Northern Nights. Ein Adventskalender. Lovestorys für 24 Tage plus Silvester-Special - Andreas Dutter - E-Book

Northern Nights. Ein Adventskalender. Lovestorys für 24 Tage plus Silvester-Special E-Book

Andreas Dutter

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Beschreibung

Adventszeit in Norwegen! Atemberaubende Dates unter Nordlichtern, Huskyschlittentouren durch glitzernden Schnee und kuschelige Stunden vor dem knisternden Kaminfeuer – so schön ist der Advent in Norwegen. Versüße dir die Vorweihnachtszeit mit romantischen Geschichten aus dem hohen Norden und lass dich von den prickelnden Lovestorys in "Northern Nights" Tag für Tag in das bezaubernde Winterwunderland entführen … *** Shortstorys aus Norwegen für 24 Tage plus ein Silvester-Special deiner deutschsprachigen Lieblingsautor*innen ***

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Seitenzahl: 564

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2025 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag © 2025 Ravensburger Verlag Text © 2025

1. & 2. Dezember: Sabine Schoder, © Foto: Sabine Schoder 3. & 4. Dezember: P. J. Ried, © Foto: Emily Bähr 5. & 6. Dezember: Greta Milán, © Foto: Réne Limbecker 7. Dezember: Rebekka Weiler, © Foto: privat 8. & 9. Dezember: Jana Schäfer, © Foto: privat 10. & 11. Dezember: Stefanie Lasthaus, © Foto: privat 12. & 13. Dezember: Nina MacKay, © Foto: Sarah Kastner 14. & 15. Dezember: Sandra Grauer, © Foto: privat 16. & 17. Dezember: Sarah Saxx, © Foto: privat 18. Dezember: Laura Labas, © Foto: privat 19. & 20. Dezember: Marius Schaefers, © Foto: Picture People 21. & 22. Dezember: Andreas Dutter, © Foto: privat 23. & 24. Dezember: Jennifer Alice Jager, © Foto: Jennifer Alice Jager 31. Dezember: Bianca Iosivoni, © Foto: Iosivoni

Cover- und Innengestaltung unter Verwendung von Fotos von © renberrry, © Valedi, © janniwet von Shutterstock

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg. Der Nutzung für Text- und Data-Mining wird ausdrücklich widersprochen.

ISBN 978-3-473-51272-0

ravensburger.com/service

Sabine Schoder

1 Beneath The Ice I

»Ich liebe diese Stunde zwischen Dämmerung und Nacht, wenn die Luft aussieht, als wäre sie mit blauer Aquarellfarbe gemalt worden, und die Lichter der Stadt wie orangefarbenes Feuer darin aufglühen. Wenn es so kalt ist, dass die Nasenspitze rot anläuft, weil sie das Einzige ist, das noch aus einem Berg selbst gestrickter Mützen und Schals hervorschaut. Wenn es an jedem Stand des Weihnachtsmarktes nach etwas anderem duftet: frisch gebackenem Lebkuchen, würzigem Kardamom, süßem Gløgg und – Kacke.«

Kari blickte Kaugummi kauend von ihrem Handy auf und sah mich mit großen Augen an. »Kacke? Hat einer der Huskys irgendwo hingemacht? Sorry, aber im Gegensatz zu dir rieche ich rein gar nichts. Meine Nasenhaare sind exakt fünf Sekunden nachdem das letzte Tageslicht verschwunden ist, eingefroren.«

Ich war blitzschnell hinter dem Tresen unseres Weihnachtsstandes abgetaucht. »Sehr witzig«, zischte ich leise zu ihr hinauf. »Kannst du dich bitte um unseren nächsten Kunden kümmern?«

»Muss ja ein interessanter Typ sein, wenn er selbst die kitschige Schwärmerei unserer Weihnachtselfe abwürgt.« Sie wandte den Kopf über den Tresen und hörte schlagartig mit dem Kauen auf. »Wow.«

»Sag ihm bloß nicht, dass ich da bin!«

Ihre Augen starrten und hatten diesen Glanz angenommen, den ich nur zu gut kannte. Die Art von Glanz, die gerade ein riesiges und völlig unerwartetes Weihnachtsgeschenk auf sich zukommen sieht.

»Hei hei«, begrüßte sie ihn auf typisch norwegische Art, als wäre er ihr ältester Freund hier in Tromsø. »Möchtest du für unsere Straßenhunde spenden oder eine Charity-Schlittenfahrt buchen?«

Ich zog barsch den Finger über den Hals, was so viel heißen sollte wie: Biete ihm bloß nicht die Hundeschlittenfahrt an! Aber um diesen universellen Code zwischen Schwestern verstehen zu können, hätte sie mich zuerst einmal ansehen müssen. Was leider nicht ging, da ihr Blick an etwas klebte, das dem Knirschen nach gerade auf die Sägespäne vor unserem Stand getreten war. Eine tiefe, rauchige Stimme bestätigte diese Theorie.

»Du bist eine der Larsen-Schwestern, stimmt’s?«

»Was auch immer du willst, Süßer«, murmelte Kari tief in ihren Strickschal.

Ich verpasste ihr einen Schlag in die Kniekehle.

Sie knickte leicht ein, überspielte es aber mit einem Lachen und zog ihren Schal ein wenig herunter, damit man sie besser verstehen konnte. Keine Ahnung, ob es nur von hier unten so aussah, aber ich hätte schwören können, dass sie die Lippen zu einem Kussmund spitzte.

»Kari Larsen, ganz genau, wir wohnen nicht weit außerhalb der Stadt, gleich hinter dem See –«

»Prestvannet. Ich weiß. Deshalb bin ich hier.«

Fuck. Oder, um es auf Norwegisch zu sagen: Faen. Allein seine Stimme ließ mir einen Schauder über den Rücken laufen – und ich wünschte, es wäre die gruselige Sorte. Die Sorte, die es einem leicht machte, gewisse Erinnerungen einfach zu vergessen. Ich presste die Augen fest zu und versuchte, bis zehn zu zählen.

En … to … tre …

»Ihr fahrt nach dem Markt mit dem Hundeschlitten am Prestvannet vorbei, richtig?«

Fire … fem …

»Nicht ganz. Ich will noch mit der Fjellheisen-Seilbahn hoch auf den Storsteinen, um Fotos für ein Schulprojekt zu machen. Aber Siri fährt mit den Hunden nach Hause.«

Ich stieß ein verzweifeltes Jaulen aus.

»Ist da ein Hund hinter dem Tresen?«, fragte Mr. Erinnerung.

Kari schüttelte den Kopf, was die Bommel an ihrer Mütze gleich mitschüttelte. »Keine Ahnung, was du meinst.«

»Ist Siri da?« Er klang zweifelnd.

»Ääähhh …« Karis Mund öffnete sich und zog den Laut unnötig in die Länge. »Nein?«

Es klang wie eine Frage.

Innerlich betete ich. Norwegische Götter gab es ja genug. Vielleicht war Thor so gnädig, einen seiner berühmten Blitze herunterzuschießen, bevor Kari sich verplapperte.

»Bist du dir sicher? Ich dachte, ich hätte sie vorhin gesehen.«

Vorhin, als er mit seiner üblichen Angeberclique von Gløgg-Stand zu Gløgg-Stand getorkelt ist. Er und seine Freunde hatten nichts Besseres zu tun, als sich Rentierfelle überzuwerfen, Dekogeweihe an den Kopf zu halten und Brunftlaute zu grölen, während jede Menge potenzieller Paarungspartnerinnen kichernd an ihnen vorbeiliefen. Ich verdrehte die Augen und dachte mit einem sehr miesen Gefühl an jene laue Mittsommernacht vor fünf Monaten …

Kari lehnte sich ihm über dem Tresen entgegen. Das Holz über meinem Kopf knarzte. »Mal unter uns, okay? Falls du irgendwie auf Siri stehst, solltest du deine Hoffnungen lieber nicht allzu hoch schrauben.«

Danke, Kari! Danke!

Ich könnte sie küssen!

»Wahrscheinlich hast du es schon gehört, so was macht ja schnell die Runde hier, wenn die Tage kürzer und die Nächte elendslang werden, aber seit Siri etwas mit diesem berühmt-berüchtigten Extremsportler hatte, sieht sie keinen anderen Typen mehr an …«

Ich sprang auf, schlug mir mit einem Rums den Kopf am Tresen an und sackte zurück auf den Hintern.

»Was entweder bedeutet, dass der Typ total mies war«, fuhr Kari unaufhaltsam fort, »oder er hat die Latte unerreichbar hoch gelegt.«

Blitze, Thor, Blitze! Das konnte doch nicht so schwer sein, verdammt?!

Wiesoerkanntesieihnnicht?!WiesonurhatteeraufdenPressefotos einen Kletterhelm und einen verschneiten Zehntagebart tragen müssen?!

Und wieso musste er heute so perfekt aussehen?!

Kurze Stille.

Dann ER.

