Of Flame and Fury - Mikayla Bridge - E-Book

Of Flame and Fury E-Book

Mikayla Bridge

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Beschreibung

Wer mit den Phönixen fliegt, wird zur Heldin ... oder vergeht in ihren Flammen Phönixrennen, so berauschend wie tödlich, sind das beliebteste Sportereignis auf der Insel Cendor. Gemeinsam mit ihrem Team hat die 17-jährige Kel nur ein Ziel: Sie muss das große Rennen gewinnen, um ihre Schulden zu begleichen. Denn sonst verliert sie ihren geliebten Phönix Savita. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Kel ist gezwungen, sich ausgerechnet mit Warren Coupers zusammenzutun, ihrem arroganten Rivalen. Als ein mysteriöser Tech-Mogul den beiden ein unschlagbares Angebot macht, müssen sie zu PR-Zwecken auch noch das Traumpaar mimen. Eine Zumutung! Oder ist Warren doch nicht so ein Mistkerl, wie Kel dachte? Während die beiden sich näher kommen, stoßen sie auf ein Geheimnis, das nicht nur ihr Team, sondern auch Phönix Savita in Lebensgefahr bringt. Das atemberaubende Fantasy-Debüt für alle Fans von Rivals to Lovers, Fake Dating und Found Family.    - Flammend heiße Phönix-Fantasy! Jedes Phönix-Rennen findet vor einer einzigartigen Kulisse statt - Fantastische Phönixe treffen auf eine atemberaubende Tech-Welt - Mit einer starken Heldin, die sich nicht nur für ihren Phönix, sondern auch für ihre Found Family einsetzt

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Seitenzahl: 581

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mikayla Bridge

Of Flame and Fury

 

Aus dem Englischen von Ulrike Köbele

 

Über dieses Buch

 

 

Wer mit den Phönixen fliegt, wird zur Heldin ... oder vergeht in ihren Flammen

 

Phönixrennen, so berauschend wie tödlich, sind das beliebteste Sportereignis auf der Insel Cendor. Gemeinsam mit ihrem Team hat die 17-jährige Kel nur ein Ziel: Sie muss das große Rennen gewinnen, um ihre Schulden zu begleichen. Denn sonst verliert sie ihren geliebten Phönix Savita.

Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Kel ist gezwungen, sich ausgerechnet mit Warren Coupers zusammenzutun, ihrem arroganten Rivalen. Als ein mysteriöser Tech-Mogul den beiden ein unschlagbares Angebot macht, müssen sie zu PR-Zwecken auch noch das Traumpaar mimen. Eine Zumutung! Oder ist Warren doch nicht so ein Mistkerl, wie Kel dachte? Während die beiden sich näher kommen, stoßen sie auf ein Geheimnis, das nicht nur ihr Team, sondern auch Phönix Savita in Lebensgefahr bringt.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de

Biografie

 

 

Mikayla Bridge hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert und lebt in Melbourne, Australien. Wenn sie nicht gerade schreibt, spielt sie Brettspiele und trinkt überteuerten Kaffee. »Of Flame and Fury«ist ihr Debüt.

 

Weitere Informationen zur Autorin auf Instagram unter @mikayla_bridge

Impressum

 

 

Zu diesem Buch ist beim Argon Verlag ein Hörbuch erschienen, das als Download und bei Hörbuch-Streamingdiensten erhältlich ist.

Erschienen bei Fischer Sauerländer E-Book

 

Die Originalausgabe erschien 2025 bei First Ink einem Imprint von Pan Macmillan

Text © Mikayla Bridge 2025

Landkarte: Virginia Allyn

Lektorat: Maria Schmidt

Covergestaltung: Mi Ha, Guter Punkt, München

ISBN 978-3-7336-0955-9

 

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

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Inhalt

[Hinweis]

[Widmung]

[Karte]

Auszug

Teil eins

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Teil zwei

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

Teil drei

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Teil vier

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

Epilog

Danksagung

[Triggerwarnung]

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Dieses Buch enthält sensible Themen und potenziell triggernde Elemente. Weitere Informationen dazu findest du hier. (Achtung, diese Hinweise enthalten Spoiler!)

Für alle, die Trost in ihrem Zorn finden.

Auszug aus Saltas Tierleben, erschienen im Jahr 1488 der Alchemistischen Republik:

DAS CENDORISCHE PHÖNIX-KOMPENDIUM

Phönixe zählen zu den einheimischen Arten Cendors. Bis sie ausgewachsen sind, vergehen in der Regel 8–10 Jahre. Die Körpertemperatur junger Phönixe beträgt im Durchschnitt 300 °C, bei erwachsenen Tieren steigt sie auf 500–600 °C an. Nähert sich ein Phönix dem Ende seines Lebenszyklus und der damit einhergehenden Wiedergeburt, kann seine Körpertemperatur bis zu 1000 °C erreichen. Phönixe werden üblicherweise alle 100 Jahre wiedergeboren, wobei dieser Wert erheblichen Schwankungen unterliegen kann.

Das natürliche Habitat der Phönixe sind Waldregionen mit hoher Luftfeuchtigkeit. Die cendorische Bevölkerung hält sie jedoch oft in speziellen Aviarien, um sie bei Wettbewerben des Cendorischen Verbandes für Phönixrennen (CVPR) gegeneinander antreten zu lassen.

Unterarten

Blutphönix

Kräftig rotes oder braunes Gefieder. Von durchschnittlicher Intelligenz und Geschwindigkeit. Überdurchschnittlich groß. Aufgrund ihrer Kraft und ihres vergleichsweise umgänglichen Gemüts die bei Phönixrennen am häufigsten vertretene Unterart.

 

Karneolphönix

Rot-gelb-orange geflecktes Gefieder. Hochintelligent und die mit Abstand schnellste Unterart. Durchschnittlich groß. Obwohl sie zur Teilnahme an Phönixrennen zugelassen sind, werden sie aufgrund ihrer aggressiven Natur nur selten eingesetzt.

 

Mantelphönix

Schwarz-blaues Gefieder von hoher Tarnkraft. Von unterdurchschnittlicher Intelligenz und Geschwindigkeit. Die kleinste Unterart mit der größten Wildpopulation. Aufgrund ihrer aggressiven Natur und geringen Größe für Phönixrennen ungeeignet.

 

Monarchphönix

Geflecktes, verschiedenfarbiges Gefieder. Hochintelligent. Von überdurchschnittlicher Geschwindigkeit. Die größte bekannte Unterart. Gelten als direkte Nachfahren Dejas, dem ersten Phönix von Salta. Aufgrund ihres ausgeprägten Revierverhaltens für Phönixrennen eher ungeeignet.

 

Schleppphönix

Gelbes Gefieder. Die am wenigsten intelligente Unterart. Von unterdurchschnittlicher Geschwindigkeit und überdurchschnittlicher Größe. Obwohl leicht zu zähmen, lassen sie sich nicht zu einer Teilnahme an Phönixrennen bewegen.

 

Spinellphönix

Blassrotes Gefieder. Durchschnittlich intelligent. Von unterdurchschnittlicher Größe und Geschwindigkeit. Aufgrund ihrer vergleichsweise friedlichen Natur die dritthäufigste Unterart bei Phönixrennen.

 

Zunderphönix

Orange-bronzefarbenes Gefieder. Überdurchschnittlich intelligent, jedoch von durchschnittlicher Geschwindigkeit und unterdurchschnittlicher Größe. Trotz wechselhafter Lebensspanne und hoher Körpertemperatur die zweithäufigste Unterart bei Phönixrennen.

Teil eins

Zu Zeiten, da die Wälder noch wild, weit und frei,

Herrschte der Schlangenkönig über Weh und Gedeih.

Da kamen vier Alchemisten von Ufern ganz fern,

mit Hoffnung, so hieß es, den Frieden zu nähr’n.

 

Sie spannten Netze aus Gold unter des Königs Blick,

verteilten Geschenke mit viel List und Geschick,

bis ihre Macht so groß war, dass von seinem Land

den König sie verjagten in Schimpf und in Schand.

 

»Das güldene Wiegenlied«, Vers 1–2

1

Flammen rasten an Kels schmerzhaft prickelnden Augen vorbei. Rote, goldene und bernsteinfarbene Flecken vermengten sich am Himmel zu wirbelnden Schlieren, heißer und gleißender als jede Sonne. Kel versuchte, den Phönixen um die mit Hindernissen übersäte Rennstrecke zu folgen, obwohl sie die Tiere aus ihrer Box auf der erhöhten Zuschauertribüne eigentlich nur als blutrote Striche wahrnahm.

Malerinnen und Maler auf allen vier Inseln Saltas hatten versucht, die gewaltige Strahlkraft der Phönixe einzufangen. Doch für Kel war alles, was keine versengten Armhärchen und Blasen auf der Haut verursachte, lediglich ein blasser Abklatsch.

Ein gellendes Kreischen hallte über die Rennstrecke. Die Menge unter und rings um Kels Box brach in ohrenbetäubendes Gebrüll aus.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie die Stimmen in ihrem Tele-Kommunikator wieder hören konnte.

»Nach links! Links – nein, zu weit!«

»Duck dich schön tief. Ja! Genau so!«

Kel biss sich auf die Lippe. Sie schielte zu Rube hinüber, der sich rechts von ihr auf die Zehenspitzen stellte und sich fast den Nacken verrenkte.

»Ignorier den letzten Teil, Oska«, rief Kel in ihren Tele-Kommunikator. »Dadurch wird Savita eingeklemmt.«

Oska – die Reiterin ihres Teams – antwortete mit einem angestrengten Knurren, befolgte aber Kels Anweisungen. Kels Phönix, Savita, war leicht auszumachen. Sie schwebte hoch über den anderen, dicht an der 150-Meter-Höhengrenze des Rennens.

