Nur für Herrschaften - Georg Hermann - E-Book

Nur für Herrschaften E-Book

Georg Hermann

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Beschreibung

Das Berlin des „Nur für Herrschaften" ist der Bezirk zwischen den letzten Brandmauern und den ersten Feldern, der Großstadtrand, die Vororte, wo sich die Herrschaften und die „reichen Leute ohne Geld" angesiedelt haben, und es ist, neben dem „alten Westen" um den Tiergarten herum, jener Teil Berlins, der es Georg Hermann besonders angetan hat … Der vorliegende Band mit „Berlinischen Miniaturen" Hermanns enthält einen repräsentativen Querschnitt aus den Prosatexten des großen Berliner Dichters, die seinen umfangreicheren Werken „Jettchen Gebert", „Der kleine Gast", „Kubinke", „Doktor Herzfeld", „Kleine Erlebnisse" und „November achtzehn" entnommen sind – unter anderem „Weihnachtliches Berlin zur Biedermeierzeit", „Wertheim um 1905", „Ein junger Mann namens Emil Kubinke", „Herr Ziedorn geht Rechnungen einkassieren", „Lemchen kontra Kubinke", „Rosenemil hat sich umgestellt" und „Der Punsch". Der Band bietet eine ideale Einführung in Georg Hermanns Werk, einem Autor, dem etwas gelang, was in Deutschland nach wie vor noch allzu selten ist: nämlich anspruchsvolle, gute Unterhaltungsliteratur zu schreiben.

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Seitenzahl: 153

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Georg Hermann

Nur für Herrschaften

Eingeleitet und ausgewählt vonChr. Coler

Saga

Nur für Herrschaften

© 1949 Georg Hermann

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517291

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Vorwort

Der Dichter, dem der vorliegende kleine Band gewidmet ist, soll in ihm in erster Linie als Gestalter Berliner Menschen und Berliner Schicksale zu uns sprechen, als ein Dichter, in dessen Werk — wie in dem kaum eines anderen außer Fontane — der Herzschlag Berliner Lebens ist. Der, auch wenn er in der zweiten Hälfte seines Lebens Berlin den Rücken kehrte und in freundlicheren Gefilden, in Neckargemünd bei Heidelberg, seßhaft wurde, der Heimatstadt und ihrer spröden Eigenart wie dem herben Reiz der sie umgebenden Landschaft immer verbunden blieb, nicht mit kritiklosem Lokalpatriotismus, nicht blind gegen die Gefahren dieser Stadt, gegen die mancherlei Schwächen ihrer Menschen, sondern mit einer tiefinnerlichen, alles verstehenden Liebe zu dem Rhythmus ihres Lebens in der Vergangenheit und in seiner Zeit. Der als der Dichter Berlins in neuerer Zeit, als stärkste dichterische Persönlichkeit der Fontane-Nachfolge gelten kann.

Georg Hermann, eigentlich Georg Hermann Borchardt, war im Gegensatz zu Fontane auch von Geburt Berliner. Am 7. Oktober 1871 im Herzen des alten Berlin — „Ecke der Heiligen Geiststraße und Königstraße im Haus des Tabakhändlers Prätorius; jetzt ist da die Hauptpost“ — ’geboren, entstammt er einer alteingesessenen jüdischen Kaufmannsfamilie. Dem alten, soliden Wohlstand des Elternhauses wurden die Gründerjahre zum Verhängnis. „Da ich der Jüngste von sechs Geschwistern war, habe ich von dem einst gefüllten Napf nur noch die Bärme zu schmecken bekommen.“ Das Land seiner Jugend war dann der „alte Westen“, die Gegend am Tiergarten — „hier im Tiergarten ist ein Stück Geschichte meines Lebens“ —, die Straßen um den Landwehrkanal, in dessen träge ziehendes Wasser im Herbst die Blätter taumelten. Nachdem er das Askanische und das Friedrich-Werdersche Gymnasium besucht hatte, „mit gleicher Erfolglosigkeit“, wurde er, der Familientradition entsprechend. Kaufmann, hatte jedoch als solcher „den nämlichen Mangel an Erfolg“ wie auf der Schule. Nach mancherlei Irrfahrten und mißglückten Versuchen, in einem „bürgerlichen“ Beruf Fuß zu fassen — so war er mehrere Jahre, „mit dem gleichen Minuseffekt“, Hilfsarbeiter am Statistischen Amt der Stadt Berlin— und nach drei Jahren „als eine nicht allzu häufig gesehene Zierde der Hörsäle der Berliner Universität“, landete er etwa mit Dreißig als Kunstkritiker und Feuilletonist beim Journalismus.

