North of Paradise - Thomas Engström - E-Book
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North of Paradise E-Book

Thomas Engström

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Beschreibung

Ein Agent, der nichts mehr zu verlieren hat. Politische Feinde, denen keiner entkommt …

Mord in Miami: Zwei Anführer der Exilkubaner werden hinterhältig getötet. Die Tat gibt sofort Anlass zu weitreichenden Spekulationen. War es ein Racheakt des kubanischen Regimes? Ludwig Licht, der inzwischen in Miami lebt, wird von seinem früheren CIA-Kollegen gebeten, den Mordfall zu untersuchen. Dabei gerät er in einen undurchschaubaren Sumpf aus jahrzehntelanger politischer Verschwörung und gefährlichen Bedrohungsszenarien. Die diplomatischen Spannungen zwischen Kuba, USA und Russland nehmen Tag für Tag zu. Denn das alles entscheidende Machtspiel um Kuba hat gerade erst begonnen ...

Wie schon in den ersten Beiden Bänden »West of Liberty« und »South of Hell« muss Ludwig Licht auch in dem folgenden und letzten Band »East of Inferno« gegen das Böse kämpfen. In Tiflis und den finsteren Bergregionen des Kaukasus wartet auf ihn die härteste Auseinandersetzung seines Lebens.

»Thomas Engström entwickelt den klassischen Agententhriller genial weiter: Sein Stil ist rasant, die Spannung gigantisch und sein Humor absolut erfrischend!« Arne Dahl

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Seitenzahl: 298

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Inhalt

Ein Mord an zwei Anführern der Exilkubaner in Miami gibt Anlass zu weitreichenden politischen Spekulationen und Verdächtigungen. War es ein Racheakt des kubanischen Regimes? Ludwig Licht, inzwischen in Miami wohnhaft, wird von seinem früheren CIA-Kollegen Clive Berner gebeten, den Mordfall näher zu untersuchen. Dabei gerät er in einen undurchschaubaren Sumpf aus jahrzehntelanger politischer Verschwörung und gefährlichen Machenschaften - mit unvorhersehbaren diplomatischen Spannungen zwischen Kuba, den USA und Russland. Denn das entscheidende Machtspiel um Kuba hat gerade erst begonnen …

Autor

Thomas Engström, 1975 geboren, ist Jurist und arbeitet seit vielen Jahren als Journalist, Übersetzer und Autor. North of Paradise ist der dritte Band seiner international gefeierten und preisgekrönten Ludwig-Licht-Serie, zu der es eine spektakuläre ZDF-Verfilmung mit Wotan Wilke Möhring in der Hauptrolle gibt. Der abschließende vierte Band »East of Inferno« erscheint im Februar 2020 bei C. Bertelsmann.

Thomas

Engström

NorthParadise

Ein Ludwig-Licht-Thriller

Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt

C.Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Norr om Paradisetbei Albert Bonniers Förlag, Stockholm

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2015 by Thomas Engström

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

beim C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Published by agreement with Salomonsson Agency

Covergestaltung: bürosüd

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-18332-5V002

www.cbertelsmann.de

Für meine geliebte Margit

Aus totalitärer Sicht ist Geschichte etwas, das geschaffen wird, und nichts, woraus man Lehren ziehen sollte.

George Orwell, The Prevention of Literature

Prolog

Versailles, SW 8th St.

Little Havana, Florida, USA

Mo., 9. Juni 2014

[23:45 EST]

Wer lange genug lebt, wird irgendwann verraten. Feindschaft ist keine Komplikation, sie ist ein Naturzustand.

Kurz vor Mitternacht war die Luft in Little Havanna ein einziges Parfüm. Zuckersüßer Jasmin und Moschus bildeten die schwere Basisnote, erhitzter Asphalt, Benzin und Zigarren erzeugten die Herznote, und die Kopfnote bestand aus geräuchertem Schweinefleisch, gegrilltem Jalapeño, geröstetem Oregano und brennendem Cayennepfeffer. Die Leute bewegten sich in Grüppchen – einige waren auf dem Heimweg nach einer ausgedehnten Mahlzeit, an­dere strebten den Clubs zu, in denen bereits Frauen mit türkisen Stilettos und übergeschlagenen Beinen warteten, bewacht von Türstehern mit verschränkten tätowierten Armen.

In dem riesigen Stadtteil waren wenige Häuser höher als drei Stockwerke, und kaum einer sprach besser Englisch als ein durchschnittlicher Fünfjähriger in dem Land, in das sie geflüchtet waren.

Am Parkplatz hinter dem Restaurant Versailles in der SW 8th Street stand ein Mann mit einem Damenfahrrad. Er trug einen Motorradhelm mit geschlossenem Visier, ein etwas unangenehmer Anblick, aber nicht das Schlimmste, was einem an einem Spätabend in Miami begegnen konnte. Er atmete angestrengt – die Temperatur betrug 29 Grad – und er musste das Visier hochklappen, damit das Plexiglas nicht von innen beschlug.

Von seiner Position aus sah er Leute in Gruppen aus dem ­Lokal schlendern, keine »amerikanischen« Kubaner, sondern richtige Exilkubaner, Leute, die darauf warteten, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, die sie als gestohlen empfanden. Das Versailles bildete das Herz des Widerstands gegen das Castro-Regime. Hier waren Aktionen, Entführungen, Morde, ganze Putsche geplant worden. Hier hatte eine der radikalsten Fraktionen des Kalten Krieges ihren letzten sicheren Stützpunkt. Bis zu diesem Abend.

Das laute Hupen eines vorbeifahrenden großen Lastwagens brachte den Mann mit dem Fahrrad beinahe aus dem Gleichgewicht. Er schwitzte stark, schaute ein weiteres Mal auf seine Armbanduhr und überprüfte seinen Puls, indem er zwei Finger an seine Halsschlagader legte.

