Zodiac Love: Starlight in Our Dreams - Andreas Dutter - E-Book
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Zodiac Love: Starlight in Our Dreams E-Book

Andreas Dutter

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Beschreibung

Die Liebe steht in den Sternen ... In dem queeren New-Adult-Roman »Zodiac Love: Starlight in Our Dreams« schließen der von Astrologie begeisterte Felix und Medizin-Student Owen, der den Sternen skeptisch gegenübersteht, eine Sternzeichen-Wette ab, die ihrer beider Leben für immer verändert. Der wunderschöne Auftakt der Zodiac-Love-Reihe von Own-Voice-Autor Andreas Dutter! Der 19-jährige Österreicher Felix Novak ist Sternzeichen Fische und liebt Astrologie. Ganz untypisch für sein schüchternes Fische-Wesen hat er sich getraut, ein Auslandsstudium in Irland, am University College Cork, anzutreten. Er ist sofort angetan vom Dark-Academia-Charme des College. Auch sein Nebenjob bei einem Herrenausstatter beginnt vielversprechend – jedenfalls bis zum Besuch seines ersten Kunden Owen O'Hickey. Mit dessen abweisender und schroffer Art kommt Felix einfach nicht klar. Hat er etwas zu verbergen? Umso überraschter ist Felix, als er Owen einige Tage später über den Weg läuft und er gar nicht so übel ist. Als er von Felix' Liebe für Astrologie mitbekommt, macht der Medizin-Student jedoch unmissverständlich klar, dass er davon überhaupt nichts hält. Spontan fordert Felix ihn zu einer Wette heraus: Owen soll verschiedene Sternzeichen daten, und Felix wird vorhersagen, wie die Dates laufen. Die Einsätze sind hoch, doch die Wette gilt – und hält die eine oder andere Überraschung für Owen und Felix bereit ... Own-Voice-Autor Andreas Dutter erzählt in seiner Male-Male-Romance eine zum Träumen schöne Liebesgeschichte von den kleinen und großen Hindernissen auf dem Weg zum perfect match. Das Trendthema Astrologie fasziniert ihn schon lange, und daher zieht es sich wie ein rotes Band durch die queeren Liebesgeschichten der New-Adult-Reihe. Im zweiten Band, »Zodiac Love: Hope in Our Universe«, braucht der pansexuelle Quinn die Hilfe der Sterne ...

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Andreas Dutter

Zodiac Love

Starlight in Our Dreams

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Der 19-jährige Österreicher Felix Novak ist Sternzeichen Fische und liebt Astrologie. Zu seiner eigenen Überraschung hat er sich getraut, ein Auslandsstudium in Irland, am University College Cork, anzutreten. Er ist sofort angetan vom Dark-Academia-Charme des College. Auch sein Nebenjob bei einem Herrenausstatter beginnt vielversprechend – jedenfalls bis zum Besuch seines ersten Kunden Owen O'Hickey. Mit dessen abweisender und schroffer Art kommt Felix einfach nicht klar. Hat er etwas zu verbergen?

Umso überraschter ist Felix, als er Owen einige Tage später über den Weg läuft und er gar nicht so übel ist. Als er von Felix' Liebe für Astrologie mitbekommt, macht der Medizin-Student jedoch unmissverständlich klar, dass er davon überhaupt nichts hält. Spontan fordert Felix ihn zu einer Wette heraus: Owen soll verschiedene Sternzeichen daten, und Felix wird vorhersagen, wie die Dates laufen. Die Einsätze sind hoch, doch die Wette gilt – und hält die eine oder andere Überraschung für Owen und Felix bereit ...

Inhaltsübersicht

Triggerwarnung – Hinweis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Danksagung

Liste sensibler Inhalte / Content Notes

Leseprobe »Zodiac Love«

Bei manchen Menschen lösen bestimmte Themen ungewollte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Liste mit sensiblen Inhalten.

Für Dich,

für Mich,

für Uns alle.

Kapitel 1

Felix

Das Geburtshoroskop ist wie eine Landkarte, die dir helfen soll, einen Weg durch dein Leben zu finden. Deine Geburtsdaten – wie Tag, Monat, Jahr, Uhrzeit und Ort – bestimmen dabei die Position der Landmarken: Planeten. Sternzeichen. Konstellationen, die für dich, an diesem Tag, an diesem Ort, einzigartig sind.

Reflektiere die Sterne, und du reflektierst dich selbst.

 

 

Was machte ich mit einem chaotischen Verstand wie meinem? Und einem rastlosen Herzen dazu?

Seitdem ich aus dem Taxi gestiegen war, quälten mich meine Versagensängste nämlich durchgehend. Auf wundersame Weise hatte ich es dennoch geschafft, die paar Schritte in den Innenhof zu stolpern. Mein rasender Puls packte die Geräusche der Leute um mich in Watte, und gemeinsam mit dem einsetzenden Piepen in meinem Ohr schottete mich mein Geist von der Außenwelt ab. Bis zu diesem Punkt hatte ich lediglich funktioniert und meinen akribisch ausgearbeiteten Plan verfolgt. Eine Art Sicherheitsleine für meine Panik. Doch nun war sie gerissen, und alle meine Zweifel kehrten zum ungünstigsten Zeitpunkt geballt zurück.

Am wichtigsten Tag meines Lebens.

Während Menschen wie im Zeitraffer an mir vorbeiliefen, ploppten Worte in mir auf, die in Neonschrift blinkten und sirenengleich »Warnung, Irrtum, Fehlschluss« schrillten.

Mein Handy flutschte beinahe zwischen meinen verschwitzten Fingern hindurch. Gerade rechtzeitig fing ich es auf und steckte es weg.

Stimmt, meine Eltern hatten vorhin angerufen. Ich würde sie später zurückrufen. Meinen Neubeginn musste ich allein meistern. Und Vorwürfe von ihnen konnte ich in diesem Moment nicht vertragen. Ich hatte schon genug, mit dem ich klarkommen musste. Trotz meiner Sorgen wollte ich das Auslandsstudium durchziehen. Endlich raus aus meinem Schneckenhaus, die Welt entdecken und weg von dem Umfeld, in dem ich mich schwertat, ich selbst zu sein. Das Lieblingsland meiner Oma erforschen – ja, das waren meine Ziele.

Ich stand also da und starrte auf das University College Cork. Einerseits zog mich das UCC mit seinem magischen Charme an – es sah aus wie eine uralte Zaubererakademie –, andererseits wurde beim Anblick des herrschaftlichen Gebäudes der alte Selbstsaboteur in mir noch lauter als zuvor. Diese Stimme, die immer dieselben Phrasen abspulte: Was hast du dir nur gedacht? Was, wenn dir die Stärke hierfür fehlt? Wenn du dich, wie es alle in deiner Familie erwarten, blamierst? Mit eingezogenem Schwanz zurückkehrst?

Ich seufzte so laut, dass ich das Gefühl hatte, es würde durch den gesamten Innenhof hallen. Rasch ließ ich meinen Blick umherschweifen. Nein, niemand beobachtete mich. Um aus meiner Trance zu erwachen, versuchte ich mich auf die mystische Umgebung zu konzentrieren. Während ich die Kletterpflanzen betrachtete, die sich am jahrhundertealten Gestein hochkämpften, lockerte sich meine Anspannung ein wenig. Meine verkrampfte Schulter pochte zwar noch von der schweren Umhängetasche, die ich seit Stunden mit mir herumtrug, dennoch trösteten mich die herbstlich kalte Luft und der Geruch von Regen, Nebel und frisch gemähtem Gras.

In der Ecke des Hofes entdeckte ich eine Parkbank, auf die ich zusteuerte. Direkt nachdem ich mich auf das knarzende Holz gesetzt hatte, spürte ich die Müdigkeit in meinen Gliedern. Schleichend nahm sie mehr und mehr Besitz von mir. Ich lehnte mich zurück und begutachtete die Studierenden, die durch die Tür neben mir schritten. Erwartungsvolle Gesichter wechselten sich mit scheuen Blicken ab. Gefühlt waren es jede Menge Leute, doch es konnte nur ein Bruchteil der über zwanzigtausend sein, die das UCC besuchten. Ein Student trug sogar einen senffarbenen Umhang. Wo konnte ich mich für die Zauberkurse einschreiben?

Ein Banner mit der Aufschrift Aula Maxima flatterte im Wind. Endlich sah ich all diese Orte, die ich mir monatelang online reingezogen hatte, mit eigenen Augen. Deshalb wollte ich nach der Ankunft zuerst zum UCC fahren, obwohl die Kurse erst morgen begannen. Nur so konnte ich begreifen, dass ich nach Irland gezogen war.

Um meinen Neustart festzuhalten und als Beweis, dass ich nicht träumte, holte ich mein Handy hervor. Mein erstes Irland-Selfie wartete auf mich. Doch bevor ich meine Zukunft starten konnte, holte mich meine Vergangenheit in der Form meiner Eltern abermals ein.

Fünf verpasste Anrufe inzwischen. Drei von meiner Mutter. Zwei von meinem Vater. Die Notizen wischte ich mit einem Kopfschütteln vom Bildschirm. Leider waren das nicht die einzigen Benachrichtigungen aus der Hölle. Wo wir wieder bei meiner Zukunft wären. Denn ein von mir selbst eingerichteter Countdown erinnerte mich nun an den kommenden Tag. Da würde mein erster Arbeitstag in meinem Nebenjob beginnen. Anders konnte ich mir das Studium langfristig nicht leisten. Das Erbe von meiner Oma reichte bedauerlicherweise nicht ewig.

Neues Land, neue Menschen, neuer Bildungsweg, neuer Job und ein hoffentlich neues Ich. Definitiv zu viel für meine zartbesaitete Fische-Seele. Meine Oma wäre auf jeden Fall eine große Unterstützung für mich gewesen. Sie hätte mich durch das UCC geschleift, von allen ein Geburtshoroskop erstellt und mich mit selbst gemachtem Hummus verwöhnt. Doch sie war nicht da. Sie würde nie wieder da sein.