Erste schriftstellerische Versuche fielen schon in die Schulzeit Georg Hermanns. Als Dreiundzwanzigjähriger schrieb er, noch als Kaufmann — „damals war ich von des Morgens um acht bis des Abends um acht im Geschäft und hatte für mich nur die Nächte, die so schön ruhig waren“, — und während eines Erholungsaufenthaltes in Garmisch, nachdem eine schwere Lungenentzündung seiner Militärdienstzeit in München ein Ziel gesetzt hatte, den ersten Roman „Spielkinder“. In ihm ist viel von dem Erleben der eigenen Jugend; die autobiographische Note sollte charakteristisch für fast sein ganzes Schaffen werden. Seinen Ruhm begründet hat er dann mit „Jettchen Geberts Geschichte“ („Jettchen Geben“ und „Henriette Jacoby“), mit diesem traurig-süßen Liebesroman aus dem Berliner Vormärz. In Bildern und Gestalten von eigenem Reiz hat Georg Hermann hier, aus Familienüberlieferungen schöpfend, die Welt des Berliner Biedermeiers beschworen. Er hat diese Zeit, ihre Menschen und ihre Kultur besonders geliebt; er hat auch eine Anthologie des Biedermeier veröffentlicht und ist mit dem Roman „Heinrich Schön jr.“, in dem vor dem Hintergrund des Potsdam und Berlin der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts das Philipp-Carlos-Thema behandelt wird, noch einmal in sie zurückgekehrt. Sein zweiter großer Erfolg war dann „Kubinke“, die um 1908 spielende heiter-melancholische Geschichte von dem vom Unglück in jeder Gestalt verfolgten kleinen Friseurgehilfen aus Berlin W. „Kubinke“ ist das als Roman geschlossenste und zugleich das volkstümlichste Werk Georg Hermanns. Hier fehlt jene den Fluß der Erzählung hemmende Breite, die sich schon in „Jettchen Gebert“ ankündigt und die dann in besonderem Maße den späteren Romanen Georg Hermanns ihre Eigenart verleiht. Hier entfalten sich seine tiefe Menschenkenntnis und seine Meisterschaft der Menschenbeobachtung noch ohne das Beiwerk zwar stets außerordentlich reizvoller und kluger, aber oft den Rahmen eines Romans sprengender Betrachtungen über Menschen und Dinge. „Kuhinke“ ist ein „humoristischer“ Roman genannt‘worden. Das ist nur mit einiger Einschränkung richtig. Wohl feiern die sanfte Ironie und liebenswürdige Skepsis Georg Hermanns gerade auch hier Triumphe, wohl finden sich zumal in „Kubinke“ Wendungen und Formulierungen, über die man noch still lachen muß, wenn man vor dem Einschlafen an sie denkt, und die geradezu in unseren Sprachschatz übergehen. Aber „Kubinke“ ist noch mehr, ist ein sozialer Roman im besten Sinne. Hinter dem Scherz verbirgt sich ein tiefer Ernst, der der Zeit vor dem ersten Weltkriege, jener Zeit der Scheinblüte und der sozialen Verständnislosiigkeit unerbittlich den Spiegel vorhält. Nicht in flammender Anklage wird in „Kubinke“ der soziale Vorwurf erhoben, sondern — und darin liegt eine besondere Meisterschaft — zwischen den Zeilen, beiläufig, aber doch unüberhörbar.

