch und wich aus, als er von Neuem angriff. Dann spürte ich die Wärme seines Atems und seine Reißzähne, die über meine Flanke strichen. Ich wirbelte herum, knurrte, stellte mich vor ihn und wappnete mich gegen seinen nächsten Angriff. Als er zum dritten Mal auf mich losging und seine Zähne nicht in mein Fleisch drangen, begriff ich, was hier vorging. Ren wollte mich nicht angreifen. Er versuchte nur, mich zu verscheuchen.

Ich straffte die Schultern und bellte ihn an. Hör auf!

Ich sah in seine dunklen, glühenden Augen.

Warum willst du nicht gegen mich kämpfen? Er bleckte die Zähne.

Ich behielt ihn im Blick und drehte mich langsam im Kreis, während er um mich herumstolzierte. Ich bin nicht hergekommen, um zu kämpfen.

Als er diesmal lossprang, bewegte ich mich nicht. Seine Schnauze war nur Zentimeter von meiner entfernt, und er knurrte, aber ich wich nicht zurück.

Du solltest nicht hier sein, wenn du nicht bereit bist zu kämpfen.

Ich bin immer bereit zu kämpfen. Nun zeigte ich ihm die Zähne. Aber das bedeutet nicht, dass ich es will.

Allmählich verklang sein Grollen. Er senkte den Kopf, wandte sich von mir ab und ging zurück zum Fenster, wo er in den Himmel starrte.

Du solltest nicht hier sein.

Ich weiß. Ich tappte zu ihm hinüber. Du auch nicht.

Als er sich zu mir umdrehte, nahm ich Menschengestalt an.

Der dunkelgraue Wolf blinzelte, und dann stand Ren vor mir und schaute auf mich herab.

»Warum bist du hier?«

»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, sagte ich und biss mir auf die Lippe. Ich war nicht hierhergekommen, weil er sich die Zeit in einem leeren Haus vertrieb, das für uns gebaut worden war. In diesem Raum zu stehen, auf diesem Berg, in diesem Haus – alles erschien so, als ginge es dabei um uns. Ich konnte mich kaum an die Außenwelt erinnern. An die Sucher. Den Krieg.

Seine Augen blitzten, aber dann wurden sie leer.

»Man kann hier gut allein sein.«

»Es tut mir leid«, sagte ich. Die Worte fühlten sich wie Eis an in meiner Kehle.

»Was genau tut dir leid?« Sein Lächeln war rasiermesserscharf, und ich wand mich innerlich.

»Alles.« Ich konnte ihn nicht ansehen, also ging ich durch den Raum, ließ meine Augen ziellos umherschweifen und bewegte mich an Möbeln mit leeren Schubladen vorbei. An einem Bett, in dem niemand schlafen würde.

»Alles«, wiederholte er.

Am anderen Ende des Raumes, auf der anderen Seite des Bettes, drehte ich mich um und sah ihn an.

»Ren, ich bin gekommen, um dir zu helfen. So muss es doch wirklich nicht sein.«

»Ach nein?«

»Du brauchst nicht hierzubleiben.«

»Weshalb sollte ich gehen?«, fragte er. »Dies ist mein Zuhause.« Er strich mit den Fingern über die seidige Oberfläche der Bettwäsche. »Unser Zuhause.«

»Nein, das ist es nicht.« Ich klammerte mich an einen der Bettpfosten. »Wir haben uns das hier nicht ausgesucht; das haben andere für uns getan.«

»Du hast es dir nicht ausgesucht.« Er kam um das Bett herum. »Ich dachte, wir würden hier ein gutes Leben haben.«

»Vielleicht.« Ich grub die Nägel in den Holzlack. »Aber es war im Grunde keine Entscheidung. Selbst wenn es vielleicht gut geworden wäre.«

»Du hast es doch nie gewollt, oder?« Er hatte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Mein Herz schlug zu schnell. »Ich habe mich nie gefragt, was ich wollte.«

»Warum bist du dann weggelaufen?«

»Du weißt, warum«, sagte ich leise.

»Seinetwegen«, knurrte er, dann packte er ein Kissen und schleuderte es durch den Raum. Ich trat zurück und zwang mich, ruhig zu sprechen.

»So einfach ist das nicht«, erklärte ich. Sobald er Shay erwähnt hatte, regte sich etwas in mir. Ich war noch immer traurig, fühlte mich aber stärker. Shay hatte nicht nur meinen Lebensweg verändert. Er hatte mich verändert. Nein, nicht verändert. Er hatte mir geholfen, für mein wahres Ich zu kämpfen. Jetzt war ich an der Reihe, Ren zu helfen, das Gleiche zu tun.

»Ach nein?« Er funkelte mich wütend an.

»Hättest du ihn töten können?«, fragte ich und hielt Rens Blick stand. »Ist das die Art, wie du ein neues Leben mit mir beginnen wolltest?«

Ein Teil von mir wollte die Antwort gar nicht wissen. Konnte er wirklich Shays Tod gewollt haben? Wenn ich mich in Bezug auf Ren irrte, war es ein schrecklicher Fehler, hierhergekommen zu sein. Wir würden kämpfen, und ich würde ihn töten müssen. Oder er würde mich töten.

Er bleckte seine scharfen Eckzähne, aber dann seufzte er. »Natürlich nicht.«

Ich ging langsam um das Bett herum. »Das ist das einzige Leben, das sie uns geboten hätten. Die Leute zu töten, die Hilfe brauchen.«

Er beobachtete, wie ich näher kam, blieb jedoch wie versteinert.

»Die Hüter sind der Feind, Ren«, sagte ich. »Wir haben in diesem Krieg auf der falschen Seite gekämpft.«

»Wie kannst du dir so sicher sein?«

»Ich kenne jetzt die Sucher«, erwiderte ich. »Ich vertraue ihnen. Sie haben mir geholfen, unser Rudel zu retten.«

Sein Lächeln war hart. »Einen Teil davon.«

»Die anderen haben sich entschieden.«

»Und ich habe das nicht getan?« Seine Augen waren dunkel wie Obsidian und wütend. Aber ich glaubte nicht, dass sein Zorn sich gegen mich richtete.

Als ich für einen Moment die Augen schloss, außerstande, das tiefe Bedauern in Rens Blick zu ertragen, befand ich mich wieder in Vail, in einer Zelle tief unter dem Eden. Ich erinnerte mich an die Verzweiflung in Rens Stimme, an meine eigene Furcht.

»Sie haben gesagt, ich müsste es tun.«

»Was musst du tun?«

»Dich brechen.«

Ich schauderte, als die Erinnerung daran, wie ich gegen die Wand gekracht war und das Blut in meinem Mund geschmeckt hatte, wieder hochkam. Dann zwang ich mich, in den Raum zurückzukehren, fing Rens leicht angewiderte Miene auf und wusste, dass er im Geiste am selben Ort gewesen war.

Ich schluckte und verschränkte die Hände, damit sie nicht zitterten. »Ich hoffe, du hast es nicht getan.«

Er antwortete nicht, sah mich aber an.

»Ich glaube nicht, dass du mir wehtun wolltest«, begann ich. »Und ich denke nicht, dass du es getan hättest, selbst wenn Monroe nicht …«

Die Worte erstarben mir im Mund. Es war die Wahrheit, aber das löschte die Erinnerung nicht aus. Das Grauen dieses Augenblicks hatte sich in meine Knochen eingemeißelt.

»Ich hätte es nicht getan«, flüsterte Ren.

Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es glaubte. Doch jetzt musste ich ihn vor allem von hier fortbringen, fort von einer Welt, die ihn zu jemandem verbogen hatte, der mir wehtun konnte. Er hob seine Hand, als wolle er meine Wange berühren, ließ sie dann aber wieder sinken.

»Haben die Sucher dich geschickt, um mich zu finden?«

»Mehr oder weniger.«

Seine Brauen schossen in die Höhe.

»Monroe wollte dich finden«, fügte ich hinzu.

Ren biss die Zähne zusammen. »Der Mann, den mein – der Mann, den Emile getötet hat.«

Mir fiel auf, wie er sich gebremst hatte. Er wollte Emile nicht seinen Vater nennen.

