Nularis - Alina Kolb - E-Book

Nularis E-Book

Alina Kolb

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Beschreibung

»Du musst besser aufpassen, Zwerg. Wäre es ein echter Kampf, wärst du jetzt tot«, sagt er mit einem Lächeln. Ich blicke in seine wunderschönen dunklen Augen. Das ist er. Mein Beschützer. Aideens Welt steht Kopf. Eben noch verlief ihr Leben völlig normal. Plötzlich verliert sie ihren Vater und alles verändert sich. Als sie nach England geht, um einen Neuanfang zu versuchen, begegnet sie vielen interessanten Menschen, mit denen sie Freundschaften schließt. Ein mysteriöser Typ mit dunkelbraunen Augen und einer unwiderstehlichen Anziehungskraft zieht sie am meisten in den Bann. Doch auch sein Bruder, die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein, wirkt wie ein Magnet auf sie. Seltsame Dinge geschehen in Cambridge und Deen muss lernen, ihre unerwarteten und rätselhaften Kräfte richtig zu nutzen. Sie muss jedoch nicht nur ihre Kräfte unter Kontrolle bringen, auch ihre konfusen Gefühle treiben sie unbemerkt immer mehr auf die dunkle Seite Zudem ist der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her. Spannend, sexy, mörderisch. Nicht nur Fantasyliebhaber kommen auf ihre Kosten, auch die Anhänger von Liebesgeschichten werden von diesem spannenden Roman gefesselt sein.

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Für alle, die an etwas glauben. Verliere nie den Glauben an das Gute, trotz all der Dinge, die du schon erlebt hast. Sei liebevoll, lebe, lache und weine, aber gib niemals auf!

„Worte sind leicht wie der Wind; treue Freunde sind schwer zu finden.“

-William Shakespeare

Playlist

Hey Baby (Drop it to The Floor) – Poylow, Kverz, Luc Rushmere LoveGame – Lady Gaga Cold – Neffex Summer – Calvin Harris I Think I’m In Love – Kat Dahlia Live my life – Justin Bieber Freaky – Mr.M Bad – David Guetta Danza Kuduro – Lucenzo, Don Oma Girl is on Fire - Alicia Keys Lose You To Love Me – Selena Gomez Let Me Down Slowly – Alec Benjamin Let Her Go – passenger Talk Dirty (feat. 2 Chainz) – Jason Derulo Just A Dream – Christina Grimmie Team – Lorde Paradise - Coldplay

Triggerwarnung

In diesem Buch werden besonders die Themen Verlust, Tod und Essstörung thematisiert. Wenn Dich das triggern sollte, empfehle ich Dir dieses Buch mit einem Freund/in oder Familienmitglied zu lesen. Wenn Du Hilfe benötigst, wende Dich an die Seelsorge unter 0800 1110111.

Ich wünsche Dir ganz viel Spaß beim Lesen!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Prolog

Ein grelles blaues Licht, das sich die ganze Zeit im Kreis dreht, zwingt mich dazu, meine Augen zu öffnen. Irgendwo in der Ferne höre ich einen schrillen Ton, der immer wieder ertönt.

Auf und ab.

Auf und ab.

Ich kneife wieder meine Augen zusammen, als direkt vor mir zwei Scheinwerfer erscheinen, die mit ihrem hellen Licht genau auf mich gerichtet sind. Der stechende Schmerz, den die Scheinwerfer verursachen, breitet sich von meinen Augen in meinen gesamten Körper aus.

Ich spüre, wie ich wieder dazu neige, das Bewusstsein zu verlieren. Schlimm wäre es bestimmt nicht, denn ich fühle mich so kraftlos.

Ich will nur schlafen.

Bitte lasst mich schlafen.

Ein starker Arm umfasst meine Schulter und zieht mich behutsam auf den Rücken, sofort steigen mir sämtliche medizinische Gerüche in die Nase. Ich spüre, dass über mir mehrere Personen auf mich hinunterblicken. Was genau es für Personen sind, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass sie irgendwas mit diesem blauen grellen Licht zu tun haben, das sich immer noch im Kreis dreht.

»Hey, bleib bei uns«, höre ich eine Stimme sagen, jedoch fühlt es sich so an, als wäre sie kilometerweit entfernt.

Ich würde ihr gerne antworten, dieser schönen tiefen Stimme, aber dafür ist meine Kehle wie zugeschnürt. Als hätte mir jemand ein Seil um meinen Hals gelegt und würde nun kräftig daran ziehen.

Es fühlt sich gar nicht so schlimm an. Dieses Gefühl, langsam keine Luft mehr zu bekommen, müsste eigentlich beängstigend sein, aber das ist es nicht.

Es fühlt sich gut an.

Es ist, als würde ich wissen, dass jemand auf mich wartet. Das jemand im Jenseits, im Himmel, auf mich wartet. Jemand, der alles für mich getan hat. Jemand, der immer für mich da gewesen ist. Jemand, der jetzt nicht mehr existiert. Jemand, der mich über alles geliebt hat.

Papa.

Ein pulsierender Schlag durchfährt mich, wodurch ich meine Augen aufreiße und Luft wieder durch meine Lungen strömt. Es ist, als hätte mir jemand einen so derartigen elektrischen Schlag verpasst, dass ich wieder zurückkomme.

Ins Leben.

»Sofort Adrenalin geben.«

Ich schaue zu der Frau, die sich in einer gelben Uniform zu meiner linken Seite auf den Boden hockt. In der Hand hält sie eine kleine Spritze.

Als sie meinen Blick bemerkt, lächelt sie mich an und streift sanft über meinen Arm. »Alles wird gut, Aideen.«

Ich weiß nicht, was sie damit meint, geschweige denn was passiert ist.

Wo bin ich?

Was ist passiert?

Ich zucke zusammen, als ich den Stich von der kleinen Spritze spüre, und dann breitet sich das Medikament wie kleine Blitze in mir aus. Ich schreie vor Schmerz auf. Sofort kommen die anderen Menschen an meine Seite, um mich festzuhalten.

Tränen steigen mir in die Augen, während mein Herz so schnell rast, dass es droht, gleich rauszuspringen.

Ich reiße meinen Kopf zur Seite und knalle dabei auf den harten Asphalt der Hauptstraße. Ein stechender Schmerz jagt durch meinen Kopf, bis ich ihn sehe.

Und dann erstarre ich.

Dort liegt er.

Eine große weiße Decke über seinen leblosen Körper gelegt. Das Einzige, das noch zu erkennen ist, ist sein Kopf.

Seine Augen sind geöffnet und ich nehme kein Heben seines Brustkorbes wahr. Um ihn herum stehen sämtliche andere Rettungsleute, während sie sich die Leiche anschauen.

Die Leiche, die mein Vater ist.

Er ist tot.

Ein Schrei baut sich in meinem Brustkorb auf und dringt durch meine Kehle ins Freie. Ich will aufstehen. Zu ihm hin. Ihn in meine Arme nehmen.

Dad.

Starke Männerhände drücken mich wieder auf den Boden, während ich um mich herum nichts mehr wahrnehme. Das Einzige, das ich sehe, bist du.

Du, mit deinen so wunderschönen grünen Augen.

Du, mit deinen so schönen roten Haaren.

Du, mit deinem bezaubernden Lächeln, das jedes Mal zu sehen war, als du mich gesehen hast.

Du, mit deiner tiefen Stimme. Die Stimme, die mir als kleines Kind immer eine Gutenachtgeschichte erzählt hat.

Die Stimme, die immer für mich da war.

Aber das wird sie jetzt nie wieder sein.

Du wirst nie wieder für mich da sein.

Es tut mir leid.

Dass ich mich nicht verabschieden konnte.

Es tut mir so leid, Dad.

Ich hoffe, du verzeihst mir.

Ich spüre, wie ich auf eine Liege gehoben und dann zum blauen grellen Licht gefahren werde. Mein Blick ist noch immer auf dich gerichtet. Und zwar so lange, bis ich wieder einen Stich in meinem Arm spüre und alles um mich herum in der Dunkelheit ertränkt wird.

Kapitel 1

3 Monate später …

»Sie sind uns in letzter Zeit immer häufiger negativ aufgefallen und Ihre Noten sind ein reines Desaster. Sie mögen zwar eine sehr gute Sportlerin sein, aber dafür befinden Sie sich an der falschen Universität. Es tut mir leid, aber wir können nichts mehr für Sie tun.«

Nach diesen Sätzen muss ich erst mal heftig schlucken. Wie kann es sein, dass ich es gerade geschafft habe, von meiner Traum-Universität zu fliegen? Ganze zwölf Jahre lang habe ich dafür gekämpft, auf die Columbia University gehen zu dürfen. Vor genau sechs Monaten ist mein Traum endlich in Erfüllung gegangen, und jetzt wurde er innerhalb von ganzen zehn Minuten wieder zerstört.