Es wurde schon die autobiographische Note im Werke Georg Hermanns erwähnt. Sie ist kennzeichnend vor allem für die in den Jahren des ersten Weltkrieges und nach seinem Ende entstandene zweite Gruppe seiner Romane, für die unter sich zusammenhängende Reihe „Einen Sommer lang“, „Der kleine Gast“, „November achtzehn“, und „Ruths schwere Stunde“ und für den zweibändigen „Doktor Herzfeld“ („Die Nacht“ und „Schnee“). Der Schriftsteller Fritz Eisner der erstgenannten Romane, die die Zeit von der Jahrhundertwende bis in die 20er Jahre umspannen, und der Doktor Alwin Herzfeld, der einsame Kämpfer in einer aus den Fugen geratenen Welt — das ist, bis in viele persönliche Einzelheiten hinein, Georg Hermann selbst. Es ist das Garn des eigenen Lebens, das Georg Hermann hier spinnt. Auch in diesen Romanen ist ungemein viel von Berlin, von dem Berlin, in dem Georg Hermann lebte, der Welt der Literatur und des literarisch und künstlerisch interessierten Bürgertums. Auch sie sind „Berliner Romane“, in ihrer Gesellschaftskritik und in der Milieuschilderung. Gerade auch in der letzteren war Georg Hermann Meister, in der Milieu- und in der Landschaftsschilderung. Wie er, in einem besonderen kleinen Buch und in den Romanen, Bilder von Potsdam und von der Havellandschaft entworfen hat, die zu den besten gehören, die es gibt, so hat auch die „Landschaft Berlin“ bei ihm Gestalt gewonnen. Besonderen Reiz hatte dabei für ihn neben dem alten Westen, in dem er seine Kindheit verspielt hatte, der Großstadtrand, der Bezirk zwischen den letzten Brandmauern und den ersten Feldern, der Berliner Vorort, das Berlin des „Nur für Herrschaften“ und der reichen Leute ohne Geld. Hier hatte er als Mann seine Zelte aufgeschlagen, und sollte, was sehr zu wünschen wäre, im Zuge der Umbenennung von Berliner Straßen auch seiner einmal gedacht werden, so müßte die Georg-Hermann-Straße irgendwo „da draußen“ liegen, wo um die Häuser noch die letzten Kiefern des Waldes stehen und wo im Herbst der Fuß im feuchten Laub der Straße versinkt ...

Diese späteren Romane Georg Hermanns sind freilich schwere Kost. Wer Unterhaltung oder Spannung im landläufigen Sinne sucht, wird mit ihnen kaum auf seine Rechnung kommen. Man muß Geduld dabei haben. Schon in den frühen Werken Georg Hermanns tritt eine gewisse Vorliebe für weitgesponnene Betrachtungen, eine Neigung zu Wiederholungen hervor, durch die der Ablauf der Erzählung zuweilen allzusehr aufgehalten wird. Diese Weitschweifigkeit nahm mit den Jahren bei Georg Hermann zu. Die Darstellung wird in den späteren Werken in einem deren Lesbarkeit beeinträchtigenden Ausmaße durch Reflexion überwuchert; auch eine wachsende Neigung zu oft allzuweit hergeholten und nicht immer ganz glücklichen Vergleichen macht sich bemerkbar. Es sind kaum noch Romane im eigentlichen Sinne, eher Betrachtungen über Zeit, Menschen und Dinge mit einer Rahmenhandlung. Vor allem ist dieser Georg Hermann kaum etwas für junge Menschen. Es muß, wie er einmal sagt, so manche Pflugschar durch den Acker unseres Herzens gegangen sein, wenn wir diese Bücher lieben sollen. Wem es aber gegeben ist, sich in sie „hineinzulesen“ — es ist nicht jedem gegeben! — der kommt nur schwer wieder von ihnen los, dem erschließt sich eine Fülle von feinen und klugen Gedanken über die Probleme dieses unvollkommenen Lebens, über „die Menschen“, über die Beziehungen der Geschlechter zueinander, über Liebe und Ehe und über vielerlei anderes mehr. Nur eben: Wer Unterhaltung, romanhafte Spannung will, der lasse die Finger davon.

Aber noch etwas anderes gäbt den späteren Werken Georg Hermanns ein besonderes Gepräge. Es sind nicht nur private, sondern auch politische Bekenntnisbücher. Und zwar in einem ganz bestimmten Sinne, durch den sie, abgesehen von allem anderen, verdienen, vor dem Vergessenwerden bewahrt zu bleiben.