»Flacher«, blaffte Dira. »Wenn ihr noch höher steigt, werdet ihr abgeschossen.«

Kels Blick wanderte zu den dunklen, mechanischen Wolken, die den Himmel abriegelten. Wenn ein Phönix ihnen zu nahe kam, würde wahrscheinlich saurer Regen auf ihn niedergehen.

Rube nahm seinen Tele-Kommunikator ab und stammelte: »Entschuldige, Kel. Ich wollte nur …«

Dira legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Was Kel meint, ist, dass du mir – der Lenkerin – das mit der Strategie überlassen sollst.«

Dira feixte. Ihr Blick zuckte zu Kel hinüber. »Das gilt auch für die Zähmerin.«

Der Lärm der Menge, der tosende Applaus und die auf den letzten Drücker hineingerufenen Wetten machten es nahezu unmöglich, Dira ohne die schmalen Headsets zu hören, obwohl sie direkt nebeneinanderstanden.

Kel verkniff sich eine Erwiderung. Dira hatte recht. Als Lenkerin des Teams war sie für die Rennstrategie zuständig. Kel war die Zähmerin – ihre Aufgabe war es, den Phönix zu versorgen und zu trainieren. Ihren Phönix.

Rube hatte es sicher nur gut gemeint, aber er war nun mal für die Ausrüstung verantwortlich, nicht für taktische Ratschläge. Sie konnten sich keine Fehler leisten, egal wie gut die Absicht dahinter sein mochte.

Kel krallte die schweißnassen Hände um das Metallgeländer, das die Tribüne von der weitläufigen Rundstrecke trennte. Ihre Knöchel traten weiß hervor. Dieses Rennen war zu wichtig, es war eines der größten im Veranstaltungskalender der Stadt. Ihr Anteil am Preisgeld, das es für den ersten Platz gab – 50000 Ceres –, würde ihr helfen, die Geier der Stadtverwaltung auf Abstand zu halten, die ihr wegen längst überfälliger Rechnungen im Nacken saßen. Sie kreisten über ihr, als wäre sie ein schmackhaftes Stück Aas.

Die heutige Rennstrecke befand sich in einem Freiluftstadion und war enger als gewohnt. Jedes Team musste einhundert Runden des zwei Kilometer langen Parcours absolvieren. Zuschauertribünen säumten die Strecke, und die riesigen Flachbildschirme, die jedes noch so kleine Detail des Rennens wiedergaben, reichten fast bis zur Flughöhe der Phönixe hinauf. Aus dem Zentrum ragte eine unter Strom stehende Säule empor, die einen elektrischen Ring erzeugte und jedem Feuervogel einen tödlichen Schlag versetzte, der ihm zu nahe kam. Während die dunklen Wolken dafür sorgten, dass die Tiere nicht zu hoch flogen, ließen sie hin und wieder zusätzliche Hindernisse herabfallen: menschengemachte Meteore, die aus kleinen, gut verborgenen Fluggeräten plumpsten.

Von der Teambox aus beobachtete Kel, wie Savita um Federbreite einem herabsausenden, mit Stacheln bewehrten Knüppel auswich, der groß genug war, um Oska zu zermalmen.

»Die herabfallenden Gegenstände folgen einem Rhythmus«, verkündete Diras Stimme über Kels Tele-Kommunikator. »Die Wolken bewegen sich, dadurch ist jede Runde anders. Aber die dunkleren Wolken werfen größere Waffen ab, die helleren dafür öfter. Bleibt dicht am inneren Ring und weicht aus, wenn ich es euch sage.«

Kel sah Dira ungläubig an. Der Himmel war ein Flickenteppich aus Wolken, von denen keine der anderen glich. Trotzdem schaffte es Dira irgendwie, die Abstände zwischen den herabstürzenden Gegenständen vorauszuahnen, während sie Oskas Position im Blick behielt.

»Dann beten wir mal, dass es keine Verzögerung bei der Übertragung gibt«, murmelte Oska, bevor sie Savita wie geheißen dichter zur Säule hinlenkte. Ein knisternder Funke flammte erschreckend dicht neben Savitas linker Flügelspitze auf. Kel zuckte zusammen.

Mit Diras Hilfe umkurvte Oska drei weitere Hindernisse und schloss nach und nach zu dem Phönix vor ihnen auf – dicht genug, dass Sav sich streckte, um nach den Schwanzfedern des Widersachers zu schnappen.

Durch die plötzliche Bewegung machte Oska einen Satz in Savs Sattel, schaffte es aber, das Gleichgewicht nicht zu verlieren und die geduckte Haltung zu bewahren. Vor Erleichterung bekam Kel ganz weiche Knie. Das hier war erst Oskas drittes Rennen für das Team. Kel und Dira hatten fünf kräfte- und nervenzehrende Monate damit verbracht, Savita dazu zu bringen, dass sie Oska auf ihren Rücken ließ, und erst letzten Monat hatte Savita es endlich erlaubt. Obwohl sie dadurch nicht so viel trainieren konnten, wie Kel es sich gewünscht hätte, wusste Kel, dass Savita schnell genug – stark genug – war, um dieses Rennen zu gewinnen. Sie war ein Karneolphönix, von Natur aus die flinkste der sieben Unterarten, die es in Cendor gab, und das Rennen führte in engen Kurven um den elektrischen Ring, die Savitas Wendigkeit entgegenkamen. Solange Oska auf Dira hörte, konnten sie es unter die ersten drei schaffen. Damit wäre ihnen wenigstens ein kleiner Teil der Siegesprämie gewiss.

Ein größerer, dunklerer Phönix segelte an Kels Box vorbei, eine halbe Runde hinter Savita. Plötzlich blitzte in den Wolken etwas Silbernes auf, und ein Bündel dicker Pfeile schoss daraus herab. Die kirschrot glühende Hitze des Phönix schlug Kel entgegen, bevor kochendes Blut auf die Tribünen spritzte.

Zitternd holte sie Luft und wischte sich die Tropfen von der Wange, erleichtert, dass nichts anderes die Menge getroffen hatte. Die Rennstrecke war zwar durch einen engmaschigen Drahtzaun von den Zuschauern getrennt, aber der war im Grunde nicht viel mehr als Dekoration. Bei zahlreichen Rennen waren Zuschauer im Krankenhaus gelandet, teils durch Querschläger, teils weil ein Phönix einen anderen im Blutrausch aus der Bahn und mitten in die Menge gerempelt hatte.

Wer hierherkam, tat es auf eigene Gefahr. Aber das hielt die Leute nicht davon ab.

Der Phönix und sein Reiter stürzten als lodernder Feuerball in die Tiefe. Sie schlugen mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf dem Boden auf und blieben reglos liegen.

Aufgewirbelter Staub stieg empor und regnete auf sie nieder.

Kel verzog das Gesicht, als die Menge in einer Mischung aus Begeisterung und Frust aufschrie. Die Leute brüllten ihre Wetten in Tele-Kommunikatoren und hämmerten sie in schimmernde Tablets. Sie setzten auf alles, was sich anbot, vom ersten Phönix, der sterben würde, bis zum Sieger oder zur Siegerin des Rennens. Obwohl die Teambox etwas abseits gelegen war, schmerzten Kels Ohren von der brutalen Reaktion des Publikums. Sie konzentrierte sich auf diesen Schmerz, um gar nicht erst Mitleid für die Gestürzten in sich aufkommen zu lassen.

Ein weiterer Phönix raste an ihr vorbei, durch die atemberaubende Geschwindigkeit kaum mehr als ein verschwommener kupferfarbener Fleck. Die Hitze war so groß, dass Kel sich schützend die Hand vor das Gesicht hielt, während schwarze Sterne über ihr Sichtfeld tanzten. Als sich ihr Blick wieder klärte, hatten sich die verschwommenen Farbkleckse in Federn verwandelt, und der Wind, der sie zurückdrängte, legte sich. Sie strich sich die braunen Haare aus der feuchten Stirn.

Und schon kollidierten der nächste Phönix und sein Reiter mit einem herabfallenden Hindernis – ein riesiger, mit Leder überzogener Streitkolben – und stürzten zu Boden. Überraschenderweise schienen sie weitgehend unverletzt zu sein. Der Feuervogel taumelte und schüttelte benommen den Kopf. Er wirkte vor allem erschrocken, weigerte sich jedoch standhaft, wieder auf die Rennstrecke zurückzukehren.

Dira strich sich eine rötlich braune Locke hinter das Ohr. »Geschieht dem Reiter ganz recht. In so einer Kurve kann man nicht so viel Geschwindigkeit aufnehmen. Strecken mit fallenden Hindernissen verwirren Phönixe immer. Er hätte sich mehr Zeit lassen sollen.«

»Klappe«, fauchte Oska über den Tele-Kommunikator. »Wenn ihr euch schon keine Headsets mit Stummschaltknopf leisten könnt, dann seid gefälligst still, solange ihr nichts Nützliches beizutragen habt.«

Kel biss sich auf die Zunge und zwang sich zu schweigen. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass die vergangenen Monate, die Oska mit dem Training für die Wettbewerbe des CVPR – dem Cendorischen Verband für Phönixrennen – verbracht hatte, ausreichen würden, um sie am Leben zu halten.

