Norwegische Reise - Gianni Kuhn - E-Book

Norwegische Reise E-Book

Gianni Kuhn

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Beschreibung

Als der Schweizer Architekt Alexander Brenner in die norwegische Stadt Bergen fährt, um die Erbschaft eines geheimnisvollen Onkels anzutreten, erwarten ihn einige Überraschungen. So findet er im geerbten Trödelladen höchst erstaunliche Dinge, für die sich nicht nur gewisse Kunden brennend interessieren, sondern auch ein österreichischer Maler und Kerstin, die Freundin des Verstorbenen.

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Inhalt

Kirkenes

Auf dem Schiff

Ankunft

Beim Notar

Nordnes

Der Antiquitätenladen

Das Spiel beginnt

Das Manuskript

Im Naturhistorischen Museum

Die Überraschung

Der Unbekannte

Zu Besuch

Nordland

Singularis

Das neue Leben

Die Ampullen

Anweisungen

Einweihung

Der Argentinier

Auf der Flucht

Seefahrer

Die Oper

Rückkehr

Lachse im Regen

Kirkenes

Als Alexander Brenner, ein vierzigjähriger, grossgewachsener Mann mit einem braungebrannten, kantigen Gesicht, kurzgeschnittenen dunklen Haaren und graublauen Augen, seinen Chef im Architekturbüro in der Innenstadt Basels davon in Kenntnis setzte, dass er sich wegen einer Erbschaft eines ihm bislang unbekannten Onkels nach Bergen in Südnorwegen begeben müsse, meinte dieser, er solle doch mit dem Postschiff der Hurtig ruten von Kirkenes nach Bergen runterfahren – ein Vorschlag, der Brenner erstaunte, da ihm der Mann sonst kaum je einen freien Tag zugestand. So eine Fahrt habe er immer schon mal mit seiner Frau unternehmen wollen, fuhr sein Chef fort, doch nach der Scheidung sei es nun zu spät dazu. Er sei ja mehr mit seiner Arbeit verheiratet als mit ihr, habe sie ihm oft vorgeworfen. So solle wenigstens er, Brenner, fahren und ihm später von seinen Erlebnissen berichten.

Alexander Brenner flog schon in der folgenden Woche über Oslo nach Kirkenes, ganz im Norden von Norwegen. Es war an einem sonnigen und für den hohen Breitengrad ausserordentlich warmen Sommertag Mitte Juli, als er dort ankam. Weil das Schiff erst in zwei Tagen ablegen würde, genoss er die freie Zeit, schlenderte durch die kleine Stadt, wo ihn die rostroten und ockergelben Holzhäuser an eine Walfangstation erinnerten. Gerne hätte er im Schwimmbad vor dem Abendessen ein paar Runden gezogen, doch es war kein Wasser drin.

»Ach, wissen Sie, hier am Meer will keiner schwimmen lernen. Wenn ein Seemann über Bord geht, kommt er im eiskalten Wasser sowieso nicht weit. So sehen wir das«, klärte ihn der Concierge auf.

Nach dem Abendessen nickte der Basler Architekt in seinem Zimmer ein. Es ging schon gegen Mitternacht, als er wieder aufwachte, doch es war immer noch taghell. Brenner schaute nach Norden. Irgendwo dort oben, wo ihn die tiefstehende Sonne blendete, musste der Nordpol liegen. Seit Jahrhunderten ein magischer Sehnsuchtsort für Polarforscher und Abenteurer. Viele sind beim Versuch, dorthin zu gelangen, gescheitert. Auch der grosse Fridtjof Nansen musste am 86. Breitengrad aufgeben, konnte sich zusammen mit seinem treuen Begleiter Hjalmar Johansen aber glücklicherweise auf eine der vielen Inseln von Franz-Joseph-Land retten, wo sie unter primitivsten Bedingungen den eisigen Polarwinter überlebten.