Schon durch Herkunft und Familientradition war bei Georg Hermann freiheitliche, demokratische Gesinnung gegeben. Gerade die Berliner Juden hatten ja keinerlei Ursache, dem preußischen Militär- und Beamtenstaat, der sie zwar gern schröpfte, aber in ihrer gesellschaftlichen und rechtlichen Pariastellung beließ, irgendwelche Sympathien entgegenzubringen. Bezeichnend ist, was Georg Hermann von seinem Vater berichtet, den er im übrigen einen „lebenszähen, starrköpfigen Pechvogel“ nennt. Jener habe am Tage vor seinem Tode etwas zu lesen verlangt und als man ihm seinen geliebten Börne gebracht habe, um etwas anderes gebeten, denn den Börne kenne er auswendig. Das Motiv der Opposition gegen den reaktionären preußischen Staat, in dessen dumpfer Luft Menschen mit freiheitlichen Anschauungen nur mühsam atmen können, erscheint auch schon in „Jettchen Gebert“; schon in Jason Gebert, dem über den Bruch des königlichen Verfassungsversprechen enttäuschten Mitkämpfer von 1813—1815 und dann als „Demagoge“ Verdächtigten, ist ein gutes Stück von Georg Hermann selber. Seine demokratischen und republikanischen Überzeugungen und seine Abneigung gegen den „Maskenball des Militarismus“ äußerten sich, so wenig er damit hinter dem Berge hielt, zunächst nicht aggressiv. In den frühen Werken, so in „Kubinke“ und auch noch in „Einen Sommer lang“ und in dem ersten Teil von „Doktor Herzfeld“ waltet in dieser Hinsicht noch eine nachsichtige Ironie vor. Erst das Erlebnis des ersten Weltkrieges, tiefes Mitleid mit der gepeinigten Menschheit und Grausen vor dem großen Morden ad majorem gloriam der nationalistischen Instinkte, machte aus dem „recht links orientierten Männchen“, das Georg Hermann stets gewesen war, einen leidenschaftlichen Pazifisten und radikalen Antimilitaristen. Er wollte die „barbarische und primitive Buntheit des Militärs“ auf immer verbannt wissen zugunsten des „Gehrocks als der Uniform der Zukunft“. Er ersehnte ein „drittes Reich, ganz ohne Wölfe, aber auch ganz ohne Lämmer.“ Die Erkenntnis, daß aller Glaube an eine auf die Gemeinsamkeit der Kultur gegründete übernationale Gemeinschaft der Menschheit getrogen habe, wirkte niederschmetternd auf „ihn. „Seit dem Weltkriege bin ich mit dem Planeten böse. Ebenso mit den Menschen. Der einzelne aber tut mir leid“. Die Werke seiner Spätzeit spiegeln diese Entwicklung wider. Der aus ihnen spricht, ist nicht mehr der alte Georg Hermann. Der Mann des gutmütigen Spottes und der freundlichen Nachsicht ist, wo er politische Fragen berührt, zum leidenschaftlichen, von banger Sorge vor einer Wiederholung der Menschheitskatastrophe von 1914—1918 gequälten Ankläger geworden. Er hatte die Ereignisse des November 1918 freudig begrüßt. Die Entwicklung, die die Dinge dann nahmen, entsprach seinem Ideal einer freien, wahrhaft demokratischen Republik ohne Wölfe und ohne Lämmer ganz und gar nicht. Zu viele Wölfe hatten sich in jederlei Gestalt in das Deutschland der Weimarer Republik hinübergerettet und die Lämmer wurden nach wie vor von ihnen verschlungen. Dieser Staat mit dem allzu dünnen republikanisch-demokratischen Firnis über dem Untergrund der alten politischen und sozialen Zustände konnte einen Mann nicht befriedigen, der bekannte: „Ich will, daß es dem armen Hund gut geht in Deutschland, in Europa, in der Welt. Ich will, daß der Mensch endlich anfängt, als Mensch auf dieser Erde zu leben. Daß nicht nur fünf von hundert auf dieser Erde sich wohlfühlen und ahnen, was das Leben eigentlich sein kann, sondern neunundneunzig von hundert. leb werde gar nichts davon haben. Denn ich werde mich in jeder Welt, in jedem Staate und unter jeder Staatsform genau so glücklich und genau so unglücklich fühlen, weil keine einzige auch nur an die ganze Problematik des Seins überhaupt rühren kann, und weil all die Rätsel und Dunkelheiten und Beschränkungen, die im Leben selbst begründet sind, bleiben. Aber ich will zudem nicht noch dadurch gequält werden, daß der arme Hund von Menschenbruder da neben mir, dumm, roh, schmutzig, vertiert, verhungert, ungebildet, häßlich, gemein, versklavt und getreten, elend leben und sterben muß. Jetzt können doch endlich einmal die Mittel frei werden für die Zwecke, die der Mensch braucht, statt für alle, die den Menschen zugrunde richten.“ Was hier schon anklingt, die Abwendung von der Enge überkommener Begriffe von Staat und Nation, die Hinwendung zu dem Ideal des Weltbürgers, kommt, wohl unter entscheidender Einwirkung der zunehmenden rassischen Verhetzung des deutschen Volkes, unter der gerade ein innerlich so weicher, allem Lauten, jeder Gewalt und jedem Fanatismus so abholder Mensch wie Georg Hermann besonders leiden mußte, in dem zweiten Bekenntnis zum Ausdruck, das hier, als für ihn charakteristisch, noch stehen soll: „Ich könnte mich in der ganzen Welt wohl fühlen, wo ich die Sprache der Leute spreche, wo schöne Frauen, Blumen und Kunst, eine gute Bibliothek, ein Schachbrett, kultivierte Umgangsformen zu finden sind, und wo Klima und Landschaft mir zuträglich und verständlich sind. Worte wie Volk, Krieg und Staat sind für mich farb- und klanglos. Für mich haben nur die Worte Mensch und Leben Klang, aber einen Klang von einer Hoheit und Fülle, den zu empfinden die anderen Rassen anscheinend noch zu jung sind.“