Sein Einsatz war für das Gelingen des Plans von entscheidender Bedeutung. Dabei war er, wenn alles nach Plan verlief, vollkommen überflüssig. Bestenfalls musste er nur ein Zeichen geben, schlimmstenfalls musste er einfach seine Arbeit tun und sich in einen Roboter verwandeln. Diese Fähigkeit hatte er in monatelangen Kämpfen in Städten am anderen Ende der Welt erlernt und optimiert. Diesen Umstand rief er sich im Laufe von zehn Minuten mindestens zwanzigmal in Erinnerung und holte zuletzt einige Male tief Luft.

Da.

Die Zielpersonen traten durch die Hintertür ins Freie. Der eine trug ein paar Tüten in der Hand – Brot aus der Bäckerei des Versailles oder ein Doggybag. Beide waren übergewichtig und Mitte sechzig. Sie grüßten den Wachmann, und dieser musterte sie eingehend, um festzustellen, ob er ihnen vom Auto abraten sollte.

Das war der unsicherste Teil des Plans. Monatelang hatten sie die Gewohnheiten der Männer studiert, die für gewöhnlich nicht mehr als zwei Gläser Wein tranken. Acht von zehn Malen fuhren sie also mit den eigenen Autos nach Hause und zwei von zehn Malen mit dem Taxi. Es bestand eine also zwanzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass er seine dunkelgrüne Heckler & Koch USP benutzen musste, die in einer großen Seitentasche seiner Armeehose steckte.

Eine der Zielpersonen sagte etwas, und der Wachmann lachte und breitete die Arme aus, als würde er kapitulieren. Dann gingen die beiden Männer zu ihren Autos, die drei Stellplätze voneinander entfernt standen. Noch konnte er sich nicht sicher sein, ob sie vielleicht nur etwas aus dem Kofferraum nehmen und dann ein Taxi rufen wollten. Jetzt musste er seinen Puls nicht mehr ertasten. Er hörte ihn im Kopf und konnte einfach mitzählen. Zehn Sekunden für achtzehn Pulsschläge.

Die beiden Männer umarmten sich, klopften einander auf die Schulter, trennten sich und gingen auf ihre schwarzen Autos zu. Sofort verlangsamte sich sein Puls. Es war beinahe vorbei. Jetzt war es an der Zeit, das Zeichen zu geben.

Er hob einen Zeigefinger in die Luft, ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Dann setzte er sich auf den Sattel und radelte langsam davon.

Drei Sekunden vergingen. Die träge Luft schien sich wie durch eine alles verzehrende Kraft zu komprimieren. Dann verfärbte sich der blauschwarze Himmel hinter ihm weiß, ein hungriges, wütendes Flammenmeer. Glas splitterte, Alarmanlagen schrillten, Blech, Plastik und Menschen wirbelten durch die Nacht und blieben brennend auf der warmen Erde liegen.

Der Krieg hatte begonnen. Vielleicht war er bereits gewonnen.

Abteilung L

342 SW 8th Avenue

Little Havana, Florida, USA

Di., 10. Juni 2014

[10:05 EST]

In Little Havana wohnten etwa sechzigtausend Kubaner und ein Deutscher – ein blonder siebenundfünfzigjähriger Mann, der sich gegen zehn Uhr morgens in seinem knarrenden Feldbett umdrehte, ohne sich daran erinnern zu können, wo er sich befand. Erst als er den Straßenlärm und den Gesang auf der Veranda hörte, fiel es ihm wieder ein.

Florida war ein Witz. Die Hitze hing in der Luft wie Laserpunkte, die nach den kühlen Flecken auf Ludwig Lichts verschwitzter Haut suchten und sie wegbrannten. Florida war ein Paradies ohne Engel.

»Guten Morgen, Papi«, sagte Carmen, als Ludwig in einem dünnen hellblauen Bademantel in den Schatten vor dem kleinen terrakottafarbenen Haus trat. Einzig Carmens Pupillen waren groß. Im Übrigen war sie eine kleine, drahtige Erscheinung. Es hatte einige Wochen gedauert, bis Ludwig angefangen hatte, sie als Erwachsene zu sehen, obwohl sie die Vierzig bereits überschritten hatte.

Natürlich glaubten viele Nachbarn, dass Ludwig mit ihr schlief, aber das entsprach nicht ihrer Vereinbarung. Carmen war sein Wachhund und durfte dafür in einem Schuppen im Garten wohnen. Ein großer Vorteil war, dass sie nie schlief, jedenfalls nicht, soweit Ludwig es beurteilen konnte. Sie lebte von Kiwisaft und Maisbrot mit Haschisch. Einige Male im Monat gab ihr der Bäcker einige Straßen weiter ein Stück Torte aus. Ihre Abmachung umfasste weiterhin, dass sie Küche und Bad im Haus benutzen durfte, wenn Ludwig nicht da war. Er hatte sie noch nie in seinen vier Wänden gesehen, merkte aber, wenn sie die Dusche benutzt hatte, und fand in der Küche gelegentlich Kiwisaftspritzer.

Die Veranda war von Säulen und einer niedrigen Ziegelmauer umgeben und hatte die Größe eines Kombis. Der Garten, der bis zum meterhohen Maschendrahtzaun reichte, besaß in etwa dieselben Ausmaße. Von den acht Palmen stand nur jede zweite innerhalb des Zauns, was Ludwig erhebliche Probleme verursachte, denn die Dade-County-Parkverwaltung weigerte sich, die Bäume innerhalb seines Zauns zu beschneiden. Er hatte versucht, mittels Bestechung eine Lösung herbeizuführen, aber trotz des Eindrucks, der sich ihm tagtäglich aufdrängte, schien er sich doch nicht in einer Bananenrepublik zweiter Klasse aufzuhalten. Er befand sich in den Vereinigten Staaten, die von der Ineffektivität unterentwickelter Regionen, aber nicht der dazugehörigen Flexibilität geprägt waren.

Ludwig spähte über die Südwestecke des Riverside Parks auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hinter einem oben abgeschrägten, ballsicheren Maschendrahtzaun lag ein Sportplatz mit hellgelbem Sand, der im diesigen Morgenlicht zu leuchten schien. Im Augenblick war er leer, aber der dumpfe Knall der Schläger hatte sich wie der Takt einer Marschtrommel in Ludwigs Kopf festgesetzt.