Brenner glaubte sogar, das ewige Eis riechen zu können. Er hatte sich die Mitternachtssonne immer als etwas Romantisches vorgestellt, doch zu seinem Erstaunen war es schlicht und einfach nur hell. 24 Stunden lang. Es hatte draussen merklich abgekühlt. Brenner stolperte in das Rallarn Pub in der Oberstadt, in dem sich seit seiner Eröffnung im Jahr 1975 offensichtlich immer noch dieselben Leute trafen wie damals: teils langhaarige Typen und Frauen in Jeansjacken, alle so um die fünfzig oder älter. Offenes Bier kostete hier ein halbes Vermögen, weswegen die Einheimischen bevorzugt Limonade oder Büchsenbier tranken. Um zu rauchen, gingen sie zum Hintereingang raus. Als Brenner das Lokal durch eben diese Hintertür verlassen wollte, fand er sich in einer Art angebauter Blockhütte wieder, die voller Rauch war, ähnlich einer Räucherkammer. Es verwunderte ihn, weshalb die Menschen nicht längst erstickt waren. Direkt neben dem Pub befand sich für die Einwohner der Stadt ein Solarium, das in den langen, sonnenlosen Wintern möglicherweise als eine Alternative zum Alkohol diente, mutmasste Brenner. Nur einen Steinwurf vom Rallarn entfernt dehnte sich der Kirkenes-Fjord aus wie eine glatte Spiegelfläche; mehrere alte Schiffe lagen dort vor Anker. Eines mit Namen Murmansk hatte schon ziemlich viel Rost angesetzt. Immerhin keines der ausgemusterten und vor sich hinrostenden Atom-U-Boote, dachte Brenner, die noch bis vor wenigen Jahren nahe der gleichnamigen russischen Stadt östlich von Kirkenes wie gestrandete Wale aus Stahl im Hafen dümpelten.

Das Wasser war ruhig, die Sonne tauchte nicht unter den Horizont. Morgen wollte er sich in der Gegend etwas umsehen; und übermorgen würde er an Bord gehen, die Schiffs reise hin unter nach Bergen antreten. Brenner stieg hoch in sein Zimmer, zog die Vorhänge zu und sank in einen unruhigen Schlaf.

Als er aufwachte, schien noch immer die Sonne. Erst ein Blick auf seine Uhr machte ihm klar, dass es wirklich Morgen war. Nach einem reichhaltigen Lachs-Frühstück verspürte er Lust, die Gegend zu erkunden. Grense Jakobselv stand auf einem Schild am Strassenrand. Hier war Endstation. Genau hier floss der Grenzfluss, die Jakobselva, in die Barentssee. Brenner stellte den weissen Mietwagen auf einem kleinen gekiesten Parkplatz ab. Er ging ein paar Schritte das Meer entlang, wo ihm nackte Felsen auffielen, die von Rillen und Furchen durchzogen waren. Er stellte sich vor, es wären Wale, die, von Harpunen gezeichnet, den Walfängern entkommen waren. Brenner sah Grenzwächter patrouillieren. Vorbei an einer mit kleinwüchsigen Blumen bestandenen Wiese, die bis zu einem Metallzaun reichte, fuhr er über die Schotterpiste voller tiefer, teilweise mit Wasser gefüllter Schlaglöcher. Es beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Auf der anderen Seite des kleinen Flusses lag nämlich Russland. Schilder warnten vor dem Überschreiten der Grenze. Was geschähe, wenn er den Wagen abstellte und durch das Wasser auf die andere Seite watete? Würde er sogleich festgenommen, verhaftet, gar erschossen werden? Brenner schau te geradeaus. Er versuchte den Wagen so gut es ging über die schadhafte Piste zu manövrieren. Endlich kam er wieder auf eine asphaltierte Strasse. Obwohl auch diese Löcher aufwies, gestaltete sich die Fahrt jetzt wesentlich ruhiger. Endlich erreichte der Basler die gut unterhaltene Strecke, die das russische Murmansk mit dem norwegischen Kirkenes verband. Brenner fuhr nun wieder gegen Westen. Als er unten in der Bucht die ersten bunten Häuser von Kirkenes sah, überkam ihn ein Gefühl von Heimkommen.