»Ren.« Ich nahm seine Hand. »Weißt du Bescheid?«

Seine Finger drückten meine. »Ist es wahr? Hat Emile meine Mutter getötet?«

Ich nickte und spürte, wie mir die Tränen aus den Augen liefen.

Er zog die Hand weg, krallte die Finger in seine dunklen Haare und drückte die Hände gegen die Schläfen. Seine Schultern zitterten.

»Es tut mir so leid.«

»Dieser Mann.« Rens Stimme brach. »Dieser Mann, Monroe. Er war mein echter Vater, nicht wahr?«

Ich ließ ihn nicht aus den Augen und fragte mich, wie er sich das alles zusammengereimt hatte. »Woher hast du es gewusst?«

Zwischen dem Kampf in den Tiefen des Eden und diesem angespannten Augenblick, in dem ich dastand und Ren ansah, war nicht viel Zeit verstrichen. Ich kannte ihn, seit wir beide Welpen waren, aber ich hatte das Gefühl, als seien wir in den letzten vierundzwanzig Stunden um Jahrzehnte gealtert.

Emile begann zu lachen. Ren hockte noch immer zwischen seinem Vater und dem Sucher. Seine kohlschwarzen Augen sprühten Funken, als er sah, wie Monroe seine Schwerter sinken ließ.

»Ich werde dem Jungen nichts antun«, erklärte Monroe. »Das weißt du.«

»Ich habe es vermutet«, erwiderte Emile, und sein Blick flackerte zu den knurrenden jungen Wölfen hinüber. »Passt auf, dass er nicht entkommt! Es wird Zeit, dass Ren seine Mutter rächt.«

»Ren, tu es nicht! Er lügt. Es sind alles Lügen!«, kreischte ich. »Komm mit uns!«

»Sie ist nicht mehr eine von uns«, zischte Emile. »Vergiss nicht, wie sie dich behandelt hat, dass sie uns allen den Rücken gekehrt hat. Koste die Luft, Junge! Sie stinkt nach den Suchern. Sie ist eine Verräterin und Hure.«

Er funkelte mich an. Angesichts des lodernden Feuers in seinen Augen wich ich stolpernd zurück. »Keine Sorge, hübsches Mädchen. Dein Tag kommt. Früher, als du denkst.«

Connor packte meinen Arm und zerrte heftig daran. Ich ruckte zur Seite. Er zog mich zu der unbewachten Tür.

»Wir können ihn nicht zurücklassen!«, rief ich.

»Wir müssen.« Connor stolperte in mich hinein, als ich versuchte, mich zu befreien, fand dann jedoch schnell das Gleichgewicht wieder und schloss die Arme um mich.

»Lassen Sie mich, ich will kämpfen!« Ich wehrte mich, erfüllt von dem verzweifelten Verlangen zurückzukehren, aber ich wollte auch den Sucher nicht verletzen, der mich wegzog.

»Nein!« Connors Züge wirkten wie in Stein gemeißelt. »Du hast ihn gehört. Wir sind weg. Und wenn du mir den Wolf machst, schwöre ich, dass ich dich bewusstlos schlage!«

»Bitte.« Meine Augen brannten, als ich Rens Reißzähne aufblitzen sah, und mir stockte der Atem, als Monroe seine Schwerter wegwarf.

»Was tut er da?«, rief ich und wich Connor aus, der erneut versuchte, mich zu packen.

»Das ist jetzt sein Kampf«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Nicht unserer.«

Ren sprang zurück, als die Schwerter klirrend zu Boden fielen. Obwohl er nach wie vor die Nackenhaare sträubte, erstarb sein Knurren.

»Hör mir zu, Ren«, sagte Monroe und hockte sich hin, um Ren auf Augenhöhe zu begegnen. Die beiden anderen Wölfe, die mit grausamer Langsamkeit auf ihn zukamen, sah er nicht an. »Du hast immer noch eine Wahl. Komm mit mir und erfahre, wer du wirklich bist! Lass all dies hinter dir!«

Rens kurzes, scharfes Bellen endete in einem verwirrtem Wimmern. Die anderen drei Wölfe pirschten sich weiterhin an den Sucher heran, davon ungerührt, dass ihr Feind plötzlich seine Waffen niedergelegt hatte.

Connor schlang mir einen Arm um den Hals und hatte mich plötzlich schmerzhaft im Schwitzkasten.

»Wir können hier keine Zuschauer sein!«, blaffte er, während er mich langsam aus dem Raum schleifte.

»Ren, bitte!«, rief ich. »Wähle nicht sie! Wähle mich!«

Beim verzweifelten Klang meiner Stimme wandte sich Ren um und sah zu, wie Connor mich durch die Tür zerrte. Er wechselte die Gestalt, starrte verwirrt auf Monroes ausgestreckte Hände und machte einen Schritt auf ihn zu.

»Wer sind Sie?«

Monroes Stimme zitterte. »Ich bin …«

»Genug! Du bist ein Narr, Junge«, fauchte Emile Ren an, bevor er Monroe mit einem Lächeln bedachte. »Genau wie dein Vater.«

Und dann sprang er durch die Luft und wechselte in Wolfsgestalt – ein dickes Bündel aus Fell, Reißzähnen und Klauen. Ich sah, wie er gegen Monroe prallte und die Kiefer um die ungeschützte Kehle des Mannes schloss, einen Moment bevor ich herumgerissen wurde.

Ren sah mich nicht an, als er sprach und mich aus dem Nebel der Erinnerungen riss. »Als er seine Schwerter niederlegte, dachte ich, er sei verrückt. Vielleicht selbstmordgefährdet. Aber da war etwas an seinem Geruch. Er war vertraut, so als würde ich ihn kennen.«

Ich beobachtete ihn, als er um Worte rang. »Aber was Emile gesagt hat. Ich habe es zuerst nicht verstanden. Bis er … bis Monroe blutete. Der Geruch seines Blutes. Ich wusste, dass es da eine Verbindung gab.«

»Er hat deine Mutter geliebt.« Meine Tränen flossen so heiß, dass ich hätte schwören können, sie versengten meine Wangen. »Er hat versucht, ihr bei der Flucht zu helfen. Eine Gruppe von Banes wollte aufbegehren.«

»Als ich ein Jahr alt war«, murmelte er.

»Ja.«

Ren setzte sich auf das Bett und begrub das Gesicht in den Händen.

»Monroe hat einen Brief hinterlassen.« Ich kniete mich vor ihn hin. »Er wollte, dass wir dich zurückbringen.«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte Ren.

»Wie kannst du das sagen?«

Er hob das Gesicht. Der zerrissene Ausdruck in seinem Gesicht schnitt mir wie Krallen in die Brust.

»Wo würde ich hingehören, Calla?«, fragte er. »Ich habe keinen Platz in jener Welt. Selbst wenn meine Mutter dorthin gehen wollte und mein Vater früher dort war. Sie sind beide nicht mehr da. Tot. Tot wegen des Lebens, zu dem ich gehöre. Es gibt nichts, was mich mit den Suchern verbindet. Ich wäre für sie nur ein Feind.«

Ich verstand seine Gefühle nur zu gut. Wir hatten beide so viel verloren. Unser Rudel war auseinandergerissen worden. Unsere Familien zerbrochen. Aber es gab noch immer Hoffnung. Die Sucher hatten mir ihre Loyalität bewiesen, als ich an ihrer Seite gekämpft hatte. Sie unterschieden sich gar nicht so sehr von den Wächtern. Wir waren alle Krieger, und wir hatten füreinander Blut vergossen. Unsere Feinde waren Freunde geworden, und die Wölfe konnten bei den Suchern ein neues Zuhause finden. Ich glaubte daran, aber ich musste Ren dazu bringen, es ebenfalls zu glauben.

Ich nahm seine Hände und drückte sie fest. »Du hast sehr wohl eine Verbindung zu den Suchern.«

»Was?« Meine grimmigen Worte schreckten ihn auf.

»Monroe hat eine Tochter«, sagte ich. »Ihr Name ist Ariadne.«

»Er hat eine Tochter?«, fragte Ren.

»Du hast eine Schwester. Eine Halbschwester.«

»Wer ist ihre Mutter?« Er stand da wie gebannt, in seinen Augen eine Welle von Gefühlen.