Fußgänger und Radler schienen sich oft schneller und zielstrebiger vorwärtszubewegen als die ungleichmäßig vorbeiströmenden Autos. Nach einer Weile hatte Ludwig erkannt, woran das lag: An jeder Kreuzung galt rechts vor links, und ein Durchkommen war schwierig. In dieses Viertel geriet man nur versehentlich und suchte anschließend verzweifelt nach der nächsten Schnellstraße. Die einzige Frage, die verirrte Autofahrer einem je stellten, lautete: »Wie komme ich hier weg?«

»Guten Morgen«, brummte Ludwig, zog seinen Flachmann aus der Tasche des Bademantels und trank ein paar Schlucke warmen Bourbon, bevor er seine Füße in ein Paar rote Badelatschen schob, die Gartenpforte öffnete und ein Stück am Park entlangging. Mit geübter Handbewegung und einem Gummiband raffte er sein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Sein Stammlokal lag nur fünfzig Meter entfernt. Genau genommen bestand es nur aus einer Tür in der Wand, drei Plastikstühlen und ein paar umgedrehten Bierkästen unter einer Markise. Die Markise hatte dieselbe Farbe wie amerikanische Autobahnschilder. Die Eigentümerin des Lokals gehörte zu den Unternehmern, mit denen Ludwig eine stillschweigende Vereinbarung eingegangen war. Jeden Morgen half er ihr, ohne dass dabei ein Wort gewechselt wurde, einen mittelalterlichen Lautsprecher neben den Airconditioner an der Straße zu hängen. Dafür erhielt er einen Café con leche und ein vier Grad kaltes Budweiser. Wenn sie abends allein im Lokal arbeitete, begleitete er sie mit der Tageskasse zu ihrem Auto.

Nachdem er den Lautsprecher angebracht hatte – während die Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, ihm den Rücken zukehrte und etwas auf dem Herd briet –, räusperte er sich, verließ das Lokal und setzte sich auf einen der drei Stühle. Zwei Minuten später standen Bier und Kaffee vor ihm. Er goss etwas Bourbon in den wässrigen, grauen Kaffee, massierte sich die Schläfen und trank. Langsam begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Allerdings war es noch zu früh, um zu erfassen, womit es sich beschäftigte. Vermutlich mit der stinkenden, heruntergekommenen Kneipe, die er drüben in der 7th Street besaß.

Auf der Bierkiste, auf der seine Füße lagen, lag auch die Sonderausgabe des Miami Herald.

Bombenanschlag im Herzen von Little Havana – Drei Tote

Gouverneur Scott im Krisengespräch mit Washington nach den Autobomben vor dem Versailles. Erhöhte Terrorbereitschaft?

Ein Angestellter des Lokals war ums Leben gekommen sowie Guevo Laziles und Pablo Rojas, die zur Führung des militanten Teils der exilkubanischen Bewegung FRPF gehörten, deren Sprecher Laziles seit fünfzehn Jahren gewesen war. Die Miami-Dade Police teilte schon bald mit, die Ermittlungen abgeben zu wollen, da es sich um eine terroristische Straftat handele, für die die State Police zuständig sei. Unbestätigten Angaben zufolge waren bereits eine halbe Stunde nach dem Anschlag Bombenspezialisten des FBI-Miami zur Stelle.

In seinem Blog erklärte Jesus Esquivel, laut übereinstimmenden Informationen der dritte Mann der FRPF-Führung: »Die amerikanische Öffentlichkeit muss endlich aufwachen. Die Lakaien des Castro-Regimes stellen eine ernsthafte Bedrohung dar. Sie leben in unserer Mitte und schrecken auch in der Hochburg der Demokratie und Freiheit nicht vor kaltblütigen Morden zurück. Wir trauern um unsere Kameraden und beten in dieser schweren Zeit für ihre Familien. Dennoch geht der Kampf unermüdlich weiter.«

Ludwig hörte auf zu lesen. Ein edlerer Mensch in besserer Verfassung als er wäre vermutlich nicht auf die Idee gekommen, dass alles, was dem Versailles schadete, kleinere Lokale begünstigte. Doch Ludwig Licht legte die Zeitung mit der bedenklichen Schadenfreude eines Säufers beiseite.

Leider half nicht einmal das gegen seine Kopfschmerzen. Aus der linken Tasche seines Bademantels nahm er zwei Aspirin und warf sie in die Bierflasche, in der es zischte und schäumte. Genüsslich schlürfte er den Schaum in sich hinein und schloss die Augen. Dann plante er einen weiteren vollkommen sinnlosen Tag seiner eigenen Endlagerung.

EinehalbeStundespäterhattenseineKopfschmerzenumfünfzigProzentabgenommen,währendderbeunruhigendniedrigeAlkoholpegelseinesBlutesstetiganstieg.AlserzuseinemHauszurückkehrte,dasfastdasgesamteEckgrundstückeinnahm,saßCarmenimmernochaufderVerandaundflochtweißgrüneRosenausPalmwedeln,diesieanTouristenverkaufte,wennsiegeradenichtarbeiten wollte oder ihr der Einlass in den Stripclub verwehrt wurde.

»Eben war ein Auto hier«, sagte sie, ohne ihre Handarbeit aus dem Blick zu lassen.

»Bitte?«

»Hier vor der Tür hat ein Wagen gehalten. Zwei Typen in Anzügen haben zu mir rübergestarrt und sind dann weitergefahren.«

»Hast du mit ihnen geredet?«

»Das waren keine Freier. Jedenfalls glaube ich es nicht.«

»Nein. Aber hast du etwas zu ihnen was gesagt?«

»Nicht wirklich.« Als Antwort auf Ludwigs fragenden Blick fügte sie hinzu: »Ich habe ihnen den Mittelfinger gezeigt und was auf ihr Auto geworfen. Das ist doch nicht weiter schlimm, Papi?«

Ludwig schüttelte den Kopf und leerte seinen Flachmann. »Nein, nein, das ist großartig.«

SieschwiegeneinpaarMinuten.DieTemperaturstieg,undLud­wig hatte das Gefühl, als entwiche die gesamte nächtliche Feuchtigkeit aus seinen Poren. Es war wie in der Sauna, einen Moment lang war ihm kühl und im nächsten brennend heiß. Er fluchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, blieb aber trotzig auf der Veranda stehen.