Am Tag darauf stand Brenner am Ufer und schaute hinaus auf das Meer. Er fragte sich, was er auf dieser Schiffsreise alles erleben würde. Und was mochte das für eine geheimnisvolle Erbschaft sein?

»Mehr als 600 Kilometer nördlich von uns liegt die Bäreninsel. Amundsen ist bei einem Rettungsflug für seinen Erzfeind Nobile dort irgendwo ums Leben gekommen. Man hat weder die Leiche des Mannes noch das Flugzeugwrack der Latham 47 je gefunden.«

Brenner drehte sich um.

»Hans? Was? Woher?«

Der Mann stand breitbeinig da und lächelte. Die beiden reichten sie sich unwillkürlich die Hand, dann boxten sie sanft die Fäuste gegen die des Gegenübers, wie sie das schon als Jugendliche getan hatten.

»Da staunst du, was? Ich hatte einfach die Nase voll von der Schweiz, ich musste weg.«

»Und bist in Kirkenes Fremdenführer geworden?«

»Ach, was. Amundsens Geschichte kennt hier jedes Kind. Als der grosse Polarforscher zum Rettungsflug antrat, war er von seinen berühmten früheren Expeditionen gesundheitlich angeschlagen. Sein Stern war unweigerlich am Sinken, und er hatte sich zu einem knurrigen Eigenbrötler entwickelt. Auf der Rettungsaktion zu verunglücken, war ein idealer Abgang, der ihn zum Polar-Märtyrer machte.«

»Tönt alles sehr gescheit«, wunderte sich Brenner.

»Björk!«, rief Hans.

»Lockst du Möwen an?«

Er schüttelte den Kopf. »Wo denkst du hin. Ich habe in Kirkenes meine Frau kennengelernt, Björk. Sie ist Lehrerin.«

»Daher deine Weisheit?«

Hans nickte. Sein rotes Kraushaar leuchtete in der Sonne wie ein guter Whisky.

»Immer noch im Baugewerbe aktiv?« wollte Brenner wissen.

»Allerdings.« Hans drehte sich vom Wasser weg. »Das grau bemalte Holzhaus. Siehst du das? Bald ist es fertiggestellt. – Und das ist nicht das erste. Von meiner Tätigkeit als Bauunternehmer kann ich hier gut leben.«

Brenner schmunzelte. »Sieht ganz so aus.«

»Mein Bäuchlein gibt Zeugnis davon.«

»Deine Wampe!«

»Meine Frau ist halt eine tolle Köchin. Und Lachs gibt es hier in Hülle und Fülle.«

»Das mag ich dir gerne gönnen.«

»Weisst du, früher, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hätte ich hier noch viel mehr Arbeit gehabt«, nahm Hans den Faden wieder auf.

»Wieso? Hier oben fielen doch sicherlich keine Bomben. Und deshalb gab es auch keine Häuser neu aufzubauen«, überlegte Brenner.

»Hast du eine Ahnung! Wir sind hier zwar am Ende der Welt, doch die Deutschen bauten in dieser Gegend enorme Mengen Eisenerz ab, das sie verhütteten, um das begehrte Metall zu gewinnen, das sie für den Krieg benötigten. Und von hier aus wollten sie Russland angreifen. Das russische Murmansk liegt nur 200 Kilometer östlich von Kirkenes. Es war der einzige Hafen im europäischen Teil der damaligen Sowjetunion, den die Deutschen nicht unter Kontrolle bringen konnten. Und wieso?«

Hans kratzte sich am Kopf und schaute Brenner mit fragenden Augen an.

»Hatten die Russen eine uneinnehmbare Festung erbaut?« mutmasste Brenner.

