Noble Match - Nicole Knoblauch - E-Book

Noble Match E-Book

Nicole Knoblauch

5,0

Beschreibung

Die junge April Woods ist als Teamassistentin mittendrin in der neuesten amerikanischen Bachelor-Show Noble Match. Sie muss sich nicht nur mit großspurigen Produzenten, intriganten Teamchefs und kapriziösen Kandidatinnen herumschlagen, sondern auch mit Kayden Devlin, dem Star der Show. Der schottische Duke hat ganz eigene Vorstellungen davon, wie alles ablaufen sollte, und mit seiner durch und durch britischen Lebensart erobert Kayden die Herzen der Damen und des Publikums im Sturm. Nur April setzt alles daran, sich seinem Charme zu entziehen – für sie steht weit mehr auf dem Spiel als nur ihr Herz.

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Noble Match

Nicole Knoblauch

Copyright © 2021 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Alexandra Fuchs

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Alexander Kopainski

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-928-9

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

1. April

2. Kayden

3. April

4. April

5. Kayden

6. April

7. Kayden

8. April

9. Kayden

10. April

11. Kayden

12. April

13. Kayden

14. April

15. April

16. Kayden

17. April

18. April

19. Kayden

20. April

21. Kayden

22. April

23. Kayden

24. April

25. Kayden

26. April

27. Kayden

28. April

29. Kayden

30. April

31. Kayden

32. April

33. Kayden

34. April

Danksagung

Drachenpost

Für Philipp, Leopold und Ferdinand

Danke,

dass ihr mich immer unterstützt

1

April

Ausgerechnet ein Duke

Das ist eine einmalige Chance!« Mit einem Seufzer lasse ich mich aufs Sofa meiner besten Freundin Lindsay fallen.

Sie bleibt zwei Meter entfernt stehen und kneift die Augen zusammen. »Und warum siehst du dann unzufrieden aus? Einmalige Chancen sind doch was Gutes.«

»Kommt drauf an. Für diese müsste ich alles verraten, woran ich glaube.«

»Du hast also endlich einen heißen Millionär getroffen, der dir ein unmoralisches Angebot macht, um dich für Sexspielchen zu kaufen?«

Gegen meinen Willen muss ich lachen.

»Als ob das je passieren würde! Und selbst wenn, kennst du meine Antwort. Die würde immer Nein lauten. Wie oft habe ich dir das schon gesagt?«

»Und wie oft habe ich dir gesagt, dass das ein Riesenfehler wäre? Wenn es solche Typen wirklich gibt, wärst du sicher eine von denen, die so ein Angebot bekommen. Mit deinen blonden Locken, den blauen Augen und dem Engelslächeln bist du geradezu prädestiniert dafür.«

»Soll ich es ihm sagen, wenn ich ihn sehe? Denn tatsächlich spielt ein heißer Millionär eine Rolle.«

»Du machst Witze! Erzähl!« Mit wenigen Schritten ist Lindsay bei mir, setzt sich im Schneidersitz auf das breite Sofa ihres Wohnzimmers und sieht mit großen Augen zu mir herüber.

Ich öffne den Mund, komme jedoch nicht dazu, etwas zu sagen, weil sich die Tür öffnet und zwei Kinder auf uns zurennen. »April!« Emily wirft sich in meine Arme, als ob sie mich seit Tagen nicht gesehen hätte, dabei waren es nur drei Stunden. Ich ziehe sie an mich und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.

»Hey, Kleine. Alles gut bei dir?«

»Ja, alles toll. Billy und ich gehen in den Garten. Er bringt mir bei, wie man Baseball spielt.« Sie hüpft von meinem Schoß und geht zurück zu ihrem besten Freund, der mit Baseballhandschuh und Ball bewaffnet in der Tür steht. Billy und Emily sind seit ihrer Geburt Freunde. Meine Schwester Kirsten und Lindsay haben sich im Krankenhaus kennengelernt und sind danach in Kontakt geblieben. Wir drei sind Freundinnen geworden, bis … Der Gedanke an Kirsten schmerzt nach wie vor. Ob sich das je ändern wird? Sie ist inzwischen seit über zwei Jahren tot, und mir kommen immer noch hin und wieder die Tränen, wenn ich an sie denke. Doch für meine Nichte reiße ich mich zusammen.

»Viel Spaß«, sage ich und lächle. »Ich rede noch ein wenig mit Lindsay und wir essen nachher auch hier. Okay?« Beide Kinder brechen in Jubel aus und das Strahlen auf Emilys Gesicht wärmt mir das Herz. Ich würde alles für sie tun. Was mich zurück zu meinem Dilemma führt. Billy und Emily verlassen das Wohnzimmer und Lindsay fordert mich mit einer Handbewegung auf, weiterzureden. »Also, wie war das mit dem Millionär?«

Ich kuschle mich in die Ecke des Sofas und ziehe ebenfalls die Beine an. »Die Dyers haben mir ein Angebot gemacht, das all meine Geldprobleme mit einem Schlag lösen könnte. Ich würde genug verdienen, um sämtliche Schulden loszuwerden, und hätte am Ende sogar noch was übrig für einen Besuch in Disney World mit Emily.«

»Und da zögerst du?«

»Ja, nein, eigentlich nicht.« Ich schlage die Hände vors Gesicht.

»Erzähl schon. Von was für einem Angebot reden wir?«

Ich nehme die Hände runter, straffe die Schultern und atme einmal tief in den Bauch. »Was ich dir jetzt sage, ist topsecret. Das darfst du niemandem erzählen.«

»Du machst es spannend.« Sie fährt sich mit der Hand übers Gesicht, als würde sie ihre Lippen versiegeln. »Ich schweige wie ein Grab.«

»Der Sender plant eine neue Reality-TV-Show: Noble Match. Im Prinzip ein alter Hut: eine Horde Frauen, luxuriöse Umgebung und ein junger, heißer Junggeselle. Am Ende verlobt er sich mit einer und sie leben glücklich bis … Na, du weißt schon.«

»Okay. wie ich die Dyers kenne, gibt es da noch mehr?«

»Richtig. Da kommt der Millionär ins Spiel.« Ich ziehe die Beine in den Schneidersitz, mache eine kunstvolle Pause und amüsiere mich über Lindsays erwartungsvolles Gesicht. »Der Star der Show wird Kayden Devlin, der Duke of Barndon.«

»Ein Duke?«

Ich nicke. »Ein ziemlich heißer Duke, der noch dazu intelligent und intellektuell ist. Mitte zwanzig, gut aussehend, erfolgreicher Geschäftsmann. Der Traum aller Schwiegermütter.«

Lindsay runzelt die Stirn. »Er ist also Brite?«

»Schotte.«

Fragend hebt sie die Hände in die Luft. »Und wo liegt das Problem?«

»Das ist kompliziert.« Ich seufze tief. »Diese Show wird ein in sich geschlossener kleiner Kosmos. Laut Drehplan müsste ich zwei Wochen ununterbrochen am Set sein, hätte dann einen Tag frei und wäre weitere zwei Wochen weg. Danach würden wir vier Wochen quer durch die USA reisen und ich hätte gar keinen freien Tag.« Mein Blick schweift in den Garten. »Das kann ich Emily nicht antun.«

»Wieso? Em bleibt bei uns.« Bei Lindsay klingt das ganz einfach. »Billy und sie kleben sowieso jeden Tag zusammen.«

»Und was sagt Roy dazu? Ich kann euch doch kein zweites Kind aufhalsen.«

»Natürlich kannst du. Wir reden ja nicht von immer, sondern von ein paar Wochen.«

»Drei Monate ungefähr. Anfangs kann ich abends nach Hause kommen. Permanent vor Ort bleiben muss ich erst, wenn die Kandidatinnen und der Duke da sind. Die letzten vierzehn Tage kann Emily zu meiner Mutter nach Florida. Ich müsste nur den Flug organisieren.« Erneut sehe ich zu meiner Nichte in den Garten. »Allerdings bin ich unsicher, wie Emily es aufnimmt, wenn ich plötzlich verschwinde. Seit Kirstens Tod waren wir immer zusammen. Du weißt, wie schwer es für sie war, dass ihre Mutter auf einmal einfach weg war. Das kann ich ihr nicht schon wieder antun.« Es fällt mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Unser Leben wird besser, wenn wir die Schulden los sind. Das hilft allerdings nicht gegen das schlechte Gewissen, das mich sofort überfallt, wenn ich nur daran denke, Emily allein zu lassen.

»Das hier ist etwas völlig anderes. Du bist nicht tot, sondern arbeitest, und Emily ist mit ihren fast sieben Jahren alt genug, um zu verstehen, dass du nur für eine gewisse Zeit weg bist.«

Da ist was Wahres dran. Trotzdem fühlt es sich so an, als würde ich meine Nichte im Stich lassen. »Meinst du?«

»Ja, meine ich. Und wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Bezahlung gut?«

»Spitzenmäßig, am Ende der Show winkt sogar eine Prämie.«

»Dann ist die Sache klar. Emily bleibt bei uns und du gehst zur Show.«

Ich schenke ihr ein Lächeln. »Das ist lieb von dir.« Wieder ernst fahre ich fort: »Da gibt es noch mehr, was dagegenspricht.«

»Ich höre.« Lindsay beugt sich nach vorn und faltet die Hände, bereit, jedes meiner Argumente zu zerpflücken. Genau das ist es, was ich an ihr schätze. Sie zeigt mir Perspektiven auf, die ich übersehe, und hält mir gleichzeitig bedingungslos den Rücken frei.