Ich schaue meinen Rektor an, der mich mit einer skeptischen Miene weiterhin mustert. Ich frage mich, was er noch zu sagen hat, schließlich hat er doch gerade mein Leben komplett zerstört.

Bevor er jedoch weiter auf mir rumhacken kann, räuspert sich meine Mutter. »Es tut mir wirklich sehr leid, Mr. Conner, normalerweise ist meine Tochter immer eine sehr fleißige Schülerin. Jedoch leiden wir immer noch an dem schweren Verlust ihres Vaters.«

Ich schaue nach links zu ihr, sie hat sich auf den alten Stuhl aufrecht hingesetzt und sieht meinen Rektor nun ernst an. Ich weiß ganz genau, was sie mit dieser Miene bezwecken möchte. Nur glaube ich allerdings, dass es bei dem alten gehässigen Mann nichts bringen wird.

»Es tut mir leid, Ms. Roberts, aber wir haben sehr viele Interessenten für dieses College. Ihre Tochter hat ihre Chance nicht genutzt und wir können leider keine Ausnahme machen.«

Ich spüre einen stechenden Schmerz, der sich in meiner Brust ausbreitet, während ich von dem Gespräch nichts mehr wahrnehme.

Wie soll es denn jetzt nur weitergehen? Ich habe gar nichts. Also gut, einen Highschoolabschluss schon, aber ohne Studium kommt man in Amerika nicht weit, also wirklich gar nicht weit.

Es tut mir leid, Dad.

Ich hatte dir versprochen, dass ich meinen Abschluss mache. Aber das kann ich jetzt nicht mehr. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht.

Ich balle meine Hände in meinem Schoß zu Fäusten und unterdrücke die aufsteigenden Tränen. Meine Mutter scheint es bemerkt zu haben, denn sie legt beruhigend eine Hand auf meinen Oberschenkel.

Als ich zu ihr aufsehe, schaut sie mich mit einem fürsorglichen Lächeln an und deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Ausgang.

Ich reiße noch mal meinen Kopf zum Rektor rum, verwirrt, dass dieses Gespräch nun doch so schnell vorbei ist. Aber er hat sich wieder seinem Computer zugewandt und schenkt mir keine weitere Beachtung.

Was so viel bedeutet, die Entscheidung steht.

Ich bin raus.

Super.

Seufzend stehe ich auf und folge meiner Mutter durch das Direktorat nach draußen. Ich verkneife mir jeglichen Kommentar, der noch mal an den Direktor gehen sollte. Es würde eh nichts mehr bringen. Auch wenn ich ihm zu gerne noch einiges an den Kopf geknallt hätte.

Schweigend gehen ich und meine Mutter durch die langen Gänge der Universität. Währenddessen schenkt sie mir keine weitere Beachtung. Ich kann es ihr nicht verübeln, schließlich war das alles nicht geplant. Ich sollte auf die Columbia University gehen und Design studieren, um später den Modeladen von ihr übernehmen zu können. Aber jetzt ist einfach alles ruiniert. Und diesmal ist es meine eigene Schuld. Ich habe mich von der Uni ablenken lassen, bin viel auf Partys oder sonst irgendwo mit Freunden unterwegs gewesen. Ich hätte doch auf sie hören sollen, als sie vor paar Wochen gemeint hat, dass meine Zukunft an dieser Universität hängt. Doch ich habe es hingenommen und nur gesagt, dass ich den Abschluss locker schaffen würde. Na ja, knapp verfehlt, würde ich mal sagen.

Wir treten nach draußen und bleiben auf dem nahe gelegenen Uniparkplatz stehen. Einige Maserati stehen auf den Parkflächen, und darum herum tummeln sich Studentinnen, die diese schönen Autos bewundern. Ich kann sie etwas verstehen, diese Autos sind wahrlich der Wahnsinn. Aber wenn sie wüssten, wem diese Karren gehören, sollten sie am besten sofort eine Kehrtwendung machen. Mit den Besitzern ist nicht zu spaßen.

»Ich werde schon einmal zum Auto gehen, wenn du magst, kannst du noch mal in Ruhe Abschied nehmen.« Ich reiße meinen Blick von den 100.000-Dollar-Schlitten weg und blicke in das traurige Gesicht meiner Mutter. Am liebsten würde ich sie fest in die Arme nehmen und ihr sagen, wie leid mir das alles tue. Aber selbst wenn ich mich jetzt entschuldigen würde, an dieser gesamten Situation würde es nichts ändern.

Stattdessen nicke ich nur, woraufhin sie sich umdreht und zu ihrem quietschgelben Käfer schlendert. Dieses Auto ist im Vergleich zu den Maserati ein Nichts, aber es fährt und hat mich und meine Mutter schon einige Kilometer weit gebracht. Und nur darauf kommt es doch am Ende an.

Das Vibrieren meines iPhone reißt mich aus meinen Gedanken. Sofort nehme ich es aus der hinteren Tasche meiner Levisjeans und gehe zu WhatsApp.

Abigail: Und? Wie ist es gelaufen? Hat der Bastard dir erlaubt, dort weiter zu studieren?

Aideen: Nope, bin achtkantig rausgeschmissen worden. Durfte gerade noch so meinen Spint leer räumen.

Abigail: Pff, dem werde ich mal so richtig eins auswischen. Was hältst du von Federn und Honig?

Ich muss grinsen, als ich mir unseren Direktor durchtränkt mit Honig und Federn vorstelle. Verdient hätte er es, da besteht kein Zweifel. Aber dennoch, ich möchte nicht noch mehr Stress an der Backe haben. Das Ganze, das heute passiert ist, reicht erst mal für die nächsten zwanzig Jahre.

Aideen: Klingt verlockend, aber dennoch würde es nichts an meinem Rauswurf ändern.

Abigail: Hast recht … Ich könnte den erwürgen. Ich komme nachher vorbei, dann wird gefeiert!

Aideen: Du willst meinen Rauswurf feiern?

Abigail: Ich will, dass wir uns die Kante geben!

Aideen: Das klingt schon besser. Bis später.

Ich schalte mein Handy aus und stecke es wieder in meine Hosentasche. Auch wenn Alkohol keine Lösung ist, aber genau das brauche ich jetzt. Außerdem ist es doch jetzt eh egal, ob ich feiern gehe oder nicht. Ich habe kein Studium mehr und somit keine Verpflichtungen.

Gerade als ich zu dem gelben Auto meiner Mom gehen will, höre ich hinter mir bekannte Stimmen. Sofort gefriert mir das Blut in den Adern und ich erstarre.

Bitte nicht.

Langsam drehe ich mich zu den Stimmen um und erblicke Jason, Sam, Nick und Leon. In einer Art Viererreihe treten sie lachend zu den Studentinnen, die noch immer vor den Maserati posieren. Alle vier schnappen sich eines der Mädels und schlingen die Arme um ihre schmalen Taillen. Die Mädels lachen daraufhin auf und begeben sich zu den vier Maserati und nehmen jeweils auf dem Beifahrersitz Platz. Nick, Sam und Jason steigen jeweils in ihre Autos ein, Leon nicht. Er steht vor seinem dunkelblauen Maserati und starrt in meine Richtung. Seine starken Arme hat er vor seinem durchtrainierten Oberkörper verschränkt und kommt nun mit großen Schritten auf mich zu.

Sofort schießt mir das Blut in den Kopf und ich blicke mich hilflos um. Würde ich es schaffen, zu dem Auto meiner Mom zu rennen, ohne dass er mich vorher zu packen bekommt? Vermutlich eher nicht. Footballer sind schnell und haben einen verdammt starken Griff.

Ich atme tief durch und drehe mich wieder zu ihm um, jetzt ist er einige Meter vor mir stehen geblieben und blickt mit seinen meerblauen Augen zu mir hinunter. Ein Kribbeln durchfährt mich, während sich auf seinen Lippen ein kleines Lächeln breitmacht.

Warum muss er noch immer so unwiderstehlich sein?

»Hab gehört, du wurdest rausgeschmissen?« Seine tiefe raue Stimme dringt tief in mein Innerstes und hallt dort wider. Eine Gänsehaut breitet sich in meinem gesamten Körper aus, bis ich mir wieder ins Gedächtnis rufe, wer hier vor mir steht. Dann gehe ich automatisch einige Schritte zurück, um Abstand zwischen uns zu gewinnen.

»Ja, wurde ich«, erwidere ich und versuche, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.

Reiß dich zusammen!

»Tut mir leid.« Leon schließt wieder die Lücke zwischen uns und streckt eine Hand nach meiner Wange aus. Sofort weiche ich zurück und drehe meinen Kopf von ihm weg.

Seufzend lässt er seine Hand fallen und fährt sich durch sein glattes blondes Haar. Wie gerne würde ich ein letztes Mal meine Hände da reingleiten lassen. Nur noch einmal. So wie ich es immer getan habe.

Meine Finger fangen bei dem Gedanken an, zu kribbeln, sofort balle ich sie zu Fäusten, um dem Drang zu widerstehen.