Kel lehnte sich zurück und ließ den Blick über den Parcours schweifen. Zwanzig Phönixe brachten den Himmel wie Feuerwerk zum Erstrahlen. Savita und Oska lagen auf dem vierten Platz, wenn auch nur knapp. Vom anderen Ende der Strecke sah sie zu, wie ihre neueste Teamkameradin herabfallende Metallteile umkurvte und über ein weiteres Paar flammender Flügel hinwegglitt.

Kurz darauf schrillte ein Sirenenton durch das Stadion.

Die führenden Phönixe befanden sich auf der letzten Runde des Rennens.

Galle stieg in Kels Kehle hoch. Sie beobachtete, wie Oska Sav lenkte, stellte sich vor, wie die Reiterin mit ungeschickten Fingern Muster auf Savitas Hals zog, um der Phönixdame zu signalisieren, was sie zu tun hatte. Kel konnte beinahe Savitas weiche Federn unter den Fingern spüren, zart schmelzend wie Honig, glühend wie Klingen direkt aus dem Schmiedefeuer.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und konnte zwei verschwommene Phönixe ausmachen, die sich von hinten an Savita heranpirschten.

»Oska – rechts von dir nähern sich zwei Reiter«, warnte Dira eindringlich. »Gib ihnen keinen Raum, dich zu überholen.«

Oska antwortete nicht, doch Savita schwenkte nach rechts und streckte ihre Flügel, gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass ihre Verfolger vorbeiziehen konnten.

Kel ließ sich wieder auf die Fersen sinken, als plötzlich ein gellender Menschenschrei durch die Anfeuerungsrufe der Menge drang. Mit hämmerndem Herzen suchte sie die verbliebenen Phönixe ab, konnte jedoch nicht erkennen, woher der Schrei gekommen war. Sie fragte sich, wessen Haut wohl gerade mit der Lederausrüstung verschmolz.

Natürlich tat ihr die arme Seele leid, aber wirklich aus der Fassung geriet sie dadurch nicht. Das hatte sich das betreffende Team selbst zuzuschreiben. Es war die Aufgabe des Technikers, die Temperatur des Phönix, den Zustand des Sattels und die Strapazierfähigkeit des Leders im Auge zu behalten. Alle Welt wusste, dass Phönixe umso heißer wurden, je schneller sie flogen, und darauf galt es, beim Rennen achtzugeben. Dem Techniker der Howler, Rube Rohin, würde so ein simpler Fehler niemals unterlaufen. Obwohl er noch immer keine Ahnung hatte, wie er mit Savita umgehen sollte, würden ihn seine Entwürfe eines Tages sehr wahrscheinlich zum Millionär machen.

Oska sackte in die Tiefe, wodurch sie knapp einem herabfallenden Streitkolben entging.

»Gut«, lobte Diras Stimme durch die Leitung. »Der Reiter auf Platz drei lehnt sich zu weit nach links. Dadurch hat sein Phönix einen toten Winkel, wenn du ein bisschen näher heranfliegst. Knapp unterhalb seines linken Flügels.«

Oska gab ein angestrengtes Knurren von sich und spornte Sav an, schneller, bis sie so dicht zu dem anderen Phönix aufgeschlossen hatte, dass dessen Flügel ihnen gleichzeitig als Schutz vor weiteren Waffen diente.

»Etwas tiefer, damit der Phönix euch nicht mit seinen Klauen erwischen kann«, fügte Dira hinzu, und Oska gehorchte. »Okay – einen Meter nach rechts, in drei, zwei, eins …«

Savita schwenkte im selben Moment zur Seite, als ein riesiges, gezacktes Metallteil von oben herabstürzte. Der Phönix über ihr setzte zum gleichen Ausweichmanöver an, nur eine halbe Sekunde später.

Zu spät.

Das scharfe Metall bohrte sich in den ausgestreckten Flügel des Phönix. Tiefrotes Blut spritzte auf Savitas Hals, und der andere Phönix fiel rudernd und strampelnd zurück.

Damit hatten sie sich auf den dritten Platz vorgeschoben.

Oskas abgehacktes Keuchen dröhnte durch Kels Schädel.

»Alles okay?«, flüsterte Kel.

»Ja.« Oskas Stimme zitterte. »Irgendwer hinter mir?«

»Freie Bahn«, antwortete Dira unbeeindruckt. »Lass Sav die Flügel anlegen und nehmt mehr Geschwindigkeit auf. Haltet die Höhe, bis ich etwas anderes sage. Die Runde ist noch lang genug.«

Oska schwieg, behauptete aber ihre Position. Die herabstürzenden Hindernisse wurden weniger, je näher sie der Ziellinie kamen, doch die elektrische Säule auf der einen Seite und der Drahtzaun auf der anderen verhinderten, dass zu viele Phönixe nebeneinander flogen.

In der Ferne erschienen zwei identische rot-goldene Flaggen, die in der heißen Luft wogten und flatterten.

Kel ballte die Fäuste, öffnete sie und schloss sie wieder. Oska musste schneller fliegen.

Langsam näherte sich Sav dem zweitplatzierten Feuervogel. Die Tiere auf den ersten beiden Plätzen – zwei große Blutphönixe – lagen dichtauf, und ihre ausgebreiteten Flügel bildeten eine beinahe durchgehende Linie. Es war so gut wie unmöglich, sich an ihnen vorbeizuschieben, ohne einen tödlichen Stromschlag von der Säule in der Mitte zu erhalten. Doch der dritte Platz würde den Howlern wenigstens einen kleinen Teil vom Preisgeld einbringen, genug, um …

Übermütiges Gelächter erschallte in Kels Tele-Kommunikator, lauter als der Lärm der Zuschauermenge. Eine Sekunde später schossen rotbraune Flammen an Oska und Savita vorbei, ein gewaltiger Phönix, der deutlich schneller flog, als es seine Größe hätte zulassen sollen. Durch die sprühenden Funken konnte Kel die Rückseite des Reiters erspähen und die kastanienbraunen Locken, die unter dem Rand seines Helms hervorlugten.

Ihre Nerven, die ohnehin schon zum Zerreißen gespannt waren, hielten dem Druck nicht länger stand.

Kel biss sich so fest auf die Lippe, dass Blut daraus hervorquoll. Von allen Reitern, die Oska hätten überholen können …

»Ernsthaft?«, stöhnte sie und warf den Kopf in den Nacken, als würde sie ihre Frage an die Alchemisten höchstpersönlich richten. »Ausgerechnet Warren Coupers?«

Als hätte er sie gehört, stieß der Dreckskerl – Spitzname »Coup« – ein weiteres Johlen aus, laut genug, dass es über das Kreischen der Phönixe zu hören war.

Kel ballte die Fäuste.

Kein Wunder, dass die Menge den jungen Reiter vergötterte. Glut und Asche, die ganze Insel vergötterte ihn. Er war nicht lange nach den Howlern auf der Bildfläche erschienen und hatte sich im Nu zum Paradebeispiel all dessen gemausert, was Kel verabscheute: Ruhm, Draufgängertum und all die anderen glorreichen Facetten der Phönixrennen. Aus Kels Sicht waren Phönixe göttliche Kreaturen, die es zu fürchten und zu schützen galt. Kein Beiwerk leichtsinniger Stunts von abenteuerlustigen Typen mit ärgerlich symmetrischen Wangenknochen.

Mit finsterer Miene sah Kel, wie Coup weiter beschleunigte und viel zu schnell zu den Phönixen auf den ersten beiden Plätzen aufschloss, ohne sich großartig um die Waffen zu scheren, die dicht genug an ihm vorbeistürzten, um seinem Phönix die Flügel zu kupieren. Oska und Savita konnten unmöglich mit diesen Geschwindigkeiten mithalten. Kel musste sich wohl oder übel eingestehen, dass Coup die Howler auf Platz vier verbannt hatte.

Sie würden keinen einzigen Cere sehen.

»Wie macht er das?«, fluchte Kel.

Sie kniff die Augen zusammen. Während sein Phönix die Flügel streckte, löste Coup die Beinschnallen des Sattels, zog die Füße hinter sich hoch und legte sich flach auf den steifen Sattel. Kel konnte sich nicht vorstellen, wie schmerzhaft das für seine Arme sein musste. Es bedeutete eine gewaltige Anstrengung, so still zu halten, während sein Phönix durch die Lüfte raste, mal nach links, mal nach rechts auswich und dabei den Reitern auf Platz eins und zwei näher und näher kam.

Während der tosende Gegenwind an ihnen zerrte, tauchte Coups flammender Feuervogel zwischen den beiden Phönixen vor ihnen hindurch. Eigentlich hätte es nie und nimmer funktionieren dürfen, aber mit angelegten Flügeln und Coups Beinen lang gestreckt auf seinem Rücken, glitt der Phönix so mühelos durch die schmale Lücke wie Seide durch Finger und schob sich an die Spitze des Rennens.

»Wie zur Hölle hat er das angestellt?«, schimpfte Dira. »Schön und gut, dass er stark genug ist, um sich ohne Beinschnallen auf seinem Vogel zu halten, aber wenn die anderen Phönixe zusammengerückt wären, hätten sie ihn wie einen Käfer zerquetschen können!«

Kel schüttelte bloß den Kopf, die Wut schnürte ihr die Kehle zu. Sie sah, wie Coup sich wieder in den Sattel schwang und seinen Phönix dazu brachte, die Flügel so weit wie möglich auszubreiten.

Die Flammen um ihn herum züngelten höher. Mit flinken Handbewegungen auf dem Halsgefieder des Phönix wies Coup den Feuervogel an, noch schneller zu fliegen, noch heißer zu werden. Kel konnte es nicht fassen.