»Ich kann dieser Art von Fernsehunterhaltung nicht das Geringste abgewinnen. Frauen werden auf schlimmste Weise diskriminiert und ausgebeutet. Man reduziert sie auf ihr Äußeres und …«

Stirnrunzelnd unterbricht mich Lindsay. »Schon klar, die Frauen wissen allerdings, worauf sie sich einlassen. Shows dieses Formats gibt es schließlich viele. Die Frauen reißen sich um eine Teilnahme, damit ihre Karriere den nötigen Pusch bekommt.«

»Darum geht es nicht. Was vermittle ich Emily, wenn ich bei so etwas mitmache? Damit unterstütze ich die Ausbeutung und zeige, dass mir egal ist, wenn Frauen diffamiert und ausgenutzt werden.«

»Verstehe.« Lindsay zieht die Lippen zwischen die Zähne. »Manchmal muss man das kleinere Übel in Kauf nehmen. Lass uns logisch an die Sache rangehen. Wir reden von genug Geld, um all deine Schulden loszuwerden, richtig?«

»Von mehr. Wir könnten uns noch ein paar Extras leisten.«

»Also, nach drei Monaten, die du dieser Show opferst, kannst du endlich mit der Vergangenheit abschließen und ein neues Kapitel öffnen? April, da solltest du nicht zweimal überlegen.«

Das weiß ich, aber es von Lindsay zu hören macht es irgendwie realer. »Du hast recht. Keine der Frauen wird gezwungen, und sie bekommen Geld dafür.« Dieses Thema wäre damit abgehakt. Kommen wir zu meinen letzten Bedenken. »Bleibt noch der Duke of Barndon.«

»Was ist mit ihm?« Sie greift nach ihrem Handy und tippt darauf herum. Wahrscheinlich sucht sie ein Bild des Duke. »Wow, also der ist doch ganz ansehnlich. Groß, schlank, aristokratische Nase, volle Lippen. Und erst diese Kleidung. Egal welches Foto man betrachtet, er ist immer gut angezogen. Der Typ ist der Wahnsinn. Er guckt ein wenig grimmig. Das würde ich allerdings auch, wenn mich Wildfremde einfach so fotografieren.«

»Sein Aussehen ist mir egal. Es geht darum, was er repräsentiert und wer er ist.«

»Du hast ein Problem mit Schotten?«

Frustriert schließe ich die Augen und atme mehrmals tief durch. Ich mag Lindsay, doch manchmal bringt sie mich zur Weißglut. »Das ist doch Blödsinn. Es geht um … Ich zeig’s dir.« Umständlich ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und entsperre es. Da ich weiß, was ich suche, finde ich den Artikel bei Google schnell. »Hier.«

Lindsay greift nach meinem Handy und liest. Dabei legt sie die Stirn in Falten. Nachdem sie fertig ist, sieht sie schließlich zu mir. »Seit wann glaubst du, was die britische Klatschpresse schreibt? Nur weil die behaupten, er habe seiner Geliebten Geld bezahlt, damit sie sein uneheliches Kind verschweigt, heißt das noch lange nicht, dass es auch so war.«

»Warum hat er ihr dann das Geld gezahlt? Oder dementiert die Schlagzeilen nicht, sondern verweigert jeden Kommentar? Da ist was faul.«

»Selbst wenn, ist das doch völlig zweitrangig. Was kümmert es dich, ob er ein uneheliches Kind hat? Er zahlt wenigstens dafür, anders als dieser Dreckskerl, der deine Schwester geschwängert hat. Oder eure Dads. Dieser Kayden Devlin scheint zumindest den Anstand zu besitzen, für seine Fehltritte geradezustehen. Das spricht für und nicht gegen ihn.« Sie nickt entschieden. Bei ihrer Wortwahl zieht sich allerdings alles in mir zusammen. Kinder sollten nie als Fehltritt bezeichnet werden. Weder an Kirsten, Emily, mir oder der Tochter des Duke of Barndon ist etwas falsch. Wir sind nicht das Problem. Auch wenn unsere Väter das anders sehen. Da ich Lindsay so lange kenne und weiß, dass sie es gut meint, schlucke ich einen Kommentar dazu hinunter.

»Es spricht sehr wohl gegen ihn, wenn er nicht zu seinem Kind steht. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der uns im Stich gelassen hat, und Emily blüht das gleiche Schicksal. Ein Mann, der so etwas tut, ist bei mir unten durch. Egal welche Qualitäten er sonst aufweist.« Meine Meinung zu diesem Thema ist klar, und davon lasse ich mich nicht abbringen.

»Du machst dir zu viele Gedanken. Ganz ehrlich, nichts in diesem Bericht hat etwas mit dir zu tun. Nimm den Job an und nimm das Geld. Danach hast du immer noch genug Zeit, den Moralapostel zu spielen.«

»Aber …«

»Kein Aber. Es sei denn, er ist ein Serienkiller oder so was in der Art.« Sie legt den Kopf leicht schief. »Ist er ein Serienkiller?«

Gegen meinen Willen muss ich grinsen. »Nein, natürlich nicht. Allerdings wohl ziemlich skrupellos. Laut Internet hat er es während des Studiums ordentlich krachen lassen, da kommt auch das Kind her. Danach war er bei einer dieser Firmen beschäftigt, die andere Firmen aufkaufen, zerschlagen und gewinnbringend verkaufen. Bis er vor einem Jahr den Titel geerbt hat.«

»Ja und? Daran ist nichts ungesetzlich. Warum reitest du so darauf herum? Du bist keine Kandidatin der Show, also kann dir der Kerl vollkommen egal sein.«

»Ich müsste ziemlich eng mit ihm arbeiten. Eine meiner Aufgaben wäre es, ihn zu betreuen.«

»Ich sehe da immer noch kein Problem. Dann arbeitest du eben ein paar Wochen mit ihm. Du hast Erfahrung darin, mit Leuten klarzukommen, die du nicht leiden kannst. Das machst du sowieso jeden Tag beim Sender.«

Da ist was Wahres dran. Seit zwei Jahren arbeite ich bei SW-Channel 3 und kümmere mich um die Promis und Sternchen, die es zu diversen Kurzauftritten nach Seattle verschlägt. Ich weiß, dass Lindsay recht hat. Ich wusste auch, dass sie mir genau diesen Rat geben würde. Deshalb bin ich zu ihr gekommen. Jedoch bleibt ein letzter Rest Zweifel. Ich habe wenige Prinzipien, aber eines lautet: Kein Kontakt zu Männern, denen ihre Kinder egal sind. Wenn es für einen Tag wäre, hätte ich sicherlich weniger Probleme damit. Doch Wochen?

»Wie funktioniert das mit der Ausstrahlung? Ist das live?« Wie immer spürt Lindsay mein Unbehagen, legt mir beruhigend eine Hand aufs Knie und wechselt das Thema.

»Nein. Wir haben fest installierte Kameras am Set«, erkläre ich. »Die laufen vierundzwanzig Stunden. Es gibt ein Team von drei Leuten, das im Schichtdienst das ganze Material überwacht und spannende Szenen kennzeichnet. Gesendet wird zweimal die Woche für anderthalb Stunden. Jeweils Samstag und Mittwoch, wobei die Entscheidung, welche Frauen weiterkommen, immer samstags sein wird.«

»Wow. Kameras den ganzen Tag? Fast wie Big Brother. Wirst du auch gefilmt?«

»Am Set natürlich schon. Ich werde sicherlich nur selten zu sehen sein. Sie filmen zwar den ganzen Tag, aber gezeigt werden nur ausgesuchte Szenen. Und es gibt kamerafreie Zonen. Zum Beispiel in den Zimmern der Crew, unseren Arbeits- und Schneideräumen oder den Gängen. Wir sind völlig uninteressant.«

»Was sind dann deine Aufgaben vor Ort?«

»Mich um das Wohlbefinden der Frauen und des Duke zu kümmern. Ihnen etwas zu bringen, wenn sie es brauchen, und ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen.« Genau das, was ich normalerweise auch im Sender mache. Trotzdem bin ich skeptisch. »Du meinst also, ich sollte es machen?«

»Sicher meine ich das. Das kannst du dir einfach nicht entgehen lassen. Und Emily bleibt bei uns. Kein Problem.«

Ich nicke. »Dann werde ich also in den nächsten Wochen für Noble Match arbeiten.«

»Yeah, baby.«

An meinem Gürtel piept das Funkgerät. Der Wachmann am Eingang meldet sich und gibt durch, dass Seine Gnaden eingetroffen ist. Meint er das ernst? Müssen wir den Duke so ansprechen? Egal. Seine Ankunft ist mein Stichwort. Ich soll ihn willkommen heißen. Stella, meine direkte Vorgesetzte, hat mir eingehämmert, was für ein Riesenvorteil das für uns sei. Wenn wir Glück haben, hält er sich danach an mich und vertraut mir irgendwann. Natürlich hat Stella recht, aber ich fühle mich aus vielen Gründen unwohl dabei. Zum einen knabbere ich nach wie vor an der Sache mit seinem Kind. Er hat eine Tochter, nur wenig jünger als Emily, die er praktisch nie sieht. Gar nicht sehen möchte. Das macht mich traurig und wütend zugleich.