»Hey, du.« Eine junge Frau mit schwarzem, fein säuberlich geflochtenem Zopf, der über die Schulter bis zur Mitte ihres UCC-Hoodies fiel, kam auf mich zu und reichte mir einen Flyer mit der Aufschrift Welcome to UCC. »Bist du neu hier?« Auf ihren Wangen zeigten sich jeweils zwei Grübchen.

Obwohl ich dank meines Großvaters, der aus England stammte, wie meine Mutter zweisprachig aufgewachsen war, verlernte ich binnen eines Augenaufschlags zu sprechen. In diesem Moment wünschte ich mir wieder einmal, besser auf Menschen zugehen zu können.

Da meine Antwort etwas auf sich warten ließ, musterte sie mich fragend mit ihren braunen Augen.

»Ich …« Verdammt, warum benahm ich mich immer so merkwürdig? Da erhielt ich endlich die Chance, mich neu zu erfinden, und klammerte mich stattdessen an meine Unsicherheiten. »Sorry, ich bin etwas müde vom Flug.«

»Verstehe ich.« Sie schmunzelte. Ein Lächeln, das mich erleichterte und sicher fühlen ließ.

»Ich komme aus Österreich.« Dass meine Sitzgelegenheit nebelfeucht gewesen war, bemerkte ich erst beim Aufstehen. Klasse, und sie hatte bestimmt ein entsprechendes Muster auf meinem Hintern hinterlassen.

»Oh. Wie aufregend. Du hast gar keinen starken Akzent. Aber warte …« Das UCC-Mädchen kramte in ihrer Tasche und zog eine Broschüre hervor. »Dann bringt dir das bestimmt mehr. Es gibt Führungen für zugezogene Studierende, Hilfen, um sich einzufinden, und Sprachkurse. Letzteren scheinst du nicht zu brauchen. Ich bin übrigens Yoshiko.«

»Felix.« Den Flyer und die Broschüre nahm ich gern entgegen. Ein wenig Hilfe schadete nicht. Sie lagen ein wenig gewellt in meiner Hand. »Danke. Ziemlich überwältigend alles.«

»Das habe ich mir damals auch gedacht, und ich komme nur aus Dublin.« Yoshiko näherte sich mir. »Unter uns«, fuhr sie verschwörerisch fort und hielt sich die Hand vor den Mund: »Sie sind ganz nett hier.«

Ein belustigtes Schnauben entfuhr mir. »Das beruhigt mich. Ein wenig.«

»Dann bis bald. Wir sehen uns.« Yoshiko fixierte die nächsten ebenso verloren wirkenden Neuankömmlinge, doch dann wandte sie sich mir noch einmal zu. »Äh, Felix. Du kannst dir aussuchen, mit wem du die Führung durchs UCC machen willst.«

Kurzerhand pflückte sie die Broschüre aus meiner Hand und blätterte so hastig um, dass die Seiten zerknitterten, teilweise sogar einrissen.

»Hab ja erwähnt, wir sind nett. Nun. Nicht alle. Wie heißt der Typ noch gleich?« Yoshiko schnippte mit den Fingern. »Mach besser keine Führung mit … ähm.«

»Yoshi?«

Sie sog ertappt die Luft ein, gefolgt von einem schmachtenden Ausdruck, der über ihre Miene huschte. Yoshikos schwarzer Zopf peitschte mir ins Gesicht, so rasch drehte sie sich zu dem schlaksigen, hochgewachsenen Typen mit der Hornbrille um.

»Du hast dich nicht in die Liste der Helfenden eingetragen. Wir müssen das gleich abschicken, sonst bekommst du den Tag heute nicht angerechnet.« Seine tiefe Stimme passte zu seiner mürrischen Miene. Trotzdem wirkte er mit seinen funkelnden Augen ganz freundlich, als mimte er den ernsten Aufseher nur.

»Mist, du hast recht, Alvin.« Yoshiko schaute mich entschuldigend an.

»Ist okay, geht ruhig.«

Sie drückte mir den Flyer wieder in die Hand.

»Werde schon nicht den fiesen Endboss erwischen.« Gedanklich schickte ich eine Bitte ans Universum, dass mir das erspart bliebe.

»Alles klar. Bis bald.«

Alvin nickte mir zu, und weg waren die beiden. Die Broschüre stopfte ich zu meinem Buch über Grad-Astrologie, dem Flugticket, das mich an meinen Horrorsitznachbarn erinnerte, Anti-Anxiety-Tropfen, die offensichtlich nicht wirkten, und einem veganen Schokoriegel, auf dessen Rückseite es hieß, er könne Spuren von Eiern sowie Milch enthalten, in meine Tasche.

Endlich konnte ich mich meinem Selfie widmen und hielt mein Handy in Position.

»Was zum Teufel?« Meine aschblonden Haare standen vom Wind und Nebel in alle Richtungen ab. Nicht auf eine attraktive Seht-mich-an-ich-bin-gerade-aufgestanden-und-trotzdem-perfekt-gestylt-Art, sondern auf eine Ich-habe-keine-Ahnung-von-Frisuren-Weise.

»Besser wird es nicht, Felix«, flüsterte ich mir selbst zu und lächelte gequält in die Kamera.

Irgendwann würde ich über dieses Bild lachen. Bis es so weit war, zog ich mir meine Kapuze über und schritt in meiner feuchten Jeans der nächsten Herausforderung entgegen: meiner Mitbewohnerin.

 

Seit geschlagenen zehn Minuten stand ich vor dem Backsteinreihenhaus in der St. Brigid Street. Meinem neuen Zuhause. Über mir zogen graue Wolken wie lebendige Wesen vorbei. Bunte Eingangstüren unterschieden die Gebäude voneinander. Hinter einer dunkelgelben Tür lag mein neues Leben. Gäbe es diese Farbvariante nicht, die Cara mir als Erkennungszeichen genannt hatte, wäre es dennoch unschwer zu erkennen gewesen, welches Haus ihr gehörte. Es war das einzige in der Straße, an dem bunte Lichterketten hingen und Vorhänge im Fenster mit ihren Sonnen- und Mondzeichen sowie ihrem Aszendenten.

Das Faible für Astrologie, welches ich nicht öffentlich auslebte, um nicht aufzufallen, hatte mich zu Cara geführt. Wir hatten etliche Sprachnachrichten und Mails ausgetauscht. Das hätte mir die Sicherheit geben sollen, genau jetzt an dieser Haustür anzuklopfen. Leider gab es die harsche Realität der direkten Kommunikation, mit der ich kaum klarkam. Hätten wir es nicht bei den Nachrichten belassen können? Spontaneität war doch wirklich nicht notwendig. Wir konnten uns die Antwort ausführlich überlegen, ohne etwas Falsches von uns zu geben. Ich ließ meine Finger knacken, und dasselbe Geräusch gab beim Kopfkreisen auch mein Hals von sich. Es half alles nichts. Mit meinem ganzen auf eine Messerspitze passenden Mut hob ich meine Faust. Gleich würde ich klopfen.

Doch bevor meine Hand die Tür berührte, öffnete sie sich, und ein fluffiger schwarzer Vokuhila mit violetten Strähnen wippte mir entgegen.

»Hey, Felix.« Cara breitete ihre Arme aus, wodurch ihre perlenbesetzten Festivalbänder runterrutschten und dumpf aneinanderklackerten. »Ich habe gedacht, du stehst da noch drei Stunden.« Ihre Umarmung wurde von einer Lavendelduftwolke begleitet, und bei dem Kuss auf die Wange spürte ich, wie ihr klebriger dunkler Lippenstift auf meine Haut abfärbte.

»Hi.« Ihr Empfang überrumpelte mich. Die Bedeutung ihrer Worte sickerte nach und nach zu mir durch. »Warte, was? Du hast mich gesehen?«

»Jap, kein Ding. Muss dir nicht unangenehm sein.«

Unangenehm war untertrieben.

»Wollte dich nicht hetzen. Dein Gepäck ist bereits angekommen.« Cara nahm meinen kleinen Koffer, bei dem eine Rolle abgebrochen war. Leider war mir das erst bewusst geworden, nachdem ich die Kopfhörer am Flughafen aus den Ohren genommen und das laute, stolpernde Geräusch beim Hinterherziehen gehört hatte.

»Komm rein.«

Eigentlich hatte ich eine übertrieben dekorierte Wohnung mit Planeten, Tierkreiszeichen und Bildern vom Universum erwartet. Die stilvolle mediterrane Einrichtung überraschte mich.

»In deinen TikTok-Videos sieht es bei dir astrologischer aus«, bemerkte ich verlegen und legte meine Umhängetasche aus hellem Kunstleder ab.

»Ich brauche außerhalb meines Arbeits- und Schlafzimmers etwas Abstand von all dem. Wenn Astrologie nicht nur dein Hobby ist, sondern du damit Geld verdienst, kann das schnell zu viel werden.« Cara bedeutete mir, ihr zu folgen, und wich einer Pflanze im Hängetopf neben der Griechenlandfahne aus. »Aber die Leute, die meine Videos und Fotos liken, wollen zusätzlich zu meinem Wissen auch dieses Flair haben.«

Das leuchtete mir ein. Zum Glück liebte Cara dieses Social-Media-Ding. Sonst hätte ich ihren Aufruf, in dem sie jemanden suchte, der in das frei gewordene Zimmer ihres Hauses einzog, nicht gefunden.

Wir betraten die längliche, enge Küche mit zusammengewürfelten türkisfarbenen, dunkelgelben und purpurnen Schränken. Es roch nach …

»Kaffee. Ist das Kaffee?«

»Veganer irischer Kaffee.« Cara hob den Zeigefinger, um das zu betonen. »Zur Feier des Tages dürfen wir ein bisschen Klischee reinbringen, oder?« Sie setzte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck auf den Unterschrank im Landhausstil, der dabei verdächtig knarzte.