»Vielleicht haben wir ja Glück, und er grillt sich selbst«, seufzte sie, obwohl sie wusste, dass sie sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Coup war mit einem geradezu unfairen Maß an Glück gesegnet, seit er vor fast zwei Jahren zum ersten Mal bei einem Rennen des CVPR erschienen war.

Die Hitze, die von Coups Phönix ausging, würde sich ganz sicher durch das Leder seines Rennanzugs fressen, aber sie würde die anderen Reiter auch davon abhalten, ihm zu nahe zu kommen. Kel konnte sie bis in ihre Box spüren. Coup hatte die Führenden mit einer eigentlich unmöglichen Aktion überholt.

Und es hatte sich irgendwie ausgezahlt. Für ihn.

Coup johlte, als er über die Ziellinie schoss.

Vierter Platz. Die Worte krallten sich wie Phönixklauen in Kels Hirn.

»Verdammt, wie hat er das hingekriegt?«, schrie Oska in ihren Tele-Kommunikator. Im nächsten Moment hörte Kel ein merkwürdiges, hektisches Klirren, gefolgt von einem Krächzen aus Savs Schnabel.

»Was ist das für ein Geräusch? Was machst du da?«, rief Kel.

Oska antwortete nicht. Kel kniff die Augen zusammen und stellte fest, dass Oska an ihren Beinschnallen herumfummelte. Ein Zischen drang durch die Leitung, als sich Oska trotz ihrer Handschuhe die Finger am glühend heißen Metall verbrannte.

»Verdammt, was soll das werden?«, schrie Kel. »Wenn du dich losschnallst, bist du tot!«

»Irgendwas müssen wir machen, wenn wir aufs Podium wollen!«, entgegnete Oska. Ihr angestrengter Tonfall jagte Kel einen Schauer über den Rücken.

»Aber nicht das«, erwiderte Dira atemlos. »Bist du lebensmüde? Das führt nur dazu, dass wir uns eine neue Reiterin suchen müssen …«

Oska gab einen Laut von sich, der wie eine Mischung aus Wimmern und Lachen klang. »Glaubt ihr ernsthaft, dieser arrogante Scheißkerl ist ein besserer Reiter als ich?«

»Nein«, log Kel. »Aber warum willst du etwas nachmachen, was Warren Coupers für eine gute Idee gehalten hat?«

Oska zerrte weiter an den Schnallen, mit denen ihre Füße und Unterschenkel am Sattel festgezurrt waren. Kels Blick fiel auf ihre eigenen Fingerknöchel, die weiß hervortraten, und stellte sich vor, dass das Gesicht ihrer Reiterin ziemlich genau die gleiche Farbe haben musste.

»Ich kann das«, krächzte Oska.

»Selbst wenn – uns läuft die Zeit davon.« Kel rauschte das Blut in den Ohren. Ihr Herz verwandelte sich in ein wildes Tier in einem zu engen Käfig, dessen Schläge sie bis hinauf in die Kehle spürte. »Bitte. Oska. Das ist es nicht wert.«

Oskas Finger bewegten sich nur noch schneller. Sie befreite ihr rechtes Bein und presste es mit aller Kraft gegen Savs Flanke, während sie sich zu ihrem linken Bein hinüberbeugte.

Kel war schwindelig. Sie konnte nicht glauben, dass Oska nicht sofort von Savs Rücken gerissen worden war. Dass sie sich bei diesen Geschwindigkeiten ohne Schnallen dort oben hielt, glich einem Wunder. Ein unerwarteter Windstoß, ein Rempler von einem anderen Phönix genügte, und Oska würde den Halt verlieren – während sie mit einem Bein immer noch an Savita hing. Sie wäre eine hilflose Marionette, gefesselt an eine flammende, adrenalintrunkene Gottheit.

»Hör auf, Oska!«, schrie Rube neben Kel.

Oska antwortete nicht.

»Wenn du das machst, bist du raus aus dem Team«, brüllte Kel, während Oska die letzte Schnalle an ihrem linken Bein löste. Es war eine verzweifelte, wenig überzeugende Drohung, das wusste sie selbst.

»Tu’s nicht, Os«, flüsterte Dira.

Vor Furcht konnte Kel kaum hinsehen, als die Flachbildschirme über ihnen Oskas Schicksal riesengroß und bis ins kleinste schreckliche Detail wiedergaben.

Mit zitternden Händen umfasste Oska den Sattelknauf, zog die Beine hinter sich hoch und legte sich flach auf den Bauch. Ihre Arme bebten vor Anstrengung, und drei ihrer Finger verloren den Halt, als Savita ein schrilles Kreischen ausstieß und die Flügel anlegte, um den Stunt nachzuahmen, den Coup vor ihren Augen vollführt hatte.

Ein Schluchzen schallte durch die Tele-Kommunikatoren. Kel stellte sich vor, wie heiß es auf Savitas Rücken sein musste. Oskas Lederanzug musste sich auflösen wie Papier über einem Feuerzeug.

»Spring, Oska! Spring!«, schrie Kel.

Der Boden unter Oska bestand aus festgetretener Erde und war steinhart, aber ein paar gebrochene Knochen waren immer noch besser als alles, was ihr sonst bevorstand.

Oska weigerte sich loszulassen, und Sav zwängte sich mit rasender Geschwindigkeit zwischen die beiden Phönixe dicht vor ihnen. Sie neigte sich leicht nach rechts, als einer der Phönixe nach innen zog, und Oska neigte sich wohl oder übel mit. Dadurch fehlte ihr der Anpressdruck, der sie flach auf dem Sattel gehalten hatte, und sie prallte gegen den Flügel des benachbarten Phönix.

Der Bildschirm, der die Aufnahmen von Oskas Helmkamera übertrug, zeigte nur noch weißes Rauschen. Doch aus ihrer Box konnte Kel immer noch sehen, dass die Reiterin ihres Teams wie eine schlaffe Puppe in die Luft geschleudert wurde. Klauen blitzten auf, und über ihren Tele-Kommunikator hörte Kel das Geräusch von zerreißendem Leder. Eine überwältigende Übelkeit stieg in ihr hoch.

Oska schrie; ein albtraumhafter Laut, der ihr förmlich aus der Kehle gesogen wurde. Wind und statisches Rauschen zerhackten ihren Schrei, als sie durch die Luft wirbelte und auf den Boden zuraste.

Ein dumpfer Knall drang ohrenbetäubend durch die TeleKommunikatoren des Teams.

Dann brach die Verbindung ab.

2

Brennender Schweiß rann Kel in die Augen und nahm ihr die Sicht, als sie sich aus der Box der Howler in das Getümmel auf der Tribüne warf und die knarrende Treppe hinabraste. Zuschauer, die sich aus ihren Sitzen erhoben, stieß sie achtlos beiseite. Dira und Rube waren dicht hinter ihr, zu dritt stolperten sie durch ein Metalltor ins Innere des Stadions. Als sie die Strecke erreichten, war das Rennen bereits zu Ende.

Sie hielten einem Sicherheitsposten ihre CVPR-Pässe vor das ausdruckslose Gesicht und blieben dann ratlos stehen. Oska war zweihundert Meter vor der Ziellinie gestürzt. Ein Team aus Rettungssanitätern rannte quer durch den Innenraum auf ihren fernen, reglosen Körper zu.

Kel schlug das Herz bis zum Hals, als sie sich an Dira und Rube wandte. »Seht nach Oska und …«

Und was? Überprüft, ob sie noch einen Puls hat?

Dira hustete. »Keine Sorge, Kel. Wir bleiben bei ihr. Geh und hol Sav.«

Kel nickte knapp und sprintete durchs Ziel. Sav war nach Oskas Sturz ungerührt weitergeflogen und hatte ihrer Reiterin in etwa so viel Beachtung geschenkt wie einer Mücke auf deren Fliegerbrille.

Die Luft hinter der aufgemalten Ziellinie waberte und flirrte, wo die überlebenden Phönixe gelandet waren und langsam abkühlten. Sie waren mindestens doppelt so groß wie Kel, und mehr als die Hälfte von ihnen hatte Blut im glänzenden Gefieder. Kel blinzelte gegen die Wolken aus aufgewirbeltem Staub an und schloss den Reißverschluss ihrer Lederjacke, um sich vor der sengenden Hitze zu schützen.

Rechts von ihr schnappten drei Phönixe nacheinander, bäumten sich unter ihren Reitern auf und ließen sich kaum beruhigen. So kurz nach dem Rennen waren Anspannung und Aufregung noch groß, und es wäre für sie ein Leichtes gewesen, die Veranstaltung in einem Massaker enden zu lassen. Kel schlängelte sich geschickt zwischen den Tieren hindurch, wobei sie darauf achtete, möglichst viel Abstand zu ihnen zu halten. Schließlich entdeckte sie Savita, deren Gefieder mit roten, orangefarbenen und gelben Funken gesprenkelt war. Sav knurrte den Phönix neben sich gereizt an. Ohne eine Reiterin, die sie im Zaum hielt, konnte sie sich so wild und ungezügelt aufführen, wie sie wollte.

Dann bemerkte Sav Kel. Sie zog den Kopf ein und ließ von dem anderen Phönix ab wie eine Katze, die dabei erwischt worden war, wie sie mit einer Maus spielte. Kels Schultern sackten herab, als sie näher kam. Savs vom Adrenalin gespeiste lodernde Flammen hatten sich bereits gelegt und waren zu ihrem gewohnten sanfteren, schwächeren Flackern zurückgekehrt. Sie bog den langen Hals, um sich zu putzen und an dem leeren Sattel auf ihrem Rücken herumzupicken.

»Du hast mich zu Tode erschreckt«, murmelte Kel, während sie mit ihren behandschuhten Händen über eine Reihe burgunderroter Federn an Savitas Seite strich.

