Niko - Einfach ein Tic anders - Evelyne Mayer - E-Book

Niko - Einfach ein Tic anders E-Book

Evelyne Mayer

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Beschreibung

Nikolas Kipfel ist ein - Körper-Zombie! Jetzt denkst du, er frisst Gehirne. Stimmts? Keine Angst! Dem Niko dürstet nicht nach Blut. Er hat nur Tics.
Dumm nur, dass sein Körper darum oft anders tut, als er will. Der Niko fühlt sich gefangen. Wie die Marionette eines Puppenspielers. An Schnüren baumelnd. Die Arme wackeln. Der Kopf ruckt. Dazu ruft sein Mund kauzige Laute. Einfach so.
Gegen die fiesen Kinder in der Klasse kann der Bub auch nicht an. Die boxen den Niko, dass die Angst ihn plagt.
Ausgerechnet am Tag vor seinem elften Geburtstag, kommt der Bub ins Krankenhaus. Für fünf lange Wochen. Was ist das Tourette? Und: Warum schlüpft ein Küken in Mama Kipfels Backofen?

Eine wahre Geschichte über Mut, Freundschaft und die Magie des Lachens!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Evelyne Mayer

Niko - Einfach ein Tic anders

© 2022 Evelyne Mayer

Lektorat: Antje Haugg

Satz & Layout: Uwe Köhl

Coverdesign von: Claudia Toman (www.traumstoff.at)

Verlag: Elvea Verlag

Am Silberbach 22

09123 Chemnitz

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich.

Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.

UUID: 8babb4a6-a0ef-4191-80dc-fa92dcc4ce84
Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Die Autorin

Widmung

Vorwort

Nikolas Kipfel

SOS – Hilfe für Nikolas

Geburtstag im Krankenhaus

Der kleine Zwischenfall

Tourette Syndrom

Das verrückte Huhn

Alarm im Hühnerstall

Das Überraschungsei

Ein Huhn im Ofen

Das (un)heimliche Telefonat

Das Loch im Ei

Wuschi

Eine Busfahrt, die ist (un)lustig

Herr Glückauf

Kochen mit Huhn

Schnuppern

Feind oder Freund

Reine Körperbeherrschung

Einfach ich

Frag Frau Doktor Lieblich

Hilfe, Infos und Anlaufstellen

Nachwort

Niko

Empfehlungen

landmarks

Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

Die Autorin

Unter dem Pseudonym Autorin mit Herz stellt sich Evelyne Mayer auf ihrer Autorenseite vor. 1981 geboren, wuchs sie am Land voller Trubel und Schabernack auf. Bandenkriege, Angelausflüge am Karpfenteich und Märchenstunden für die kleinen Cousinen standen an der Tagesordnung.

Mittlerweile lässt sich die dreifache Mutter von ihren eigenen Kindern inspirieren. Auch von den Bewohnern ihres kleinen Zoos: Hunde, Katzen, Hühner, Riesenschnecken … Nach ihren Erstlingswerken: Kunterbunte Kinderträume und Irmi und das Geheimnis der Blumenfee, erschienen mit Unterstützung des ELVEA Verlages weitere zauberhafte Bücher. Das Sommerabenteuer Mission Frankenhuhn und die Geschichte eines urlaubsreifen Christkindes: Das Christkind macht Urlaub.

»Familie und Bücher schreiben ist wie ein Regenbogen nach dem Gewitter«, sagt sie. »Es lässt mich staunen und macht mein Leben traumhaft bunt!«

Ihr Lieblingsmotto lautet: Du kannst dir nicht immer aussuchen, was in deinem Leben passiert. Aber du kannst entscheiden, wie du damit umgehst.

Widmung

Für das Kind, das aus der Reihe tanzt. Bleib, wie du bist. Die Welt strahlt bunt wie ein Regenbogen.

Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett.

Und sie funkelt wie das Licht von tausend

Nur weil es dich gibt!

In Gedenken an LIVIA.

Du bist für immer in unseren Herzen.

Tanze bei Tag als Schutzengel durch die Wolken und funkle in der Nacht mit den Sternen um die Wette. So kommen wir auch in großer Not nie vom Weg ab.

