Odyssee auf vier Pfoten - Laura Greaves - E-Book

Odyssee auf vier Pfoten E-Book

Laura Greaves

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Laura Greaves versammelt in diesem Buch die unglaublichsten Geschichten von Hunden, die auf bemerkenswerte Weise ihren Weg zurück nach Hause gefunden haben: von herzerwärmenden Ereignissen, die zeigen, wie loyal Hunde sind, bis zu mysteriösen Fällen, in denen Hunde Tausende von Kilometern entfernt wieder auftauchen. Da ist zum Beispiel die Mischlingshündin Bonnie, die während eines der größten Buschfeuer in der Geschichte Australiens ihre Besitzerin rettet. Oder die gutmütige Penny, die entführt und über 6000 Kilometer von ihrem Entführungsort entfernt gefunden wird. Die freundliche Bullterrier-Mischlingshündin Inka findet nach zehn Jahren zu ihrer Besitzerin zurück und macht ihr damit das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten. Wahre und berührende Geschichten über die treuesten Begleiter, die ein Mensch haben kann.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 373

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LAURA GREAVES

Odyssee auf vier Pfoten

LAURA GREAVES

Odyssee auf vier Pfoten

Wahre Geschichten von außergewöhnlichen Hunden, die nach Hause finden

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2021

© 2021 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die australische Originalausgabe erschien 2017 bei Penguin Random House Australia unter dem Titel Incredible Dog Journeys.

Text Copyright © Laura Greaves, 2017

First published by Penguin Random House Australia Pty Ltd. This edition published by arrangement with Penguin Random House Australia Pty Ltd via Michael Meller Literary Agency GmbH, München. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Katja Theiß

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: shutterstock/Javier Brosch, stoklaima

Satz: reinsatz . Roman Heinemann

Druck: CPI books GmbH, Leck

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-7474-0350-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-725-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-726-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Für diejenigen unter uns, die danach streben, die Art Mensch zu sein, für die unsere Hunde uns halten

Inhalt

Ein paar Worte vorneweg

Immer die Gleise entlang

Lauf, Lu, lauf!

In 80 Wegen um die Welt

Ins Feuer

Spaziergang nach Mitternacht

Davongetragen

Rosie retten

Opertion Wüstenhund

Liebesgrüße aus Thailand

Die große Chopper-Jagd

Bildteil

Weihnachten zuhause

Tunnelträume

Jemand wacht über mich

Der heimwehgeplagte Streuner

Die Glücklichen

Slum Dog Extraordinaire

Das unglaubliche Rennen

Ein Weihnachtswunder

Weitere Infos

Danksagung

Über die Autorin

Ein paar Worte vorneweg

Meine erste Liebe war ein Junge namens Freddie. Er sah gut aus, war frech und pfiffig. Freddie strotzte vor Selbstvertrauen. Er hatte das gewisse Etwas.

Wir führten eine Fernbeziehung. Freddie lebte auf einer Farm in der Nähe von Naracoorte, in der südöstlichen Ecke des Bundesstaats South Australia. Ich lebte in Adelaide, unter den Lichtern der Großstadt. Aber ich liebte ihn leidenschaftlich aus der Ferne.

Dann schlug das Schicksal zu, wie scheinbar bei allen großen Liebesgeschichten. Bei einem schrecklichen Unfall stürzte Freddie von einem rasenden Pick-up und erlitt schreckliche Verletzungen. Eines seiner Beine war zertrümmert. Er würde wahrscheinlich nie wieder laufen können, falls er überhaupt überlebte.

Freddies Familie setzte sich zusammen, um die Möglichkeiten zu besprechen. Schließlich trafen sie einen schmerzhaften Entschluss: Freddie würde eingeschläfert werden.

Hatte ich erwähnt, dass Freddie ein Hütehund war?

Er war ein Kelpie und arbeitete hart und unermüdlich auf dem riesigen Gelände meiner Verwandten. Freddie ackerte vom Morgen bis zur Abenddämmerung, und er hätte auch die ganze Nacht durchgeschuftet, wenn man ihm die Chance dazu gegeben hätte.

Als mich die Nachricht von Freddies bevorstehendem Ableben erreichte, war ich verzweifelt. Also tat ich, was jede Schriftstellerin tun würde, und schrieb ihm einen Abschiedsbrief. »Lieber Freddie«, fing er an, »werd’ schnell wieder gesund. Ich hab’ dich lieb.«

Hatte ich erwähnt, dass ich fünf war?

Ich schickte meinen Brief an Freddie ab und hoffte gegen alle Vernunft auf ein Wunder, dass meinen Liebling retten würde.

Wochen vergingen. Schließlich flatterte ein Brief aus Naracoorte herein. »Liebe Laura«, las ich da, »danke für deinen Brief. Es geht mir schon viel besser und ich fahre ganz bestimmt bald wieder auf dem Pickup mit.« Unterschrieben war er mit einem Pfotenabdruck.

Damals schien mir das wie eine göttliche Fügung. Tatsächlich verdankte Freddie sein Überleben einer exzellenten Tierärztin, die das zertrümmerte Bein amputierte und den Rest mit Stahlstangen und Stiften zusammenflickte. Freddie war wirklich ratz-fatz wieder auf dem Pickup und immer noch der beste Hund auf der Farm, auch auf drei Beinen.

Erst als ich viel älter war, begriff ich die Bedeutung von Freddies Geschichte. Farmer lieben ihre Arbeitstiere, aber sie sind für sie in erster Linie eines: Arbeiter. Wenn sie ihren Job nicht mehr erfüllen können, dann gibt es keinen Platz für sie.

Aber etwas in meinem Brief an Freddie hatte seinen Besitzer, einen Berufsfarmer mittleren Alters, der zwar immer freundlich, aber vor allem pragmatisch war, berührt. Obwohl ich Freddie liebte, war er in vielerlei Hinsicht unscheinbar, und er hatte schon eine gute Zeit hinter sich gebracht. Mein Cousin hätte Freddie einschläfern lassen können - hätte sollen, würden manche sagen - aber er tat es nicht.

Stattdessen gab er Tausende von Dollar aus, um einen Hund zu retten - weil dieser Hund einem kleinen Mädchen etwas bedeutete. Meine kindliche Leidenschaft für Hunde hatte bewirkt, dass Freddies Leben - seine ganz besondere Odyssee - noch viele Jahre weitergehen konnte. Als ich größer war und verstand, dass ich Freddie auf meine Weise gerettet hatte, war mir das eine nachhaltige Lehre sowohl für die unzähligen Arten, wie Hunde unser Leben bereichern, als auch für unsere Verantwortung ihnen gegenüber.

Wie die hier gesammelten Geschichten zeigen, tun Hunde alles für ihre Menschen und ihre Hundefreunde, und sie verlangen im Gegenzug nur wenig.

Eine Odyssee auf vier Pfoten kann ganz unterschiedlich ausfallen. Manche Vierbeiner versuchen monate- oder jahrelang, zu ihren geliebten Besitzer*innen zurückzukehren. Sie überwinden scheinbar unüberwindbare Hindernisse, um sich selbst oder andere zu retten. Oder sie verbringen ein ruhiges Leben auf Bauernhöfen oder in Hinterhöfen von Vorstädten.

