Obsidian 3: Opal. Schattenglanz - Jennifer L. Armentrout - E-Book
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Obsidian 3: Opal. Schattenglanz E-Book

Jennifer L. Armentrout

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Beschreibung

Auf den ersten Blick ist alles perfekt: Dawson lebt noch und niemand scheint nach ihm zu suchen. Katy wehrt sich nicht länger gegen ihre Gefühle für Daemon und alles könnte so schön sein – aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Plötzlich ist Blake zurück und mit ihm ein gewagter Plan. Zu Katys großem Erstaunen bittet er sie um Hilfe. Katy weiß nicht, was sie tun soll, denn Blake ist nicht zu trauen, das hat sie schon einmal schmerzlich zu spüren bekommen. Doch für ihre Freunde – und für Daemon – würde sie alles tun. Selbst ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Dies ist der dritte Band der Obsidian-Serie von Jennifer L. Armentrout. Alle Bände der unwiderstehlichen Bestsellerserie: Obsidian. Schattendunkel Onyx. Schattenschimmer Opal. Schattenglanz Origin. Schattenfunke Opposition. Schattenblitz Shadows. Finsterlicht (Prequel) Alle Bände der dazugehörigen Oblivion-Serie: Oblivion 1: Lichtflüstern (Obsidian aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 2: Lichtflimmern (Onyx aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 3: Lichtflackern (Opal aus Daemons Sicht erzählt) Alle bisher erschienenen Bände der Spin-off-Serie »Revenge«: Revenge. Sternensturm Rebellion. Schattensturm Redemption. Nachtsturm

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Jennifer L. Armentrout: Opal. Schattenglanz

Aus dem Englischen von Anja Malich

Auf den ersten Blick ist alles perfekt: Dawson lebt noch und niemand scheint nach ihm zu suchen. Katy wehrt sich nicht länger gegen ihre Gefühle für Daemon und alles könnte so schön sein – aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Plötzlich ist Blake zurück und mit ihm ein gewagter Plan. Zu Katys großem Erstaunen bittet er sie um Hilfe. Katy weiß nicht, was sie tun soll, denn Blake ist nicht zu trauen, das hat sie schon einmal schmerzlich zu spüren bekommen. Doch für ihre Freunde – und für Daemon – würde sie alles tun. Selbst ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen.

Alle Bände der unwiderstehlichen SPIEGEL-Bestsellerserie:

Obsidian. Schattendunkel

Onyx. Schattenschimmer

Opal. Schattenglanz

Origin. Schattenfunke

Opposition. Schattenblitz

Wohin soll es gehen?

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  Bonusmaterial

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  Leseprobe

 

Dieses Buch ist dem Superteam der »Daemon Invasion Tour« gewidmet.Ihr rockt, Ladys!Janalou CruzNikkiRiaBethJessica BakerBeverleyJessica JillingsShaaista GPaulina ZimnochRachel

Kapitel 1

Ich wusste nicht genau, warum ich aufgewacht war. Der heulende Wind des ersten ernst zu nehmenden Schneesturms der Saison war in der letzten Nacht abgeklungen und in meinem Zimmer war alles ruhig. Friedlich. Ich rollte auf die Seite und schaute blinzelnd in mein Zimmer.

Augen, die die Farbe von taunassen Blättern hatten, starrten mich an. Augen, die mir irritierend vertraut waren, aber glanzlos im Vergleich zu denen, in die ich mich verliebt hatte.

Dawson.

Ich griff nach der Decke und hielt sie vor der Brust umklammert, während ich mich langsam aufsetzte und mir das zerzauste Haar aus dem Gesicht schob. Vielleicht schlief ich doch noch, denn ich hatte keine Ahnung, warum Dawson, der Bruder des Jungen, in den ich absolut, unumstößlich und wahrscheinlich wahnsinnigerweise verliebt war, auf meiner Bettkante saß.

»Ähm, ist … ist alles in Ordnung?« Ich räusperte mich, aber meine Stimme war noch immer rau, als bemühte ich mich krampfhaft – und erfolglos – verführerisch zu klingen. Denn ich hatte, als ich von Dr. Michaels, dem durchgeknallten Freund meiner Mutter, in einem Lagerhaus in einen Käfig gesperrt worden war, so viel geschrien, dass es meiner Stimme noch eine Woche später anzuhören war.

Dawson senkte den Blick. Dichte, dunkle Wimpern strichen über seine markanten, hohen Wangenknochen, die blasser waren, als sie sein sollten. Wenn eins nicht zu leugnen war, dann, dass Dawson gezeichnet war.

Ich blickte auf die Uhr. Es war kurz vor sechs Uhr am Morgen. »Wie bist du hier reingekommen?«

»Durch die Tür. Deine Mom ist nicht zu Hause.«

Bei jedem anderen wäre mir jetzt ein Schauer über den Rücken gelaufen, doch bei Dawson war es anders. »Sie ist in Winchester eingeschneit.«

Er nickte. »Ich konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht nicht.«

»Gar nicht?«

»Nein. Und es stört auch Dee und Daemon.« Er sah mich eindringlich an, als wollte er mich damit dazu bringen zu verstehen, wofür er keine Worte fand.

Die Drillinge – verdammt, wir alle – hatten zu kämpfen, weil wir, seit Dawson aus dem Lux-Gefängnis entkommen war, damit rechneten, dass das Verteidigungsministerium jeden Moment vor der Tür stehen würde. Dee war dabei, den Tod ihres Freundes Adam und die Rückkehr ihres geliebten Bruders zu verarbeiten. Daemon versuchte für seinen Bruder da zu sein und immer wachsam zu bleiben. Doch auch wenn bislang keine VM-Truppen unsere Häuser gestürmt hatten, war keiner von uns entspannt.

Alles lief ein bisschen zu glatt, was meistens nichts Gutes bedeutete.

Manchmal … manchmal hatte ich das Gefühl, uns wäre eine Falle gestellt worden und wir wären direkt dort hineingestürmt.

»Wie hast du dir die Zeit vertrieben?«, erkundigte ich mich.

»Mit Spazierengehen«, antwortete er und blickte aus dem Fenster. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich je wieder hier sein würde.«

Was Dawson durchgemacht und wozu man ihn gezwungen hatte, war zu grausam, um es sich überhaupt vorzustellen. Mir wurde schwer ums Herz. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, denn sobald ich es tat, sah ich sofort Daemon in derselben Lage vor mir und das war unerträglich.

Doch Dawson … Er brauchte jemanden. Ich umfasste den Obsidian-Anhänger, den ich um den Hals trug. »Möchtest du darüber reden?«

Er schüttelte den Kopf. Struppige Strähnen hingen ihm in die Augen. Sein Haar war länger als Daemons und welliger, und vor allem müsste es mal wieder geschnitten werden. Dawson und Daemon waren eineiige Zwillinge, doch zurzeit sahen sie sich kaum ähnlich, was nicht nur an der Frisur lag. »Du erinnerst mich an sie – an Beth.«

Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Wenn er sie nur halb so sehr liebte wie ich Daemon … »Du weißt, dass sie noch lebt, oder? Ich habe sie gesehen.«

Unsere Blicke trafen sich. Seine Augen wirkten nicht nur verschlossen, sondern auch unendlich traurig. »Ich weiß, aber sie ist nicht mehr dieselbe.« Er senkte den Kopf und in dem Moment fiel ihm sein Haar genauso in die Stirn, wie ich es von Daemon kannte. »Du … liebst meinen Bruder?«

Es versetzte mir einen Stich, wie verzweifelt er klang, als ginge er davon aus, nie wieder zu lieben, als glaubte er nicht mehr wirklich an die Liebe. »Ja.«

»Das tut mir leid.«

Instinktiv wich ich zurück und ließ die Decke los, die hinunterrutschte. »Warum sagst du das?«

Dawson hob den Kopf und seufzte schwermütig. Dann strich er mir mit einer schnelleren Bewegung, als ich sie ihm zugetraut hätte, über die blassen rosafarbenen Abdrücke an meinen Handgelenken, die die Schellen hinterlassen hatten.

Ich verabscheute diese Flecken und sehnte den Tag herbei, an dem sie nicht mehr zu sehen sein würden. Jedes Mal, wenn ich darauf schaute, musste ich an den Schmerz denken, den der Onyx auf den Schellen mir bei jeder Berührung zugefügt hatte. Meiner Mom die lädierte Stimme zu erklären war schwer genug gewesen, ganz zu schweigen von Dawsons plötzlichem Auftauchen. Ihr Blick, als sie kurz vor dem Schneesturm Dawson zusammen mit Daemon gesehen hatte, war fast komisch gewesen, auch wenn sie froh zu sein schien, dass der »verlorene Bruder« nach Hause zurückgekehrt war. Deshalb musste ich diese blöden Flecken unbedingt unter langärmeligen Hemden verstecken. In den Wintermonaten würde das kein Problem sein, aber ich hatte keine Ahnung, was ich im Sommer tun sollte, wenn sie dann noch immer da wären.

»Beth hatte auch solche Abdrücke, als ich sie sah«, sagte Dawson leise, während er die Hand zurückzog. »Sie hat es öfter geschafft zu fliehen, wurde dann aber doch jedes Mal erwischt und danach hatte sie immer diese Abdrücke. Allerdings meistens am Hals.«

Ich musste schlucken und mir wurde übel. Am Hals? Ich konnte nicht … »Hast du … hast du Beth oft gesehen?« Ich wusste, dass das VM mindestens ein Treffen genehmigt hatte, während sie beide dort gefangen waren.