»Da ist etwas hinter dem Tresen. Das Holz hat unter meinen Händen gewackelt.«

Kari hielt seinem Blick stand. »Vielleicht ein Erdbeben? Man kann nie wissen, wann erloschene Vulkane wieder zum Leben erwachen. Warum willst du eigentlich so spät noch raus zum Prestvannet fahren?«

»Eistauchen.«

Kari schnappte nach Luft. »Allein im Dunkeln? Ohne Schutzanzug, Atemgerät und Rettungsleine? Das ist Selbstmord.«

»Darum nennt man es ja auch Extremsport.«

»Ah ja …« Kari stieß ein nachdenkliches Geräusch aus, dann linste sie kurz zu mir in die Dunkelheit, bevor sie ihn erneut ansah. Wenigstens war nun dieser elende Glanz aus ihren Augen verschwunden. »Wie … ähm … war noch mal dein Name?«

»Fynn Frøynes.«

»Wie der … Extremsportler?«

»Genau wie der.«

Ich war mir ziemlich sicher, dass Kari nun die norwegische Variante von Fuck in ihren Strickschal murmelte. Sie hatte es also endlich kapiert. Zugegeben, vielleicht hätte ich sie besser aufklären sollen, aber heiße Erlebnisse auf einer Berghütte gehörten nicht gerade zu den Themen, die man mit seiner sechzehnjährigen Schwester beim Frühstück diskutierte. Vor allem nicht, wenn sie in einem sehr ernüchternden Morgen geendet hatten. Mehr als ein paar harmlose Gerüchte hatte sie nicht aufgeschnappt. Und ich hatte es lieber dabei belassen wollen.

Hinter uns wurde die Tür zum Weihnachtsstand aufgerissen.

Kari und ich zuckten zusammen, als Dad mit apfelroten Wangen und wilder Frisur hereingepoltert kam und lautstark verkündete: »Kari, wir müssen jetzt los, wenn du dein Schulprojekt noch bis morgen früh fertig kriegen willst. Außerdem wollen die Hunde laufen, sie werden schon unruhig. Macht den Stand dicht, Mädels –« Er stutzte. »Was treibst du da, Siri?«

Kurze – sehr peinliche – Stille.

Dann erwiderte ich mit allem Selbstbewusstsein, das ich noch aufbringen konnte: »Ich war unten im Keller.«

Dad sah mich verstört an, als ich so tat, als würde ich stufenweise zu ihm heraufkommen. Was von seinem Standpunkt so aussah, als würde seine älteste Tochter, die eben noch auf einem sehr dicht mit Holzspänen bedeckten Boden gekauert hatte, Ruck für Ruck in die Höhe wachsen.

»Die Kekse waren aus«, fügte ich hinzu und knallte zum Beweis ein Glas Hundekekse auf den Tresen, das in Wahrheit direkt darunter gestanden hatte. Ich drehte mich halb zu Fynn und tat so, als wäre ich von seiner Anwesenheit milde überrascht. »Oh, wir haben Kundschaft. Dad möchtest du das über–«

Aber Dad folgte Kari bereits kopfschüttelnd nach draußen zu unserem Pick-up. Normalerweise hatte meine kleine Schwester es nie so eilig. Ihr war wohl durchaus bewusst, in welche Situation sie mich hineingeritten hatte. Was sollte ich jetzt tun? Eine spontane Amnesie vortäuschen? Oder einfach die Standklappe vor Fynns perfekter Nase zuknallen und flüchten, so schnell ich konnte?

»Gehst du mir aus dem Weg?«, hörte ich ihn fragen.

Wieder lief ein Schauder durch meinen Körper.

Widerwillig wandte ich mich zu ihm um. »Möchtest du einen Keks? Die sind mit viel Liebe aus leckerem Knochenmehl und Fleischabfällen gemacht.«

Er musterte mich intensiv. Seine elenden grünen Augen erinnerten an die Farben norwegischer Nordlichter, die schon in der Mittsommernacht ihr Unheil angerichtet hatten. »Ich bin im Eiskletterverein«, sagte er schließlich, ohne auf meine spitze Bemerkung einzugehen.

»Seit du fünfzehn bist, ich weiß. Kannst du bitte einen Schritt zurücktreten? Ich muss die Klappe herunterlassen.«

Er wich keinen Millimeter vom Tresen weg. Stattdessen hob er herausfordernd eine Augenbraue. »Der Eiskletterverein hilft jedes Jahr beim Aufbau dieser Stände.«

»Wie selbstlos.«

Ein Lächeln zuckte an seinem Mundwinkel. Die Art von Lächeln, mit dem jemand gleich ein Ass auf den Tisch wirft. »Es gibt keine Keller unter diesen Ständen, nur festen Boden. Und vielleicht ein paar Gründe, um jemandem auszuweichen, wie es aussieht.«

»Hübsch und schlau, gratuliere.«

Ich knallte ihm die Klappe vor der Nase zu, verriegelte sie mit dem Schloss und lief – mit mehr Herzklopfen, als ich mir selbst eingestehen wollte – hinten aus dem Stand heraus. Kari winkte mir noch mit betretener Miene aus dem Pick-up zu, den Dad gerade rückwärts ausparkte. Ich wünschte mir jetzt nichts sehnlicher, als zu ihnen zu laufen, die Autotür in letzter Sekunde aufzureißen und mich auf die Rückbank zu werfen. Aber da waren leider noch die Hunde, die nach Hause gebracht werden mussten.

Als ich mich zu den Huskys umdrehte, war ER schon da.

Zugegeben, er hatte dafür einfach nur den Stand umrunden müssen.

Ich hätte es ahnen sollen.

Dad hatte die Hunde schon vor den Schlitten gespannt, was bedeutete, dass ich nur noch abschließen musste und dann mit sechs HS von hier abhauen konnte. Wobei eine dieser Hundestärken gerade mit überaus großer Freude die rosa Hundestärkenzunge quer über Fynn Frøynes Gesicht zog. Freya, diese kleine flauschohrige Verräterin! Er lachte mit seiner dunklen Stimme auf, was Gänsehaut über meinen Hals jagte. Bevor ich es verhindern konnte, schoss die Erinnerung durch meinen Kopf, wie dieses Lachen tief in meinen Haaren geklungen hatte.

Schnaubend trat ich die Tür mit dem Stiefel zu, schloss den Stand mit klimperndem Schlüsselbund ab und stapfte durch die Sägespäne, mit denen wir das Tageslager der Hunde ausgepolstert hatten.

»Also gut. Was zum Teufel willst du hier?«, fragte ich.

Er kraulte Freyas wuscheligen Hundekopf und erhob sich zu seiner vollen Größe, was mich automatisch mein Kinn ein wenig nach oben recken ließ. »Wie ich deiner Schwester bereits erklärt habe, suche ich eine Mitfahrgelegenheit zum Prestvannet.«

»Dafür gibt es öffentliche Verkehrsmittel.«

»Ich bezahle auch dafür.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Das kostet zehntausend Kronen.«

Was ein absolut unverschämter Wucherpreis war, den er garantiert –

»Okay.« Er zog seine Geldtasche heraus.

Er zog seine verdammte Geldtasche heraus!

Ich glotzte ihn an. »Was in aller Welt tust du da?!«

Er blickte grinsend auf. »Eine Schlittenfahrt bezahlen.«

»Ich. Bin. Nicht. Käuflich.«

»Auf eurer Infotafel steht, dass man schon mit einer Spende von zweitausend Kronen einem Straßenhund ein neues Zuhause finanzieren kann.« Er zückte ein ganzes Bündel Tausender. »Eine mickrige Stunde mit mir auf demselben Schlitten würde also fünf Hunde retten. Das sollte es doch wert sein, oder?«

»Nein!« Ich ballte die Fäuste und stapfte an ihm und seinem Geldbündel vorbei zum hinteren Teil des Schlittens. Bevor ich etwas von ihm annähme, würde ich lieber Überstunden schieben und die Hunde mit meinem eigenen Geld retten!

»Siri. Es … tut mir leid«, hörte ich ihn hinter mir sagen.

Mein Herz hämmerte so heftig, dass ich ihn einen Moment länger auf meine Reaktion warten ließ, weil ich befürchtete, all diese Wut könnte meine Stimme zu sehr zittern lassen. Ich wollte mir vor ihm keine Blöße geben.

Barsch zog ich die Felle auf der Sitzfläche zurecht. »Was tut dir leid?«, platzte es aus mir heraus, bevor ich mir selbst ganz sicher war, worauf ich eigentlich hinauswollte. War es das, was sich ein Teil von mir insgeheim wünschte? Eine Entschuldigung? Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Denn es würde voraussetzen, dass es etwas gab, das mich verletzt hatte. Und das wiederum würde voraussetzen, dass es etwas gab, das ich mir von ihm erhofft hatte.

Er antwortete nicht.

Schnaubend wirbelte ich zu ihm herum.

Und er war einfach – weg.

Mein Herz stieß heftig gegen meine Brust – dann setzte es einen Schlag aus, als ich die Geldscheine sah, die er in Freyas Halfter gesteckt hatte. Heiße Wut kochte in mir hoch. Dachte er etwa, ich wäre dankbar? Dieser verdammte Mistkerl konnte mir doch nicht einfach zehntausend Kronen schenken!

Ich packte das Geld und stopfte es in meine Jacke.

Freya sah unsicher zu mir auf. Sie spürte meine Wut, wusste aber nicht, was sie ausgelöst hatte. Die anderen Hunde orientierten sich an ihr und wedelten zögernd mit dem Schwanz. Das ließ mich etwas runterkommen. Ich kraulte ihre Ohren, um ihnen zu zeigen, dass sie nichts falsch gemacht hatten, und musste schwer schlucken. War mein Stolz wichtiger, als fünf Hunde von der Straße zu holen?