»Eine Frau, die ihm geholfen hat, als er um Corrine trauerte«, antwortete ich. »Aber Adnes Mutter ist ebenfalls gestorben.«

Ich senkte den Kopf und dachte daran, wie viele Menschen dieser Krieg getötet hatte. Dann verdrängte ich die Trauer und versuchte mich auf Ren zu konzentrieren. »Sie ist zwei Jahre jünger als wir. Und sie ist der Grund, warum ich hier bin.«

»Sie ist der Grund«, wiederholte er.

»Ja«, bestätigte ich und runzelte die Stirn, als er die Brauen zusammenzog. »Wir sollten gehen.«

»Du solltest gehen«, murmelte er. »Sie wollen Shay und dich. Selbst mit einer Schwester passe ich in diese Gleichung nicht hinein.«

Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht.

»Es ist nicht genug.« Er sah mich traurig an. »Sie ist eine Sucherin. Ich bin ein Wächter. Was bin ich ohne Rudel?«

In mir krampfte sich etwas zusammen. Wie oft hatte ich mir genau die gleiche Frage gestellt? Das Rudel macht einen Alpha aus. Wir waren dazu bestimmt zu führen, uns mit unseren Rudelgefährten zu verbinden. Wenn man uns das nahm, verlor das Leben seine Bedeutung.

Sein Blick ruhte auf mir. »Was willst du?«

»Was?« Ich starrte ihn an.

»Kannst du mir einen Grund nennen, warum ich mit dir gehen sollte?«

»Das habe ich doch schon getan«, erwiderte ich und zitterte, als ich begriff, was er meinte.

»Nein«, sagte er und beugte sich zu mir vor. »Du hast mir Gründe genannt, aber nicht deinen Grund.«

»Aber …« Ich sprach leise, zittrig.

Er fuhr mit den Fingern die Spuren meiner Tränen nach. Es war eine leichte Berührung, er streifte kaum meine Wange. Aber es fühlte sich so an, als jagten Flammen über meine Haut.

»Gib mir einen Grund, Calla«, flüsterte er.

Ich sah ihn an. Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Adern brannten wie Feuer.

Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, wonach er fragte. Aber ich konnte ihm nicht geben, was er wollte.

Rens dunkle Augen waren voller Schmerz, einem Schmerz, von dem er dachte, nur ich könnte ihn heilen.

»Ren«, flüsterte ich. »Ich möchte …«

Und dann beugte ich mich über ihn, und mein kurz geschnittenes Haar strich über seine Wangen, als ich ihn küsste. Unsere Lippen berührten sich, und ich hatte das Gefühl, als tauchte ich in das Meer des Vergessens ein. Der Kuss wurde direkt, hungrig und leidenschaftlich. Ren hob mich hoch, und ich schlang die Beine um ihn und schmiegte mich eng an seinen Körper. Unsere Küsse waren so voller Verlangen, so ausdauernd und so wild, dass ich kaum Luft schnappen konnte. Er legte mich auf das Bett. Unser Bett.

Seine Hände glitten unter meine Bluse, streichelten meinen Bauch, wanderten höher, schoben meinen BH beiseite. Ich stöhnte und biss ihm in die Lippe, und ich genoss sein volles Gewicht auf mir, als unsere Körper sich langsam im Einklang miteinander bewegten.

Mit jeder Berührung seiner Finger erwachte meine Haut zum Leben, knisterte wie Zunder unter einem angezündeten Streichholz und verbrannte die Angst, verbrannte den Schmerz, verbrannte den Verlust.

Ich hörte meinen eigenen Schrei der Lust, als sein Mund dem Weg seiner Hände folgte, und ich zwang mich trotz glühender Gefühle zum Denken.

Ich darf dies nicht tun. Ich kann dies nicht tun.

Meine Gedanken wirbelten durcheinander, als ich ein Bild von Shay heraufbeschwor. Er war derjenige gewesen, der mir diese Welt geöffnet hatte. Seine Hände und sein Körper hatten meine Seele zum ersten Mal entflammt. Ich hatte ihn so sehr gewollt, und in jenem Moment, da ich mir sicher gewesen war, dass Ren verloren war und er den Pfad der Hüter eingeschlagen hatte, hatte ich meine Trauer ertränkt, indem ich der Flut meines Verlangens nach Shay nachgegeben hatte.

Aber wenn nun Ren gar nicht gewählt hatte? Wenn wir ihn zu schnell zurückgelassen hatten? Wenn Monroe recht gehabt hatte?

Wenn ich früher mit Ren in solchen Situationen gewesen war, hatten mich die Gesetze der Hüter gehemmt, weil ich immer Angst davor hatte, mich der Leidenschaft hinzugeben, die er in mir wachrief.

Ich liebte Shay. Daran hatte ich keinen Zweifel. Aber ich konnte meine heftige Reaktion auf Ren und auf sein Verlangen nach mir nicht leugnen. Ich fragte mich, ob es zwischen uns ein Band gab, das nicht zerstört werden konnte, geschmiedet aus unserer gemeinsamen Vergangenheit, geboren aus dem Schmerz unseres Lebens als Wächter. War dieses Band stärker als die junge Liebe, die zwischen Shay und mir erwachsen war?

Rens Hand glitt zwischen meine Schenkel, und ich erschauderte. Mein Körper wusste, was kam, und er schrie nach mehr. Falls ich der Meinung gewesen war, mein Zusammensein mit Shay hätte den Reiz von Rens Liebkosung erstickt, so wurde sie in diesem Moment hinweggefegt. Während meiner Nacht mit Shay im Garten hatte ich einen ersten Vorgeschmack auf die Geheimnisse von Liebenden erhalten, und ich war berauscht von dem Wunsch zu wissen, wie Ren meinen Körper zum Leben erwecken würde. Ich fragte mich, ob dies die Gräuel von ihm nehmen könnte, mit denen er meinetwegen hatte kämpfen müssen. Seine Berührung versetzte mich zurück in eine frühere Zeit, in eine Vergangenheit, in der wir zusammen waren, so wie es immer bestimmt gewesen war. Eine Zeit, da meine Mutter noch lebte und mein Bruder noch nicht gebrochen war.

Seine Lippen legten sich wieder auf meine. Ich schob die Finger in sein dunkles Haar.

»Ich liebe dich«, murmelte er und unterbrach für einen Moment den Kuss. »Ich habe dich immer geliebt.«

Mein Herz setzte für einen Schlag aus. »Ich …«

Es war, als sei Shay da und flüstere mir ins Ohr.

Du hast ihn geliebt.

Ja.

Aber nicht so, wie du mich liebst.

Ich liebe dich.

Shay. Ich hatte diese Worte in meinem ganzen Leben nur zu Shay gesagt. Ich wollte nicht, dass sich daran etwas änderte.

Was zum Teufel tat ich hier? Ich liebte Ren. Ichliebte ihn noch immer. Aber dieser Ort, diese vertrauten Gespenster, die mich in diesem Raum, auf diesem Bett festhielten und von vergangenen Versprechen und gestohlenen Träumen raunten, war jetzt nicht mehr mein Leben. Hier zu bleiben, ganz gleich, wie meine Gefühle aussehen mochten, würde nur verhindern, einem Schicksal zu entfliehen, das wir nicht selbst für uns gewählt hatten.

Mein Puls raste. Ren küsste mich erneut, aber ich hatte das Gefühl, als liege ich in den Armen eines rastlosen Geistes, der mich verfolgte, und nicht in den Armen des Geliebten, den ich wollte.

»Warte«, flüsterte ich. »Bitte, warte.«

»Nicht«, sagte er, während er den Mund über meinen Hals wandern ließ. »Tu das nicht, Calla. Versuche nicht fortzugehen. Sei einfach hier. Sei bei mir.«

Konnte er es denn nicht verstehen? Es gab kein Hier. Dieses Haus war leer, erfüllt von nichts anderem als Traurigkeit und – wenn wir blieben – Tod.

