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Beschreibung

Ökonomische Bildung ist nachgefragt, ob als Finanz- oder Wirtschafts-, Verbraucher- oder sozioökonomische Bildung, neuerdings auch als 'Entrepreneurship Education', und zielt damit auf vielerlei ab: auf die Anbahnung eines kritischen (Selbst-)Verständnisses als Verbraucher:in, auf politische Teilhabe, auf Fragen einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit, vielleicht auch auf Zurichtung im Hinblick auf Markttauglichkeit. Welche der bisweilen diffusen bildungspolitischen Anliegen kann und will der Deutschunterricht aufgreifen? Welche Ziele lassen sich dafür formulieren und können mit den klassischen Lernbereichen des Deutschunterrichts verbunden werden? In diesem Heft wird der Beitrag des reflexiven Umgangs mit Sprache, Literatur und Medien für ökonomische Bildung ausgelotet und anhand zahlreicher Anregungen für die Praxis konkretisiert.

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Editorial

UTA SCHAFFERS, SABINE ZELGER:Von der (Un)Sichtbarkeit und (Un)Lesbarkeit des Gegenstandes Ökonomie

Magazin

Gedicht im UnterrichtTHORSTEN ZIMMER:Wir wissen, wie ernst es steht

KommentarANNA-KATHARINA GISBERTZ, JAN THEURL:Wirtschaft im Deutschunterricht. Ideen zum neuen Lehrplan

ide empfiehltTIMO ROUGET:S. Gailberger, R. Köhnen (Hg., 2020): Ideologiekritik und Deutschunterricht heute?

Neu im Regal

Grundlagen: Ökonomie und ökonomische Bildung

REINHOLD HEDTKE: Sozio|ökonomische Bildung. Kontext, Konzeptionen und Kontroversen

Sprache

JÜRGEN STRUGER: Sprach-Erwerb.Zu den Bildungsaufgaben der Sprachdidaktik im Zusammenhang mit ökonomischer Bildung

LESYA SKINTEY, EVA L. WYSS: Mehrsprachigkeit als Kapital und Ressource

MARKUS RAITH: Informationen als Ware, Sprache als Produkt? Mediendidaktische Überlegungen zur Aufmerksamkeitsökonomie

Literatur

EMMANUEL BREITE: Von der Verfügbarmachung der Literatur. Literaturdidaktik im Zeichen des neoliberalen Spätkapitalismus

CAROLIN FÜHRER: Prekarität erzählen. Klasse und Subjektorientierung aus literaturdidaktischer Sicht

MARTIN REITERER: Das Geld, der Markt – und irgendwer hat die Hände im Spiel. Ökonomie im Comicformat

Medien

PETRA ANDERS: Weg vom standardisierten Schüler, Wege zu Futures Literacy in der Digitalität

DIETER MERLIN: Facetten der Geldschöpfung. Die Repräsentation finanzökonomischer Topoi im Dokumentarfilm Oeconomia (2020)

MICHAEL BAUM: Influencia

Service

ANNA BRAUN, UTA SCHAFFERS, SABINE ZELGER: Bibliographische Notizen

 

 

 

 

»Ökonomische Bildung« in anderen ide-Heften

ide 4-2021

Global Citizenship Education

ide 2-2021

Wald

ide 3-2019

Maximilian I.

ide 4-2008

Politische Bildung

ide 3-2004

Shopping

 

Das nächste ide-Heft

ide 4-2023

Sprache(n) und Zugehörigkeitenerscheint im Dezember 2023

 

Vorschau

ide 1-2024

Literaturgeschichte vernetzt

ide 2-2024

Künstliche Intelligenz

 

https://ide.aau.at

Besuchen Sie die ide-Webseite! Sie finden dort den Inhalt aller ide-Hefte seit 1988 sowie »Kostproben« aus den letzten Heften. Sie können die ide auch online bestellen.

www.aau.at/germanistik/fachdidaktik

Besuchen Sie auch die Webseite des Instituts für GermanistikAECC, Abteilung für Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt: Informationen, Ansätze, Orientierungen.