Das Nachspüren jeder einzelnen Odyssee auf vier Pfoten erfordert ein gewisses Maß an Detektivarbeit. Oft ist nur bekannt, dass ein Hund an einem Ort verschwunden ist und an einem anderen wieder auftaucht. Was in den dazwischen liegenden Tagen, Monaten oder gar Jahren tatsächlich passiert ist, kann man nur vermuten. Und bis unsere hündischen Gegenstücke sprechen lernen, muss das reichen.

Natürlich gibt es oft Hinweise. Manchmal wird ein vermisstes Tier während seiner Odyssee gesichtet - ein flüchtiger Blick auf einen Hund mit einer Mission, deren Ziel nur er kennt. Oder es gibt Spuren der Orte, an denen er gewesen ist, oder der Dinge, die er gesehen hat: Verletzungen, Schmutz und Überreste, die darauf hinweisen, was er durchgemacht hat.

Und dann ist da noch der Hund selbst. Ob groß oder klein, jung oder alt, mit Stammbaum oder Straßenköter-Mischling, eines haben alle gemeinsam: Charakter. Genau dieser Charakter hilft dabei, ihre Odyssee auf vier Pfoten zusammenzupuzzeln. Schließlich sagte schon der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower: »Was zählt, ist nicht unbedingt die Größe des Hundes im Kampf, sondern die Größe des Kampfes im Hund.«

Eine Odyssee auf vier Pfoten ist immer außergewöhnlich, denn Hunde besitzen die Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden, die anders ist als bei jedem anderen Tier. Wo auch immer sie sind und was auch immer sie tun.

Deshalb ist es ein enormes Privileg, eine Odyssee auf vier Pfoten zu begleiten. Ich wünsche mir von Herzen, dass ich keinen einzigen Tag ohne mindestens einen Hund an meiner Seite auskommen muss. Hunde wünschen sich nichts sehnlicher, als unsere Begleiter*innen auf unseren Reisen durchs Leben zu sein. Diesen Gefallen zu erwidern, ist das Mindeste, was wir tun können.

Laura Greaves, 2016

Immer die Gleise entlang

Occy

Es war, wie man in Klassikern so gerne sagt, eine dunkle und stürmische Nacht. Deshalb machte sich die Lehrerin Belinda »Binny« Murray langsam Sorgen, als sie Anfang November nach einem Vorstellungsgespräch in Sydney, Australien, auf der Autobahn nach Norden fuhr. Vor ihr zogen bleierne Wolken in der Farbe von Holzkohle über den Horizont. Es waren Gewitterwolken, daran gab es nichts zu rütteln. Und sie bewegten sich auf Binnys Heimatstadt Newcastle zu - und damit auch auf Occy, den astraphobischen Hund, den Blitze in Todesangst versetzten und den sie dort betreute.

Occy gehörte Binnys Freundin Philippa Johnston und ihrem Mann Nathan. Während Philippa und ihre kleine Tochter Audrey in Neuseeland Urlaub machten und Nathan mit der Royal Australian Air Force im Nahen Osten im Einsatz war, hatte Binny den Hundesittereinsatz für sie übernommen. Und an diesem Nachmittag hatte sie zu Recht ein ungutes Gefühl: Sie hatte schon einige Male auf Occy aufgepasst und wusste, dass der zweijährige Staffordshire-Bullterrier-Mischling eine Heidenangst vor Gewittern hatte.

Anfang Oktober beginnt im Bundesstaat New South Wales die Gewittersaison. Während der Sommermonate ziehen dramatische Gewitter wöchentlich oder sogar täglich vom Süden aus dem Gebiet um Canberra über Sydney bis hin zur Grenze von Queensland. Jedes Jahr verursachen hier schwere Gewitter Schäden in Höhe von durchschnittlich mehr als 100 Millionen Dollar. Die Hunter-Region, mit Newcastle im Zentrum, ist dabei das am stärksten von Stürmen betroffene Gebiet.

Für Philippa und Baby Audrey war die sommerliche Serie spektakulärer Stürme schon zur Routine geworden, als sie Anfang November 2014 zur Hochzeit eines Freundes nach Neuseeland aufbrachen. Occy jedoch blieb nicht ganz so gelassen, wenn sich nachmittags die dicken schwarzen Wolken auftürmten, und auch nicht, wenn es um den dröhnenden Donner und die gleißenden Blitze ging, die sie begleiteten.

Während eines Sturms nur ein paar Wochen zuvor war Occy vom großen, eingezäunten Hof des Hauses der Familie in Georgetown weggerannt. Bei dieser Gelegenheit hatte er Glück gehabt: Philippa war zu Hause gewesen und hatte ihn schnell wiedergefunden. Aber die Stürme waren in diesem Sommer unerbittlich, und Occy hatte während der zehn Tage, die Binny bei ihm verbracht hatte, immer wieder versucht, dem Schrecken am Himmel zu entfliehen. Er konnte, wenn niemand zu Hause war, in eine geschlossene, trockene Garage, aber für den armen Occy schien die Flucht dennoch die einzige Wahl.

Um kein Risiko einzugehen, hatten Binny und die Nachbar*innen der Johnstons eine behelfsmäßige Festung um das Vordertor herum errichtet - Occys wahrscheinlichster Fluchtweg - und den Zaun auf über zwei Meter erhöht. Als sich nun der Himmel öffnete und strömender Regen über die Autobahn fegte, wuchs Binnys Gefühl der Unruhe. Sie konnte nur hoffen, dass ihre provisorische Barriere standhielt.

Während sie in gefühlter Zeitlupe Richtung Newcastle pflügte, tippte Binny die Nummer einer Freundin in ihr Handy. »Ich war in Panik, also rief ich meine Freundin an und bat sie nachzuschauen, ob Occy noch in Philippas Haus war«, erzählt sie. »Leider kam sie nicht hinein; trotzdem versuchte sie mich zu beruhigen. Aber das half mir nicht und ich konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Das Gewitter war wirklich heftig und ich ahnte, dass er nicht mehr da sein würde, wenn ich nach Hause käme.« Endlich bog Binny in die schmale Straße ein, in der Philippa und Nathan wohnten und die von hübschen, holzverschalten Häuschen gesäumt war. Als sie sah, dass die Befestigungen über dem Eingangstor noch an ihrem Platz waren, verspürte sie einen Hoffnungsschimmer.

Binny brüllte Occys Namen über den krachenden Donner und den sintflutartigen Regen hinweg und rannte in den Garten. Sie umrundete das Haus und suchte alle üblichen Verstecke ab. Aber er war nicht da. Irgendwie hatte der Hund, ganz wie der Entfesslungskünstler Houdini, die verstärkte Umzäunung überwunden.

Occy war da draußen, allein, im Sturm.

In Philippas von Abenteuern und Umbrüchen geprägtem Leben waren Tiere immer eine Konstante gewesen. In ihrer Kindheit arbeitete ihr Vater für den internationalen Maschinenbaukonzern Caterpillar, und sein Job führte die Familie um die ganze Welt. Geboren in Neuseeland, verbrachte Philippa ihre prägenden Jahre in Indonesien, Thailand und den Vereinigten Staaten. Mit jedem neuen Ort kamen eine neue Schule und neue Freund*innen hinzu, aber der Freund, der ihr nie von der Seite wich, war Titan, der Shetland Sheepdog der Familie.