»Ich weiß es nicht. Ich habe den Überblick über die Zeit verloren. Am Anfang ist es mir mit Hilfe der Menschen, die sie zu mir gebracht haben, noch gelungen, am Ball zu bleiben. Ich habe sie geheilt, und wenn sie … überlebt haben, konnte ich normalerweise die Tage zählen, bis alles den Bach runterging. Vier Tage.« Wieder starrte er aus dem Fenster. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, dennoch konnte ich draußen nichts als den Nachthimmel und schneebedeckte Äste sehen. »Sie waren immer stinksauer, wenn es den Bach runterging.«

Das konnte ich mir gut vorstellen. Das VM – beziehungsweise Daedalus, angeblich eine Gruppierung innerhalb des VM – hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit Hilfe der Lux Menschen zu mutieren. Manchmal funktionierte es.

Manchmal aber auch nicht.

Ich betrachtete Dawson und versuchte mich zu erinnern, wie Daemon und Dee ihn beschrieben hatten. Demnach war er der Nette, Lustige und Charmante – die männliche Variante von Dee und überhaupt nicht wie sein Bruder.

Doch dieser Dawson war anders: missmutig und abweisend. Abgesehen davon, dass er mit Daemon nicht sprach, hatte er, soweit ich wusste, auch keinem anderen anvertraut, was ihm angetan worden war. Matthew, der inoffizielle Vormund der Drillinge, hielt es für das Beste, ihn nicht zu bedrängen.

Dawson hatte noch nicht einmal verraten, wie er hatte entkommen können. Ich tippte darauf, dass Dr. Michaels – diese miese Ratte – uns bewusst in die Irre geführt hatte, damit er Zeit gewann, um sich selbst in Sicherheit zu bringen, bevor er die Anweisung gegeben hatte, Dawson »freizulassen«. Eigentlich konnte es nur so gewesen sein.

Allerdings hatte ich sehr wohl noch eine andere Vermutung, die jedoch wesentlich düsterer und grausamer war.

Dawson blickte auf seine Hände. »Und Daemon … liebt er dich auch?«

Damit riss er mich aus den Gedanken. Blinzelnd blickte ich auf. »Ja, ich glaube schon.«

»Hat er es dir gesagt?«

Nicht mit Worten. »Er hat es nicht ausgesprochen, aber ich glaube schon.«

»Er sollte es dir aber sagen. Jeden Tag.« Dawson legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Ich habe so lange keinen Schnee mehr gesehen«, stellte er fast wehmütig fest.

Gähnend schaute ich aus dem Fenster. Der Schneesturm aus Nordosten war, wie angekündigt, mit voller Wucht über dieses Fleckchen Erde hinweggefegt und hatte das Grant County in West Virginia am Wochenende voll in seinen Fängen gehabt. Für Montag und heute hatten wir Schulfrei bekommen und in den Nachrichten war gesagt worden, dass es noch bis zum Ende der Woche dauern würde, bis alle Leute aus ihren Häusern befreit wären. Der Sturm hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Zumindest hatten wir so mehrere Tage, um zu überlegen, wie wir mit Dawsons Rückkehr umgehen sollten.

Er konnte ja nicht einfach wieder in der Schule auftauchen.

»So viel Schnee habe ich noch nie gesehen«, sagte ich. Ursprünglich kam ich aus dem Norden von Florida und hatte zwar schon einige irre Eisstürme erlebt, aber noch nie mit so viel Schnee.

Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. »Du wirst sehen, wenn die Sonne rauskommt, wird es wunderschön sein.«

Mit Sicherheit. Alles würde unter einer weißen Decke liegen.

Dawson sprang auf und befand sich plötzlich auf der anderen Seite des Raums. Im nächsten Moment spürte ich ein warmes Prickeln im Nacken und mein Herz schlug schneller. »Mein Bruder kommt«, sagte er, ohne mich anzusehen.

Keine zehn Sekunden später stand Daemon in der Tür meines Zimmers. Sein Haar war vom Schlaf geplättet, die Flanell-Pyjamahose zerknittert. Kein Oberteil. Draußen lag ein Meter Schnee und er lief noch immer halb nackt durch die Gegend.

Fast hätte ich mit den Augen gerollt, doch dafür hätte ich sie von ihm … und seinem Waschbrettbauch lösen müssen. Warum war er auch immer ohne Hemd unterwegs.

Daemons Blick wanderte von Dawson zu mir und dann wieder zurück zu seinem Bruder. »Ist das hier eine Pyjamaparty? Und ich wurde nicht eingeladen?«

Dawson drückte sich wortlos an ihm vorbei und verschwand. Kurze Zeit später hörte ich, wie die Haustür geschlossen wurde.

Daemon seufzte. »So ging es in den letzten Tagen die ganze Zeit.«

Es tat mir in der Seele weh. »O Mann.«

Den Kopf zur Seite geneigt schlenderte er an mein Bett heran. »Will ich überhaupt wissen, warum mein Bruder in deinem Zimmer war?«

»Er konnte nicht schlafen.« Ich sah, wie Daemon nach der Decke griff, und hielt sie instinktiv wieder fest. Erst als er daran zog, ließ ich sie los. »Er meinte, er würde euch stören.«

Daemon kroch ins Bett und drehte sich auf die Seite, um mich anzusehen. »Das tut er nicht.«

Das Bett war viel zu klein für uns beide. Vor sieben Monaten – mein Gott, noch vor vier Monaten – wäre ich in Gelächter ausgebrochen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass der heißeste, launischste Kerl der Schule in meinem Bett liegen würde. Doch seitdem hatte sich viel verändert. Vor sieben Monaten hatte ich auch noch nicht an Aliens geglaubt.

»Ich weiß«, erwiderte ich, während ich mich ebenfalls auf meiner Seite ausstreckte. Dann betrachtete ich seine hohen Wangenknochen, die volle Unterlippe und die so außergewöhnlich leuchtenden grünen Augen. Daemon war schön, aber stachelig, wie ein Weihnachtskaktus. Es war ein langer Weg gewesen, so weit zu kommen, dass wir im selben Raum sein konnten, ohne einander umbringen zu wollen. Daemon hatte beweisen müssen, dass seine Gefühle für mich echt waren, was ihm gelungen war … auch wenn es eine Weile gedauert hatte. Zu Beginn war er nicht gerade freundlich zu mir gewesen, was er erst einmal wieder hatte gutmachen müssen. Ich ließ mich doch nicht als Fußabtreter benutzen. »Er hat gesagt, ich würde ihn an Beth erinnern.«

Daemons Miene verfinsterte sich und ich verdrehte die Augen. »Nicht so, wie du denkst.«

»Ganz ehrlich, sosehr ich meinen Bruder liebe, ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass er in deinem Zimmer abhängt.« Er streckte einen muskulösen Arm aus, strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemmte sie mir hinters Ohr. Mich durchfuhr ein warmer Schauer und er lächelte. »Ich habe das Gefühl, mein Revier markieren zu müssen.«

»Jetzt hör auf!«

»Oh, ich mag es, wenn du mich so herumkommandierst. Echt sexy.«

»Du bist echt unverbesserlich.«

Daemon rückte näher an mich heran und ich spürte seinen Oberschenkel an meinem. »Ich bin froh, dass deine Mom woanders eingeschneit ist.«

Ich sah ihn fragend an. »Warum?«

Er zuckte mit den breiten Schultern. »Ich bezweifle, dass sie das hier durchgehen lassen würde.«

»Garantiert nicht.«

Wir rückten noch näher zusammen, bis unsere Körper nur noch eine Haaresbreite voneinander entfernt waren. »Hat deine Mom Will eigentlich noch mal erwähnt?«

Schlagartig wurde mir innerlich eiskalt. Willkommen in der Wirklichkeit – einer Angst einflößenden, unberechenbaren Wirklichkeit, wo nichts so war, wie es den Anschein hatte. Auf Dr. Michaels traf das ganz besonders zu. »Nur was sie letzte Woche erzählt hat. Dass er ihr gesagt hätte, er müsste wegfahren, zu einer Konferenz und Familie besuchen, was natürlich gelogen war, wie wir beide wissen.«

»Offensichtlich hat er vorausgeplant, damit sich niemand über seine Abwesenheit wundert.«

Er hatte von der Bildfläche verschwinden müssen, denn wenn die erzwungene Mutation in irgendeiner Form Wirkung zeigen würde, brauchte er eine Auszeit. »Glaubst du, dass er zurückkommt?«

Er strich mir mit dem Handrücken über die Wange und sagte: »Das wäre lebensmüde.«

Nicht wirklich, dachte ich und schloss die Augen. Daemon hatte Will nicht heilen wollen, war aber dazu gezwungen worden. Die Heilung war nicht tiefgehend genug gewesen, um einen Menschen auf zellulärer Ebene zu verändern. Außerdem hatte Will keine lebensbedrohliche Verletzung gehabt, weshalb niemand sagen konnte, ob die Mutation von Dauer oder nur vorübergehend sein würde. Und wenn sie wieder verschwände, würde Will erneut auf der Matte stehen. Darauf hätte ich gewettet. Auch wenn er für seinen eigenen Vorteil gegen das VM gearbeitet hatte, würde er die Leute dort dennoch dazu bringen können, ihn wieder aufzunehmen. Immerhin konnte er die wertvolle Information liefern, dass es Daemon war, der mich mutiert hatte. Will war also ein Problem – ein gewaltiges.