»Ren«, sagte ich und schob ihn sanft, aber bestimmt von mir. Ich geriet langsam in Panik, wollte es mir aber nicht anmerken lassen. Jedes Wort, jede Bewegung musste mit äußerster Sorgfalt gewählt werden. Wenn ich das Falsche sagte, würde ich vielleicht nur erreichen, dass Ren zurück zu den Hütern lief. Obwohl ich nicht mit ihm zusammen sein konnte, wie er es wollte, nicht hier, nicht jetzt – vielleicht niemals –, wollte ich ihn doch auch nicht verlieren. »Es ist nicht sicher.«

»Was?« Er richtete sich auf und blinzelte mich an. »Oh. Oh, natürlich. Hör mal, Calla, das mit den anderen Mädchen tut mir leid. Ich weiß, das muss seltsam für dich sein, und es war nicht fair, aber ich schwöre, ich war immer vorsichtig. Ich bin vollkommen gesund. Es ist sicher.«

Ich starrte ihn an, und dann brach ich in Gelächter aus.

»Ich lüge nicht«, sagte er und wirkte über meinen Ausbruch ein wenig gekränkt.

»Nein«, erwiderte ich und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Ich glaube dir.«

»Gut.« Er lächelte und beugte sich zu einem weiteren Kuss vor. Aber ich entwand mich; ich würde nicht wieder in die Falle der Leidenschaft tappen, die mich bei Rens Auffinden überrascht hatte. Dieser Ort war für uns beide gefährlich.

»Nein«, wiederholte ich. »Ich meinte, es ist nicht sicher, weil die Leute, die dieses Haus gebaut haben, mich tot sehen wollen. Wir nutzen Zeit, die wir nicht haben. Wir müssen gehen.«

»Noch nicht.« Er streckte die Hand nach mir aus. »Wir sind nicht in Gefahr. Hier taucht nie jemand auf.«

Seine Worte ließen mich schaudern, als ich mich fragte, wie oft Ren wohl hierherkam. Wie oft war er gezwungen, ein einsamer Wolf zu sein statt der Alpha des Rudels?

»Doch, jetzt.« Ich wich seinen Händen aus. »Adne wartet dort draußen. Deine Schwester.«

Rens Gesichtsausdruck veränderte sich, als Verlangen und Frustration seinem Erstaunen wichen.

»Meine Schwester«, murmelte er. Ich merkte mir seine Reaktion, die ich vielleicht noch einmal brauchen würde. Rens Instinkte als Alpha – sein Bedürfnis, mich für sich zu fordern – konnten von Adne abgelenkt werden. Sie war die Familie, die er wirklich brauchte. Seine Schwester stellte die einzige Verbindung zu einer Vergangenheit dar, die ihm Erlösung von der Brutalität Emiles bot. Von dem Schmerz zu wissen, dass seine Mutter von den Hütern getötet worden war und dass er seinen echten Vater niemals gekannt hatte. »Wir können darüber reden, wenn wir wieder in der Akademie sind.« Ich beeilte mich, meine Kleider zurechtzuzupfen, und versuchte, das schlechte Gewissen zu ignorieren, das mich befiel. Es bedrängte mich von beiden Seiten – ich wusste weder, was ich zu Ren sagen würde, sobald wir aus Vail heraus waren, noch, was ich Shay über die Ereignisse hier erzählen sollte. Meine Gefühle bildeten ein wildes Chaos, das zu entwirren unmöglich schien.

»Du kommst hier nicht raus«, knurrte er und zog mich an sich. »Ich lasse dich nicht gehen. Nicht noch einmal.«

»Ich weiß«, sagte ich und wehrte mich nicht, als er mich küsste. Ich fragte mich, wie tief der Schlamassel war, in den ich mich reingeritten hatte. Aber ich hatte Angst, dass Ren seine Meinung ändern und nicht mit mir kommen würde, wenn ich irgendetwas sagte, das seinen Hoffnungen entgegenlief. Das konnte ich nicht zulassen.

»Gut.«

Durch den Kuss spürte ich, wie er lächelte.

Wir verließen das Schlafzimmer und eilten die Treppe hinunter. Als wir die Haustür erreichten, blieb er stehen und schaute sich noch einmal um.

»Es ist eine Schande«, meinte er. »Es ist wirklich ein schönes Haus.«

»Es gibt wichtigere Dinge im Leben als Häuser«, erwiderte ich und streckte die Hand nach dem Türknauf aus.

Er legte seine Hand auf meine.

»Da ist noch etwas, das ich dir sagen muss, bevor wir gehen«, erklärte er.

»Was?«, fragte ich knapp, denn ich wollte an einen sicheren Ort zurückkehren, weg von den verführerischen Geistern, die hier lauerten.

Er beugte sich zu mir herunter, und seine Lippen streiften meine Wange, als ich die Tür öffnete. »Ich mag deine Haare.«

KAPITEL 2

Wieder in Wolfsgestalt, führte ich Ren schnell fort von dem Friedhof der Häuser. Als wir uns den hohen Kiefern näherten, die die Siedlung umringten, kam ich schlitternd zum Stehen. Ich hob die Schnauze und prüfte die Luft, denn ich wollte mir sicher sein, dass wir nicht beobachtet oder verfolgt worden waren.

Ich habe dir doch gesagt, dass niemand hierher kommt. Ren knabberte an meiner Schulter. Niemals.

Ich sah ihn an und bekam unter meinem Fell eine Gänsehaut, als ich mich fragte, wie oft Ren an diesem Ort gewesen war. Rens Leben war einsamer, als ich es mir jemals vorgestellt hatte. Ich hoffte, dass ich das nun ändern konnte.

Sie ist da vorne.

Ich trabte auf den Wald zu.

Adne kam uns entgegen und näherte sich vorsichtig. Ihre Augen weiteten sich, als ihr Blick auf Ren fiel. »Alles klar?«, fragte sie in einem unbeschwerten Tonfall, aber ihre Stimme brach leicht.

Ich wechselte die Gestalt. »Ja.«

Ren legte den Kopf schräg und sah Adne an. Dann tappte er auf sie zu und schnupperte an ihrem Handrücken, als sie die Hand ausstreckte. Ich war mir nicht sicher, was er erkannte, aber er wedelte mit dem Schwanz. Dann wechselte er in Menschengestalt.

»Ariadne, das ist Renier Laroche.« Ich trat zur Seite, damit sie einander gegenüberstanden, ohne dass ich mich zwischen ihnen befand.

Sie lächelte und sagte: »Adne.«

Im selben Moment sagte er: »Ren.«

Sie blinzelten einander an, dann lachten sie. Ich schaute zwischen den beiden hin und her. Rens hochgewachsene, muskulöse Gestalt hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Adnes Figur. Sie war ein zierliches Mädchen, dessen Wuchs ihre Wildheit Lügen strafte. Aber sie hatten etwas gemeinsam. Meine Brust brannte, als ich feststellte, dass sie beide wie Monroe aussahen. In der kurzen Zeit, die ich mit dem Anführer von Haldis verbracht hatte, hatte er sich als der beste Führer erwiesen, dem ich je begegnet war. Wir alle würden ihn in dem bevorstehenden Kampf vermissen.

»Zum Glück hat Calla dich davon überzeugt, dass wir die Guten sind«, sagte Adne, deren Stimme jetzt sicherer klang.

Ren nickte. »Das mit deinem Vater tut mir leid.«

»Unserem Vater.« Sie zögerte, dann machte sie einen Schritt vorwärts und streckte die Hände nach Ren aus.

Er nahm ihre schmalen, schlanken Finger in seine. Einen Moment lang standen sie so da. Dann lehnte Adne sich an ihn und legte den Kopf an seine Brust.

Ren wirkte verblüfft, doch er schloss sie schnell in seine Arme.

Er musste sich räuspern, bevor er sagen konnte: »Weißt du, ich dachte immer, es sei cool, eine kleine Schwester zu haben.«

»Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst.« Adne schaute zu ihm hoch und grinste. »Ich bin ein ziemliches Biest.«

Ren lachte.

Ich konnte mir nicht verkneifen zu sagen: »Sie meint es ernst.«

»Danke, Lily.« Adne funkelte mich an, aber sie lachte ebenfalls. »Was haltet ihr davon, wenn wir dort weiter Beleidigungen austauschen, wo wir nicht in Lebensgefahr schweben?«

»Sie nennt dich Lily?« Ren sah sie erstaunt an.

Ich stöhnte. »Allerdings.«

»Große Geister, gleiche Gedanken.« Er ließ ein freches Lächeln in meine Richtung aufblitzen, bevor er ihr zuzwinkerte.