Von der (Un)Sichtbarkeit und (Un)Lesbarkeit des Gegenstandes Ökonomie

1. Sichtbar machen: zur Frage des Gegenstandes

Ökonomische Bildung ist bildungspolitisch nachgefragt, ob als zu stärkendes Querschnittsthema in bestehenden Schulfächern oder in Überlegungen zur Etablierung eigener Wirtschaftsfächer. Was genau darunter verstanden wird, ist unterschiedlich, je nachdem, aus welcher Denkrichtung die Akteur:innen argumentieren. In Didaktiken und Lehrplänen splittet sich das Bildungsvorhaben dementsprechend in unterschiedliche Bereiche auf: Finanz- oder Wirtschafts-, Verbraucher:innen- oder Konsum-, ökonomische oder sozioökonomische Bildung, neuerdings auch »Entrepreneurship Education«. Welche Ziele sich im Einzelnen damit verbinden, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich und kann unterschiedliche Lesarten und Deutungszugriffe evozieren: Denn geht es um die Anbahnung eines kritischen (Selbst-)Verständnisses als Verbraucher:in oder um politische Teilhabe bei Diskussionen zu Rahmenbedingungen? Sind Fragen einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit und Eigenständigkeit in einer ökonomisch bestimmten (Welt-)Gesellschaft relevant oder geht es um eine Einübung in marktwirtschaftliche Logiken und eine neoliberale Leistungsgesellschaft? Und was – diese Frage beschäftigt uns im Heft besonders – bedeuten solche bildungspolitischen Forderungen im Zusammenhang mit einer Stärkung der ökonomischen Bildung als Querschnittsthema im Deutschunterricht? In welchem Verhältnis steht das alles zu den klassischen Aufgaben und Bereichen des Deutschunterrichts? Wie ist Ökonomie für den Deutschunterricht zu profilieren und welche Konsequenzen sind für die genuine Spracharbeit, die Auswahl und den Umgang mit Texten und Medien zu ziehen?

Bevor wir uns den deutschdidaktischen Fragen annähern und dabei Antworten der Beiträge dieses Themenheftes skizzieren, ist anzuraten, ein paar Schritte zurückzutreten und den Gegenstand1 zu betrachten, der in den Deutschunterricht – verstärkt – Eingang finden soll. Aber wo finden wir ihn, wie sieht er aus? Gibt es auch Orte, Ordnungen, Objekte, in denen er nicht aufscheint? Oder anders gefragt: Wie könnte er gefasst, »sichtbar« gemacht, vor Augen gestellt werden? Welches Sujet würde demnach auf den Umschlag eines ide-Heftes passen, das sich »der Ökonomie« und dem Deutschunterricht widmet? »Tatsächlich tritt ›die Wirtschaft‹ nie im Rohzustand auf. Was die Finanzpresse ›die Wirtschaft‹ nennt, ist eine Art Phantom. Gewiss hat sie noch niemand erblickt«, formuliert Terry Eagleton (2012, S. 146 f.). Vielleicht müsste der Umschlag also einfach eine leere Fläche zeigen oder schwarz sein und lediglich feine Schattenumrisse aufweisen? Oder sollten der »Geist des Kapitalismus« (Weber 2017) und das »Gespenst des Kapitals« (Vogl 2010) erscheinen? Näher am Gegenstand – wenn auch ebenso wenig greifbar und schwierig darzustellen – mag die Wirtschaft als »Abstraktion eines komplexen gesellschaftlichen Prozesses« (Eagleton 2012, S. 147) sein. Diesem Verständnis könnte ein möglichst unkonkretes visuelles Erlebnis entsprechen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: © Uta Schaffers

Die Deutungsoffenheit einer solchen versuchsweisen Visualisierung behauptet jedoch auch für den Gegenstand selbst eine solche, suggeriert also, dass Wirtschaft frei deutbar sei, und verwischt zunächst einmal konzeptionelle und definitorische Klarheiten sowie Setzungen (etwa die Differenzen zwischen Kapitalismus und Marxismus, Neoklassik und Keynesianismus). Darüber hinaus verschwimmen und verunklaren damit aber auch sehr konkrete Ursachen und Hintergründe ebenso konkreter Lebensumstände von Menschen bis hin zu gesellschaftlichen (Macht-)Strukturen und überlebensrelevanten Umweltbedingungen. Die damit verbundenen Praktiken scheinen dann verborgen in einem mystischen Arkanbereich der »unsichtbaren Hand« (Smith 1978), un(be)greifbar und unerreichbar für den entschleiernden und verändernden Zugriff von Individuen und Gruppen. Dass Ökonomie schwierig zu konkretisieren ist, liegt auch an den forcierten »Mysterien des modernsten Finanzkapitals«, die Joseph Vogl (2010, S. 12) mit Bezug auf Don DeLillos Roman Cosmopolis (2003) wie folgt charakterisiert:

