Oh wie schön ist Trinidad - PETER BERG - E-Book

Oh wie schön ist Trinidad E-Book

Peter Berg

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Beschreibung

Eine Reise durch die südliche Karibik. Ereignisreiche Tage im Regenwald, ein Hurrikan, Drogenschmuggel und die Frage nach der Freundschaft: Was ist sie wert in der Not? Faszinierende Landschaften, herrliche Strände und die Rhythmen einer besonderen Lebensart. Zugleich werden wir mit den Gefahren eines Lebens in einem Land mit hoher Kriminalität und Korruption konfrontiert. Was bedeutet TRINIDAD wirklich?

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Seitenzahl: 287

Veröffentlichungsjahr: 2022

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PETER BERG

Oh wie schön ist Trinidad

Roman

© 2021 PETER BERG

Cover: PiTTo

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-347-41963-6

Hardcover:

978-3-347-41964-3

e-Book:

978-3-347-41965-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Eins

Der Aufbruch

Die Klimaanlage summte monoton und blies kalte Luft in die Sitzreihen, während die Tür des vorderen Ausganges geöffnet war und die brütende Mittagshitze die Maschine in ihren Fängen hielt.

Ich saß an Bord der Boeing 737-800, die mich von Frankfurt über Grenada nach St. Lucia gebracht hatte. Nach gut elf Stunden Flug mit zwei Zwischenlandungen stand noch eine kurze Etappe von wenigen Minuten bis zum Endziel aus. Eigentlich hätte die Maschine der karibischen Airline zu diesem Zeitpunkt schon in Port of Spain gelandet sein sollen. Der Flieger stand jedoch seit einer halben Stunde auf dem Feld vor dem Tower des kleinen Airports hier auf St. Lucia und nichts bewegte sich. Fast alle Passagiere waren nach der Ankunft ausgestiegen und zu meinem Erstaunen hatte sich zuletzt auch die komplette Besatzung verabschiedet. Zwei Piloten und vier Flugbegleiterinnen im Gefolge. Man hatte die Maschine einfach sich selbst überlassen.

Zum Flug über den Atlantik war nur ein Platz pro Reihe besetzt. Corona forderte Abstand und das Tragen einer medizinischen Maske. Bei der ersten Zwischenlandung auf Grenada hatte eine Horde multinationaler Kariben sich wild über die Plätze verteilt. Sie führten die verschiedensten Gegenstände des Alltages mit sich, Einkäufe, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Stoffe und andere Handelsgegenstände. Lebhafte Gespräche, wildes Palaver. Wenigstens trugen sie ihre Masken. Nur wenige Minuten später nach der Landung auf St. Lucia, war dieser Spuk vorüber.

Die Boeing war in die Jahre gekommen. Nun stand sie auf dem Rollfeld vor dem Terminal. Ich erhob mich, um nachzusehen, ob die neue Crew für den Weiterflug in Sicht wäre.

Als ich vor die Tür trat, traf mich die Hitze wie ein Schlag. Ich sah mich um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Bei der Landung hatte ich aus dem Fenster geschaut. Hewanorra ist ein kleiner Flughafen, die Landebahn dicht an der Wasserkante. Weil der Flugbetrieb überschaubar ist, gibt es hier nur wenige Parkplätze für Flugzeuge.

Die Landschaft zerschlissen und trocken. Ein ernüchternder Anblick. Hob doch der Karibik-Reiseführer, den ich mir online bestellt hatte, die Schönheit und Romantik der Insel Saint Lucia hervor. Hitze und Trostlosigkeit vor dem Terminal schreckten mich ab und ich trat schnell zurück, um an meinen Platz in Reihe 35 zurückzukehren. Die Tür blieb geöffnet. Drei weitere Passagiere hockten auf ihren Sitzen. Mir kamen erste Zweifel, ob dieser Flug eine gute Idee war. Würde es eine Reise in die Hölle werden, oder würde sich die verlockende Ankündigung meines Freundes, ein tropisches Strandparadies genießen zu können, doch verwirklichen?

Ich streckte meine Beine aus und reckte mich. Dann schloss ich die Augen und dachte an die Ereignisse der letzten Tage.

Zuerst der Anruf aus der Karibik, dann der spontane Entschluss, für eine kurze Auszeit die Welten zu wechseln. War dieser Flug in Zeiten der Pandemie überhaupt möglich? Welche Vorkehrungen galt es zu treffen? Der Abschied von Catherine und dem lieb gewonnenen Heim, das mir alle Annehmlichkeiten bot. Jetzt die lange Reise ins Ungewisse, ins Nichts.

Wenn man reist, schaut man nach vorn. Doch immer lässt man auch etwas zurück. Und nie kann man wissen, ob das Neue das Vergangene aufwiegt.

Catherine würde mir ganz furchtbar fehlen! Das war mir von Anfang an klar. In all den Wochen der Pandemie war ich ihr so nahe gekommen wie nie zuvor einem anderen Menschen! Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich so schnell Abstand von meinem alten Leben in Frankfurt gewinnen würde. Ohne Catherine hätte ich den Ausstieg aus dem Beruf nie so problemlos geschafft.

Seit gut einem Jahr war ich vorzeitig pensioniert. Ich hatte mich bei ihr an der Sonnenküste der Provence eingenistet. Die Pandemie war für mich genau zur rechten Zeit gekommen. Zwang sie mich doch meine innere Unruhe abzulegen und mich an die neue Lebenslage zu gewöhnen. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass dieses Jahr in der Quarantäne immer mehr den Fluchttrieb in mir geweckt hatte.