»Ich werde dann mal wieder«, fügt er nun hinzu und deutet zu seinem dunkelblauen Schlitten, wo auf dem Beifahrersitz eine hübsche Blondine ungeduldig auf ihn wartet.

Wut steigt in mir hoch. Auch wenn sie nur eine seiner Schlampen ist, könnte trotzdem ich auf dem Sitz sitzen, aber ich tu es nicht. Und ich werde es nie wieder tun, nicht nach dem, was er mir angetan hat.

»Okay«, ich deute mit einer Handbewegung zu dem gelben Auto meiner Mom. »Ich werde dann auch mal.«

Er folgt der Richtung, in die meine Hand zeigt, und nickt verständnisvoll. »Gut, dann sehen wir uns.«

»Wir sehen uns«, erwidere ich, woraufhin er mir ein letztes Lächeln mit seinen strahlenden Zähnen schenkt und zu seinem Auto schlendert.

Alle Motoren der teuren Autos heulen gleichzeitig laut auf, dann fahren sie gemeinsam von dem Parkplatz und verschwinden im Feierabendverkehr von New York.

Ich atme die Luft aus, die ich anscheinend die ganze Zeit angehalten habe, und gehe nun auch endlich zu dem Auto meiner Mom.

Nachdem ich mich auf den Beifahrersitz gesetzt habe, schaut sie mich fragend an.

»Was?«

»War das Leon?« Sie deutet auf die freien Parkflächen, wo gerade noch die Luxuswagen gestanden haben.

Ich zucke mit den Schultern und senke den Blick zu der Fußmatte. »Kann sein.«

Meine Mutter sagt nichts, stattdessen dreht sie den Schlüssel um und startet den Wagen. Dann fahren wir ebenfalls schweigend in den Feierabendverkehr. Die ganze Fahrt nach Hause sprechen wir kein Wort miteinander. Was ich persönlich auch gut finde. Ich habe keinen Nerv mehr, mich mit dem heutigen Tag auseinanderzusetzen. Und so wie es aussieht, meine Mutter wohl auch nicht.

Zu Hause angekommen gehe ich, ohne etwas zu sagen, hoch in mein Zimmer und verschließe die Tür. Seit wir angekommen sind, gehe ich jeglicher Konversation mit meiner Mutter aus dem Weg. Auch wenn es sich einige Male so angehört hat, als wolle sie etwas sagen, aber im letzten Moment scheint sie es sich dann immer anders überlegt zu haben. Und dafür bin ich dankbar.

Darüber zu reden, bringt nichts. Ich habe alles verschissen. Und ich allein muss es wieder geradebiegen. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das schaffen soll.

Seufzend lasse ich mich auf mein Bett sinken und lehne meinen Kopf gegen die kalte Wand. Auch wenn sich hinter meiner Wand eine andere Wohnung befindet, sind die Wände im Frühling immer noch kalt vom Winter.

Willkommen in den Apartments von New York, besser gesagt in denen von Brooklyn. Ob es in der anderen Wohnung im Frühling auch so kalt ist wie hier, kann ich nicht beurteilen.

Ein entferntes Stöhnen lässt mich aufseufzen. Ich drehe mich mit meinem Oberkörper zur Wand und schlage mit meiner flachen Hand dagegen.

»Man kann euch immer noch hören!«, brülle ich gegen die Wand und lasse mich wieder mit verschränkten Armen dagegensinken. Sofort verstummen das Gequietsche und das Stöhnen meiner Nachbarn.

Gott. Warum muss auch ausgerechnet mein Zimmer neben deren Schlafzimmer sein? Jetzt war es zum Glück noch nicht so schlimm. Aber nachts. Bei Gott. Da geht es bei den beiden ab und ich höre alles. Ich höre sogar Sachen, die ich überhaupt nicht hören möchte.

»Hola.«

Ich drehe meinen Kopf zu der kleinen Brünetten, die gerade mein Zimmer betritt, und rutsche auf meinem Bett vor bis zur Bettkante und lasse meine Beine hinunterbaumeln. Abigail setzt sich neben mich und legt zwei Flaschen Wodka aufs Bett.

»Dafür liebe ich dich«, entgegne ich und schnappe mir eine Flasche, öffne diese und lasse das starke Zeug meinen Rachen hinunterlaufen. Sofort fängt mein Hals an zu brennen und ich huste kurz auf, dann reißt mir Abi schon die Flasche aus der Hand und schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Leon?«

Ich zucke nur mit den Schultern und lasse meine Hände in meinen Schoß gleiten.

Abi stöhnt genervt auf. »Mit Tiffany?«

»Keine Ahnung, wie seine neue Schlampe heißt, aber ja, sie war da«, ich will wieder nach dem Wodka greifen, doch Abi hält ihn von mir weg. »Vergiss es, Deen, er ist es nicht wert, okay?«

»Brauch ich denn einen Grund zum Saufen?«

»Nein«, sie lacht auf und reicht mir wieder die Flasche. »Den brauchst du tatsächlich nicht.«

Ich nehme ihr die Flasche ab und schenke ihr ein zuckersüßes Lächeln. »Na siehst du.«

Diesmal lasse ich die Flasche aber nur in meinen Schoß gleiten und starre vor mich hin. Das mit Leon hat mir schon einen Stich verpasst. Auch wenn er und ich seit drei Monaten getrennt sind, tut es dennoch weh, ihn mit einer Neuen zu sehen. Noch dazu, wenn die Neue tausendmal hübscher als ich selbst ist. Das nagt dann wieder an meinem Selbstwertgefühl.

Super.

Abi legt eine Hand auf meinen Oberschenkel und sieht mich mit einem zaghaften Lächeln an. »Du musst ihn endlich vergessen, Deen, es ist drei Monate her. Vergiss nicht, dass er dich damals, nachdem dein Vater gest…« Sie bricht ab und schluckt.

»… gestorben ist, allein gelassen hat?«, beende ich für sie den Satz und sie nickt. »Keine Sorge, das habe ich nicht vergessen.«

Erleichtert atmet sie aus und fährt sich mit der anderen Hand durch ihren mittellangen Bob. Dann steht sie auf und geht zu meinem Kleiderschrank, aus dem sie zwei rote Kleider herauszieht.

»Das ist gut, dass du es nicht vergessen hast«, erwidert sie, dreht sich mit den zwei kurzen Kleidern um und strahlt übers ganze Gesicht. »Denn jetzt werden wir uns endlich mal wieder amüsieren. Und bevor du etwas sagst, nein, wir feiern nicht deinen Rauswurf. Wir feiern, weil wir es können und in diesen Kleidern verdammt heiß aussehen. Also, was meinst du?« Sie hält mir eins der roten Kleider hin, beide sind genau identisch.

Kurz zögere ich, weil ich jetzt eigentlich nach neuen Unis recherchieren sollte. Aber das würde ich eh nicht machen, wenn ich zu Hause bleiben würde. Deswegen stehe ich auf und schnappe mir das kurze Rote. »Dann lass uns die Korken knallen lassen!«

Abi lacht laut auf. »Da ist ja wieder meine beste Freundin! Wo warst du nur die letzten drei Monate?«

Kapitel 2

»Ins Lavo bitte.« Abi zwingt sich zu meiner Rechten in das kleine Taxi und schließt mit einem lauten Knall die Tür. Der Taxifahrer sieht sie durch den Autospiegel mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann schüttelt er aber nur den Kopf und startet den Motor.

Erleichtert stoße ich die Luft aus. Denn normalerweise dürften wir mit unseren neunzehn Jahren nicht in die Clubs, deswegen sollten uns alle Erwachsenen davon abhalten, aber der Taxifahrer hat es nicht getan.

Unser Glück.

Hoffen wir mal, dass der Türsteher uns ebenfalls reinlässt. Ich habe keine Lust, den ganzen Weg dann wieder bis nach Hause zu fahren. Noch dazu ist es ja nicht gerade günstig.

»Und du meinst, dass wir wie einundzwanzig aussehen?« Grace, die zu meiner Linken sitzt, hat sich etwas vorgebeugt, um an mir vorbei zu Abi zu schauen. Sie hat mit mir und Abi ebenfalls das Designstudium angefangen. Seitdem sind wir drei unzertrennlich und machen immer alles zusammen.

Als wir vorhin das Apartment verlassen hatten, wartete sie schon unten vor dem Taxi auf uns. Wie wir trägt sie ebenfalls ein kurzes rotes Kleid, was ihr gerade so über den Hintern ragt. Durch ihre schwarzen Heels wirkt sie gleich fünf Zentimeter größer. Wofür ich sie beneide, denn ich würde auch gerne solche wunderschönen Heels tragen. Aber egal wie oft ich es auch versuche, ich knicke jedes Mal weg. Also trage ich, wie immer, meine weißen Converse.

»Na, aber Hallo«, erwidert Abi und wedelt mit einer Karte vor uns herum. Es dauert einige Minuten, bis wir erkennen, was es genau für eine Karte ist.