Und so warteten wir … wir warteten auf den großen Showdown.

Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass Daemon mich noch immer ansah. »Was Dawson angeht …«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand er und strich mit den Fingerknöcheln über meinen Hals und meinen Busen. Mir stockte der Atem. »Mit mir spricht er überhaupt nicht und mit Dee auch kaum. Die meiste Zeit schließt er sich in seinem Zimmer ein oder streift durch den Wald. Ich bin ihm gefolgt und das weiß er.« Daemon ließ die Hand auf meiner Hüfte liegen. »Aber er –«

»Er braucht Zeit, meinst du nicht?« Ich küsste ihn auf die Nasenspitze und hob den Kopf. »Er hat viel durchgemacht, Daemon.«

Ich spürte, wie seine Finger mich fester umschlossen. »Ich weiß. Jedenfalls …« Daemon bewegte sich so schnell, dass ich, ehe ich mich’s versah, auf dem Rücken lag und er über mir war, die Arme rechts und links von meinem Gesicht aufgestützt. »… habe ich meine Pflichten vernachlässigt.«

Und plötzlich löste sich alles, die Sorgen, Ängste und unbeantworteten Fragen, in nichts auf. Daemon hatte diese Gabe. Ich sah zu ihm auf und konnte kaum atmen. Zwar war ich mir nicht hundertprozentig sicher, was er mit »Pflichten« meinte, aber ich konnte es mir nur zu gut vorstellen.

»Ich habe nicht viel Zeit für dich gehabt.« Er berührte mit den Lippen erst meine rechte und dann meine linke Schläfe. »Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht an dich gedacht habe.«

Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Ich weiß, dass du beschäftigt warst.«

»Ach ja?« Er strich mit den Lippen über meine Stirn. Als ich nickte, verlagerte er sein Gewicht auf einen Ellbogen. Mit der freien Hand griff er an mein Kinn, drückte sanft meinen Kopf nach hinten und schaute mir in die Augen. »Wie kommst du mit der Sache zurecht?«

Ich musste meine gesamte Willenskraft aufwenden, um mich auf eine Antwort zu konzentrieren. »Das geht schon. Mach dir um mich keine Sorgen.«

Er sah mich skeptisch an. »Deine Stimme …«

Ich zuckte zusammen und räusperte mich zum ungefähr hundertsten Mal, ohne dass es etwas genützt hätte. »Ist schon viel besser geworden.«

Seine Augen wurden dunkler, während er mit dem Daumen an den Konturen meines Gesichts entlangfuhr. »Das reicht nicht, allerdings muss ich sagen, dass ich so langsam Gefallen daran finde.«

Ich lächelte. »Aha?«

Daemon nickte und berührte mit den Lippen meinen Mund. Der Kuss war sanft und zärtlich und durchströmte meinen ganzen Körper. »Ja, irgendwie finde ich sie sexy.«

Wieder küsste er mich, dieses Mal länger und intensiver. »Dieses Raue, auch wenn ich wünschte –«

»Lass es.« Ich legte die Hände an seine Wangen. »Mir geht es gut. Und es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen, als meine Stimmbänder. Wenn man das große Ganze betrachtet, stehen sie ganz sicher nicht oben auf der Liste.«

Er schaute mich leicht irritiert an und ja, ich fand selbst, dass ich ein wenig altklug geklungen hatte. Ich musste über seinen Gesichtsausdruck kichern, was meine frisch entdeckte Reife gleich wieder zunichtemachte. »Ich habe dich vermisst«, gestand ich.

»Ich weiß. Du kannst ohne mich nicht leben.«

»So würde ich das nicht sagen.«

»Gib’s einfach zu.«

»Und schon ist es wieder so weit. Dein Ego macht alles kaputt«, stichelte ich.

Ich spürte seine Lippen jetzt unter meinem Kinn.

»Was macht es kaputt?«

»Den rundum perfekten Kerl.«

Er schnaubte. »Oh, ich bin sehr wohl perfekt ausge-«

»Jetzt werd nicht unanständig.« Doch unwillkürlich erschauderte ich, da ich absolut nichts daran auszusetzen hatte, wie er mich jetzt in der Halsgrube küsste.

Auch wenn ich es ihm gegenüber niemals zugeben würde, war mir abgesehen von dieser … piksigen Seite, die hin und wieder zum Vorschein kam, bislang noch kein perfekteres Wesen untergekommen.

Mit einem vielsagenden leisen Lachen, das die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern brachte, ließ er die Hand über meinen Arm und weiter über die Taille zum Oberschenkel gleiten, bevor er entschlossen mein Bein über seine Hüfte zog. »Du hast eine schmutzige Fantasie. Ich wollte sagen, dass ich perfekt bin in allem, worauf es ankommt.«

Lachend schlang ich die Arme um seinen Hals. »Sicher, du Unschuldsengel.«

»Das habe ich nie behauptet.« Als ich das Gewicht seines Körpers auf mir spürte, sog ich scharf die Luft ein. »Ich bin –«

»Ungezogen?« Ich drückte mein Gesicht in seinen Hals und atmete tief ein.

Er roch immer so gut nach Natur, nach frischen Blättern und herben Kräutern. »Ja, ich weiß, aber insgeheim bist du doch ganz lieb. Deshalb liebe ich dich auch.«

Daemon erschauderte und dann erstarrte er. Ich erschrak, als er auf die Seite rollte und mich fest umarmte. So fest, dass ich mich winden musste, um den Kopf zu heben.

»Daemon?«

»Schon gut«, sagte er mit belegter Stimme und küsste mich auf die Stirn. »Alles in Ordnung. Es ist … noch früh. Heute ist weder Schule angesagt noch eine Mom, die nach Hause kommt und dich beim vollen Namen ruft. Ganz kurz können wir also so tun, als wäre alles gut. Wie normale Teenager können wir heute so lange schlafen, wie wir wollen.«

Wie normale Teenager. »Hört sich gut an.«

»Finde ich auch.«

»Sehr gut«, murmelte ich und kuschelte mich an ihn, bis wir fast eins waren. Ich spürte sein Herz im selben Rhythmus schlagen wie mein eigenes. Perfekt. Genau das brauchten wir – friedliche Momente, in denen alles normal war. In denen es nur Daemon und mich gab –

Das Fenster, das zur Straße hinausging, zerbarst mit einem lauten Krachen und etwas Großes, Weißes rauschte ins Zimmer. Scherben und Schnee fielen zu Boden.

Das Schreien blieb mir im Halse stecken, als ich Daemon aufspringen und zum Lux werden sah. Sein ganzer Körper verwandelte sich in Licht und leuchtete so hell, dass ich ihn einige Sekunden lang nur anstarren konnte.

Heilige Scheiße, fluchte Daemons Stimme in meinem Kopf.

Da er aber davon abgesehen erstaunlich ruhig blieb, rappelte ich mich auf und wagte einen Blick über die Bettkante.

»Heilige Scheiße«, wiederholte ich laut.

Unser kostbarer Moment der Normalität hatte mit einer Leiche auf dem Fußboden meines Zimmers ein jähes Ende gefunden.

Kapitel 2

Ich starrte auf den weiß gekleideten toten Mann hinab, der aussah wie der Rebellen-Allianz in der Schlacht von Hoth entsprungen. Im ersten Moment konnte ich nicht klar denken, deshalb dauerte es einige Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass er diese Kleidung wahrscheinlich trug, um im Schnee nicht gesehen zu werden. Allerdings floss inzwischen ziemlich viel Rot aus seinem Kopf …

Mein ohnehin bereits wie wild pochendes Herz schaltete in den Turbogang. »Daemon?«

Er wirbelte herum, nahm dabei wieder seine menschliche Erscheinungsform an und zog mich, den Arm um meine Taille geschlungen, fort von dem schrecklichen Anblick.

»Das ist ein … ein Beamter«, stammelte ich und zerrte an seinem Arm, um mich zu befreien. »Er ist vom –«

Plötzlich stand Dawson im Türrahmen und seine Augen glühten genau wie Daemons – zwei helle, weiße Lichter, die an geschliffene Diamanten erinnerten. »Er hat sich draußen am Waldrand rumgeschlichen.«

Daemons Arm glitt von meiner Taille. »Du … du hast das getan?«

Sein Bruder blickte auf das leblose Wesen hinab. Ich konnte in dem unnatürlich verdrehten weißen Etwas, das vor uns lag, einfach keinen Menschen sehen. »Er hat das Haus bespitzelt – Fotos gemacht.« Dawson hielt etwas hoch, das aussah wie eine geschmolzene Kamera. »Ich habe dem ein Ende gesetzt.«

Super, ein Ende direkt durch mein Fenster.

Daemon ließ mich stehen, kniete sich neben dem leblosen Etwas hin und öffnete die Daunenjacke. Auf der Brust war eine verkohlte Stelle zu sehen, aus der Rauch aufstieg. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft.