Ludwig wohnte seit gut anderthalb Jahren in Miami, seit er Malvin Klaces Neonazi-Terrorgruppe in den Bergen von Pennsylvania infiltriert und dann in Washington gesprengt hatte. Anderthalb Jahre. Einen Teil dieser Zeit war er nüchtern gewesen. Oder musste es gewesen sein. Anfänglich zumindest.

Zum Teufel damit. Dieser Tag eignete sich weder zum Grübeln noch um wesentliche Beschlüsse zu fassen.

»Könntest du mir bitte ein paar dicke Joints rollen?«, fragte Ludwig mit heiserer Stimme.

Sofort legte Carmen die in Streifen geschnittenen Palmwedel beiseite, öffnete ihre geräumige Schultertasche und fing an.

Es war halb zwölf. Ludwig holte sein Handy vom Couchtisch im Wohnzimmer, kehrte auf die Veranda zurück und rief Dwight an.

»Fünf oder sechs Stunden, könnte das heute funktionieren?«, fragte er, als der Amerikaner abhob.

»Vermutlich schon. Ich muss nur erst noch die Planung bereini­gen. So kurzfristig kostet extra, das ist dir hoffentlich klar, oder? Keiner freut sich, wenn ich absage.«

»Vielleicht willst du ja mit mir tauschen?«, erwiderte Ludwig unwirsch. »Das wäre doch was. Ich fahre eine Woche lang in deiner gekühlten Limousine durch die Gegend, und du kümmerst dich um mein Lokal und meine fünf Angestellten. Das sind super Leute, kann ich dir sagen, nicht zu übertreffen, mit Charakter und Scharfsinn.«

Carmen lachte, denn ihr gefiel Ludwigs Sarkasmus, und sie ließ versehentlich etwas Marihuana auf den Betonboden fallen. Mit einem angefeuchteten Zeigefinger sammelte sie es wieder auf.

»Ist ja schon gut«, erwiderte Dwight.

»Wann kommst du?«

»Ich bin jetzt in Gables … In einer Viertelstunde.«

Ludwig legte auf. In einigen Hundert Metern Entfernung flog der Hubschrauber eines Nachrichtensenders vorbei und verschwand Richtung Norden.

*

Dwights weißer Lincoln war nur einen halben Meter länger als ein normales Taxi, aber sehr viel bequemer. Vor allen Dingen war Dwight einer der tolerantesten und aufgeschlossensten weißen Amerikaner, die Ludwig in den vergangenen Monaten getroffen hatte. Wahrscheinlich hing seine überaus liberale Einstellung mit seinem konstanten Geldmangel zusammen. Für Ludwig stellte sie für jede Beziehung, die länger als zwei Nächte halten sollte, eine Notwendigkeit dar.

Sie waren schon ein paar Blocks Richtung Westen gefahren, als Ludwig erklärte, wohin er wollte.

»Zu diesen verdammten Hunden«, sagte er und beugte sich dabei nach vorne.

Dann öffnete er das Fenster und zündete den ersten Joint an.

Bis er etwas spürte, verstrichen ein paar Minuten, aber als es so weit war, meinte er durch das Schiebedach zu schweben und im Lotussitz auf dem Autodach zu ruhen wie ein Heerführer auf einem Elefantenrücken. Alles Negative und Mühsame war verschwunden. Er konnte sogar lächeln, als er sein eigenes Lokal linkerhand vorbeiflattern sah. Das blinkende Neonschild ließ sich nicht ausschalten, und auch jetzt bei helllichtem Tage war die Botschaft in türkisfarbenen Art-déco-Buchstaben klar und deutlich:

ICHBINEINBERLINER!

Wie er dieses Ausrufungszeichen hasste! Eines Nachts wäre er beinahe zu seiner Kneipe gelaufen und hätte es mit der gerade erworbenen SIG P210 weggeschossen. Er hasste es jetzt immer noch, nahm es aber nicht mehr persönlich. Mit jedem weiteren Zug von seinem Joint erschienen ihm sämtliche Moleküle der Schöpfung zunehmend das Problem der anderen zu sein.

Immer weiter entfernten sie sich vom Atlantik und dem Zentrum Miamis. Sie waren in der 8th Avenue losgefahren und befanden sich auf dem Weg zur 37th, was etwa eine Viertelstunde dauerte. Ludwig kam es vor wie fünfzehn Sekunden. Das war natürlich auch der Grund, warum er überhaupt Carmens Gras rauchte: Die Zeit, in der nichts geschah, verging so schnell, dass sie ihm beinahe ereignisreich vorkam.

Die Straße verlief parallel zur 8th Street, und als sie hinter dem Versailles vorbeifuhren, sagte Dwight:

»Wirklich fürchterlich, diese Geschichte heute Nacht.«

Der Restaurantparkplatz war mit gelb-schwarzem Flatterband abgesperrt, zahlreiche Polizeibeamte liefen geschäftig herum.

Ludwig wandte langsam den Blick ab und betrachtete Dwights hochroten Nacken.

»Das geschieht diesen verdammten Schweinen recht.«

»Bitte?« Dwight hielt an einer roten Ampel und blinkte nach rechts. »Bist du nicht ganz bei Trost?«

»Ich meine nicht die, die draufgegangen sind«, lallte Ludwig, »sondern diese großkotzigen Eigentümer, die meinen, dass sie so viel besser sind als wir anderen.«

Sie bogen ab und fuhren auf der 37th Avenue Richtung Norden.

»Aber schade war es natürlich schon«, fuhr Ludwig fort.