Hans schüttelte den Kopf. »Weil durch das Eismeer gewaltige Versorgungstransporte von England und Amerika direkt nach Murmansk gingen. Die Russen bombardierten Kirkenes Tag und Nacht, denn es hielten sich hier und in der Umgebung an die hunderttausend deutsche Soldaten auf.«

»Hunderttausend? Übertreibst du da nicht etwas, alter Norweger?«

»Du hast ja keine Vorstellung. Björks Mutter hat mir schreckliche Geschichten erzählt.«

»Dann lag hier alles in Schutt und Asche?«

»Genau. Das sag ich ja. Als sich Hitler 1944 zurückziehen musste, hinterliess er bis weit die norwegische Küste hinunter verbrannte Erde. Er zwang die Menschen, ihre Städte zu verlassen, die er dann niederbrennen und bombardieren liess, so dass heute kaum noch ein altes Haus dort steht. Achte darauf, wenn du gen Süden fährst. Oder kommst du gerade von Bergen hoch und fliegst nun wieder nach Hause?«

»Nein, ich fahr runter, wegen was Geschäftlichem.«

»Du wolltest doch Architektur studieren, nicht wahr?«

»Richtig.«

»Du hast einen fetten Auftrag an Land gezogen?«

Noch bevor Brenner antworten konnte, fuhr Hans fort: »Lass mich raten. Du baust in Bergen ein Kunstmuseum oder ein Opernhaus? Gratuliere«, lobte ihn Hans.

»Du nimmst mich hoch.«

»Rück schon raus, Geheimniskrämer.«

»Schön wär’s. Nein, es geht um eine Erbschaft von einem unbekannten Onkel.«

»Einem unbekannten Onkel? Und das hier in Norwegen? Jetzt nimmst du mich aber hoch, Alter. Wie damals. Weisst du noch, als …«

»Ich versichere dir, bis heute wusste ich auch nichts davon«, schnitt ihm Brenner das Wort ab. »Aber was soll’s. Ich lass mich mal überraschen.«

»Wer weiss, vielleicht lernst du in Norwegen auch eine Frau kennen und lieben wie ich. Komm doch mal bei uns vorbei. Da bekämst du auch mal was Richtiges zu essen. Bist ja ganz abgemagert.« Dabei klopfte er seinem Freund mit der Rückseite der Hand auf den Bauch. »Björk und die Kinder würden sich freuen.«

Brenner schaute auf seine Armbanduhr.

»Geht leider nicht. Das Schiff legt in einer Stunde ab. Ich muss.«

»Schade, dann vielleicht ein anderes Mal.«

»Ja, ein andermal.«

Zum Abschied Handschlag und Faust wie bei der Begrüssung. Dabei nickten sie sich zu, um sich so alles Gute für die Zukunft zu wünschen.

»Schiff ahoi.«

»Man sieht sich.«

Brenner holte seinen Koffer aus dem Hotel und ging an Bord des schwarz-weiss-roten Schiffes. Er kam sich ein bisschen vor wie ein Polarforscher. Wie die anderen Passagiere stand er an Deck, als die Nordlys ablegte. Allmählich wurden die bunten Häuser der Stadt kleiner. In einem wohnte Hans, sein Kumpel aus alten Tagen. Wieso hatte er ihn nicht gefragt in welchem? Hans, den man vom Aussehen her für einen Schotten oder Irländer hätte halten können, hatte hier offensichtlich sein Paradies gefunden, einen Ort, wo er sich wohlfühlte. Hans im Glück, schoss es Brenner durch den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm einmal ähnlich ergehen würde. Er hatte eine gute Anstellung in einem Basler Büro. Und eines Tages könnte er sich selbständig machen. Vielleicht auch heiraten und sich an eigenen Kindern erfreuen. Doch nachdem das mit Irmgard in die Brüche gegangen war, wusste er nicht, ob er so schnell wieder eine Freundin finden würde.