Ein anderer Grund ist Stellas Anweisung, den Duke mit Aufmerksamkeit zu überschütten und so zu tun, als wären wir Vertraute. In Wahrheit geht es nur darum, so viel wie möglich über ihn herauszufinden und es schließlich zu benutzen, um die Show aufregender zu gestalten. Hinter seinem Rücken natürlich. Um das zu gewährleisten, habe ich erst mal den Auftrag, ihm den Set zu zeigen. Jemanden auf diese Art zu hintergehen gefällt mir nicht, gehört dennoch zum Job.

Ich trete in die große Eingangshalle, in der überall Menschen herumwuseln und die letzten Arbeiten erledigen, bevor morgen der Dreh beginnt.

Mit einem strahlenden Lächeln öffne ich eine der breiten Flügeltüren dieses monströsen Bauwerks und sehe mich einem großen, dunklen Schatten gegenüber.

»Dieses Gebäude kann nur ein Scherz sein!«

Das klingt ziemlich arrogant.

Meine Augen gewöhnen sich an die Lichtverhältnisse und ich erkenne Kayden Devlin, den Duke of Barndon. Die Schnappschüsse und Porträtfotos werden ihm nicht gerecht. Nicht im Mindesten. Er ist um einiges größer, als ich gedacht hatte. Mit meinen ein Meter zweiundsiebzig bin ich selbst nicht gerade klein, aber er überragt mich um fast einen Kopf.

»Entschuldigung, das hier«, er macht eine kreisende Handbewegung, »ist eine lächerliche Mischung aus Highlandburg und wilder Fantasie. Geradezu absurd.«

Ich starre ihn weiterhin an, denn leider kann ich es nicht anders sagen: Der Anblick haut mich um. Sein Kinn ist weniger kantig als auf den Fotos, das Haar heller, was vielleicht daran liegt, dass der Duke heute weniger Gel verwendet hat. Reiß dich zusammen, April. Das ist nicht der erste schöne Mann, dem du begegnest.

Sein Blick richtet sich auf mich. »Ihr Interesse an meinem Aussehen schmeichelt mir, aber finden Sie diese Umgebung passend?«

Ertappt. Seine Rüge hat etwas Gutes: Ich löse meinen Blick von ihm und erinnere mich daran, warum ich hier bin. Zum Glück habe ich Erfahrung im Umgang mit arroganten Menschen und schaffe es, mein Lächeln beizubehalten.

»Absolut, Sir«, sage ich und ziehe die Mundwinkel ein wenig weiter nach oben. »Der Sender hat dieses Gebäude ausgewählt, weil es im schottischen Stil …«

Er hebt skeptisch die rechte Augenbraue und mustert mich, als wäre ich nicht ganz bei Trost.

»So stellen sich Amerikaner den Wohnsitz eines schottischen Duke vor«, verteidige ich die Wahl des Senders. Mir ist klar, dass diese Aussage pauschalisiert, doch im Grunde stimmt sie.

»Weil das Publikum Schottland nur aus Outlander kennt und alle Schotten für Highlander hält?« In seinem Ton liegt diese leichte Hochnäsigkeit, die allen Briten zu eigen ist. Bevor ich antworten kann, spricht er weiter. »Natürlich ist es so. Wir sind in Amerika.« Seufzend schüttelt er den Kopf. »Damit war zu rechnen. Ist nicht Ihre Schuld.« Der ernste Ausdruck verschwindet und macht einem Lächeln Platz. »Entschuldigen Sie, ich habe meine Kinderstube völlig vergessen. Ich bin Kayden Devlin. Angetreten, um meine Seele zu verkaufen.«

Oh? Ich suche in seinem Gesicht nach Anzeichen, dass er scherzt, das Lächeln ist jedoch verschwunden. Tatsächlich meine ich, einen bitteren Zug zu erkennen. Merkwürdig. »Die haben wir wohl alle längst geopfert.«

»Wie wahr, wie wahr!« Er neigt den Kopf leicht nach links und fährt sich kurz mit der Zungenspitze über die Lippen. Unwillkürlich wiederhole ich die Geste. Seine Augen sind eine Mischung aus Blau und Grün und scheinen direkt in mich hineinzublicken. Dieser Mann ist eine echte Herausforderung für mein inneres Gleichgewicht. »Und was ist Ihre Funktion?«

Praktisch, dass sein wahnsinnig gutes Aussehen durch seine blasierte Art zunichtegemacht wird.

»Ich bin das Mädchen für alles und werde all Ihre Wünsche erfüllen.« Was als Scherz gemeint war, klingt laut ausgesprochen ziemlich schräg.

»All meine Wünsche?« Ein sinnlicher Zug erscheint um seine Lippen. »Passen Sie auf, was Sie anbieten.« Er sieht mir weiter in die Augen, während er seine Finger von den braunen Lederhandschuhen befreit, die er trägt.

»Nur das, wofür der Sender mich bezahlt«, beeile ich mich zu antworten. Souveränität sieht anders aus, aber ihm scheint meine Antwort zu gefallen, denn seine Züge entspannen sich.

»Dann sollte ich meinen Vertrag noch mal genau lesen.«

Was meint er damit? Flirtet er? Inzwischen hat er den linken Handschuh ausgezogen und greift nach dem rechten Daumen. Fasziniert beobachte ich, wie er an jedem einzelnen Finger zupft und das Leder langsam löst.

»Wie geht es weiter?«

»Das Wichtigste zuerst: Wie spricht man einen Duke an?« Die Frage ist ein wenig unglücklich formuliert, doch ich will ihn nicht falsch ansprechen.

Seine Mundwinkel heben sich. »Wie jeden anderen auch, hoffe ich?«

»Also muss ich nicht Euer Gnaden sagen?«

»Das wäre in diesem Rahmen wohl kaum angebracht. Machen wir es einfach: Ich bin Kayden und wir sagen Du?«

Er streckt mir die Hand entgegen und mir fällt auf, dass er sich schon zum zweiten Mal vorstellt, während ich ihm meinen Namen immer noch nicht gesagt habe. Ein wenig überrascht über seinen Vorschlag mit dem Du ergreife ich seine Finger. Der Händedruck ist warm, kurz und fest. »Gut. Ich bin April Woods.«

»April«, wiederholt er meinen Namen mit diesem Akzent, von dem ich nicht weiß, ob er lächerlich oder anziehend ist. Auf jeden Fall sorgt er dafür, dass mein Körper überall kribbelt. Nicht darüber nachdenken. »Dann zeige ich dir mal, wo du für die nächsten Wochen wohnen wirst. Direkt im Anschluss hast du einen Termin mit den Dyers. Sie wollen besprechen, wie die Ankunft der Ladys abläuft. Danach stelle ich dich den beiden Teams vor. Jedes kümmert sich jeweils um zehn Damen. Und zusätzlich natürlich um dich.«

»Das machst nicht du?«

»Doch, auch. Ich bin Associate in Stellas Team.«

»Okay.« Er nickt. »Das mit den Bezeichnungen ist mir noch unklar. Stella ist wer?«

»Stella und John sind Production Manager. Ich bin Production Associate.«

»Dann werde ich also von einer Hilfskraft begrüßt? Nett.«

Schönes Gesicht hin oder her, die Arroganz dieses Kerls bringt mich an meine Grenzen. Ich verenge die Augen zu Schlitzen. »Diese Hilfskraft«, ich deute auf mich, »wird heute genau wie in den kommenden Tagen dafür sorgen, dass du bekommst, was du willst. Ist das Okay für dich?« Das war den Umständen entsprechend höflich.