»Was?«

»Dass es Tote gab«, meinte Ludwig. »Schließlich hätte es gereicht, wenn sie ihnen mit ein paar Ziegelsteinen die Fenster ein­geworfen hätten oder so.«

»Du glaubst also nicht an ein politisches Motiv?«

»Politisch?«, erwiderte Ludwig entgeistert. »Über Miami kann man wirklich viel sagen, aber politisch war hier nichts, seit Gouverneur Bush im Jahr 2000 das Wahlergebnis für seinen Bruder mit dem Chromosomenschaden gefälscht hat.«

»Glaubst du das wirklich?«, fragte Dwight plötzlich mit vertraulicher Stimme. Er spürte, dass Ludwig mehr über die Welt wusste, als man auf den ersten Blick vermutet hätte.

»Woher soll ich das wissen? Du bist ja wirklich neugierig!« Letzteres klang längst nicht so ungehalten, wie von Ludwig beabsichtigt, sondern eher wie eine scherzhafte Aufforderung zum Themenwechsel unter Männern, die sich von Kindesbeinen an kennen.

Dwight lachte und bog auf den riesigen Parkplatz ein, der zum Flagler Dog Track & Sports Entertainment Center gehörte.

Als er ausstieg, knallte die Sonne vom Himmel, und Ludwig hatte das Gefühl, den Kopf in einen Backofen zu stecken. Nur wenige Autos standen auf dem überdimensionierten Parkplatz.

In Leinenanzug und geflochtenen braunen Espadrilles ohne Strümpfe ging er auf das Gebäude zu, während Dwight mit der Limousine wieder davonfuhr. Er wusste, dass er Ludwig nach einigen Stunden abholen musste. Ludwig war so zugedröhnt, dass er Mühe hatte, den Haupteingang des Gebäudes anzusteuern, das an ein Postverteilzentrum erinnerte. Der Konsum von Whiskey und Marihuana so früh am Tag war möglicherweise etwas übertrieben gewesen. Vor dem Einschlafen spielte das keine Rolle, aber jetzt ging es schließlich um wichtige Dinge. Jetzt ging es um Geld.

Im klimatisierten Eingangsbereich gelang es ihm, sich etwas zu sammeln. Die Rolltreppe zur Tribüne verlief zwischen zwei tomatenroten Wänden, die eine Schocktherapie gegen Klaustrophobie zu suggerieren schienen. Die Leuchtstoffröhren hoch über ihm begrüßten Ludwig wie einen alten Bekannten. Er musste die Augen schließen und wäre dabei beinahe hintenüber gefallen. Erst als er oben ankam, gewann er sein Gleichgewicht zurück.

Linkerhand lag die Tribüne mit ihrem riesigen gewölbten Panoramafenster. Rechterhand saßen die fanatischsten Spieler und starrten auf große und kleine Bildschirme. Einige setzten auf die Rennen, die vor Ort stattfanden, andere auf Football- und Baseball-Spiele in anderen Teilen des Landes. Für diejenigen, die noch mehr Spannung wünschten, gab es ein Kasino.

Ludwig war wegen der Hunderennen erschienen und steuerte direkt auf die Schalter in der Mitte des Raumes zu, an denen die Wetten abgeschlossen wurden. Der erste Lauf hatte bereits stattgefunden. Mit seiner Mastercard setzte er tausend Dollar darauf, dass Graham Mean im zweiten Lauf unter die ersten drei kommen würde. Der Gewinn betrug das 1,3-fache des Einsatzes. Die Dame an der Kasse verzog keine Miene, denn es gab keinen Höchstbetrag, sondern nur das persönliche Limit der Kreditkarte oder des mitgeführten Bargelds.

AufderTribüneherrschteeineernsteStille,dievondemdickenbraunenTeppichbodennochverstärktwurde.AmFenstergabesTischchenmitMonitorenundInformationsbroschüren.LudwigwählteeinengutenPlatzinderMitte.RechtsvonihmsaßeinMannAnfangsechzigineinemkurzärmligenHemdmitZebramuster,ebenfallsohneBegleitung.ErwarkleinunddrahtigundhatterichtigschlechteLaune.MehrereSekundenlangbegegneteerLudwigsleeremBlick.AufderStirnzuckteeinMuskel,einnervöserTick.DannvertiefteersichinseineNotizenaufeinerseinerBroschüren.DerBlickkontaktmitanderenSpielernwarimmereineschlechteIdee,jemandemGlückzuwünschenwarnochschlimmerundkonnte durchaus mit tätlichen Auseinandersetzungen enden.

Das Schauspiel begann. Auf der Rennbahn, deren Größe der Minigolfbahn eines dekadenten saudischen Prinzen entsprach, führten acht schlaksige schwarze Teenager in lila T-Shirts mit weißem Logo die Hunde zu den Startboxen.

Über die Lautsprecher wurden die Hunde in fröhlichem Ton angepriesen, als handele es sich bei ihnen um nobelpreisverdächtige Astrophysiker. Zwei von ihnen nutzten die Gelegenheit, um auf der Wiese ausführlich ihr Geschäft zu verrichten.

Graham Mean war Nummer sieben. Er trug ein wespengelbes, badeanzugähnliches Trikot, das sich deutlich von seinem dunkelbraunen Fell abhob. Der Maulkorb war weiß. An diesem Tag hatte er sehr schlechte Laune und versuchte mehrmals, die anderen anzugreifen. Ludwig bereute es, nicht auf Sieg gesetzt zu haben.

Ohne vorhergehende Stille oder ein Signal kam der mechanische Hase gegen den Uhrzeigersinn von rechts auf die Startboxen zugesaust. Die Hunde wurden losgelassen und rasten wenige Sekunden später an Ludwigs Blicklinie vorbei. Nummer sieben kam gut voran und lag kurz vor der zweiten Runde in Führung. Ludwig fluchte, als das Zielsignal ertönte. Er hatte dreihundert Dollar bei einem Lauf verdient, der ihm mühelos das Vierfache hätte einbringen können.