Cara beugte sich ein wenig vor und fing meinen Blick auf. »In echt sind deine Augen noch leuchtender.«

Mehr als ein beschämtes Lächeln brachte ich nicht hervor. Komplimente verunsicherten mich. Keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.

Ich blieb stehen, lehnte mich aber ein Stückchen vor und erhaschte endlich einen Blick auf das Heißgetränk mit der fluffigen Sahnehaube. »Wow, du rettest mir das Leben. Darf ich?«

»Na klar, ist doch für dich.« Lachend präsentierte sie mit ihrer Hand den Kaffee und schob ihn mir entgegen.

Ohne Umschweife fiel ich über das braune Gold mit dem starken Whiskey-Geschmack her. Dehydriert und hungrig, wie ich war, schmeckte das Getränk wie der Himmel auf Erden.

»Wie hat es dir im UCC gefallen?« Auf der Durchreiche stand eine Wasserflasche aus Plastik, die sich Cara schnappte. Nach ihrer Frage trank sie, bis die Flasche knackte.

»Es ist ein Traum. In den YouTube-Videos hat es schon einzigartig ausgesehen. In echt ist es noch überwältigender. Dass dort noch keine Fantasyserie gedreht worden ist, wundert mich. Was meinst du?« Cara strahlte etwas Zauberhaftes und gleichzeitig Bodenständiges aus. Ich konnte gar nicht anders, als aus mir herauszukommen.

Sie legte den Kopf schief. »Stimmt, darüber habe ich nie nachgedacht. Das mit der Serie kommt bestimmt noch. Am UCC herrscht einfach eine fabelhafte Atmosphäre. Auch wenn es ein paar komische Leute gibt. Na ja, leider hat es bei mir mit dem Studium ja nicht geklappt. Eltern können einem das Leben echt schwer machen … Aber wem sage ich das? Wir haben ja über unsere Familienprobleme gesprochen.«

Ich nickte. Cara und ich hatten die letzten Monate seit ihrem Aufruf beinahe täglich Kontakt gehabt. Beinahe, als würden wir uns ewig kennen. Das Verhältnis zu meinen konservativen Eltern hatte sich zwar in den letzten Jahren etwas gebessert, völlig akzeptiert fühlte ich mich dennoch nicht.

»Oh, bevor ich es vergesse …« Fingernägel mit Sternenhimmelmuster zeigten wie ein Pfeil hinter mich, und mit meinem Irish Coffee an den Lippen drehte ich meinen Kopf hinterher.

»Diese Tür darfst du niemals öffnen. Einzige Regel.«

»Okay.« Na toll, jetzt wollte ich natürlich überhaupt nicht wissen, was sich dahinter verbarg. »Warum?« Ich wandte mich grinsend zu ihr.

»Haha. Felix, das werde ich dir bestimmt verraten. Der Whiskey steigt dir zu Kopf.« Verstanden. Keine Infos für mich. Innerlich hakte ich die Tür ab. Vorerst.

Das tat er tatsächlich. Meine Wangen fühlten sich warm an, und ich konnte mir vorstellen, wie mir die Röte ins Gesicht gewandert war. Leider sah ich damit wie ein Manga-Charakter aus. Denn ich gehörte zu den Auserwählten, die einen komischen Sympathikusnerv und helle, dünne Haut vorzuweisen hatten, weswegen ich gern knallrot anlief.

»Und neben dieser einen einzigen Regel gibt es noch ein paar andere. Selbstverständlich.«

»Selbstverständlich. Das ist irische Logik.« Cara und ich lachten gleichzeitig auf. »Die da wären?« Gespannt nahm ich noch einen Schluck Kaffee.

»Abgesehen von den normalen menschlichen Regeln, die du, mein kleiner Fische-Freund, sowieso zu ernst nimmst, schick mir eine kurze Whatsapp mit einer Aubergine, bevor du …«, Caras Augenbrauentanz und der anzügliche Blick sagten alles, »du weißt schon was mit wem auch immer machst, damit ich mir Kopfhörer aufsetzen kann.«

Ich begann mit einem leichten Trommelwirbel auf der hölzernen Arbeitsfläche, bevor Cara weitersprach.

»Und keine laute Musik nach zweiundzwanzig Uhr – kommt nicht von mir, die Nachbarschaft dreht sonst durch.«

Mit meinem Zeigefinger tippte ich mir gegen die rechte Schläfe. »Alles hier drinnen notiert.«

»Perfekt.« Cara hüpfte auf den Boden mit den schwarz-weißen Schachbrettmusterfliesen und öffnete den Kühlschrank. »Wenn du magst, können wir einkaufen gehen. Kann dir ein bisschen was von der Stadt zeigen.«

»Ehrlich gesagt bin ich etwas platt, die neuen Eindrücke haben mich erschlagen. Wäre es in Ordnung, wenn ich ein Bad nehme?« An die Badewanne auf Caras Bildern erinnerte ich mich, da ich der größte Badewannen-Fan der Welt war.

»Klar. Ist ja dein neues Zuhause. Dann gehe ich allein. Wie wäre es mit Burgern heute Abend?«

Cara sagte die Wahrheit. Es handelte sich um mein neues Zuhause. Wow.

»Klingt toll. Wenn du Kichererbsen, Käferbohnen, Haferflocken, Zwiebeln, ein paar Nüsse und Tomatenpaste mitbringst, kann ich die Pattys machen.« Einen Moment überlegte ich, ob etwas fehlte. Vor mir erkannte ich ein buntes Gewürzregal mit Garam Masala, Kreuzkümmel, Salz, Pfeffer und Chilipulver und eine getrocknete Knoblauchkette an einem Nagel daneben. Müsste reichen.

»Ich liebe dich jetzt schon, Felix.« An der Stofftasche, die Cara von der Wand nahm, hingen noch Zwiebelschalenreste, und eine Rechnung lugte unten aus einem kleinen Loch heraus. »Bin gleich wieder da. Dann bezahle ich diesen, du den nächsten Einkauf, ja?«

»Sehr gut. Ich werde in der Wanne liegend meinen Arbeitsweg nachforschen.« Als hätte ich das nicht schon Hunderte Male gemacht.

»Ach, das. Da gibt es noch eine Kleinigkeit.« Langsam hängte Cara sich die Stofftasche mit der Aufschrift Astro-Logic-y um.

Wenn jemand sagte, etwas sei eine Kleinigkeit, war es nie nur eine Kleinigkeit. »Welche?«

»Dein neuer Chef beim Herrenausstatter. Dank eines Bekannten konnte ich dir den Job besorgen, und ich kenne ihn von früher. Er ist ein wenig … eigen.«

Kapitel 2

Owen

Das umgangssprachliche Sternzeichen ist eigentlich das Sonnenzeichen. Es gibt an, in welchem Sternbild die Sonne bei unserer Geburt stand. Darüber hinaus zeigt es unsere grundlegendsten Überzeugungen auf.

 

 

Ein allerletztes Mal las ich die Mail von Professor FitzClarence und wich auf dem Gehweg wie mechanisch den Menschenmassen vor mir aus: Das Online-Interview wird entscheidend sein, bereiten Sie sich darauf vor! Auch kleidungstechnisch!

Zur idealen Vorbereitung eines Jobinterviews gehörte wohl auch, ein passendes Outfit zu wählen. Wennschon, dennschon. Ehrlicherweise hatte ich mir bis gestern keine Gedanken über meine Kleidung gemacht. Offenbar hatte ich da Defizite.

Abrupt hielt ich vor der Waterstones-Buchhandlung in der Innenstadt an und begutachtete mein Spiegelbild im Schaufenster. Was sollte bitte an einem weißen Unterhemd und einem grün-schwarz karierten Holzfällerhemd falsch sein? Schulterzuckend beschleunigte ich meine Schritte wieder und eilte über die Straße. Das Hupen des Autos, das wegen mir abbremsen musste, ignorierte ich gekonnt. Hätte ich zwei Meter später beim Zebrastreifen rübergehen können? Klar, hätte ich. Manchmal brauchte ich etwas Risiko.

Andy Murphy’s tat sich vor mir auf. Der Herrenausstatterladen war Googles bester Tipp. Laut Rezensionen mit eigenwilligem Besitzer und seinem einzigen Sohn als Angestellten.

Das kleine Geschäft wirkte mit seinem Vintage-Look hochwertig. Die Anzüge in der Auslage erstaunten mich ebenfalls. Ich hätte bei so einem Laden eher Mode aus den Fünfzigern erwartet. Diese hier waren jedoch schick und zeitgemäß. Auch die dunkelbraune Holzfassade, der Stuck und die gusseisernen Laternen zeugten von erstklassigem Geschmack. Selbst die Goldschrift vom Beinamen Gentlemen’s Outfitters passte zum Gesamtbild. Hier konnte ich nichts falsch machen. Ich öffnete die Tür, und das Schild mit den verschlungenen Initialen A und M wippte mit.

Ein Glöckchen und der Geruch von Stoffen und Lederpolitur empfingen mich. Düfte waren seit jeher meine Leidenschaft. Anfangs fand ich es nur schön, das uralte Parfüm meines Großvaters an jemand anderem zu riechen und die Erinnerung an ihn aufleben zu lassen. Später, als meine Parfüm- und Kerzensammlung anwuchs, bemerkte ich, wie unterhaltsam es war, Duftkomponenten zu erraten oder sie selbst zusammenzumischen. Natürlich war das ein kindisches Hobby, das mich nicht in meiner Karriere voranbrachte. Deshalb blieb es auch mein Geheimnis.

Im Ladeninneren zog sich der ansprechende Stil durch. Das Licht brach sich auf dem hochglanzpolierten dunklen Parkettboden, der bei meinen Schritten leicht knarzte. Neben mir entdeckte ich einen Bilderrahmen mit einer vergilbten Zeitungsseite.

»Tom Holland ist in diesem Laden gewesen?«, wisperte ich.

»Guten Tag.« Ein verschnupft klingender Mann mit belegter Stimme, die dazu etwas piepsig war, kam die Treppe herunter und lächelte mir entgegen. Nachdem er mich eingehend gemustert hatte, erlosch sein Strahlen.