Nein. War er nicht. Aber ich würde keine Almosen annehmen, sondern es mir auf ehrliche Weise verdienen. Geschäft war Geschäft. Ich hatte einen Preis genannt und er war gewillt, ihn zu bezahlen. Das war guter alter Kapitalismus. Nichts weiter.

Ich stapfte zum Schlitten, schnappte mir die Leine und rief entschlossen: »Hü!«

Zugegeben nicht gerade der einschüchterndste Kampfschrei, aber er ließ die Hunde vor Freude aufjaulen und schwanzwedelnd loslaufen.

Wir hatten einen der Stände weiter außen gemietet, um möglichst schnell zu einem der Hundeschlittentrails zu gelangen, die Tromsø für die weihnachtlichen Touristenfahrten angelegt hatte. Trotzdem mussten wir ein Stück an den verschneiten Weihnachtsbuden vorbeifahren. Selbst zwischen all den Leuten, die beim Anblick der Huskys ihre Handys zückten, konnte ich Fynns breite Schultern schon von Weitem ausmachen. Es hatte sich gut angefühlt, meine Hände über diese Schultern gleiten zulassen. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich die Erinnerung damit ebenfalls abschütteln.

Fynn drehte sich um, als die Hunde an ihm vorbeitrabten. Seine Wangen waren vor Kälte gerötet und sein Atem dampfte in der Luft. Ein leicht angespannter Zug lag um seine Augen, der sich überrascht löste, als mein Schlitten mit bimmelnden Weihnachtsglöckchen neben ihm anhielt.

Mein Blick verfinsterte sich. »Halt die Klappe und steig ein, bevor ich es mir anders überlege.«

Er schaute kurz auf den Sitz hinab, der sich vor meiner Stehplattform befand, und dann zurück zu mir. »Darf ich mich neben dich stellen?«

»Spiel nicht mit deinem Glück.«

Das ließ erneut seine Mundwinkel zucken. Er schwang sich auf eine lässige Art in den Sitz, wie nur Kerle es taten, die sich toll fanden. Das Ganze krönte er auch noch, indem er seine Wuschelhaare an die Lehne presste und mich von unten angrinste. »Einmal zum Eistauchen auf den Prestvannet, bitte.«

Wir fuhren los. »Meine Schwester hatte recht. Allein nachts eistauchen zu gehen, grenzt an Selbstmord.«

»Ach, sorgst du dich etwa um mich?«

Sein blödes Grinsen wurde geradezu unerträglich. Dass es außerdem ein verdammt schönes Grinsen war, machte es nur noch schlimmer. Meine überschäumenden Hormone hatten mich schon einmal damit reingelegt. Den Gefallen würde ich ihnen nicht wieder tun.

»Ich will nur nicht, dass man mir etwas nachweisen kann«, erwiderte ich mit einem ebenso herausfordernden Lächeln. »Einige Leute haben uns zusammen wegfahren sehen. Nicht die beste Voraussetzung für einen Mord. Wir können uns aber gern in ein paar Wochen ohne Zeugen irgendwo anders treffen, wenn du Lust hast. Es soll da ein paar nette Klippen auf dem Storsteinen geben. Sehr diskret und tödlich.«

Sein Grinsen wackelte ein wenig. »Dein Motiv?«

Fragte er das wirklich?

»Rache«, erwiderte ich und sah, wie er zusammenzuckte.

Ich lenkte den Schlitten auf einen der Trails hinter der Stadt, wodurch wir nun schneller vorankamen. Die letzten Häuser mit ihren bunten Fassaden und nach Feuerholz duftenden Schornsteinen verloren sich hinter uns im Mondlicht. Vor uns breitete sich die norwegische Wildnis mit sanften Hügeln und verschneiten Tannenwipfeln aus. Im Hintergrund erhoben sich weiße Berge wie stumme Wächter vor dem Sternenhimmel. Die Luft hier draußen wurde so kalt, dass man nur noch Frische riechen konnte.

Eine Weile war bloß das Hecheln der Hunde und das sanfte Dahingleiten des Schlittens zu hören. Die Huskys zogen uns mit beeindruckender Kraft durch die Landschaft. Schnee und Mondlicht waren so hell, dass wir keine Lampe brauchten. Trotzdem wurde es um diese Uhrzeit schwierig, den Untergrund genau zu erkennen. Ich ließ die Leine etwas lockerer und übergab Freyas deutlich schärferen Augen die Führung. Sie kannte den Weg nach Hause.

»Rache wofür?«, brachte Fynn mit deutlicher Verzögerung hervor. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt. Wollte er tatsächlich, dass ich es aussprach?

Kühl blickte ich von oben auf ihn herab. »Dir ist schon klar, dass ich sozusagen einen Strick in der Hand halte und dein Hals sich direkt vor meinen Händen befindet, oder?«

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was habe ich dir getan?«

»Warst du so betrunken, dass du dich nicht mehr erinnerst?«

»Ich trinke nicht. Ich bin Sportler.«

Das stahl mir die Worte von den Lippen. Ich hatte gedacht, dass er betrunken gewesen war. Jedenfalls hatte ich mir das im Nachhinein so zurechtgelegt. Dass er es nüchtern getan hatte, war irgendwie noch schlimmer.

Er interpretierte mein Schweigen völlig falsch und legte grinsend noch eins obendrauf. »Ich erinnere mich sogar noch sehr genau. Wie du mich angelächelt hast, als deine Hand sehr tief in meine Shorts glitt. Und wie sich deine vollen Haare in meinen Händen angefühlt haben, als du mir das Kondom mit deinen schönen Lippen –«

»Du brauchst es nicht zu wiederholen. Ich war dabei.«

Ich blickte stur nach vorne. Meine Wangen wurden bloß wegen des Fahrtwindes so heiß. Es war Winter. Es war kalt. Da schoss einem natürlich das Blut ins Gesicht. Das war einleuchtend. Und vor allem war es ein gutes Argument, das ich beinahe selbst glaubte.

Beinahe.

Ich seufzte.

Mir hätte klar sein müssen, dass es sich um eine einmalige Sache handelt. Wahrscheinlich hätte ich ihn einfach fragen sollen. Aber daran hatte ich nicht denken wollen, als wir uns vor den Sonnwendfeuern geküsst hatten; als seine Haare nach Pinienholz rochen und seine Zunge nach süßem Blaubeerkuchen schmeckte. Ich war mir sicher gewesen, dass ich es wollte. Weil da schon seit der Schule etwas zwischen uns war. Kleine Dinge. Ein heimliches Grinsen über die anderen Leute hinweg. Eine selbstverständlich geteilte Wasserflasche bei Ausflügen. Seine Jacke über meinen Schultern, weil ihm anscheinend nie kalt war. An der Uni saßen wir im Geologiekurs sogar nebeneinander. Und dann kam Mittsommer. Er hatte es gewollt. Ich hatte es gewollt. Unsere erste und letzte gemeinsame Nacht – die eigentlich keine Nacht war, weil die Mitternachtssonne um diese Jahreszeit einfach über dem Horizont blieb – und es hatte sich unglaublich gut angefühlt.

Aber es hatte nicht gut geendet.

»Du warst am nächsten Morgen einfach weg«, hauchte ich in den Fahrtwind.

Fynn hörte es nicht.

Und ich verzichtete darauf, es zu wiederholen.

Alle hatten mitbekommen, dass ich am nächsten Morgen allein beim Frühstück aufgetaucht war. Keiner hatte etwas gesagt, aber ich sah es an den verstohlenen Blicken, die sie einander zuwarfen; hörte es an ihrem leisen Getuschel, das sofort mit einem Lächeln überspielt wurde, wenn ich hinschaute. Ich konnte an ihrer Reaktion erkennen, dass er mich ausgenutzt hatte und ich die Letzte auf dieser verdammten Berghütte war, die das kapierte.

Ich hielt den Schlitten an.

Mein Herz schlug heftig in meiner Brust.

»Steig aus. Wir sind da. Du solltest nicht allein ins Wasser gehen.«

»Ich bin nicht allein«, erwiderte er mit einem Lächeln, während er sich aus dem Sitz schälte und seine langen Beine ausstreckte. Er kannte meine Gedanken nicht. Und so langsam dämmerte mir, dass seine Version dieses Morgens danach eventuell eine andere sein könnte.

Nur änderte das nichts an meiner.

Ich sah hinüber zum See. Wenn alles so frisch verschneit war, konnte man nur an der glatten Fläche sehen, wo die Hügel endeten und das Ufer begann. Unsere Hütte lag genau auf der anderen Seite. Dad hatte die Weihnachtsbeleuchtung angelassen, die wie gefallene Sterne zu uns herüberfunkelte. Als wir noch klein waren, hatte er uns erzählt, dass Mama uns in ihrem Licht beim Schlafen zusah. Ich wünschte mir plötzlich mit brennender Intensität, sie zu fragen, wie ich mich fühlen soll. Wir hatten nur Kindergespräche miteinander gehabt. Meine Mutter hat mich nie als erwachsene Frau kennengelernt.

Fynn trat in mein Blickfeld.

Er ragte wie ein Schatten vor mir auf, weil der Mond genau hinter ihm stand.

»Du gehst mir seit dem Sommer aus dem Weg«, raunte er in die Dunkelheit zwischen unseren Gesichtern. Ich konnte nur seine Atemwolken sehen, die über seinem Kopf in die kalte Luft aufstiegen.

»Weil mir das eine Mal gereicht hat«, erwiderte ich mit kratziger Kehle.