Er schob seinen Wettschein in den Automaten, erhielt seine Quittung und ließ sich den Gewinn an der Kasse auszahlen. Dann setzte er je tausend Dollar auf die vier nächsten Läufe. Mit Ausnahme eines Laufes, den er einem Gerücht gemäß einschätzte, handelte es sich um sichere Karten. Dann trottete er zur Tribüne im Freien, weil sie dichter an den Startboxen lag und weil es dort vor allen Dingen auch eine Bar gab.

Draußen war es eigentlich zu warm, aber Ludwig gefiel es, mit dem Barkeeper allein zu sein. Es war ein kleiner Mann von Anfang fünfzig, der indianischer Abstammung zu sein schien. Er bestellte einen doppelten Whiskey und zwei Budweiser und nahm mit dem Rücken zur Rennbahn auf dem Drehhocker Platz.

Die Minuten verstrichen, während die Hunde ihre intensiven Läufe absolvierten. In der dritten Schnaps-, Bier- und Hunderunde beschloss der Barhocker aus heiterem Himmel umzufallen und Ludwig mitzureißen. Er registrierte den Schmerz in der linken Schulter, um den er sich später kümmern wollte. Dann wurde die Welt wieder so schwarz, leer und still, als wäre er zum Entstehungsmoment des Universums zurückgekehrt.

*

»Papi?«

Carmen beugte sich über ihn. Er lag zu Hause im Wohnzimmer auf dem Rattansofa.

»Jetzt nicht«, maulte Ludwig.

»Dwight hat dich nach Hause gefahren.«

»Dieser verdammte Idiot. Hat er überhaupt die Wettscheine eingelöst?«

»Hier.« Carmen klopfte mit einem langen kirschroten Fingernagel auf den Glastisch, auf dem fast zweitausend Dollar lagen.

Ludwig schloss die Augen und nickte. »Wie spät ist es?«

»Viertel nach neun.« Carmen räusperte sich. »Du hast Besuch.«

»Nein, nein, nein, verdammt, bloß das nicht! Kein Besuch. Sag ihnen …«

»Wenn Sie uns jetzt bitte einen Kaffee kochen könnten, Carmen«, ließ sich eine Stimme schräg hinter ihm vernehmen. »Und geizen Sie nicht mit dem Kaffeepulver.«

Mühsam richtete sich Ludwig halb auf und sah sich um. Clive Berner, alias GT, saß in dem roten Stoffsessel am Fenster und betrachtete ihn.

»Lebst du noch?«, fragte Ludwig und rieb sich die Schulter.

»Vieles deutet darauf hin.« GT nahm die Brille ab und legte sie auf den Tisch neben das Geld.

Der vierundsechzigjährige ehemalige Berliner CIA-Chef, der Ludwig in den Achtzigerjahren in der DDR als Spion angeworben hatte und inzwischen Vizepräsident der Sicherheitsfirma EXPLCO in Washington war, trug heute ein pastellblaues Polohemd und eine senfgelbe Hose. Die Hitze schien seinen Walrossbart in Panik versetzt zu haben.

Sein Spitzname GT stammte noch aus der Berliner Zeit. Er war doppeldeutig und bezog sich einerseits auf seinen übermäßigen Konsum von Gin Tonic in der schlechten alten Zeit und andererseits darauf, dass er am liebsten CIA-Chef in Moskau geworden wäre. GT lautete die CIA-Abkürzung für diesen Posten.

»Und wie geht’s dir?«, fragte der übergewichtige Besucher.

»Ich habe mich vor einiger Zeit für tot erklärt. Im Paradies besteht kein Grund zur Klage.«

»Ich glaube, du solltest mal duschen, Ludwig.«

»In diesen Breitengraden erledigt sich das von selbst. Man schwitzt den Schmutz nach und nach aus.«

GT nickte nachdenklich, als hätte Ludwig etwas sehr Tiefsinniges gesagt. Dann erhob er sich und sagte:

»Geh duschen. Sektion L ist aktiv.«

Ludwig stand von der quietschenden Couch auf, eine Prozedur, die ihn einiges an Zeit kostete. Er rieb sich die Schläfen und blieb mitten im Zimmer stehen.

»Sektion L? Was soll das denn sein?«

»Das bist du.«

342 SW 8th Avenue

Little Havana, Florida, USA

Di., 10. Juni 2014

[10:05 EST]

Zu zweit saßen sie in der warmen Abendluft auf der Terrasse: Der frisch geduschte Ludwig mit einem nassen Handtuch auf dem Kopf und GT mit einer Tasse Kaffee, die er von Carmen bekommen hatte. Danach war sie in einem Kleid aufgebrochen, das bei GT akuten Schwindel ausgelöst hatte.

»Und eure Ehe ist immer noch okay?«, fragte Ludwig.

»Ein Traum.«

»Das freut mich.«

Der Amerikaner legte die Handflächen aneinander. »Du hast von dem gestrigen Bombenanschlag auf das Versailles gehört?«

»Durchaus.«

GT nickte. »Dieses Attentat hat sich zu einem heiklen Zeitpunkt ereignet. Offenbar ist irgendwas im Gange, was Kuba betrifft. Wir wollen verhindern, dass Fanatiker in dieser trüben Brühe fischen und unangenehme Dinge an die Oberfläche bringen.«

Wenn GT »wir« sagte, dann meinte er die CIA, das wusste Ludwig aus Erfahrung. Zumindest war das früher so gewesen. Seit der kleine Dicke in der freien Wirtschaft tätig war, wusste man nicht mehr so genau, was er meinte.

»Im Gange?«

»Das ist ein unglaublicher Schlamassel, eine verdammte Schlangengrube. Und ich weiß zu wenig darüber.«

»Und mein Beitrag, um Klarheit in diese Frage zu bringen?«

»Du wohnst doch hier und kennst dich in dieser Gegend aus. Irgendwie müsste sich daraus doch Nutzen ziehen lassen. Das FBI will unser schickes Familienunternehmen dabeihaben, weil wir bessere Kontakte zur CIA haben als sie, und sie wissen, dass die Exilkubaner nichts unternehmen, ohne dass die CIA mitmischt. Außerdem haben sie ausdrücklich nach dir gefragt. Genauer gesagt, Booker Clark. Du musst ihn beim letzten Mal beeindruckt haben.«

Ludwig schüttelte den Kopf. Niemand von Rang und Namen bat um seine Dienste, wenn der Auftrag nicht auch richtig unappetitliche Aspekte beinhaltete.