„Jens, bist du das?“ hatte die Stimme am Telefon gefragt. Ich erkannte ihn sofort, obwohl einige Jahre seit unserem letzten Treffen vergangen waren.

An jenem Dienstag vor einer Woche hatte ich auf der Terrasse gesessen und Zeitung gelesen: Corona, Corona, Corona. Ich konnte es nicht mehr hören! Längst waren bei mir die Schrecken der Pandemie einer ernüchternden Skepsis gewichen. Mein ganzes berufliches Leben lang war ich mit den großen und kleinen Katastrophen dieser Welt konfrontiert, die in unser Berufsfeld bei der Frankfurter Polizei mit unbarmherziger Schlagkraft täglich hereinkrachen. Als Leiter der Frankfurter Mordkommission musste ich den vielen schrecklichen Ereignissen dieses Berufes stets direkt ins Auge sehen.

Zeitunglesen und Spazierengehen. Viel mehr konnte ich in dem langen Lockdown nicht tun. Wenn ich ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass mich die ungewohnte Ruhe und das geordnete Leben überforderte. Das durfte ich Catherine nicht sagen, sie hätte es nicht verstanden. Hätte es persönlich genommen. Wäre gekränkt gewesen. Aber eines war mir im Laufe der Monate klar geworden: Die permanente Nähe und Konzentration auf einen anderen Menschen können auch nervig sein.

Mir kam der Song des Liedermachers Reinhard Mey in den Sinn, den ich in den letzten Monaten immer wieder gehört hatte. Titel: ABER HEUTE. Ich saß auf meinem engen und klebrigen Flugzeugsessel aus abgewetztem Plastik, Economy-Class, und lächelte. Catherine hatte gefragt: „Was heißt das, Anspruchspause?“

„Anspruch bedeutet, dass jemand das Recht hat, etwas von einem anderen zu erwarten,“ brachte ich es nüchtern auf den Punkt. Dabei war mir klar, dass wir es selbst sind, die Ansprüche an unser Leben und an die Mitmenschen haben! „Man sagt dem anderen, dass man eine Pause von den Erwartungen braucht.“

„Bitte, mich heut nicht zu belehr'n

Bitte, mich heut' keinesfalls zu beehr'n

Kein Vortrag, keine Ansprache, ich bin Banause

Völlig anspruchslos, ich mach' heut' eine

Anspruchspause

Ich will nicht reden und nicht zuhör'n

Bitte, mich nicht in diesem Glückszustand stör'n.“

„Sag mir, wenn du eine Pause mit mir brauchst!“ hatte sie geflötet, hatte die Augen verdreht und war in den Garten verschwunden. Ich hatte nur mit den Schultern gezuckt und nicht geglaubt, diesen Moment schon so bald zu erleben.

Aber: Mit nur wenigen Stunden Abstand sehnte ich mich nun schon zurück in meinen Sessel auf der Aussichtsterrasse dieses Hauses am Hang. Mir war klar, dass ich an diesem wundervollen Ort in der Provence wie im Paradies lebte. Der Ausblick auf das Cap Canaille. Der kleine Fischerhafen von Cassis. Die täglichen Sonnenuntergänge, der Strand. Dann die guten Mahlzeiten, die Catherine uns bereitete. Sie hatte mich in den letzten Wochen auch etwas in ihre Kochkunst eingeweiht und ich hatte Gefallen daran gefunden. Fortan hatte ich die Küche auch zu meinem Ort gemacht. Der süffige Wein des mediterranen Südens und vor allem die zärtlichen Momente der Zweisamkeit mit ihr.

Wie verrückt muss ein Mann sein, das alles aufs Spiel zu setzen?

Das Hotel, in dem Catherine arbeitete, war einige Monate geschlossen. Erst jetzt wurden die Auflagen der Regierung allmählich gelockert. Catherine war zuversichtlich, dass es ein gutes Sommergeschäft geben würde. Ganz Frankreich lechzte nach einem Ende der Pandemie und nach einem Sommer, der so war wie früher. Schon seit Wochen war sie mit Vorbereitungen für die Neueröffnung beschäftigt. Ich war immer häufiger allein zuhause. Das Kindermädchen umsorgte Catherines behinderte Tochter. Mit beiden verstand ich mich prima. Aber all das konnte mir nicht die gewohnten sozialen Kontakte ersetzen, die ich mir immer sehnlicher herbeiwünschte. So erreichte mich Egons Anruf in einer Stimmungslage, die nach Veränderung suchte. Es kam gerade zur rechten Zeit, um mich aus der beginnenden Starre zu befreien.

Egons Stimme hatte etwas Dringliches. Ich spürte sofort, dass dieser Anruf mehr als eine nostalgische Regung war. Hinter seiner freundlichen Einladung schien sich ein versteckter Hilferuf zu verbergen.

Dieser Anruf erinnerte mich an damals, als Egon auf den Baum geklettert war und nicht mehr allein herunterkam. Als ich zufällig an dem Birnbaum, der am Zaun in Zimbiegels Garten stand, vorüber kam, wunderte ich mich über das Stöckchen, das wie zufällig vor meine Füße fiel. Als ich ins Geäst schaute, saß der Pimpf in einer Astgabel und lachte triumphierend, weil er etwas so Verrücktes gewagt hatte. Doch ich sah auch die Angst in seinen Augen. Reife Birnen wollte er ernten. Wollte sich nicht mit den überreifen, die am Boden lagen, begnügen. Hatte sich schon die Taschen vollgestopft. Hatte sich verschätzt, zu hoch hinausgewagt und wusste nicht, wie er allein den Rückweg antreten könnte. Also gab ich vom sicheren Boden aus meine Ratschläge. Welches Bein zuerst auf welchen Ast? Wegen der übervollen Taschen war er unbeweglich geworden. So kam ich gerade im rechten Moment, um ihm als Navigator zu dienen.