Vorwort

Die Geschichte vom kleinen Nikolas beruht auf Tatsachen. Name, Ort und Zeit sind frei erfunden.

Dank für die Inspiration zu Inhalt und Handlung gebührt:

Meinem tapferen Sohn Dominik Mayer.

Hermann Krämer und seiner Tourette-Syndrom Facebook Gruppe.

Und meinen Herzensmenschen der Tourette Selbsthilfegruppe Wien:

Jakob, Constantin, Dominik - den kleinen Kämpfern. Und den großen Kämpfern und Unterstützern, Edith & Janos, Birgitt & Michael, Elisabeth, Margarete, Gabi & Manuel, Ewald & Christa, Reinhard, Susanne & Bernhard, Sabine, …

DANKE, für die Erlaubnis, eure Geschichten einzuweben.

DANKE, für euer Vertrauen.

DANKE, für euren Zuspruch.

DANKE, für die Kraft, die ihr mir gebt.

DANKE, für den Mut, den ihr mir schenkt.

Ohne euch fehlten mir die Worte.

Erst am Ende der Reise erkennt man den wahren Wert des Erlebten.

Und, ob das Gute schlecht und das Schlechte gut vonstattenging.

Nikolas Kipfel

Hallo! Schön, dass du vorbeischaust. Willkommen im Zuhause von Familie Kipfel. Hörst du bei dir daheim auch das Konzert aus dem Wald? Das Musizieren und das Singen der Tiere? Ich wünsche es dir. Das Tal, in dem die Kipfels leben, das ist wahrlich voller Magie. Ringsum klingt es wundersam. Nicht nur Meisen und Amseln trällern ihr Lied im Morgenrot.

Der Rehbock buhlt laut um die Gunst der Ricken. Hasen hopsen mit den langen Läufen über die wild wuchernden Wiesen. Sie jagen einander und schlagen vergnügt Purzelbäume hinein in das Gestrüpp. Der Kuckuck ruft. Der Specht klopft an die Borke. Käfer brummen.

Igel fauchen. Und Mäuschen piepen unter den knotigen Wurzeln der Baumriesen.

Auch Salamander huschen dort durch das Laub. Ihr geheimer Pfad führt sie wendig am plätschernden Bach entlang. Vorbei an einem Kater. Der angelt und klagt dabei sein Leid: „Miau!“

Die Kipfels nennen den Moppel Tiger. Leider ist der Kater nicht so geschickt, wie sein Namensvetter. Wieder und wieder patscht seine Pfote vergebens in das kühle Nass. Doch die Fischlein wollen nicht in die Falle. Sie blubbern bloß keck. Der Tollpatsch hat genug. Er leckt sich trocken. Sein leerer Magen knurrt.

Darum trapst der Kater nun mit wippendem Bauch raus aus dem Wald. Über die noch matschige Weide. Sofort springen die Schafe blökend um ihn herum. Der Morgen ist herrlich. Denn die Sonne reckt die warmen Strahlen mittlerweile in den Hof. Das magische Konzert schwillt an. Im Stall muhen die Kühe.

Und Hühner stelzen herum. Über Stock und Stein und die Reste vom Schnee. Sie picken in die Schneeglöckchen, auf der Suche nach Futter. Sie sind ohne Furcht und Eile. Denn am Gupf vom Mist kräht der Hahn. Er überwacht das bunte Treiben. Der Gockel ist wie ein Uhrwerk. Tag um Tag weckt sein Kikiki die Familie im Gehöft. Kaum knipst im Haus das Licht an, purzelt er herab. Zufrieden und heiser. Jetzt aber hurtig, Tiger! Auch der Hund bellt längst und fordert Einlass. Nicht, dass er die besten Happen vor dir frisst. Der Kater trapst los.

Die Tür springt auf. Flugs schlupft er unter den Hundebeinen durch, hinein in die Stube. Ja, hier bei Kipfels tickt noch vieles anders.

Leider ebenso ihr Nachzügler, der Niko.

Von klein an tict der Bub. Anders als seine beiden Schwestern. Anders als der Papa.