Vielleicht war diese Familienzusammenführung doch keine so gute Idee. Aber etwas in mir, das sich seit dem Angriff auf Vail hohl angefühlt hatte, machte einer tröstlichen Wärme Platz. Hoffnung.

»Also, wie kommen wir von hier weg?«, fragte Ren. »Habt ihr ein Auto? Oder ein Schneemobil?«

Adne zog die Stilette aus ihrem Gürtel, warf sie hoch in die Luft und fing sie wieder auf. »Wart’s ab, bis du die irren Fähigkeiten deiner Schwester siehst.«

Als Adne zu weben begann, wechselte Ren wieder in Wolfsgestalt und knurrte mit angelegten Ohren die Lichter an, die durch die Luft blitzten. Sie hielt inne und blickte über ihre Schulter.

»Wenn du mich störst, ist es viel schwieriger. Ich will nicht, dass wir in Griechenland landen statt in Italien.«

Ren bellte überrascht auf. Ich lächelte ihn an, und er wechselte die Gestalt.

»Italien?« Er starrte mich an. »Soll das ein Witz sein?«

»Kein Witz«, erwiderte ich. »Ich habe noch nicht viel davon gesehen, aber das, was ich kenne, ist wunderschön. Es liegt an der Küste des Mittelmeers.«

»Ich habe noch nie den Ozean gesehen«, murmelte er.

Ich verschränkte meine Hand mit seiner. »Ich weiß.«

Adne, die das fertige Portal bewunderte, drehte sich zu uns um. Ihre Augen gingen schnell zu unseren geschlossenen Händen, und sie sah mich fragend an. Ich vermied ihren Blick. Ich konnte es mir nicht leisten, ihre Frage zu beantworten.

»Seid ihr so weit?«

Diese Frage konnte ich beantworten. »Gehen wir.«

»Bist du sicher, dass es ungefährlich ist?«, fragte Ren, als ich ihn vorwärtszog. Ich wusste nicht, ob er sich sträubte, weil er es mir schwermachen wollte oder weil ihn das Portal tatsächlich nervös machte.

»Wir verlieren nur jeden fünften Reisenden«, witzelte Adne, dann trat sie hinter uns und schob uns ins Licht hinein.

Auf der anderen Seite des Portals fasste Ren meine Hand so fest, dass es wehtat. Ich schüttelte die Finger aus seiner Umklammerung und bog sie durch.

»Entschuldige.« Röte stieg ihm in die Wangen. »Wo sind wir?«

»In meinem Zimmer«, antwortete Adne und schloss das Portal.

»Das ist die Akademie«, sagte ich. »Hier leben und trainieren die Sucher.«

»Die Sucher leben in Italien?« Ren runzelte die Stirn.

»Manchmal.« Adne hakte ihn unter.

»Wo gehen wir hin?«, fragte ich und beeilte mich, ihr durch die Tür zu folgen.

Sie rief über die Schulter: »Wir müssen als Erstes Anika berichten.«

»Wirklich?« Schon der Gedanke, Ren den Suchern vorzustellen, machte mich nervös. Uns langsam bis zu Anika hochzuarbeiten, erschien mir eine viel reizvollere Idee.

»Vertrau mir«, sagte Adne, die meine Besorgnis spürte. »Je eher Anika Bescheid weiß, desto weniger Ärger haben wir. Hoffentlich.«

»Toll«, brummte ich.

Ren starrte die Wände der Akademie an, genau wie ich, als ich sie das erste Mal betreten hatte. Er wirkte verkrampft, ich konnte die Anspannung in seinen Schultern und seinem Rücken sehen. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Dieser Ort stank nach den Suchern – und wir waren dazu ausgebildet worden, ihren Geruch als Bedrohung wahrzunehmen.

Als wir die Türen des Besprechungsraumes von Haldis erreichten, zog Adne die Schultern zurück, holte tief Luft und klopfte an.

Ich hörte gedämpfte Stimmen auf der anderen Seite der Türen; einen Moment später wurde eine Tür von einer Sucherin geöffnet, die ich nicht kannte. Sie musterte uns argwöhnisch.

»Wir müssen mit Anika sprechen«, erklärte Adne, bevor die Frau uns befragen konnte.

»Wir sind mitten in einer Ratssitzung«, erwiderte die Frau steif.

»Dessen bin ich mir bewusst.« Adne richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, was nicht viel war, aber es gelang ihr, drohend zu wirken. »Dies ist ein Notfall, sonst wäre ich nicht hier.«

Die Frau schürzte die Lippen. »Ich frage nach, ob sie euch empfangen will.«

»Das wird sie.« Adne drängte sich an der jetzt stotternden Frau vorbei. Ich warf ihr einen entschuldigenden Blick zu und eilte hinter Adne her, wobei ich Ren an die Hand nahm und mit mir in den Raum zog.

Anika saß mit etwa einem Dutzend anderer Sucher um den Tisch. Die meisten von ihnen kannte ich nicht. Connor war da, ebenso Ethan und Silas. Sie blickten alle auf Logan. Der Hüter lehnte am Tisch und wirkte für meinen Geschmack viel zu entspannt.

»Wie ich schon sagte.« Logan zog an seiner Zigarette. »Ich weiß nicht, ob ich ohne weitere Zusagen an meine eigene Sicherheit den Aufenthaltsort von Shays Eltern preisgeben kann.«

Anika rieb sich die Schläfen. »Würden Sie die bitte ausmachen? Ich frage nicht noch einmal.«

»Ich handle einfach gemäß meiner gegenwärtigen Lage.« Logan blies einen Rauchring aus, die Luft erfüllte sich mit dem Geruch von Tabak und Nelken. »Ich dachte, Gefangenen würde vor ihrer Hinrichtung immer eine Zigarette gewährt. Und da Sie alle ständig damit drohen, mich zu töten, sollte man mir diesen kleinen Luxus wohl zugestehen, solange mein Leben in Gefahr ist. Meinen Sie nicht auch?«

Ren und ich knurrten einstimmig, als Logan uns mit einem halben Lächeln einen Blick zuwarf. Er lachte und schüttelte den Kopf, während er einen weiteren Zug von seiner Zigarette nahm. Mit offenem Mund starrte uns Silas an. Connor erhob sich, als Adne auf den Tisch zuging. Er sah sie stirnrunzelnd an, doch dann entdeckte er Ren und mich.

»Heilige Scheiße«, hauchte er, bevor er sich Adne zuwandte, und seine Stimme gewann rasch an Lautstärke. »Was zum Teufel hast du getan?!«

Adne schreckte zurück, bedachte ihn jedoch mit einem stählernen Blick. »Das, was ich tun musste.«

»Ariadne, was hat das zu bedeuten?« Anika war aufgestanden.

Adne öffnete den Mund, um zu antworten, aber bevor sie sprechen konnte, kam ein Knurren aus dem Raum. Ich hörte ein lautes Krachen, als ein Stuhl zurückgeworfen wurde und gegen die Bücherregale hinter dem Tisch knallte.

»Was hat er hier zu suchen?« Shays Gesicht glich einer Donnerwolke. Er machte sich nicht die Mühe, um den Tisch herumzukommen. Er sprang mit einem einzigen Satz darüber hinweg und ließ mir keine Zeit für eine Erklärung.

Die Luft um Shay vibrierte, gefärbt von dem rostroten Ton seines Zorns. Ich roch den Duft von Rens Wut, die plötzlich heftig aufflammte, als er vor mich trat und Shay aufhielt. Es war eine besitzergreifende Geste, so unmissverständlich, als hätte er Shay einen Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Ren war ein Alpha, und er forderte seine Position zurück.

Er ließ sich zu Boden fallen, ein gewaltiger, düsterer grauer Wolf, der den goldenen Wolf anknurrte. Dieser bleckte seinerseits die Reißzähne, sträubte das Fell und spannte die Muskeln, um sich für den Angriff bereit zu machen.

Ich versuchte zu sprechen, aber es war, als erdrosselte mich eine unsichtbare Hand. Mein wachsendes Entsetzen würgte meine Worte ab.

Was habe ich nur getan?

Die Sucher zogen ihre Waffen. Schwerter glitten aus Scheiden; Dolche blitzten im Sonnenlicht. Armbrüste zielten. Auf Ren.