»Spinnst du!«, zische ich und reiße ihr den gefälschten Ausweis aus der Hand. »Das ist strafbar!«

»Schätzchen, in Amerika ist alles strafbar.« Abi lehnt sich mit einem Schmollmund wieder zurück und verdreht die Augen. »Seid mal nicht so spießig. Ich dachte, wir wollen Spaß haben.«

Grace und ich schauen uns skeptisch an, dann nicken wir beide stumm und erlauben somit Abi, gegen das Gesetz zu verstoßen. Es würde eh nichts bringen, mit ihr zu diskutieren. Am Ende hat sie immer das letzte Wort und gewinnt. Also heißt es für uns, die Klappe zu halten und wirklich Spaß zu haben.

Der Taxifahrer biegt in eine kleine Seitengasse und hält vor einer Art Schaufenster. Verwirrt blicken wir drei uns an. Das kann nicht richtig sein.

»Bist du dir sicher, dass wir richtig sind?«, frage ich Abi, die sich etwas nach vorne gesetzt hat, um mit dem Taxifahrer zu sprechen.

»Keine Ahnung«, erwidert sie. »Sir, wir wollten zum Lavo, nicht zu einem Klamottenladen.«

Der Taxifahrer dreht sich mit einem genervten Gesichtsausdruck um, dann deutet er aus dem Beifahrerfenster zu den Schaufenstern. »Das ist der Club.«

Abi stößt ein Seufzen aus, dann öffnet sie die Tür und steigt aus. Als sie merkt, dass wir ihr nicht folgen, dreht sie sich noch mal um und beugt sich zu uns runter. »Was ist jetzt, kommt ihr?«

»Das kann doch nicht der Club sein«, zischt Grace und pustet sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die aus ihrem losen Dutt ragt. Dann sieht sie mich mit hochgezogenen Brauen an, aber mir ist es egal. Ob nun Club oder Klamottenladen, beides hat seine Reize.

Ich zwänge mich ebenfalls aus dem kleinen Taxi und atme erst mal die stinkende Stadtluft ein. Auch wenn diese Luft nichts Neues für mich ist, muss ich mich trotzdem jedes Mal aufs Neue daran gewöhnen. Grace kommt ebenfalls aus dem Taxi gekrochen und sucht an meiner Schulter Halt, während sie versucht, in ihren Heels das Gleichgewicht wieder herzustellen. Dann verzieht sie das Gesicht und blickt sich um. »Na ja, ein schöner Stadtteil ist das ja nicht gerade für einen Nachtclub.«

Ich versuche, mir ein Grinsen zu verkneifen, denn damit trifft sie genau ins Schwarze. Um uns herum befinden sich sämtliche Müllsäcke, die an den Straßenrändern verteilt worden sind.

Viele Touristen denken, dass New York eine wunderschöne Stadt ist. Das ist sie auch, aber sie hat auch viele Schattenseiten. Unter anderem den Müll, der sich überall stapelt und unwiderstehlich stinkt.

Abi hält sich die Nase zu, dann startet der Motor des Taxis und verschwindet wieder auf die Hauptstraße.

»Und was nun?« Grace stakst in ihren Heels zu den Schaufenstern und bildet mit ihren Händen einen Trichter, um hineinzuschauen. »Ich sehe darin rein gar nichts. Anscheinend hat uns der Taxifahrer verarscht.«

»Nein, hat er nicht.« Abi ist wieder einige Schritte auf die Straße getreten und deutet auf das Schild, das über den Schaufenstern hängt.

Ich trete neben sie und schaue ebenfalls nach oben, wo die Worte Restaurant, Lavo und Nachtclub stehen.

Ich schaue sie verwirrt an. »Das soll der Club sein? In einem Restaurant?«

»Ich habe keine Ahnung, Deen, ich war hier noch nie.«

»Wie, du warst hier noch nie?«, zischt Grace und dreht sich angefressen um. »Du willst mir weismachen, dass wir gerade zu einem Club gefahren sind, ohne zu wissen, was uns darin erwartet?«

»Genau das sage ich ja gerade.« Abi geht zu der Holztür und hält diese auf. Ein gedämpfter Bass dringt sofort zu uns nach draußen und erhellt das Nachtleben um uns herum. »Nach euch.«

Grace schüttelt den Kopf und geht einige Schritte zurück. »Vergiss es. Was ist, wenn es ein Bordell ist?«

»Dann würden die Männer hier draußen Schlange stehen«, entgegne ich, woraufhin mir Abi zustimmend zuschnippst. Dann gehe ich an ihre Seite, bleibe aber stehen und drehe mich zu Grace um. »Vielleicht findest du heute deinen Traumprinzen, willst du diese Gelegenheit wirklich über Bord werfen?«

Grace schnaubt, dann kommt sie aber doch mit uns. Gemeinsam betreten wir den dunklen Gang und folgen den Bässen der Musik. Der Remix Hey Baby dringt tief in uns hinein und zwingt uns, sofort unsere Hüften zu bewegen.

Im Raum angekommen starren wir alle gemeinsam zu der großen Discokugel, die über der Tanzfläche hängt. Sie lässt das bunte Licht in alle Richtungen reflektieren, was den Raum in sämtlichen Farben erstrahlen lässt.

Zu unserer Rechten befindet sich die Bar, wo sich unzählige Menschen tummeln, um die Aufmerksamkeit der Barkeeper zu erlangen. Direkt daneben ist eine Art Lounge, die aber abgesperrt ist, vor der Absperrung stehen Securitymänner. Vermutlich ist irgendjemand Wichtiges hier.

»Ich hole uns mal was zu trinken«, schreit Abi über den Lärm hinweg, wedelt dabei mit ihrem gefälschten Ausweis und geht Richtung Bar.

Grace und ich schauen uns nur schulterzuckend an. Wenn sie erwischt wird, werden wir sie nicht aus dem Knast holen.

»Aideen?«

Ich zucke zusammen, als eine tiefe Stimme meinen Namen brüllt. Dann drehe ich mich um und reiße die Augen auf, als ich Nick erkenne. Seine braunen Locken hat er etwas nach oben gestylt und trägt ein lockeres Hemd und eine dunkle Jeans.

Ich muss schon sagen, dass er unwiderstehlich aussieht. Und Grace scheint es genauso zu sehen, denn ich merke, wie sich ihr Körper angespannt hat.

»Was macht ihr denn hier?«, fügt Nick noch hinzu und strahlt übers ganze Gesicht, als er Grace erblickt. Ich brauche nicht einmal nach rechts zu schauen, um zu wissen, dass sie gerade rot anläuft. Sie schwärmt schon seit einer längeren Zeit für ihn, hat sich aber bis jetzt noch nicht getraut, ihn anzusprechen. Ich finde, dass immer irgendwann das erste Mal ist.

»Das Gleiche können wir dich fragen.« Abi kommt mit drei Whisky-Cola zurück und drückt uns jeweils einen Becher in die Hand. Sofort nehme ich einen Schluck und lasse das Brennen meinen gesamten Körper erwärmen.

Nick schaut uns gespannt dabei zu, dann fährt er sich durch die Haare und deutet zu dem VIP-Lounge-Bereich. »Wir sind heute alle hier.«

Abi schnaubt und richtet ihren Blick wieder auf ihn. »Wundert mich nicht, ihr verwöhnten Rich-Kids.«

Nick lacht auf. Doch ich bekomme von dem weiteren Gespräch nichts mit, denn meine Augen erblicken Leon. Er sitzt zusammen mit seiner Schlampe auf einem Sessel und nimmt gerade einen Schluck von seinem Schnaps. Als er kurz aufsieht, begegnen sich unsere Blicke. Sofort drehe ich den Kopf weg und starre in meinen Becher.

»Hey, lass uns tanzen!« Abi zieht mich am Arm mit auf die Tanzfläche. »Außerdem können wir den beiden doch etwas Privatsphäre gönnen, oder?«

Ich schaue noch mal zu Grace, die sich mit Nick unterhält und dabei übers ganze Gesicht strahlt. »Definitiv!«

Abi lacht, dann stellen wir uns uns gegenüber und gehen zu LoveGame ab. Wir schwingen unsere Hüften und tanzen, als gebe es kein Morgen mehr.

Ich habe das heute wirklich gebraucht. Aber ich weiß auch, dass ich den Problemen nicht aus dem Weg gehen kann. Besonders nicht diesem großen Problem mit der Uni. Ich brauche einen neuen Studienplatz, aber wie soll ich bitte jetzt noch einen bekommen? Das Semester ist vor einigen Monaten gestartet. Es ist unmöglich, jetzt noch irgendwo reinzukommen.

Seufzend bleibe ich stehen und schaue zu Abi, die sich mit geschlossenen Augen im Kreis dreht, um die Musik zu fühlen. Ich würde gern wie sie sein. Einfach ein perfektes Leben haben, ohne sich Gedanken über irgendwas machen zu müssen.