Wie sich der Markt weder für Vergangenheit noch für die Gegenwart, sondern nur für künftige Gewinnaussichten interessiert, so ist der Traum dieses Kapitals Vergessen; er handelt von der Macht der Zukunft und erfüllt sich in einem Ende der Geschichte. (Vogl 2010, S. 12)

Ein solch einsinniges Verständnis von Ökonomie mit entsprechend eng wirtschaftswissenschaftlich orientiertem Bildungsauftrag, das Reinhold Hedtke im Grundlagenbeitrag als »ökonomische Bildung« vorstellt (vgl. Hedtke in diesem Heft, S. 14–25), ließe sich vielleicht an Orten imaginieren, wo Spuren von Menschen vorzufinden sind, die in Unternehmen regional, national, global und neokolonial die Geschicke anderer steuern (Abb. 2).

Abb. 2: © Uta Schaffers

Aber sollen zentrale Wirtschaftsakteur:innen im altmodischen Ledersessel vergegenwärtigt werden? Braucht es kein Börsenszenario und ein paar Zahlen, die auch finanzökonomische Topoi wie den Prozess der Geldschöpfung oder Kreditregeln sichtbar machen? (Vgl. dazu den Beitrag von Dieter Merlin) Und was ist mit dem zweiten Fachverständnis der Ökonomiedidaktik, das nicht monodisziplinär ist, sondern auf wissenschaftlichem Perspektivenwechsel basiert und mithin nicht nur die Wirtschaft selbst zum Gegenstand hat? Wird demnach der »Realitätsbereich Wirtschaft in der Gesellschaft« zum Thema und hiermit eine »sozioökonomische Bildung« verhandelt (vgl. Hedtke in diesem Heft, S. 18), treten statt Unternehmer:innenpersönlichkeiten auch Arbeitnehmer:innen, Arbeitslose, ja die Mehrheit der Menschen, mithin auch diejenigen in den Blick, die über keine ausreichenden Ressourcen, kein Kapital und keine Kaufkraft verfügen. Es ist ihr wirtschaftlicher Realitätsbereich, der in einer Reihe von Gegenwartsromanen (siehe Beitrag von Carolin Führer) und Comics (siehe Beitrag von Martin Reiterer) sehr anschaulich wird. Die Frage ist, ob der ökonomische Blick die »imperiale Lebensweise« (Brand/Wissen 2017) mit ihren Folgen und Alternativen fokussiert oder umgekehrt Unternehmer:innenfiguren inszeniert, wie sie heute in unzähligen TV-Familienfirmengeschichten heranwachsende Entrepreneur:innen inspirieren. Gesetzlich verordnete ökonomische Dimensionen des Deutschunterrichts reflektieren in diesem Heft Anna Gisbertz und Jan Theurl und fördern dabei eine breite Palette an Texten und Zugängen für den Deutschunterricht zutage. Viele Tipps für Literatur zur Finanzkrise aus mehr als 100 Jahren finden sich auch im Lesebuch Finanzkrise von Evelyne Polt-Heinzl (2009) sowie in den zahlreichen vor allem literaturwissenschaftlichen Publikationen, die Anna Braun neben anderen fachwissenschaftlichen und didaktischen Titeln in der umfangreichen Bibliographie zusammengestellt hat. Bei so vielen und differenten Zugängen zum Thema dieses Heftes würde vielleicht doch ein eher spielerisches Cover den Gegenstand Ökonomie und Deutschunterricht angemessen ausstellen?