Was stimmte denn bloß mit meinen Klamotten nicht?

»Kann ich Ihnen helfen?« Er klang nun deutlich düsterer.

»Ich suche einen Anzug.«

»Mhm. Für welchen Anlass? Hochzeitsanzüge haben wir im oberen Stock.« Murphy – ich nahm an, dass der Mann der Besitzer war – kratzte sich an seiner faltigen Wange. »Haben Sie ein gewisses Budget zur Verfügung?«

»Ähm, es ist für ein Bewerbungsgespräch.« Wie sooft, wenn ich mich unsicher fühlte, strich ich mir über den Bart. »Die Bezahlung übernehmen meine Eltern.« Leisten könnte ich mir selbst ohnehin keinen. Beim Telefonat mit meiner Mam war mir jedoch das Anzugthema herausgerutscht. Sie hatte sich offenbar so gefreut, endlich mal wieder etwas aus meinem Leben zu erfahren, dass sie angeboten hatte, die Rechnung zu zahlen.

Murphy spitzte die Ohren beim Finanzthema und drückte sich die orangefarbenen Haare mit dem weißen Ansatz glatt. »So ist das also. Eine Maßanfertigung wäre passend.« Seine Stimmlage hatte sich wieder normalisiert. Wenige Sekunden sah er mich an, als wartete er auf etwas, bis er sich in Bewegung setzte. »Dann messen wir Sie mal ab. Ich werde meinen Sohn holen. Einen Moment.«

»Sicher doch.« Der geldgeile Alte lotste mich vor einen Ganzkörperspiegel mit Goldrahmen. Ob ein Maßanzug nicht übertrieben war? Streng genommen reichte auch ein Sakko mit Hemd. Obwohl. Warum nicht? Für meine Abschlussfeier und im Berufsleben wäre er perfekt.

Murphy ging zum Treppenaufgang und zog an einer roten Kordel. Ein Glöckchen bimmelte. Es tat sich nichts. Der Chef des Hauses stapfte eine Stufe hoch und läutete noch mal.

Mehrere Schritte wurden über mir laut, und Sekunden später hastete jemand nach unten.

»Guten Tag«, sagte Murphys Sohn, der einen perfekt passenden dunkelgrünen Anzug trug und sich durch die verwuschelten aschblonden Haare fuhr.

»Hi.«

Murphy räusperte sich hinter mir.

»Ach ja, ich bin Felix. Sie sind mein erster Kunde. Willkommen bei Andy Murphy’s Gentlemen’s Outfitters. Ich darf Sie heute bedienen.« Er hatte die Finger ineinander verkeilt und knetete sie so fest durch, dass es kurzzeitig rote Flecken hinterließ. Das letzte Wort sprach er gequält fragend aus. Sein erster Kunde? Als Sohn des Besitzers? Vielleicht meinte er, die erste Kundschaft heute? Bei so einem Vater konnte der Sohn ohnehin nicht besser sein als der Alte.

Innerlich sackte ich ein wenig zusammen. Ich hatte keine Zeit, für den auszubildenden reichen Sohnemann das Versuchskaninchen zu mimen. »Owen.«

»Also gut, Felix. Nimm das Maßband, das hinter dem Spiegel hängt.«

Mir fiel auf, dass die beiden übertrieben förmlich miteinander umgingen. Diese Stimmung machte den Besuch nicht unbedingt angenehmer.

»Jawohl.« Er huschte mehrmals in die falsche Richtung, bis er das Maßband entdeckte und mit gesenktem Haupt zu mir kam.

Felix vermied es, mich anzusehen. Mir fiel sofort seine besondere Ausstrahlung auf. Den Kerl umgab die Aura eines scheuen Rehs.

»Das Maßband eng um den Brustkorb unter den Achseln anlegen.«

Der Anweisung des Chefs mit seiner eigenwilligen Stimme zu lauschen erweckte in mir das Bedürfnis, mich zu räuspern.

Felix stellte sich vor mich hin, ohne dass unsere Blicke sich kreuzten. Dafür bekam ich eine Ladung seines Parfüms ab, das nach Kamille, Vanille und – das konnte nicht sein – Bittermandel, Jasmin sowie Sandelholz duftete. Wow. Das waren einige meiner Lieblingsduftkomponenten. Während ich meine Arme hob, damit er Maß nehmen konnte, erntete ich einen schnellen Blick von ihm.

»Gucci? Mémoire d’une Odeur?«, flüsterte ich.

Felix schmunzelte und nickte kaum merklich, was seine welligen Haare auf und ab wippen ließ. Er schaffte es jedoch nicht, mir dabei in die Augen zu sehen.

»Jetzt die Körpergröße.«

Wie konnte ein Vater derartig streng mit seinem eigenen Kind sprechen?

»Mit Schuhen.«

»Ja.« Felix stellte sich zum Abmessen auf die Zehenspitzen, und sein warmer Atem erreichte meine Wange.

Murphy kratzte sich am Kinn und fügte nuschelnd für sich selbst hinzu: »Vielleicht sollten wir ihm provisorisch passende Schuhe von uns bringen.«

Dieser – in meinen Augen übertriebene – Vorstoß und die so angespannte Atmosphäre brachten mich kurzerhand dazu, wieder auf meinen ersten Plan umzuschwenken. »Oh, wenn ich ehrlich bin, bräuchte ich nur obenrum etwas. Das Gespräch ist online.« Ich warf einen Blick über meine Schulter und erfasste Murphys undurchdringlich bis ablehnende Miene. Er hob seine Nase ein Stück mehr.

»Was, wenn Sie aufstehen müssen? Oder etwas präsentieren?« Felix’ leise Stimme drang an mein Ohr.

Hatte ich es mir gedacht. Der Sohn war genauso habgierig wie der Vater. Okay, irgendwie hatte er recht. Vielleicht sollte ich für das wichtigste Gespräch meines Lebens auf Nummer sicher gehen. Und sollte ich die Stelle in London bekommen, machte ich in so einem Anzug bestimmt einen guten ersten Eindruck.

»In Ordnung. Dann beeil dich etwas. Ich hab noch was vor.« Mein harscher Tonfall tat mir im selben Moment leid. Nur, wenn sie mich schon ausnehmen wollten, konnte ich auch darauf bestehen, meinen nächsten Termin pünktlich wahrzunehmen. Auf den Mund war ich schließlich nicht gefallen.

»Sicher. Ich gebe mein Bestes.«

Fantastisch, nun hatte ich diesen Felix auch noch zum Zittern gebracht. Mehrfach wechselte sein Blick zwischen seinem Dad und mir.

Vielleicht lag meine Gereiztheit auch an meiner Nervosität. Seit Tagen konnte ich kaum schlafen, essen oder mich entspannen. Die Müdigkeit nagte an mir, meine Lider fühlten sich schwer an. Das Bewerbungsgespräch bedeutete alles für meine weitere Karriere. Es musste klappen. Es gab keine Alternative. Mein Bauch gab komische Geräusche von sich, als ich daran dachte, dass meine Familie nichts von meinen Plänen wusste. Magengrummeln, das niemand in der Öffentlichkeit von sich geben wollte.

Ich schaute mich um und ließ Felix mit der Hilfe seines Vaters seine Arbeit machen. Überall hingen Anzughosen, Krawatten, Accessoires und Hemden, manche waren ausgestellt an Schaufensterpuppen. Über mir erblickte ich einen alten Deko-Hut auf einem Marmorpodest, an dem eine grüne Anstecknadel in Form einer Glocke angebracht war. Laut Gravur auf dem Goldschild darunter existierte der Laden seit dem neunzehnten Jahrhundert und war damals ein Hutladen gewesen.

Mein Kopf wanderte wieder nach unten. Felix und ich, wir waren uns in diesem Moment nahe. Zu nahe. Außerhalb meines Bettes und einer betrunkenen Nacht ließ ich das normalerweise nicht zu. Felix’ leuchtend grüne Augen bohrten sich in mich. Sie erinnerten mich an den Smaragd im Ehering meiner Mam. Sein Blick berührte etwas in mir, das ich nicht zuordnen konnte. Murphys Organ unterbrach diese Verbindung jedoch so fix, wie sie sich aufgebaut hatte.

»Die Beine fehlen noch. Der junge Herr hat kräftige Oberschenkel, also messen wir die auch ab. Die Gesäßweite nimmst du an der stärksten Stelle der Hüfte ab.« Nach Murpyhs Anweisung stieß Felix ein ersticktes Stöhnen aus und stolperte einen winzigen Schritt zurück.

»G-Gesäß?«

Ich zwang mich, an etwas anderes zu denken, um wegen seiner Reaktion nicht grinsen zu müssen.

Murphy überhörte Felix oder wollte ihn überhören und führte seine Erklärung fort. »Halte das Band straff. Hopp, hopp, der junge Herr hat nicht ewig Zeit. Ich überprüfe indessen unsere Bestellungen.«

Felix’ Wangen färbten sich sanft rot, er kniete sich direkt auf meinen Fuß.

»Aua. Pass doch auf.« Der Schmerz war nicht von Bedeutung gewesen. Er hatte mich nur überrascht.

»Sorry.« Felix sprang auf und hob beschwichtigend die Hände. »Tut mir leid.«

»Das darf nicht wahr sein, was hast du gemacht?«

Der alte Murphy hatte mein »Aua« wohl mitbekommen, dabei war er gerade zum Laptop neben der Kasse gegangen.

»Rauf mit dir. Hol endlich Quinn runter.«

Felix’ flehender Ausdruck von eben verschwand und wich, ja, was? Resignation? Kränkung?

Dass sein Vater mit ihm schimpfte, wollte ich nicht. Dass er sich ungeschickt anstellte, war allerdings nicht meine Schuld. Musste er sich eben anstrengen, immerhin erbte er früher oder später einen gut laufenden Laden.

Felix funkelte mich mittlerweile leicht angesäuert an, wofür ich nur ein müdes Lächeln übrig hatte.