Anders als die Mama. Anders als die Oma oder der Opa Kipfel. Und anders als die Kinder in der Schule. Denn Nikolas Körper macht sich selbstständig. Wie? Das glaubst du nicht?

Doch, echt wahr!

Der Bub wird oft zur Marionette. Wie mit Schnüren gelenkt wackelt er herum. Warum das so ist? Das weiß Familie Kipfel nicht. Bislang wusste niemand Antwort. In dem Moment tict er leider auch. Zappelt, zuckt - ruft. Und der Blondschopf kann nix dagegen tun!

Trotz allem ist der Nikolas ein gewöhnlicher Bub. Er streitet mit den Schwestern. Weil die dolle Plagegeister sind. Chillt gern im Bett. Schmust mit den Hunden. Schlägt Salto im Trampolin. Fast wie ein Akrobat. Er räumt ungern sein Zimmer auf. Schaut Videos auf YouTube. Zockt auf der Konsole. Noch viel lieber daddelt er am Handy. Damit vernetzt er sich mit Freunden aus aller Welt. Mit ihnen spricht und schreibt der Bub, auf Englisch.

Oder er entdeckt fremde Länder auf der Karte. Das ist sein liebster Spaß.

Der Niko fühlt die Tics ab und an, bevor sie sichtbar werden. Als ein Drücken, Kribbeln. Jucken. Oder Kratzen. Wo genau? Na, in dem Körperteil, der ticen will. Der Versuch, es zu stoppen, klappt nie lange. Es kommt doch.

Wie bei einem Niesen. Manche Kinder denken, der Niko tut nur als ob. Darum rufen sie gemeine Sachen, wenn er tict. Wie: „Du magst ja nur im Mittelpunkt stehen!“ Oder: „Provozier uns nicht!“ Und: „Klappe, du Idiot!“

Erwachsene tun das auch. Die schimpfen den Niko: „Benimm dich nicht wie ein Baby!“

Dabei will er das ja nicht. Denn die Tics tun ihm oft weh.

Auch die Mama kriegt dumme Sprüche ab. „Kannst du dein Kind nicht erziehen?“, wird sie gerügt. „Das kommt vom Handyspielen!“

Im Gegenteil. Das Daddeln lenkt den Niko ab. Super gut schwächt es bei ihm die Tics.

Der Papa diskutiert nicht mehr. „Hat der Kasper noch immer kein Benehmen gelernt?“

Bei dergleichen Worten klappt Papa Kipfel längst die Ohren zu.

Probleme, die zieht der Bub an. Überall. Im Bus. Im Zug. Beim Einkaufen. In der Schule. Die Anna und die Livia helfen dem Bruder oft. Dazwischen gehen. Den Spott abkriegen. Das ist nicht leicht.

Der Niko weiß das. Doch was soll er tun?

Die Tics kann er nicht wegzaubern. Im Gegenteil. Bei Aufregung sind die noch übler. Oft kann er sich da nicht mal mehr bewegen. Oder kaum mehr sprechen. Wie versteinert ist er dann. Power off. Wie gern will er, wie alle Kinder, Freunde finden. Spielen. Unbeschwert lachen. Im Kino Filme gucken. Zu Partys eingeladen werden. Ja, sein Leben ist echt knifflig.

SOS – Hilfe für Nikolas

Heute reicht es dem Niko endgültig. Denn er ist ticend aufgewacht. Prompt stößt sein Kopf darum an die Bettkante.

„Uff“, stöhnt er. „Das gibt ne Beule.“ Im Pyjama taumelt der Bub Richtung Küche. Die Eltern erwarten ihn dort bereits. Denn Nikos Zähne klappen extra laut. Klapp, klapp. Und der Kiefer knackt dazu. Knack. Das hören sie.

„Mama, Papa!“, schluchzt der Bub. Sein Kopf ruckt in den Nacken.

„Guten Morgen, Niko“, grüßt der Papa ihn.

„Gut geschlafen?“, fragt die Mama. „Magst du auch einen Kakao?“ Sie hält die Tasse hoch. „Oder ein Brot mit Butter für die Schule?“ Schule? An die mag der Niko jetzt nicht denken. Er kann sich kaum auf den eigenen Beinen halten. Und wie er seine Zähne putzen soll, ohne die Pasta in das Auge zu bekommen, das ist ihm ein Rätsel.