»Der Held aus Washington«, erwiderte er trocken. Es war nicht klar, ob er Booker Clark meinte, den FBI-Mann, der in der Endphase den EXPLCO-Einsatz gegen eine rechtsextreme Terrorgruppe geleitet hatte, oder sich selbst.

»Hast du den Orden schon mal vor dem Spiegel anprobiert?«, fragte GT.

»Nein. Aber ich bewahre ihn an einem sicheren Ort auf.«

»Ich vermute«, meinte GT und betrachtete eine Bande kubanischer Jungs mit einem Kampfhund, die am Baseball-Platz herumlungerten, »dass an der Sicherheit hier nichts auszusetzen ist.«

»Die sind nicht so gefährlich, wie sie aussehen.«

»Häng dich an die FBI-Ermittlung ran und überprüfe diesen Jesus Esquivel, der vermutlich der nächste Anführer der militanten Exilkubaner wird.«

Ludwig setzte diesen Gedanken bis zu seinem logischen Ende fort. »Und wenn der hinter dem Bombenanschlag steckt?«

»Keine Ahnung. Vermutlich nicht unser Problem. Diese Ziegenhirten dürfen sich einfach nicht auf dicht bebautem amerikanischem Territorium gegenseitig in die Luft sprengen. Schließlich sind sie hier nicht auf ihrer Zuckerrohrplantage. Ich werde mal bei Fran Bowden nachfragen, falls ich sie erreiche.«

FranBowden,dieehemaligeEuropachefinderCIA,hatteGTdreiJahrezuvorvonseinemJobinBerlingefeuertundwargeradeerstCIA-Direktoringeworden,allerdingsnurvorläufig.Allewarensichjedocheinig,dasssiedieKongressanhörungüberlebenunddannoffizielleAmtsinhaberinseinwürde.DassderPräsidentihreNominierungsolangehinausgezögerthatte,lagvermut­lichdaran,dasserdenlinkenFlügelderDemokratennichtun­nötigprovozierenwollte –lauterAkademiker,dieeineungefähreVorstellung vondenMenschenrechtenundvomFolterverbothatten.

»Wo wohnst du?«, fragte Ludwig.

»Im Winter Haven in South Beach.«

»Was hast du in South Beach verloren? Arbeitest du an deinem Teint?«

»Ich glaube, das Hotel gehört uns.« GT strich einige Male mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnurrbart.

»Vielleicht ist es auch umgekehrt, und der Hotelbetreiber besitzt Anteile an EXPLCO. Das eine schließt das andere ja nicht aus.«

Es musste Augenblicke gegeben haben, dachte Ludwig fasziniert, in denen sich sein alter Chef so sehr nach einem ordentlichen Drink gesehnt hatte, dass es ihn förmlich zerrissen hatte. Aber soweit Ludwig wusste, hatte GT nie einen Rückfall erlitten. Die Methode der Anonymen Alkoholiker hatte in seinem Fall wirklich ausgezeichnet funktioniert.

GT riet ihm in einem eher schwesterlichen als väterlichen Tonfall: »Du solltest etwas mehr auf dich achten, Ludwig.«

»Dieser Gedanke hat mich auch schon gestreift.«

»Ich begreife nicht, wie du es verkraftest, in deinem Alter noch ein Lotterleben wie ein Student zu führen.«

»Das muss mit den Freiheiten der westlichen Welt zu tun haben. Ich wurde einfach zu spät im Leben damit konfrontiert. Mir war es leider nicht vergönnt, mich nach und nach daran zu gewöhnen.«

»Das ist ja eine großartige Entschuldigung«, meinte GT, lächelte aber einigermaßen herzlich dabei.

»Eine Sache wäre übrigens nicht schlecht«, sagte Ludwig.

»Und zwar?«

»Ich bräuchte … einen Führerschein.«

»Wie bitte?«

»Inzwischen besitze ich ja eine permanente Aufenthaltsgenehmigung, aber jetzt müsste ich die ganze Fahrprüfung, die theoretische und die praktische, den ganzen Scheiß, noch einmal machen. Dazu kommt dann noch der Eignungstest oder wie immer das heißt. Irgendwie hatte ich noch nicht den Nerv, mich darum zu kümmern.«

»Hast du im Augenblick einen Wagen?«

»Parken ist hier zwar gratis, aber dafür gibt es leider viele gute Gründe.«

»Du brauchst also einen Führerschein und ein Auto.«

»So könnte man es ausdrücken.«

GT schüttelte den Kopf. »Was hast du hier eigentlich anderthalb Jahre lang gemacht?«

»Ich habe im Hier und Jetzt gelebt«, erwiderte Ludwig mit säuerlichem Lächeln. Er trank ein paar Schlucke lauwarmes Wasser aus einer Plastikflasche. »Und dann habe ich natürlich versucht, die richtig großen Lebensfragen zu beantworten.«

Ein perlweißes Lincoln Town Car glitt näher und blieb vor der Pforte stehen. Es erinnerte an das Auto eines amerikanischen Diplomaten in Bagdad, allerdings ohne bewaffnete Eskorte. GT erhob sich.

»Und ist es dir geglückt?«

»Das kann ich nicht behaupten. Aber jeder Tag, den ich totgeschlagen habe, ist ein Sieg.«

GT nickte. »Sei in Zukunft vorsichtig. Auf Schritt und Tritt lauern Giftschlangen. Denk daran.«

Er gab dem Fahrer ein Zeichen, der sogleich ausstieg und eine mittelgroße Reisetasche aus dem Auto holte. GT nahm sie über den Zaun in Empfang und stellte sie neben Ludwig, der auf der Bank sitzen geblieben war.

»Der Code lautet 1989«, erklärte er.

Finster betrachtete Ludwig die silbergraue Tasche.

»Das Jahr, in dem wir erwachsen werden mussten«, sagte er gedämpft.