Zwei

Die Ankunft

Als ich die Reihe der geparkten Autos vor dem Terminal entlang ging, den Trolli hinter mir herziehend und den Rucksack auf dem Rücken, flammten die Scheinwerfer eines schwarzen SUV auf. Ein Mann in den Fünfzigern, braun gebrannt, der ein buntes Hemd und Bermudashorts trug, sprang behände aus dem Wagen. Weil er mit beiden Armen winkte, schaute ich ihn genauer an: Mittlere Statur, kleiner Kopf, leicht zurücklaufende Stirn, große Hände, große Ohren, am Handgelenk baumelnd eine Rolex, dem Anschein nach echt. Mein Freund Egon?

Ich nahm die Maske ab, die ich während des Fluges und bei der Ankunft im Flughafen getragen hatte. Er kam mit offenen Armen auf mich zu und rief: „Jens, wie schön, dass du da bist! Willkommen im Paradies!“ 

Seit unserem Treffen in Frankfurt hatte er sich verändert, trug einen Vollbart. Das Hemd bis zum vierten Knopf geöffnet, vor der behaarten Brust eine filigrane Goldkette mit Anhänger, das Kopfhaar schon etwas schütter, leicht gegelt, die Haut von der vielen Sonne ledrig gegerbt, lachte er bis über die Ohren, nahm seine Goldrandsonnenbrille ab und sah mir prüfend ins Gesicht.

„Ein bisschen müde siehst du aus, die Ruhe am Beach wird dir guttun!“

Dann nahm er mich in beide Arme und drückte mich fest an sein Herz.

„Schickes Auto,“ bemerkte ich, als wir das Gepäck verstaut hatten und ich neben ihm in dem hohen, geländegängigen Wagen saß.

„Jawohl,“ lachte er, „es hat mich ein Vermögen gekostet, das Schätzchen über Amerika hierher zu bekommen! Ich brauche Luxus und will auch im Gelände fahren. Deutsche Wertarbeit!“ Und nach einer Weile fügte er hinzu: „Man gönnt sich ja sonst nichts, okaaay!“ Dabei schaute er zu mir herüber, als wolle er prüfen, ob ich seinen Witz verstanden hatte. 

Linksverkehr! Wir fuhren auf dem achtspurigen Highway nach Westen. Eine solche, an deutsche Autobahnen erinnernde Schnellstraße hatte ich hier in der Karibik am wenigsten erwartet. 

„Das ist der Churchill Roosevelt Highway,“ erklärte Egon und beschleunigte den Wagen, der dabei nur leise schnurrte. „Seit 1889 war Trinidad zusammen mit Tobago eine britische Kolonie mit Verwaltungssitz in Port of Spain. Eigenständig als parlamentarische Demokratie wurden sie erst 1962.“ 

Auf dem Flug hatte ich schon etwas über die Geschichte des Landes gelesen und lauschte nun mit Interesse seinen Worten: „Die Engländer hatten im Zweiten Weltkrieg ein Abkommen mit den Amerikanern und haben ihnen Trinidad als Stützpunkt überlassen. Die Amis haben diese Straße als Verbindung zwischen ihren Basen gebaut. Später wurde sie zum Highway.“

„Auf meinem Flug hierher musste ich zweimal zwischenlanden, auf Grenada und Saint Lucia. Ich glaubte schon, ich käme hier ans Ende der Welt!“ 

„Du wirst dich noch wundern,“ grinste Egon mich an. Und da war es wieder, jenes spitzbübische Funkeln in seinen Augen, bei dem man nie so sicher sein konnte, wie seine Worte gemeint sind. 

Die meiste Zeit schwiegen wir. Egon musste sich konzentrieren, denn nachdem wir den Highway verlassen hatten, kam eine kurvige Strecke auf schmaler Küstenstraße mit Gegenverkehr, die mehr und mehr durch den gebirgigen Regenwald führte. Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde steuerte er seinen Wagen auf einen Parkplatz bei einem Aussichtspunkt. 

Und da lag sie nun vor uns, jene traumhafte und zugleich sagenumwobene Küste, die für die kommenden Wochen zu meinem Schicksal werden sollte!

Der Blick ging weit über das Karibische Meer, ein paar kleinere, offenbar unbewohnte Inselchen zur Linken, eine unglaublich vielfältige Vegetation in allen Grün- und Brauntönen ringsumher. Dazu ein blauer, wolkenloser Himmel, der sich im tiefen Grund in den strandnahen Buchten des karibischen Meeres hin zu einem frischen Türkis spiegelte. Zur Rechten hinüber erstreckten sich bis zum Horizont eine dicht bewaldete Bucht nach der anderen. 