Shay sprang vorwärts und prallte gegen Ren. Sie fielen auf den Boden, eine Masse aus Zähnen und Klauen, die sich in goldene und dunkle Leiber bohrten. Die rivalisierenden Alphas attackierten einander so wild und mit einer solchen Geschwindigkeit, dass ihre Gestalten zu einem Spiel aus Licht und Schatten verschwammen. Zu Rens Glück machte es das sämtlichen Kriegern unmöglich, einen sauberen Schuss abzugeben.

Ich roch das Blut, bevor ich es sah. Metallisch und kraftvoll erfüllte sein Geruch die Luft. Shay drehte sich und grub die Zähne in Rens Schulter. Ren knurrte und biss sich in Shays Vorderlauf fest. Sie rutschten über den Boden und ließen unter sich eine dunkelrote Spur auf dem Marmor zurück. Dann lösten sie sich voneinander, rangen nach Luft und wappneten sich gegen den nächsten Angriff. Ren heulte, als Shay sich duckte, bereit, sich wieder in den Kampf zu stürzen. Der Kreis aus Suchern zielte abermals auf Ren.

»Nein!« Adnes Ruf durchschnitt ihr Knurren. Sie warf sich zwischen die beiden Wölfe und beschützte Ren mit ihrem Körper. Verblüfft jaulte er auf, doch er beherrschte seinen Drang, nach ihr zu schnappen.

Adnes Erscheinen warf Ren ebenfalls aus der Bahn. Er kroch rückwärts, immer noch knurrend, aber ließ sie nicht aus den Augen. Dann stolzierte er zur Seite, um eine neue Taktik zu versuchen. Adne warf sich über Ren wie ein Umhang. Der dunkle Wolf knurrte verärgert und versuchte sie abzuschütteln.

»Calla!« Adne starrte mich mit großen Augen an. »Du musst dem hier ein Ende machen!«

Connor schritt durch den Raum zu Adne hinüber. Ich rechnete damit, dass er sie von Ren wegziehen würde, doch stattdessen drehte er sich um und fügte seinen Körper als einen weiteren Puffer zwischen ihr und den Suchern hinzu. Dann zog er seine Schwerter.

»Ich schlage vor, alle anderen legen ihre Waffen weg. Sofort.«

Logan grinste und zog langsam an seiner Zigarette.

Anika kniff die Augen zusammen. »Ich darf doch hoffen, dass es eine vernünftige Erklärung für dieses Chaos gibt?« Dabei sah sie mich an.

Ich nickte und trat vor, bis ich zwischen den beiden Wölfen stand. »Shay, Ren.« Ich bedachte jeden von ihnen mit einem eisigen Blick. »Verwandelt. Euch. Sofort. Zurück.«

Sie zögerten beide, die Nackenhaare aufgestellt, und blickten zwischen mir und ihrem Gegner hin und her.

»Sofort«, wiederholte ich und ließ die Reißzähne aufblitzen.

Ren verwandelte sich als Erster. Adne fiel zu Boden, als der hochgewachsene Junge mit ihr zusammenstieß. Connor packte sie an den Armen und sah aus, als wolle er sie vor Enttäuschung schütteln. Stattdessen hielt er sie einfach fest, und seine Augen glühten vor Angst.

Shay funkelte Ren noch immer an, als er die Gestalt wechselte.

Sie waren beide außer Atem. Flecken verdunkelten den zerfetzten Stoff an Rens Schulter, während Shay eine Hand auf seinen blutverschmierten Unterarm presste.

Der Raum war erfüllt vom Geruch ihres Blutes und vom scharfen Gestank der Angst der Sucher. Die Krieger hatten ihre Waffen gesenkt, aber ich wusste, dass es nur der geringsten Provokation bedurfte, um sie zu einem Angriff zu verleiten. Shay war ihre einzige Hoffnung, diesen Krieg zu gewinnen. Wenn Ren eine Bedrohung für den Spross darstellte, würden die Sucher ihn, ohne zu zögern, töten. Ich musste sie davon überzeugen, dass wir Rens Hilfe brauchten.

Ich holte tief Luft und legte so viel Kraft in meine Worte, wie ich aufbringen konnte. »Anika, ich entschuldige mich für die Störung. Adne und ich mussten uns um etwas kümmern. Eine wichtige Rettungsmission, wenn unser Bündnis Erfolg haben soll.«

Ich war dankbar, dass Adne es fertigbrachte, mich nicht mit offenem Mund anzustarren.

Anika zog eine Braue hoch. »Ihr habt auf eigene Faust eine Geheimmission durchgeführt?«

Langsam verzog sich mein Mund zu einem Lächeln. »Ich entschuldige mich für die Überraschung. Ich wollte euch meinen Plan lieber nicht in Anwesenheit einer so wenig vertrauenswürdigen Person mitteilen.« Ich warf Logan einen Blick zu, sein Grinsen verschwand. Mein Selbstvertrauen wuchs.

»Eine Rettung, sagtest du?« Der Argwohn in Anikas Blick hatte zwar nachgelassen, war aber noch nicht ganz verschwunden.

Adne räusperte sich. »Ja, Anika. Eine Rettung, die durch das Opfer meines Vaters notwendig wurde.«

Bei der Erwähnung von Monroes Tod kam Bewegung in die Sucher. Ein Raunen ging durch ihre Reihen.

»Dein Vater wurde im Kampf getötet«, erklärte Anika. »Ein schrecklicher Verlust, aber Opfer sind hier an der Tagesordnung.«

»Es war mehr als das.« Adne ergriff Rens Hand. Er wirkte überrascht, lächelte sie jedoch an. Shay zog die Brauen zusammen, als er sah, wie Adne Ren zu Anika hinüberzog.

»Anika, ich möchte Ihnen gerne Renier Laroche vorstellen. Meinen Bruder.«

Die Menschen im Raum schnappten hörbar nach Luft. Shay versteifte sich und sah mich mit großen Augen an. Ich nickte. Der Zorn in seinen Augen vermischte sich mit Neugier und weckte neue Hoffnung in mir. Shay hatte Monroe gemocht und ihn respektiert. Und er hatte sich schnell mit Adne angefreundet, die verzweifelt versuchte, ihren Bruder zu beschützen. Vielleicht konnte man diese Sympathien nutzen, um seinen Hass auf Ren zu verringern. Ich musste ihn beruhigen. Es zerriss mich innerlich, dass Shay denken könnte, ich hätte ihn verraten, indem ich Ren gerettet hatte. Als ich an die Art dachte, wie ich Ren aus Vail weggelockt hatte, fühlte ich mich noch schlechter.

»Ren, das ist Anika.« Adne ignorierte das Getuschel und die ungläubigen Blicke. »Anika ist der Pfeil. Sie führt die Sucher an.«

»Tut mir leid, dass ich ohne Einladung in Ihre Party platze«, sagte Ren und musterte die versammelten Sucher argwöhnisch.

Anika runzelte die Stirn und sah Connor an. »Der Brief.« Ihre Hand lag auf ihrer Manteltasche.

Connor nickte mit grimmiger Miene. »Ja.«

Anika starrte Ren an, dann musterte sie Adne mit einem Seufzer. »Es war ein aussichtsloses Unterfangen.«

Ich reagierte gereizt. »Keineswegs.«

Der Pfeil drehte sich zu mir um. »Der Sohn des Bane-Alphas ist hier. Seine Anwesenheit bringt alles in Gefahr. Sein erster Schritt bestand darin, den Spross anzugreifen und …«

Ich knurrte und fiel ihr ins Wort. »Er ist nicht Emiles Sohn. Und überhaupt nicht wie Emile.« Diesmal zielten die gezogenen Waffen auf mich. Shay und Ren stießen beide ein tiefes Grollen aus und traten neben mich. Glücklicherweise ignorierten sie einander und richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Sucher.

Anika hob die Hand. »Sag, was du zu sagen hast, Calla.«

Mein Herz schlug bis zum Hals. Jener Augenblick war gekommen, der alles entscheiden würde, der uns Wächter aus unserer Vergangenheit ziehen und uns in die Zukunft schleudern würde. Und alles ruhte auf meinen Schultern. Konnte ich diese Last tragen? War ich wirklich das Alphatier, das ich immer hatte sein wollen?