Das verunsicherte ihn. Einer wie er hörte so etwas vermutlich nicht oft. Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, was den Schnee unter seinen Boots knirschen ließ. »War es für dich … nicht gut?«

»Oh, ich hatte einen Orgasmus, falls du das meinst.« Ich ließ ihn stehen und ging an ihm vorbei hinunter zum Ufer. »Aber das ist etwas, das ich auch sehr gut allein hinkriege. Spring in den See. Ich gebe dir fünf Minuten. Dann fahre ich weiter.«

Er kam mir nach.

Ich mochte das Geräusch, wenn der Schnee sich unter unseren Sohlen verdichtete. Es trug eine ganz eigene Friedlichkeit in sich, die man nur im tiefen Winter finden konnte. Eine Friedlichkeit, nach der ich mich sehnte. Denn in meinem Innern herrschte das absolute Gegenteil. Eine Unruhe vibrierte in mir, die ich nicht benennen wollte. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie von unausgesprochenen Gefühlen hervorgerufen wurde. Gefühle, die ich nicht mehr haben wollte.

Ich lief voraus auf die verschneite Eisdecke.

Nicht weit vom Ufer entfernt war mit einer Motorsäge eine drei mal drei Meter große Lücke ins Eis gefräst worden. Winterbaden war eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Es gab sogar eine mit Kletterseilen und Eishaken befestigte Holzleiter, um sicher hineinzuklettern und wieder herauszukommen. Der See hatte zwar keine unterirdischen Strömungen, trotzdem musste man aufpassen. Das Wasser war bitterkalt und konnte bei Ungeübten einen Kreislaufkollaps auslösen. Und sollte man unter der dicken Eisdecke gefangen sein, konnte einem niemand mehr rechtzeitig helfen.

»Siri!«

Ich ignorierte Fynn hinter mir.

»Siri, bleib stehen«, schnaubte er. »Ich bin nicht wegen des Eistauchens hier!«

Ich wirbelte herum und wartete mit geballten Fäusten darauf, dass er zu mir aufschloss. Augenblicklich wurde er langsamer. Er strich sich sein zerzaustes Wuschelhaar zurück und kam zögernd näher.

»Ich versuche schon, mit dir zu reden, seit ich vom Everest zurück bin«, sagte er nun deutlich leiser. »Ich habe es am Beginn des neuen Semesters versucht, als du Professor Andersens Bücher spontan irgendwohin tragen musstest. Dann in unserem Geologiekurs, den du seither nicht mehr besucht hast. Später auf Lasses Halloweenparty, auf der du so getan hast, als wärst du ein Gespenst, das mich nicht hören kann. Und zwischendurch war ich mindestens fünfzigmal allein in diesem Katzen-Café, weil du einmal erwähnt hattest, dass du da gerne hingehst.«

Ich sah ihn an.

Er sah zurück.

»Du hast Ingrids Geburtstagsfeier vergessen«, hörte ich mich sagen. »Auf der habe ich dich ebenfalls ignoriert. Ich habe überhaupt keinen Cousin, der ins Krankenhaus musste.«

Er trat einen letzten Schritt auf mich zu. Sein Atem dampfte vor meinem Gesicht. »Ich bin einzig und allein wegen dir hier.«

Ich missverstand ihn mit voller Absicht. »Das weiß ich, schließlich habe ich dich hergefahren.«

»Siri …« Er atmete tief durch. »Ich weiß, dass ich nach Mittsommer lange weg war. Man kann eine Besteigung des Mount Everest nicht einfach abkürzen oder schneller machen. Zehn Wochen sind sehr viel Zeit. Inzwischen ist mir klar geworden, dass es zu lange war, um nicht mit dir zu reden. Aber ich dachte damals noch, dass zwischen uns alles okay ist.« Er klang rauer und leiser als sonst. Ein Gefühl schwang in seinem Blick mit, das ich nicht deuten konnte. Sein Kehlkopf hüpfte. Er schluckte schwer. »Nach dem zweiten Basecamp kippte das Wetter. Wir hatten Notzelte, aber die Ventile an unseren Sauerstoffflaschen froren ein. Ich konnte kaum noch atmen, weil die Luft so dünn war. Und ich dachte an all die Dinge, die ich gerne noch erlebt hätte.« Langsam hob er eine Hand, und als ich nicht zurückwich, strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht. »Vor allem dachte ich an dich.«

Das Atmen fiel mir plötzlich schwer.

Ich riss mich von seiner Berührung los und stapfte mit hämmerndem Puls weiter. Ein echtes Ziel hatte ich nicht. Der quadratische Schatten des Eislochs war die einzige Markierung auf der glatten Schneeebene. Automatisch steuerte ich darauf zu.

»Siri! Warum bist du so?! Sag es mir bitte! Ich verstehe es nicht!«

Mit gefletschten Zähnen wirbelte ich herum und feuerte ihm meinen Zeigefinger entgegen. »Du hast mich verdammt noch mal fallen lassen! Ohne auch nur ein einziges Wort! Du wolltest vor deinem großen Abenteuer noch einmal vögeln und danach war ich dir scheißegal! DARUMREDEICHNICHTMEHRMITDIR!«

»Ohne ein einziges Wort?« Er lachte ungläubig auf, kam beinahe taumelnd näher, als hätten ihm meine Worte einen Schock versetzt. Als wäre ihm das nicht bewusst gewesen.

Was absolut lächerlich war.

Ich hatte an jenem Morgen meine Hand nach ihm ausgestreckt, aber nur das Bettlaken zu fassen bekommen. Ich hatte im Badezimmer nach ihm gesehen, sogar die Dusche geöffnet, weil das Glas noch etwas beschlagen war. Ich hatte den angetrockneten Schaum von dem kleinen Shampoofläschchen gewischt, weil ich wissen wollte, wie er jetzt riecht. Mit einem Lächeln war ich zurück zum Bett getappt und hatte mein Handy nach einer Nachricht gecheckt. Ich sah auf dem Nachttisch nach. Auf dem Schreibtisch. Selbst auf dem verdammten Klo. Und dann hatte ich alles, was ich wissen musste, in den Gesichtern der anderen beim Frühstück gelesen.

Wie benommen schüttelte Fynn den Kopf. »Du hast dich brummend auf die andere Seite gedreht, als ich dich aufwecken wollte. Wir hatten kaum zwei Stunden geschlafen, aber ich musste den Flieger erreichen. Ich war mir nicht sicher, ob du irgendetwas von dem verstanden hattest, was ich dir sagen wollte, also schrieb ich es zur Sicherheit auf. Es war mir zu wichtig für eine Handynachricht. Ich wollte etwas, das du in den Händen halten kannst. Etwas, das wir uns vielleicht irgendwann einmal zusammen ansehen würden, in ein paar Jahren …«

Ich runzelte die Stirn.

Wovon in aller Welt redete er da?

»Deshalb habe ich dir –« Er blieb stehen und blickte nach unten.

Kurz dachte ich noch, er müsste sich seine Worte überlegen.

Dann vernahm ich ein leises Knacken im Eis und wusste, dass etwas nicht stimmte.

Sabine Schoder

2 Beneath The Ice II

Anfang Dezember war der Prestvannet bereits vollständig zugefroren, aber er hatte noch nicht die Eisdicke wie im Januar. Tagsüber konnte man an den bläulich schimmernden Stellen sehen, wo das Eis dünner war, doch das Mondlicht hatte diese Facetten geschluckt.

Fynn sah zu mir auf. Das Weiß seiner Augen war zu hell.

Ich wusste, was er gleich sagen würde. Verdammt, ich war an diesem See aufgewachsen, ich wusste es wahrscheinlich noch vor ihm.

Aber er sprach es zuerst aus. »Beweg dich nicht.«

Dann brach er im Eis ein und verschwand vor meinen Augen.

Mein Herz blieb stehen.

Es war unwirklich.

Wie in einem dieser Filme, wenn der Held zurück ans Ufer schwimmt – und das Monster ihn plötzlich unter Wasser reißt.

Nur, dass da kein Monster unter uns war. Es war bloß der Prestvannet. Der See, an dem ich aufgewachsen war. Der See, in dem wir im Sommer badeten. Er war lächerliche fünf Meter tief. Und dieses Loch, das plötzlich vor mir in der Eisdecke klaffte, war nicht breiter als ein Mensch.

Ich wollte zu Fynn rennen.

Meine Instinkte schrien danach.

Aber ich hatte von klein auf gelernt, auf dem Eis zuerst zu überlegen. Keine hektischen Bewegungen. Und vor allem: das Gewicht verteilen.

Ich ließ mich auf Knie und Hände sinken und streckte mich vorsichtig der Länge nach auf dem Bauch aus. Für einen Hilferuf war keine Zeit. Bis die Einsatzkräfte hier wären, würde es für Fynn längst zu spät sein. Er hatte nur Minuten.

Mein Herz hämmerte gegen das Eis, als ich mich langsam nach vorne schob. Freyas Jaulen klang durch die Stille. Sie fühlte, dass etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich hatte ich geschrien, doch daran konnte ich mich nicht erinnern. Das Knacken des Eises wurde lauter, je näher ich dem Loch kam, aber ich durfte mich nicht davon abschrecken lassen. Wenn er nicht sehr bald hochkam, war er verloren.

Er durfte nicht verloren sein, dachte ich mit brennender Kehle.

