Nikolaus ist futsch - Sandra Windges - E-Book

Nikolaus ist futsch E-Book

Sandra Windges

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Beschreibung

24 Tage im Dezember. Ein altes Jugendstilhaus, in dem vier Parteien wohnen, vier Erwachsene, zwei Kinder. Und Nikolaus, ein zotteliger Mischlingshund und Augapfel seines Herrchens Lars. Der interessiert sich für seine Nachbarin Alice, die gerade ihren Trennungsschmerz zu überwinden versucht. Ihren grummeligen, zotteligen Nachbarn mag sie nicht sonderlich. Die Guntermanns nebenan haben ganz andere Probleme, und Frau Wiedemann aus dem Erdgeschoss trauert um ihren verstorbenen Mann. Dann verschwindet Nikolaus plötzlich. Ist Weihnachten noch zu retten? Sehnsucht, Liebe, Tränen, Leid und Lachen, Überraschungen, Begegnungen, Erinnerungen - alles unter einem Dach, alles kurz vor dem Fest der Feste. Zum Glück gibt es gute Nachbarn.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Dezember

Kapitel 2: Dezember

Kapitel 3: Dezember

Kapitel 4: Dezember

Kapitel 5: Dezember

Kapitel 6: Dezember

Kapitel 7: Dezember

Kapitel 8: Dezember

Kapitel 9: Dezember

Kapitel 10: Dezember

Kapitel 11: Dezember

Kapitel 12: Dezember

Kapitel 13: Dezember

Kapitel 14: Dezember

Kapitel 15: Dezember

Kapitel 16: Dezember

Kapitel 17: Dezember

Kapitel 18: Dezember

Kapitel 19: Dezember

Kapitel 20: Dezember

Kapitel 21: Dezember

Kapitel 22: Dezember

Kapitel 23: Dezember

Kapitel 24: Dezember

Sie schlägt die Augen auf. Der erste Tag nach DEM Tag. The day after. Ohne Atompilz.

Mühsam erhebt sie sich, schlurft in die Küche und löffelt Kaffeepulver in die kleine Cafetiere. Stellt den Herd an.

Schlurft ins Bad.

Die große Cafetiere war einer ihrer Weihnachtswünsche. Doch die braucht es nun nicht mehr.

Als sie aus dem Bad kommt, kocht das Wasser. Kurz darauf steht sie mit der Kaffeetasse in der Hand am Fenster und blickt in einen heraufgrauenden Restnovembertag. Heute ist Herbst. Morgen sollen die Temperaturen fallen und erste Nachtfröste Einzug halten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht sie ihren Nachbarn, der im Erdgeschoss wohnt. Er führt seinen Hund Gassi. Ein großer Mischlingsköter mit leicht zotteligem Fell ist er. Sein Herrchen irgendwie auch. Zotteliges, blondgraues Haar, Bart, Tattoos. Einen Kopf größer als sie, etwas kräftig gebaut. Also kurz vor dick. Brummt immer einen Gruß, wenn sie einander begegnen, und bastelt an seinem Motorrad, Fahrrad oder an Fliwatüts herum.

Sie geht ins Schlafzimmer und legt sich wieder ins Bett. Für heute hat sie sich krankgemeldet, einen Magen-Darm-Infekt vorgeschoben. Für Trennungsschmerz gibt es kein Verständnis. Durchfall versteht jeder. Essen kann sie sowieso nichts. Der Magen ist blockiert. Der Körper schmerzt. In ihrem Herzen zieht der Wind durch einen großen Riss.

Sie hört, wie ihr Nachbar und sein Hund in den Hausflur poltern. „Aus, Nikolaus! Pfui!“ Das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels und des Türschließens.

Ihr Handy klingelt und der Schreck zuckt in ihre tauben Glieder. Sollte er …?

Natürlich ist er es nicht. Wer per WhatsApp eine zweijährige Beziehung beendet, ruft nicht im Nachhinein an und liefert Erklärungen. Oder gar Entschuldigungen.

Und was sollte das noch bringen? Aus ist aus.

Das Handy hat aufgehört zu klingeln. Sie wird Pia später zurückrufen. Noch weiß niemand, was geschehen ist. Sie fürchtet sich vor den Reaktionen. Vor dem Mitleid. Und vor dem „Hab ich es doch gewusst“. Und auch vor dem „Er hat dir nie gutgetan“.

Sie will es nicht hören, weil es stimmt.

Bis gestern hatte sie Hoffnung. Dass sie es schaffen werden. Dass sie trotz aller Streitereien eine Zukunft haben werden. Sie hatten Pläne entworfen für Weihnachten. Für die nächsten Jahre.