Sie zuckte zusammen, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Oskas Schreie hallten ihr noch in den Ohren nach. Obwohl sie Oskas knochenzerschmetternden Sturz mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte sie nichts gegen den Gedanken ausrichten, der sich in ihrem Hinterkopf eingenistet hatte und dort in einer mantraartigen Endlosschleife lief:

Es geht ihr gut. Es geht ihr gut. Es geht ihr gut. Es …

Oska war forsch und führte sich oft auf, als würde ihr die ganze Welt gehören, aber sie war eine von ihnen. Eine von den Crimson Howlern. Sie konnte nicht …

Kel weigerte sich, den Gedanken auch nur zu Ende zu führen.

Savita klappte ungeduldig den schwarzen Schnabel zu. Ihre Federn sprühten noch immer kleine Funken, und einer davon landete auf Kels Jackenärmel. Er brannte ein glühendes Loch hinein, bevor Kel ihn löschen konnte. Sie schluckte den Schmerz runter. Sav schien davon nichts mitzubekommen, sie war offenbar von dem Treiben eines anderen Teams ganz in der Nähe abgelenkt. Kel wartete, bis Sav den Blick wieder auf sie richtete, ehe sie die Hände höher hob und nach dem Sattel griff.

Phönixe waren keine Haustiere zum Knuddeln und Liebhaben. Sie waren genauso wild und brutal wie die Insel, von der sie stammten – ganz anders als die harmlosen Naturgeister auf Ascira oder die schlangenartigen Kreaturen auf Dresva. Wer auch nur versuchte, Savita ohne ihr Einverständnis zu berühren, war seine Hand schneller los, als er blinzeln konnte.

»Du hättest nicht anhalten und bei Oska bleiben können?« Kel seufzte. »Du musstest das Rennen unbedingt zu Ende bringen?«

Sav senkte den Kopf und rieb den Schnabel sachte an Kels Handfläche. Die Erkenntnis, dass Sav wohlauf war, nahm Kel etwas von dem Druck in ihrer Brust. Ihr Gefieder, wogende Lagen aus gelben, orangefarbenen und roten Federn, war kaum zerzaust und wies keinerlei Verletzungen auf. Zu den Flügelspitzen hin verdunkelten sich die Farben zu einem kräftigen Burgunderrot, wie scharfe, in Blut getauchte Klingen. Trotz des aufgewirbelten Staubs glänzten die kupferfarbenen Klauen wie eh und je. Der Sattel saß etwas über Kels Kopfhöhe, auf den blasseren Federn entlang Savitas Rückgrat.

Kel blickte sich nach den Phönixen in ihrer Umgebung um, die ungeduldig tänzelten und gurrten, während sich ihre Teams langsam näherten. Sav war zwar Vierte geworden, aber weil sie die Ziellinie ohne ihre Reiterin überquert hatte, würde sie disqualifiziert werden. Kels Augen prickelten.

Oska hatte durch den Sturz garantiert schwere Verletzungen erlitten, womöglich sogar bleibende Schäden. So oder so würden die Howler bis auf Weiteres keine Reiterin haben und konnten demnach nicht an Rennen teilnehmen. Es sei denn, Kel würde einspringen. Sie hatte früher tatsächlich das eine oder andere Phönixrennen bestritten, doch ihr fehlten die nötige Kraft und Geschicklichkeit, um auf CVPR-Niveau mithalten zu können.

Wir hätten es besser machen müssen.

Bei dem Gedanken verzog Kel das Gesicht. Ihr Vater hatte für Phönixrennen und die CVPR nicht viel übrig, aber er hätte ihr ordentlich die Meinung gegeigt, weil sie sich über einen vierten Platz ärgerte. Dann hätte er gegrinst, alles wieder in Ordnung gebracht und sie herumgewirbelt, bis sie lachen musste.

Doch Kel hatte das Grinsen ihres Vaters seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Alles, was ihr von ihm geblieben war, waren Schulden und vertrocknete Felder. Ein dumpfes, unheilvolles Gefühl machte sich in ihr breit, das nur noch stärker wurde, als sie Diras Schritte hinter sich hörte.

Dira blieb stehen und sagte: »Oska … sie ist …«

Kel versuchte, sich für das zu wappnen, was jetzt kam, obwohl sich Furcht und Mutlosigkeit noch tiefer in sie hineinfraßen. Sie drehte sich zu ihrer Freundin um.

»Sie ist tot«, brachte Dira mühsam hervor, ehe sie unter dem Gewicht ihrer Worte zerbrach und förmlich in sich zusammenschrumpfte.

Die Welt verschwamm, und Kel schloss die Augen.

Der Tod gehörte ebenso sehr zu den CVPR-Wettbewerben wie die Phönixe. Das wusste Kel, seit sie sich zum ersten Mal für ein Rennen angemeldet hatte. Aber das änderte nichts daran, dass es ihr den Boden unter den Füßen wegzog.

Sie hatte Oska nur wenige Monate gekannt, aber in der kurzen Zeit hatte sie viel über sie erfahren: Oska hatte zwei jüngere Schwestern. Ihre Lieblings-Naturgeister waren Violett und Indigo. Sie gab sich größte Mühe, immer die unpraktischsten, mit Pailletten übersäten Oberteile unter ihrer Lederkluft zu tragen. Ihre Familie war wohlhabend, aber Oska war nach Cendor gekommen, um zu beweisen, dass sie auf das Geld nicht angewiesen war. Sie besaß die Stärke einer echten Salteserin.

Savitas Kreischen riss Kel aus ihren Gedanken. Sie schlug die Augen auf, eilte auf Dira zu und schloss sie in die Arme.

»Tut mir leid«, flüsterte Kel, um eine feste Stimme bemüht.

Diras Antwort war ein unterdrücktes Wimmern.

Kel hielt sie noch fester. »Geh nach Hause – ich kann unsere Ausrüstung auch allein einpacken.«

Dira schniefte. »Und was ist mit dir?«

Kel schwieg. So verharrten sie, in geteiltem Schmerz vereint, bis Savita erneut kreischte. Kel wartete, bis Dira sie losließ. Wie betäubt stellten sie sich auf die Zehenspitzen und lösten den kunstvoll verzierten Sattelgurt um Savitas Bauch. Kel zwang sich, das Thermometer zu überprüfen, das in Savitas Halsband eingelassen war. Die Temperatur der Phönixdame war etwas erhöht, was nach einem Rennen aber völlig normal war.

Kel fing den Sattel auf, der von Savs zwei Meter hohem Rücken glitt, und taumelte unter dem Gewicht, als plötzlich Geschrei ganz in der Nähe ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie setzte den Sattel auf dem Boden ab und lugte unter Savs Bauch hindurch in die Richtung, aus der die Stimmen kamen.

Vier Personen hatten sich um einen großen Blutphönix und seinen Reiter versammelt. Kel kniff die Augen zusammen und konnte das Wappen mit dem neonfarbenen Meteor auf dem Rücken ihrer Uniformen erkennen, das sie als die Starchaser auswies – jenes Team, das das außerordentliche Pech hatte, den größten Arsch aller Zeiten als Reiter zu haben.

Coup hing lässig auf dem Rücken seines Phönix, während ihn die Mitglieder seines Teams fluchend umringten. Trotz des Schocks verspürte Kel einen Anflug kleinlicher Genugtuung. Coup mochte das Rennen gewonnen haben, doch Kel bezweifelte, dass sein Team über sein waghalsiges Manöver erfreut war. Die Starchaser waren für ihre überkorrekte Herangehensweise bekannt. Das brachte ihnen zwar nicht besonders viel Medieninteresse ein, aber es bedeutete auch, dass sich ihre Sponsoren keine Sorgen über Schäden an der teuren Ausrüstung machen mussten. Sie waren sicher nicht allzu begeistert, wenn Coups Ruf als verwegener Hitzkopf auf sie abfärbte.

Coups älterer Bruder Bekn stand mit verschränkten Armen und ausdrucksloser Miene etwas abseits. Die beiden schienen immer gemeinsam Teams zu wechseln: Coup als Reiter, Bekn als Vermittler, der die Öffentlichkeitsarbeit und Sponsorensuche übernahm. Die meisten CVPR-Teams bestanden standardmäßig aus fünf Mitgliedern: Zähmer, Reiter, Techniker, Lenker und Vermittler. Der Vermittler war für all die Aspekte der CVPR-Wettbewerbe zuständig, die Kel daran nicht ausstehen konnte: Ruhm, Öffentlichkeit und das Gewinnen von Sponsoren, die sich dann in alles einmischten. Kel und Dira hatten nie einen Vermittler gefunden, den sie so sehr mochten, dass sie ihn behalten wollten – erst recht nicht angesichts der Honorare, die die meisten von ihnen verlangten. Wenn Sav den dritten Platz belegte, würde ihnen das genügend Geld und Aufmerksamkeit bringen, um die Kosten bis zum nächsten Rennen zu decken.

So hätte es jedenfalls sein sollen. Hätte Oskas Leben nicht brutal geendet und Kel …

»Wie geht’s Savita?«, erkundigte sich Dira leise und blickte an der Phönixdame hinauf.

Kel sah ihre Freundin an. »Ihr geht’s gut. Dira, bist du sicher, dass du …«

Sie brach ab, als Rube auf sie zukam. Er blieb ein gutes Stück links von Dira stehen, so nah, wie er sich eben an Sav herantraute. »Wir sollten aufbrechen, damit ich unsere Ausrüstung überprüfen kann.« Er deutete auf den Sattel auf dem Boden. »Ich habe eine App, die mit Oskas Anzug verbunden ist, sodass ich … sodass ich nachvollziehen kann, wie er sich beim Rennen gehalten hat. Auch wenn …«

»Ich bezweifle, dass wir den Anzug zurückbekommen«, vollendete Dira sachte.