„Mama! Papa!“, raunzt er los. „Ich will keinen Körper-Schluckauf mehr haben!“ So nennt er das Zappeln und Rufen. „Mir tuts da drin weh.“ Der Bub presst die Faust an die Brust. Die Eltern breiten die Arme aus.

„Komm her, Spatz“, sagt die Mama. Die Beiden halten den Sohn in ihrer Mitte. Ganz fest.

Damit das Zucken nachlässt. Und der Kummer kleiner wird. Um die Beine schleicht der hungrige Tiger herum. Mauzend bettelt er um noch eine Portion Futter.

„Die Kinder lachen mich aus“, schluchzt der Niko. Kaum zu beruhigen ist er. „Ihr wisst gar nicht, wie gemein alle in der Klasse sind.“

Sein Herz pocht wild. Beinahe, als spränge es heraus.

„Das werden sie nicht mehr“, beschwichtigt Mama Kipfel. „Das verspreche ich dir.“

Sanft streift sie dem Niko das wild zerzauste Haar aus der Stirn. „Wenn du magst, dann fahre ich dich. Und ich spreche nochmal mit deinem Lehrer. Gut?“ In dem Moment geht ein Gepolter los. Peng! Patsch! Türen knallen im Flur. Dichtauf stolpern die Mädels in die Küche. Rempelnd und boxend. Kichernd und keuchend.

„Erster!!!“, jubelt die freche Livia. Ihre Wangen glühen vor Aufregung.

„Das gilt nicht“, murrt Anna. „Du hast mich gestoßen!“ Sie kneift die Augen zu Schlitzen. Richtig finster guckt sie drein.

„Was kann ich für, dass du kitzelig bist“, erwidert die Kurze.

„Der letzte Keks ist mein. Moah-ha-ha“, lacht sie theatralisch. Dabei wirbelt Livia die langen Zöpfe. Doch in dem Moment vergeht ihr das freche Grinsen. Ihr kleiner Bruder steht vor ihr.

Blass um die Nase und ganz verheult.

„Niko! Was ist mit dir?“, fragt sie besorgt.

Über seine Wangen strömen Tränen. Die Mama schaut ernst. Der Papa auch. Als dürfte er nie wieder Fußball gucken.

„Später“, sagt die Mama knapp. Dann befiehlt sie: „Holt eure Ranzen und geht vor.“ Anna und Livia nicken artig. Aller Spaß ist dahin.

Den Bruder ticen zu sehen, das sind sie längst gewohnt. Aber den Kummer nicht.

„Hey Livie, komm mit“, flüstert Anna kleinlaut und fasst nach der Hand der kleinen Schwester. Schulfertig dackeln sie aus der Küche.

Die Treppe knatscht kurz. Dann ist es still um die Mädchen. Schweigend kauern sie nun auf der untersten Stufe. Die Köpfe gesenkt und die Ohren gespitzt. Sie hören jedes Wort mit an.

„Mama hat recht“, pflichtet der Papa soeben bei. „Wir schützen dich vor Ärger. Das wird schon.“ Die Mädchen rollen mit den Augen.

„Unsere Eltern haben echt keine Ahnung, was in der Schule abgeht“, seufzt Livia.

Die große Schwester nickt stumm. Ein Kloß drückt in ihrem Hals. Denn der Nikolas schluchzt eben doll.

„Das könnt ihr nicht“, hören die Mädels ihn japsen. „Ihr seid nicht dort. Und die Lehrer kümmert meine Lage wenig. Die schimpfen im Unterricht und sind in der Pause weg. Das hilft nicht. Das schadet! Die Kinder sind danach doppelt gemein zu mir. Wisst ihr?“

„Wir haben dich so lieb “, bekundet die Mama. An ihrer Stimme hören die Mädls, sie ringt auch mit den Tränen. Der Vorfall im März war aber echt zu grausam. Für alle Kipfels. „Ich weiß, wie schwer das alles für dich ist. Niko Schatz!