Mit zusammengebissenen Zähnen spuckte er ein »Selbstverständlich« aus. Gleich danach schien er seinen Tonfall zu bereuen und setzte eine schuldige Miene auf.

 

Besagter Quinn war von oben runtergekommen. Anscheinend hatte der Laden doch noch weitere Angestellte. Wenigstens schien dieser Quinn zu wissen, was er tat.

Denn Quinn hatte die Messungen abgeschlossen, und Felix stand vor mir – mit einer hellbraunen Stoffrolle, die er wie ein Baby in den Armen wiegte.

»Nein, der ist es auch nicht«, raunte ich. Um uns herum lagen mehrere Proben und Fetzen von verschiedenen Farben, Mustern und Textilien. Leider konnte ich mich nicht entscheiden, was ich wollte. »Ich habe gesagt, ein Dunkelbraun.« Ich hatte keine Zeit mehr und der Typ keine Vorstellung davon, was ich mir wünschte.

Er warf mir einen Dein-Ernst?-Blick zu. Für einen Moment schloss er die Lider wie bei einer Atemübung, wohl um mir seinen Seufzer nicht zu zeigen, und machte dann kehrt.

»Ein anderes Braun.« Mein Kommentar holte ihn wieder in die Realität zurück.

Hinter ihm arbeitete besagter Quinn daran, die Stoffproben wieder einzusortieren. Daneben war eine Kollegin mit einer Baskenmütze, die sich als Nala vorgestellt hatte, in die Hocke gegangen und machte ein Bild von den Stoffen. »Zumindest bekomme ich endlich ein Foto für unseren Social-Media-Account«, bemerkte sie. Seitlich erkannte ich kurz geschorene bunte Haare.

»Von dem ich noch nicht weiß, was ich davon halten soll. Braucht ein Herrenausstatter eine Instantgram-Managerin? Früher hat es meinen Großvater, meinen Vater und mich als Aushilfe gegeben. Später meine verstorbene Frau.« Murphy, offenkundig kein Liebhaber von Fortschritt, richtete das Wort an mich.

»Da sind Sie an den falschen Mann geraten. Ich bin kein Fan von Instagram und diesen sozialen Netzwerken. Alles lächerliche Zurschaustellung.« Klang ich gerade wie ein Opa? Wenigstens hatte ich Instagram nicht falsch ausgesprochen.

Ich erntete einen bösen Blick von besagter Kollegin. Immerhin stellte ich gerade ihre Arbeitsstelle infrage. Manchmal hasste ich mich dafür, zu wenig nachzudenken, bevor ich sprach. Andererseits hielt ich damit im besten Fall Menschen von mir fern.

Murphy klatschte in die Hände. »Felix? Der nächste Stoff, bitte.«

»Warte, Vater. Ich hole ihn. Du verlangst einiges von Felix an seinem ersten Tag.« Quinn strich sich eine braune Strähne zurück, die ihm ins Gesicht gefallen war, und erhob sich von den Stoffproben.

Moment. Mein Unterkiefer klappte nach unten. Ein Rattern ging durch meinen Kopf. Felix’ erster Tag? Quinn, der Vater zu Murphy sagte? Ich dachte, Felix sei Murphys Sohn. Ups. Kein Wunder, dass er mich wie seinen Erzfeind anfunkelte. Dank mir musste er um seinen Job bangen. Ich schloss meinen Mund wieder und biss mir auf die Unterlippe. Großes Kino, Owen! Gedanklich tauchten alle Momente auf, in denen ich Felix vor seinem neuen Chef bloßgestellt hatte.

Na ja, sollte mir egal sein. Jeder war sich selbst der Nächste.

Ich lehnte mich zurück und beobachtete im Spiegel, wie Quinn Felix heimlich einen Stoff in die Hand drückte.

Ich tat, als hätte ich nichts mitbekommen.

»Habe das noch gefunden. Was ist hiermit?« Felix sprach extralaut.

Sein Chef näherte sich mit vor der Brust gefalteten Armen. Er zog skeptisch die Brauen hoch.

Der dunkelbraune Stoff passte tatsächlich. »Das ist exakt die Farbe, die ich wollte.« Nicht zu dunkel, nicht zu hell und nicht zu grünstichig. Perfekt zu meinen rötlichen Haaren.

»Die Farbe nennen wir Lebkuchen.« Quinns beiläufige Bemerkung ließ Felix wieder etwas fröhlicher wirken.

»Lebkuchen?«, hakte ich nach.

»Jap. Richtig weihnachtlich, was?« Nala lächelte Felix aufmunternd zu und überreichte Quinn die Stoffmappe.

»Ich liebe Weihnachten.«

»Ich hasse Weihnachten.«

Der erste Satz war von Felix gekommen, der zweite von mir. Nachdem wir das gleichzeitig ausgesprochen hatten, sahen wir einander an. Felix hob die Augenbrauen und runzelte die Stirn. Was er sich wohl dachte?

»Sehr gut, dann können wir weitermachen. Aus dir kann doch was werden.« Griesgram Murphys Gesichtszüge erweichten sich, und er wirkte Felix gegenüber ein wenig freundlicher.

»Ehrlich gesagt ist es spät. Können wir das ein anderes Mal fortsetzen?« Ich erhob mich und streckte meine Beine durch.

»Wollen wir einen Termin machen? Tut mir leid für die Umstände.« Murphy ging hinter den antiken Tresen neben dem Apothekerschrank voller Fliegen, Krawatten und Manschettenknöpfen.

»Gern.« Ich machte einen großen Bogen, sodass ich an Felix vorbeikam. »Nächstes Mal bist du vielleicht etwas schneller und wirst nicht gleich rot, wenn du mein Gesäß abmisst.« Mein Gemurmel nahm nur Felix wahr, dafür hatte ich gesorgt.

Felix’ Unterkiefer klappte nach unten. Seine Lippen bewegten sich mehrfach. Er wollte wohl einiges sagen, behielt es aber für sich.

 

Nachdem ich den Herrenausstatterladen verlassen hatte, eilte ich auf schnellstem Wege zu meinem nächsten Termin. Denn mehr als ein Termin war das bevorstehende Treffen mit meiner Familie für mich nicht.

Zu gern hätte ich gewusst, was Felix auf den Lippen gebrannt hatte. Leider war er zu feige gewesen, den Mund aufzumachen.

Vor dem vereinbarten Restaurant hielt ich. Das Gebäude war in einem Nachtblau gestrichen. Durch die großen Fenster des Ophiuchus erkannte ich den Fischgrätboden, die verschiedenen Tische mit den nicht zusammenpassenden Stühlen und meine Familie. Sie alle dort sitzen zu sehen, lachend und tratschend, weckte in mir ein zehrendes Verlangen, dabei zu sein. Wie jedes Mal. Und doch, wie jedes Mal, gab ich dem nicht nach. Es war besser so. Sicherer. Sie von draußen zu sehen musste reichen.

Damit sie mich nicht entdeckten, wich ich zurück und lehnte mich an die Hauswand gegenüber, ohne sie aus den Augen zu lassen. Mein Handy wog schwer in der Hand. Wie von selbst wählte ich den Kontakt meiner Mam aus.

»Hallo, mein Schatz. Hast du einen Anzug gefunden? Ach, erzähl es mir gleich.« Ihre zarte, zerbrechliche Stimme verpasste mir ein Globusgefühl im Hals.

Kein Ton kam aus mir. Mein Blick verlor sich im orangefarbenen Licht der Laternen.

»Owen?«

»Nein, also ja. Nicht ganz.«

Stille.

»Bin gespannt, wie er aussehen wird. Ach, und wir sind schon da.«

Ich schluckte laut.

»Owen?«

»Du, Mam, ich schaffe es heute nicht.«

»Oh.« Am Klang ihrer Stimme erkannte ich die Enttäuschung, die ich ihr beschert hatte.

»Muss los, guten Hunger euch. Bye.« Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte ich schon aufgelegt.

Meine Mam hielt ihr Handy noch ein paar Sekunden vor sich, bis eine meiner Tanten sie ansprach und sie ein Lächeln aufsetzte.

»Tut mir leid«, hauchte ich hinaus in die Dämmerung und setzte mich in Bewegung.

Die letzten Sonnenstrahlen, die die Sonne auf die Erde warf, kribbelten auf meiner Haut, und ich merkte, wie mein Herz leichter wurde. Ich liebte die einsetzende Finsternis am Ende eines Tages. Sie verlieh mir ein Gefühl von Unsichtbarkeit, dank der ich vor allen verbergen konnte, wie es in mir aussah. In Gesellschaft der anbrechenden schweigsamen Nacht begab ich mich auf den Nachhauseweg.

Mein Handy meldete sich. Langsam zog ich es hervor und betete, dass niemand von meiner Familie mir geschrieben hatte.

Doch es war Rob. Erleichtert entsperrte ich das Handy.

 

Verplan nicht wieder deine Führung der Neuankömmlinge morgen. Du hast dich dafür angemeldet, und du stehst in der UCC-Broschüre.

Ich rollte mit den Augen, ignorierte den wütenden Teufel-Emoji und steckte mein Handy wieder weg.

Warum hatte ich mich noch mal vor den Sommerferien dafür gemeldet? Ach ja, für die Extrapunkte bei Professor FitzClarence. Wie ich es hasste, wenn Entscheidungen, die ich in der Vergangenheit getroffen hatte, zur Gegenwart wurden. Ich hatte gar keinen Bock, mich mit den neuen Studierenden herumzuschlagen.

Kapitel 3

Felix

Die zwölf Häuser im Horoskop stehen für die verschiedenen Lebensbereiche und haben je nach Stellung, Planet oder Sternzeichen zur Geburt eine andere Bedeutung in Verbindung zu den anderen Häusern. Felix’ Saturn ist im vierten Haus, Zwilling: Seine Vergangenheit ist eine Bürde. Hat das Gefühl, für seine Familie nicht gut genug zu sein.