»Aideen?«

Ich zucke zusammen. »Meine Güte, warum müsst ihr euch heute alle an mich ranschleich…« Ich breche ab, als ich mich umdrehe und sehe, wer vor mir steht.

Leon.

Sofort bildet sich ein dicker Kloß in meinem Hals und ich bekomme keinen einzigen Ton heraus. Seine glatten blonden Haare hat er etwas nach hinten gegelt. Genau wie Nick trägt auch er ein Hemd. Aber dieses liegt eng an und umschmeichelt seine Muskeln. Ich muss bei diesem Anblick heftig schlucken.

Verdammt.

»Gott, verpiss dich, Wichser.« Abi hat aufgehört, sich im Kreis zu drehen, und steht nun als Unterstützung an meiner Seite. Mit einer Hand stützt sie sich auf meiner Schulter ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Anscheinend hat sie schon einiges intus.

Leon wendet seinen Blick zu ihr und zieht die Brauen hoch. »Was habe ich dir eigentlich getan, Abigail?«

»Ernst gemeinte Frage?«, fragt sie und Leon nickt. »Du existierst. Das reicht mir schon.«

Leon schnaubt wütend, dann wendet er sich wieder an mich. »Können wir vielleicht reden?«

Reden.

»Ich wüsste nicht, worüber du mit ihr reden solltest!«, zischt Abi und funkelt Leon wütend an.

»Ich rede mit Aideen«, knurrt er und deutet mit einer Kopfbewegung auf mich.

»Juckt wen?«

»Alter, Davis.« Leon tritt näher an Abi heran und blickt zu ihr hinunter. »Du gehst mir gerade derbe auf den Piss.«

»Und du gehst mir auf den Piss, seitdem du Aideen einfach im Stich gelassen hast. Was sollte das? Du hast sie verlassen, als sie dich am dringendsten gebraucht hat. Und jetzt willst du mit ihr reden? Vergiss es. Du hast es nicht verdient, dass sie mit dir redet. Geschweige denn, dass sie dich überhaupt ansieht.«

Sie greift nach meinem Arm und zieht mich hinter sich her Richtung Ausgang. »Zieh endlich Leine, Wichser, und vergnüg dich mit deiner Schlampe!«

Ich blicke ein letztes Mal in seine meerblauen Augen, bis sie durch die Dunkelheit, die mich nun umgibt, verschwinden.

Abi reißt die schwere Eingangstür auf und sofort steigen mir wieder die New Yorker Gerüche in die Nase. Dann geht sie zur Straße und streckt ihre Hand aus, sofort erblickt uns ein Taxifahrer und steuert auf uns zu. Abi öffnet die Tür und lässt mich als Erste hineingleiten.

Nachdem sie den Taxifahrer gesagt hat, wo er hinfahren soll, wendet sie sich mir zu. »Tut mir leid, Deen, aber er hat es nicht anders verdient.«

Ich lasse seufzend meinen Kopf gegen die Kopfstütze fallen und schließe für einen Moment die Augen. »Ich weiß.«

Und das stimmt. Ich weiß, dass Leon meine Aufmerksamkeit und mein Kribbeln im Bauch, das immer noch entsteht, wenn er mich nur ansieht, nicht verdient. Aber dennoch kann ich meine Gefühle nun mal nicht ändern. Auch wenn ich das gerne würde.

»Gut«, erwidert Abi und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Dann entsteht Schweigen, während wir von dem Taxifahrer nach Hause gefahren werden.

Das Taxi kommt quietschend vor meinem Apartment zum Stehen. Ich gebe Abi einen Kuss auf die Wange, steige aus und gehe zum Eingang. In der Eingangshalle drücke ich auf den Fahrstuhlknopf, zu meiner Erleichterung ist er schon im Erdgeschoss. Dann betätige ich die Nummer fünf und fahre hoch.

Vorsichtig stecke ich den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn. Der Flur ist dunkel, deswegen greife ich nach meinem Handy und schalte die Taschenlampe ein. Es ist mucksmäuschenstill, also scheint meine Mutter schon zu schlafen.

Ich streife meine Converse ab und laufe auf Zehenspitzen in die Küche. Gerade als ich den Kühlschrank öffnen möchte, geht auf einmal das Hauptlicht der Küche an und ich erstarre vor Schreck.

Neben dem Kühlschrank steht meine Mutter in einem Morgenmantel eingehüllt und hat die Arme vor der Brust verschränkt.

»Harter Abend?«, fragt sie und verzieht dabei keine Miene. Sofort läuft es mir kalt den Rücken hinunter. »Geht so.«

Ich öffne zögernd den Kühlschrank, hole die Milchpackung raus, stelle sie auf die Arbeitsfläche und gieße mir etwas ins Glas. Meine Mutter schaut mir die ganze Zeit gespannt dabei zu, ohne ein Wort zu sagen. Erst als ich einen Schluck genommen und das Glas wieder abgestellt habe, holt sie tief Luft.

»Wir müssen reden, Aideen.«

»Müssen wir?«

»Ja.«

Ich stoße einen tiefen Seufzer aus und lehne mich gegen die ihr gegenüberliegende Arbeitsfläche. »Okay, schieß los.«

Meine Mutter hebt fragend eine Braue. »Wieso ich? Ich habe hier nicht die Scheiße gebaut, sondern du.«

Ich schlucke den dicken Kloß in meinem Hals hinunter. Sie hat recht, ich bin die, die alles vermasselt hat. Es ist nur fair, dass ich jetzt etwas sage.

»Es tut mir leid, Mom, dass alles wollte ich nicht. Ich vermisse nur Dad so sehr und habe mich mit meinen Freunden immer abgelenkt. Leider war es keine gute Idee, wie man jetzt sieht. Ich werde mich morgen sofort an den Laptop setzen und nach neuen Unis Ausschau halten. Denn ich möchte nach wie vor meinen Traum verwirklichen und deinen Laden übernehmen.«

Ihre Miene ist etwas weicher geworden, dann kommt sie auf mich zu und streicht mir eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich weiß deine Ehrlichkeit sehr zu schätzen. Und ich kann es verstehen. Ich vermisse deinen Vater auch, Aideen. Es ist wirklich schlimm, was alles vorgefallen ist.«

Sie nimmt mich in ihre Arme und ich schlinge meine um ihre Taille. Kurz verharren wir in dieser Position, bis sie mich wieder ein Stück von sich wegdrückt. »Aber wegen der Uni brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

Verwirrt blicke ich zu ihr auf, während sie einige Tränen von meinen Wangen wischt, die mir wegen der Gedanken an Dad gekommen sind. »Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass ich einen Studienplatz für dich organisiert habe.«

Ich reiße die Augen auf. »Was?«

»Du wirst ab sofort in Cambridge studieren.«

Die Neugierde und Freude in meinen Augen verschwindet so schnell wieder, wie sie gekommen ist.

Cambridge.

»Auf keinen Fall«, zische ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Ich werde keine 600 Kilometer von zu Hause weg sein.«

»Versuch es doch wenigstens.«

»Nein!«

»Aideen«, meine Mutter seufzt und packt mich dann behutsam an den Schultern. »Das ist eine Chance, die du nie wieder so einfach erhältst. Denk darüber nach. In Cambridge zu studieren, ist eine Ehre, und du weißt, dass du dann definitiv in meine Fußstapfen treten wirst.«

Das stimmt, sie hat damals auch in Cambridge studiert und ihr Studium mit einem hervorragenden Abschluss abgeschlossen. Vielleicht sollte ich diese Möglichkeit wirklich nutzen. Aber dann verlasse ich meine Mom und meine gesamten Freunde, ich weiß nicht, ob ich das kann.

Ich atme tief aus. »Okay, ich werde es versuchen. Aber wenn es mir dort nicht gefällt, schmeiße ich das Studium hin und komme wieder zurück.«

Sie lächelt, verzieht das Lächeln dann aber schnell zu einem gefährlichen Grinsen. »Wenn du das Studium abbrechen solltest, brauchst du erst gar nicht nach Hause zu kommen. Sind wir uns da einig?«

Scheiße.

»Ja«, wispere ich. Ich hasse es, wenn meine Mutter so gefährlich grinst. Dadurch sieht sie immer verdammt böse aus, was mir jedes Mal eine Gänsehaut verpasst. »Danke.«

Ihr Gesichtsausdruck wird wieder normal, dann streicht sie mir liebevoll über die Wange. »Bedank dich bei Ms White, allein durch sie hast du die Chance erhalten.«

»Wer ist Ms White?«, frage ich und blicke in ihre smaragdgrünen Augen, die meine spiegeln.