Nun hat er eine andere Zukunft. Mit einer jüngeren Frau. Sicher kann sie noch Kinder bekommen. Er hat immer vorgegeben, dass es für ihn in Ordnung sei, ohne Kind. Sie selbst ist aus dem Alter heraus. Über vierzig noch schwanger zu werden, ist risikoreich. In ihrer Familie gab es viele Fehlgeburten, sie selbst hat eine hinter sich, damals, lange her, in einer anderen Beziehung, die darüber zerbrochen war.

Ihr Handy verkündet eine WhatsApp-Nachricht. Von Pia:

„Hey Alice, alles gut bei dir? Bist du morgen dabei? Wir treffen uns um fünf am Glühweinstand. Knutscher!“

Wie soll sie es schaffen, zum Weihnachtsmarkt zu gehen? All die Menschen, all die Paare. Am Ende sieht sie ihn noch. Mit IHR!

Der Tag vergeht. Sie liegt im Bett und kann sich kaum rühren. Die Straßenlaternen werfen bereits ihr Licht durchs Fenster. Sie rollt sich auf die Seite.

Ob er gerade mit ihr zusammen ist?

Was denkst du denn?, fragt sie sich selbst. Natürlich ist er mit ihr zusammen, die beiden sind frisch verliebt. Überlege doch mal, wie verliebt ihr am Anfang wart, da wolltet ihr jede Minute miteinander verbringen. Das ist keine Garantie für nichts, stellt sie jetzt fest. Er muss seine Neue schließlich auch schon länger gekannt haben. Wie lange mag er sie bereits betrogen haben? Es sei „noch nichts Sexuelles geschehen“, hatte er geschrieben. Er sei so verliebt. Sie beide hätten keine Chance. Sie, die andere, sei DIE Frau für ihn. Seine ganz große Liebe. Wahrscheinlich ist sie auch groß. Und dunkelhaarig. Genau sein Typ. Sie selbst ist mittelgroß, sehr schlank, fast dünn. Rothaarig. Und genau diese roten Haare haben ihr das Leben schon oft schwergemacht. Als Kind wurde sie gehänselt: Rostkopf, Duracell, Paprikaschote, Streichholz. Er hat ihr Haar geliebt. Behauptete er. Auch das war sicher eine Lüge. Und sie war zu verliebt und zu dankbar für seine Komplimente.

Wenigstens hat sie nun nichts mehr mit einem Heuchler zu tun. Und mit niemandem, der ihre Freunde nicht mag, sie für Angeber, Stümper, hohle Früchte und Hochstapler hält.

Keine Eifersüchteleien mehr. Sie ist frei. An dieses Gefühl muss sie sich erst einmal gewöhnen.

Am nächsten Morgen wacht Alice früh auf. Kein Wunder, nachdem sie fast den ganzen Freitag verschlafen hat. Aber im Schlaf spürte sie den Schmerz nicht so brennend. Doch im Traum war er dumpf präsent. Sie sah ihn, mit einer anderen, gesichtslosen Frau. Immer wieder. Sie selbst war unfähig, sich zu bewegen, unfähig, zu sprechen, nur schreien wollte sie, doch aus ihrer Kehle kam kein Laut.

Als sie aufsteht und aus dem Fenster schaut, ist da draußen alles weiß. Der erste Schnee ist über Nacht gefallen und hat die Dächer der Jugendstilhäuser und der paar Nachkriegsbauten mit einer hellen Decke überzogen. Weil Samstagmorgen ist, liegt sogar noch Schnee auf den Straßen. Schön sieht das aus. Nun hört sie, wie unten im Flur rumort wird, offenbar machen sich ihr Nachbar und sein Zottelköter zum Spaziergang parat und treffen gerade ihre Nachbarin, die alte Frau Wiegand, die in der Wohnung gegenüber den beiden lebt.

Sie steht am Fenster und sieht nun, wie ihr Nachbar, den Hund an der Leine, Frau Wiegand zu einem wartenden Auto geleitet, sie hat sich bei ihm untergehakt. Der Fahrer des Wagens, er wird wohl ihr Enkel sein, nimmt sie in Empfang und hilft ihr beim Einsteigen. Der Nachbar, in dicker Jacke und Strickmütze, hat noch gewartet, bis sie sicher im Auto sitzt. Nun hebt er zum Abschied die Hand und geht mit dem schwanzwedelnden Nikolaus seiner Wege.