»Er ist Monroes Sohn.« Ich zeigte auf Ren. »Und er ist Ihre beste Hoffnung, diesen Krieg zu gewinnen.«

»Er ist was?« Shays Stimme klang vollkommen ruhig.

»Ich bin was?« Ren selbst flüsterte nur, aber der Blick, den er mir zuwarf, wirkte etwas beunruhigt.

Verdammt. Das war das Problem bei improvisierten Plänen. Es blieb keine Zeit, die Konsequenzen abzuwägen.

Im Bewusstsein, dass ich mich später mit Shays Eifersucht würde beschäftigen müssen und Ren immer noch eine Menge zu erklären hatte, konzentrierte ich mich auf Anika.

»Der Spross ist Ihre Waffe«, sagte ich und berührte Shays unverletzten Arm. Seine Haut fühlte sich heiß an, und ich spürte seinen zuckenden Puls. Ich wollte ihn an mich ziehen, wagte es aber nicht. Noch nicht. »Sie brauchen trotzdem eine Armee.«

»Dein Rudel von Überläufern kann man ja wohl kaum als Armee bezeichnen«, bemerkte Logan. »Und Emiles Bastard hat sich ganz sicher nicht als Anführer erwiesen.«

Ich musste Shay loslassen, um nach Rens Hand zu greifen, damit ich ihn zurückhalten konnte, als er Logan anknurrte.

»Und warum bist du hier, Logan?« Wütend funkelte ich ihn an. »Weil du die Erwartungen deines Vaters erfüllt hast?«

Er wandte seinen Blick ab, und ich lächelte, wohl wissend, dass ich ihn hatte. »Hast du nicht dein Erbe verloren? Deine Pflicht nicht erfüllt? Das ist doch der Grund, warum du weglaufen musstest. Dein kleines Königreich ist zerfallen, oder etwa nicht?«

Logan sah mich nicht an. Er zündete sich die nächste Zigarette an.

»Er hat nicht unrecht, Calla«, sagte Anika, obwohl ihr Gesichtsausdruck verriet, dass auch sie nichts für den Hüter übrig hatte. »Dein Rudel ist keine Armee.«

»Aber wir können Ihnen eine bringen«, erwiderte ich.

»Wie?« Einer der Sucher, den ich nicht kannte, trat vor. Sein rasierter Kopf und seine Hakennase verliehen ihm das Aussehen eines Habichts. Als er sprach, hörte ich Spuren eines französischen Akzents. »Monroe ist tot. Die Möglichkeit für ein Bündnis ist mit ihm gestorben.«

Ich bedachte den säuerlich dreinschauenden Sucher mit einem durchdringenden Blick, als ich zu Logan hinüberging und die Faust in das Hemd des Hüters krallte. »Verrate mir eins, Logan. Wie viele Banes hat dein Vater getötet, als Corinnes Verrat entdeckt wurde?«

Logan traten die Augen aus den Höhlen. »Wie kannst du von mir erwarten, dass ich das weiß? Ich war doch noch ein Kind!« Er starrte mich an, ungläubig, dass eine seiner früheren Dienerinnen ihn jetzt bedrohte.

Mein Blut rauschte, als der pfeffrige Geruch seiner Furcht die Luft erfüllte. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Efron Bane seinen einzigen Sohn so schlecht vorbereitet hat und der Junge nicht einmal die wahre Geschichte seines zukünftigen Rudels kennt.«

Logan wurde von Sekunde zu Sekunde blasser. »Aber … Ich …«

»Antworten Sie ihr.« Ethan trat an meine Seite. Ich hörte, wie sein Dolch geräuschvoll aus der Scheide glitt.

»Fünfundzwanzig«, sagte Logan. »Fünfundzwanzig Verräter wurden getötet.«

»Das war doch gar nicht so schwer, oder?« Ethan lächelte.

Ich knurrte, und Logan wich gegen den Tisch zurück.

»Wie viele Wölfe wussten, dass Emile nicht Rens Vater war?«, fragte ich.

»Keiner.« Logan knirschte mit den Zähnen. Ich stieß ihn gegen den Tisch.

»Keiner, soweit uns bekannt war«, wimmerte er. »Aber seit der Revolte hat es Gerüchte gegeben. Es war kein Geheimnis, dass Corinne ihren Gefährten verachtete. Mein Vater hielt die Wahrheit unterm Teppich, aber Emiles Temperament gewinnt bisweilen die Oberhand. Er wollte das Kind töten. Es wurde ihm befohlen, es nicht zu tun.«

Ich sah Ren an, dessen Gesicht abgehärmt wirkte. Ich wünschte, ich hätte ihm den Schmerz dieses Wissens ersparen können, aber ich brauchte Antworten von Logan.

»Würdest du sagen, dass das Rudel der Banes unter der Führung Emiles zufrieden lebt?«

Logan schluckte hart. »Das vielleicht nicht.«

Ich ließ ihn los und drehte mich zu Anika um. »Was in Vail geschehen ist, wird die Rudel in Chaos gestürzt haben. Die Nightshades sind Emile Laroche gegenüber nicht loyal. Sie sind meinem Vater treu. Meiner Familie.«

Connor nickte. »Braves Mädchen.«

»Was schlägst du also vor?«, fragte Anika.

»Wächter brauchen Alphaführer. Es ist der Zusammenhalt des Rudels, der uns so gut kämpfen lässt. Die Hüter haben einen schweren Fehler begangen, als sie meine Mutter töteten und meinen Vater absetzten. Wir werden diesen Fehler ausnutzen.«

»Kennen sie ihre Rudel nicht gut genug, um einen solchen Fehler zu vermeiden?«, fragte der Mann mit dem Habichtgesicht.

Es war Ren, der antwortete. »In ihrem Stolz glauben sie, ihre Herrschaft sei absolut.«

Anika wandte sich an Logan, der sich wieder hochgerappelt hatte. Er funkelte mich an, nickte jedoch widerstrebend.

»Und Sie glauben, dass Sie und dieser Junge die neuen Alphas sein können?« Anikas stählerner Blick ruhte auf mir. »Beide Rudel werden Ihnen folgen?«

»Wir sind die Alphas. Ein Bane, ein Nightshade. Die Rudel werden uns folgen. Wir können sie einen und sie gegen die Hüter anführen.« In Wahrheit war ich mir ganz und gar nicht sicher, dass sie uns folgen würden, aber es war das Einzige, was mir einfiel, um die Sucher dazu zu bewegen, Ren willkommen zu heißen.

»Es gibt immer noch welche, die Emile treu ergeben sind«, sagte Logan und rieb sich die Kehle, wo mein fester Griff blaue Flecken hinterlassen hatte. »Ihr werdet sie nicht alle umstimmen können.«

Ich konzentrierte mich auf den Pfeil. »Wir können genug umstimmen. Genug, um etwas zu bewirken.«

»Es ist Monroes Plan, Anika«, warf Connor ein. »Dies ist die Revolte, die er von Anfang an inszenieren wollte.«

»Ich weiß«, antwortete sie. »Also gut.«

Sie durchquerte den Raum und trat vor Ren. »Willkommen, Renier. Ihr Vater war ein guter Mann.«

»Nein.« Shays Augen funkelten wild. Seine Knöchel verfärbten sich weiß, als er die Fäuste ballte.

»Shay, bitte«, sagte Adne. »Dies war immer der Plan, auf den Monroe gehofft hat.«

»Ich kann da nicht mitmachen«, widersprach er. »Es ist nicht das, was Monroe gewollt hat, sondern entspricht dem Willen der Hüter. Sie wollten sie zwingen, zusammen zu sein. Calla gehört nicht zu Ren.«

Ren bleckte die Zähne und sah Shay an. »Oh doch. Das hat sie schon immer.«

»Eher werde ich dich töten, als dir zu erlauben, sie anzufassen.« Die Luft um Shay schien wieder zu vibrieren. »Du bist nicht der einzige Alpha und du weißt es.«

Mir stockte der Atem. Shay verstand. Seine Wolfsinstinkte lehrten ihn schneller, als ich es geahnt hätte. Er war der Eindringling – und bereit, Ren um die Führung über das Rudel herauszufordern.