»War nur eine Feststellung.« Er schenkt mir ein Lächeln, das er sicherlich für entwaffnend hält. Wirkt aber bei mir nicht. »Wie immer finde ich den Umgang in den USA insgesamt sehr erfrischend.«

Aha. Was auch immer er damit zum Ausdruck bringen möchte. Ich übergehe die Bemerkung und mache weiter im Programm. »Morgen früh wird dein Eintreffen gedreht. Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.« Ich laufe los und greife seinen Kommentar vom Anfang auf, um die Stille zu füllen. »Du wohnst also in Schottland nicht in so einer Burg?«

»Nein. Unser Anwesen ist …« Er stockt und sieht sich um. »Britischer.«

»Britisch ist also anders als schottisch?«

»Ja und nein. Wie ich bereits erwähnte, ist das hier rudimentär an Burgen in den schottischen Highlands angelehnt. Ich komme aus den östlichen Lowlands, fast an der Grenze zu England. Das ist etwas völlig anderes.«

»So als ob man aus Washington oder Florida kommt?«

»Möglich. Ich bin Schotte durch und durch, aber eben kein Highlander und auch kein Clan Chief. Meine Vorfahren waren Engländer, bevor sie den Titel vor etwas mehr als zweihundert Jahren verliehen bekommen haben. Das muss man wissen, um zu verstehen …« Er winkt ab. »Nicht so wichtig. Das hier ist das Showbusiness und da kommt es auf den Schein an. Ich gewöhne mich sicher daran.«

So viel Verständnis hätte ich ihm gar nicht zugetraut. »Passt wenigstens die Innenausstattung?«, frage ich, da wir den Eingangsbereich durchqueren. Nach seiner vernichtenden Kritik betrachte ich die Dekoration mit ganz neuen Augen. Boden und Wände sind aus unverputztem grauen Stein, was der Eingangshalle die Atmosphäre einer mittelalterlichen Burg verleiht. Links und rechts gehen dunkle Holztüren ab und vor uns befindet sich eine dieser riesigen Doppeltreppen, wie man sie eher in einem noblen alten Herrenhaus erwartet. Die Stufen sind mit dunkelrotem Teppich ausgelegt und in der Mitte steht eine Statue von Atlas, der die Weltkugel auf seinen Schultern trägt.

»Jedes Stück zeigt deutlich, dass weder Kosten noch Mühen gescheut wurden«, antwortet er diplomatisch. Kurz sieht er aus, als wolle er noch mehr sagen, schüttelt dann den Kopf und seufzt.

»Na, immerhin etwas.« Ich deute auf die Statue. »Vor diesem Kollegen wirst du morgen stehen und deine Damen begrüßen. Hier findet auch die Vergabe der Anhänger statt. Das hat man dir erklärt?«

»Die Frauen bekommen Armbänder überreicht und später zusätzlich Anhänger, wenn sie bleiben dürfen.« Seinem Tonfall meine ich zu entnehmen, dass er die Idee für wenig originell hält. Doch da es so im Skript steht, nicke ich lediglich. »Deine Zimmer sind im ersten Stock. Den Rest der Tour machen wir, sobald dein Meeting mit den Dyers vorüber ist.« Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürme ich die Treppe auf der linken Seite nach oben. Ich kann nur hoffen, dass er mir folgt. Schon fast oben angekommen, höre ich ihn fragen: »Warum Atlas?«

Ich stoppe und drehe mich zu ihm um. Er steht auf dem kleinen Absatz und betrachtet die Statue. Ich habe keinen Schimmer, was er will. »Was?«

»Atlas.« Er deutet auf den Titanen. »Man hätte jede beliebige Figur hinstellen können. Warum ausgerechnet Atlas?«

»Vielleicht steht die Innenarchitektin auf Muskelprotze?«

Sein Lachen erfüllt den Raum und sorgt dafür, dass sich einige Köpfe in unsere Richtung drehen. Und sich die Härchen an meinen Armen aufrichten. Wer hätte gedacht, dass unser Duke so ein sympathisches Lachen hat.

»Das wäre natürlich eine Erklärung.« Er deutet auf die Statue. »Andererseits ist er ein Symbol dafür, was passieren kann, wenn man auf der falschen Seite steht.«

Und schon zerstört er mit seinem belehrenden Tonfall den guten Eindruck direkt. Denkt er, ich habe keine Ahnung, was Atlas passiert ist? Da muss ich ihn enttäuschen. In meiner Jugend habe ich die Romane über Percy Jackson verschlungen. Ich weiß verdammt viel über griechische Mythologie. Atlas ist einer der Titanen, der Zeus entgegentrat – und verlor. Zur Strafe muss er für alle Zeiten die Weltkugel auf seinen Schultern tragen.

Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, ihm zu zeigen, dass ich verstehe, worauf er anspielt. »Dann sollten wir uns wohl nicht gegen Zeus stellen. Besser, man steht auf der richtigen Seite.«

Sein tiefer Seufzer überrascht mich. »Wenn man nur vorher wüsste, welche die richtige ist.« Er wendet sich von Atlas ab und sieht zu mir. »Das wäre praktisch, nicht wahr?« Mit zwei großen Schritten ist er neben mir. So nah, dass mir sein Duft in die Nase steigt: Zitrone und Zedernholz. Kein Aftershave, das ich je zuvor gerochen habe. Durchaus anziehend.

Ich ignoriere seinen letzten Kommentar und deute mit dem Kopf in Richtung Flur. »Komm mit!« Wäre doch gelacht, wenn mich ein arroganter Duke aus der Ruhe bringen könnte.

»Ich bin in einer halben Stunde zurück und zeige dir den Rest.« Lächelnd nicke ich Kayden zu, höre seine Antwort aber nicht mehr, da mein Funkgerät piept.

»Ja?«

Ein Knacken ertönt, dann die Stimme meiner Chefin Stella: »Ich habe ein paar Minuten Zeit für ein Briefing. Bring Kaffee mit.«

»Alles klar. Wo treffen wir uns?«

»Bin im Haus der Frauen. Für mich viel Zucker und fettarme Milch.« Ein erneutes Knacken ertönt und zeigt an, dass sie fertig ist. Natürlich muss ich den Kaffee besorgen und auf ein Bitte werde ich bei ihr wohl vergeblich warten. Aber ich wusste, worauf ich mich einlasse. Irgendwie hat Kayden recht. Als Associate bin ich kaum mehr als eine Hilfskraft. Ich hole Kaffee und Essen, erfülle Wünsche, lasse mich anschreien oder spende Trost und versuche später, sowohl Kayden als auch die Damen in eine Richtung zu lenken, die im Sinne des Senders ist. Ob das bei Kayden gut funktioniert, wird sich zeigen. Nach den wenigen Minuten mit ihm bin ich bereits überzeugt, dass er seine ganz eigene Vorstellung von allem hat und versuchen wird, die durchzusetzen.

In der Crewküche im Erdgeschoss angekommen, befülle ich zwei Becher mit Kaffee und gehe mit ihnen über das Gelände zu der kleinen Villa, in der die Frauen wohnen. Sie befindet sich auf dem Drehgelände und ist durch einen Zaun vom Hauptgebäude getrennt.

Im Gegensatz zum Haupthaus ist die Villa offen und luftig. Sie gleicht eher einem Südstaatenanwesen. Zwei große Säulen schmücken den Eingang, eine kleine Treppe führt hinauf zur Tür und links und rechts geht eine breite Terrasse ab, die um das Haus herumführt.

Das Innere hat nichts mehr mit einer altehrwürdigen Südstaatenvilla gemein. Direkt hinter der Eingangstür öffnet sich das weitläufige Wohnzimmer, dessen Kernstück eine große dunkelgraue Couch bildet. Sanft streiche ich mit der Hand über das weiche Veloursleder. Genau so eine Couch wünsche ich mir auch. Gern kleiner, schließlich müssten auf meiner keine zwanzig Frauen Platz finden.

Eine Bewegung aus den Augenwinkeln zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich rechne mit Stella, doch es ist nur ein weißer, fast durchsichtiger Vorhang, der sanft in der Frühlingsbrise weht. Dahinter erahnt man die Terrasse, die den Blick auf das einige Kilometer entfernte Meer freigibt.

»Ah, mein Kaffee!« Ich drehe den Kopf. Aus der offenen Küche kommt mir Stella entgegen. Wie jedes Mal, wenn ich sie sehe, bin ich begeistert von ihrem Siebziger-Look. Ihr Schrank ist ausschließlich mit Vintage aus diesem Jahrzehnt gefüllt. Heute trägt sie ein langes Kleid mit Carmenausschnitt und Blümchenmuster. »Genau zur rechten Zeit.« Sie nimmt den Pappbecher entgegen und zeigt durch den Raum. »Alle Kameras sind an ihrem Platz und funktionieren.« Mit einem wohligen Seufzen setzt sie sich und bedeutet mir, ihr zu folgen. »Hier sind die Akten der Frauen, für die wir zuständig sind.«

Ich setze mich zu ihr auf die Couch, sie öffnet die erste Mappe, wirft einen schnellen Blick darauf und dreht sie dann zu mir. »Rosalie. Ihr gehört Freegan Cosmetics, die Firma stellt vegane Cremes, Make-up und so weiter her. Sie hat zu Hause in ihrer Küche angefangen und Freegan Cosmetics mauserte sich durch Instagram zum Geheimtipp für Stars und Sternchen.« Ich betrachte das Foto genauer. Die Frau ist mir auf Anhieb sympathisch. Eine Afroamerikanerin mit kurzen Haaren und einem freundlichen Lächeln.