»Titan war ein Jahr alt, als wir ihn bekamen, und er wurde stolze sechzehn. Wir hatten eine sehr innige Beziehung - er war buchstäblich mein bester Freund. Als er ein Jahr war, wurde er von einem Auto angefahren, und ich erinnere mich, dass ich ihn mit meiner Decke einmummelte, um ihn warm zu halten. Ich habe mein Eis mit ihm geteilt, sehr zum Entsetzen meiner Mutter«, erzählt Philippa.

»Immer wenn wir umzogen, kam Titan mit. Scherzhaft haben wir öfter gesagt, dass wir als Hund oder Katze eines Ex-Pats wiedergeboren werden wollen, weil sie ein ziemlich gutes Leben haben. Ich bin es gewohnt, eine reisende Nomadin zu sein. Tiere werden dann zu deiner Konstanten - deiner Familie.«

Später rettete sie ein Kätzchen, Bugsy, das ebenfalls ein treuer Begleiter wurde. »Er stammte aus einem Wurf von sechs Kätzchen, doch die Mutter wurde nicht warm mit ihnen, so dass nur zwei überlebten. In den kleinen Zwerg habe ich mich sofort verliebt.«

Jahrelang waren Philippa und Bugsy ein eingespieltes Duo. Dann lernte sie Nathan kennen - sehr zum Leidwesen des pingeligen Katers. »Bugsy musste sich definitiv umstellen, als ich meinen Freund kennenlernte, der dann einzog und mein Ehemann wurde«, lacht sie.

Nathan stammt ursprünglich von der Norfolkinsel, aber durch seinen Job bei der Armee war auch er es gewohnt, viel herumzuziehen. Er mag Tiere - »Er hat eine Schwäche für gerettete Hunde«, verrät Philippa - und wollte deshalb einen Hund adoptieren, sobald er und Philippa lange genug an einem Ort blieben.

Ihre Chance bekamen sie 2011, als Nathan zur Militärbasis Williamtown, 15 Kilometer nördlich der Hafenstadt Newcastle, versetzt wurde. Newcastle, das für seine atemberaubenden Surfstrände und die Nähe zur weltberühmten Weinregion Hunter Valley ebenso bekannt ist wie für seine Kohle, fühlte sich für das Paar - und Bugsy - sofort wie Zuhause an. Nachdem sie ihr Haus im schicken Vorort Georgetown gekauft hatten, begann die Suche nach einem vierbeinigen Familienmitglied.

Ein Staffordshire Bullterrier stand auf Nathans Wunschzettel ganz oben. »Er ist mit Hunden aufgewachsen und hatte auch schon einen Cattle Dog, aber Staffys liebt er schon ganz lange. Er ist sehr sportlich und wollte bewusst einen ›stämmigen‹ Hund«, erklärt Philippa.

Surf-Freak Nathan hatte sogar schon einen Namen ausgesucht: Occy, der Spitzname seines Surf-Helden, des ehemaligen Weltmeisters Mark Occhilupo.

Philippa entdeckte Occys Bruder Mercury auf der Facebook-Seite der in Sydney ansässigen Tierschutzgruppe Fetching Dogs. Er war in einer Pflegefamilie in Strathfield, einem Vorort im Westen Sydneys, untergebracht, und sie fackelte nicht lange, sondern plante direkt einen Besuch. »Wir fuhren hin, um uns Mercury anzusehen, aber natürlich verliebten wir uns stattdessen in diesen frechen, aufgeweckten Kerl«, sagt sie. »Mercury wirkte ruhig und gelassen, während Occy wirklich aktiv war. Sie waren beide sehr anhänglich und hatten eine tolle Beziehung zueinander. Es fiel uns schwer, nicht beide mitzunehmen, aber wir wussten, dass wir nicht genug Platz gehabt hätten.«

Außerdem war da ja auch noch Bugsy. Als inzwischen fast staatsmännisch anmutender Zwölfjähriger hatte er bereits eine große Umstellung hinter sich, als Nathan auf der Bildfläche erschien. Und mit einem Hund zurechtzukommen, stellte garantiert eine große Herausforderung dar, aber gleich mit zwei? Das wollten sie ihm nicht zumuten.

So kam der drei Monate alte Occy im September 2012 nach Newcastle, und Philippa und Nathan genossen seine fröhliche Lebenseinstellung. Während sein Rassenmix nicht so genau zu ermitteln ist, zeigt sich der Staffy in ihm ganz offenkundig - von seinem ansteckenden Grinsen bis zum unaufhörlichen Schwanzwedeln. Philippa vermutet, dass auch etwas Bull Arab oder vielleicht sogar ein Labrador in ihm steckt. Occy geht auf jeden Fall entspannt wie ein Labrador durchs Leben - es sei denn, es gibt ein Gewitter. Das sensible Seelchen in ihm ist Staffy pur.

Occy mag verspielt sein, aber er ist auch schlau. Wer zuhause die Ansagen macht und der Spaßmacher ist, weiß er nur zu gut. »Wenn es darum geht, ein guter Junge zu sein, ist er ganz mein Hund - er hört mehr auf mich, reagiert auf ›Komm, sitz, bleib‹ - aber wenn es ums Spielen geht, ist er ganz auf Nathan fixiert«, sagt Philippa.

»Er wird rundum verwöhnt. Ganz nach dem Motto: ›Mama füttert und wäscht mich, aber bei Papa gibt’s Spaß.‹ Er ist eigentlich ein Hund für draußen, aber wir lassen ihn tatsächlich nachts in unser Zimmer, furchtbar«, lächelt Philippa.

Sogar Bugsy freundete sich mit seinem neuen Hundebruder an und schlief auf Occys Kiste, wann immer der Neuankömmling darin lag. »Bugsy war der Opa der Familie; er hängte ein bisschen den Boss raus, aber sie entwickelten eine wirklich schöne Freundschaft. Sie verbrachten tagsüber die meiste Zeit damit, etwa einen halben Meter voneinander entfernt rumzuliegen. Dabei taten sie so, als ob sie sich nicht mögen würden, aber in Wirklichkeit stimmte das gar nicht.«

Dass Bugsy Occy so schnell akzeptierte, beruhigte Philippa, besonders da sie nur zwei Monate, nachdem der Welpe zur Familie gestoßen war, bemerkte, dass sie schwanger war. Nachdem sie miterlebt hatte, wie ihr wählerischer Kater Occy in der Herde willkommen geheißen hatte, war sie sich sicher, dass beide Tiere mit der bevorstehenden Ankunft ihrer menschlichen »Schwester« gut zurechtkommen würden.

Audrey wurde Ende 2013 geboren, und Occy verliebte sich sofort. »Ihre Bindung ist wirklich schön. Er ist sehr geduldig mit ihr«, sagt Philippa.

Für einen Einsatz verließ Nathan 2014 für sieben Monate sein Zuhause. Es war eine stressige Zeit für die Familie, denn Audrey war noch kein ein Jahr alt und Philippa ging wieder in Teilzeit arbeiten. Irgendwie schien Occy das zu verstehen. »Er hat es definitiv gespürt. Er wusste, dass ihm ein Teil seiner Familie fehlte.«

Nach Nathans Abreise entwickelte Occy plötzlich eine Abneigung gegen die Sommergewitter, die an den meisten Tagen den Himmel über Newcastle aufwühlten. Und als Philippa und Audrey im November nach Neuseeland fuhren, wurde Occy noch unruhiger.