Zehn Wochen lang hatte ich auf eine Erklärung von ihm gehofft. Ich hatte sogar davon fantasiert, ihn lautstark vor all seinen Freunden zur Rechenschaft zu ziehen. Doch als er schließlich aus Nepal zurückgekehrt war und so getan hatte, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen, wollte ich schlagartig nichts mehr von ihm wissen. Um ehrlich zu sein, wollte ein Teil von mir ihn mit demselben Schweigen bestrafen, das ich nach jener Nacht von ihm bekommen hatte.

Aber jetzt – ausgerechnet jetzt –, als ich mit rasendem Puls auf dieses Loch zukroch, wollte ich nichts sehnlicher als seine Erklärung hören.

Ich schob mich weiter, Zentimeter für Zentimeter, meine Hände zitterten im Schnee. Über mir flirrte mein Atem in der kalten Luft.

Plötzlich schoss Fynn wie ein Korken aus dem Loch hervor, schlug einmal wild um sich, zerbrach noch mehr Eis und versank ein weiteres Mal in der Tiefe. Niemand von uns hatte Zeit, etwas zu rufen. Wenigstens hatte er kurz Luft bekommen. Aber es war nicht der fehlende Sauerstoff, der mir am meisten Angst machte. Es war die unglaubliche Kälte des Wassers. Eine Kälte, die genauso brennen konnte wie Feuer. Sie würde ihn langsam lähmen, als zöge sie ihm nach und nach alle Kraft aus den Muskeln. Sein Körper würde das Blut aus den Armen und Beinen zurückziehen, um Herz und Gehirn zu schützen. Doch genau das würde es ihm unmöglich machen, wieder hochzukommen. Seine Finger würden taub werden, seine Glieder steif wie gefrorene Äste. Irgendwann würden seine Bewegungen langsamer werden, unkoordiniert, als hätte er vergessen, wie man schwimmt.

Ein deutliches Knacken unter meiner Brust ließ mich stoppen. Weiter konnte ich nicht, dann wären wir beide verloren. Ich streckte meinen Arm so weit vor, wie es ging, und ertastete mit tauben Fingerspitzen die harte Kante des Eises.

Bitte komm noch einmal hoch, betete ich. Nur noch ein Mal.

Aber er kam nicht.

Tränen schossen mir in die Augen.

»Ich war verletzt«, brachte ich mit erstickter Stimme hervor. »Ich war verletzt, weil ich schon seit der zehnten Klasse heimlich in dich verliebt bin. Und jetzt komm hoch, du Trottel, damit ich dir das sagen kann.«

Meine Fingernägel kratzten über das Eis.

Eine Träne fiel von meinen Wangen und versank im Schnee.

Am Ufer bimmelten Weihnachtsglöckchen. Freya hatte die anderen Huskys bis an den Rand des Sees geführt. Sie wusste, dass sie das nicht durfte. Sie war darauf trainiert, an Ort und Stelle zu bleiben, solange sie am Geschirr des Schlittens angeleint war. Ihr Ungehorsam war ein Zeichen ihrer Liebe.

Meine Brust tat weh.

Und plötzlich schoss Fynn noch einmal vor mir aus dem Wasser.

Meine Hand schlug sich wie eine Klaue in seine vollgesogene Jacke. Sein Gewicht zog mich nach vorn. Er würde mich mit sich in die Tiefe reißen. Ich rutschte ihm entgegen, bis unsere Schultern aneinanderprallten. Instinktiv hatte ich die Spitzen meiner Boots ins Eis geschlagen. Sie schabten darüber hinweg, bis sich genug Eissplitt vor ihnen angesammelt hatte, um mich zu bremsen. Das allein würde uns nicht halten, aber es verschaffte uns Sekunden. Sekunden, in denen Fynn seine Arme an Land werfen konnte und sich mit kratzenden Fingernägeln dicht neben mir hochzog. Überall um uns herum knackte das Eis in einem Spinnwebmuster auf und ließ den Schnee wie eine Staubzuckerschicht aufstäuben. Aber es hielt. Noch hielt es.

Zurück, du musst zurück! Zurück, zurück, zurück!

Ich robbte rückwärts, ohne Fynns Jacke loszulassen.

Er keuchte, seine Augen flatterten, seine Bewegungen waren fahrig. Er war kaum noch bei Sinnen. Nur die Schmerzen hielten ihn jetzt wahrscheinlich noch wach. Ich hoffte, dass sie es taten. Denn was nach den Schmerzen kam, war schlimmer.

»Fynn! Bleib wach! Du musst mir helfen!«

Ich spannte alle Muskeln an, grub meine Ellenbogen in den Boden und zerrte ihn Stück für Stück mit mir nach hinten. Er rutsche auf dem Eis, trotzdem kostete es mich viel Kraft. Die dicke Fütterung seiner Winterkleidung war schwer vom Wasser, seine Arme bewegten sich, kamen mir dabei aber eher in die Quere. Seine Lider waren halb geschlossen und sein Blick nicht fokussiert.

Er durfte bloß nicht ohnmächtig werden.

»Was ist bei einer Biene groß und bei einem Eisbären klein?«, stieß ich hervor. »Komm schon, denk nach!«

Er keuchte etwas, das vielleicht der Anfang eines Wortes war, brachte es aber nicht ganz heraus.

»Das B«, antworte ich mit klopfendem Herzen.

Er schnaubte amüsiert.

Frische Tränen stiegen mir in die Augen. Zwar klang er immer noch, als könnte er jeden Moment wegdriften, aber er war zumindest so weit bei Bewusstsein, dass er meinen wirklich schlechten Witz erkannt hatte.

Inzwischen waren wir bereits einige Meter vom Eisbruch entfernt. Noch wagte ich es nicht, aufzustehen, aber ich stützte mich auf Knien und Händen ab und konnte Fynn so besser mit mir schleifen. Er fing heftig an zu zittern. Das war gut. Es bedeutete, dass sein Körper versuchte, ihn aufzuwärmen.

Ich zerrte ihn weiter.

»Das Eis knackt nicht mehr«, bemerkte ich schließlich. »Kannst du aufstehen?«

Seine Lippen waren blau. »Es … es tut weh.«

Wahrscheinlich krampften seine Muskeln.

Ich wagte es nicht, nach Freya zu pfeifen, weil das Eis in Ufernähe normalerweise dünner war und ich nicht sehen konnte, wo es sicher genug für die Hunde war. Ein Ast oder etwas Ähnliches musste an der Stelle eingefroren sein, an der Fynn eingebrochen war, und hatte die Struktur des Eises geschwächt. Es könnte noch mehr solcher Stellen geben.

Auf den letzten Metern versuchte Fynn, auf die Beine zu kommen, schaffte es aber nicht ganz. Trotzdem gab er alles, damit ich ihn an Land bekam und auf den Schlitten hieven konnte. Ich packte ihn in alle Felle ein, die ich dabeihatte, und zog zusätzlich meine Jacke aus, um sie über ihm auszubreiten. Unsere Hütte war nicht weit entfernt. Die Strecke hielt ich auch in Dads selbst gestricktem Norwegerpulli aus.

»Ich sterbe vielleicht«, raunte mir Fynn heiser zu.

Ich zog ihm meine Wollmütze über. »Tust du nicht.«

»Bist du sicher? Das ist vielleicht deine letzte Chance für einen Kuss.«

Ich hielt mitten in der Bewegung inne und starrte ihn an.

Er lachte leise. »Nicht nur du kannst schlechte Witze machen.«

»Deine Zähne klappern«, informierte ich ihn. »Das wäre ja so, als würde ich einen Hundertjährigen küssen.«

Er lachte auf, aber ich konnte an seiner gepressten Atmung hören, dass er immer noch Schmerzen hatte. Ich sprang auf die Stehplattform hinter dem Sitz und ließ die Hunde so schnell laufen, wie sie konnten. Der eisige Wind schnitt mir ins Gesicht, während wir über die schneebedeckten Hügel rasten. Wie sich das anfühlte, wenn man Klamotten trug, die mit Eiswasser vollgesogen waren, konnte ich nur erahnen.

Nach gefühlt endlosen Minuten erreichten wir unsere Hütte. Ich sprang vom Schlitten, öffnete die Haustür und eilte zurück zu Fynn, um ihm aus dem Sitz zu helfen. Er stützte sich schwer auf mich, aber wir schafften es taumelnd ins Warme. Die Huskys mochten die Kälte. Sie würden es draußen aushalten, bis Dad mit Kari nach Hause kam. Jetzt galt es, Fynn so schnell wie möglich aufzuwärmen.

Wir hatten ein weihnachtlich geschmücktes Wohnzimmer mit einer Couch voll roter und grüner Steppdecken und einem gemauerten Kamin, in dem den ganzen Winter über Feuer brannte, weil es die einzige Heizquelle in unserer Hütte war. Früher hatte ich manchmal darüber geseufzt, wenn ich in zwei Klamottenschichten oben in meinem Zimmer saß und Eisblumen an meinem Fenster zählte. Jetzt war ich froh, denn die Hitze des offenen Feuers brannte mir schon in Sekunden ein lebendiges Kribbeln in die Wangen.

Ich setzte Fynn auf dem Teppich davor ab.

Er schlotterte am ganzen Leib.

»Ich muss dich aus den nassen Klamotten holen.« Meine Finger zitterten vor Kälte und Adrenalin, als ich seine Jacke öffnete und ihm die nassen Sachen ein wenig zu grob von der Haut zerrte. »Sorry, aber wenn du all deine Zehen behalten willst, muss es schnell gehen.«

Er machte mit, so gut er konnte.