Kel wurde übel.

Rubes ohnehin schon bleiches Gesicht wurde noch bleicher. Kel griff nach Savs Zügeln und warf einen finsteren Blick zu den Starchasern hinüber. Coup stand ganz allein da, allem Anschein nach von seinem Team zurückgelassen, und klopfte sich den Staub von den Beinen.

Lodernde Wut flammte in Kels Brustkorb auf, als sie ihn so sah. Sie klammerte sich an diese Wut und heizte sie weiter an, bis sie sich durch das benebelte Gefühl fraß und ihre Füße fest im Boden verankerte.

Kel reichte die Zügel an Dira weiter. »Kannst du Sav schon mal rausführen? Ich komme gleich nach.«

»Klar.« Dira schielte zu Coup hinüber. »Aber reiß ihm nicht komplett den Kopf ab«, ergänzte sie mit gesenkter Stimme. »Der CVPR hat heute schon eine Reiterin verloren.«

Kel fühlte sich, als würde ihr jemand die Luft abschnüren. Sie nickte steif. Dira griff in ihre Tasche und holte eine Handvoll getrockneter Insekten hervor. Obwohl Sav das Gefieder sträubte, als Kel sich entfernte, blieben ihre dunklen Knopfaugen fest auf den Snack in Diras Hand gerichtet.

»Na komm, du Federvieh.« Dira seufzte schwer. »Zu Hause warten ein paar saftige Filets auf dich.«

Während Dira und Rube Sav von der Rennstrecke führten, marschierte Kel zu Coup hinüber, der sich immer noch putzte wie ein Phönix bei einem Schönheitswettbewerb.

»Bist du stolz auf dich?«, fauchte sie und ballte die Fäuste. Sie ließ ihre Wut erneut auflodern, heißer und sengender noch als zuvor. Es tat gut, viel besser als der Klang von Oskas Schreien, der immer noch wie ein entferntes Rauschen in ihren Ohren nachhallte.

Coup drehte sich zu ihr um. Er hatte sich die Schutzbrille in die kastanienbraunen Locken geschoben, und durch das lederne Tuch, das seine untere Gesichtshälfte bedeckte, zeichneten sich Grübchen in seinen Wangen ab. Er zog das Tuch herunter und empfing Kel mit einem strahlenden Grinsen. Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten.

»Ah, Varra«, flötete er. »Woher wusste ich nur, dass du die Erste sein würdest, die mir zu meinem heutigen Sieg gratuliert?«

Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen spöttischen Tonfall hörte – ganz im Gegenteil –, doch er brachte ihr Blut zuverlässig zum Kochen. Seit zwei Jahren war es eine absolute Seltenheit, dass ein Rennen endete, ohne dass sich Coup und Kel wegen eines rücksichtslosen Manövers oder eines vermeintlich unverdienten Sieges anschrien. Etwas an der Lässigkeit, mit der er das Gemetzel hinnahm, das jedes Phönixrennen mit sich brachte, trieb sie jedes Mal zur Weißglut. Sie stapfte auf ihn zu. »Wegen deines halsbrecherischen Stunts ist meine Reiterin jetzt tot.«

Coup fuhr sich gelassen mit der Hand durchs Haar. »Ich habe niemanden gezwungen, es mir nachzumachen. Wäre es nicht eher deine Aufgabe gewesen, sie daran zu hindern?«

Kel hoffte, dass er nicht merkte, wie sehr er sie damit getroffen hatte.

»Du kannst von Glück sagen, dass dich nicht das gleiche Schicksal ereilt hat, und das weißt du auch!«, schoss sie zurück.

Beim Anblick seines kalten, grausamen Lächelns sah sie rot. Oskas Sturz, die überfälligen Rechnungen, die unerwartete Erinnerung an ihren Vater – all das kam gleichzeitig in ihr hoch und verschmolz zu einer vertrauten und leichter zu ertragenden Wut auf Warren Coupers.

Coup seufzte. »Dieser Stunt hat dem Rennen ein paar Millionen zusätzliche Zuschauer beschert. Das Einzige, was bei CVPR-Wettbewerben verboten ist, ist es, die Kameras zu langweilen. Aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen, Varra«, höhnte er. »Wenn es nach dir ginge, würde Cendor darauf wetten, welcher Phönix die saubersten Federn hat, und nicht auf die Rennen.«

Kels Augenlid zuckte. Das war der entscheidende Unterschied zwischen ihr und Warren Coupers. Auf dem Papier hatten sie jede Menge gemeinsam. Sie lebten beide östlich von Fieror, auch wenn sie einander erst auf der Rennstrecke begegnet waren. Sie waren beide vor zwei Jahren in den Rennzirkus eingestiegen. Beide waren anfangs von den Medien niedergemacht worden, weil sie sich erdreisteten, bereits als Teenager an den Rennen teilzunehmen, und beide gingen nach jedem Rennen in dieselbe örtliche Kneipe.

Doch da endeten die Ähnlichkeiten auch schon.

Warren Coupers stand für alles, was Kel am CVPR hasste. Während die Rennen für sie eher ein letzter Ausweg waren, genoss Coup das aufregende Gefühl in vollen Zügen. Er schenkte den Medien mehr Beachtung als seinem Phönix. Im Gegenzug vergötterten ihn die Medien, und was das Schlimmste daran war: Der selbstverliebte Goldjunge wusste es.

»Dein Team schien auch nicht sonderlich begeistert über deine Aktion«, entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Den Starchasern geht es um Glamour, nicht um Risiko. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie dich rausschmeißen.« Kel hielt drei Finger hoch. »Was wäre das? Dein drittes Team in zwei Jahren?«

An Coups Kiefer spannte sich ein Muskel, doch sein Grinsen wurde noch breiter. »Neid steht dir nicht, Zähmerin. Sieh zu, dass du dir deinen Platz auf der Rennstrecke verdienst, oder mach dich vom Acker.« Er schnippte einen unsichtbaren Fussel von seiner Jacke. »So oder so: Kümmer dich lieber um deinen eigenen Kram, bevor du noch ein weiteres Teammitglied verlierst.«

Kel runzelte die Stirn. Coup deutete mit einem Augenzwinkern auf etwas hinter ihr. Kel hielt seinem Blick noch einen Moment stand, bevor sie sich umdrehte.

Rechts von der Strecke hatte Dira Savita auf ein Stück Grünfläche abseits der anderen Teams geführt. Dira war vor ihrer Provianttasche in die Hocke gegangen und wühlte darin, während Rube mit ausgestrecktem Arm auf Savita zuging. Er hielt etwas Dunkles – wahrscheinlich ein getrocknetes Leckerchen – in einer Hand, die andere hatte er erhoben, als wollte er Savita streicheln. Sav sträubte die Rückenfedern und hatte die Muskeln an ihrem langen Hals drohend angespannt.

Coup lachte teuflisch, als Kel losrannte. In halsbrecherischem Tempo stürmte sie auf Savita zu und wurde nur langsamer, um sich zwischen knurrenden Phönixen und ihr argwöhnisch entgegenblickenden Teams hindurchzuschlängeln.

»Rube!«, schrie sie, doch ihre Stimme ging inmitten der riesigen Phönixe unter.

Sav machte einen lauernden Schritt auf Rube zu. Ihre runden schwarzen Augen nahmen sein blasses Gesicht ins Visier, ihr Schnabel schwebte nur wenige Zentimeter über seinen erhobenen Fingern. Sav gab ein tiefes Grollen von sich, eine letzte Warnung, dass Rube es ja nicht wagen sollte, sie anzufassen.

Kel erreichte ihr Team im selben Moment, als sich Rubes Mund zu einem großen O verformte.

»Rube«, flüsterte sie eindringlich, während sie sich bemühte, ihren keuchenden Atem zu beruhigen. »Geh langsam rückwärts. Sieh ihr nicht in die Augen.«

Rube senkte den Blick, seine Atemzüge waren kurz und abgehackt. Kel hörte, wie sich Dira zu ihnen umdrehte.

Damit hätte Savita zufrieden sein sollen. Stattdessen passte sie sich Rubes Bewegungen an. Für jeden Schritt, den Rube zurückwich, machte sie einen drohenden Schritt auf ihn zu. Ihr Blick huschte zwischen seinem Kopf und der Hand, die er nach ihr ausgestreckt hatte, hin und her, ohne dass sie auch nur einmal blinzelte.

Kel ahnte in letzter Sekunde, was Savita vorhatte, und reagierte blitzschnell.

Savita plusterte sich flügelraschelnd auf. Farbenfrohe Flammen loderten aus ihrem Gefieder empor.

Dann stürzte sie sich auf Rube. Der messerscharfe Schnabel des Feuervogels zielte direkt auf Rubes Brust. Kel stieß Rube beiseite und warf sich zwischen ihn und Savitas vorschießenden Kopf.

Sie hörte, wie Rube mit einem dumpfen Schlag zu Boden ging. Savitas rauer Schnabel presste gegen Kels fleckiges Oberteil. Kel spürte, wie sich die scharfe Spitze in ihr Brustbein bohrte, vermutlich tief genug, um eine blutige Wunde zu hinterlassen, aber mehr geschah nicht. Während Kel ihr Gleichgewicht fand, wich Savita einen Schritt zurück. Schließlich stieß sie ein entrüstetes Schnauben aus, legte die Flügel an und wandte sich einem Büschel Gras ganz in der Nähe zu.