GT nickte. »Vielleicht sollten wir uns noch einmal sehen, bevor ich nach Hause fliege.«

Dann ging er zur Limousine und stieg ein.

Nachdem das Auto davongefahren war, starrte Ludwig in den korallenblauen subtropischen Nachthimmel, der die zahlreichen Lichter Miamis spiegelte. Einige Dutzend Kilometer in entgegengesetzter Richtung begannen die Sümpfe mit ihrer kompakten Dunkelheit. Vereinzelt durchbrach ein hungriger Alligator mit plötzlichen, ungeduldigen Bewegungen die Wasseroberfläche. Grillen zirpten und verstummten wieder, und weiter südlich wehte ein laues Lüftchen.

*

Ziemlich genau eine Tagesreise mit dem Floß entfernt lag das letzte Paradies der Arbeiter und Bauern. Aus fünfundzwanzig Jahre alten Ghettoblastern dröhnte Musik auf den rissigen Asphalt der Straßen von Havanna. Der spärliche Verkehr bewegte sich durch die noch junge Nacht wie eine geschrumpfte Militärparade.

In einer Gasse, die von der Calle San Martin im Barrio ­Chino abzweigte, tauchte eine große schlanke Frau aus der Dunkelheit auf. Sie trat mit ihrem schwarzen Stiefel eine Zigarettenkippe aus, ging die zwanzig Meter bis zur Hauptstraße weiter und übergab auf die Sekunde pünktlich ein Wegwerffeuerzeug an einen Mitarbeiter der schwedischen Botschaft. Die beiden blieben nicht einmal stehen, und für unbeteiligte Passanten sah es aus, als hätten sie sich nur zufällig gestreift. Dann verschwanden sie in entgegengesetzte Richtungen in die karibische Nacht – die Frau erleichtert, der Botschaftsvertreter vollkommen verängstigt.

Pufferzone

342 SW 8th Avenue

Little Havana, Florida, USA

Mi., 11. Juni 2014

[8:50 EST]

Ludwig hatte den Mixer schon seit Monaten nicht mehr verwendet. Nun hob er ihn vom gelben Kühlschrank herunter und schloss ihn ans Stromnetz an. Vier Eier, ein großes Glas Milch, das er in der Mikrowelle erhitzt hatte, eine Tasse Nescafé, zwei Aspirin, fünf Scheiben Zwieback aus dem kubanischen Supermarkt Presidente sowie ein paar Prisen Salz und Zucker. Das alles ergab eine gelbliche Suppe mit schwarzen Flecken, die etwa so schmeckte, wie er sich fühlte.

Es war neun Uhr morgens, als er sich mit seiner Kanne auf die Veranda setzte und begann, sein Frühstück zu schlürfen. Wie immer hatte es nachts geregnet, und das Wasser verdampfte in einer Art umgekehrter Schwerkraft auf Rasen und Asphalt, um in der nächsten Nacht wieder zum Angriff überzugehen.

Carmen war abwesend. Offenbar hatte sie sich davongeschlichen, als sie den Mixer hörte.

Ein frisch gewachster, ziemlich neuer Land Rover Freelander stand vor seinem Zaun. Am Lenkrad saß ein junger Asiate, der Ludwig anstarrte. Schließlich öffnete er die Seitenscheibe auf der Beifahrerseite und rief:

»Mr. Licht?«

Ludwig nickte, stellte die Kanne beiseite und legte in Bademantel und Badelatschen die vier Meter zum Zaun zurück.

Der Mann ließ die Seitenscheibe hochfahren, stieg aus und ging um den Wagen herum. Er reichte Ludwig die Autoschlüssel und einen Umschlag.

»Mit Grüßen von Mr. Berner.«

Ludwig nickte erneut, nahm Schlüssel und Umschlag in Empfang und sah sich um.

»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«, fragte er schließlich.

»Es müsste gleich eines kommen, Sir.«

Einige Sekunden vergingen. Ludwig öffnete den Umschlag, der einen Leasingvertrag zwischen ihm, EXPLCO und einem Kreditinstitut sowie einen Kraftfahrzeugschein auf seinen Namen enthielt. Ein Schreiben des FBI war beigefügt: Booker Clark bescheinigte ihm, dass er wegen einer laufenden Ermittlung von der Führerscheinpflicht befreit sei.

Ganz richtig tauchte wenig später ein Taxi auf, und der junge Mann verschwand. Ludwig schloss das Auto ab und kehrte auf die Veranda zurück. Er musste sich irgendwo in der Nähe eine Garage mieten, so viel war klar. Einen zwei Jahre alten Land Rover auch nur zwanzig Minuten aus den Augen zu lassen wäre vermutlich zu viel Entwicklungshilfe für die unterbeschäftigten Jugendlichen der Gegend gewesen.

Eigentlich verabscheute Ludwig weiße Autos, aber Florida besaß eine ganz eigene Ästhetik. Mit Kleidern war es dasselbe. Schwarze Anzüge machten sich einfach nicht gut zu all dem Türkis, Rosa und Hellblau. Hier war die Farbe des Menschen weiß, weiß wie die Vögel und der Schaum der Wellen, weiß wie die Elektrizität in den Leitungen. Schwarz war eine ferne, nördliche Angelegenheit.

Irgendwo im Haus klingelte ein Handy. Seines konnte es nicht sein, denn das war auf lautlos geschaltet. Er ging ins Wohnzimmer und stellte fest, dass das Klingeln aus der Tasche kam, die er am Vorabend von GT erhalten hatte.

Er gab den Code ein, öffnete die Tasche und entdeckte das Gerät, ein stahlgraues Satellitentelefon, ein Iridium 9505, das etwa 3000 Dollar kostete.

»Ja?«, meldete er sich.

»Siehst du meine Nummer auf dem Display?«, ließ sich GTs Stimme vernehmen.

»Ja.«

»Gut. Wie wäre es heute mit einem gemeinsamen Abendessen? Um acht, in meinem Hotel?«

»Ausgezeichnet.«

»Du findest hin?«