»Früher hatte er nie Angst vor Gewittern, aber ich glaube, der Stress, weil Nathan weg war, hat ihn empfindsamer gemacht. Als Audrey und ich dann auch noch weg waren, wurde es noch schlimmer.«

Vielleicht fühlte es sich wie ein Sturm aus Angst und Einsamkeit an. Die Ankunft eines weiteren echten Sturms an diesem Mittwochnachmittag war mehr, als Occy ertragen konnte.

Binny hatte überall gesucht. Der Sturm, der Occy erschreckt hatte, war längst vorüber, doch noch immer durchstreifte sie die Straßen von Georgetown und der angrenzenden Vororte auf der Suche nach dem verängstigten Hund.

»Ich habe den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht mit der Suche verbracht. Klingelte mehrmals bei den ortsansässigen Tierärzt*innen und Tierheimen durch und fuhr zu den lokalen Tierheimen der Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA), um sicherzugehen, dass er nicht dort war. Ich bat die Nachbar*innen, nach ihm Ausschau zu halten, und suchte alle seine Verstecke ab, aber wir fanden keine Spur von ihm«, erzählt sie.

»Unablässig kreiste die Frage in meinem Kopf, wie ich Pip nur sagen sollte, dass er weg war. Ich fühlte mich so schuldig. Ich fürchtete, dass ich nicht genug getan hatte, um ihn zu finden, und dass ich sie im Stich gelassen hatte. Occy ist wie ein Familienmitglied, also wusste ich, wie sehr sie das mitnehmen würde - und das wühlte mich noch mehr auf. Es war wahrscheinlich einer der schlimmsten Anrufe, die ich je machen musste.«

Selbstverständlich rief sie trotzdem am Tag nach Occys großer Flucht an, und erreichte Philippa im Haus ihrer Mutter in Christchurch. Es war Donnerstag, der Abend, bevor sie und Audrey nach ihrem wunderschönen zweiwöchigen Urlaub nach Hause fliegen sollten. Plötzlich konnte der Rückflug für Philippa nicht früh genug sein.

»Ich fand es schlimm, dass sich Binny zwei Tage Vorwürfe machte und sich stresste, während sie versuchte, ihn zu finden«, sagt Philippa. »Ich fühlte mich unendlich weit weg und dachte nur: ›Ach, Mensch, werde ich ihn jemals wiedersehen?‹ Wenn man einen vermissten Hund nicht innerhalb von ein paar Stunden gefunden hat, gibt es zwar noch keinen Grund zur Panik, aber nach zwei Tagen wird es schon ein bisschen beängstigend.«

Jedes denkbare Schreckensszenario wirbelte ihr durch den Kopf. Hatte sich Occy bei der verzweifelten Flucht am hohen Zaun verletzt? Hatte er sich irgendwo versteckt, war er verwundet und verängstigt? Der Bahnhof von Waratah lag nur einen Kilometer entfernt - was, wenn er sich auf die Bahngleise verirrt hatte und ... allein der Gedanke daran war schrecklich.

»Ich machte mir über alles Mögliche Sorgen - nicht nur, dass Occy da draußen war und nirgendwo hinkonnte, sondern auch über Autos und wirklich beängstigende Dinge wie eine Entführung oder Hundekämpfe. Er mag ja wie ein harter Junge aussehen, aber das ist er ganz und gar nicht«, beschreibt Philippa ihren Gemütszustand.

Außerdem stand Philippa noch vor einem anderen Dilemma. So wie Binny ihren Anruf hinausgezögert hatte, überlegte auch sie nun hin und her, wann - oder ob - sie Nathan in Übersee anrufen und ihm sagen sollte, dass sein geliebter Hund vermisst wurde. Schließlich beschloss sie, damit zu warten, bis er wieder zu Hause war und selbst entscheiden konnte, wie es weitergehen sollte.

»Nathan ist der Typ Mensch, der Dinge in Ordnung bringen will, und ich wusste, dass er heimkommen wollen würde, um Occy mit mir zu suchen. Weil er das nicht konnte, wäre es für ihn dort drüben noch härter gewesen.«

Nach einer schlaflosen Nacht packte Philippa also ihre Koffer und bereitete sich darauf vor, am Freitagmorgen zurück nach Newcastle zu reisen. Selbst wenn sie nichts anderes tun konnte, als Binny bei ihren von Hoffnung getriebenen Patrouillen auf den Straßen von Georgetown zu entlasten, so würde sie zumindest das Gefühl haben, etwas zu tun, um Occy nach Hause zu holen.

Nur eine Stunde, bevor sie zum Flughafen aufbrechen sollte, klingelte Philippas Telefon. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als die Anruferin sich als RSPCA-Inspektorin Claudia Jones zu erkennen gab. Sie hatte einen sehr verängstigten Staffy-Mischling gefunden, der mit verletzten Pfoten auf den Bahngleisen eines Rangierbahnhofs entlang humpelte - und Philippas Telefonnummer stand auf dem Anhänger, der an seinem Halsband hing.

Philippa war überglücklich, sorgte sich aber wegen Occys Verletzungen. »Claudia sagte mir, er sei leicht verletzt, und fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie ihn zum Tierarzt bringen würde. Ich antwortete, das wäre toll, und gab ihr die Daten von Occys Tierarzt im nächsten Vorort, Hamilton.«

Am anderen Ende der Leitung trat daraufhin eine Pause ein. »Wohin?«, fragte Claudia schließlich nach.

»In Hamilton«, wiederholte Philippa. »Von wo aus rufen Sie an?« Der RSPCA führt ein Tierheim in Rutherford, etwa 30 Autominuten von Hamilton entfernt, und ein Tierkrankenhaus in Tighes Hill, nur fünf Autominuten entfernt.

Claudia klärte Philippa auf, dass sie in Auburn saß. »Und ich dachte noch: ›Wo in Newcastle ist das?‹«

Dann fiel der Groschen. Claudia war in Auburn bei Sydney - und das bedeutete, dass Occy auch dort war.

Claudia wollte es kaum glauben, doch auch die Verletzungen an Occys Pfoten bestätigten es offenbar: Der zu allem entschlossene Hund war am 5. November während des Sturms in Newcastle weggelaufen, und er hatte einfach nicht aufgehört zu rennen, bis er die westlichen Vororte von Sydney erreichte, zwei Tage später und mehr als 170 Kilometer entfernt.

Die Fahrt vom Zugdepot in Auburn zum nächstgelegenen Tierkrankenhaus war der einfachste Teil von Occys Odyssee; schließlich konnte er sie im klimatisierten Komfort von Claudias Tierschutz-Transportwagen zurücklegen. Der traurige Zustand seiner Pfoten war allerdings Indiz dafür, dass seine Odyssee von Newcastle zu dem riesigen Depot zwischen den Bahnhöfen Auburn und Clyde, wo die Flotte der Sydney Trains gewartet wird, eine weitaus anstrengendere Expedition gewesen war.