Alice vertrödelt den Tag. Denkt nach. Leidet. Aber damals, als die Beziehung mit Tobias zerbrach, hat sie anders gelitten. Sie BEIDE hatten gelitten, dass ihre Liebe nicht standgehalten hatte. Nun ist es ein einseitiges Leid. Dafür hasst sie Patrick. Patrick, der sie am Anfang ihrer Liebe mit Komplimenten und Geschenken und Superlativen überhäufte. Ob er das mit seiner Neuen auch so handhabt?

Wird er sie denn auch nach kürzester Zeit für ihre Sprache, ihre Bekanntschaften, Vorlieben kritisieren? Die Stirn runzeln und gar schmollen, wenn sie einmal nicht permanent mit ihm beschäftigt ist, sondern es wagt, eine Nachricht an Freunde zu senden? Zu telefonieren? Gar Verabredungen zu haben?

Nun, heute HAT sie eine Verabredung. 17 Uhr, Weihnachtsmarkt.

„Leben, ich komme!“, ruft sie in den Raum mit der hohen Decke und dem knarzenden Parkett, dessen Geräusch sie so sehr liebt. Auch darüber gab es Diskussionen mit Patrick, der lieber auf dem Land leben wollte. Sicher, ein eigenes Häuschen auf dem Land, das hätte ihr auch gefallen. Aber so ganz ohne Anbindung an die Infrastruktur, an die sie gewohnt ist? Ohne ihren Lieblingsbäcker und ihre Lieblingskneipe? Gut, dort ist sie ohnehin schon lange nicht mehr gewesen. Er wollte lieber mit ihr alleine sein und schon gar nicht auf ihre „hohle Bagage“ treffen.

Ein Wunder, dass sie überhaupt noch Freunde hat. Er hätte sie am liebsten alle zum Teufel gejagt.

*

Auf dem Weihnachtsmarkt herrscht reges Treiben. Pia, Nina und Lilian stehen schon, jede ein Glas dampfenden Glühweins in der Hand, an der altvertrauten Bude. Nun, da sie Alice kommen sehen, winken sie und rufen ihr begeistert zu. Wie das eben so ist unter „Mädchen“.

Nach der ersten Wiedersehensfreude erzählt Alice, was vorgefallen ist.

Betretenes Schweigen. Pia ist die Erste, die spricht:

„Endlich! Dann können wir es dir ja sagen.“

„Was sagen?“, fragt Alice mit einem dumpf-schweren Gefühl im Bauch.

„Na, dass der Typ dich nicht nur schwerst negativ beeinflusst hat, sondern auch ständig mit anderen Frauen schäkerte.“

Alice ist schockiert.

„Wie …?“, fragt sie schwach.

Lilian nimmt sie in den Arm.

„Süße, es tut mir leid, du siehst wirklich mitgenommen aus. Und wir labern dich jetzt auch noch zu. Aber dein toller Patrick, Scheiß-Name übrigens und daher echt passend zu dieser Flachzange, wurde des Öfteren mit anderen Frauen gesehen. Ich hab ihn vor zwei Wochen mit so ‘ner großen, dunkelhaarigen gesehen. Bisschen kräftig gebaut. Die beiden hielten Händchen!“

„Waaas? Wo war das? Hat er dich auch gesehen?“

Alice kann es nicht fassen. Er, der immer von ausschließlicher Liebe und Treue gepredigt hat? Ihr bitterste Vorwürfe machte, wenn er auch nur glaubte, sie könnte jemand anderen ANGESEHEN haben. Der hielt frech Händchen mit anderen Weibern? Und überhaupt dieses alberne Händchenhalten. Das mochte sie nie. Kindisch findet sie das. Warum nicht Arm in Arm gehen?

Sie erfährt an diesem Abend noch mehr über ihren Ex.

„Aber warum habt ihr mir nie etwas gesagt?“, will sie von den anderen wissen. Ihr Kopf brummt von den Geschichten und von drei Gläsern Glühwein.

„Na ja, genau das hatten wir heute vor.“

„Aber warum erst heute?“

„Weil das die erste Gelegenheit ist, dich mal live und in Farbe bei uns zu haben. Per Telefon oder Nachricht wollten wir das nicht tun. Außerdem: Hättest du uns geglaubt? Der Tünnes hat uns eh gehasst. Der hätte dich schon vom Gegenteil überzeugt und wir wären wieder die Bösen gewesen.“

Alice wird übel. In ihr herrschen Bitterkeit, Verletztheit und – Ekel. Ekel vor diesem Menschen. Vor sich selbst. Was hat sie ihm erlaubt, mit ihr anzustellen?