Du bist liebenswert. Lass dir nichts anderes einreden. Hörst du? Auf das Tun und Handeln anderer hast du keinen Einfluss. Doch welchen Wert du ihren Worten und Taten gibst, das kannst nur du bestimmen.“

„Mama und ihre Glückskeks-Weisheiten“, raunt Livia gereizt. Gut, dass das Mädl hier unten warten muss. Einen Aufstand hätte sie oben gemacht. Denn der Niko weint bitterlich. Ganz bang lehnt er an Papas Schulter. Das Hemd klebt ihm an der Haut. Vollgesaugt mit Tränen.

„Du hast diese Spezial-Effekte“, sagt Papa Kipfel. „Na und. Du bist und bleibst trotzdem unser Sohn. Du bist klug. Höflich. Und ein ganz lieber Bub. Ignoriere die Lauser.“ Anna seufzt.

Wollen die beiden den Niko nicht verstehen? Klapp, klappen Nikos Zähne. Klapp, klapp!

„Ja klar, ignorieren“, raunt der Bruder.

Sein Kopf ruckt wieder und wieder.

Ganz schwindlig ist ihm davon. Anna und Livia würden so gerne rauf laufen. Den Niko feste drücken. Und vor allem den Eltern empört geigen, was Sache ist. Reden hilft da längst nicht mehr. Da muss gehandelt werden.

„Der Niko ist in der Klasse der Lava, den man nicht berühren darf“, flüstert nun Anna der kleinen Schwester zu.

„Weiß ich. Hast du ihn berührt, ist dein Leben verwirkt. Dann bist du der Loser“, stimmt ihr Livia zu. Mit einem Mal kraust sie ihre Nase. Die Augen weiten sich. „Hey! Rieche ich da Kekse?“

„Nö“, behauptet Anna und wirbelt keck den lila Schopf.

„Anna!“ Livia mag ihr nicht glauben. „Du hast meinen Keks gemopst!“

„Nö“, beharrt die Schwester und grinst frech. Nicht ahnend, auf den Zähnen kleben Krümel.

„Hauch mich an!“, fordert die Kleine.

Anna pustet ihr ins Gesicht. „Du Kröte! Wusste ich es doch.“

„Pssst“, zischt Anna gleichgültig. „Ich hör nix mehr.“ Livia glurt sie finster an. Das schreit nach Rache. Am liebsten würde sie der Diebin ihre Zöpfe um die Ohren peitschen. Lässt es dann besser.

„Okay. Aber nicht, dass du denkst, du wärst fein raus.“ Knack, knack!

„Papa. Ich bin ein Freak!“, klagt der Bruder eben. „Niemand will mich als Freund.“ Knack!

„Nikolas Kipfel! Du bist kein Freak“, rügt der Papa. „Du bist so tapfer. Und vor allem viel stärker als du meinst. Du bist unser Sohn. Und wir sind echt super stolz auf dich!“ Doch die tröstenden Worte kommen nicht an. Der Niko weint ohne Pause. Er ist müde. Müde vom ewigen Erklären. Müde der Gemeinheiten.

Müde der Blicke. Müde vom Alleinsein.

Müde der Tics. Da hilft auch kein kratziger Kuss vom Papa auf die Stirn.

„Bringt mich ins Krankenhaus!“, fleht er mit großen Augen. „Nicht in die Schule!“ Frau Kipfel schaut ihren Mann fragend an. Denn der kramt tatsächlich das Handy aus der Tasche. Ihr zäher Hans kann das auch nicht mehr mit ansehen.

„Eva, ruf du bitte in der Schule an“, sagt er und telefoniert los. „Ich schau, was ich beim Arzt ausrichten kann.“

„Ja gut. Aber zuerst bringe ich Anna und Livia zum Bus“, sagt die Mama und schnappt die Schlüssel von der Anrichte. „Mädels, Abfahrt! Wir sind spät.“

„Hopp!“, befiehlt Anna der jüngeren Schwester forsch. „Vergiss deine Tasche nicht.“ Diesen Ton kann Livia in dem Moment nicht ab.

„Nervensäge“, trotzt sie und verstrubbelt der Anna den lila Bubikopf.

„Hey!“, kreischt sie. „Meine Frisur!“ Da steht die Mama hinter ihnen.