Daß ein Mann, der sich so vernehmen ließ, der sich rühmte, schon seit 1914 dasselbe gegen den Krieg gesagt zu haben, was die „Weltbühne“ 1928 zu schreiben begann, 1933 auf der schwarzen Liste stand, versteht sich von selbst. Gegen kaum etwas anderes sind die Tyrannen, die das deutsche Geistesleben in Nacht und Dunkel stießen, ja auch so empfindlich gewesen, wie gegen überlegenen Spott; und mit dessen Pfeilen hatte Georg Hermann sie und ihre Geistesverwandten, Nationalisten, Säbelraßler, Mucker, oft genug verwundet. So verschwanden seine Bücher aus den Bibliotheken und Buchläden, lohten auf den Scheiterhaufen, die das neu erstandene Banausentum entzündete. Er selbst ging nach Holland und lebte dort still und abseits, sich als alter Kunstfreund und Kunstsammler, der er war, an den unverlierbaren Dingen des Lebens erfreuend. Bis man den Siebzigjährigen auch in diesem Asyl aufstöberte und in Not, Schande und Verzweiflung stieß. Das Ende war dann 1943 Auschwitz. Die Wölfe hatten doch triumphiert.

Einer Generation, für die zwölf Jahre der Name Georg Herman ausgelöscht war, und die, mindestens unbewußt, zu einem guten Teil doch noch irgendwie in der nationalsozialistischen „Ideologie“, in den in diesen Jahren gezüchteten Vorurteilen und Abneigungen befangen ist, wird es nicht leicht werden, zu ihm zu finden. Wenn einer, so hat es aber Georg Hermann verdient, daß er nicht in Vergessenheit gerät, vor allem in Berlin nicht. „Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du“ — die Worte Fontanes gelten auch für ihn.