„Ich will jetzt nach Hause“, sagt sie abrupt und geht einfach.

*

Die anderen rufen ihr noch nach. Durch das Gedränge und die Geräusche und Gerüche des Weihnachtsmarktes eilt sie nach Hause.

Im Hausflur ist das Licht defekt. Die Tür zu Frau Wiegands Wohnung steht offen und ein kleiner Lichtkegel fällt auf den Terrazzoboden.

„Frau Wiegand?“, ruft Alice in die offene Wohnung hinein.

Noch im Bett liegend und Kaffee trinkend lässt Alice die Geschehnisse des vergangenen Abends Revue passieren.

*

Frau Wiegand antwortete nicht. Unschlüssig, ob sie die Wohnung betreten oder einfach davon ausgehen sollte, dass alles seine Richtigkeit hat, stand sie im Flur. Ein Geräusch ließ sie vor Schreck zusammenfahren. Die Hintertür hatte sich geöffnet und einen Moment lang hörte sie nur ein Hecheln.

Dann wurde eine Taschenlampe angeknipst. Der Nachbar und natürlich Nikolaus standen vor ihr. Letzterer beschnüffelte sie schwanzwedelnd. Der Nachbar, der übrigens Lars Schuchardt heißt, wie sie vom Briefkastenschild weiß, zuckte leicht erschrocken, als er sie sah.

„Mann, hast du mich erschreckt. Wieso machst du kein Licht an?“

„Weil das Licht defekt ist“, antwortete sie etwas zickig.

Und seit wann duzte er sie eigentlich? Dieses neumodische Duzen geht ihr gegen den Strich.

Nikolaus knurrte nun leise, sein Nackenfell sträubte sich.

„Wieso ist die Tür von Frau Wiegand offen?“

„Das weiß ich ja eben nicht“, antwortete Alice. „Ich kam nach Hause, das Licht war kaputt, die Tür stand offen und dann kamen Sie. Besser gesagt, Ihr Hund und dann Sie.“

„Ich bin Lars, lass doch die blöde Siezerei. Und das ist Nikolaus.“

„So viel habe ich schon mitbekommen.“

Nikolaus hatte mehrfach mit seiner feuchten Schnauze an ihrem hellen Mantel geschnüffelt und geschubbert. Sie musste oben im Hellen unbedingt nachsehen, ob das Flecken hinterlassen hatte. Ob Schuchardt eine Haftpflichtversicherung hatte wegen der Reinigungskosten?

Nikolaus war nun einfach in Frau Wiegands Wohnung gelaufen.

„Nikolaus! Komm sofort wieder da raus. Niko! Bei Fuß!“ Aber Nikolaus hustete ihm was. Besser: bellte.

„Ich geh jetzt mal nachsehen, das ist mir alles nicht koscher hier.“

Und natürlich trabte Alice hinterher.

In Frau Wiegands Wohnung liefen sie auf Nikolaus` Spuren sozusagen ins Schlafzimmer. Ein mit Möbeln vollgestopfter Raum. Dort lag Frau Wiegand zwischen dem Bett und dem geöffneten Schrank, neben ihren Füßen ein kleiner Holztritt, mit dessen Hilfe sie wohl versucht hatte, die oberen Einlegeböden des Schranks zu erreichen.

Alice machte ein erschrecktes „Hhh!“, als sie die alte Dame dort liegen sah. Nikolaus winselte. Und Lars kümmerte sich bereits um die Bewusstlose.

Bald darauf war diese wieder zu sich gekommen und wollte sich sofort aufrichten, was Lars ihr untersagte.

„Ruf mal den Krankenwagen an!“, befahl er Alice, die immer noch wie angewurzelt dastand.

*

Einen Ton hat der am Leib, denkt sie nun, während sie sich noch tiefer in die Kissen kuschelt. Aber das lag wohl auch an der Situation.

*

Bald darauf wurde Frau Wiegand mit dem Krankenwagen abtransportiert. Es bestehe keine akute Lebensgefahr, wahrscheinlich ein Schwächeanfall, aber sie solle vorsichtshalber zur Beobachtung mit ins Krankenhaus.

Die Nachbarn aus der ersten Etage, also ihre direkten Nachbarn, waren ebenfalls dazugekommen, aufmerksam geworden durch Martinshorn und Blaulicht.

Die beiden Töchter, drei und sieben Jahre alt, steckten in Schlafanzügen und tappten ihren Eltern hinterher.

„In welches Krankenhaus bringt ihr sie?“, fragte Lars die Sanitäter.

„Marienhospital.“

„Okay, wir kommen mit den Sachen hinterher.“