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Am Zeitraum zwischen Geburt und Tod der Georgia O’Keeffe (1887-1986) streift die gesamte moderne Geschichte der Vereinigten Staaten vorbei wie ein Hollywood-Film. Aus einer kleinen Stadt stammend, schafft sich Georgia O’Keeffe erst in New York einen Namen; jenes New York, das Mitte des 20. Jahrhunderts Paris als Welthauptstadt der Kunst ablöst. Sie wurde vor allem durch ihre komplexen Naturbeschreibungen wie beispielsweise der Zartheit eines Herbstblattes, den subtilen Nuancen einer Blüte oder der Symmetrie eines Tierschädels bekannt. Heute assoziiert man Georgia O’Keeffe mit kraftvollen Farben und der wilden Schönheit der Wüste Neu Mexikos, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 gelebt hat. Das vorliegende Ebook zeichnet den Lebensweg der modernen Frau Georgia O’Keeffe sowie ihre Art und Weise, Kunst zu schaffen, nach und betrachtet nicht zuletzt ihr Erbe für die Nachwelt. Es hebt auch die Aspekte der Weiblichkeit und des Schaffens hervor.
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Seitenzahl: 54
Veröffentlichungsjahr: 2011
Autor: Gerry Souter
© Parkstone Press International, New York, USA
© Confidential Concepts, worldwide, USA
©Estate O’Keeffe / Artists Rights Society, New York, USA
ISBN:978-1-78160-747-3
Weltweit alle Rechte vorbehalten
Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.
Gerry Souter
INHALT
1. Porträt Georgia O’Keeffes
2. Blaue Linien X, 1916
3. Special No. 32, 1914
Einleitung
Aquarell, 63,5 x 48,3 cm.
Metropolitan Museum of Art, New York.
Georgia O’Keeffe spricht uns mit ihrer Begabung an, das kleinste Detail einer Blume oder die Unendlichkeit der Landschaft im Südwesten der Vereinigten Staaten zu sehen und zu bewundern. Je mehr sie ihre Isolation kultivierte, desto mehr zog sie den Rest der Welt an. Was verleiht ihrem Vermächtnis auch heute noch diese Kraft? Die Menschen erkennen Blumen, Knochen, Gebäude. Aber etwas in ihren Bildern lehrt uns überhaupt das Sehen? Wir spazieren über den Strand oder wandern auf einem Fußpfad und bemerken kaum eine zarte Muschel oder die feinen Farben eines glatt gespülten Kieselsteins und treten ihn achtlos beiseite. Auf unserem Weg durch die Wüste schützen wir unsere Augen vor den Sonnenstrahlen, zwinkern und übersehen den einsamen Totenschädel, der uns an ein lange vergangenes Leben erinnert. Georgia interessierte sich für all diese Dinge und, mehr noch, sie lenkte unser Augenmerk darauf und zwang uns, sie kennen zu lernen. Sie platzierte sie in einen Kontext, der unsere Vorstellungskraft stimulierte. Die über dem Wüstenhorizont schwebenden Überreste eines Elchschädels oder der auf die harten Umrisse eines New Yorker Wolkenkratzers herabblickende Mond entführen uns für eine kurze Zeit in eine andere Welt.
Mit ihrem eigenen Lebensentwurf zeigte sie den Frauen, dass es möglich war, das Beste in sich zu suchen und zu finden, etwas, das heute wesentlich leichter ist als zur Zeit ihrer Jugend. Ihre späteren Jahre können jenen von uns als Rollenmodell dienen, die der Meinung sind, dass das Leben nach sechzig ein einziger Abstieg sei. Bis in ihr zehntes Lebensjahrzehnt hinein fand sie trotz ihrer nachlassenden Sehkraft immer noch Möglichkeiten, auszudrücken, was sie sah und was sie begeisterte.
Ihre Werke sind heute noch so hell, frisch und ergreifend wie vor fast einhundert Jahren. Warum? Weil die in ihrer Ausführung einfachen Bilder ein Gefühl der Ordnung vermitteln, ein Gefühl, dass sie gut geplant sind, trotz ihrer Stabilität aber gleichzeitig ein Vehikel sind, uns dabei zu helfen, die Zerbrechlichkeit einer Blume, die Nacktheit eines ausgeblichenen Schädels und die Elektrizität eines Sonnenuntergangs im Westen zu sehen und zu erforschen.