Occy wurde von Arbeitern des Rangierbahnhofs dabei beobachtet, wie er entlang der Bahngleise umherirrte. Als er angesprochen wurde, flüchtete er in ein großes Rohr, sie kamen nicht an ihn heran. Er hinkte, schien desorientiert und war eindeutig verängstigt. Die Arbeiter konnten jedoch sehen, dass er ein Halsband trug und dass an diesem Halsband ein Identifikationsanhänger baumelte. Um den armen verletzten Hund nicht weiter zu stressen oder zu verängstigen, hatten sie sich zurückgezogen und die RSPCA angerufen.

Claudia schaffte es, Occy einzufangen, und nach ihrem verblüffenden Telefonat mit Philippa brachte sie ihn zum Tierarzt. Occy war stark dehydriert und seine Pfoten wiesen furchtbare Blasen auf, als wäre er eine lange Strecke über sehr raues oder heißes Gelände gelaufen. Er hatte auch Muskeln abgebaut und war völlig erschöpft. Dies und die Tatsache, dass er in nur zwei Tagen eine so enorme Strecke zurückgelegt hatte, sprach eindeutig für die Hypothese, dass er den ganzen Weg von zu Hause gelaufen war.

Die Zugstrecke von Newcastle nach Sydney ist zwar eine Direktverbindung, aber sie verläuft alles andere als gradlinig. Wenn man davon ausgeht, dass Occy durch den stabilen Drahtzaun auf die Gleise in der Nähe des Waratah-Bahnhofs geschlüpft sein muss - dem nächstgelegenen Bahnsteig von zuhause -, dann hätte er sich im Anschluss einen Weg durch die südwestlichen Vororte der Stadt gebahnt, wobei er den stark verschmutzten Throsby Creek und seine Ausläufer mindestens viermal gekreuzt und sich durch den riesigen Broadmeadow-Bahnhof geschlagen hätte. Dabei hätte er Zügen ausweichen und gleichzeitig irgendwie den richtigen Gleisen in Richtung Sydney folgen müssen. Er hätte drei Hauptverkehrsstraßen über- oder unterquert, bevor er die Stadtgrenze von Newcastle erreichte, dann musste er wohl einen weiteren Bach überquert und sich seinen Weg durch ein weiteres Bahndepot in Glendale, einem Vorort an der Nordspitze des Lake Macquarie, gebahnt haben.

Von Glendale aus überspannen die Gleise den breiten Cockle Creek und führen dann am Rande des Lake Macquarie selbst entlang. Während er sich entschlossen nach Süden bewegte, hatte Occy sicherlich die salzige Luft über der riesigen Salzwasserlagune zu seiner Linken riechen können; der 110 Quadratkilometer große See ist doppelt so groß wie der Hafen von Sydney. Vielleicht ist er stehengeblieben, um die Aussicht zu bewundern. Wahrscheinlicher ist, dass er einfach weiterlief.

Zu Occys Rechten lag ... nicht viel. Riesige Flächen undurchdringlichen Buschlands, die Staatswälder Awaba, Heaton und Olney sowie der Watagans National Park. Und irgendwo mittendrin der M1 Pacific Motorway: Acht Fahrspuren, auf denen der Verkehr zwischen Sydney und Brisbane dröhnt - definitiv kein Ort für einen Hund fern der Heimat.

Was hat Occy wohl von den vier monolithischen Turbolüftern gehalten, die ihn überragten, als er an der Eraring Power Station, Australiens größtem Kohlestromerzeuger, vorbeirannte? Und hat er sein Tempo ein paar Kilometer später noch einmal erhöht, als der stechende Geruch der Dora Creek Waste Water Treatment Works, des Klärwerks vor Ort, in seine empfindliche Nase drang?

Occy pflügte weiter durch die Orte Morisset und Wyee an der Central Coast und überquerte dabei nicht weniger als elf Bäche, bevor er in Charmhaven eine weitere geruchsintensive Begegnung mit einer Kläranlage hatte.

Wer weiß, ob Occy sich von den Zuggleisen entfernte, um aus den vielen Wasserläufen auf seiner Route zu trinken? Das Wetter in jenem November war typisch für den späten Frühling in der subtropischen Central-Coast-Region: Tagsüber war es brütend heiß und extrem feucht, und die Art von heftigen Stürmen, die Occys Reise überhaupt erst ausgelöst hatten, brachten nachts nur vorübergehend Linderung. Sein Maul muss wüstentrocken gewesen sein, und das Ausmaß seiner Dehydrierung, als er gefunden wurde, deutete darauf hin, dass er nur selten oder gar nicht getrunken hat, während die Blasenbildung an seinen Pfoten dafür spricht, dass er nicht nur unbeirrt an der Zugstrecke festgehalten hatte, sondern direkt auf den sonnenerhitzten Stahlschienen gelaufen sein muss.

Kurz hinter Wyong treffen die Gleise aufeinander und laufen dann parallel zum Pacific Highway, der die Haupttransportader an der Ostküste darstellte, bevor der Sydney-Newcastle-Freeway M1 in den 1980er Jahren einen Teil der Verkehrslast übernahm. Aber Autos waren hier das geringste von Occys Problemen. Mit ihren erschwinglichen Wohnungen und den großen, freien Flächen sind die Städte der Central Coast bei Pendlern beliebt, die jeden Tag mit dem Zug nach Sydney fahren. In der werktäglichen Hauptverkehrszeit donnern die Züge alle vier Minuten diesen Teil der Strecke hinunter. Occy musste es mit Ach und Krach geschafft haben.

Könnte Occy einen Teil seiner Reise an Bord eines Zuges zurückgelegt haben? Vielleicht gelangte er in einen Waggon und genoss eine kurze Verschnaufpause, bis er von einem Zugbegleiter hinausgejagt oder zusammen mit der Flut der Pendler an einem Bahnhof in Sydney angespült wurde? Das wäre möglich, scheint aber unwahrscheinlich. Seine körperlichen Narben deuten darauf hin, dass Occy die ganze Odyssee aus eigener Kraft bewältigt hat.

Auch Claudia Jones ist davon überzeugt, dass es Occy ohne Hilfe nach Sydney geschafft hat. »Da er sich Fremden gegenüber so zurückhaltend verhielt, ist es unwahrscheinlich, dass er es per Anhalter versucht hat, und die Muskelermüdung, die er zeigte, sowie die Art, wie seine Pfoten beansprucht und wund waren, entsprachen einem langen Lauf«, sagt sie.

Die Bahnstrecke zweigt vom Pacific Highway ab und taucht bei Tuggerah wieder in den Busch ein, bevor sie bei Ourimbah erneut auf die Straße trifft und ihr bis nach Gosford folgt. Dort macht der Pacific Highway eine scharfe Rechtskurve und schlängelt sich durch den Busch, bevor er sich kurz hinter Kariong mit der M1 vereint. Die Zugstrecke führt zur atemberaubenden Lagune Brisbane Water und schmiegt sich auf fast der gesamten Länge von achtzehn Kilometern atemberaubend an ihrem Ufer entlang. Fahrgästen fällt oft die Kinnladen herunter, wenn sie die spektakuläre Aussicht genießen; Occy war zweifellos mehr damit beschäftigt, die beiden schmalen Eisenbahnbrücken unbeschadet zu überqueren.