»Die nächste ist Dana.« Eine weitere Akte, ein weiteres Bild. Diesmal von einer blonden Frau, an der jeder Zoll Cheerleader und Ballkönigin schreit. »Sie war vor fünf Jahren Miss California, hatte kleinere TV-Auftritte und hat schon mal bei einem ähnlichen Format mitgemacht. Sie ist die Erfahrenste. Das kann ein Vorteil oder ein Nachteil für uns sein. Denn dadurch wird sie am schwersten zu lenken. Dafür bekommen wir alles, was Amerika sehen will: die hübsche Ex-Cheerleaderin, Ballkönigin, dann Schönheitskönigin und inzwischen Sternchen am TV-Himmel und Social-Media-Liebling.« Stella tippt mehrfach mit dem Zeigefinger auf das Foto. »Sie ist das Vorbild Tausender Mädchen, die zuschauen. Wenn sie den Duke bekäme, würde das all ihre Träume erfüllen.«

Na, wenn sie meint. Meine Träume sehen anders aus.

»Hier haben wir Shanaya. Das genaue Gegenteil. Ihre Mutter ist Koreanerin, ihr Vater ist Colonel bei den Marines. Sie ist oft umgezogen, hat ein paar Jahre mit der Familie im Ausland gelebt und nie irgendwo Wurzeln geschlagen. Nach der Show will sie ihr eigenes Tattoostudio eröffnen. Sie ist keine Option für einen Duke, wird jedoch Schwung in die Sache bringen. Wir sollten zusehen, dass wir sie erst kurz vor unserer Abreise zu den Familienbesuchen verlieren.«

Sie deutet auf die weiteren Akten. »Ganz ehrlich: Bei denen lohnt es sich nicht mal, sich die Namen zu merken. Die sind Füllmaterial, und die meisten werden im ersten Monat ausscheiden.« Mit einem Schulterzucken packt sie die Mappen zur Seite. »Wenn eins unserer Mädchen gewinnen soll, dann Rosalie oder Dana. Vielleicht sogar durch Shanayas Hilfe. Sie kann die beiden aus der Reserve locken. Sie ist frech und sagt, was sie denkt. Wenn es stimmt, was man über unseren Duke so hört, ist er kein Kostverächter und steht auf Exotisches. Wir konzentrieren uns also auf die drei. Shanaya für die Exotik und Rosalie oder Dana als potenzielle Duchess.«

Beim Wort Exotik hebe ich die Brauen, doch Stella ignoriert mich und spricht ungerührt weiter. »Denn am Ende ist er wie alle Männer: Egal worauf er steht, geheiratet wird standesgemäß, wie es von ihm erwartet wird.«

»Da könntest du recht haben. Hast du von der Geschichte mit seinem Kind gehört?«

»Mittelschichtfrau, die er mit Geld abgespeist hat, oder?«

»Ja, das habe ich auch gelesen.« Ich hätte noch viel mehr zu dem Thema zu sagen. Zum Beispiel, dass ich es unmöglich finde, einen Mann zum Star zu machen, der sich so verantwortungslos gegenüber seiner Familie verhält. Merkt eigentlich niemand, dass dabei auf den Gefühlen von Frauen herumgetrampelt wird, die von genau solchen Männern verarscht worden sind? Anscheinend nicht. Also zügele ich mich, denn es soll professionell bleiben.

»Ist das ein Problem für dich, Schätzchen?«

Da ist mein Pokerface wohl verrutscht. Weil ich mich davon abhalten will, doch etwas Schlechtes über den Duke zu sagen, schüttle ich den Kopf und verschränke die Arme vor der Brust.

Stellas Blick wird ernst. »April, ich sage das nur einmal: Du musst dich zügeln. Ich will diese Prämie. Zwanzigtausend, wenn eines meiner Mädchen gewinnt, und die Hälfte für dich. Bist du bereit, dafür deine persönlichen Gefühle hintanzustellen?«

Diesmal nicke ich. Keine Ahnung, was mich so wütend macht. Ich soll schließlich nur mit ihm arbeiten und keine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen.

»Dann umschmeichelst du jetzt unseren Duke und versuchst, so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Wie entspannt er, welche Musik hört er, was sind seine Vorlieben bei Frauen? Welche Stellung hat er am liebsten? All die kleinen Dinge, die er bei keinem Interview erwähnt.« Sie wedelt mit der Hand durch die Luft. »Maggy hat mir anvertraut, dass wir für Sex ebenfalls einen Bonus bekommen. Du siehst, jede noch so kleine Information hilft. Und April: Das Wichtigste ist, dass du ihn bei Laune hältst.«

»Das bekomme ich hin.« Wäre doch gelacht, wenn ich es nicht schaffe, diesen Kerl auf Kurs zu halten.

»Gut. Wie ist er so?«

»Sehr britisch und von sich selbst überzeugt«, antworte ich, ohne darüber nachzudenken, und füge schnell hinzu: »Aber damit komme ich klar.«

»Das solltest du, denn die Konkurrenz schläft nicht. John und Don haben sich sicherlich auch einen Plan zurechtgelegt. Unser größter Vorteil bist du. Und die Tatsache, dass die beiden heute beim Sender Verpflichtungen haben und ich deswegen dich als Begrüßungskomitee vorschicken konnte.« Sie zeigt auf mich und ein selbstgefälliges Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. »Du kannst nämlich gut mit Menschen. Und du bist vom Business noch unverseucht, das gibt dir eine Unschuld, die man nicht vortäuschen kann. Deshalb habe ich dich ausgesucht. Also nutze das.« Sie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Du solltest zurückgehen. Die Dyers werden gleich mit ihm fertig sein.« Sie ballt die Faust zu einer Siegerpose und setzt ein motivierendes Lächeln auf. »Hol uns die Infos, die uns an die Spitze katapultieren.«

»Schon auf dem Weg«, antworte ich mit deutlich mehr Enthusiasmus, als ich verspüre.

Wenn ich ehrlich bin, ist mir nach wie vor unwohl dabei, andere Menschen auszuspionieren und ihre Schwächen auszunutzen. Andererseits ist es so, wie Lindsay gesagt hat: Niemand wird zu etwas gezwungen. Der Duke und die Ladys sind freiwillig hier und bereit, ihre Seele zu verkaufen, wie Kayden es vorhin so schön formulierte. Dann kann sich auch keiner beschweren, wenn genau das geschieht. Am wenigsten der Duke of Barndon.

2

Kayden

Ein Lichtblick am Horizont

Wir haben vollstes Vertrauen in Sie, Kayden. Auf gutes Gelingen!« Dwayne Dyers joviales Grinsen stellt mich vor eine echte Herausforderung. Zum Glück bin ich viel gewohnt und habe Höflichkeit praktisch in die Wiege gelegt bekommen. »Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und werde mein Bestes geben, dass die Show ein Erfolg wird!« Ich setze mein Geschäftslächeln auf und drücke Dwayne und Maggy die Hand.

»Dann steht einem Emmy ja nichts mehr im Wege.« Dwayne grinst weiterhin und ich wende mich zur Tür. Männer wie ihn kenne ich gut. Zu viel Macht und leicht verdientes Geld geben ihnen ein Gefühl von Überlegenheit, das völlig ungebührlich ist. Ich weiß, dass ich gegenwärtig überall die Position des Bittstellers einnehme. Keine Rolle, die mir sonderlich liegt, doch ich musste lernen, mit solchen Situationen umzugehen. Betrachtet man meine bisherigen Erfolge, bin ich gar nicht mal schlecht darin. Mein Besitz gehört mir noch und ich musste niemanden entlassen. Fürs Erste eine positive Bilanz.

Meine Befindlichkeiten sind zweitrangig. Was zählt, ist, dass die Dyers glauben, ich sei der richtige Mann für diese Show. Wichtig ist am Ende nur die Summe, die auf mein Konto fließt. Auch wenn das bedeutet, mit einem Lächeln über diese Highlanderburg hinwegzusehen. Ich habe von Anfang an gewusst, dass Noble Match harte Arbeit wird. Ein öffentlicher Dauerauftritt ohne Privatsphäre.

Und natürlich hätte ich es schlechter treffen können. Welcher Mann träumt nicht davon, mit zwanzig Frauen in einer Luxusvilla eingesperrt zu sein und auch noch Geld dafür zu bekommen?

Ich trete durch die Tür, halte jedoch direkt wieder inne. Mein Blick fällt auf April. Sie sitzt gegenüber auf der Fensterbank und sieht in den Garten. Ihre weizenblonden Locken fallen ihr weich über die Schultern.

Mir ist bereits bei unserer ersten Begegnung aufgefallen, wie hübsch sie ist: der lange Hals, die fein geschwungene Nase und ihre natürliche Figur, an der mit Sicherheit jeder Zentimeter echt ist. Ich muss gestehen, sie gefällt mir. Leider hatten wir keinen guten Start. Mein Kommentar über diese Burg war eigentlich nicht an sie gerichtet gewesen. Selbstgespräche sind eine schlechte Angewohnheit, die ich dringend ablegen muss. Egal wie sehr es mir hilft, meine Emotionen in den Griff zu bekommen. Am Set sind schließlich überall versteckte Kameras und Mikrofone.

April zuckt zusammen, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, und sieht mich mit großen Augen an. Mit einem geübten Handgriff bindet sie sich das Haar zusammen. Schade.