»Das wirst du schon bald herausfinden.«

Kapitel 3

»Vorsicht! Aus dem Weg!«

Eine Frau, in die ich fast reingerannt wäre, springt mir mit einem kleinen Schrei aus dem Weg und ruft mir anschließend irgendwas hinterher, was ich jedoch nicht verstehen kann. Ich neige nur kurz den Kopf nach hinten und brülle ihr ein Sorry zu, bis ich meine Beine in die Hand nehme und so schnell renne, bis sie vor Schmerz brennen. Ich muss unbedingt meinen Flieger nach London bekommen, sonst wars das.

Vor einer halben Stunde bin ich mit meiner Mom am JFK Flughafen angekommen, genau, viel zu spät! Wir standen eine Stunde im Stau, was an sich ja kein Wunder ist, da wir uns mitten in New York befinden. Und das auch noch an einem Freitagmorgen. Da schreit es nur so nach Berufsverkehr und Pendler.

Aber das ist noch nicht alles, nachdem wir in die große Halle gestürmt sind, haben wir Ewigkeiten am Check-in angestanden. Nicht weil es so voll war, das war es nämlich überhaupt nicht, sondern weil die nette Dame dahinter der Meinung war, sie müsste meine Unterlagen dreißigtausend Mal prüfen. Ich meine, was ist denn bitte so schwer daran, einfach auf meinen Pass zu schauen und das anschließend mit dem Flug und meinem Ausweis abzugleichen? Ich hätte das alles in zehn Sekunden erledigt.

Irgendwann hat sie mich endlich reingelassen, Gott sei gelobt, und dann hieß es nur noch, zu rennen. Ich habe mich leider viel zu schnell von meiner Mom verabschiedet, denn für was anderes hat es keine Zeit mehr gegeben. Sie hat mir noch einen traurigen Blick hinterhergeworfen, was mir einen Stich im Herzen gegeben hat. Ich hätte sie gerne noch mal richtig umarmt und ihr gesagt, wie lieb ich sie habe und dass sie stark bleiben soll, wenn ich weg bin. Aber genau das habe ich nicht geschafft.

Als meine Mom mir gestern verklickert hat, dass ich schon morgen, also heute, nach London fliege, um mich am Wochenende dort einzugewöhnen, bin ich sofort in mein Zimmer gesprintet und habe meine Taschen gepackt. Nebenbei habe ich noch drei Stunden mit Abi telefoniert und ihr alles genau geschildert. Sie hat vor Freude aufgebrüllt, weil sie meint, dass dort auch diese verdammt heißen Royals von Gloucester studieren. Das Lustige an dieser ganzen Sache ist nur, dass ich diese beiden Royals überhaupt nicht kenne und auch noch nie etwas von ihnen gehört habe. Vielleicht war es auch einfach nur ein Bluff. Zuzutrauen wäre es ihr.

»Letzter Aufruf für den Flug Brussels Airlines nach London. Bitte begeben Sie sich sofort zum Flugzeug. Ich wiederhole …«

Die Lautsprecheransage reißt mich aus meinen Gedanken. Ich brauche eine Weile, bis ich begreife, dass genau dieser Flug, der gerade angesagt worden ist, meiner ist. Ich hole tief Luft und gebe Gas. Ich renne so schnell ich kann, sodass ich jeden Augenblick das Gefühl habe, mein Brustkorb würde sich verabschieden. Meine roten Chucks quietschen auf dem Linoleumboden des Flughafens, warum musste ich auch ausgerechnet die anziehen, schließlich sind diese Schuhe überhaupt nicht fürs Laufen gedacht. Ich drehe meinen Kopf in alle Richtungen und drohe, durch die schnellen Bewegungen das Gleichgewicht zu verlieren.

»Verdammte Kacke, wo ist Gate C2!?«, rufe ich verzweifelt vor mich hin. Jetzt hat sich auch noch eine große alte Rentnergemeinschaft vor mir gebildet, sodass ich überhaupt keinen Überblick mehr habe. Ich versuche, mich durch die alten Herrschaften zu drängeln, jedoch ohne Erfolg. Entweder machen sie erst gar keinen Platz oder schupsen mich wieder zurück und schreien mir Hinten anstellen zu. Entsetzt bleibe ich auf der Stelle stehen.

Das wars. Ich werde den Flug so was von verpassen.

Ich zucke zusammen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippt. Rasch drehe ich mich um und schaue in das strahlende Gesicht eines älteren Herrn, doch dieser zeigt mit seinem Finger auf ein Schild über uns. Dort an der Wand hängt in Schwarz-Weiß ein Gate-Schild, mein Gate-Schild. Ich strahle übers ganze Gesicht und bedanke mich tausend Mal bei dem netten Herrn, bis ich den kleinen Gang zum Flugzeug hinunterrenne.

Nach einigen Minuten habe ich endlich meinen Sitzplatz im Flugzeug gefunden und lasse mich seufzend darauf fallen.

Gott sei Dank, noch geschafft.

Ich atme erleichtert aus und höre der Stewardess gespannt zu, wie sie uns die Anleitung erklärt. Sie hat einen richtigen britischen Akzent, der zugleich wunderschön, aber auch süß klingt. Ich bin gespannt, ob alle in Cambridge so einen Akzent haben oder ob auch einige aus den Staaten kommen wie ich. Aber vermutlich bin ich mal wieder die Einzige, die dann was Besonderes ist. Es wäre zumindest nichts Neues.

Ich lehne mich in meinen Sitz zurück und schaue gespannt zu den Mitarbeitern mit der gelben Weste draußen, wie sie sich um das Flugzeug versammelt haben und solche Stäbe in der Hand halten. Ich weiß definitiv, dass es ein Beruf ist, nur fällt mir gerade überhaupt nicht ein, was für einer.

Ich denke an das Gesagte von Abi, als sie meinte, dass die beiden Prinzen von Gloucester ebenfalls auf die Cambridge gehen. Ich bin gespannt, ob ich die beiden mal sehen werde. Aber selbst wenn, ich weiß erstens nicht, wie sie aussehen, und zweitens würden sie sich eh nicht für mich interessieren. Ich bin ein stinknormales Mädchen aus New York, für das würde sich niemand interessieren.

Trotzdem würde ich gerne mal wissen, ob sie wirklich so gut aussehen, wie es Abi beschrieben hat.

An einer Beziehung bin ich aktuell definitiv nicht interessiert, dafür hat mir das mit Leon gereicht, aber dennoch kann ich wohl mal etwas rumschauen. Das ist ja nicht verboten, auch wenn mich so was von der Uni ablenken würde.

Ich bin ganze zwei Jahre mit Leon zusammen gewesen und wir sind wirklich glücklich gewesen. Bis er mich eines Tages plötzlich ohne jeglichen Grund verlassen hat. Es kam einfach eine Nachricht über WhatsApp mit den Sätzen Ich glaube, es funktioniert einfach nicht mehr. Ich meine: hallo? Was soll das denn? Sind wir in einem Liebesfilm wie Just Say Yes, wo ich erst mal ein Glow-up bekommen muss, damit er mich wieder zurücknimmt? So ein Schwachsinn, Leon ist jedenfalls bei mir unten durch.

Das Ruckeln des startenden Flugzeuges reißt mich aus meinen Gedanken. Ich habe einen Fensterplatz ergattert und nutze diesen gleich zu meinem Vorteil. Ich liebe es, die Welt von oben zu sehen. Alles verschwindet unter der Wolkendecke und wird so klein, dass man es kaum erkennen kann. Ganze dreizehn Stunden Flug stehen mir bevor, keine Ahnung, was ich mit dieser Zeit anfangen soll. Mein Handy befindet sich im Flugzeugmodus, sonst hätte ich mich ein bisschen über die Prinzen schlaugemacht. Aber das kann ich natürlich auch machen, wenn ich gelandet bin, sofern wir heile ankommen, denn ich bin nicht gerade ein Fan von Flugzeugen.

Ich starre nach draußen in die Wolkendecke und lasse meine Gedanken kreisen. Hoffentlich werde ich in Cambridge genauso ein Zuhause finden wie in meiner alten Uni, und großartige neue Freunde. Sofern die dort nicht so spießig sind. Denn bei einer Eliteuniversität weiß man es nie.

Mir fällt gerade ein, dass ich unbedingt Abigail anrufen muss, wenn ich angekommen bin. Auch wenn meine beste Freundin dann kilometerweit entfernt ist, muss ich dennoch mit ihr über gewisse Dinge tratschen können.

Handys sei Dank!

Ich gähne, lehne meinen Kopf an das Kopfteil des Sitzes, bis mir die Augen zufallen und ich nichts mehr von meiner Umgebung wahrnehme.

»Entschuldigen Sie bitte, wir sind angekommen.«

Eine zarte Hand berührt mich am Ellenbogen und kneift diesen leicht. Erschrocken reiße ich die Augen auf und muss erst mal kurz durchatmen. Vor mir steht die Stewardess und schaut mich mit einem fröhlichen Gesicht an. Ich brauche eine Weile, bis ich begreife, was sie gerade zu mir gesagt hat. Abrupt springe ich von meinem Sitz auf, schnappe mein Handgepäck und renne so schnell ich kann aus dem Flugzeug. Ich rufe der Stewardess noch ein schnelles Danke über meine Schulter zu und renne dann den Gang zum Flughafen von London entlang.