Georgia Totto O’Keeffe wurde am 15. November 1887 auf einer Farm in der Nähe des Dorfes Sun Prairie, Wisconsin, als erste Tochter und zweites Kind von Francis und Ida Totto O’Keeffe geboren. Georgias erste Jahre verliefen ungewöhnlich ereignislos. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf der großen Farm der Familie in der Nähe von Sun Prairie, einem hügeligen Gebiet mit vielen Farmen.
Abends und an regnerischen Tagen las Ida O’Keeffe, die von der Bedeutung der Bildung überzeugt war, ihren Kindern aus Büchern wie James Fenimore CoopersLederstrumpfoder Geschichten aus dem Westen vor.
Pastell auf Papier, 35,5 x 49,5 cm. Privatsammlung.
Georgias Mutter selbst hatte den größten Teil ihrer Kindheit auf einer Farm neben dem O’Keeffe-Anwesen verbracht. Als ihr Vater George die Familie verließ, um in seine Heimat Ungarn zurückzukehren, ging Idas Mutter Isabel mit den Kindern nach Madison, Wisconsin, um ihren Kindern den Besuch einer Schule zu ermöglichen. Ida hatte vielfältige intellektuelle Interessen und wollte als junges Mädchen Ärztin werden. Als sie auf die zwanzig zuging, besuchte sie in Madison jedoch regelmäßig Francis O’Keeffe, der sich an das hübsche Mädchen von der benachbarten Farm erinnerte und schließlich um ihre Hand anhielt. In den folgenden Jahren gab es kaum eine Zeit, in der Ida nicht schwanger war oder Kinder stillte. Ihr Ehemann arbeitete zwar hart und sie hatten ein großes Haus, aber sie war dennoch nur eine Farmersfrau mit einer frühzeitig abgebrochenen Ausbildung. Für ihre Kinder erstrebte sie mehr und klammerte sich während der nächsten Jahre an ihre Überzeugung, dass ihre Kinder die gesellschaftliche Leiter nicht noch weiter hinunterfallen würden, wenn sie kulturelles Leben und eine ausgewogene Ausbildung erhalten könnten. Sie hielt es auch für äußerst wichtig, dass ihre Töchter sich die erforderlichen Fähigkeiten aneigneten, um sich notfalls ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können.
4. Abstraktion,1916, 1979-1980.
Weiß lackierte Bronze, 25,7 x 12,7 x 12 cm.
Georgia O’Keeffe Museum, Santa Fe.
5. Abstraktion IX,1916.
Kohlezeichnung auf Papier, 61,5 x 47,5 cm.
Metropolitan Museum of Art, New York.
6. Aktserien XII,1917.
Aquarell auf Papier, 30,5 x 45,7 cm.
Georgia O’Keeffe Museum, Santa Fe.
Georgia ging neun Jahre lang in die in der Nähe gelegene, im Rathaus untergebrachte Schule mit ihrem einzigen Klassenraum. Die dünne, dunkelhaarige Georgia mit den wachen braunen Augen war – wahrscheinlich wegen der Bedeutung, die ihre Mutter der Bildung beimaß – bei Lehrern und Nachbarn als ein kluges, wissbegieriges Mädchen bekannt.
Auf Grund ihres Bestrebens, ihren Kindern so viele Bildungsmöglichkeiten wie möglich zu verschaffen, schrieb Ida ihre Töchter während deren Grundschulzeit in Zeichen- und Malkurse in Sun Prairie ein. Im darauf folgenden Jahr belegten sie Malkurse an Samstagen, in denen sie sich ein Bild aussuchen durften, das sie kopieren wollten. Georgia erinnert sich nur an zwei – eines von Pharaos Pferden und eines von großen roten Rosen. „Es war der Beginn mit Wasserfarbe“, schrieb sie später. Georgia besuchte die Schule mit ihrem einzigen Klassenraum bis zur achten Klasse. Georgia erinnert sich, dass sie, fast ohne nachzudenken, gesagt habe: „Ich werde eine Künstlerin sein.“ Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es für Frauen, die nach einem Beruf suchten, nur wenige Alternativen. Georgia wusste, dass sie als Lehrerin, Krankenschwester, Näherin, Gouvernante, Köchin oder Hausmädchen arbeiten konnte. Wenn sie ehrgeizig war oder aus einer Oberklassenfamilie stammte und die Ausbildung bezahlen konnte, eröffnete sich vielleicht auch die Option, Ärztin oder Juristin zu werden. Angesichts des technologischen Fortschritts konnte sie sich auch zur Schreibkraft oder Telefonistin ausbilden lassen.
7. Abend,1916.
Aquarell auf Papier, 22,5 x 30,4 cm.
Georgia O’Keeffe Museum, Santa Fe.