 

 

Du kannst Menschen nicht dazu bringen, dich zu mögen, indem du ihnen noch mehr von etwas gibst, das sie ohnehin nicht wertschätzen.

Dieser Satz meiner Oma hatte sich in meine Seele eingebrannt, und nach meinem ersten Arbeitstag war er präsenter denn je.

Ich lehnte mich im Klappstuhl zurück und massierte mein Gesicht, ehe ich mich erneut dem Sternenhimmel über mir widmete.

Der Balkon im dritten Stock von Caras extrem schmalem Häuschen hatte es mir angetan, und nachdem ich mich zum vierten Mal auf meinem Smartphone vergewissert hatte, dass der Herd aus war, konnte ich den Ausblick endlich genießen. Was wäre, wenn jemand mein Handy klaute und all die Bilder von abgedrehten Öfen und aus der Steckdose gezogenen Bügeleisen entdeckte? Ich würde definitiv vor Scham keine Anzeige erstatten. Uff. Doch selbst ein in Flammen stehender Herd hätte mich heute wahrscheinlich nicht mehr abgelenkt. Zu meiner Verteidigung: Ich war mental nach meinem ersten Arbeitstag völlig ausgelaugt. Das wunderte mich zwar nicht, nur machte es meine leeren Akkus auch nicht voller.

Die finstere Nacht gab mir in all ihrer Unendlichkeit immerhin ein wenig Halt. Auch wenn die Sterne sich schwertaten, sich in ihrer vollen Pracht zu zeigen, glichen sie einer Umarmung meiner Oma. Hach, wie sie das Universum geliebt hatte. Fast bildete ich mir ein, ihren Duft zu riechen. Räucherstäbchen, Vanille, Kaffee und Zimt. Meine Sinne täuschten mir vor, sie hätte mich nicht verlassen. Am liebsten wäre ich tiefer in dieses Gefühl eingetaucht, doch dann riss mich die Erinnerung an ihre Beerdigung aus dem wohligen Rausch, und ihr imaginäres, faltiges Lächeln über mir im Sternenhimmel verschwand. Statt ihrer Berührung spürte ich wieder den festen Griff meiner Mutter wie einen Phantomschmerz an meinem Oberarm. Wie sie mich damals von Omas Grab weggezogen und mir ins Ohr geflüstert hatte, ich solle mich nicht so anstellen. Leichter gesagt als getan, wenn mit dem Sarg auch ein Teil meiner Lebensfreude begraben wurde.

Ich schüttelte das einsame Gefühl, bis heute kein Leben begonnen zu haben, das ich wirklich mochte, in dem ich mich wirklich mochte, ab. Stattdessen fragte ich mich: »Was tue ich eigentlich hier?« Seitdem ich das Murphy’s verlassen hatte, wollte ich nur eins: alles hinschmeißen.

Und nach Hause gehen, fügte eine leise Stimme in mir hinzu. Nur, wo war mein Zuhause? Bei meinen Eltern, die mich nur akzeptierten, solange ich nicht zu sehr ich selbst war? Ich seufzte, strich meine Haare zurück und verweilte in dieser Position.

Murphy glich in seiner Strenge einem Admiral der Marine, falls das so hieß, dem ich es niemals recht machen konnte. Wie sollte ich diesem Druck standhalten? Dabei hatte mein Studium noch gar nicht begonnen, und das würde mir auch einiges abverlangen. Woher sollte ich Selbstbewusstsein nehmen, wenn ich um meiner selbst willen ständig kritisiert worden war? Konnte ich Selbstwertgefühl backen? Gab es ein Rezept dafür? Self-Care war für mich nicht mehr als eine Gesichtsmaske, ein Nuss-Beerenmix und eine Folge Charmed vorm Schlafengehen. Oder Sailor Moon, falls es mir ganz schlecht ging.

»Felix?« Mein Name ließ mich hochschrecken, und ich sah Cara zu mir kommen. Mist, ich hatte die Schiebetür gar nicht gehört.

»Oh, hey.« Mein Nasehochziehen wurde vom Geräusch der sich schließenden Tür übertönt, und ich wischte mir über die Augen.

Die Lichterkette auf dem Balkon blinkte und rahmte meine Mitbewohnerin in ein sanftes Licht ein. Wie eine mystische Erscheinung trat sie auf mich zu und schlang den schwarzen, bodenlangen Cardigan um ihre Taille.

»Na?« Cara schenkte mir ein Lächeln, das zögerlich auf ihren lila Lippen lag. Der Sitzsack neben mir knisterte, als sie Platz nahm. »Alles gut?«

»Ja, klar.« Falsches Grinsen aufsetzen: Check.

»Habe mich ein wenig ausgeruht.« Niemanden mit meinen Gefühlen belasten: Check.

»Und dir?« Von mir ablenken: Check.

Cara rutschte im Sitzsack herum, und er gab matschige Geräusche von sich, bis sie eine angenehme Sitzposition gefunden hatte. Dann strich sie sich die Haare hinters Ohr und entblößte ihre Piercings. Ihr Blick verlor sich ebenfalls im Nachthimmel. »Fische-Einmaleins: Lieber in der Hölle schmoren, als Hilfe anzunehmen.«

Cara durchschaute mich mehr, als es mir lieb war. Nervös knetete ich meine Finger. Was machte ich in solchen Situationen? Verletzlich gab ich mich anderen gegenüber nicht gern. Nicht seitdem meine Eltern auf mein Outing nicht wie in einer romantischen Gay-Romance-Komödie reagiert hatten. Mittlerweile verstanden wir uns wieder und hatten uns angenähert, was hauptsächlich daran lag, dass ich meinen Mund hielt und meine Eltern anfingen, mir ein wenig entgegenzukommen. Das war in unserer Realität ein Fortschritt. Dennoch hatte ich damals beschlossen, nie mehr ohne emotionale Schutzrüstung vor Menschen zu treten.

»Ähm, der erste Arbeitstag war etwas aufwühlend.« Ich kaute etwas zu fest auf meiner Unterlippe herum. Wieso war ich ein gefühlsmäßiger Totalschaden?

»Wir müssen nicht darüber reden, wenn du nicht magst.«

Neben der erwachsenen Cara fühlte ich mich wie ein überfordertes Kleinkind. Aber ich kannte mich auch. Würde ich sprechen, verkrampfte sich mein Kiefer, meine Kehle schnürte sich zu, und ich bekäme keinen Ton heraus. Aber wenn Cork mein Neuanfang, meine Neuerfindung sein sollte, müsste ich mich eigentlich überwinden und es ansprechen.

»Danke.«

»Und der alte Murphy hat dir das Leben schwer gemacht?« Cara zupfte ein welkes Blatt von dem Holzgitter, auf dem sich Efeu hochschlängelte.

»Ja, wie du es gesagt hast, aber …«

»Aber?« Wohl bei dem Gedanken daran, sich geirrt haben zu können, schnellte ihr Blick irritiert in meine Richtung.

»Viel schlimmer ist dieser eine Kunde gewesen. So ein arroganter Arsch, dem ich mitgeteilt habe, es sei mein erster Tag. Der hat nichts Besseres zu tun gehabt, als Murphy ständig meine Fehler aufzuzählen. Und er hasst Weihnachten. Wer hasst Weihnachten? Außerdem, ähm …«

Eine Welle der Peinlichkeit übermannte mich. Ich stützte meine Ellbogen an meinen Oberschenkeln ab und bettete mein Gesicht in meine Hände. »Ich hab mich beim Abmessen auf seine Füße gekniet – unabsichtlich. Natürlich musste er Murphy darauf aufmerksam machen.« Das Bild ploppte vor meinem geistigen Auge auf. Ich vor seinem Schritt, danach sein Gesäß abmessend. Argh. Unangenehm.

»Neiin. Was für ein Arsch.« Zwar hörte ich Caras Mitgefühl aus ihren Worten, ihr Mitleid hielt sich aber in Grenzen. Anders konnte ich mir das Gekicher nicht erklären.

Ich sah durch meine Finger zu ihr hoch und hob eine Augenbraue.

»Sorry, es klang zu witzig.« Sofort atmete Cara tief ein und aus und legte eine neutrale Miene auf. Nur ihre Mundwinkel zuckten noch. »Ernsthaft: Wer macht so was? Aber, hey, egal, den siehst du nie wieder.« Sie rutschte samt Sitzsack näher zu mir. »Ach, Mann. Tut mir leid. Ich hätte gehofft, dein erster Tag verläuft besser und du kannst mit einem angenehmen Gefühl in dein neues Leben starten.«

»Schon gut.« Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin. »Ich bekomme das hin.« Innerlich überlegte ich mir Suchbegriffe für die Online-Stellensuche und Branchen, die für einen neuen Nebenjob infrage kamen. Identitätswechsel wäre auch nicht schlecht.

»Ich weiß, du wirst mich nicht um Hilfe bitten, aber falls du es dir anders überlegst …« Cara beugte sich vor, bis wir beinah Stirn an Stirn waren. »Ich bin eine Tür von dir entfernt.« Ihre Hand bedeckte meine. »Vergiss das bitte nicht, ja? Es gibt für alles eine Lösung. Okay?«

Sie drückte meine Finger.

Tausend Gedanken der Dankbarkeit schwirrten in mir umher. Es gab einiges, das ich sagen wollte, beließ es jedoch bei einem: »Okay.«

 

Mein Herz raste, oder bildete ich mir das ein? Ich fasste mir unauffällig an den Hals. Nein, meine Halsschlagader war kurz vorm Platzen. Ich sah die Schlagzeile bildlich vor mir: Österreicher explodiert in der irischen University of Cork. Und meine Eltern, die unser komplettes Dorf abfuhren, um alle Zeitungen aufzukaufen, bevor es irgendwer mitbekam.

Jemand rempelte mich an, und ein pudriges Parfüm strömte in meine Nase. Das holte mich aus meinen Gedanken.

»Sorry«, stöhnte ein Typ mit blondem Mittelscheitel und Poloshirt. Er hob im Laufen beschwichtigend die Hände und befestigte danach seine Glockenanstecknadel auf dem Riemen seiner Umhängetasche, die sich bei unserem Zusammenstoß wohl gelockert hatte.