Ich bin die Letzte im Flugzeug gewesen und offenbar auch die Einzige, die ganze dreizehn Stunden Flug durchgeschlafen hat. Ich meine, dreizehn Stunden, geht so was überhaupt?

Ich bleibe schwer atmend in der Mitte der riesigen Halle stehen. Ich stütze meine Hände auf den Knien ab, um kurz durchzuatmen, dann richte ich mich wieder auf und suche mit erhobenem Blick nach dem Schild, auf dem Gepäckausgabeband steht. Als ich es entdeckt habe, gehe ich einige Schritte, werde dann aber plötzlich von hinten so stark angerempelt, dass ich das Gleichgewicht verliere, nach vorne kippe und hart auf dem Boden vom Flughafen knalle. Ein stechender Schmerz schießt durch meine Arme, weil ich mit ihnen versucht habe, den Sturz abzufangen. War wohl eine blöde Idee.

»Es tut mir echt leid, ich hatte keine Augen im Kopf«, sagt eine tiefe Männerstimme mit einem wunderschönen britischen Akzent über mir. Ich richte meinen Blick auf ihn und erstarre. Ich habe so einen heißen Typen noch nie gesehen. Und wenn ich das so sage, dann meine ich das auch so. Dieser Typ ist ein Sexgott höchstpersönlich, der kann auf gar keinen Fall echt sein.

Er hält mir seine Hand hin, wobei ihm einzelne braune Haarsträhnen ins Gesicht fallen. Ich greife nach seiner Hand und lasse mir von ihm aufhelfen. Er hat einen starken Griff und noch dazu riecht er unheimlich gut, eine Mischung aus Kaffee und Zimt.

Als ich wieder auf beiden Beinen stehe, lässt er abrupt meine Hand los und tritt einen Schritt zurück, wobei man unter seinem Shirt seine Muskeln erkennt.

Himmel, ist der scharf.

Ich hole Luft, um etwas zu sagen, doch er fällt mir ins Wort. »Normalerweise bedankt man sich nach einer Entschuldigung, zumindest machen wir Briten das.«

Verwirrt schaue ich in seine dunklen Augen, worin ich mich sogar spiegeln kann. Schwarz wie die Nacht.

Er stößt ein leises Schnauben aus, dreht sich um und will wieder gehen.

»Wir aus den Staaten bedanken uns nur, wenn die Entschuldigung auch wirklich ernst gemeint war«, rufe ich ihm noch hinterher, weil ich mich schon bedankt hätte, wenn er mir nicht ins Wort gefallen wäre.

Er bleibt stehen, dreht sich wieder um und kommt mit großen, aber eleganten Schritten auf mich zu. Nur wenige Meter vor mir bleibt er stehen und schaut mit einer düsteren Miene zu mir hinunter. »Ihr aus den Staaten solltet vielleicht mal lernen, wann es besser wäre, seinen Mund zu halten.«

Ich verenge die Augen zu Schlitzen, hat er mich gerade beleidigt, weil ich aus den Staaten komme? Ganz klar, das hat er. Ich spüre, wie mir die Hitze in den Kopf steigt. Auch wenn er so unverschämt gut aussieht, hat er noch lange nicht das Recht, so mit mir zu reden, geschweige denn überhaupt so mit einer Frau zu reden.

»Was fällt dir ein, so mit mir zu re…«

»Pst.«

Er legt einen Finger auf meine Lippen und schneidet mir so das Wort ab.

Mal wieder.

Wütend stoße ich seinen Finger von meinen Lippen und baue mich vor ihm auf, um ihm zu zeigen, dass ich auch anders kann.

»Ein kleines rothaariges Mädchen wie du sollte sich besser nicht aufregen, sonst siehst du aus4 wie ein Zwerg«, fügt er noch lächelnd hinzu.

Ich kann nicht fassen, was hier gerade abgeht. Ich werde von einem Typen, der bestimmt nur ein paar Jahre älter ist als ich, gedemütigt und fertiggemacht. Und dabei dachte ich, in England leben nette Menschen, mit denen man sich super unterhalten kann und gemeinsam eine Tee-Time macht. Auch wenn ich Tee überhaupt nicht mag, aber die hätten bestimmt auch andere Getränke zur Auswahl. Aber anscheinend habe ich mich dahingehend wohl geirrt.

Ich hole Luft, um zu kontern, doch da ist er schon am anderen Ende des Flughafens. Wie ist er so schnell dahin gekommen? Na ja, egal. Hauptsache, er lässt mich endlich in Ruhe.

Ich sortiere wieder meine Gedanken und gehe zum Gepäckband, um meinen Koffer zu holen. Er ist der Einzige, der sich noch langsam im Kreis dreht. Genervt hebe ich ihn vom Band und suche nach dem Ausgang vom Airport. Jetzt muss ich nur noch zwei Stunden mit dem Bus nach Cambridge fahren und dann bin ich endlich an der Uni. Während ich zum Bus gehe und der Busfahrer mein Gepäck verstaut, kreisen meine Gedanken die ganze Zeit um den unfreundlichen Typen. Wo hat er hingewollt? Studiert er in Oxford oder vielleicht auch in Cambridge? Und verdammt, wie kann man bitte so gut aussehen?

Ich schüttele den Kopf und versuche, mich auf andere Gedanken zu bringen. Vermutlich werde ich ihn eh nie wiedersehen, was auch gut ist.

Denke ich.

Kapitel 4

Die zwei Stunden Busfahrt ziehen sich ohne Ende hin. Ab und zu schaue ich nach draußen, um die Landschaft zu betrachten. Hier ist es komplett anders als in New York, überall sind kleine Hügel, Schafe und nur Wiesen oder Bäume. Kein einziges Hochhaus oder sonst irgendwas. Dazu muss ich sagen, dass wir auch schon lange außerhalb von London sind. Von London habe ich noch gar nichts gesehen, weil der Flughafen etwas außerhalb liegt. Ich muss unbedingt mal, wenn ich Zeit habe, nach London zurück und mir die Stadt ansehen. Mama hat gemeint, dass es dort den besten Kaffee auf der Welt gebe, was mich ein bisschen wundert, weil England berühmt für Tee ist, aber gut, und man vom London Eye einen grandiosen Ausblick hat. Ich sollte sie noch anrufen, wenn ich gelandet bin. Also hole ich mein Handy aus meiner Tasche, schalte den Flugzeugmodus aus und klicke zu WhatsApp. Mehrere Nachrichten von Mama und gefühlt einhundert von Abi. Ich seufze, schreibe aber meiner Mutter schnell eine Nachricht, dass ich gut gelandet bin und sie anrufen werde, sobald ich mein Zimmer bezogen habe.

Danach hole ich meine Kopfhörer raus und öffne meine Spotify-Playlist. Ich spiele meinen Lieblingssong ab und lehne mich im Sitz zurück, während der Bus weiter in der Landschaft umherfährt. Bei den Klängen von NEFFEX beginne ich automatisch, mit dem Kopf im Takt zu wippen. Das Lied Cold läuft bei mir in Dauerschleife, da es mein aktuelles Leben und meine Gefühlswelt perfekt beschreibt.

Als der Bus um eine Kurve fährt und dann einen hohen Berg hoch, stehen einige Fahrgäste auf und gehen zum Fenster, um hinauszusehen. Ich schaue ebenfalls aus dem Fenster und erstarre, als ich die ersten Türme der Universität sehe. Vor uns erstreckt sich ein riesiges Gebäude, nein, es ist kein Gebäude. Sondern ein Schloss! Wir fahren direkt darauf zu, und je näher wir dem Gebäude kommen, desto größer wird es. Ich bekomme meinen Mund nicht mehr zu. Cambridge sieht genauso aus, wie man es sich vorstellt. Vorne eine riesige Eingangshalle, rechts und links Flügeltrakte, die sich nach hinten zu einem Viereck zusammenschließen. Das Highlight sind die kleinen runden Türmchen, die sich aus dem Flügeltrakt nach oben in die Höhe strecken. Vor der Universität befinden sich eine große grüne Wiese und ein Fluss, über den wir gerade fahren.

Der Bus fährt bis in den Innenhof der Uni, und ich kann es nicht abwarten, auszusteigen, um mir alles genauer anzusehen. Ich steige so schnell wie möglich aus dem Bus, um mein Gepäck zu holen. Als der Busfahrer mir meinen Koffer gegeben hat, gehe ich in die Mitte des Innenhofes. Ich schaue nach oben und drehe mich einmal im Kreis.

Es ist einfach atemberaubend schön.