Auch wenn es ihm schwerfiel, die Augenlider offen zu halten, spielte ein Lächeln um seinen Mund. »Eiskletterer wissen, was zu tun ist, damit man nicht erfriert. Ich fürchte, du musst mich splitterfasernackt ausziehen und überall abrubbeln.«

Kaum zu glauben! Da kratzte er fast ab und genoss es auch noch.

Ich zog ihm die nassen Socken von den Füßen, pfefferte sie in eine Ecke und lies ihn in seinen Shorts sitzen. »Den Rest schaffst du selbst, nehme ich an. Ich setze Teewasser auf und hole dir ein Handtuch.«

Als ich zurückkam, war schon etwas mehr Farbe auf seinen Wangen. Er hatte sich aufgesetzt und die Arme um die Beine geschlungen. Mir entging nicht, dass seine feuchte Unterwäsche neben ihm auf dem Teppich lag. Ich zog eine Augenbraue hoch, während er verlegen mit den Schultern zuckte.

»Ich habe zehn Zehen, da kann schon mal einer abfrieren. Aber gewisse andere Teile sind Einzelstücke.«

Ich warf ihm das Handtuch über den Kopf und holte ein paar Decken von der Couch. Solange er noch nicht völlig aufgewärmt war, sollte er so nah am Feuer bleiben wie möglich. Über gewisse Einzelstücke versuchte ich lieber nicht weiter nachzudenken.

Er trocknete sich ab, brachte aber seine Arme kaum über den Kopf. Normalerweise konnte er sich einhändig an einer Stange hochziehen, das hatten er und die anderen Angeber oft genug im Sportunterricht bewiesen. Jetzt schmerzten seine Muskeln vermutlich bei jeder noch so kleinen Bewegung. Die Krämpfe hatten Spuren hinterlassen. Morgen würde es noch schlimmer sein. Ich legte die Steppdecken um seine Schultern, verjagte den Gedanken, dass er mit nacktem Hintern vor mir saß, und rubbelte seine Haare mit dem Handtuch trocken.

»Danke«, flüsterte er zum Feuer. »Du hast mir das Leben gerettet.«

»Wenn du es so formulierst, überleg ich es mir gleich anders.«

Er schnaubte amüsiert. »Was dann? Schleppst du mich zurück zum See?«

»Hmm«, brummte ich. »Ziemlich umständlich, jetzt, wo wir hier sind. Wie wär’s stattdessen mit selbst gemachtem Weihnachtstee und etwas Rohrreiniger?«

Sein Lachen schüttelte seinen ganzen Körper und ließ ihn vor Muskelkater stöhnen. Das geschah ihm recht. Mit einem kleinen fiesen Grinsen rieb ich ihn hinter den Ohren trocken.

»Bereust du es?«, fragte er in einem ernsteren Ton.

Ich wusste sofort, dass wir nicht mehr von heute sprachen.

Nachdenklich ließ ich das Handtuch auf seine Schulter sinken. »Ich habe es bereut«, sagte ich ehrlich. »Aber nicht wegen dem, was wir getan haben. Sondern wegen dem …« Ich zögerte das Ende des Satzes hinaus, weil ich wusste, dass er nachfragen würde, ich aber nicht die geringste Ahnung hatte, was ich darauf erwidern sollte. Was genau hatte ich von ihm gewollt? So ziemlich das Gegenteil von allem, was in den letzten Monaten passiert war. Ich atmete tief durch. »Sondern wegen dem, was wir nicht getan haben«, schloss ich leise.

Er drehte sich zu mir um. Die orangefarbenen Flammen des Feuers spiegelten sich in seinen Augen, sodass sie noch grüner wirkten. Die Decken hingen über seinen Schultern, seine nackte Brust war entblößt. Weiter nach unten blickte ich nicht.

»Ich wünschte, ich hätte bleiben können, bis du wach bist. Aber ich musste zum Flughafen.« Er sah mir in die Augen, als suchte er etwas darin. »Hätte ich diesen Flieger verpasst, wären jahrelanges Training und monatelange Planung meines Everest-Teams über den Haufen geworfen worden. Mal davon abgesehen, dass die Sponsoren mich auf Teufel komm raus verklagt hätten. Ich musste gehen. Aber ich wollte dir keine Handynachricht hinterlassen. Nicht nach dem, was wir in dieser Nacht zusammen hatten. Deshalb habe ich dir den Brief geschrieben.«

»Brief?« Das Wort fiel wie etwas Lebloses von meinen Lippen.

Er runzelte die Stirn. »Du hast ihn nie gelesen, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das ist so nicht ganz korrekt. Ich habe nie einen Brief bekommen. Hast du den von Nepal aus losgeschickt?«

»Nein.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe ihn noch in der Berghütte geschrieben und dem Wirt einen Fünfhunderter zugesteckt, damit er dir ein leckeres Frühstück zusammen mit dem Brief bringt, sobald du wach bist.«

Ich starrte ihn an. Möglicherweise mit offenem Mund.

»Und später habe ich in der Hütte extra noch mal angerufen«, fuhr er schnaubend fort. »Weil ich nach der Landung in Nepal noch immer keine Nachricht von dir bekommen hatte. Sie sagten mir, dass du dich sehr über das Frühstück gefreut hättest.«

»Jemand hat das wohl auch«, antwortete ich benommen. »Nur war das nicht ich.«

Einige Herzschläge lang sahen wir uns bloß an.

»Du dachtest, ich habe dich sitzen lassen«, schloss er leise.

Ich nickte schwach. »Und du dachtest, ich bereue es einfach nur.«

Er senkte den Blick. »Solange ich im Himalaja war, noch nicht. Da hatte ich die meiste Zeit über sowieso keinen Empfang. Ich vermutete, du lässt mich einfach ein bisschen zappeln. Erst als ich wieder hier war und du bei meinem Anblick Haken wie ein Hase geschlagen hast, beschlich mich die leise Ahnung, dass etwas gewaltig danebengegangen war.« Er lächelte mich schief an. »Zu meiner Verteidigung möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit Oktober versuche, mit dir darüber zu reden.«

Jetzt schämte ich mich für meine Fluchtversuche. Ich sah hinab auf meine Hände. »Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass ich zehn Wochen lang nichts von dir gehört habe und fest davon überzeugt war, dass du mich ausgenutzt hast.«

»Das habe ich nicht.« Er beugte sich ein wenig näher. Sein Blick fiel auf meine Lippen, seine dunklen Wimpern hingen halb über seinen Augen. »Ich bin schon seit der zehnten Klasse heimlich in dich verliebt.«

Ich schnellte mit klopfendem Herzen vor ihm zurück. »Machst du dich über mich lustig?!«

Jetzt sah er verwirrt aus. »Was? Wie kommst du darauf?«

»Weil es genau das ist, was ich zu dir gesagt habe, als du –«

Als er unter Wasser war.

Er konnte das gar nicht gehört haben.

Schock flutete meinen Körper. Ich sank gegen die Couch und starrte ihn fassungslos an. »Du … du bist … in mich verliebt?«

Ihm entfuhr ein ungläubiges Lachen. »Nein, ich gehe einfach so jeden Tag in ein Katzen-Café, obwohl ich leicht allergisch bin und jedes verdammte Mal mit laufender Nase wieder herauskomme.«

»War das Sarkasmus?«, piepste ich.

»Okay, jetzt reicht’s.« Er schlang sich eine der Steppdecken um die Hüfte, raffte sich mit steifen Beinen auf und stakste zu mir herüber. Nur um sich dicht vor mir auf den Teppich zu knien und meinen Kopf behutsam in beide Hände zu nehmen. Dann sprach er jeden Satz sehr klar und sehr deutlich und absolut unmissverständlich aus.

»Ich bin in dich verliebt, Siri. Ich bin es schon so lange, dass es fast peinlich ist. Und ich fand dich einfach unglaublich in jener Nacht.«

Die Funken des Feuers spiegelten sich in seinen Augen. Es war, als würde sich endlich ein Knoten in meiner Brust lösen, der mir seit Monaten die Luft abgeschnürt hatte. Und trotzdem fiel es mir schwer, ihn loszulassen. Denn nur dieser Knoten hatte mich davor bewahrt, auseinanderzufallen. Schon wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Ich war mir nicht sicher, wie viel er davon sehen konnte. Doch auch er hatte seine Gefühle offenbart, also war das nicht so schlimm.

»Was wird jetzt aus uns?«, krächzte ich heiser.

»Wir könnten es Schritt für Schritt neu angehen.« Er lehnte seine Stirn an meine und strich mit den Daumen zärtlich über meine Schläfen. »Wie wär’s für den Anfang mit einem ersten, gemeinsamen Morgen danach?«

Ich lachte auf. »Muss es dann nicht zuerst ein davor geben?«

»Das ließe sich einrichten, wenn es sein muss. Mir tut alles weh. Aber für dich würde ich es tun.«

Ich kicherte gegen seine Lippen. Und dann … dann ließ ich diesen schrecklichen Knoten einfach los und küsste ihn. Er sog überrascht die Luft ein, als hätte er nicht damit gerechnet. Doch nur einen Herzschlag später seufzte er erleichtert in den Kuss. Vielleicht war da auch ein Knoten in seiner Brust gewesen, der sich nun gelöst hatte. Seine Hände glitten in meine Haare. Meine schlangen sich um seinen Nacken.