Sollte Occy während seiner unerschrockenen Reise überhaupt gesichtet worden sein - vielleicht von einem Zugpassagier oder dem Fahrer eines Autos -, so wurde dies nicht gemeldet. Andererseits würde der Anblick eines Hundes, der an einer Zugstrecke entlang trabt, während die Lokomotiven mit 130 km/h vorbeirauschen, den meisten wahrscheinlich wie ein Hirngespinst erscheinen. Sollte Occy tatsächlich dort gesehen worden sein, dann wäre er auf der Flucht vor der Justiz gewesen: Diese Strecke durchschneidet nämlich den Brisbane Water National Park, und alle australischen Nationalparks sind für Hunde tabu.

Nach Brisbane Water überquerte Occy den Hawkesbury River über die 890 Meter lange, siebzig Jahre alte Eisenbahnbrücke knapp nördlich der Stadt Brooklyn. Nachdem er sich noch einmal in den Busch geschlagen hatte und die M1 noch einmal kreuzte, erreichte er schließlich den nördlichen Stadtrand von Sydney. Von dort aus humpelte er noch etwa 40 Kilometer bis nach Auburn, wo seine Reise in Claudias Armen ein gnädiges Ende fand.

Hat er auf seiner zwei-Nächte-Wanderung eine Pause zum Schlafen eingelegt? Hat er gegessen? War er erleichtert, als er Sydney erreichte, oder nur noch verwirrter und verängstigter als zuvor? Spürte er, dass seine aktuelle Sitterin Binny an dem Tag, als er weglief, dort gewesen war? Was hatte er sich nur dabei gedacht?

Dass Occy in Auburn aufgegriffen wurde, weniger als zehn Kilometer von seiner ehemaligen Pflegestelle in Strathfield entfernt - dem letzten Ort, an dem er seinen Bruder Mercury gesehen hatte - war Philippa nicht entgangen. War er vor dem Sturm in Newcastle geflohen und hatte, da er seine feste Familie vermisste, versucht, seine erste Familie - und seinen Hundebruder - zu finden?

»Wir vermuten, dass er durchgängig den Gleisen gefolgt ist. Ob er wusste, dass er von dort kam, und versucht hat, dorthin zurückzukehren, wer weiß?«, sagt sie. »Wahrscheinlich hat er zuerst gedacht: ›Ich muss hier weg, weg von diesem Sturm‹, und dann: ›Ich weiß nicht, wo ich bin, also gehe ich besser einfach weiter in diese Richtung.‹ Ich fühlte mich richtig schlecht, denn es sieht definitiv so aus, als ob er nach Nathan und mir gesucht hätte. Wobei nur Occy das weiß.«

Die Fahrt von Newcastle nach Sydney, um am Samstag mit Occy wiedervereint zu werden, war für Philippa eine Achterbahn der Gefühle. Sie und Audrey waren in der Nacht zuvor zwar in Sydney gelandet, konnten Occy aber nicht direkt mit nach Hause nehmen, weil der Tierarzt ihn über Nacht zur Beobachtung behalten wollte. Also stand sie am nächsten Tag um vier Uhr morgens auf, um ihren verirrten Hund einzusammeln. Für die Fahrt, für die Occy zwei Tage gebraucht hatte, brauchte sie kaum mehr als 90 Minuten.

»Es war verrückt. Ich war überwältigt und wusste nicht, ob ich unglaublich glücklich war oder kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wahrscheinlich beides - ich wusste nicht, wie ich mich fühlte. In einem Augenblick lachte ich vor Glück, nur um eine halbe Stunde später wieder zu heulen«, sagt sie.

Auch Schuldgefühle nagten an ihr. Sie hatte beschlossen, Nathan nichts von Occys Tortur zu erzählen, bis sie ihren Hund sicher zu Hause hatte. Als sie Nathan am Abend zuvor angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass sie sicher aus Neuseeland zurück waren, hatte er auch nach Occy gefragt. Philippa hatte zwar gesagt, dass Occy »okay« sei. Doch obwohl sie in ihrem Herzen wusste, dass der in Auburn gefundene Hund Occy war, gab es da eine kleine Stimme in ihrem Kopf, die ihr zuflüsterte: Was, wenn er es nicht ist? Die Stimme würde erst Ruhe geben, wenn sie ihn selbst sähe.

Deshalb durchflutete sie pure Erleichterung, als sie ihn endlich vor sich hatte - und Occy schien dasselbe zu empfinden. Er war schmutzig und erschöpft, aber seine Freude war spürbar.

»Er war so müde, hinkte, legte sich einfach hin und ruhte sich so gut wie möglich aus. Aber sein Schwanz bewegte sich und er war so aufgeregt, mich zu sehen, ganz so, als würde er denken: ›Oh Gott, ich habe dich gefunden - oder du hast mich gefunden!‹«, sagt Philippa. »Er war einfach super erleichtert. Man konnte diesen Blick in seinen Augen sehen, die Erkenntnis: Ich kann jetzt nach Hause gehen.«

Occy und Philippa waren nicht die Einzigen, die das Gefühl hatten, dass ihnen eine enorme Last abgenommen worden war: Binny war überglücklich, dass ihr entlaufener Schützling gefunden worden war. »Es war eine wilde Mischung aus absoluter Freude, Aufregung und Erleichterung, gefolgt von Erstaunen und Schock darüber, wie er den Weg nach Sydney gefunden hat«, berichtet sie.

»Bis heute hat sich an diesem Gefühl nichts geändert - ich würde zu gerne wissen, wie er dahin gekommen ist. Wenn er es uns nur erzählen könnte!«

Als Occy wieder zu Hause in Newcastle war, gestand Philippa auch Nathan die Wahrheit. »Ich musste noch bis nachmittags warten, um ihn anrufen zu können, und platzte dann heraus: ›Weißt du noch, wie ich dir sagte, dass Occy okay sei? Nun, er war okay - er war nur nicht bei uns.‹ Ich behaupte jetzt mal, dass das keine Lüge war, denn ich wusste ja eigentlich, dass es ihm gut ging«, lacht sie.

Sogar Kater Bugsy ließ Occy auf seine Weise wissen, dass er vermisst worden war. »Bugsy verhielt sich ganz typisch«, sagt Philippa über ihren langjährigen Katzenfreund, der leider Anfang 2016 verstorben ist. »Er sah leicht desinteressiert aus, ungefähr als dächte er gelangweilt: ›Oh Occy, du bist wieder da?‹ Aber er hing ein paar Tage lang an Occy, als wollte er sagen: ›Ich bin froh, dass du zurück bist, du Idiot.‹«

Occys Pfoten brauchten mehrere Wochen, um zu heilen, und seine Phobie vor Stürmen hielt an. Erst als Nathan ein paar Monate später von seinem Einsatz zurückkehrte, begann sich der Hund endlich zu entspannen.