Ich kletterte aus dem Bett und hielt mir vorsichtshalber die Hand vor den Mund, falls ich mich übergeben müsste. Ich hatte bereits miterlebt, wie Daemon mit Hilfe der Quelle – der Licht entsprungenen Kraft der Lux – einen Menschen erledigt hatte. Nur Asche war davon übrig geblieben, dem Etwas aber war ein Loch in die Brust gebrannt worden.

»Schlecht gezielt, Bruder.« Daemon ließ die Jacke los und ich sah, wie sich die Muskelstränge auf seinem Rücken vor Anspannung wölbten. »Durchs Fenster?«

Dawson blickte auf die zerborstene Scheibe. »Ich bin aus der Übung.«

Fassungslos sah ich ihn an. Aus der Übung? Anstatt seinen Gegner direkt in Flammen aufgehen zu lassen, hatte er ihn in die Luft und durch mein Fenster katapultiert. Ganz abgesehen davon hatte er ihn nebenbei auch getötet. Nein, darüber wollte ich lieber nicht nachdenken.

»Meine Mutter bringt mich um«, murmelte ich und war wie betäubt. »Sie bringt mich ganz sicher um.«

Ein zerbrochenes Fenster – das war wirklich das letzte meiner Probleme, aber mich darauf zu konzentrieren war immer noch besser als der Gedanke an das leblose Etwas auf dem Boden.

Daemon erhob sich langsam mit versteinerter Miene, ohne seinen Bruder aus den Augen zu lassen. Ich schaute ebenfalls zu Dawson, und als sich unsere Blicke trafen, hatte ich zum ersten Mal Angst vor ihm.

Nachdem ich mich kurz gewaschen und angezogen hatte, stand ich nun zum ersten Mal seit Tagen wieder im Wohnzimmer. Ich war umgeben von Aliens. Wenn man, wie sie, aus Licht bestand, konnte man ja von einem Augenblick auf den nächsten überall hingelangen, was manchmal durchaus vorteilhaft sein konnte.

Seit Adams Tod war ich von ihnen allen eher gemieden worden, deshalb war ich mir nicht sicher, was mir jetzt bevorstand. Wahrscheinlich würden sie mich lynchen. Ich jedenfalls würde das mit der Person tun wollen, die für den Tod von jemandem verantwortlich war, den ich geliebt hatte.

Die Hände in den Taschen vergraben stand Dawson mit dem Rücken zum Raum an dem Fenster, vor dem einst der Weihnachtsbaum gestanden hatte, und presste die Stirn gegen die Scheibe. Seit die Aliens auf das Bat-Signal reagiert und herbeigeeilt waren, hatte er nichts gesagt.

Dee saß auf dem Sofa und starrte ihren Bruder von hinten an. Sie wirkte verärgert, ihre Wangen waren vor Wut gerötet. Wahrscheinlich war es schmerzhaft für sie, in diesem Haus zu sein. Oder auch nur in meiner Nähe. Wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt, miteinander zu reden, nachdem … das alles passiert war.

Mein Blick wanderte zu den anderen Aliens. Die teuflischen Super-Zwillinge Ash und Andrew hatten neben Dee Platz genommen und starrten auf die Stelle, wo ihr Bruder Adam zuletzt gestanden hatte … wo er gestorben war.

Auch ich fühlte mich nicht wohl hier im Wohnzimmer. Immerhin hatte Blake in diesem Raum gebeichtet, worin seine wahre Aufgabe bestand. Jedes Mal, wenn ich seither den Raum betreten hatte, was nicht oft vorgekommen war, da ich all meine Bücher herausgeräumt hatte, war mein Blick unwillkürlich zu dem Fleck links neben dem Teppich unter dem Tisch gewandert. Die Dielen glänzten wieder sauber, doch ich sah dort noch immer die bläuliche Lache, die ich am Silvesterabend gemeinsam mit Matthew aufgewischt hatte.

Ich umarmte mich selbst, um den kalten Schauer abzufangen, der mir über den Rücken lief.

Schritte kamen die Treppe herab, und als ich mich umdrehte, sah ich Daemon und Matthew. Sie hatten sich sofort darum gekümmert … das Etwas zu entsorgen, indem sie es draußen, tief im Wald, verbrannt hatten. Natürlich hatten sie vorher kurz sichergestellt, dass die Luft rein war.

Daemon kam zu mir und zog leicht an meinem Kapuzenpulli. »Alles erledigt.«

Kaum zehn Minuten zuvor waren Matthew und er mit einer Plane, einem Hammer und Nägeln hinaufgegangen. »Danke.«

Er nickte und sein Blick wanderte zu seinem Bruder. »Hat jemand ein Fahrzeug gefunden?«

»An der Zufahrtsstraße stand ein Ford Expedition«, antwortete Andrew blinzelnd. »Ich habe ihn abgefackelt.«

Matthew setzte sich auf die Lehne des Fernsehsessels. Er sah aus, als könnte er einen Drink vertragen. »Gut, auch wenn es natürlich nicht gut ist.«

»Ach nein?«, fauchte Ash. Auf den zweiten Blick war sie heute nicht die wie aus dem Ei gepellte perfekte Prinzessin. Ihr Haar war stumpf und strähnig und sie trug eine Jogginghose. Ich konnte mich nicht erinnern sie schon einmal in einer Jogginghose gesehen zu haben. »Noch ein toter VM-Beamter. Wie viele sind es jetzt? Zwei?«

Tatsächlich waren es bereits vier, aber das mussten wir ihnen ja nicht unter die Nase reiben.

Sie kämmte sich mit den Händen das Haar aus dem Gesicht und drückte sich anschließend die Finger mit dem abgeplatzten Nagellack in die Wangen. »Sie werden sich fragen, wo die Leute abgeblieben sind. So jemand verschwindet doch nicht einfach.«

»Es verschwinden immer wieder Leute«, erwiderte Dawson ruhig, ohne sich umzudrehen. Es war, als würden seine Worte der Luft den Sauerstoff entziehen.

Ashs tiefblaue Augen schossen in seine Richtung. Na ja, eigentlich sahen ihn alle an, da er zum ersten Mal sprach, seit wir versammelt waren. Sie schüttelte den Kopf, war aber so schlau, sich einen Kommentar zu verkneifen.

»Was ist mit der Kamera?«, erkundigte sich Matthew.

Ich hob das geschmolzene Gerät hoch und drehte es um. Es strahlte noch immer Wärme ab. »Vielleicht waren mal Bilder darauf, aber jetzt sicher nicht mehr.«

Dawson drehte sich um. »Er hat dieses Haus beobachtet.«

»Das wissen wir«, antwortete Daemon und rückte näher an mich heran.

Sein Bruder neigte den Kopf zur Seite und sagte tonlos: »Wen interessiert, was auf der Kamera war? Sie haben dich beobachtet – sie. Uns alle.«

Wieder lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Mehr als alles andere war es der Beiklang in seiner Stimme, der mich erschreckte.

»Aber beim nächsten Mal sollten wir irgendwie … ach, ich weiß auch nicht, uns erst besprechen, bevor Leute durchs Fenster geschleudert werden.« Daemon verschränkte die Arme. »Können wir das bitte versuchen?«

»Und Mörder einfach laufenlassen?«, fragte Dee mit bebender Stimme, während sich ihre Miene verfinsterte und die Augen wütend funkelten. »Denn genau das sollte dann anscheinend passieren. Der Typ hätte einen von uns umbringen können und du hättest ihn einfach laufenlassen.«

O nein. Mir wurde übel.

»Dee«, sagte Daemon und trat vor. »Ich weiß –«

»Verschon mich mit deinem ›Dee, ich weiß‹.« Ihre Unterlippe zitterte. »Du hast Blake laufenlassen.« Ihr Blick wanderte zu mir und fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. »Ihr beide habt Blake laufenlassen.«

Kopfschüttelnd ließ Daemon die verschränkten Arme sinken. »Dee, in dieser Nacht waren schon genug Leute gestorben. Es hat genug Tote gegeben.«

Dee hielt sich die Hände vor den Körper, als müsste sie sich vor Daemons Worten schützen.

»Adam hätte es nicht gewollt«, meldete sich Ash ruhig zu Wort und lehnte sich zurück. »Noch mehr Tote. Er war echt ein Pazifist.«

»Schade, dass wir ihn nicht fragen können, wie er dazu steht, stimmt’s?« Dee setzte sich aufrechter hin. Offenbar fiel es ihr schwer, die nächsten Worte über die Lippen zu bringen. »Er ist nämlich tot.«

In Gedanken formulierte ich bereits Entschuldigungen, doch bevor ich sie aussprechen konnte, ergriff Andrew das Wort: »Ihr habt Blake nicht nur laufenlassen, ihr habt uns auch angelogen.« Er zeigte auf mich. »Von ihr erwarte ich keine Loyalität, von dir aber schon, Daemon. Doch du hast uns nichts gesagt. Und Adam ist gestorben.«

Ich fuhr herum. »Daemon ist nicht schuld an Adams Tod. Schieb ihm das nicht in die Schuhe.«

»Kat –«

»Wessen Schuld ist es dann?« Dee suchte meinen Blick. »Deine?«

Scharf sog ich die Luft ein. »Ja.«

Daemon erstarrte neben mir, doch dann schaltete sich Matthew ein, der unermüdliche Vermittler: »Okay, Leute, es reicht. Streiten und sich gegenseitig die Schuld zuweisen hilft niemandem weiter.«

»Aber man fühlt sich besser danach«, murmelte Ash und schloss die Augen.