Endlich wurde sein Körper warm. Die Hitze des Feuers glühte auf meinen Handrücken, doch die Küsse, die er auf meine Stirn und Wangen setzte, brannten sich tiefer in meine Haut, als jedes Feuer es je gekonnt hätte.

Die Mittsommernacht war voller Lachen und wilder Leidenschaft gewesen. Etwas, das sich aufregend angefühlt hatte – doch nicht annähernd so gut wie das hier. Er küsste mich jetzt mit einer Zärtlichkeit, die ich noch nicht mit ihm – oder irgendeinem anderen Mann – erlebt hatte. Nicht als wäre ich zerbrechlich. Sondern als wäre ich unheimlich wertvoll.

Er küsste mich wie jemanden … den er liebt.

Später lagen wir warm eingehüllt in der Stille auf der Couch und genossen die Nähe des anderen. Der Duft von selbst gemachtem Weihnachtstee hing in der Luft – eine Mischung aus getrockneten Orangenschalen, würzigem Kardamom und einer Prise schwarzem Wacholder, die mich immer an die weiten Fjell-Landschaften im baumlosen Hochgebirge Norwegens erinnerte. Der Schein des Feuers flackerte über Fynns schönes Gesicht und ließ Licht und Schatten in seinen Augen tanzen. Meine Finger fuhren träge über seine nackte Haut und zeichneten kleine, unsichtbare Muster, die ihn zum Lächeln brachten. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und hörte, dass sein Herzschlag noch immer zu schnell war, als wollte er diesen Tag nicht loslassen. Weder den Einbruch im zugefrorenen See noch unsere Küsse danach. Das Knacken des Holzes, in dem kleine Luftbläschen eingeschlossen waren, lullte uns dennoch langsam in den Schlaf.

Von draußen hörte ich das leise Heulen des Windes, das Knarzen der Hütte unter dem Druck des Schnees. Irgendwann glaubte ich sogar, das vertraute Geräusch von Dads Pick-up zu hören, als er draußen vorfuhr und die Handbremse anzog. Die Huskys bellten zur Begrüßung. Vielleicht träumte ich das aber auch.

Am nächsten Morgen war Fynn nicht mehr da.

Verschlafen blinzelte ich ins Tageslicht und schob meine Hand an die Stelle, wo er gelegen hatte. Seine Wärme war unter der Decke bereits verschwunden. Plötzlich war ich mit klopfendem Herzen auf den Beinen, zog mir hastig meine Socken an und tappte mit trockenem Mund in die Küche, bereit, meine Erleichterung mit einem Scherz herauszulassen, weil er ganz bestimmt mit verwuschelten Haaren am Tisch saß und Karis angekokelte Weihnachtskekse knabberte.

Aber der Scherz blieb mir in der Kehle stecken.

Ich fand nur eine knappe Notiz von Dad, in der er mich wissen ließ, dass er die Huskys versorgt hatte und mir einen schönen Tag wünschte. Das war alles, aber zwischen den Zeilen schwang noch mehr mit. Dad musste uns beide schlafend auf dem Sofa gesehen haben. Er hatte mich nicht geweckt, weil Kari ihm vermutlich erzählt hatte, was sie wusste. Jetzt war er bei der Arbeit und meine Schwester in der Schule. Der schöne Tag bezog sich also garantiert auf Fynn. Dad schrieb so etwas normalerweise nicht.

Was, wenn es kein schöner Tag wird?, flüsterte eine Stimme in mir.

Ich widersprach ihr sofort. Bleib ruhig, Siri. Er würde das nicht noch einmal tun.

Es musste eine andere Erklärung geben.

Ich huschte in den Flur und klopfte an die Badezimmertür. Als keine Antwort kam, drückte ich die Klinke hinunter, fand den Raum jedoch verlassen vor. Nur die feuchte Wärme vom Duschen hing noch in der Luft. Hatte er sich die Erinnerung an mich schon vom Körper gewaschen? Eine leichte Unruhe machte sich in mir breit. Erinnerungen an den Mittsommermorgen krochen wie teertriefende Schatten in meine Gedanken.

Ich stürmte zur Haustür, riss sie auf und ließ die silbernen Glöckchen an unserem Türkranz in die Kälte hinausbimmeln. Es musste schon fast Mittag sein. Die Sonne ging in der Polarnacht zwar nie richtig auf, aber ihr Tageslicht dämmerte über dem Horizont und färbte den zugefrorenen See in allen Facetten zwischen Eisblau und Indigo. Die Dunkelheit hier oben im Norden hatte etwas Magisches, fast Märchenhaftes, als würde die Welt nie richtig aufwachen und den Winter einfach nur träumen. Über den Bergspitzen lag ein schmaler Streifen blassen Lichts – ein Hauch von Rosa, Violett und Gold. Die tief verschneiten Tannen an den Schattenhängen waren in einer stillen, frostigen Ewigkeit gefangen. Von hier aus war der herausgesägte Pool für das Winterbaden nur ein winziger, dunkler Punkt in der Schneedecke. Fynns Einbruchstelle war nicht mehr zu erkennen. Als hätte die Natur ihr Schweigen darübergelegt. Als würde sie – genau wie die lächelnden Leute beim Frühstück in der Berghütte – mir zuliebe so tun, als wäre nichts gewesen.

Mir wurde schlecht.

Und dann schlangen sich von hinten zwei Arme um mich. »Hey.«

Ich fuhr herum und starrte Fynn an. »Wo warst du?!«

Sein Blick weitete sich. »Unten im Keller. Dein Vater hat mir erlaubt, den Trockner zu benutzen.« Er deutete an sich herab. Erst da wurde mir bewusst, dass er die Sachen von gestern trug. »Die Alternative wäre gewesen, dass ich mich in eine deiner Weihnachtsstrumpfhosen quetsche und ein verwaschenes Boyband-Shirt anziehe. Aber das waren nicht so ganz meine Farben.«

»Hör bloß auf! Die trage ich seit der siebten Klasse nicht mehr!«

Er grinste unverschämt. »Leider kenne ich jetzt all deine schmutzigen Geheimnisse. Sie hängen unten auf der Wäscheleine.«

Ich lief rot an. »Das sind nur alte Klamotten für zu Hause!«

Er lachte mich aus.

Ich verpasste ihm einen Stoß, den er geschmeidig auffing und dazu benutzte, mich an seinen Körper zu ziehen, um mir einen Kuss ins Haar zu drücken. Ich versteckte meine Gefühle in seinem Shirt unter der offenen Jacke. Die Angst, die noch nachklang. Die Erleichterung, die mir das Atmen schwerer machte. Vielleicht spürte er etwas davon an der Art, wie ich mich an ihn krallte. Vielleicht presste er mich deshalb so fest an seinen Körper, dass unsere Herzen gemeinsam schlugen.

»Ich lass dich nicht mehr allein«, flüstere er an meine Schläfe. Er ließ die Worte eine Weile nachklingen, und als er sich sicher war, dass ich sie verstanden hatte, fügte er hinzu: »Eigentlich wollte ich dich ausschlafen lassen und dich mit Frühstück im Bett überraschen. Aber ihr habt nur Zwiebeln im Kühlschrank und etwas, das möglicherweise mal ein Früchtekuchen war.«

Ich hob mein Kinn und runzelte die Stirn. »Wir essen überhaupt keine Zwiebeln.«

»Dann war es etwas anderes, das mir Tränen in die Augen getrieben hat.«

»Ha! Du ärgerst mich doch nur!«

»Ganz und gar nicht. Ich würde es eher mit diesem Weihnachtstee und dem Rohrreiniger aufnehmen, als das zu essen, was bei euch herumkriecht.« Er grinste äußerst frech zu mir herab. »Aber ich hätte da noch einen anderen Vorschlag. Da meine Klamotten jetzt trocken sind – und so gut wie gar nicht nach See und Todesangst riechen –, würde ich dich gern in der Stadt zum Frühstück einladen. Ich habe da dieses süße Katzen-Café entdeckt, das Kakaoschnurrhaare in den Cappuccinoschaum malt.«

»Ich dachte, du bist allergisch gegen Katzen?«

»Seit ich euren Kühlschrank überlebt habe, fürchte ich nicht mal mehr den Tod.«

Ich lachte empört auf und stieß ihn von mir. »O mein Gott, da ist er wieder! Der Kerl, der mich seit der zehnten Klasse bei jeder Gelegenheit aufzieht!«

Er nahm mich lachend in die Arme. »Jetzt weiß du ja, wieso.«

Mein Herz schlug schneller. »Du hättest mir auch einfach sagen können, dass du … na ja … du weißt schon … mich magst.«

»Das habe ich! Auf hundert verschiedene Arten!«

»Du hast mir meine Schnürsenkel zugeknotet.«

»Damit du in meine Arme fällst.«

»Du hast mein Avocadosandwich geklaut.«

»Das sah nicht mehr frisch aus. Außerdem wollte ich dich vor den seelischen Leiden bewahren, eine Frucht zu essen, die eine wirklich miese CO2-Bilanz hat.«

»Du hast ein Geschlechtsteil in mein Vulkanologiebuch gezeichnet und es nach Professor Lundgren benannt.«

»Weil der Arsch dir absichtlich eine unmögliche Prüfungsfrage gestellt hat, nur um sein sexistisches Vorurteil zu bestärken, dass Männer in seinem Kurs immer die Besten sind.«

Ich biss mir auf die Lippe und spielte an seinem Shirt herum. »Er hat dich dafür aus seinem Kurs geworfen …«

»… und du bist mir freiwillig gefolgt«, erwiderte er lächelnd. »Nur deshalb konnte ich dich fragen, ob du mich auf diese Berghütte begleitest. Was ich offen gestanden schon seit Wochen vor mir hergeschoben hatte, aber einfach nie herausbrachte, weil mir das Herz jedes Mal bis zum Hals schlug. Möglicherweise habe ich deine Jacke absichtlich in der Gondel liegen lassen, um eine Ausrede zu haben, damit ich dir meine geben konnte.«

Mein Herz schlug nun ebenfalls schneller. »Möglicherweise hätte ich meine Jacke problemlos wiederbekommen, habe es aber gar nicht erst versucht, um deine behalten zu können.«

Er lehnte sich mir entgegen und hauchte mir seinen warmen Atem an die Lippen. »Möglicherweise war mir vor diesem gigantischen Sonnwendfeuer überhaupt nicht zu kalt, als ich dich fragte, ob du mich in deinen Armen aufwärmen würdest.«

Ich schloss den letzten Abstand zwischen uns mit einem Kuss.