»Hey«, sagt sie und lächelt. »Ich dachte, ihr braucht länger.«

»Ich werde noch genug Zeit mit den Dyers verbringen, da muss ich es nicht gleich am Anfang übertreiben. Es gibt angenehmere Gesellschaft« Ich hoffe, damit meinen Fauxpas von vorhin wieder gutmachen zu können.

Das Lächeln auf ihrem Gesicht wird breiter. »Sie bezahlen mein Gehalt, also schweige ich zu dem Thema.«

»Ein weiser Entschluss.« Ich nicke zum Fenster. »Gibt es dort draußen etwas Interessantes zu sehen?«

»Den Irrgarten. In einer Folge wirst du dort Frauen jagen.«

Die Idee hat Dwayne mir eben bereits vorgestellt. Ich soll als schottischer Clankrieger à la Outlander die Ladys durch das Labyrinth jagen, meine Favoritin in die Mitte lotsen, um ihr dort einen Kuss zu stehlen und einen Anhänger zu überreichen. Ich hoffe, er hat verstanden, dass das außer Frage steht.

»Darüber haben wir gerade gesprochen. Die Idee ist …« Da mir kein passendes Wort einfällt, das nicht beleidigend oder ausfallend wäre, zucke ich mit den Schultern.

»Überwältigend und genial?« Der Schalk in ihren Augen bringt mich zum Lachen.

»Indiskutabel trifft es eher. Ich werde das nicht machen.«

Ihre Stirn legt sich in Falten. »Sie werden sicher noch Schlimmeres von dir verlangen. Mit so etwas musst du doch gerechnet haben?«

»Nein«, antworte ich ehrlich. »Grundregeln von Sitte und Anstand hatte ich leichtsinnigerweise vorausgesetzt.«

Sie kneift die Augen zusammen, zieht die Nase kraus und schüttelt den Kopf. »Willkommen in Amerika.«

»Großbritannien ist in dieser Hinsicht ähnlich, fürchte ich.« Es gelingt mir, ein Schnauben zu unterdrücken, und ich deute den Gang entlang. Zwecklos, darüber zu diskutieren. »Die große Tour für mich? Fangen wir an? Ich möchte mich danach zurückziehen und von der Reise erholen.«

»Natürlich. Wir beginnen ganz oben und arbeiten uns durch bis in den Keller.«

»Ihr seid noch da?«, erklingt eine Stimme hinter uns.

Ich drehe mich zu Maggy Dyer um. An ihr ist alles perfekt. Zu perfekt. Allerdings völlig anders, als das zu Hause der Fall wäre. Die perfekte britische Adlige ist elegant und auf eine Art zurückhaltend gekleidet und gestylt, die Maggy fehlt. Jedes Detail ihres Äußeren ist ein Hauch zu viel: angefangen beim akkurat geschnittenen Bob über das enge Etuikleid bis hin zu den hohen Absätzen. Mir fällt kein besseres Wort ein als: amerikanisch.

»Kayden, Darling, wir brauchen dich in anderthalb Stunden zur Kostümprobe«, trällert sie in meine Richtung. Und um einiges kühler an April: »Halte ihn nicht zu lange auf, aber sei gründlich. Schließlich soll er sich nicht verlaufen.«

»Natürlich, Mrs Dyer. Wir wollten gerade los.«

»Sie hat mir den Irrgarten gezeigt.« Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, ich sollte April zur Seite stehen. »Ihn von oben zu sehen verschafft einen besseren Überblick. Nur falls wir doch …«

»Oh, das ist eine ganz wundervolle Idee, Darling.«

Ist sie mir gerade ins Wort gefallen? Offensichtlich.

»Ich hoffe, das hilft dir, zu erkennen, wie phänomenal unsere Idee ist. Wir sehen uns in anderthalb Stunden.« Mit diesen Worten wendet sie sich ab und schwebt den Gang hinunter.

Damn, dieser Kampf ist also noch nicht ausgestanden. Ich wende mich wieder April zu, die die Szene mit ausdruckslosem Gesicht verfolgt hat. Was sie wohl von all dem hier hält? Sie scheint nett zu sein und nur ihre Arbeit zu machen. Ihr Anblick eben am Fenster hat mich wirklich berührt. Keine Ahnung, was es konkret war, aber sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf, und wenn ich sie jetzt betrachte, spüre ich ein leichtes Ziehen in der Brust. God-damn, die erste Frau seit Jahren, die mich auf Anhieb interessiert, und ich treffe sie ausgerechnet hier. An dem Ort, an dem ich zwanzig andere Frauen daten soll. Inakzeptabel.

Diese Show ist buchstäblich meine letzte Chance. Das bedeutet im Klartext: volle Konzentration. Und das heißt wiederum: professionelle Distanz zu allen. Besonders zu ihr. Im Prinzip ist sie lediglich eine Angestellte, und so sollte ich sie auch behandeln.

Wir gelangen in das oberste Stockwerk, den ersten Teil unserer Führung. »Hier wohnt die Filmcrew«, erklärt sie.

»Du auch?«, frage ich beiläufig. So viel zu professioneller Distanz.

»Klar. Ich fahre nur alle zwei Wochen nach Hause.«

»Hast du Familie?« Eine viel zu intime Frage.

»Ich kümmere mich um meine kleine Nichte.«

»Sie lebt bei dir?« Das geht mich nichts an.

»Meine Schwester ist gestorben und unsere Mutter hat es inzwischen nach Florida verschlagen. Wir wollten Emily in ihrer vertrauten Umgebung lassen. Da wir uns vorher schon zu dritt ein Apartment geteilt hatten, lag es nahe, dass Emily einfach bei mir bleibt.«

Das klingt wie ein Vortrag, den man einstudiert hat, um den immer gleichen lästigen Fragen auszuweichen. So höre ich mich an, wenn ich über meine Familie oder meinen Titel spreche. Was sind wohl ihre Gründe?

Wir gehen die Stufen nach unten in den ersten Stock. Dort liegen meine Zimmer und die Büros der Dyers. Weil April offensichtlich nicht über Emily reden will und Diskretion zu meinen Stärken gehört, wechsle ich das Thema. »Die Frauen wohnen woanders?«

Ihre Mundwinkel heben sich ein wenig. Meine kleine Geste ist also angekommen. »Richtig, sie leben nebenan in einer Extravilla. Wenn wir ans Ende des Flurs gehen, kannst du das Haus sehen. Dort laufen die Kameras vierundzwanzig Stunden am Tag.«

»Wenn das bei mir so wäre, hätte ich nicht zugestimmt. Keine Aufnahmen in meinem Zimmer.« Das war eine meiner Bedingungen.

»Bei dieser Show geht es darum, die ganze Zeit im Rampenlicht zu stehen. Deshalb bist du doch hier?«

Natürlich denkt sie das. Alle denken das. Und ich kann es verstehen. Vor ein paar Jahren hätten sie damit auch richtiggelegen. Damals habe ich es genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Bis ich entdeckt habe, dass so ein Leben mehr Schattenseiten als Licht birgt. Weder die Medien noch die Konsumenten der Klatschpresse sind an der Wahrheit interessiert. Es ist ihnen egal, was sie anrichten, solange eine Story dabei herauskommt.

Kurz regt sich der Gedanke, dass April wahrscheinlich ähnlich ist. Sie gehört zur Crew der Show und die wollen Einschaltquoten. Das haben die Dyers eben mehr als deutlich gemacht. Wer sagt, dass April nicht nur versucht, mir auf den Zahn zu fühlen? Ich sollte auf der Hut sein und aufpassen, was ich von mir preisgebe – zumindest, bis ich weiß, wo sie steht. Also antworte ich: »Jeder hat wohl seine Gründe, hier zu sein, nicht wahr?«

»Mit dem Unterschied, dass du der Star der Sendung bist. Du bekommst eine Sonderbehandlung.«

»Dich zum Beispiel?« Warum sage ich so etwas? Wenigstens mildert mein leicht ironischer Tonfall die Worte ab. Ich sollte Distanz wahren. Andererseits kann es nicht schaden, mich mit ihr gutzustellen.

Sie kräuselt die Nase und mustert mich aufmerksamen aus blauen Augen. »Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin genauso für dich zuständig wie Don, der andere Assistent. Wir sorgen dafür, dass sowohl du als auch die Frauen überall pünktlich erscheinen und eure Wünsche erfüllt werden. Wir schlichten Streitigkeiten, falls es welche geben sollte, und so weiter.«

»Kein leichter Job.«

»Habe ich nie behauptet.« Sie deutet nach unten. »Wir haben noch das Erdgeschoss, den Keller und den Garten vor uns.« Mit diesen Worten marschiert sie weiter und ich hinterher.

»Stimmt es, dass auch die Crew ihre Handys abgeben muss?« Dieser Umstand hat mich ziemlich überrascht.