Weihnachtliches Berlin zur Biedermeierzeit

... Und es kam Weihnachten, weiße Weihnachten. Am Vormittag ... zog Jettchen heimlich zum Weihnachtsmarkt durch den weißen frostigen Nebel, der ihr ordentlich den Atem vor dem Mund frieren machte. Schon von der Schloßbrücke an hörte man ein Brausen und Sausen und Lärmen und Geschwirr; und die Kinder mit den Schäfchen hängten sich ihr an das Kleid, bis sie ihren Zoll entrichtet hatte; und die Waldteufeljungen mit Baschliks über den Ohren und Wolltüchern um den Hals brummten neben ihr her und erschreckten sie, indem sie die Teufel aus dem Kasten springen ließen und ihre langen, vielgliedrigen Scheren, auf denen Holzsoldaten exerzierten, ihr plötzlich entgegenschnellten. In den Buden standen Männer und Frauen, mit Gesichtern rot wie Hahnenkämme, eingewickelt und vermummt in Mäntel und Tücher, trampelten mit den Füßen, bliesen sich in die roten Hände oder streckten sie über ihre Feuerkieken aus; und dazu zählten sie ohne Aufhören ihre Waren her, riefen die Vorübergehenden an, stehenzubleiben, schimpften auf den schlechten Geschäftsgang, fragten Kunden nach ihren Wünschen und zankten sich mit Nachbarn, die drei Buden von ihnen entfernt Pfefferkuchen feilboten. Und zwischen den Budenreihen stapfte und schob sich im niedergetretenen Schnee eine bunte, vielköpfige Menge dahin; Frauen mit Kindern, die rechts und links an den Zipfeln der Kantentücher zogen und zerrten, wie die Englein am Mantel der Maria; Väter, von blondzöpfigen Töchtern flankiert; Studenten und schäkernde Liebespaare. Da es kalt war, hatte aber keiner recht Lust, die Börse zu ziehen; und wenn der Franzose mit dem Turban sein Fleckwasser noch so zungenfertig anpries, die Menge staute sich wohl einen Augenblick vor seiner Rednertribüne, aber sowie er glaubte, die Leute von der Unfehlbarkeit seines Wassers überzeugt zu haben und seine Fläschchen in die Menge werfen wollte, da schob sie lachend und lärmend weiter; und der arme, zappelnde Turbanträger haspelte von neuem seine Kette französischer Flickworte heraus, mit ungeschwächter Lungenkraft, durch den grauen Nebel und die Winterkälte. Bei einem Parfümeriekrämer aus Altona kaufte Jettchen eine Flasche Eau de Lavande, und bei einem Lebkuchenbäcker Thorner, Liegnitzer und Nürnberger Pfefferkuchen und Königsberger Marzipan. Und endlich wählte sie noch beim Pyramidenhändler eine schöne Pyramide, wohl drei Fuß hoch. Sie war ganz aus grünem Ölpapier aufgebaut und ihre Zweige trugen zudem noch runde Perlen aus rotem Lack, und sie prunkte mit einer Unzahl kleiner gelber Wachskerzen. Die kaufte Jettchen, und sie gab dem Laufjungen noch ihre Päckchen dazu, er solle alles heimtragen ...

Am nächsten Tag klangen die weißen Straßen wider vom Lärm der Kindertrompeten, und kleine Mädchen in neuen braunen Wintermänteln und blauen Käppchen trippelten stolz durch den Schnee, ohne sich nach irgend jemand umzusehen, ganz verliebt in ihre Puppen, die sie vorsichtig auf dem Arm hielten und zärtlicher anblickten, als eine Mutter auf ihr Kind schaut. Und in der Mitte auf dem Damm katzbalgten sich die Jungen um die Schlitten; und der Sohn vom Holzhacker, dem der Vater seinen Gleitschlitten zusammengeschlagen hatte aus den verschiedenartigsten Brettern, die er bei seiner letzten Tätigkeit fürsorglich hatte mitgehen heißen, hielt sein Vehikel, das er am groben Strick nachschleifen ließ, für ebenso schön wie den Stuhlschlitten von Söhlke, der fünf Taler gekostet hatte, und den die Kinder vom Hofrat langsam vor sich herschoben, eingepackt und eingehüllt wie die Waschbären. Und etwelche Herren sah man sogar die Königstraße hinabeilen, die breiten Holländer Schlittschuhe am Riemen schlenkernd, die flatternden Spenzer offen, als ob sie der Winterkälte ihre Verachtung damit kundtun wollten. Man sah sie den Zelten zueilen, allwo sie beabsichtigten, auf dem Eis der Spree ihre Künste spielen zu lassen vor den bewundernden Blicken der Damen, die auf der Veranda stehen und sich an dem Anblick erlaben durften.