»Gib dein Bestes.« Ren lächelte, ebenso bereit, diese Kampfansage anzunehmen.

Shay trat vor und zögerte erst, als Anika ihr Schwert zog und ihm den Weg versperrte.

»Kipp doch mal jemand einen Eimer Eiswasser über diese beiden«, sagte Connor.

»Calla«, begann Adne. »Sorg dafür, dass sie aufhören.«

Die Wahrheit ihrer Worte traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte sie tatsächlich dazu bringen aufzuhören.

Ich schob mich an Anika vorbei, die ihr Schwert in die Scheide steckte, und trat zwischen Shay und Ren.

»Hört mir zu, alle beide.« Ich legte jedem eine Hand mitten auf die Brust; ihre Herzschläge pochten gegen meine Fingerspitzen. »Damit ist jetzt Schluss.«

»Aber sicher«, erwiderte Shay. »Du musst wählen.«

»Er hat recht«, sagte Ren und funkelte Shay an mir vorbei an. »Wähle, Calla.«

»Ich werde nicht wählen«, erklärte ich. »Jetzt noch nicht.«

Als ihre Herzen gleichzeitig einen Schlag aussetzten, merkte ich, wie unsicher beide waren. Mir wurde plötzlich schwindelig. Ich war eine Alpha und brauchte mich niemandem zu unterwerfen. Ich konnte meinem eigenen Weg folgen, einem Schicksal, das ich selbst entdeckte.

»Ich brauche keinen Gefährten«, stellte ich fest und wählte meine Worte mit Bedacht. »Ich brauche Soldaten. Ihr zwei seid die besten, die ich kenne. Ich brauche euch. Alle beide. Werdet ihr für mich kämpfen?«

Keiner der Jungen antwortete. Sie starrten sich gegenseitig an, und jeder wartete darauf, dass der andere den ersten Schritt machte.

Meine Worte traten in ihr Schweigen, wie Steine in einen tiefen Brunnen fallen. »Werdet ihr für mich kämpfen?«

Shay runzelte die Stirn. »Immer, aber …«

»Kein Aber«, unterbrach ich ihn und drehte mich zu Ren um. »Wirst du für mich kämpfen?«

»Das weißt du doch.« In seinen Augen stand ein wachsamer Ausdruck.

»Ren führt das Rudel an. Er ist der Schlüssel, wenn es darum geht, dieses Bündnis mit den Wölfen zu zementieren, die noch in Vail sind«, sagte ich. »Shay verschafft sich das Kreuz der Elemente und führt die Sucher in die Schlacht.«

Ich warf Anika einen Blick zu. Sie nickte zustimmend.

»Was ist mit dir?«, fragte Shay.

Ich lächelte. »Ich bin diejenige, die dafür sorgt, dass wir alle gut miteinander auskommen.«

»Dann mal viel Glück«, knurrte Ren.

Ich lachte im Stillen und nahm die Hände von ihrer Brust, um ihre Handgelenke zu umfassen.

»Ich brauche kein Glück«, sagte ich. »Ihr werdet mir schwören, einander zu helfen und euch nicht zu verletzen. Dafür werdet ihr hier und jetzt einen Blutschwur ablegen.«

»Ähm … Was?« Shay starrte mich an.

»Bis dieser Krieg vorüber ist, ist der Sieg alles, was zählt.« Ich zog an ihnen, bis sie sich direkt gegenüberstanden, nur Zentimeter voneinander entfernt. Ich konnte die Anspannung spüren, die von beiden Alphas ausging. Der Duft von Sonnenlicht und Gewittern vermischte sich mit dem Rauch der Herbstfeuer und von Sandelholz.

»Heilt einander«, verlangte ich.

»Nein«, sagte Ren.

»Ich brauche meine Krieger ganz. Ihr habt euch blutige Wunden zugefügt.« Ich ignorierte Rens verwirrten Gesichtsausdruck. »Jetzt macht den Schaden wieder gut.«

»Du willst mich wohl verarschen.« Shay verzog das Gesicht.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich euch nicht verarsche.« Ich trat zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bis ich einen Gefährten wähle, bin ich der einzige Alpha hier; ich habe klargemacht, dass ich jetzt noch keine Entscheidung treffe. Ihr zwei untersteht mir. Beweist eure Loyalität. Heilt einander.«

»Ich glaub das einfach nicht.« Ren stöhnte, aber er biss sich in den Arm und hielt ihn Shay hin.

»Auf gar keinen Fall.« Shay wich zurück, doch ich knurrte.

»Tu es.«

»Cal, verdammt noch mal. Du bist herzlos«, beschwerte er sich und biss in sein eigenes Handgelenk.

»Ich weiß.«

Shay und Ren funkelten einander an und sahen sich starr in die Augen, während einer das Blut des anderen trank, was sie zu Rudelgefährten vereinte, obwohl sie sich immer noch verachteten.

»Nicht schlecht, Alpha«, murmelte Logan.

So gerne ich den Hüter mit einem versteinerten Blick bedenken wollte, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Irgendetwas in mir hatte seine Freiheit zurückgewonnen, war wild und heulte vor Glück.

KAPITEL 3

Da das nun geregelt ist, können wir jetzt vielleicht darüber sprechen, wie wir diesen Krieg gewinnen?« Connor schob seine Schwerter in die Scheiden.

Der Art nach zu urteilen, wie Ren und Shay immer noch wütende Blicke austauschten, wusste ich, dass ihre Rivalität weiterhin bestand. Aber diese heikle Partnerschaft war das Beste, worauf ich im Moment hoffen konnte. Zumindest zerfetzten sie sich nicht mehr gegenseitig.

Ich drehte mich zu Anika um. »Keine geheimen Versammlungen mehr, zu denen ich nicht eingeladen bin. Wenn Sie Wolfskrieger wollen, schließen Sie uns jedes Mal mit ein. Strategie und Ausführung.«

Der Mann mit dem Habichtgesicht schnaubte, schwieg jedoch, als Anika ihm einen Blick zuwarf und den Kopf schüttelte.

»Das ist in Ordnung, Calla«, antwortete sie. »Shay hatte vor Ihrem Eintreffen bereits auf diesem Punkt bestanden.«

Ich lächelte Shay an, aber er blickte immer noch finster zu Ren hinüber. Ich wünschte, er würde mich ansehen. Wenn er mir nur in die Augen schauen wollte, würde er vielleicht sehen, wie schwer dies für mich war. Wie sehr ich ihn beiseitenehmen wollte, um mit ihm allein zu sein und alles zu erklären.

Anika wandte sich wieder dem Tisch zu, auf dem große Karten ausgebreitet lagen.

»Logan hat uns darüber informiert, dass die Hüter in die Offensive gehen werden«, erklärte sie. »Das Purgatorium war erst der Anfang. Uns läuft die Zeit weg.«

»In welcher Hinsicht?«, fragte ich.

»Es wird Zeit, die Teile des Kreuzes einzusammeln«, sagte Logan. »Wir werden euch natürlich erwarten.«

Er hatte sich die nächste Zigarette angezündet und wieder seine lässige Haltung eingenommen.

»Wenn sie an den heiligen Orten auf uns warten, haben wir keine Chance«, meinte Anika. »Jedes Überraschungselement ist von größter Bedeutung. Wir müssen uns schnell zu jedem der Orte bewegen, ein Schlag muss unmittelbar auf den nächsten folgen. Kein Warten. Keine Verzögerungen.«

»Sie brauchen jemanden, der Ihnen den Rücken freihält.« Beim Klang von Rens Stimme drehte ich mich überrascht um.

Anika zog die Augenbrauen hoch.

Ren zuckte die Achseln. »Wie Calla schon sagte. Shay führt die Sucher an und ich die Wölfe. Lassen Sie uns das tun, was wir am besten können: kämpfen.«

Connor stieß einen Pfiff aus. »Du willst eine weitere Front eröffnen?«

»Keine weitere Front«, meinte Ren. »Zwei Teams. Einen Lockvogel, dem das eigentliche Team folgt.«

»Es würde die Aufmerksamkeit von den Aufbewahrungsorten ablenken.« Adne lächelte ihren Bruder breit an. »Das Tarnteam würde die Teile holen, während das andere Team das Kämpfen übernimmt.«

Ethan nickte. »Das könnte funktionieren.«