»Die Dyers sagen, niemand darf Kontakt zur Außenwelt haben, damit wir uns hier sicher fühlen und vollkommen frei bewegen können.«

»Wie passt das mit den Kameras überall zusammen?«

»Es geht eher darum, dass keine Info vorzeitig nach draußen gelangen soll. Außerdem ist da noch der Hype, den die Sendung auslösen wird. Die Resonanz in den sozialen Medien könnte den Frauen zu Kopf steigen. Oder dir.«

»Ich bin das gewohnt, aber ich verstehe, was du meinst. Einflüsse von außen sind unberechenbar.«

»Ganz genau.« Sie dreht kurz den Kopf in meine Richtung. »Was erwartest du dir von der Teilnahme an dieser Show?«, fragt sie völlig unvermittelt.

Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Nicht von ihr. Natürlich habe ich eine offizielle Antwort. Die sollte ich ihr geben. »Ich führe ein Leben, das sich viele wünschen, doch mit dem Titel habe ich auch große Verantwortung übernommen.« Der Teil entspricht der Wahrheit. »Ich bin ruhiger geworden, fokussiere mich auf das, was im Leben zählt.« Auch das ist wahr. »Die bedeutsamste Entdeckung, die der Tod meiner Eltern mir geschenkt hat, ist, wie wichtig es ist, den Menschen im Leben zu finden, mit dem man glücklich wird. Das Gesicht meines Vaters, als er mir sagte, dass er meine Mutter bald wiedersehen wird, werde ich nie vergessen. Was gibt es Erstrebenswerteres, als am Ende sagen zu können: Es war schön, diesen Weg gemeinsam zu gehen.« Das ist ziemlich dick aufgetragen. Mein Vater hat so etwas nie gesagt. Er und meine Mutter haben ihr Leben in einträchtiger Gleichgültigkeit nebeneinander verbracht. Sie ist ein Jahr vor ihm gestorben, und ich kann nicht behaupten, dass es ihn bekümmert hätte.

»Du willst mir also ernsthaft weismachen, dass du hier nach der großen Liebe suchst?«

Das ging daneben, sie glaubt mir offensichtlich kein Wort. An der Ansprache muss ich wohl noch feilen.

»Was spricht dagegen? Dieser Ort ist so gut wie jeder andere.« Damit komme ich der Wahrheit wieder sehr nah. »Ich bin schon mein Leben lang von Menschen umgeben, die mich mit meinem Titel gleichsetzen. Warum sollte ich das nicht in die Waagschale werfen und zu meinem Vorteil nutzen?«

April kneift die Augen zusammen. »Ich glaube, das war der ehrlichste Satz in deinem ganzen Vortrag. Damit kann ich arbeiten.«

Überrascht hebe ich die Brauen. »Arbeiten? War das ein Verhör?«

Sie bleibt mir eine Antwort schuldig. Mein Kommentar war scherzhafter Natur, denn natürlich ist das hier Arbeit. Bin ich ihr irgendwie zu nahe getreten? Oder habe ich ins Schwarze getroffen? Wir haben inzwischen das Erdgeschoss erreicht. Die Eingangshalle kenne ich schon. April zeigt mir den Speisesaal und einen großen Ballsaal, in dem Dekorateure am Werk sind.

»Hier findet übermorgen die Cocktailparty statt. Und später andere Events. Die restlichen Räume im Erdgeschoss sind für die Crew. Gehen wir weiter in den Keller. Dort gibt es einen großen Fitnessbereich und eine Sauna, die dich vielleicht interessieren.«

Ich folge ihr und überlege, ob ich meine Frage von vorhin wiederholen soll, doch sie kommt mir zuvor. »Verhör ist ein zu hartes Wort.«

»Und was wäre das richtige Wort?«

»Mein Job ist es, dir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Das kann ich am besten, wenn ich weiß, wer du bist und was du denkst. Meine Mutter sagt immer: Kenne die Menschen, für die du arbeitest, und vieles wird leichter. Ich denke, sie hat recht. Wenn man den Menschen ihre Wünsche erfüllt, bevor sie ihnen bewusst werden, ist vieles einfacher.«

Das mit dem Wünsche erfüllen hat sie schon mehrfach erwähnt, und mit jedem Mal werden meine Vorstellungen, was ich mir von ihr wünschen könnte, konkreter. Leider sind diese Gedanken nicht ansatzweise jugendfrei. Weil das unter gar keinen Umständen infrage kommt, sage ich noch einmal: »Pass auf, was du anbietest, April.«

3

April

Die Ankunft der Damen

Guten Morgen, April. Willst du mal was Nettes sehen?« Stella steht vor den Monitoren in unserem Ü-Raum. Das Ü steht wahlweise für Übertragung, Überwachung, Überraschung, Überarbeitung oder Überforderung. Es ist der Ort, an dem wir die Aufnahmen aller Kameras in Echtzeit sehen können und eine Tafel mit den Namen und Bildern der Frauen aufgestellt haben, um den Überblick (noch ein Wort mit Ü) zu behalten.

Außer Stella befindet sich noch der Assistent im Raum, der im Moment für die Sichtung der Videos zuständig ist.

Stella hält den Blick auf einen Bildschirm ganz oben links gerichtet. Dort sieht man Kayden, der aus dem Bad kommt. Völlig nackt. Heilige Scheiße! So ein Körper sollte verboten werden.

»Da sind Kameras in seinem Zimmer?«, platze ich heraus.

»Natürlich, hier sind überall Kameras.« Bei Stella klingt das, als wisse Kayden davon.

»Er hat mir gestern gesagt, dass es in seinem Zimmer keine gäbe. Das habe man ihm vertraglich zugesichert.«

Stellas Lachen klingt falsch, hat eine hinterhältige Note. »Im Vertrag steht, dass in seinem Zimmer keine Bilder für die Show aufgezeichnet werden. Wir können das also nicht senden, aber sehr wohl für unsere Zwecke nutzen.«

Ob ihm das bewusst ist? Das klang gestern anders. Mein Blick huscht zum Bildschirm. Oder weiß er, dass er gefilmt wird, und präsentiert sich absichtlich hüllenlos?

Stella zeigt mit dem Kaffeebecher auf Kayden. »Hübsches Kerlchen, unser Duke.« Dann dreht sie sich zu mir. »Also, gehen wir noch mal durch, was wir über unseren Adonis wissen.«

Wenn er gern Haut zeigt, können wir das vielleicht ausnutzen. Ich muss das bei Gelegenheit überprüfen. Erst mal zähle ich Stella auf, was ich herausgefunden habe.

»Kayden hat ein Gespür dafür, wenn Menschen über etwas nicht reden wollen. Er hasst die Irrgartenidee und ist sehr von sich eingenommen. Die Location sieht ihm zu sehr nach Highlander aus. Und …« Ich zögere einen kleinen Moment. »Entweder hasst er Kameras oder er liebt sie heimlich. Ich bin mir noch unsicher.«

»Egal, das hilft uns nicht weiter.« Seufzend stellt Stella ihren Kaffeebecher ab. »Du musst tiefer bohren.«

»Warum steht ihr hier rum und trinkt Kaffee?«, unterbricht Maggy Dyer unsere Unterhaltung. Ihr Blick fällt auf den Monitor und bleibt auf Kayden hängen, der sich gerade anzieht. »Na, was haben wir denn da? Diese Bauchmuskeln müssen wir unbedingt in Szene setzen. Irgendwer eine Idee?«

Stella setzt gerade zu einer Antwort an, als John und Don hereinkommen. »Ideen haben wir viele. Worum geht’s?«

»Darum, diesen Traumkörper in Szene zu setzen.« Maggy zeigt auf den Bildschirm. »Das Team, das ihn dazu bringt, heute noch oben ohne vor die Kamera zu treten, bekommt eine Stunde Exklusivzeit mit dem Duke!« Mit diesen Worten scheint für sie alles gesagt, denn sie rauscht wieder aus dem Raum.

Stella reibt sich die Hände und winkt mich zu sich. Auch John und Don beraten sich leise.

»Das ist unsere Chance, April. Du hast bereits einen Draht zu ihm. Meinst du, du könntest ihn dazu bringen, die Hüllen fallen zu lassen? Vielleicht dreht er ein paar Runden im Pool? Heute nach dem Dreh, sobald die Frauen angereist sind. Ich sorge dann dafür, dass unsere Favoritinnen ans Set gelangen. Vielleicht steht zufällig die Tür zum Pool offen und wir geben einen kleinen Tipp? Da fällt uns schon etwas ein. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«

Eine vage Idee formt sich in meinem Kopf. Das kann ich schaffen. »Klar, wird gemacht.«

»Sehr gut. Dann los. Wir drehen gleich seine Ankunft, und er hat dich angefordert, für sein leibliches Wohl zu sorgen. Gute Arbeit.« Sie klopft mir auf die Schulter und geht mit einem falschen Lächeln im Gesicht auf John zu.