»Schon gut«, sagte ich nicht, da es mir in der Kehle stecken blieb und nur ein zerquetscht klingendes »Schngnt« rauskam.

Getuschel, Gelächter, Schritte und Absätze, die wie dumpfe Pistolenschüsse am Steinboden knallten, vermischten sich zu einer Geräuschwolke aus Leben, in die ich mich hineinstürzte, um mein Studium zu beginnen. Caras Worte von gestern Nacht wiederholten sich gedanklich: Es gibt für alles eine Lösung.

Na, hoffentlich.

Ich betrat die Aula Maxima des UCC, und wow, sah das umwerfend aus. Ein dunkles, rotbraunes Parkett tat sich vor mir auf. Links und rechts an den Wänden uralte, schwere Bücherregale, deren Geschichten mich zu sich riefen. Am liebsten wäre ich zu ihnen gelaufen und hätte mich in den leicht vergilbten Seiten verloren.

Mehr und mehr Studierende drängten sich in den Raum und bestaunten die Einrichtung. Das bestätigte meinen Eindruck einer altehrwürdigen Zauberschule. Über den Regalen strahlte die Sonne durch die Bleiglasfenster herein, und an der Decke entdeckte ich ein Plakat, das an der imposanten Holzverkleidung festgemacht war, mit dem Slogan: Mein UCC, Dein UCC.

Ich suchte mir einen Sitzplatz in der letzten Reihe und betrachtete weiter die Aula. Die Hartplastikstühle waren unbequem und zu modern für den Raum. Dieses unpassende Detail glichen die goldenen Kronleuchter wieder aus, an denen sich das Sonnenlicht brach und glitzernde Tupfer auf meiner dunkelgrünen Stoffhose verteilte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Unruhe im Raum legte, und ich nutzte sie, um mit meinem Smartphone ein paar verwackelte Bilder zu machen. Ich wählte die schönsten Schnappschüsse aus.

Sieht das nicht mega aus? Vielleicht bin ich an einer Zauberakademie aufgenommen worden? Und die schweren Holztüren wie von einer alten Burg wären was für euer Schlafzimmer, oder?

Als ich fertig getippt hatte, verschwand mein knappes Lächeln, und ich löschte wieder alles aus dem Familienchat. Stattdessen schrieb ich:

Erster Tag hat begonnen.

Abgeschickt.

»Liebe Neuankömmlinge.« Die Ansprache begann und holte mich aus meinen Gedanken. Ich steckte mein Smartphone weg.

»Mein Name ist Professor Jim O’Kelly, und ich bin der Direktor des University College of Cork.« Die Vorstellung des ergrauten Mannes im blauen Anzug, der eine dieser Brillen trug, die nur oben einen Rahmen hatten, fiel knapp aus. »Ich wünsche all unseren UCC-Studierenden und dem gesamten Team ein gesundes und lehrreiches Jahr«, fuhr Professor O’Kelly fort.

Er stand auf einem frisch polierten Holzpodest, und hinter ihm waren Gemälde von verschiedenen Menschen in dicken Goldrahmen in Szene gesetzt. Jedes der Gesichter machte den Anschein, mich kritisch zu begutachten.

O’Kelly legte seine Hände um das Rednerpult und ließ seinen Blick über uns schweifen. »Euer Wohlergehen steht über allem. Dennoch erwarten wir einiges von euch. Wir gehören zu den zwei Prozent der besten Universitäten weltweit, und deshalb muss …« Seine Worte verklangen langsam und verschwanden hinter einer wolkigen Watteschicht aus Zweifeln.

Top zwei Prozent weltweit? War ich hierfür gut genug? Ich sah mich um. Alle lauschten der Ansprache, und in ihren Augen funkelte die Vorfreude auf ihre Zukunft. Warum waren die alle so selbstsicher? Urplötzlich erfasste mich eine Hitzewelle, und ich wischte meine schwitzigen Hände an meiner Hose ab. Im Augenwinkel erkannte ich meine Sitznachbarin, wie sie mich irritiert musterte.

Ich hatte den unstillbaren Drang, auf mein Handy zu sehen. Wenn ich schon merkwürdig war, sollte es niemand mitbekommen, und mein Smartphone lenkte mich ab. Der Sperrbildschirm verschwand, und ich öffnete meine Nachrichten. Ich scrollte hinunter. Ganz nach unten. Ein Fehler. Ein Fehler, der sich wie eine Gewohnheit anfühlte. Das kleine Profilbild meiner Oma lachte mir entgegen, und ich öffnete unseren Chat. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu löschen. Wenn es mir schlecht ging, las ich oft darin. Dann ging es mir noch schlechter. Wenn ich eines bleiben lassen sollte, dann, einen Ratgeber zur Trauerbewältigung zu schreiben.

Der Nachrichtenverlauf meiner Oma und mir war nicht sonderlich aufregend. Meistens hatte sie mir Emojis oder diese typischen Alte-Menschen-Bilder mit Kaffeetassen und Guten-Morgen-Sprüchen darauf geschickt. Trotzdem killten mich diese Nachrichten.

Du fehlst. Mein erster Tag am UCC beginnt heute. Ist die Architektur nicht umwerfend?

Sofort schickte ich die Nachricht an sie ab und fügte ein verschwommenes Bild von der Aula Maxima hinzu.

Natürlich wusste ich, dass ich niemals eine Antwort bekommen würde. Trotzdem tat es gut. Ich drückte auf die Seite meines Handys, und das Display schwärzte sich.

»Neue Studierende haben die Möglichkeit, sich den Führungen anzuschließen. Es gibt auch einen Online-Rundgang.« Da sprach O’Kelly mein Stichwort an.

Online bedeutete: Keine Menschen, keine peinlichen Momente, an die sich alle auf ewig erinnern würden, und vor allem keine knallroten Wangen. Ich brauchte keine Schande-Glocke wie die aus Game of Thrones, ich hatte meine Wangen der Schande.

Ein wenig ärgerte es mich, drei Viertel der Begrüßungsrede nicht mitbekommen zu haben. Na ja, ich kannte das von mir. Hatten meine Gedanken erst ihre Tentakeln um mich geschlungen und mich in den tiefen Sumpf meiner Zweifel gezerrt, gab es kein Entkommen mehr.

Gemeinsam mit allen applaudierte ich O’Kelly und erhob mich. Stühle quietschten über das Parkett. Gleichzeitig begann eine Geigenspielerin, die die gesamte Zeit über auf der hölzernen Empore auf ihren Einsatz gewartet hatte, ein feierliches Stück zu spielen. Beim Verlassen der Aula strich ich durch das Schutzgitter mit einem Finger über die Buchrücken neben mir und ging hinaus in den Innenhof.

Ich hätte schwören können, dass mein Körper zischte, sobald der eisige Wind mich berührte, und die Kühle brachte mich ein wenig runter. Sofort fischte ich meine Kopfhörer aus meiner Hosentasche. Mit Musik konnte ich mich abschotten. Sie umarmte mich mit einer Sanftheit, nach der ich mich sehnte. Das und ein heißes Bad.

Doch als ich mein Handy entsperrte, entdeckte ich wieder den Chat mit meiner Oma, und mit dem nächsten Luftzug kamen mir ihre Worte von damals in den Sinn. Ganz so, als flüsterte der Wind sie mir zu. Es war eine ihrer ersten Lektionen, die sie mir in Sachen Astrologie beigebracht hatte.

Deine Schwächen, die dir laut Geburtshoroskop in die Wiege gelegt wurden, sind nicht unüberwindbar. Wenn du sie kennst, kannst du mit ihnen arbeiten.

Sie hatte recht. Ich durfte nicht nach Hause gehen, mich in mein Schneckenhaus verkriechen und die Führung auf meinem Smartphone virtuell begehen. Bevor mich die Kraft meiner eigenen Mutlosigkeit zerquetschte und ich doch zu Cara ging, schüttelte ich sie ab, steckte mein Handy ein und eilte zum Treffpunkt, den ich aus der Broschüre kannte. Ein Blick auf die schwarze Marmoruhr mit den goldenen Zeigern auf einem der wuchtigen Steintürme zeigte, ich war noch nicht zu spät dran.

Während ich umherirrte, bemerkte ich, dass der eingezeichnete Punkt auf der Karte einer Broschüre in der Realität nicht so leicht zu finden war wie erhofft.

Gefühlt hatte ich einmal den Komplex umrundet, bis ich den mit einer grünen Fahne markierten Treffpunkt gefunden hatte.

Mit stolzgeschwellter Brust legte ich die letzten Schritte zurück. Ich, Felix Novak, überwand mich und trat aus meiner Komfortzone. Mein Magen fühlte sich leichter an, die Luft war wohlig frisch, glitt in meine Lungen und floss wieder hinaus. Dabei wiederholte ich gedanklich mein Mantra: Blamier dich nicht.

Drei Studierende verließen gerade mit einer jungen Frau den Treffpunkt. Sie hielt ein kleines Schild in der Hand mit der Aufschrift Guide. Ein Typ blieb, angelehnt an einen riesigen Baum mit den grünsten Blättern, die ich jemals gesehen hatte, als letzter verfügbarer Führer zurück. Er stand mit dem Rücken zu mir, und diese Ansicht speicherte ich für später in mir ab. Er pulte mit dem Guide-Schildchen Erde aus seinen Schuhen.

»Hey, bin ich hier richtig für den Rundgang?« Warum fragte ich das? Ich wusste die Antwort doch.

Der Guide wandte sich mit einem mürrischen Brummen zu mir. »Ja, was glaubst du, wofür dieses Schild ist?« Er erkannte mich ebenfalls und stoppte abrupt.

»Du.« Mit einem Schritt zurück vergrößerte ich den Abstand zwischen ihm und mir.

Warum ausgerechnet er? War das ein schlechter Scherz? Wer hatte diese blöde Idee gehabt, Menschen aus ihrer Komfortzone zu drängen?