Egon zeigte mit ausgestrecktem Arm nach halbrechts unten und erklärte: „Die Maracas Bay hat einen der schönsten Sandstrände. Alte, hohe Palmen, feiner Sand und eine tolle Brandung! Für mich ist es der schönste Beach auf Trinidad!“ Nach einer kurzen Pause, in der das Gesagte wirken sollte, fügte ein lang gedehntes „okaaay?“ hinzu, was wohl soviel bedeuten sollte wie „habe ich Recht?“ Nach einer etwas längeren Denkpause setzte er noch einmal nach, als sei dies die natürlichste Folgerung der Welt: „Deshalb habe ich mir rechtzeitig in der Nähe ein Haus gekauft. Diese Bay ist im Vergleich zu anderen so besonders, weil der Strand durch eine tiefe Bucht geschützt wird.“

Etwa ein Dutzend Autos waren hier wild durcheinander geparkt. Sie gehörten jenen Menschen, - Einheimische und sicher auch in paar Touristen -, die einen ersten Blick auf die vor ihnen liegende Kulisse werfen wollten. 

„Wir sind hier auf der berühmten North Coast Road,“ erklärte Egon. „Die Amerikaner haben sie 1944 gebaut. Man nennt sie auch die Amerikanische Straße. Sie haben die nördliche Halbinsel Chaguaramas militärisch genutzt. Das Gebirge erstreckt sich von Ost nach West, es bedeckt ungefähr ein Viertel der ganzen Insel.“

In seinen Worten hörte ich den Stolz eines Mannes, der als Sesshafter einem Touristen seine Heimat erklärt!

Nebenan hatten lokale Händler bunte Stände aufgebaut, an denen sie Getränke, Sonnencremes, Perlenketten, Armreifen und Lollis in diversen Geschmackssorten verkauften. Die Touristen, die sich von dem Ausblick hatten fangen lassen, waren längst wieder bei den Auslagen der Mitbringsel am Straßenrand angelangt.

Schnell saßen wir wieder in dem SUV und rollten nun unserem Ziel entgegen. Als ich den öffentlichen Parkplatz am Beginn des Strandes entdeckte, wunderte ich mich, dass Egon ihn nicht ansteuerte. Stattdessen fuhr er den Badestrand entlang und hielt direkt vor einem Restaurant. Auf meinen fragenden Blick murmelte er: „Ich kenne den Wirt!“ Dann fügte er hinzu: „Du bist sicher hungrig, okaaay? Hier gibt es das beste Haifischbrötchen auf ganz Trinidad!“ Wir legten beide die Masken an und betraten das Gebäude.

Den Wirt, einen alten farbigen Mann mit weißem Haar, der mit einem großen Glas Bier vor der Theke saß, stellt er mir als Leslie vor und fügte hinzu: „Er war ein berühmter Sänger und hat sich nach seiner Musikkarriere hier den Laden gekauft, um sich zur Ruhe zu setzen.“ Leslie hatte uns hereinkommen sehen, und seine Augen blitzten beim Anblick Egons kurz auf, während er lässig eine Hand zum Gruß kurz anhob.

Auf der Musikanlage dröhnte der Song „GET OUTTA MY DREAMS, GET INTO MY CAR“ von BILLY OCEAN .

Mich stellte Egon mit den Worten vor: „This is Jens, an old friend of mine from Germany.“

Als wir zu ihm an die Bar traten, legte Leslie seine Rechte auf meine Schulter und sagte: „I‘ve been in Germany, t‘was in 1986, Berlin, Hamburg and Munich. Wonderful people!“

Egon übersetzte für mich: „Er war in den 80er Jahren in Deutschland, Berlin, Hamburg, München. Das war auf einer Europatournee als Musiker.“

Dann fügte Egon geheimnisvoll hinzu: „Wenn du einmal in eine schwierige Lage kommen solltest, wende dich an Leslie, er kennt fast jeden hier und kann dir sicher helfen.“

„Was für eine Lage könnte das sein?“

„Man weiß nie!“ Egon rollte mit den Augenbrauen und lachte vielsagend. 

Wir traten an die Kasse, wo man seine Bestellung aufgibt. Nach dem Bezahlen bekommt man hier den frittierten „Schwarzspitzen-Riffhai“ in einem ebenfalls frittierten Sandwich. Egon erklärte: „Keine Sorge, dieser Hai hat nie das offene Meer gesehen und ist nicht vom Aussterben bedroht. Er wird inzwischen in großen Becken gezüchtet.“ 

Dann belegt man das Ganze an Selbstbedienungstischen mit allem, wonach einem gerade der Sinn steht: Gurken, Tomaten, Salat, Koriander-Kohl, Tamarinden, Ananasstücke, Chilisauce, Mango- und andere Saucen. 

„Die Trinis lieben Bake and Shark, gegrille Haifischbrötchen, es ist für sie so etwas wie das Nationalgericht,“ erläuterte Egon und fügte hinzu: „Du musst so viel wie möglich obendrauf packen…“

Er ging mit gutem Beispiel voran und stopfte den Burger bis an den Rand voll, legte ihn auf einen Pappteller und schnappte sich Papierserviette und Plastikgeschirr.

Danach setzten wir uns an den flachen Sandstrand unter eine hohe Palme, aßen zuerst den Burger, tranken dazu eisgekühltes CARIB-Bier aus Flaschen und schauten dabei dem bunten Völkchen zu. Egon hatte vorsorglich sechs Flaschen geordert und dafür einen Eiskübel bekommen.