»Möglicherweise wusste ich das …«

P. J. Ried

3 Kafe Kat I

Ich liebte die leisen Morgenstunden. Die Momente, in denen ich das Kafe Kat betrat und die Straßen noch leer waren. Die kurze, verheißungsvolle Stille, bevor ich das Licht einschaltete, an den leeren Tischen und Stühlen vorbei auf den Ruheraum zuging – und von einem ungeduldigen Miauen empfangen wurde.

»Guten Morgen«, begrüßte ich Oreo, eine schwarz-weiß gemusterte Tuxedokatze, und strich ihr über das Fell. Aufgeregt hob sie den Kopf und drückte ihre Nase in meine Handfläche. »Ich hab dich auch vermisst.«

»Mau!«

»Dich natürlich auch«, ergänzte ich pflichtbewusst, während der orange getigerte Kater Gremlin um meine Beine strich.

»Mau?«

»Jaja, Futter gibt’s, sobald ich mich bewegen kann.«

Kurzerhand bückte ich mich, hob Gremlin hoch und huschte hinter die Theke, wo sich mir zwei weitere Fellnasen entgegendrängten. Eilig schlüpfte ich in das Zimmer, das den Katzen als Rückzugsort diente, und setzte Gremlin an einem der plüschigen Kratzbäume ab. Direkt darunter döste Doris, eine graue Britisch-Langhaar-Flauschigkeit, die ich vor vier Jahren hinter einem Fast-Food-Restaurant gefunden hatte. Kurz war ich versucht, eines ihrer Vorderpfötchen zu berühren, das sie im Halbschlaf von sich gestreckt hatte, aber Gremlins Protest hielt mich davon ab.

Also holte ich das Nassfutter aus dem Schrank, verteilte es in die Näpfe und füllte den Trockenfutterspender und die Wasserschüsseln auf, während sich Echo, eine sibirische Katze, Callisto, eine Scottish Straight, und Gremlin von allen Seiten an mich schmiegten. Oreo hingegen beobachtete mich nur aufmerksam, selbst Doris öffnete die Augen einen Spaltbreit. Als ich mich umdrehte, um das Futter in die erhöhten Vorrichtungen zu stellen, kam ich vor lauter miauenden Katzen kaum durch.

Ich lächelte. »Ist ja gut!«

Sobald die Fellnasen versorgt waren, verließ ich den Ruheraum und schloss die Tür hinter mir. So hatten nur die Katzen durch eine Klappe Zutritt zu ihrem Rückzugsort, wenn die Gäste kamen.

Falls Gäste kamen.

Unwirsch schob ich den Gedanken beiseite und ging zum Tresen, wo ich das Radio einschaltete. Zu den Klängen von LastChristmas begann ich mit der Zubereitung eines Kokekaffes und eines Tees. Als hätte sie es geahnt, betrat genau in diesem Moment meine beste Freundin Nora das Kafe Kat, wie immer in ihren Wintermantel und ihren Schal gewickelt, sodass man sie kaum erkannte.

»Hey«, begrüßte ich sie und stellte ihren Kokekaffe auf den mit Plastikkugeln und katzensicheren Kunststoffweihnachtsgestecken geschmückten Tresen. »Dein Cupcake kommt gleich, ich muss nur ein paar aus der Kühlung holen.«

»Wie lange hast du dafür gestern noch in der Küche gestanden?«

»Genieß sie einfach.«

Nora hob wissend die Brauen, während sie den Mantel auf einen Barhocker neben sich warf und ihre dampfende Tasse umklammerte.

»Hör auf, mich so anzusehen, oder du bekommst heute keinen!«, drohte ich, obwohl wir beide wussten, dass ich ihr niemals einen Cupcake vorenthalten würde. Schon gar nicht, nachdem sie versprochen hatte, mir unter die Arme zu greifen, um das Geschäft anzukurbeln, das – optimistisch ausgedrückt – etwas schleppend lief.

Also verschwand ich im angrenzenden Lagerraum und holte ein Blech meiner hausgemachten Cupcakes heraus, die allesamt von den sechs Katzen inspiriert waren, die im Kafe Kat lebten. Auf dem Teig thronte jeweils ein Katzenkopf aus Frischkäsecreme mit einer roten Weihnachtsmütze aus Zuckerguss.

Zurück am Tresen hielt ich Nora ihre drei liebsten Sorten hin. »Welchen möchtest du?«

Mit konzentrierter Miene musterte sie einen Marmorkuchen-Cupcake, der das Tabbymuster von Callisto imitierte, anschließend die Karottenkuchensorte für Gremlin und die Oreo-Cupcakes für – Achtung, originell – Oreo. Schließlich griff sie nach dem orangefarbenen und ich sortierte die anderen in die Gebäckvitrine. Dann schnappte ich mir meinen Tee und ließ mich neben Nora auf einen der Hocker gleiten.

»Also«, begann sie, nahm den Pfötchenbiskuit aus der Creme und biss hinein, »wie ist dein Plan für heute?«

»Ich … koche Kaffee?«

»Für?«

»Gäste?« Unschuldig blinzelte ich sie an.

Noras Miene wurde streng. »Hailee.«

»Na ja, hypothetisch kann es doch sein, dass es heute besser läuft. Und ich muss das Lager noch mal umsortieren. Und …« Ich schrumpfte unter ihrem bohrenden Blick zusammen. »Okay, ich habe ein Problem und brauche deine Hilfe.«

»Deshalb bin ich hier.«

»Was definitiv nichts mit den besten Cupcakes zu tun hat, die du jemals gegessen hast. Oder mit den Katzen.«

»Genau.« Nora zögerte kurz. »Na gut, vielleicht ein bisschen.« Sie kramte in ihrer Handtasche, zog einen Kugelschreiber hervor und angelte sich eine der katzenförmigen Servietten mit Tigermuster aus dem Ständer. »Aber damit du mich nicht umsonst durchfüttern musst, lass uns mit dem Brainstormen anfangen.«

Ich schluckte. Seit der Eröffnung des Kafe Kat vor knapp einem Jahr hatte ich nicht besonders viele Gäste an Land ziehen können – mit Ausnahme einiger weniger Stammgäste und eines kleinen Freundeskreises. Noch konnte ich vom Erbe meiner Großtante und den geringen Einnahmen leben, doch langsam wurde es knapp. Das wusste auch Nora, die ein absoluter BWL-Profi war. Sie hatte mir von Anfang an zur Seite gestanden und nun einen Krisenrat einberufen, um das Café, die Katzen und mich vor dem Untergang zu bewahren.

»Ich bin mal durchgegangen, was wir machen könnten, außer das Tierheim mit Plakaten zuzukleistern.« Sie schrieb Plakateauf die Serviette und direkt darunter: süß, aber oldschool. Gemein. »Flyer haben wir auch schon öfter verteilt und verschickt. Und die Happy-Hour-Aktionen haben nicht viel gebracht.«

»Leider.« Ich ließ die Schultern hängen.

»Aber denken wir mal weiter«, fuhr sie fort und bei ihrem Tonfall war mir klar, dass sie das schon längst getan hatte. »Wie wäre es mit lokalen Berühmtheiten, die für dich werben könnten?«

Missmutig fischte ich den zweiten Keks aus der Creme ihres Cupcakes. »Und wer bitte schön würde ein Katzen-Café promoten? Hier in Tromsø stehen doch alle auf Hunde.«

»Vielleicht gibt es ja jemanden, dem deine Cupcakes schmecken?«, schlug sie vor.

»Ja, genau«, sagte ich, »und als Nächstes frage ich das Eishockeyteam, ob sie meine Kuchen in die Kamera halten und sie gemeinsam mit ihrem Proteinsponsor bewerben.«

Nora tippte nachdenklich mit dem Stift gegen ihre vollen Lippen. »Eigentlich ist das gar keine so schlechte Idee.«

»Was?«

»Eishockey hat jetzt Hochsaison. Fast die ganze Stadt besucht die Spiele. Hm …« Sie zog ihr Smartphone hervor, tippte etwas ein und scrollte, bis sie triumphierend innehielt. »Wie wäre es denn mit Viggo Dahl? Der ist seit letzter Saison total beliebt.«

Sie hielt mir sein Foto auf dem Display hin, als würde nicht jeder in Tromsø Viggo kennen, einen der besten Flügelstürmer, den unser Eishockeyteam je hatte, und noch dazu der Teamkapitän. Als würde ich