Kel atmete erleichtert auf. Sie drehte sich zu Rube um und lächelte, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie heftig ihr Herz hämmerte. »Sie meint es nicht böse, Rube. Du hast nur noch nicht besonders viel Zeit mit ihr verbracht, und nach dem Rennen ist sie immer ein bisschen reizbar.«

Sie log, und das wussten sie alle drei. Egal wie viel Zeit jemand mit ihr verbrachte, Savita weigerte sich standhaft, irgendwen an sich heranzulassen – geschweige denn, sie zu berühren.

»Ich … ich wollte mich nur vergewissern, dass es ihr gut geht, nachdem Oska …« Er brach ab. Dira wollte ihm aufhelfen, doch er riss sich los.

Er schüttelte den Kopf und zeigte mit zitterndem Finger auf Savita. »Aber … dieses Vieh hat Oska einfach verbluten lassen«, brüllte er. »Es sollte überhaupt nicht zu Rennen zugelassen werden.«

Im Nu waren Kels Schuldgefühle verflogen. Sie biss die Zähne zusammen und trat auf Rube zu. Obwohl er größer als sie war, ragte sie bedrohlich über ihm auf, ihr Schatten ein dunkles Rinnsal, das sich über den Boden ergoss.

»Lass gut sein, Kel«, brummte Dira.

Kel stach mit dem Finger auf Rube ein. »Ihr Name ist Savita. Sie ist ein Phönix, Rube. Keine Schmusekatze. Wenn du versuchst, sie anzufassen, obwohl wir dir ausdrücklich davon abgeraten haben, bist du selbst schuld, wenn du verletzt wirst.«

»Also war Oska auch selbst schuld, ja?« Rube schäumte vor Wut.

Kel fühlte sich, als hätte er sie geohrfeigt. Plötzlich war das Rauschen – das Echo von Oskas Schreien – in ihren Ohren wieder da, und um sie herum drehte sich alles.

Rube riss bestürzt die Augen auf. Er trat auf Kel zu, aber sie wich zurück. »Kel, ich …«

Doch Kel hatte sich bereits abgewandt. Sie betete, dass er die Träne nicht gesehen hatte, die ihre Wange hinabrann.

3

Das bleierne Gefühl in Kels Magengrube ließ nach, als Savita und sie das Aviarium auf ihrer Farm betraten. Hier, inmitten des üppigen Grüns, von Lichtstrahlen umgeben, die durch das Laub hereinsickerten, war es leichter, so zu tun, als wäre alles noch genau wie am Morgen. Hier gab es nur Savitas ausgebreitete Flügel, den Geruch feuchter Erde und die sengend heißen Wärmelampen. Kel war in eine Reiterkluft aus schützendem Leder geschlüpft, und doch brannte ihr die Hitze des Aviariums auf der Haut.

Normalerweise bestellte sie ein Transportunternehmen, um Savita zur Rennstrecke und wieder zurück zu bringen. Sie wollte ihre Kräfte nicht noch mehr strapazieren als ohnehin schon. Doch heute war sie mit ihr zurückgeflogen. Oskas Sturz lief immer noch in einer Endlosschleife vor ihrem inneren Auge ab.

Savita stolzierte durch die Metalltore des Aviariums und presste ihren Schnabel gegen Kels Seite. Kel wedelte mit der Hand und rückte Savitas monströsen Sattel auf ihrer Hüfte zurecht. Das Ding war doppelt so groß und dick wie ein Pferdesattel und entsprechend schwer zu handhaben – selbst wenn man wie Kel siebzehn Jahre lang die nötigen Muskeln dafür aufgebaut hatte. »Ja, ja – warte einen Moment.«

Savita sträubte die Federn und senkte den Kopf. Kel griff nach Savitas Halsband, das wie trübes Sternenlicht schimmerte. Die warmen, gelben Federn darunter strichen ihr über das Gesicht und trieben ihr die Tränen in die Augen, als sie sich vorbeugte, um die Anzeige abzulesen. Neben anderen Vorrichtungen war auch ein kleines Thermometer in das Halsband eingelassen. Die Technik stammte von Cristo Industries, wie fast alle Ausrüstung, die bei Phönixrennen zum Einsatz kam.

Das Halsband diente ebenso sehr Savitas wie Kels Schutz. Es war absurd, wie viel Aberglaube über die Brutalität der Phönixe kursierte, doch Tatsache war nun mal, dass ein Phönix ohne Halsband halb Cendor niederbrennen würde.

Es mochte eine primitive Form der Kontrolle sein, aber bessere Lösungen gab es nicht. Das letzte Mal, dass sich ein Phönix von seinem Halsband befreit hatte, war zehn Jahre her. Damals hatte sich ein neuer, unerfahrener Techniker nach einem Rennen falsch verhalten. Der Phönix, der ohnehin schon angespannt und gereizt gewesen war, war davongeflogen und hatte die Rennbahn in Brand gesetzt. Acht CVPR-Mitglieder und fünf Besucher waren ums Leben gekommen, weitere fünfzig hatten Verletzungen davongetragen.

»Deine Vitalzeichen sind völlig normal. Ich hab mir die ganze Nacht umsonst Sorgen gemacht.«

Savitas Temperatur hatte heftig geschwankt, als hätte sie Fieber. Ein Temperaturanstieg vor dem Rennen war nicht ungewöhnlich, fast so, als würde Sav die Unbarmherzigkeit der Strecke vorausahnen, doch Kel hatte trotzdem einen Großteil der Nacht damit zugebracht, nervös an ihren Fingernägeln zu kauen.

Savita schien ihr einen entrüsteten Blick zuzuwerfen und schnaubte. Heißer Dampf stieg aus ihrem Schnabel.

Kel entgegnete: »Du kreischst dir vor jedem Rennen die Lunge aus dem Leib und zerfetzt ein gutes Dutzend Büsche, als würdest du es nicht lieben, wenn es endlich losgeht. Aber ich müsste eigentlich wissen, dass es keinen Grund gibt, mir Sorgen zu machen, oder? Dein Geschrei würde wahrscheinlich alle drei Nachbarinseln aus dem Schlaf reißen, wenn du dir auch nur einen Splitter einfangen würdest.«

Savita schnaubte erneut und wandte sich ab. Das Aviarium schien die Phönixdame freundlich zu umfangen und willkommen zu heißen, als diese die Flügel ausbreitete und sich in einer Wolke aus aufgewirbeltem Staub zum Kuppeldach emporschwang.

»Vielen Dank auch, Sav«, hustete Kel.

Sie schüttelte den Kopf und schloss die Tore hinter sich, die aus demselben Stahl bestanden wie das Gerippe des gläsernen Aviariums. Die Kuppel war hoch genug, um Hunderte heimische Pflanzen zu beherbergen. Während die Scheiben aus gehärtetem Glas und die Wärmelampen im Lauf der Jahre ausgetauscht worden waren – nicht annähernd so oft, wie es eigentlich sein sollte –, trugen die hohen Bäume und weitläufigen Gebüsche noch immer die Handschrift ihres Großvaters. Er hatte Sav als echtes Jungtier gekauft: frisch aus dem Ei statt aus ihrer eigenen Asche. Harrin Varra musste ein Vermögen für sie bezahlt haben, doch das Geld, das ihm derartige Ausgaben ermöglicht hatte, war längst aufgebraucht.

Angeblich hatte sie sein aschbraunes Haar und die grauen Augen geerbt, aber kennengelernt hatte sie ihn nie. Er war noch vor ihrer Geburt an Armondspest gestorben. Bevor die Krankheit so weitverbreitet war wie eine gewöhnliche Erkältung. Bevor sie die Toten bloß zu einem weiteren namenlosen Punkt in der Statistik machte.

Kel träumte oft von ihrem Großvater, wenn sie in dem kleinen Büro neben dem Aviarium schlief. Sie fragte sich, ob er seinen Kopf auf dieselbe dünne Matratze gebettet hatte. Ob er zugesehen hatte, wie Savita durch die Luft segelte und ihre Kapriolen schlug, während ihre Schreie wie Musik in seinen Ohren klangen.

Von ihrem Vater träumte sie nie.

Sie hoffte, sie würde auch nicht von Oska träumen.

Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Oska war nicht gerade die Art von Reiterin gewesen, die sich Kel für ihr Team vorgestellt hatte. Sie stammte von der glamourösesten Insel Asciras, kleidete sich in unpraktische Rüschen und Schleifen und widersetzte sich fast allen Anweisungen, die Dira ihr gab. Aber sie besaß ein Feuer, das sich mit jedem Cendorer messen konnte.

Irgendwann hatte Kel, ganz ohne es zu merken, vergessen, welches Schicksal den meisten Reiterinnen und Reitern blühte.

Sie schüttelte sich den Gedanken aus dem Kopf, setzte den Sattel ab und ging zu der Kühltruhe am anderen Ende des Aviariums. Mit einem erwartungsvollen Kreischen folgte ihr Savita dicht auf den Fersen. Als Kel den Deckel öffnete, stieg ihr ein schwacher metallischer Geruch in die Nase. Savita schoss vor und versuchte, den Kopf in die Truhe zu stecken.

»Glut und Asche … jetzt warte halt … mal zwei Sekunden«, keuchte Kel, während sie Savitas hartnäckigen Schnabel beiseiteschob und ein dickes Stück Fleisch aus der Gefriertruhe holte. Sie warf es zu einer Reihe von Büschen hinüber. Savita stürzte sich auf den gefrorenen Brocken, als könnte er sonst davonlaufen. Kel sah zu, wie Sav das Fleisch, das durch ihre Hitze augenblicklich auftaute, in die Luft schleuderte, den Schnabel öffnete und es im Ganzen verschlang.