„Du musst dir merken, dass du hier unbedingt immer Eiswürfel zur Verfügung hast! Es gibt immer einen guten Grund, irgendetwas zu kühlen!“ 

Nach einer Weile stillen Genusses fragte er: „Na, wie schmeckt‘s?“ 

Ich bin stets ehrlich, aus Prinzip. Deshalb antwortete ich: „Es ist etwas zäher als anderer Fisch, ein bisschen wie Hühnchen aber sehr gut. Es liegt gut auf der Zunge!“ 

Nach dem Essen, bei der zweiten Flasche CARIB, wollte ich wissen, was Sache ist: „Jetzt musst du mir erzählen, was du hier treibst und wo die Probleme liegen, um die es ganz offensichtlich geht!“

Aber Egon antwortete ausweichend: „Komm doch erstmal richtig an. Ich habe dir die schönsten Beaches versprochen!“

„Vergiss bitte nicht, dass ich auch ein eigenes Leben habe, mein Lieber! Ich habe für dich einiges zurückgelassen und der schönste Strand in der Karibik kann mich nicht für das wundervolle Leben entschädigen, das ich in Südfrankreich gefunden habe.“

Und dann erzählte ich ihm in groben Zügen die jüngsten Entwicklungen in meinem Lebenslauf. Ob eine Frau dahintersteckt, wollte er wissen. Ich berichtete ihm auch von Catherine und erzählte dann, wie es zu meiner Frühpensionierung gekommen war.

„Das ist ja ganz hervorragend,“ warf er ein, „dann kannst du ja länger hierbleiben, als ich dachte!“

„Nun sag schon, welches Interesse du daran hast! Ich wüsste nicht, was ich für dich hier tun kann, was nicht auch andere bewerkstelligen könnten!“

„Jens, bitte hab Geduld! Es wird nicht lange dauern, bis ich völlige Klarheit habe, dann kann ich dich voll und ganz einweihen.“

„Ok, was hat dich hierher vertrieben und womit verdienst du dein Geld?“

Egon griff in den Eiskübel, nahm die beiden letzten Flaschen CARIB heraus und ließ die Kronkorken mit lautem Flopp in die Luft springen: „Cheerio, old chap!“ 

Wir stießen an und schauten uns dabei tief in die Augen. Es war mir wie die Erneuerung eines alten Bundes der Freundschaft. Dabei war mir klar, dass ich mich auf seine Bitte einlassen musste, mit der Offenbarung seines Geheimnisses noch etwas zu warten. Er hatte seine Gründe! Klar war mir aber auch, dass ich mich wieder einmal auf etwas eingelassen hatte, dessen Konsequenzen für mich völlig im Dunklen lagen.

„Ich habe in den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends ein verlockendes Angebot bekommen. Es ging um viel Geld. Eine deutsch-amerikanische Firma hatte damit begonnen, im großen Stil Anlagen zur Förderung und Verarbeitung von Methanol zu bauen.“ Der zuvor eher schweigsame Freund taute langsam auf.

 „Sie suchten damals Personal. Ich war mit meiner Ausbildung als Elektroingenieur und mit meinem Interesse an der aufkommenden Computertechnik genau der richtige Mann dafür.“

„Darum ging es wohl gerade, als wir uns vor Jahren zufällig in dem Café in Frankfurt trafen?“

„Ja, auch. Aber es kam noch anderes hinzu.“

Ich merkte, dass er jetzt auf keinen Fall seine ganze Geschichte auspacken wollte. Irgendetwas war geheim und wurde so für mich umso geheimnisvoller.

Ich wechselte das Thema. Meine privaten Verhältnisse hatte ich ihm freimütig offenbart, also hakte ich auf dieser Linie weiter nach: „Sag mal, bist du eigentlich liiert?“

„Ja, seit fünf Jahren bin ich verheiratet. Sie heißt Trinidad, wie ihre Heimatinsel. Du weißt, was das bedeutet?“

„Nein, aber du wirst es mir gleich sagen?“

„Es hat mit der Religion zu tun und bedeutet Dreieinigkeit. Die Christen glauben, dass Gott sich in drei Formen zeigt. Es ist immer Gott, aber er umfasst den Sohn, den Vater und den Heiligen Geist.“

„So hast du eine Bewohnerin von Trinidad geheiratet, die auch noch Trinidad heißt?“

„So ist es.“

Egon schwieg nun auch bei diesem Thema beharrlich. Ich spürte, dass er nichts weiter dazu sagen wollte, und schwieg auch meinerseits, nahm ich doch jetzt an, dass ich bei unserer bevorstehenden Ankunft in seinem Heim auch Trinidad antreffen würde.

Gut gesättigt gingen wir zum Wagen zurück. Ein paar Kinder standen herum und betrachteten das deutsche Fabrikat. Überall auf der Welt interessieren sie sich für Automarken, und dieses neue Modell ist hier nicht jeden Tag zu sehen.

„Get lost,“ rief Egon einem kleinen Schwarzen zu, der gerade auf den Türholmen steigen wollte, um in das Innere des Fahrzeuges zu schauen.

„Es gibt eine Niederlassung von Mercedes in Port of Spain,“ erklärte er mir, „aber sie haben nicht alle Modelle und auf Sonderausstattung wartest du eine Ewigkeit oder bekommst sie gar nicht.“

Wenige Minuten später und eine Bay weiter bog Egon von der Küstenstraße scharf links in eine Zufahrt und brachte den Wagen in der Parkbucht eines stattlichen Anwesens zum Halt: „Here we are!“ Er sprang aus dem Auto, öffnete den Kofferraum, um mein Gepäck zu holen, und bei der Gelegenheit sah ich, dass er noch ein paar Kisten mit Proviant dabei hatte, offenbar ein Vorrat an Lebensmitteln für die kommenden Tage. 