»Man konnte Occys Seufzer der Erleichterung fast hören, als Nathan nach Hause kam. Es war, als hätte er die ganze Zeit gedacht: ›Ich muss mich mehr ins Zeug legen, um die Mädels zu schützen, während der große Mann weg ist‹«, sagt sie. »Als er seinen besten Spielkameraden zurückhatte, fand er endlich wieder zu seinem entspannten, fröhlichen Wesen zurück. Die Sturmphobie hat sich gebessert, und wir hoffen, dass er sie irgendwann ganz hinter sich lassen kann.«

Philippa und Nathan haben Ende 2015 eine zweite Tochter, Abigale, bekommen, und Occy ist ihr genauso eng verbunden wie Audrey. Nach einem Leben, das sie immer mit tierischen Gefährt*innen verbracht hat, deren Hingabe und Loyalität sie nie in Frage gestellt hat, hat Occys unglaubliche Odyssee Philippas Glauben an die Bindung zwischen Menschen und ihren Haustieren nur gestärkt. »Es hat mir bestätigt, dass Tiere, besonders Hunde, wirklich bemerkenswert sind. Wenn sie wissen, dass sie geliebt werden, werden sie überleben und alles tun, um zu ihrer Familie zurückzukehren.«

Besonders, wenn es eine Familie wie die von Occy ist.

Lauf, Lu, lauf!

Ludivine

Elkmont, Alabama, ist eine dieser amerikanischen Städte, die man fast übersieht. Versteckt im grünen hügeligen Norden des Bundesstaates, eine Autostunde von Alabamas viertgrößter Stadt Huntsville und nur einen Steinwurf von der Staatsgrenze zu Tennessee entfernt, hat der winzige Weiler gerade einmal 450 Einwohner. Die Einkaufsstraße in der Innenstadt besteht aus insgesamt sechs Geschäften. Es gibt nicht einmal eine Ampel.

Obwohl reich an natürlicher Schönheit, war Elkmont bis vor kurzem wohl am besten als Heimat der Country-Musik-Pioniere der 1930er Jahre, der Delmore Brothers, des National Football League-Stars Michael Boley und des preisgekrönten Ziegenkäseunternehmens Belle Chevre bekannt.

Doch am 16. Januar 2016 änderte sich das. Das war nämlich der Tag, an dem eine neugierige Bluthündin namens Ludivine spazieren ging und versehentlich einen Halbmarathon lief - und Elkmont damit weltweit in die Schlagzeilen geriet.

Ludivine begann ihr Leben im größten Gefängnis von Alabama. Sie war einer von vierzehn Welpen, die von Daisy, einer reinrassigen Bluthündin, und Otis, einem Coonhound-Mischling, in der Limestone Correctional Facility im Herbst 2013 geboren wurden. Etwa 30 Kilometer von Elkmont entfernt, zwischen den Städten Athens und Harvest gelegen, beherbergt Limestone mehr als 2000 männliche Gefangene auf 1600 Hektar mit Ackerland, Bächen und dichtem Wald - reichlich Platz also für unternehmungslustige Insassen, die in Versuchung geraten, Schmuggelware oder sogar sich selbst hier zu verstecken. Aus diesem Grund hat das Gefängnis auch ein umfangreiches Hundezuchtprogramm, in dem Beagles für den Einsatz als Spürhunde für Schmuggelware und Bluthunde als Personenspürhunde gezüchtet und ausgebildet werden.

April Hamlin, Beratungslehrerin an der Elkmont High School, wollte schon immer einen »Jagdhund«. Ihr Großvater züchtete Coonhounds, zu denen sechs verschiedene Rassen von speziell für die Waschbärjagd eingesetzten Spürhunden gezählt werden. »Als ich klein war, saß ich immer mit den Hunden meines Opas in deren Gehege. Jagdhunde habe ich schon immer geliebt«, verrät April.

Als Erwachsene hatte April immer mindestens einen hündischen Begleiter - »das waren meistens echte Straßenköter«, lacht sie. Als sie ihren Mann heiratete, einen langjährigen Schäferhund-Liebhaber, schwor auch sie dem Deutschen Schäferhund Treue. Aber der Wunsch nach einem eigenen Jagdhund ließ sie nie los.

»Natürlich habe ich die Schäferhunde lieben gelernt, aber sie brauchen eine Aufgabe, sonst drehen sie irgendwie durch. Als ich dann Kinder bekam, hatte ich nicht mehr so viel Zeit für die Hunde, und nachdem unser letzter Schäferhund vor ein paar Jahren gestorben war, sagte ich zu meinem Mann: ›Ich hole mir einen Jagdhund.‹ Ich wollte etwas, das ein bisschen weniger intensiv ist. Ich wollte einfach einen faulen Hund!«

April wusste vom Zuchtprogramm des Gefängnisses und bat einen Freund, der dort arbeitete, sie doch anzurufen, falls er einen Bluthund habe, der nicht zum Spürhund tauge. Er machte April keine großen Hoffnungen; Beagle-Welpen hatten sie öfter abzugeben, da das Gefängnis nur eine bestimmte Anzahl brauchte, aber die Würfe der Bluthunde waren seltener, und alle Welpen wurden normalerweise als Spürhunde eingezogen. Er sagte, sie könne jederzeit einen Beagle haben, aber April wollte lieber auf ihren Bluthund warten.

Ein Jahr später kam tatsächlich der Anruf. Ein sechs Wochen alter weiblicher Bluthundwelpe hatte die Musterung nicht bestanden und suchte ein neues Zuhause.

Der Bluthund ist eine uralte Rasse. Man geht davon aus, dass er um das Jahr 1000 n. Chr. in Belgien entstanden ist, und die frühesten Erwähnungen in englischen Texten stammen aus dem dreizehnten Jahrhundert. Von Anfang an wurden Bluthunde zum Aufspüren von Rehen und Wildschweinen eingesetzt, ab dem Mittelalter dann auch von Menschen. Ein Bluthund kann erfolgreich einer Geruchsspur folgen, die Stunden oder sogar Tage alt ist, und das in jeglichem unwirtlichen Gelände. Im Jahr 1954 fand ein Bluthund die Leichen einer vermissten Familie aus Oregon fast zwei Wochen nach ihrem Verschwinden.

Was Bluthunde zu unvergleichlichen Fährtenlesern macht, ist, nun ja: alles. Ihre langen, hängenden Ohren schleifen auf dem Boden, wenn sie auf der Spursuche sind, und fegen die Hautzellen ihrer Beute und andere Geruchspartikel in ihre Nasenlöcher. Ihre kräftigen Nacken- und Schultermuskeln sorgen dafür, dass sie ihre Nasen über Hunderte von Kilometern und über lange Zeiträume hinweg nach unten halten können, um einem Geruch zu folgen. Sogar die Wangen, die ihnen ihren besonderen Hundeausdruck verleihen, erfüllen einen Zweck: Diese lockeren Hautfalten, die als »Schal« bezeichnet werden, fangen Duftpartikel aus der Luft und dem Gelände ein.

Aber hauptsächlich geht es um die Nase. Die Nase eines durchschnittlichen Hundes enthält zwischen 125 und 220 Millionen Riechzellen, also Duftrezeptoren. Das sind bereits vierzigmal so viele wie beim Menschen; wir haben vergleichsweise läppische fünf Millionen. Aber die Nase eines Bluthundes hat zwischen 230 und 300 Millionen Geruchsrezeptoren. Wenn der Riechkolben - der Teil des Gehirns, der Gerüche analysiert - beim Menschen die Größe einer Briefmarke hat, ist er beim Bluthund eher so groß wie ein Taschentuch. Diese Hunde sind so versiert im Aufspüren von Gerüchen, dass Beweise, die durch die Nase eines Bluthundes beschafft werden, vor Gericht zulässig sind.