»Felix, richtig?« Er legte dieses arrogante, selbstgefällige Grinsen auf, das der weihnachtshassende Grinch mit dem wohlgeformten Gesäß mir auch im Laden zugeworfen hatte.

Ich fror auf der Stelle fest. Zwei Möglichkeiten tauchten als Windows-Fehlermeldung in meinem Kopf auf: Weglaufen oder Bleiben. Was davon sollte ich anklicken?

Kapitel 4

Felix

Menschen mit demselben Geburtstag sind oft unterschiedlich, da es stets auf den persönlichsten Faktor ankommt: den exakten Augenblick und den Ort der Geburt. Selbst dann können sie sich aber durch ihr Umfeld anders entwickeln.

 

 

Eine Frage brannte in mir: Sollte ich mich entschuldigen? Für den Vorfall bei Murphy’s? Nee. Als Ausgleich dafür hatte ich ihm in der Boole-Bibliothek die besten Ecken gezeigt. Musste reichen. Ich konnte mich nicht für jeden auf der Welt aufopfern. Unser anfängliches Schweigen hatten wir ebenfalls überwunden, was mich zu meinem Endplädoyer führte: Ich war ihm nichts schuldig, und Felix hatte den Vorfall längst vergessen.

»Wie erwähnt, würde ich mich auch einer Society des UCC – früher übrigens ein Kloster namens Gill Abbey – anschließen. Da kannst du Kontakte knüpfen.« Ich lehnte mich zu Felix. »Und macht sich gut in deinem Abschlusszeugnis. Jeder ist in einer. Wir haben, mal überlegen …« Puh, wie viele waren das noch mal? Unauffällig zupfte ich den Spickzettel aus meiner Hosentasche und linste auf das Stück Papier. Nebenbei begutachtete ich schmunzelnd Felix, wie er neben mir herdackelte und sich Notizen mit seinem Handy machte. »… um die hundertelf Societies. Kunst, Politik, Medizin, Religion und so weiter. Und wie alles an dieser Uni haben auch alle von ihnen einen eigenen Instagram-Account.«

»Ja, das habe ich mitbekommen, folge selbst einigen.« Felix sagte das, als wollte er mich beeindrucken. Glaubte er, ich legte ein gutes Wort für ihn ein?

Wir schlenderten einen Weg Richtung Brookfield-Komplex zwischen den unzähligen Bäumen am Campus entlang, die im Sommer einen herrlichen Schatten spendeten. Bei Wind wie heute trugen sie das Rascheln wie eine Melodie über den Campus.

»Okay. Allen würde ich nicht folgen, sonst sperrt dich die App, weil sie denkt, du bist ein Roboter.« Ich sprach etwas lauter, da in der Nähe ein provisorisches Zelt aufgebaut war, das die Instrumente der Live-Band vor Regen schützen sollte. Die indische Musik der Studierenden hatte mich schon die letzten zwei Wochen begleitet. »Das musst du dir nicht aufschreiben.«

»Oh, okay.« Felix sperrte sein Smartphone. »Und wo führt diese Treppe am Ende des Weges hin?«

»Zum Brookfield-Health-and-Science-Komplex. Da bin ich meistens, und das ist auch unser letztes Ziel für heute.«

»Ah, verstehe. Ach, du hast nicht zufällig ein Hustenbonbon dabei?« Nach Felix’ Frage klopfte ich meine Taschen ab. Manchmal steckte ich mir kleine Päckchen davon ein, die es bei meinem Nebenjob als Werbemittel am Empfang gab.

»Nein, sorry. Warum?«

»Steh auf die, hab ich von meiner Oma. Sag, in welchen Societies bist du? Wenn ich fragen darf.« Ein Sonnenstrahl stahl sich durch die Bäume neben uns, direkt auf Felix’ Nase, und ich erkannte ein paar feine Sommersprossen.

»Vorweg: Ich bin nicht das aktivste Mitglied. Kann dir da keine Starthilfe geben. Bin offiziell bei der Klinischen Therapie-Society, dem Alzheimer-Zusammenschluss, in der Friends of Médecins Sans Frontières, also Ärzte und Ärztinnen ohne Grenzen, in Irische Musik bin ich auch, fällt mir gerade ein, und Medizinische Forschung und Pharmazie.«

»Okay.« Felix zog das O lang, und seine Lippen verzogen sich zu einem Strich danach. Mir kam es vor, als fühlte er sich veräppelt.

»Gibt es irgendetwas Kreatives?«, fügte er ein paar Sekunden später hinzu.

»Es gibt viel Mis-, ich meine, eine große Auswahl an Societies. Rollenspiele, Theater, Schreiben, eine für Simpsons-Fans, verschiedene Religionen, Astrologie und bla, bla, bla.«

Felix nickte und musste das wohl sacken lassen. Ich glitt mit meiner Hand durch die Blätter eines neuen Baums. Allein deshalb liebte ich die Uni. Die Pflanzenvielfalt an der UCC war der Hammer. »Weißt du, dass der Campus fast dreitausend Bäume hat? Sogar zwei Küstenmammutbäume.«

»Wow.«

»Ja, wir sind der erste Green Campus – seit über zehn Jahren.« Check, noch ein Thema, das ich im Rahmen der Führung ansprechen musste, abgehakt. Dabei sprach ich für mein Leben gern über Pflanzen. »Wir haben hinter dem alten UCC-Society-Büro einen großen Community-Garten, den wir alle betreiben. Du wirst sehen, er ist etwas verwildert. Wir sind nicht der Knaller im Organisieren. Macht aber auch das Flair aus. Bin da leider nicht mehr oft.«

»Überwältigend und ein wenig erdrückend, was es alles gibt.« Dass ihn das UCC etwas erschlug, hatte ich bei Felix mittlerweile schon öfter bemerkt.

Ein paar Stufen später hatten wir die Treppe erklommen und standen vor dem modernen Brookfield-Gebäude mit der Glasfront. Daneben tat sich ein beiges Sandsteingebäude auf, das sich mit dem finsteren Plexiglasanbau und Holzelementen trotz des neueren Baustils perfekt in den Charme des ursprünglichen Klostergebäudes des UCC einfügte.

»Kommst du eigentlich direkt aus Cork?« Felix begutachtete jeden Winkel um ihn.

»Nicht direkt. Geboren bin ich in Dublin, aufgewachsen bin ich in Carrigaline, nicht weit von Cork entfernt. Meine Mutter lebt dort in unserem Haus und mein Dad eigentlich auch, aber der nimmt sich gerade eine Auszeit.«

»Eine Auszeit?«

»Er hat … Egal. Ist einfach so.« Warum erzählte ich das überhaupt? Normalerweise plapperte ich solche Sachen nicht direkt beim ersten Treffen aus. Streng genommen war es ja auch nicht unser erstes Treffen.

»Verstehe. Und warum bist du hier?« Felix musterte mich mit einem Blick aus seinen mysteriösen grünen Augen, aus dem ich nicht schlau wurde, und deutete zum Brookfield-Gebäude.

»Weil ich mich bei meinem Studium auf kognitive Krankheiten spezialisiert habe? Und eine Abschlussarbeit zum Thema ›Psychologischer und traumabezogener Stress im Zusammenhang mit dem Demenzrisiko‹ schreibe?« Mein fragender Unterton veränderte sich zum Schluss hin, denn ich verstand, was er meinte. »Woah, warte, traust du mir kein Medizinstudium zu, oder was?« Nur eine Sekunde lang weiteten sich seine Augen. Das reichte, um ihn zu ertappen. »Ernsthaft?«

»Nein, das habe ich nicht gesagt.« Felix wollte sich am Nacken kratzen, was genau gar nichts brachte, da seine Kapuze ihm bei dieser zweiten enttarnenden Geste in die Quere kam und er den Stoff rieb. Oh, und wie er das tat. Er zog das geschlagene fünf Sekunden durch, als wäre das volle Absicht.

»Das musst du nicht.« Vermutlich geschah es mir recht. Immerhin hatte ich Felix zuerst vorverurteilt.

»Tut mir leid, habe mir Leute, die irgendwas mit Medizin machen, äh –«

»Was?« Ich deutete auf mein senfgelb-schwarz kariertes Hemd. Hatte ich eine Krankheit, die mich hässliche Kleidung nicht erkennen ließ, oder was zum Teufel hatten alle mit meinen Klamotten? »Wie ich rumlaufe?«

Felix sah sich den Griff der Glastür vor ihm an, dann den Sandsteinboden, alles, um mir auszuweichen.

»Hm? Sag.«

»Nein, gar nicht. Eher netter vorgestellt. Oder hilfsbereiter.«

»Nett –« Ich unterbrach mich und drehte mich zur Holzbank neben dem Eingang. »Netter?« Ich wandte mich wieder zu ihm. »Ich bin nett, du schlechter Herrenausstatter.«

Den skeptischen Blick, die hochgezogenen Brauen, den Kopf etwas fragend schief gelegt. All das hatte ich dank meines letzten Satzes verdient. Aber ich hatte das unmöglich auf mir sitzen lassen können.

»Tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Wir reden aneinander vorbei, oder?« Das verlegene, schiefe Grinsen ließ mich ein wenig sanftmütiger werden. Schade, ich genoss einen guten Streit. Bei Felix’ Händekneten erriet ich jedoch rasch, dass er sich unwohl fühlte. Ein ungeeigneter Kampfpartner. Da fiel mir ein, warum gab es keine Society fürs Streiten?

»Wir haben die wichtigsten Punkte durch. Der Campus ist riesig.« Ich breitete meine Arme aus und lehnte mich gegen die Glasfront. »Du entdeckst das alles mit der Zeit. So schlimm ist es gar nicht, und die Leute sind hilfsbereit.« Nach dem letzten Wort warf ich Felix einen seitlichen Blick zu. »Netter als ich.«

Wir konnten uns ein belustigtes Schnauben nicht verkneifen. »Aber dort hinten«, Felix deutete über seine Schulter, »gab es noch einen Weg.«