Das Haus war aus Holz gebaut, weiß gestrichen, und lag etwas erhöht in erster Front am Wasser. Egon öffnete die stabile Tür mit ihrem eisernen Türbeschlag, der die Sicherheit während der Abwesenheit des Besitzers gewährleiten sollte. Ich schaute mich um und stellte fest, dass die Fenster hier zur Straßenseite ebenfalls mit eisernen Gittern versehen waren. Offenbar war niemand im Haus.

Auf einem Tisch im Eingangsbereich des Hauses lag eine riesige Machete, ein Werkzeug, das ursprünglich beim Schneiden von Zuckerrohr benutzt wurde. Auch als Nahkampfwaffe kann sie dienen.

An Waffen hatte ich schon immer ein berufsmäßiges Interesse, so trat ich näher und nahm zuerst das scharfe Schwert zur Hand.

„Vorsicht, mein Lieber. Verletz dich nicht!“

„Wozu brauchen wir dieses?“ fragte ich und zeichnete mit der Waffe eine geschwungene Linie in die Luft.

„Es gibt hier viele Gangster! Damit sie wissen, dass wir uns wehren, setzen wir Zeichen gegen die Kriminalität!“

Egon zeigte mir zuerst das Haus. Es stand auf hölzernen Stelzen am Hang, hatte vorn zum Wasser hin eine umlaufende Balkonbrüstung sowie eine Satellitenschüssel auf dem leicht geneigten Satteldach. Im Erdgeschoss war eine modern eingerichtet Küche, die es offenbar an nichts fehlen ließ. Egon öffnete den Kühlschrank, der ein großes, separates Eisfach hatte. Überall helle Fliesen, angenehm kühl unter den blanken Füßen. Ein großes Wohnzimmer mit einer Sitzgruppe aus grünem, kühlem Leder und ein kleines Badezimmer mit Dusche. Im Wohnraum und in der Küche je ein großer Ventilator, sonor vibrierend in alle Richtungen und ein weiterer unter der Decke aus Holz mit Kette, ständig auf Stufe 1 eingeschaltet.

Eine ebenfalls mit einem Eisengitter gesicherte Tür führte auf den Balkon. Egon nahm den Schlüssel für das Eisengitter von einem Schlüsselbrett in der Küche und öffnete die Türe mit einem deutlichen Quietschen.

„Sie müsste mal geölt werden,“ bemerkte er beiläufig, „ich bin zu selten hier und dann komme ich zu nichts!“ Er trat hinaus und fügte hinzu: „Wenn es dich stört, findest du das Öl in der Werkstatt im Untergeschoss.“

Zuletzt stiegen wir die geschwungene, schmale Treppe ins Obergeschoss. Hier lagen zwei Schlafzimmer und ein Bad mit Wanne, gemütlich eingerichtet, doch schräg und mit geringer Raumhöhe.

„Hier wirst du wohnen, mein Lieber, richte dich gemütlich ein und genieße die Möglichkeiten, die dir Land und Leute bieten!“ Egon lachte mich stolz an, während ich mich auf eines der beiden Sesselchen fallen ließ. 

„Du bleibst also nicht hier bei mir und willst mich allein zurücklassen? Wie stellst du dir das vor?“

„Wir haben ein Haus in der Stadt bei Port of Spain. Dort wohnen wir in der Woche. Ich bleibe hier bis in den frühen Morgen, dann muss ich zu meiner Arbeit. Leider habe ich gerade keinen Urlaub. Urlaub ist hier sowieso ein Fremdwort. Aber ich werde am Freitag zurückkommen und wir werden das Wochenende zusammen verbringen.“

„Das habe ich mir ganz anders vorgestellt“, warf ich mit sichtbarer Enttäuschung ein, „ich habe geglaubt, du brauchst mich, damit ich dich wieder einmal von einer waghalsigen Klettertour herunterhole?“

„Gewiss, das kann sein, mein Guter, aber warte ab, es ist komplizierter als du denkst.

Übrigens unten im Carport steht ein kleiner Flitzer, den kannst du benutzen, wenn du beweglich sein willst.“ 

Während ich mein Gepäck ausräumte, trug Egon die Vorräte ins Haus und verstaute sie. Ganz unten in dem Trolley fand ich eine Überraschung. Catherine hatte mir das Buch, das sie mir erst kürzlich geschenkt hatte, ins Gepäck geschmuggelt. Mangels Interesse hatte ich es achtlos beiseite gelegt. Sollte es jetzt zur Urlaubslektüre werden? 

Als ich auf den Balkon trat, bemerkte ich, dass die Sonne sich dem Horizont als glutroter Ball näherte. Im Reiseführer hatte ich davon gelesen, dass die Dämmerung in Äquatornähe deutlich kürzer ist als in Europa. Die Sonne geht hier natürlich auch im Osten auf, steht mittags immer senkrecht im Zenit und geht im Westen unter. Während es zum Beispiel in Frankfurt am Main vom Untergang der Sonne bis zur vollkommenen Dunkelheit bis zu zwei Stunden dauern kann, geschieht dies hier viel schneller. 

Der Ball näherte sich dem Horizont, touchierte ihn und war in weniger als zwei Minuten im Wasser verschwunden. Danach veränderte sich die Sicht auf das Meer in verschiedenen Helligkeitsstufen und bald schon tauchten die ersten Sterne im Osten auf.