Forscher glauben, dass Bluthunde tatsächlich Gerüche »sehen«. Das Erschnüffeln eines Geruchsartikels - ein Gegenstand, der von der Beute berührt wurde, wie zum Beispiel ein Kleidungsstück oder sogar ein Autositz - bombardiert die Geruchsrezeptoren, die dann eine Flut von chemischen Botschaften an den Riechkolben senden. Auf diese Weise entsteht ein hochdetailliertes »Geruchsbild«, das dem Hund hilft, Atem-, Schweiß- und Hautpartikel, die die Zielperson hinterlassen hat, aufzuspüren. Wenn ein Bluthund einmal eine Duftspur gefunden hat, wird er nicht mehr von ihr abweichen, egal, wie viele andere Gerüche ihm begegnen.

Zumindest ist das bei den meisten Bluthunden der Fall. Ludivine zog es jedoch vor, die Dinge ein wenig anders anzugehen.

»Die Welpen werden, wenn sie etwa fünf Wochen alt sind, auf dem Gefängnishof ausgesetzt und dann wartet man ab, welche von ihnen eine Spur finden. So kriegt man heraus, welche die Gabe haben könnten, und die, die sie nicht haben, werden abgegeben«, erklärt April. »Ludivine war die erste, die sie losgeworden sind.«

Die kleine Ludivine, so schien es, war nämlich ein bisschen in ihren eigenen Sphären unterwegs. Ein Wirrkopf. Eine Tagträumerin. So liebenswert sie auch war, als sie die grundlegenden Fähigkeiten für Gefängnis-Spürhunde vermittelt bekommen sollte, war die leicht ablenkbare Lu eher mit der Jagd auf Schmetterlinge beschäftigt.

»Sie sagten, sie hätte noch nicht mal annähernd die Aufmerksamkeitsspanne eines Spürhunds. Lu hat einfach überhaupt keinen Fokus, was ja nicht schlimm ist, aber eben nicht für einen Spürhund in einem Gefängnis funktioniert! Mein Freund rief also an und sagte: ›Wir haben da eine Hündin, die zum Abholen bereit wäre‹. Also fuhren wir zum Gefängnis und sammelten sie ein, da war sie sechs Wochen alt.«

Natürlich war Ludivine - ausgesprochen luu-deh-vien - noch nicht Ludivine. Im Gefängnis hatte sie keinen Namen bekommen. Es lag an der Hamlin-Familie, einen passenden Namen auszuwählen, also wühlte April in ihrer immer größer werdenden Datei mit potenziellen Kosenamen.

»Wenn ich einen Namen höre, denke ich oft: ›Das wäre ein guter Name für einen Hund oder ein Pferd.‹ Das ist einfach meine Art«, lacht sie.

Gerade hatte sie den Film »Ein gutes Jahr« aus dem Jahr 2006 gesehen, in dem Russell Crowe einen Investmentbanker spielt, der das Chateau und Weingut seines Onkels in der Provence erbt. Zum Weingut gehört auch Ludivine Duflot, eine exzentrische Haushälterin, gespielt von der französischen Schauspielerin Isabelle Candelier. Der Name schien perfekt für Aprils Punk-Welpen aus dem Gefängnis zu sein.

»Die Figur ist wirklich abgedreht und verrückt, und der Name schien zu passen. Meine Kinder sagten: ›Bitte nenn die Arme doch nicht Ludivine! Der Name gefällt uns nicht.‹ Worauf ich nur sagte: ›Ihr könnt sie ja Lu nennen!‹«

Als langjährige, erfahrene Hundebesitzerin war April noch nie davor zurückgeschreckt, die notwendigen Zeit zu investieren, um einen Welpen zu erziehen. April ging davon aus, dass die Ausbildung von Lu ein Kinderspiel sein würde. Aber als sie sich daran machte, das neue Familienmitglied zu trainieren, stellte sie schnell fest, dass Ludivine zwar nicht die für einen Spürhund erforderliche Hartnäckigkeit besaß, aber definitiv eine sturköpfige Ader hatte.

»Ich hatte viel darüber gelesen, dass Jagdhunde ab einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr hören, und ich dachte: ›Für mich wird das kein Problem sein‹«, sagt sie. »Aber Ludivine verbrachte viel Zeit damit, sich zu entscheiden, dass sie nicht tun würde, was ich ihr sagte.«

Sie weigerte sich, zu kommen, wenn man sie rief; lieber lief sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollte nicht an der Leine laufen. Stubenrein zu werden, dauerte eine Ewigkeit: Lu stand die 40-Hektar-Farm der Familie zur Verfügung, sie schlich in den Keller, um sich zu erleichtern.

»Der Keller hat einen Betonboden, und sie rannte dort hinunter, um auf die Toilette zu gehen, vermutlich, weil sie an den Betonboden im Gefängniszwinger gewöhnt war«, sagt April. »Wir dachten, wir würden sie nie stubenrein bekommen.«

Die ganze Familie hatte sich trotzdem in die schrullige Ludivine verliebt. »Sie ist einfach wunderschön. Sie hat diesen edlen Bluthund-Ausdruck und sie hat eine schöne Stimme«, sagt April. »Sie ist albern - sie hat absolut keine Vorstellung von persönlichem Abstand. Sie ist der beste Hund zum Knuddeln, sie lehnt sich einfach an und verschmilzt mit dir. Und sie ist absolut tiefenentspannt.«

Nach mehreren frustrierenden Monaten an der Trainingsfront mit Fortschritten im Null-Bereich stolperte April schließlich über Ludivines Schwäche: Salami! Plötzlich war der pfeilschnelle Köter viel einfacher zu handhaben. Die Familie war sogar in der Lage, Lus Fährteninstinkt in dem acht Hektar großen, von Quellen gespeisten Waldstück auf ihrem Grundstück zu fördern.

»Als sie größer wurde, machte ich mit ihr lange Spaziergänge um unseren Hof und lockte sie mit Salami. Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal mit ihr in den Wald ging. Man konnte sehen, dass sie dachte: ›Wow, das ist eine ganz neue Welt.‹ Meine Tochter Thea und mein Sohn Van nahmen sie an die Leine, ich versteckte mich und sie fand mich.«

Die lustigen Verfolgungsspiele weckten offensichtlich etwas in Ludivine; etwas Ursprüngliches, dem sie nicht widerstehen konnte. Plötzlich wollte sie umherstreifen. Seit sie etwa eineinhalb Jahre alt ist, verschwindet Lu mit vorhersehbarer Häufigkeit aus Aprils Revier. Wenn April tagsüber zur Arbeit geht oder Ludivine nach draußen lässt, um dem Ruf der Natur zu folgen (das Toilettentraining hat sich endlich ausgezahlt), läuft die Hündin davon, genau wie die Ausbrecher, die zu suchen sie gezüchtet worden war. An den Wochenenden, wenn Lu das ganze Grundstück erkunden darf, streift sie immer weit über die Grenzen hinaus.