Rechts und links neben mir befinden sich die langen Flügeltrakte, diese enden beim Eingang und bei einer Art Kirche. Einige Schüler kommen in hellblauer Uniform herausspaziert. Die Mädchenuniform ist wie üblich ein schwarzer Faltenrock und ein blaues T-Shirt oder Pullover. Bei den Jungs statt Rock eine normale Cordhose. Ich muss sagen, mir gefällt die Uniform, mit den hellblauen Tönen hat sie etwas Freundliches an sich.

»Entschuldigung, bist du Aideen?«

Ich drehe mich um und vor mir steht ein hübsches Mädchen mit sehr langen blonden Haaren. Sie trägt ebenfalls die Schuluniform, auf der über ihrer linken Brust das Wappen der Universität abgebildet ist. Es ist rot und in der Mitte befindet sich ein weißes Kreuz. In den jeweiligen Ecken erkenne ich nur schwach einen gelben Löwen. Ich hebe wieder meinen Kopf und schaue in ihr fragendes Gesicht.

»Bitte nenn mich Deen«, gebe ich ihr zu verstehen. Ich mag es nicht, wenn ich Aideen genannt werde. Meine Mutter meint, dass der Name Feuer bedeute und sie ihn deswegen sehr schön finde. Was ich so unterschreiben kann, aber Aideen klingt so hart. Als wäre ich ein starkes Mädchen, was ich definitiv nicht bin, mir es aber wünsche.

Das blonde Mädchen nickt und spricht weiter: »Ich bin Cloe und für die Neuankömmlinge zuständig. Ich werde dir dein Zimmer zeigen sowie einen Rundgang mit dir machen. Wenn du Fragen oder sonstige Angelegenheiten hast, kannst du gerne immer zu mir kommen.« Sie lächelt mich mit ihren strahlend weißen Zähnen an und ich setze Zähne putzen als Erstes auf meine To-do-Liste.

Mit einer Kopfbewegung bedeutet sie mir, dass ich ihr folgen soll. Ich nehme meinen Koffer und gehe ihr hinterher. Sie hat einen schnellen Schritt, sodass es mir schwerfällt, mit ihr mitzuhalten.

Wir gehen in eine große Eingangshalle und ich bleibe in der Mitte stehen und starre an die Decke. Über mir erstrecken sich Glasdächer, die zur Mitte hin eine Spitze ergeben. In den Fenstern sind irgendwelche Götter abgebildet, die ich aber nicht identifizieren kann. Von der Spitze des Daches ragt ein großer Kronleuchter bis in die Mitte des Raumes. Diese goldene Lampe strahlt in alle Ecken der Eingangshalle und ist nicht zu übersehen. Cloe stellt sich neben mich und schaut ebenfalls nach oben.

»Wunderschön, nicht wahr? Als ich das erste Mal hier war, war ich genauso fasziniert wie du. Und glaub mir, du wirst noch mehr atemberaubende Sachen sehen. Diese Universität ist voller Magie und Geheimnisse.«

Ich schaue zu ihr rüber. »Geheimnisse?«

Cloe wendet ihren Blick von der Decke ab und schaut mir direkt ins Gesicht. »Glaub mir, diese Sachen wirst du noch früh genug erfahren.«

Ich nicke nur, dann geht sie weiter und ich folge ihr. Wir kommen an sämtlichen Klassenzimmern vorbei, zu denen sie mir erklärt, was dort unterrichtet wird. Die Klassenzimmer sind sehr modern ausgestattet, Tafelkreiden gibt es hier nicht. Sie zeigt mir anschließend die Hörsäle, dort werden größere Vorlesungen gehalten, die auch für unterschiedliche Studiengänge gedacht sind. Ich werfe einen kleinen Blick hinein und stelle fest, dass er wie ein ganz normaler Hörsaal aussieht. Nichts Spezielles, einfach nur braune Sitzmöglichkeiten, die bis nach hinten reichen. Vorne ein Whiteboard und ein Pult.

Cloe tritt neben mich und schaut ebenfalls hinein. »Die Hörsäle sind bei uns nichts Besonderes, sie sehen aus wie in den anderen Unis. Eine kleine Schwäche von Cambridge, finde ich. Sie könnten diese ruhig etwas schöner gestalten und nicht so klassisch halten.«

Cloe macht ein gelangweiltes Gesicht. Sie mag es wohl sehr ausgefallen und speziell, passt zu ihr, würde ich sagen.

Ich mag den Hörsaal, auch wenn er so klassisch ist. Gerade das gefällt mir, denn so war es auch an der Columbia. Nach einigen Minuten fällt mir auf, dass wir bis jetzt noch keinen Studenten oder Professoren begegnet sind.

»Es ist hier ziemlich ruhig«, sage ich an Cloe gewandt.

»Die Schule ist freitags immer ab 12 Uhr aus. Die anderen befinden sich jetzt im Speisesaal oder draußen auf den Wiesen.«

Ich nicke und da fällt mir ein, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Bei dem Gedanken fängt sofort mein Magen an, zu knurren. Wann sind wir wohl mit dem Rundgang fertig, damit ich was essen kann? Ich weiß nämlich nicht, wie lange ich das noch aushalte.

Cloe geht weiter und ich dackle ihr hinterher. »Was studierst du eigentlich?«

Ich schließe zu ihr auf und gehe neben ihr her, um mich mit ihr besser unterhalten zu können. »Design, noch im ersten Semester, aber bald im zweiten. Und du?«

Cloe bleibt abrupt stehen und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du kommst mitten im Semester zu uns?«

Ich nicke. Ist es etwa so schlimm? Ich meine, in New York sind ständig neue Studenten sogar zum Ende eines Semesters dazugestoßen.

»Du musst wissen, dass eigentlich niemand mitten in einem Semester auf die Cambridge kommt. Wenn dann erst ab dem zweiten wieder, aber nicht mitten drinnen«, sagt sie und schaut mich forschend an.

Ich schlucke und habe plötzlich ein mieses Gefühl. Dann werde ich nicht nur die Neue sein, sondern auch die, die einfach im Semester dazu stoßen wird. Super, so viel dazu, bloß keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Cloe bemerkt meine unsichere Art und greift nach meinem Arm. »Mach dir keine Gedanken, es wird schon keiner mitbekommen haben. Und wenn doch, denken sie womöglich nur, dass du eine von den ganz Neuen bist. Keiner wird davon wissen.«

Ich hoffe, dass sie mit den Worten recht hat. Denn ich habe keine Lust darauf, die Neue zu sein und von jedem angestarrt zu werden, als hätte ich gerade eine Bank überfallen.

Wir gehen weiter in den Mädchentrakt, in dem die Zimmer für die Schülerinnen sind, die von weiter weg kommen. Der Trakt ist auf ganzen drei Etagen verteilt. Wir gehen eine kleine Wendeltreppe hinauf und bleiben im zweiten Stock stehen. Cloe meint, dass sie mir morgen den Rest des Campus zeigen werde, damit ich jetzt erst mal richtig ankommen könne. »Dein Zimmer ist die 132. Auf deinem Schreibtisch liegt ein Heft mit allen wichtigen Informationen. Wenn du alles durchgelesen und unterschrieben hast, bring es bitte zu Ms Jones. Sie ist unsere zuständige Vertrauenslehrerin und gleichzeitig achtet sie auch darauf, dass wir die Regeln befolgen.«

Ich bedanke mich bei ihr und dann verschwindet sie auch schon mit einem entzückenden Lächeln wieder nach unten. Nun bin ich auf mich allein gestellt. Mit dem Schlüssel in der Hand stehe ich vor meiner Zimmertür und kann endlich richtig ausatmen.

Du schaffst das, Aideen.

Ich gebe mir einen Ruck und öffne die Zimmertür. Ein eisiger Luftzug kommt mir entgegen, woraufhin ich sofort zum Fenster gehe und es schließe. Danach stelle ich meinen Koffer ab und schaue mir das Zimmer genauer an. In einer kleinen Nische steht ein Einzelbett, es ist schon frisch bezogen und auf dem Kopfkissen befindet sich ein Stück Schokolade. Gegenüber vom Bett steht ein kleines Regal mit einigen Büchern. Ich muss sie mir später unbedingt anschauen, vielleicht sind ja ein paar schöne dabei.

Rechts daneben reicht bis zur Decke ein Kleiderschrank. Er ist viel größer als mein eigener zu Hause, was aber nicht schlecht ist, denn so habe ich viel mehr Platz. Unter dem kleinen Fenster steht ein großer Holzschreibtisch, darauf liegt eine Mappe mit dem Wappen der Universität. Vermutlich sind dort die Unterlagen drin, die Cloe bereits erwähnt hat. Ich schaue mich noch mal im Zimmer um und entdecke neben der Eingangstür eine weitere Tür. Ich öffne diese und dort drinnen befindet sich ein kleines Bad. Es ist nicht groß, aber eine Dusche passt noch rein. Gott sei Dank, ich dachte schon, dass hier Gemeinschaftsduschen sind. In New York habe ich während des Studiums zu Hause gewohnt und kenne somit überhaupt keine Studentenwohnheime.