Egon setzte sich zu mir auf die Bank und wir schauten gemeinsam auf das Meer, das so ruhig vor uns lag, als wollte es die Ruhe vor dem Sturm anzeigen. „Ich habe dieses Haus vor vier Jahren gekauft. Heute könnte ich bereits das Doppelte dafür erzielen. Trinidad, meine Frau, war mächtig stolz damals, wegen der Verwandtschaft. Sie stammt aus einfachem Haus.“ Dann kam wieder sein gedehntes „okaaay?“, offenbar eine Angewohnheit oder Marotte, die mich zuerst belustigte, mir inzwischen langsam auf den Nerv ging. Gleich fügte er erklärend hinzu: „Die Bucht ist noch sehr natürlich, nicht so überlaufen wie die benachbarte Maracas Bay und der Zugang zum Wasser ist privat. Du wirst das alles selbst erkunden. Ein weiterer Vorteil ist, dass man von hier den Blick nach Nordwesten hat. Da kann man den Sonnenuntergang genießen. Der Maracas Beach liegt nach Norden und die Sonne verschwindet schon früher hinter den Hügeln. Abends geht dort die Party am Strand richtig ab. Laute, karibische Mucke, wenn du weißt, was ich meine? Das solltest du dir mal ansehen, aber sei vorsichtig, bei Nacht bist du auf Trinidad nirgendwo richtig sicher. Da kommen die Ratten aus ihren Löchern!“

Ich warf ihm einen Blick des Zweifels zu, denn ich war aus meiner Frankfurter Zeit auch einiges gewohnt und wusste, mit allen kriminellen Machenschaften umzugehen. Gewiss, meine Fitness hatte in dem Jahr in Cassis gelitten. Aber wie man einen ordentlichen Polizeigriff ansetzt, war mir noch gut geläufig.

Am Abend schauten wir noch kurz fern. Die lokalen Nachrichten. Ein gelungener Bankeinbruch, ein schwerer Verkehrsunfall, Sportnachrichten zu den Wettkämpfen im Cricket. Der Wetterbericht kündigte an, dass sich irgendwo auf dem Atlantik gerade ein Hurrikan entwickelte. „Tropische Wirbelstürme entstehen über den Ozeanen durch die Verdunstung von warmem Meereswasser,“ erklärte Egon. „Sie erreichen Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 Kilometer pro Stunde. Damit muss in dieser Weltgegend immer gerechnet werden.“ 

„Und was tun wir, wenn er hierher kommt?“

„Welchen Weg er nimmt, ist noch völlig unklar,“ war Egons Kommentar, „und wenn er hier vorbeikommt, werden wir das überleben, mach dir keine Sorgen, mein Lieber, okaaay?“ Und dann ging er an den Refrigerator, den Kühlschrank, holte eine große Flasche eisgekühlte Coca-Cola heraus, schenkte jedem ein halbvolles Glas ein, um es mit einem Rum der Marke Grand Terroir-Cru Vintage aufzufüllen. Den Rum hatte er in einem gesonderten Schrankfach unter Verschluss. Den Schlüssel nahm er zuvor aus einer anderen Schublade. „Damit wir gut schlafen,“ so seine Worte. Und er fügte hinzu: „Das ist der beste Rum, den sie hier herstellen, ich habe sie alle durchgetestet!“ 

Er öffnete eine andere Schublade, in der sich ein alter Plattenspieler verbarg, griff in ein Regal und legte die Schallplatte, die zuoberst gelegen hatte, auf. Dann ertönte    RUM AND COCA-COLA von den ANDREWS SISTERS. Egon begann, sich nach dem Rhythmus der Musik zu bewegen. Wiegeschritt links, Wiegeschritt rechts, Rückschritt rechts, links zurück.

If you ever go down Trinidad

They make you feel so very glad

Calypso sing and make up rhyme

Guarantee you one real good fine time

So bewegte er sich putzig durch den Raum, sang dazu, und ich sah die pure Lebensfreude in seinen Augen. Wo war der Mann, der mich hierhergelockt hatte, um von mir Hilfe in einer kniffeligen Frage zu bekommen?

Am nächsten Morgen erwachte ich erst gegen zehn. Egon hatte einen Zettel hingelegt. Darauf stand: 

Lass es dir gut gehen. Du findest alles, was du brauchst. Ich komme am Freitag gegen Abend.

Neben dem Zettel lag ein lederner Schlüsselbund mit der Aufschrift MITSUBISHI.

Nach der Morgentoilette schaute ich in der Küche nach, ob etwas Brauchbares für das Frühstück da wäre. Egon hatte mich gut versorgt, der Kühlschrank war bis oben hin gefüllt. Milchkaffe und aufbackbare Croissants, so wie ich es aus Frankreich gewohnt war. Dazu eine köstliche Vielfruchtmarmelade aus dem Glas und eine frische Mango. Das Ganze trug ich auf den Balkon, wo ich es mit Genuss und beim Ausblick auf die schäumende See zu mir nahm. Heute wollte ich als Erstes den Strand in der näheren Umgebung kennenlernen. Zuerst musste ich aber das Haus bis in den letzten Winkel erkunden.

Am Schlüsselbrett waren mehrere Schlüssel, die mein Interesse auf sich zogen.

Auf einem stand SHOPFLOOR, was wohl Werkstatt heißen sollte. Ihn probierte ich zuerst aus, nachdem ich den Abstieg ins Untergeschoss hinter einer versteckten Schranktür in der Küche gefunden hatte. Eine schmale, hölzerne Stiege führte in den Keller. Der Raum war dunkel, ohne Fenster aber mit einer festen Eisentür nach außen, die verschlossen war. Beleuchtet wurde er durch eine Neonröhre, die ich an der Treppe eingeschaltet hatte. 