Ich setzte mich auf die Tischkante und blinzelte verärgert Tränen fort, da ich das Gefühl hatte, nicht das Recht zum Weinen zu haben. Das hatten nur die anderen. Ich bohrte die Finger, so fest ich konnte, in meine Knie und atmete tief durch.

»Wir müssen jetzt zusammenhalten«, sagte Matthew. »Wir alle, denn wir haben bereits zu viel verloren.«

Eine Weile herrschte Schweigen, dann: »Ich mache mich auf die Suche nach Beth.«

Wieder gingen alle Blicke zu Dawson. Nach wie vor zeigte er keinerlei Regung. Kein Gefühl. Nichts. Und dann begannen alle auf einmal zu reden.

Daemon übertönte das Stimmengewirr: »Auf keinen Fall, Dawson. Niemals.«

»Das ist viel zu gefährlich.« Dee stand auf und knetete ihre Finger. »Dann schnappen sie dich wieder und das würde ich nicht überleben. Nicht noch einmal.«

Dawsons Miene blieb ausdruckslos, als würde alles, was seine Familie und Freunde sagten, von ihm abprallen. »Ich muss sie da rausholen. Tut mir leid.«

Ash sah aus wie vor den Kopf geschlagen und mir ging es nicht anders. »Der ist nicht ganz dicht«, flüsterte sie.

Dawson zuckte nur mit den Schultern.

Matthew beugte sich vor. »Dawson, ich weiß, wir alle wissen, dass Beth dir viel bedeutet, aber du kannst sie da nicht rausholen. Nicht, solange wir nicht wissen, woran wir sind.«

Dawsons Augen blitzten flaschengrün auf. Es war Wut. Die erste Gefühlsregung, die ich bei Dawson erlebte, war Wut. »Ich weiß, woran ich bin. Und ich weiß, was sie ihr antun.«

Daemon bewegte sich langsam auf seinen Bruder zu und blieb dann breitbeinig und mit erneut verschränkten Armen zum Kampf bereit vor ihm stehen. Sie so zusammen zu sehen war fast surreal. Abgesehen davon, dass Dawson schmaler war und struppigeres Haar hatte, sahen sie genau gleich aus.

»Das kann ich nicht zulassen«, sagte Daemon und seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. »Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber niemals.«

Dawson rührte sich nicht vom Fleck. »Das hast du aber nicht zu entscheiden. Du hattest noch nie über mich zu entscheiden.«

Zumindest redeten sie miteinander. Das war doch immerhin etwas, oder?

Die beiden Brüder in direkter Konfrontation zu sehen war seltsam beruhigend und besorgniserregend zugleich. Auf jeden Fall war es etwas, was Daemon und Dee geglaubt hatten nie mehr zu erleben.

Aus den Augenwinkeln sah ich Dee auf sie zugehen, doch Andrew hielt sie zurück.

»Ich will dich nicht kontrollieren, Dawson. Darum geht es mir nicht, aber du bist gerade erst direkt aus der Hölle entkommen. Wir haben dich gerade erst wiederbekommen.«

»Ich bin noch immer in der Hölle«, antwortete Dawson. »Und wenn du mir in die Quere kommst, ziehe ich dich mit hinein.«

Gequält verzog Daemon das Gesicht. »Dawson …«

Ohne nachzudenken, sprang ich auf. Ich konnte nicht anders. Wahrscheinlich ertrug ich den Schmerz in seinem Gesicht nicht, weil ich Daemon liebte. Jetzt verstand ich, warum meine Mom manchmal zur Furie wurde, wenn sie meinte, dass ich ungerecht behandelt würde oder traurig war.

Ein Luftzug fegte durchs Wohnzimmer, fuhr in die Vorhänge und blätterte die Seiten der Zeitschriften meiner Mutter um. Ich spürte Dees und Ashs überraschte Blicke, aber ich war nicht mehr aufzuhalten.

»Okay, das ist mir hier gerade ein bisschen zu viel Alien-Testosteron und ich habe echt keine Lust auf so ein außerirdisches Gerangel in meinem Haus, nachdem ich gerade mit einem zerstörten Fenster und einer Leiche klarkommen musste.« Ich holte tief Luft. »Wenn ihr also nicht sofort aufhört, trete ich euch beide in den Arsch.«

Jetzt starrten alle mich an. »Was ist?«, fragte ich mit glühenden Wangen.

Ein schiefes Lächeln umspielte Daemons Lippen. »Krieg dich ein, Kätzchen, sonst muss ich dir noch eine Garnrolle zum Spielen holen.«

In mir begann es zu brodeln. »Lass mich in Ruhe, du Knallkopf.«

Grinsend wandte er sich seinem Bruder zu.

Dawson wirkte irgendwie … amüsiert. Oder ihn schmerzte etwas – man konnte es nicht eindeutig sagen, da er weder richtig lächelte noch wirklich finster dreinblickte. Doch dann marschierte er, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Wohnzimmer und schlug die Haustür hinter sich zu.

Daemon sah mich an und ich nickte. Daraufhin seufzte er tief und folgte seinem Bruder, denn niemand konnte sicher sein, was Dawson vorhatte und wohin er gehen würde.

Das Alien-Krisengespräch war damit beendet. Ich begleitete die anderen noch zur Tür und ließ dabei vor allem Dee nicht aus den Augen. Wir mussten unbedingt miteinander reden. Zuerst wollte ich mich für viele Dinge entschuldigen und ihr dann einiges erklären. Auch wenn ich nicht damit rechnete, dass sie mir verzieh, sollte ich wenigstens versuchen auf sie zuzugehen.

Ich umfasste den Türknauf so fest, dass die Knöchel weiß wurden. »Dee …?«

Steif blieb sie auf der Veranda stehen, ohne sich zu mir umzudrehen. »Ich bin noch nicht bereit.«

Meine Hand rutschte vom Knauf und die Tür schlug zu.

Kapitel 3

Was meine Mom betraf, bewegte ich mich zurzeit ohnehin auf dünnem Eis, deshalb beschloss ich die zerbrochene Scheibe nicht zu erwähnen, als sie später am Abend anrief. Ich hoffte und betete, dass die Straße zu uns noch rechtzeitig geräumt würde, damit jemand herkommen könnte, um das Fenster zu reparieren, bevor sich meine Mutter auf den Heimweg machte.

Ich log sie nur sehr ungern an. In letzter Zeit tat ich es jedoch ziemlich oft. Ich wusste, dass ich ihr früher oder später alles erzählen musste, besonders was ihren angeblichen Freund Will anging. Doch wie sollte dieses Gespräch verlaufen? Ach Mom, unsere Nachbarn sind übrigens Aliens. Einer von ihnen hat mich aus Versehen mutiert und Will ist ein Psychopath. Noch Fragen?

So sicher nicht.

Ich wollte das Telefonat gerade beenden, als sie wieder davon anfing, dass ich unbedingt wegen meiner Stimme zum Arzt gehen müsse. Sie zu beschwichtigen, dass es nur eine Erkältung war, funktionierte für den Moment, aber wie würde ich mich in einer oder zwei Wochen rausreden? O Mann, ich hoffte inständig, dass meine Stimme sich bis dahin gebessert hätte, befürchtete allerdings, dass das nicht geschehen würde. Noch etwas, das mich daran erinnerte … an die ganze Situation.

Ich musste ihr die Wahrheit sagen.

Nachdem wir uns schließlich doch verabschiedet hatten, nahm ich eine Packung Fertigmakkaroni mit Käse aus dem Schrank und wollte sie schon in die Mikrowelle stellen, als ich kurz innehielt und stirnrunzelnd auf meine Hände schaute. Besaß auch ich diese Mikrowellenkräfte wie Dee und Daemon? Schulterzuckend leerte ich die Packung in eine Schüssel. Ich war zu hungrig, um das Risiko einzugehen.

Hitze war nicht mein Ding. Als Blake mir hatte beibringen wollen, wie man mit Hilfe der Quelle Wärme – also Feuer – erzeugte, hatte ich meine Hände und nicht die Kerze in Brand gesetzt.

Während ich auf die Makkaroni wartete, schaute ich durch das Fenster über der Spüle nach draußen. Dawson hatte Recht gehabt. Tagsüber, im Sonnenlicht, war die Landschaft tatsächlich traumhaft schön gewesen. Schnee bedeckte Boden und Bäume. Von den Ulmen hingen Eiszapfen. Und obwohl die Sonne inzwischen untergegangen war, ging von der Welt draußen ein Zauber aus, dass ich sogar jetzt noch Lust bekam rauszulaufen.

Doch dann gab die Mikrowelle ein Ding von sich und ich aß mein ungesundes Abendessen im Stehen. Dabei bildete ich mir ein, dass ich auf diese Weise wenigstens Kalorien verbrannte. Seit ich dank Daemon zu diesem unheimlichen mutierten Alien-Mensch-Hybriden geworden war, hatte ich einen monstermäßigen Appetit. Im Haus war seit dem Wochenende, an dem wir eingeschneit worden waren, kaum noch etwas Essbares zu finden.

Nachdem ich die ganze Portion vertilgt hatte, holte ich meinen Laptop und setzte mich damit an den Küchentisch. Da ich in den letzten Tagen meinen Kopf oft sonst wo gehabt hatte, wollte ich schnell etwas nachschauen, bevor ich es vergaß. Wieder einmal.