Kel schnaufte durch und lehnte sich gegen die geschlossene Gefriertruhe. Während der Rennsaison ließ sich Savita mit Tiefkühlfleisch abspeisen. Überschüssige Energie konnte sie leicht auf der Strecke loswerden. Aber während der kälteren Stählungszeit verlangte Sav nach lebendiger Beute: Bullen und Keiler, die eingekauft und herbeitransportiert werden mussten, weil sie von allen Tieren die stärkste Gegenwehr leisteten.

Doch egal ob ihr Futter tot oder lebendig war, Sav wurde nicht gern beim Fressen gestört.

Kel huschte schnell am äußersten Rand des Aviariums entlang, schnappte sich den Sattel und zog sich in das kleine angrenzende Büro zurück. Sie ließ ihre Tasche, die auch schon bessere Tage gesehen hatte, auf das bescheidene Bett fallen, hievte Savitas Sattel auf die Wandhalterung und streifte die Schutzhandschuhe ab. Über den alten Brandnarben an ihren Handflächen und Handgelenken bildeten sich bereits frische Blasen. Angesichts der großen Beliebtheit der Phönixrennen waren Brandmale und Narben in Cendor nichts Ungewöhnliches. Trotzdem würde sie sich bald neue, dickere Handschuhe kaufen müssen. Savita schien mit jedem Rennen heißer zu werden.

Ihr Phönix stieß ein Kreischen aus, das die hölzernen Wände des Büros erzittern ließ. Auf dem überfüllten Schreibtisch kippten zwei Bilderrahmen um. Kel beeilte sich, den ersten wieder aufzustellen – ein Foto von Dira, ihr und ihrem alten Team nach ihrem allerersten Sieg.

»Was sollen wir nur tun, Sav?«, flüsterte sie. In der Wand, die an das Aviarium angrenzte, befand sich ein Fenster, durch das sie zusehen konnte, wie ihr Phönix träge durch die Lüfte segelte. Ohne das Preisgeld hatte sie keine Ahnung, wie sie die Steuereintreiber abwimmeln sollte, die ihr in der kommenden Woche ganz sicher auf die Pelle rücken würden. Sie hatte alles versucht, um irgendwie noch etwas zusätzliches Geld zusammenzukratzen: Nachtschichten in den wenigen Kneipen Fierors eingelegt und sich vergebens um die gleichen Zuschüsse beworben, mit denen der Stadtrat ihren charismatischen Vater überschüttet hatte. Das Einzige, was sie noch nicht ausprobiert hatte, war, Kinder gegen Geld auf Savita reiten zu lassen, denn das würde sehr wahrscheinlich im einem teuren Gerichtsverfahren enden.

Von der Tür fragte eine raue Stimme: »Wo ist dein Tablet?«

Unter dem Gewicht diverser Taschen wankend, stolperte Dira herein. Ein Schweißfilm glänzte auf ihrer dunkelbraunen Haut.

Kel verschränkte die Arme vor der Brust. »Was machst du denn hier?«

Diras Blick fiel auf den Schreibtisch, wo Kels altes Tablet und die Tastatur lagen. »Aha – hat sich erledigt.«

Dira taumelte zum Schreibtisch und setzte die Taschen mit einem geräuschvollen, teuer klingenden Rums auf dem Boden ab.

»Bitte, mach es dir doch gemütlich«, bemerkte Kel trocken. »Wie fühlst du dich?«

»Ich fühle, dass wir keine Zeit haben, um …« Diras Stimme bekam einen nasalen Klang und versagte dann vollends. Sie räusperte sich, fischte einen Datenchip aus ihrer Tasche, griff nach Kels Tablet und stellte es auf.

Gleich darauf hustete sie laut. »Glut und Asche, Kelyn – ich glaube, da ist gerade ein Gespenst aus deiner Tastatur entfleucht. Hast du das Ding überhaupt mal benutzt, seit ich das letzte Mal hier war?«

»Ich benutze das Tablet im Aviarium, um Savitas Vitalzeichen zu dokumentieren. Das Ding hier hab ich seit Monaten nicht mehr angerührt. Du kannst es gerne haben, wenn du willst.«

»Du wohnst viel näher an der Rennbahn von Fieror. Es ist einfacher, wenn wir die Daten hier bei unserer Süßen behalten.«

Wie aufs Stichwort stieß Savita ein Kreischen aus und brachte die Wände erneut zum Erzittern. Kel badete in dem Geräusch wie in Sonnenschein. Es half, die Erinnerung an Oskas Schreie zu verdrängen.

»Wir werden einen neuen Reiter finden müssen.« Dira seufzte und lehnte sich auf dem Schreibtischstuhl zurück.

Kel verspürte ein dumpfes Ziehen in der Magengrube. Sie wusste, hinter dem nüchternen Tonfall machte Oskas Tod Dira genauso zu schaffen wie ihr selbst – wahrscheinlich sogar mehr. Dira war diejenige, die Oska in ihrer Stammkneipe entdeckt hatte. Sie hatte sich gegen Kels Vorbehalte durchgesetzt und darauf bestanden, sie als neue Reiterin für das Team zu trainieren, und das nur zum Teil, weil sie in die bildschöne Asciranerin verschossen war. Obwohl Diras Schwärmereien so schnell und häufig auftraten wie Armondspest, hatten die beiden auch außerhalb des Trainings viel Zeit miteinander verbracht. Doch weder Dira noch Kel konnte es sich leisten, lange zu trauern. Dafür fehlte ihnen schlichtweg das Geld.

Kel nickte steif, schnappte sich eine Bürste und fing an, den Ruß von Savitas Sattel zu schrubben. Im Nu waren ihre Fingernägel mit einer dicken Schmutzschicht überzogen.

Dira wandte sich wieder dem Tablet zu, und so arbeiteten sie eine Weile schweigend vor sich hin. Einerseits war Kel froh, keine gezwungene Konversation betreiben zu müssen, andererseits wünschte sie, es gäbe etwas, womit sie sich von ihren Gedanken an Oska ablenken könnte.

Irgendwo in ihrem betäubten Inneren wusste sie, dass Oska die Phönixrennen ohnehin nicht lange überlebt hätte. Oska war nicht für Cendor gemacht. Sie war zu lange zu nervös gewesen, sich Savita zu nähern. Als jemand, der im Luxus und Reichtum von Ascira, Cendors Nachbarinsel, aufgewachsen war, war sie nicht darauf vorbereitet gewesen, was der CVPR ihr abverlangen würde.

Und Kel hätte sich mehr Mühe geben müssen, ihr das klarzumachen.

Kel kroch in ihr schmales Bett und wischte das Skizzenbuch und die Schnitzwerkzeuge beiseite. Beides waren Geschenke ihres Vaters. Zeichnen – und ihre Entwürfe dann in Leder zu schnitzen – war so ziemlich das Einzige, worin sie sich verlieren konnte. Oder jedenfalls das Einzige, was nichts mit Savita zu tun hatte.

Geräusche vom Tablet ließen sie hochschauen. Ein Dokument füllte eine Hälfte des Displays aus, die andere war in fünf Fenster unterteilt, in denen Videos liefen. Jedes Video zeigte das heutige Rennen aus einem anderen Kamerawinkel.

Zu Diras Aufgaben gehörte es, die Rennstrecken so genau wie möglich zu kartieren und alles über die Vergangenheit und Schwächen der gegnerischen Teams herauszufinden. Es war hilfreich zu wissen, welche Phönixe aus dem Vohrewald stammten und welche in Gefangenschaft geschlüpft waren. Aber selbst die gründlichste Recherche konnte einen nur unzureichend auf die jeweiligen Rennen vorbereiten. Dira besaß jedoch die fast schon unheimliche Gabe, vorherzusagen, wie sich verschiedene Terrains auf die unterschiedlichen Phönixarten auswirken würden – vom gefeierten Kaiserphönix bis hin zur kleinsten Art, den gut getarnten Mantelphönixen. Dira nannte es Mustererkennung. Kel nannte es ein Wunder. Vermutlich traf beides zu.

»Oh.« Dira drehte sich um und kramte in einer ihrer Tragetaschen. »Ganz vergessen – es ist eine neue Postkarte für dich gekommen.«

Kel riss ihr die Karte aus den Fingern. »Du hast in meiner Post gewühlt?«

»Manche Briefe liegen da schon seit Monaten. Was, wenn du eine Rechnung übersehen hättest oder so?«

Kel zog eine Augenbraue hoch. Sie übersah nie eine Rechnung, auch wenn sie sie nicht bezahlen konnte. Die Postkarten hingegen ließ sie mit voller Absicht im Briefkasten.

Auf der Karte, die auf Tag 20 der Schmelzzeit im Jahre 1509 der Alchemischen Republik datiert war, stand in anmutiger Handschrift:

Meine liebe Kelyn,

Ascira ist um diese Zeit des Jahres wunderschön. Die Naturgeister erblühen im Einklang mit den Blumen. In der Stählungszeit passen sie sich dem fallenden Schnee an, ganz silbrig und zart. Doch in der Schmelzzeit blühen sie auf und lassen den Himmel wie ein formloser Regenbogen erstrahlen: ein Gemisch aus Blau-, Gelb- und Rottönen, das mich an Phönixe und an deinen Vater erinnert. Und die Menschen hier – du würdest sie lieben! So viele Besucherinnen und Besucher von überallher. Man würde nie auf den Gedanken kommen, dass Cendor nur ein paar Stunden entfernt liegt.