Zwischen einigen ungeordnet abgestellten Sachen wie Strandliegen, Sonnenschirm, Grill und Grillbesteck, einer halb aufgepumpten Luftmatratze stand eine Werkbank. Darauf und dahinter an der Wand einiges Werkzeug sowie auf einem Schränkchen Material für die Reparatur all der Dinge, die hier gelegentlich anfielen. Im Ganzen herrschte Unordnung und ich merkte, dass Egon wohl Zeit und Muße fehlten, um hier etwas zustande zu bringen. 

Ich nahm ein Fläschchen mit, auf dem MACHINE OIL stand, schloss den Keller wieder ab und brachte den Schlüssel an seinen Platz. Dann beseitigte ich zuerst das Quietschen der Gittertür am Balkon.

Anschließend stieg ich erneut in das Obergeschoss, um mich in den Schlafräumen umzusehen. Egon hatte in dem zweiten Schlafzimmer genächtigt. Das Bett lag ungeordnet, der Wecker war auf vier Uhr gestellt. Die sonstige Ausstattung des Zimmers sagte mir, dass es sich um den Raum handelte, der für die Frau des Hauses eingerichtet war. Das Zimmer hatte ein Dachfenster zur Meeresseite, das, als ich es öffnete, ebenfalls einen quietschenden Ton von sich gab. Ich schaute eine Weile hinaus auf die nahe Brandung und sog die frische Morgenbrise ein. Dann schloss ich es wieder und schaute mich in dem Raum um. Schaute in den Kleiderschrank, der gut gefüllt war mit Wäsche, Badesachen, Blusen, Röcken, Morgenmantel, Jeans und zwei, drei leichten, bunten Sommerkleidern. Auf einer Frisierkommode lagen die üblichen Utensilien, die eine Frau braucht, um sich ansehnlich zu halten.

Dies war also das Zimmer von Trinidad, so schloss ich, und wusste nun, dass Egon mir sein Zimmer abgetreten hatte, schliefen die beiden also getrennt.

Dann stieg ich wieder hinunter, um erneut das Fläschchen mit MACHINE OIL zu holen und beseitigte den unschönen Ton am Dachfenster.

Ich ging in mein Zimmer zurück, schaute mich um und stellte dort fest, dass es auch hier wie in der Küche eine verdeckte Schranktür gab, die in eine kleine Kammer unter der Dachschräge führte. Sie war leicht zu öffnen, und dahinter verbarg sich, oh Wunder, ein kleiner Schreibtisch mit einem Computer Marke Apple. Das hatte ich nicht erwartet! Welche Möglichkeiten sich hier boten, würde ich später untersuchen. Egons Schlafzimmer hatte an der Giebelseite ein Fenster, das ich öffnete und dabei feststellte, dass zwei Stock tiefer ein großer Schuppen lag, der direkten Zugang zum Meer hatte.

Danach inspizierte ich das Anwesen von außen.

Als ich vor die Haustür trat, winkte mir eine junge Nachbarin vom Grundstück gegenüber zu, lächelte freundlich, ich winkte zurück.

Unter einem hölzernen Carport an der linken Seite des Hauses stand ein alter Mitsubishi Colt, Baujahr irgendwo um 2000 herum, in der Farbe Dark Green Metallic. Es war ein gutes Gefühl für mich, hier nicht ohne Fahrzeug zu sein. 

An der rechten Seite des Hauses führte eine Steintreppe hinunter zum Meer.

Ich verschloss die Haustüre und stieg die Stufen zum Strand hinab. Zuerst schaute ich mir das Haus von der Meeresseite an. Hoch über mir der Balkon, auf dem ich gefrühstückt hatte. Darunter, zwischen den Pfählen, die das Haus trugen, der schon von innen inspizierte Kellerraum. An der Seite versteckt die eiserne Ausgangstür. Nebenan, etwas weiter seitlich, stand der hölzerne Schuppen, den ich von Egons Zimmerfenster aus schon gesehen hatte. Eine Rampe aus Beton führte vom Schuppen zum Wasser. Ein Bootsschuppen! Leider war das metallene Rolltor heruntergelassen und verschlossen. Ich würde später nach dem Schlüssel schauen.

Der Strand war sandig und mit viel grobem Kies durchsetzt. Überall die Hinterlassenschaften des Meeres, Algen, angeschwemmtes Holz, ein altes Ölfass, eine halbe Holzpalette. Dies war ganz klar kein öffentlicher Badestrand, um dessen Ordnung und Reinigung sich irgendjemand kümmerte. 

Ich ging die vielleicht fünfhundert Meter bis zum anderen Ende der Bucht. Dabei begegnete mir ein Mann ungefähr in meinem Alter, der mit seinem Hund, einem munteren Mischling, Stöckchenholen spielte. Immer wieder warf er das vom Hund zurückgebrachte Holz in die Wellen zurück. Der Hund hatte sichtbar große Freude daran, immer wieder mit der Beute zurückzukommen. Als ich an den beiden vorüberging, kam der Hund schwanzwedelnd auf mich zu und begrüßte mich mit einem freundlichen Hecheln, dabei fing ich ein Lächeln seines Herrchens auf. 

Am Ende der Bucht war auch das Ende der Bebauung. An der vorderen Wasserfront standen nicht mehr als zehn Häuser, alle individuell aber im Stil ähnlich wie Egons Anwesen. Danach führte ein schmaler Strandstreifen mit tropischem Palmenbewuchs zu einem unwegsamen, felsigen Abschnitt.

Ich kehrte um und sah am anderen Ende der Bucht zwei kleinere Boote liegen, eines davon mit Außenbordmotor.