Ich öffnete Google, tippte DAEDALUS ein und drückte auf Enter. Der erste Eintrag war von Wikipedia und ich klickte darauf, da ich nicht damit rechnete, eine Seite zu finden, auf der man begrüßt wurde mit »Willkommen bei Daedalus, einer staatlichen Geheimdienstorganisation«.

Was ich bekam, war eine Einführung in die griechische Mythologie.

Dädalus galt als Erfinder, der unter anderem das Labyrinth entworfen hatte, in dem Minotaurus lebte. Sein Sohn war Ikarus, der Typ, der mit von Dädalus gefertigten Flügeln der Sonne zu nahe kam und dann ertrank. Ikarus ließ das Fliegen übermütig werden, und wie die Götter nun einmal waren, sollte es wahrscheinlich eine Art indirekte Bestrafung sein, dass er seine Flügel verlor. Und damit auch eine Bestrafung für Dädalus, der Ikarus mit dem Gerüst ausgestattet hatte, das dem Jungen die gottgleiche Fähigkeit zu fliegen verlieh.

Nette Geschichtsstunde, aber was sollte das? Warum benannte das VM eine Organisation, die ein Projekt leitete, in dem Menschen mutiert wurden, nach irgendeinem x-beliebigen Typen –?

Plötzlich wusste ich es.

Dädalus hatte alle möglichen Dinge erfunden, um Menschen zu verbessern, und die Sache mit den gottgleichen Fähigkeiten erinnerte natürlich an die von den Lux mutierten Menschen. Ein gewisser logischer Sprung blieb, aber wahrscheinlich war die Regierung tatsächlich so überzeugt von sich, dass sie ihre Organisation nach einer griechischen Legende benennen würden.

Ich klappte den Laptop zu, stand auf, und ehe ich mich’s versah, hatte ich nach meiner Jacke gegriffen und war draußen. Ich hatte keine Ahnung, warum. Immerhin konnte es sein, dass noch mehr Beamte draußen herumschlichen. Sofort sah ich mit meiner blühenden Fantasie einen Scharfschützen, der sich in einem Baum versteckte, und einen roten Punkt auf meiner Stirn. Na, bravo.

Seufzend zog ich ein Paar Handschuhe aus der Jackentasche, stakste durch die Schneemassen und begann eine Schneekugel durch den Vorgarten zu rollen. Um nicht durchzudrehen, hatte ich das dringende Bedürfnis, mich körperlich zu betätigen. Innerhalb weniger Monate und dann wieder innerhalb weniger Sekunden hatte sich für mich alles verändert. Aus dem schüchternen Buchfreak Katy war etwas Unbegreifliches geworden; nicht nur auf zellulärer Ebene war ich jetzt jemand anders. Die Welt war für mich nicht mehr nur schwarz und weiß, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass soziale Normen für mich keine Bedeutung mehr hatten.

Du sollst nicht töten oder so was, zum Beispiel.

Ich hatte Brian Vaughn nicht getötet, den Beamten, den Will bezahlt hatte, damit er mich an ihn und nicht an Daedalus auslieferte. Denn ich konnte als Druckmittel eingesetzt werden, damit Daemon ihn mutierte. Ich hatte ihn nicht getötet, hatte es aber tun wollen und hätte es auch getan, wenn Daemon nicht schneller gewesen wäre.

Jemand anderen zu töten wäre für mich also vollkommen in Ordnung gewesen.

Dieser Gedanke, dass ich kein Problem damit gehabt hätte, einen Menschen zu töten, belastete mich seltsamerweise mehr, als zwei Arum tatsächlich getötet zu haben. Ich war mir nicht sicher, was das über mich aussagte, denn wie Daemon es einmal formuliert hatte, war ein Leben ein Leben, und ich fragte mich, wie ich die Aussage »Hat keine Probleme, zu töten« auf der »Über mich«-Seite meines Buchblogs unterbringen sollte.

Die Wollhandschuhe waren bereits vollkommen durchnässt, als ich mit der ersten Kugel fertig war und mich an die zweite machte. Die körperliche Betätigung bewirkte nichts, als dass sie in der frostigen, nach Schnee riechenden Luft meine Wangen zum Glühen brachte. Ziel verfehlt.

Letztendlich bestand mein Schneemann aus drei Teilen, hatte aber weder Arme noch Gesicht. In gewisser Weise spiegelte er wider, wie ich mich fühlte. Mir fehlten zwar keine Körperteile, aber doch etwas Entscheidendes, um echt zu sein.

Ich wusste nicht mehr, wer ich eigentlich war.

Nachdem ich einen Schritt zurückgetreten war, fuhr ich mir mit dem Ärmel über die Stirn und atmete keuchend aus. Meine Muskeln schmerzten und die Haut brannte, doch ich blieb reglos stehen, bis der Mond hinter den dicken Wolken hervorkam und meine unvollständige Kreatur in silbernes Licht tauchte.

An diesem Morgen hatte ein Toter in meinem Zimmer gelegen.

Ich setzte mich mitten im Vorgarten in den kalten Schnee. Ein Toter – noch ein Toter, genau wie Vaughn, dessen lebloser Körper in meiner Einfahrt gelegen hatte, und wie Adam, der in meinem Wohnzimmer gestorben war. Ein weiterer Gedanke, den ich versucht hatte nicht zuzulassen, bahnte sich einen Weg durch jegliche Verdrängungsmechanismen hindurch. Adam hatte sterben müssen, weil er mich hatte beschützen wollen.

Die kalte, feuchte Luft stach mir in den Augen.

Wenn ich ehrlich mit Dee gewesen wäre und ihr von Anfang an erzählt hätte, was in jener Nacht auf der Lichtung, als wir Baruck niedergerungen hatten, und danach geschehen war, wären Adam und sie vorsichtiger gewesen, bevor sie mein Haus gestürmt hätten. Sie hätten über Blake Bescheid gewusst und dass er war wie ich und damit in der Lage, auf frisiertem Alien-Niveau zu kämpfen.

Blake.

Ich hätte auf Daemon hören sollen. Stattdessen hatte ich mich selbst beweisen und glauben wollen, dass Blake es gut meinte, während Daemon gespürt hatte, dass mit dem Typen etwas nicht stimmte. Spätestens als er mir ein Messer an den Kopf geworfen und mich mit einem Arum allein gelassen hatte, hätte ich wissen müssen, dass er wahnsinnig war.

Aber war Blake tatsächlich wahnsinnig? Ich glaubte eher, dass er verzweifelt gewesen war. Nichts war ihm wichtiger als sein Freund Chris und so war er in seiner Rolle gefangen. Blake hätte alles getan, um Chris zu beschützen. Nicht weil sein Leben mit den Lux verbunden war, sondern weil ihm sein Freund so viel bedeutete. Vielleicht hatte ich ihn deshalb nicht getötet, weil ich in jenen Momenten, in denen alles nur noch Chaos war, in Blake auch mich selbst sah.

Ich hätte kein Problem damit gehabt, seinen Onkel zu töten, um meine Freunde zu beschützen.

Und Blake hatte meinen Freund getötet, um seinen zu beschützen.

Wer war im Recht? War es überhaupt jemand?

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich das warme Prickeln in meinem Nacken nicht beachtete. Deshalb fuhr ich zusammen, als ich Daemons Stimme hörte.

»Kätzchen, was tust du da?«

Ruckartig hob ich den Kopf und drehte mich um. Nur mit einem dünnen Pullover und Jeans bekleidet stand er hinter mir. Hinter den dichten Wimpern sah ich seine Augen schimmern.

»Ich habe einen Schneemann gebaut.«

Er löste den Blick von mir und schaute über mich hinweg. »Aha. Ihm fehlt aber was.«

»Stimmt«, pflichtete ich ihm missmutig bei.

Daemon runzelte die Stirn. »Das ist aber keine Erklärung dafür, warum du im Schnee hockst. Deine Hose ist bestimmt total durchnässt.« Er hielt inne und im nächsten Moment waren seine Stirnfalten wie ausgebügelt. »Warte mal. Das dürfte mir allerdings einen besseren Blick auf deinen Hintern verschaffen.«

Ich lachte. Daemon konnte jede Situation entschärfen.

Als er auf mich zukam, hatte ich das Gefühl, der Schnee würde für ihn weichen. Im Schneidersitz setzte er sich neben mich. Einen Moment lang sagte keiner von uns etwas, dann stieß er mich mit der Schulter an.

»Jetzt mal ehrlich, was tust du hier draußen?«, fragte er.