Ich mache mich auf den Weg zu Kaydens Räumen und klopfe an die Tür. Sein »Herein« erfolgt sofort und ich trete ein. Er hat mehrere Zimmer für sich allein, die sich deutlich von denen der Villa der Damen unterscheiden. In ihrem Haus stehen Leichtigkeit und Verspieltheit im Vordergrund. Bei Kayden ist es männliche Eleganz. Die Möbel sind aus dunklem Holz, genau wie die Dielen. Luftige Gardinen sucht man vergebens. Sie sind aus schwerem Stoff und ordentlich drapiert. Trotz der geöffneten Balkontür bewegen sie sich nicht. Selbst das breite Sofa zeigt sich in dunkelbraunem Leder. Aufgelockert wird das Ganze durch wenige helle Akzente und ein paar Pflanzen.

Kayden ist im Schlafzimmer. Ich kann ihn durch die offene Tür sehen. Er steht am Bett und schließt gerade den letzten Knopf seines Hemdes. Es liegt eng an und verbirgt kaum, was ich eben noch hüllenlos gesehen habe. Außerdem trägt er ein altmodisches Paar Hosenträger zum Anknöpfen. Eleganz pur, muss ich zugeben – und auch, dass mir das gefällt.

»Ah, April, wunderbar. Ich habe eine Aufgabe für dich. Es geht um meinen Tee. Auf dem Schreibtisch steht ein Päckchen Assam. Weißt du, wie man ordentlichen Tee zubereitet?«

»Ich kann Tee vom Büfett holen, der …«

»Kommt gar nicht in Frage.«

»Du hast ihn doch gar nicht probiert.« Schon während ich spreche, ist mir klar, dass ich diesen Satz auch zu Emily sagen würde. Ich werfe einen schnellen Blick zum Duke. Es sieht nicht so aus, als hätte er bemerkt, dass ich mit ihm spreche wie mit einer Siebenjährigen.

Stattdessen seufzt er theatralisch und greift nach einer dunkelroten Krawatte. »Lass mich raten: Ihr habt verschiedene Teebeutel im Angebot und einen Automaten, der heißes Wasser spendet?«

»Ja, so kann jeder …«

»Ich bin nicht jeder«, unterbricht er mich barsch.

Ja, das ist mir schon aufgefallen. Doch ich schweige, lächle und höre ihm weiter zu.

»Ihr Amerikaner habt zweifellos eure Stärken, die Kunst, ordentlichen Tee zuzubereiten, gehört sicher nicht dazu.«

Kaydens Krawatte sitzt inzwischen an Ort und Stelle und er greift nach einer grauen Weste. »Und deshalb werde ich dir beibringen, wie man ordentlichen Tee kocht. Damit bist du offiziell dafür zuständig, dass ich morgens und nachmittags je eine frische Kanne bekomme. Wichtig ist, dass es morgens Assam ist und zur Teatime Earl Grey.«

Das wird Stella sicher gefallen. Auf eine Sache muss ich ihn allerdings hinweisen. »Und wenn ich woanders gebraucht werde oder freihabe?«

»Dann werde ich meinen Tee ausnahmsweise selbst zubereiten.« Inzwischen hat er auch die Weste zugeknöpft und geht auf den Schreibtisch zu. »Im Prinzip ist es ganz einfach. Du kochst Wasser im Wasserkocher auf. Und mit kochen meine ich kochen, nicht heiß machen. Nimm dafür immer frisches Wasser! Niemals welches, das vorher bereits aufgekocht war.«

Was erwartet er von mir? Soll ich gleich anfangen, oder kommt da noch was?

»Vielleicht willst du Wasser holen?«, fragt er und deutet auf das Bad.

»Ich soll sofort …?«

»Ja, ich wäre einer Tasse Tee nicht abgeneigt. Deshalb demonstriere ich dir hier und jetzt, wie es geht.« Und das tut er. Über zehn Minuten lang.

Ich hätte niemals gedacht, dass man aus so etwas Simplem wie Teekochen eine Wissenschaft machen kann. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich durch und durch Kaffeetrinkerin bin. Tee nehme ich nur im Notfall. Aber jetzt weiß ich, wie unser Duke ihn mag und wie wichtig die richtige Kanne, die richtige Wassertemperatur, die richtige Ziehzeit und die richtige Milch sind. Mir war nicht mal klar, dass es Menschen gibt, die Milch in ihren Tee geben. Aber nur fettarme und immer vor dem Tee. Da war er deutlich. Ich halte Milch schon bei Kaffee für ein Verbrechen, behalte meine Meinung allerdings für mich, folge seinen Anweisungen und schließlich hält er seine – hoffentlich perfekte – Tasse Tee in Händen.

Fasziniert beobachte ich, wie er vorsichtig an dem Gebräu nippt, dann genüsslich die Augen schließt und völlig entspannt und zufrieden lächelt. »Das nenne ich einen ordentlichen Tee«, sagt er leise, trinkt einen weiteren Schluck und stelle die Tasse ab.

»Eine Sache noch: Bitte serviere mir unter keinen Umständen Tee in einem Pappbecher. Sollte keine passende Tasse zur Hand sein, trinke ich lieber Kaffee.«

»Ach, Kaffee geht auch?« Hätte ich nicht gedacht.

»Selbstverständlich. Ich mag Kaffee. Nur nicht zum Frühstück oder zur Teatime.« Er leert seinen Tee, drückt mir die Tasse in die Hand und greift nach seinem Jackett. »Nimm bitte die Kanne mit. Wenn ich das richtig sehe, haben wir keine Zeit mehr für ein ausgiebiges Frühstück?« Ohne auf meine Antwort zu warten, spricht er weiter. »Mein Fehler, der Jetlag macht mich müde. Könntest du mir eine Kleinigkeit besorgen? Und mich auf dem Weg nach unten informieren, was heute noch ansteht?« Mit diesen Worten ist er auch schon an der Tür. Bevor er nach draußen tritt, schließt er den obersten Knopf seines Jacketts. Bei ihm sieht das auf charmante Weise elegant aus. Ob ihm das bewusst ist?

»Kommst du?«, fragt er und macht eine ungeduldige Bewegung.

»Klar«, antworte ich schnell, fülle Milch in die Tasse und schnappe mir die Teekanne, bevor ich zur Tür gehe. Er hält sie für mich auf und tritt erst nach mir in den Flur.

»Also, wie ist der Ablauf für heute?«, fragt er noch einmal.

»Erst drehen wir deine Ankunft. Die läuft im Prinzip so ab wie gestern, nur dass nicht ich dich begrüße, sondern die Dyers. Danach gibt es Mittagessen und du hast Zeit, dich umzuziehen. Ab vierzehn Uhr kommen die Frauen an. Du begrüßt sie, redest kurz mit jeder einzelnen und übergibst die Armbänder. Im Anschluss gehen die Frauen zum Interview mit Maggy oder Dwayne und beziehen ihre Villa. Den Rest des Abends habt ihr frei. Du könntest draußen schwimmen gehen, der Pool und der Bereich darum sind beheizt.« Mal sehen, ob das schon reicht, um ihn oben ohne ins Bild zu bekommen.

»Ich nehme mal an, dass die Kameras am Pool angeschaltet sein werden.«

»Natürlich. Dann haben alle was davon.«

Wir sind inzwischen bei der Treppe angekommen und gehen nebeneinander nach unten. »Ich bin Schotte, Kälte macht mir nichts aus, und eine Runde im Pool könnte nach so einem Tag tatsächlich genau das Richtige sein.«

»Wunderbar.« Das heißt für mich, ich muss nur noch dafür sorgen, dass Maggy mitbekommt, wer Kayden dazu gebracht hat, seinen Körper am Pool zu zeigen.

»Also dann: Erst meine Ankunft, dann die der Damen und am Ende eine paar Runden im Pool«, fasst er zusammen. »Um fünf machen wir Pause und du servierst mir meinen Tee.« Sein Blick wandert durch die Eingangshalle, in der reger Betrieb herrscht. »Gibt es einen ruhigen Ort hier? Der Nachmittagstee ist mir wichtig, und ich möchte dabei vorzugsweise allein sein. Bekommst du das hin?«

»Klar.« Das sage ich ziemlich oft zu ihm. Liegt wahrscheinlich daran, dass er ständig an meinen Fähigkeiten zweifelt. Davon lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen.

Wir sind am Eingang angekommen. Dort empfängt ihn die Visagistin und sie verschwinden in Richtung Garderobe. Mit einem kurzen Blick zu mir zeigt er vielsagend auf den Tee in meiner Hand. Ich schenke ihm eine weitere Tasse ein – mit genau der richtigen Menge Milch und nur zu drei viertel gefüllt. »Sonst kann man nicht anständig daraus trinken«, hatte er mir vorhin erklärt.

Ich reiche ihm den Tee, während die Visagistin dabei ist, sein Gesicht abzupudern. Er nimmt ihn schweigend entgegen, trinkt einen Schluck und auf seinem Gesicht erscheint dieses Lächeln, das ich sonst nicht an ihm sehe. Es scheint für den perfekten Tee reserviert. Keine Ahnung, ob diese Information irgendetwas wert ist.

Er wollte eine Kleinigkeit zum Frühstück. Also mache ich mich auf zum Büfett und überlege, was geeignet wäre, um es schnell vor dem Dreh zu essen. Ein Donut sollte gehen. Ich schnappe mir einen mit Zucker und gehe zurück zur Maske.