Langsam fuhr das Schiff aus der Bucht. Die Häuser waren jetzt nur noch kleine Farbflecke. Die niedrigen, teilweise grün bewachsenen Hügelzüge schienen von ihm wegzuschwimmen. Die Nordlys fuhr Richtung Norden hinaus in die Barentssee. Brenner fragte sich einmal mehr, was unten in Bergen wohl geschehen würde? Ihn fröstelte. Er ging in seine Kabine.

Auf dem Schiff

Kahl und unfruchtbar zog das Festland an der ruhig dahingleitenden Nordlys vorbei. Inseln wie Walrücken, bizarre Felsformationen und Geröllfelder. Das Wasser war dunkel, grau und grün. Brenner konnte die Kälte auf seiner Haut spüren. Das ferne Schreien von Seevögeln versetzte ihn zurück in die Zeiten der Polarforscher, der unerschrockenen Pioniere, von denen immer wieder mal einer sein Leben verlor. Er dachte vor allem an die zwei erbitterten Kontrahenten am Südpol: den Norweger Roald Amundsen, der als erster den Südpol erreichte – nicht zuletzt deshalb, weil er viel von den Inuit gelernt hatte und Schlittenhunde verwendete – , und den Engländer Robert Falcon Scott. Seine Motorschlitten und Ponys musste er schon bald zurücklassen und die schweren Schlitten zusammen mit seinen Männern selbst ziehen. Man-hauling nannten die stolzen Briten das. Scott gelangte nur als zweiter zum Pol. Er und seine Gefährten verstarben auf dem Rückweg zum Basislager, weil sie der unbarmherzigen Kälte nicht länger trotzen konnten und zu wenig Essensrationen hatten.

Als Regen einsetzte, blieb Brenner noch eine Weile draussen auf Deck stehen und stellte sich die unendlichen Strapazen dieser Männer vor, um dann doch hineinzugehen. Jetzt brauchte er einen Whisky.

Die Küste, der entlang sie zuerst nach Norden und dann nach Westen fuhren, war in Kirkenes noch grün gewesen, danach nur noch felsig, kahl und abweisend. Erst nach dem Nordkap ging die Reise südwärts, und schon in Hammerfest sah Brenner wieder Bäume, sogar einen kleinen Wald.

Die Nordlys konnte, wie Brenner bald bemerkte, zu jeder Tages- und Nachtzeit in einem Hafen anlegen. Bei kleineren Ortschaften fuhr das Schiff schon nach kurzer Zeit wieder los, an grösseren Orten stoppte es manchmal ein paar Stunden, was den Passagieren einen längeren Landgang ermöglichte. Nicht wenige nutzten die Zeit für eine kurze Erkundungstour. Fasziniert schaute Brenner den in neongelbe oder orange Warnschutzkleider gehüllten Arbeitern zu, die auf Paletten gelagerte Kabelrollen, Drahtseile, Schläuche, Ketten, Autoreifen und ähnliche Güter verstauten und entluden.

Am folgenden Abend schimmerte das Meerwasser rosa farben in der Abendsonne. Brenner stand wieder an Deck. Ein Fotograf schoss ein paar Bilder.

»So schön kann der Tod sein«, sprach der Norweger Brenner an.

»Wie bitte?«

»Toter Krill. Die haben wohl wieder mal übertrieben draussen auf den Lachsfarmen. Sehen Sie dort die Ringe im Wasser. Das sind Aquakulturen, runde Netzgehege.«

Brenner kniff die Augen zusammen.

»Und was macht dem Krill so zu schaffen?«, fragte er.