Ich hatte noch nie etwas vor ihm verstecken können, aber ihm gegenüber vollkommen offen zu sein, dazu war ich noch nicht bereit. »Was ist mit Dawson? Ist er schon abgehauen?«

Erst sah Daemon so aus, als wollte er weiterbohren, doch dann nickte er. »Noch nicht, weil ich ihm heute wie ein Babysitter auf Schritt und Tritt gefolgt bin. Ich habe schon überlegt, ob ich ihm nicht ein Glöckchen umhängen sollte.«

Ich lachte leise. »Ich bezweifele, dass er das gut fände.«

»Das ist mir egal.« Seine Stimme klang leicht gereizt. »Abhauen, um Beth zu suchen, das kann nicht gut enden. Das wissen wir alle.«

Da hatte er Recht. »Daemon, hast du …«

»Was?«

Es war schwer, auszusprechen, was ich dachte, denn sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten, wurden sie Wirklichkeit. »Warum sind sie nicht gekommen, um Dawson zu suchen? Sie müssen doch wissen, dass er hier ist. Es wäre der erste Ort, an den er zurückkehren würde. Und sie haben uns offensichtlich beschattet.« Ich deutete auf unsere Häuser. »Warum haben sie ihn nicht geholt? Uns nicht geholt?«

Daemon betrachtete den Schneemann und schwieg lange, bevor er antwortete. »Ich weiß es nicht, aber ich habe eine Vermutung.«

Ich versuchte den Angstkloß im Hals hinunterzuschlucken. »Was denn für eine Vermutung?«

»Willst du sie wirklich hören?« Als ich nickte, wandte er sich wieder dem Schneemann zu. »Ich glaube, das VM wusste von Wills Plänen. Sie wussten, dass er für Dawsons Befreiung sorgen würde. Und sie ließen es zu.«

Ich holte Luft und nahm eine Handvoll Schnee auf. »Das glaube ich auch.«

Er sah mich mit gesenkten Lidern an. »Die Frage ist nur, warum.«

»Es kann nichts Gutes bedeuten.« Ich ließ den Schnee durch die behandschuhten Finger gleiten. »Das ist eine Falle. Mit Sicherheit.«

»Wir werden bereit sein«, erwiderte er nach einer Weile. »Keine Sorge, Kat.«

»Ich mache mir keine Sorgen.« Was schlicht gelogen war, aber es schien mir, als wäre es die richtige Reaktion. »Irgendwie müssen wir ihnen immer einen Schritt voraus sein.«

»Stimmt.« Daemon streckte seine langen Beine aus. Das Blau seiner Jeans war jetzt auf der Unterseite dunkler. »Weißt du, warum wir den Menschen nicht auffallen?«

»Indem ihr sie erst in Wut versetzt und euch dann rarmacht?« Ich grinste ihn herausfordernd an.

»Ha. Ha. Nein. Wir verstellen uns. Die ganze Zeit tun wir so, als wären wir nicht anders, als wäre nichts geschehen.«

»Ich kann dir nicht folgen.«

Er ließ sich auf den Rücken fallen. Sein dunkles Haar bildete einen scharfen Kontrast zu dem Weiß. »Wenn wir so tun, als wären wir nicht misstrauisch, warum Dawson entlassen wurde, und als hätten wir keinen Schimmer, dass sie von unseren Fähigkeiten wissen, dann gewinnen wir vielleicht Zeit, um herauszufinden, was sie vorhaben.«

Er spreizte die Arme seitlich vom Körper ab. »Glaubst du, dass sie dann irgendwann einen Fehler machen?«

»Keine Ahnung. Ich würde kein Geld darauf setzen, aber es verschafft uns einen gewissen Vorteil. Das ist das Beste, was wir momentan erreichen können.«

Das Beste war aber nicht gerade besonders gut.

Grinsend, als wäre alles in Butter, begann er Arme und Beine im Schnee wie Scheibenwischer auf und ab zu bewegen. Sehr gut aussehende Scheibenwischer.

Ich fing an zu lachen, doch vor Rührung blieb es mir im Hals stecken. Niemals hätte ich gedacht, dass Daemon darauf stand, Schneeengel zu machen. Irgendwie löste es in mir ein warmes Gefühl aus.

»Mach du auch mal«, forderte er mich mit geschlossenen Augen auf. »Das lässt die Dinge ganz anders aussehen.«

Ich bezweifelte, dass es irgendwas anders aussehen lassen würde, dennoch legte ich mich neben ihn und folgte seinem Beispiel. »Ich habe Daedalus gegoogelt.«

»Ach ja? Und was hast du rausgefunden?«

Ich erzählte ihm von dem Mythos und meiner Vermutung, was Daemon mit einem verächtlichen Lächeln kommentierte. »Würde mich nicht wundern – zu viel Ego im Spiel.«

»Das sagt der Richtige.«

»Ha, ha, wie witzig.«

Ich grinste. »Inwiefern soll das die Dinge übrigens anders aussehen lassen?«

Er lachte glucksend. »Warte noch ein bisschen.«

Das tat ich, bis er innehielt, sich aufsetzte und dann nach meiner Hand griff und mich ebenfalls hinaufzog. Wir klopften einander den Schnee ab, wobei Daemon an bestimmten Stellen ein wenig länger klopfte. Anschließend drehten wir uns zu den Schneeengeln um.

Meiner war viel kleiner und oben deutlicher als unten. Seiner hingegen perfekt – Angeber. Ich verschränkte die Arme vor dem Körper. »Und jetzt warten wir auf die Erleuchtung, oder was?«

»Die wird nicht kommen.« Er legte einen Arm um meine Schulter und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Seine Lippen waren so warm. »Aber es hat Spaß gemacht, oder? So …« Er führte mich zu dem Schneemann. »Und jetzt lass uns deinen Schneemann fertig bauen. So kann er nicht bleiben. Jedenfalls nicht, wenn ich in der Nähe bin.«

Mein Herz machte einen Freudensprung. Einmal mehr fragte ich mich, ob Daemon in der Lage war, Gedanken zu lesen. Wenn er wollte, konnte er genau ins Schwarze treffen. Ich legte den Kopf an seine Schulter und wunderte mich wieder mal, wie aus einem Vollidioten jemand hatte werden können, der … mich zwar nach wie vor regelmäßig zur Weißglut trieb, aber mich auch immer wieder überraschte und erstaunte.

Jemand, in den ich absolut und wahnsinnig verliebt war.

Kapitel 4

Sobald die Schneepflüge unterwegs gewesen und ein Weg durch den Ort, die Seitenstraßen eingeschlossen, freigeschoben war, hatte Matthew den Glaser vorbeigeschickt. Nur wenige Minuten bevor meine Mom am Freitag nach Hause kam, war er gegangen. Sie sah aus, als hätte sie in ihrem gepunkteten Kittel gegessen, geschlafen und Leben gerettet.

Sie umarmte mich so schwungvoll, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. »Ich habe dich vermisst, mein Schatz!«

Ich drückte sie fest zurück. »Ging mir genauso. Ich …« Ich ließ sie los und blinzelte Tränen weg. Schnell wandte ich mich ab und räusperte mich. »Hast du in der letzten Woche überhaupt einmal geduscht?«

»Nein.« Sie versuchte mich abermals zu umarmen, doch ich sprang zurück. Sie lachte, dennoch sah ich Traurigkeit in ihren Augen aufblitzen, bevor sie sich auf den Weg in die Küche machte. »Das war ein Spaß. Natürlich gibt es im Krankenhaus Duschen. Ich bin sauber. Ich schwöre es!«

Ich folgte ihr. Als sie direkt auf den fast leeren Kühlschrank zusteuerte, zuckte ich zusammen. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, trat sie einen Schritt zurück und sah mich über die Schulter hinweg an. Eine Strähne hatte sich aus ihrem blonden Haarknoten gelöst.

Sie zog die elegant geschwungenen Brauen zusammen und rümpfte die feine, kleine Nase. »Katy …?«

»Tut mir leid.« Ich hob verlegen die Schultern. »Ich war eingeschneit. Und in letzter Zeit irgendwie ziemlich hungrig. Sehr hungrig.«

»Das sieht man.« Sie schloss die Tür. »Kein Problem. Ich fahre später einkaufen. Die Straßen sind wieder ganz gut befahrbar.« Sie hielt inne und rieb sich die Stirn. »Na ja, einige sehen immer noch aus, als bräuchte man dafür ein Schneemobil, aber bis zum Supermarkt schaffe ich es schon.«

Das bedeutete, dass am Montag auch wieder Schule sein würde. Buh. »Ich kann mitkommen.«

»Das wäre nett. Jedenfalls solange du mir den Wagen nicht mit allem möglichen Zeug vollräumst und dann ausrastest, wenn ich es wieder zurückstelle.«

Ich sah sie ungläubig an. »Ich bin ja nicht zwei.«

Ihr verschmitztes Lächeln wurde von einem Gähnen unterbrochen. »Ich hatte kaum eine Pause. Die meisten Schwestern sind nicht reingekommen. Ich war zuständig für die Notaufnahme, die Gynäkologie und meinen absoluten Favoriten«, sie griff nach einer Flasche Wasser, »die Entgiftungsstation.«

»Wie ätzend.« Ich folgte ihr noch immer auf Schritt und Tritt. Irgendwie war ich gerade Mom-bedürftig.

»Du kannst es dir gar nicht vorstellen.« Sie trank einen Schluck und blieb dann am Fuß der Treppe stehen. »Sie haben auf mich geblutet, gepinkelt und gekotzt. Meistens – aber nicht immer – in dieser Reihenfolge.«

»Ihh«, rief ich und fügte in Gedanken Krankenschwester zu Schulsekretärin auf der Liste der Jobs hinzu, die ich nie und nimmer ergreifen würde.