»Raten Sie mal.«

Brenner zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

»Es sind die Pestizide, die sie gegen die Lachslaus einsetzen. Wenn sie die Kombinationsmethode anwenden, um den glitschig-braunen Viechern, die sich an Kiemen und After der Lachse festkrallen, den Garaus zu machen, kann niemand voraussagen, wie sich das auf die anderen Meeresbewohner auswirkt.«

»Die Kombinationsmethode?«

»Auch als Off-Label-Methode bekannt. Die Züchter mischen gleich zwei Pestizide, obschon das nicht ganz legal ist. Da sterben dann schon mal etliche Krebstiere im Umkreis von ein paar Kilometern. Gar nicht zur Freude der örtlichen Fischer.«

»Aber kippen sie das Mittel einfach ins Netzgehege?«

»Ja. Mit Plastikplanen versuchen sie zwar den Austausch von Wasser zwischen dem Netzgehege und dem Meerwasser zu verhindern. Doch auch am Plastik klebt das Zeug. Andere pumpen die Fische in ein Boot, lassen alle durch die Giftbrühe und dann wieder zurück ins Gehege schwimmen.«

»Eine Giftsuppe? Ist ja eklig. Und wieso verfüttern sie das Mittel nicht einfach.«

»Wird auch gemacht. Ist aber für den Lachs nicht gerade zuträglich. Zudem geht ein Teil über den Kot wieder ins Meer.«

»Und eine bessere Methode?«

»Ich habe da was munkeln hören. Muss mich in Bergen mal schlau machen. Ich kenne ein paar Leute, die ganz nah an der Sache dran sind.«

»Jetzt haben Sie mir den schönen Anblick ordentlich verdorben«, beklagte sich Brenner.

»Ich wollte Sie nur aufklären, damit Sie wissen, was hier abgeht. Seit die Erdölpreise eingebrochen sind, setzt die Regierung vermehrt auf den Lachs. Das ist unser neues Gold.«

»Hab ich begriffen«, verabschiedete sich Brenner. Er begab sich in einen der Aufenthaltsräume und las, wie so oft auf dieser Reise, in einem Buch über die norwegischen Polarforscher. Während diese in ihren Tagebüchern gerade beschrieben, wie sie Wind und eisigen Temperaturen trotzten, trank Brenner Tee aus einem speziellen Hurtigruten-Becher, den er jederzeit gratis nachfüllen konnte. Als die Buchstaben vor seinen Augen zu tanzen begannen, begab er sich zu Bett. Im Traum sah er Irmgard in einem rosa Teich Fische fangen. Doch als er sich den Fang genau anschaute, waren es keine Fische, sondern winzige Pferde, die ihre Mähnen schüttelten und wieherten. Sie galoppierten über eine weite Ebene. Erst jetzt sah er, dass sie vor einer Flutwelle flüchteten. Brenner erwachte mit starkem Harndrang. Seine Armbanduhr zeigte drei Uhr nachts an. Als er sich erleichtert hatte, trat er, immer noch von seinem Traum gefangen, ins Freie und beobachtete die langsam vorbeitreibenden Landmassen. Er war allein an Deck. Alle anderen schliefen. Zuweilen sah er vereinzelte Häuser in der kargen Landschaft, einen Leuchtturm, Anlegestellen, Fischerboote. Alles ins goldene Licht der Sonne getaucht, die sich knapp über dem Horizont befand. Brenner konnte sich nicht daran gewöhnen, dass es so hoch im Norden zu dieser Jahreszeit nie dunkel wurde.

Stimmen. Brenner erschrak. Als er umherblickte, stellte er fest, dass sich plötzlich nicht wenige Personen an Deck befanden. Er schaute auf die Uhr. Es war bereits Morgen. Brenner fragte sich, ob er im Stehen eingenickt war. Er dachte an Seevögel, die im Fliegen schlafen konnten. Plötzlich tauchte wie jeden Tag einmal ein nach Norden fahrendes Schwesterschiff der Hurtigruten-Flotte auf. Die Passagiere winkten.

Am Nachmittag setzte sich Brenner auf einen der Liegestühle, die unter einem Glasdach im Freien standen. Er lauschte dem Rauschen der Wellen. Gelegentlich trug