»Ach!« Auf halbem Weg die Treppe hinauf blieb sie unvermittelt auf dem Rand einer Stufe stehen. O nein. »Bevor ich es vergesse. Ab nächste Woche arbeite ich am Wochenende in Winchester. Dort ist am Samstag und Sonntag im Krankenhaus mehr los als hier und Will hat an den Wochenenden sowieso Dienst, deshalb passt es auch besser.«

Was auch bedeutete, dass sie noch länger von zu Hause fort wäre – Was? Mein Herz stockte und ich hatte das Gefühl zu fallen, in einen Strudel hineingezogen zu werden. »Was hast du gesagt?«

Meine Mutter sah mich besorgt an. »Schatz, deine Stimme … Ich würde dir wirklich gern einmal in den Hals schauen. Okay? Wir könnten auch Will darum bitten. Er würde es sicher machen.«

Ich war wie gelähmt. »Hast du … hast du etwas von Will gehört?«

»Ja, wir haben miteinander telefoniert, während er auf dieser Internistenkonferenz im Westen war.« Sie lächelte zögerlich. »Alles in Ordnung bei dir?«

Nein, es war nicht alles in Ordnung.

»Komm«, sagte sie. »Komm mit rauf, dann schau ich mal genau in deinen –«

»Wann … wann hast du mit Will gesprochen?«

Verständnislos sah sie mich an. »Vor ein paar Tagen. Schatz, deine Stimme –«

»Mit meiner Stimme ist alles in Ordnung!« Natürlich konnte ich nach der Hälfte des Satzes nur noch krächzen und meine Mutter verzog das Gesicht, als hätte ich ihr gerade gebeichtet, sie würde Großmutter. Das war die Gelegenheit, ihr die Wahrheit zu erzählen.

Ich stieg eine Stufe hinauf und blieb stehen, während die Worte – die Wahrheit – irgendwo zwischen Stimmbändern und Lippen hängenblieben. Ich hatte mit niemandem abgeklärt, ob es eine gute Idee wäre, meiner Mutter die Wahrheit zu erzählen – nicht einmal eine Vorwarnung hatte ich gegeben. Und würde sie mir überhaupt glauben? Schlimmer noch, meine Mom … Sie liebte Will. Ich wusste, dass sie ihn liebte.

Mein Magen verknotete sich, dennoch versuchte ich ruhig zu klingen, als ich fragte: »Wann kommt Will wieder zurück?«

Sie sah mich eindringlich und mit zusammengepressten Lippen an. »Erst in einer Woche. Aber Katy … wolltest du nicht eigentlich etwas anderes fragen?«

Würde er wirklich zurückkommen? Und sprach, da er sich bei meiner Mutter meldete, alles dafür, dass die Mutation erfolgreich gewesen war und Daemon und ich von jetzt an mit ihm verbunden waren? Oder hatte die Wirkung nachgelassen?

Ich musste mit Daemon sprechen. Sofort.

Mein Mund war so trocken, dass ich kaum sprechen konnte. »Ja. Tut mir leid. Ich muss weg …«

»Wohin?«, wollte sie wissen.

»Zu Daemon.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und eilte zu meinen Stiefeln.

»Katy.« Sie wartete, bis ich stehen geblieben war. »Will hat es mir erzählt.«

Mir gefror das Blut in den Adern und ich drehte mich langsam um. »Was hat er dir erzählt?«

»Er hat mir von dir und Daemon erzählt – dass ihr beide jetzt zusammen seid.« Sie hielt inne und sah mich mit dem typischen Mom-Blick an, der so viel bedeutet wie: Ich bin enttäuscht von dir. »Er hat gesagt, du hättest es ihm gegenüber erwähnt, dabei hätte ich mir wirklich gewünscht, du hättest mir zuerst davon erzählt. Von jemand anderem zu erfahren, dass meine Tochter einen Freund hat, ist nicht gerade das, was ich mir vorgestellt habe.«

Fast wäre meine Kinnlade auf dem Boden aufgeschlagen.

Sie sagte noch etwas anderes, was ich mit einem Nicken kommentierte. Doch ehrlich gesagt hätte sie mir mitteilen können, dass Thor und Loki sich gerade vor der Tür eine wilde Schlacht lieferten. Ich hörte ihr nicht mehr zu. Was hatte Will nur vor?

Als meine Mutter es schließlich aufgegeben hatte, mich in ein Gespräch zu verwickeln, sprang ich in meine Stiefel und raste nach nebenan. Als die Tür geöffnet wurde, wusste ich bereits, dass nicht Daemon vor mir stehen würde. Ich hatte unsere irre Alien-Verbindung nicht gespürt, dieses warme Prickeln im Nacken, wenn er in der Nähe war.

Doch ich hatte nicht damit gerechnet, ausgerechnet in Andrews stechend ozeanblaue Augen zu blicken.

»Du«, sagte er mit Verachtung in der Stimme.

Ich blinzelte. »Ich?«

Er verschränkte die Arme. »Ja, du, Katy, das kleine Alien-Mensch-Hybrid-Wesen.«

»Ähm, okay. Ich muss unbedingt mit Daemon sprechen.« Ich wollte eintreten, aber er verstellte mir den Weg. »Andrew.«

»Daemon ist nicht da.« Er lächelte, aber es wirkte kein bisschen freundlich.

Ich verschränkte die Arme und weigerte mich zu gehen. Andrew hatte mich noch nie gemocht. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass er eigentlich überhaupt niemanden mochte. Und auch keine Welpen. Oder knusprigen Bacon. »Und wo ist er?«

Andrew trat einen Schritt vor die Tür und schloss sie hinter sich. Er stand so dicht vor mir, dass sich unsere Schuhspitzen berührten. »Daemon ist schon seit heute Morgen unterwegs. Ich nehme an, er bewacht unseren Rain Man.«

Wut kochte in mir hoch. »Mit Dawson ist alles in Ordnung.«

»Ach ja?« Andrew hob eine Augenbraue. »Ich glaube, er bringt gerade mal drei zusammenhängende Sätze am Tag zusammen. Mehr nicht.«

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ein Windstoß fuhr mir ins Haar und wirbelte es durcheinander. Am liebsten hätte ich Andrew mitten ins Gesicht geschlagen. »Er hat wahnsinnig viel durchgemacht. Hab ein bisschen Mitleid, du Arsch. Warum rede ich überhaupt mit dir? Wo ist Dee?«

Das schiefe Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und er zeigte seine Ablehnung wieder unverhohlen. »Dee ist da.«

Ich wartete auf etwas mehr Information. »Ja, das habe ich mir gedacht.« Als er nichts weiter von sich gab, war ich kurz davor, ihm zu zeigen, wozu ein kleines Alien-Mensch-Hybrid-Wesen in der Lage war. »Was machst du überhaupt hier, Andrew?«

»Ich wurde eingeladen.« Er beugte sich zu mir herab, so nah, dass er mich hätte küssen können, und mir blieb nichts anderes übrig, als einen Schritt zurückzutreten. Er ging mit. »Und du nicht.«

Autsch. Das saß. Bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich schon mit dem Rücken am Geländer der Veranda. Ich saß in der Falle und Andrew rührte sich nicht vom Fleck. Ich spürte die Quelle in mir, die reine Energie, die die Lux – und inzwischen auch ich – in sich bündeln konnten und die jetzt wie eine elektrisch aufgeladene Welle durch meinen Körper rauschte.

Ich konnte Andrew dazu bringen, sich zu bewegen.

Er musste es in meinen Augen gesehen haben, denn er grinste höhnisch. »Versuch den Mist gar nicht erst bei mir. Wenn du es tust, kriegst du es sofort zurück. Da werde ich nicht lange fackeln.«

Gegen mein körperliches Bedürfnis anzukämpfen, ihm die Hölle heißzumachen, war unglaublich schwer. Sowohl meine menschliche Seite als auch meine andere Seite, was auch immer sie genau war, wollten diese Kraft unbedingt aufrufen – sie nutzen. Sie war wie ein Muskel, der darauf brannte, eingesetzt zu werden. Ich erinnerte mich an das berauschende Gefühl, die Kraft in mir zu spüren und sie rauszulassen.

Und ich fand sogar ein kleines bisschen Gefallen daran, was mir aber gleichzeitig höllisch Angst einjagte.

Das war Andrews Glück, denn die Angst hatte mir den Wind aus den Segeln genommen. »Warum hasst du mich?«, fragte ich.

Andrew neigte den Kopf zur Seite. »Bei dir ist es genauso wie mit Beth. Alles war gut, bis sie auf der Bildfläche erschien. Wir haben Dawson verloren und du weißt ganz genau, dass wir ihn nicht zurückbekommen haben, nicht wirklich. Und jetzt geschieht das Gleiche mit Daemon, mit dem Unterschied, dass dieses Mal alles so schiefgelaufen ist, dass wir auch noch Adam verloren haben. Für immer.«

Zum ersten Mal sah ich in seinen kristallklaren Augen etwas anderes als arrogante Verachtung aufblitzen. Schmerz – ich kannte diese Art Schmerz. Plötzlich wirkte er auf mich genauso am Boden zerstört und verzweifelt wie ich damals, als mein Vater an Krebs gestorben war.

»Er wird nicht der Einzige bleiben, den wir verlieren«, fuhr Andrew fort und seine Stimme klang heiser. »Das weißt du, aber kümmert es dich? Nein. Menschen sind eindeutig die selbstsüchtigsten Lebewesen, die es gibt. Und tu nicht so, als wärst du besser. Wenn es so wäre, hättest du dich von Anfang an von Dee ferngehalten. Du wärst niemals überfallen worden und Daemon hätte dich nie heilen müssen. All das wäre nicht geschehen. Du bist schuld. Du bist für alles verantwortlich.«