Dagegen sprechen andere Heftbeiträge zur Bildungspolitik und Hegemonie des Neoliberalismus, die den Zusammenhang von Ökonomie und Deutschunterricht mit unterschiedlichen Argumenten als weitgreifend problematisch charakterisieren. Petra Anders schreibt Kaspar H. Spinners »standardisierten Schüler« aus dem Jahr 2005 in das digitale Zeitalter fort und kommt zum Schluss, dass auch und gerade die bildungspolitisch vorgesehenen Ordnungssysteme gravierende Folgen für die Schüler:innen haben. Auswirkungen dieser neoliberalen Denkund Handlungsweisen sieht Emmanuel Breite in der Verfügbarmachung von Literatur, die sich auch im Selbstverständnis von Lernenden belegen lasse. Dass bei den institutionellen Vorgaben ökonomische Vokabeln, wie etwa die Rede von »sprachlichen Ressourcen«, durch die monolinguale Schule auch konterkariert werden, zeigen Lesya Skintey und Eva L. Wyss und dokumentieren disziplinarische Methoden, die durch Strafarbeiten Sprachverbote durchsetzen.

Ökonomie und Deutschunterricht lassen sich im Sinn dieser Beiträge keineswegs durch ein abstraktes Bild oder einen verlassenen Chefsessel visualisieren, schon eher könnten normierte Plastikfigürchen, die zur Schau gestellt werden, dafür herangezogen werden. (Abb. 3)

Ein solches Cover würde auf Baumans Gesellschaftsanalyse des »Leben[s] als Konsum« (Bauman 2009) und ebenso auf einen wichtigen Kitt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verweisen: Denn »[s]eit dem 19. Jahrhundert bildete die Hoffnung auf Lebensbedingungen, wie sie die Bourgeoisie vorlebte, einen der mächtigsten Anreize, der den übrigen Klassen ihre Mühsal erträglich erscheinen ließ.« (Boltanski/Chiapello 2013, S. 29) Zudem illustriert das Foto, wie »das kulturelle Repertoire des Markts zwischenmenschliche und emotionale Beziehungen formt und beeinflußt, zugleich aber zwischenmenschliche Beziehungen im Zentrum der ökonomischen stehen« (Illouz 2021, 13 f.). Die immanente Doppelstruktur des Begehrens von Sein und Haben, der Identität und des Konsums, ist hier freilich ungemein transparenter als bei Influencer-Posts, die simulierend und dissimulierend ihre Wirksamkeit erzeugen, wie Michael Baum in seinem Artikel aufdeckt.

Abb. 3: © Uta Schaffers

Wenn also ökonomische Interessen und Spuren omnipräsent, aber verschüttet sind, gilt es sie freizulegen. So argumentiert Jürgen Struger, dass der Deutschunterricht für den Themenbereich Ökonomie seine Gegenstände gar nicht erweitern müsse. Sowieso sorgen vielfältige Beziehungen für Verbindungen zwischen Sprache und Ökonomie, auch, indem sie sich gegenseitig konstituieren: etwa in Form der Ökonomisierung der Sprache und der Sprache der Ökonomie. Selbst dort, wo Ökonomie kein Thema ist, findet sie sich in Strategien der Aufmerksamkeit, die Informationen perspektiviert, zurechtstutzt und herausputzt, wie Markus Raith im Kontext von Massenmedien darlegt.

Was von der Ökonomie sichtbar wird, ist demnach oft verschleiert oder aber entkontextualisiert. So herrscht Uneinigkeit darüber, wie Ökonomie perspektiviert und womit sie in Zusammenhang zu bringen ist: Bezüge zur Wirklichkeit und Differenzierung der Akteur:innen, neokoloniale, regionale und globale Kontexte, Fragen der Klasse und Gerechtigkeit, zu Emotionen und Rationalität, zu Arbeit und Unternehmen. Umso mehr gilt dies für den Deutschunterricht, der in diesem Heft unter ökonomischer Perspektive überdacht bzw. erweitert wird. Um das Zusammenspiel von Ökonomie und Deutschunterricht möglichst offen zu denken, haben wir ein Coverbild gewählt, das nicht festlegt, wovon die Leuchtkraft ausgeht, von Ökonomie, sozioökonomischer Bildung oder Sprache/Literatur/Medien. Unklar bleibt ebenso, was gezeigt, worauf verwiesen, was ausgeblendet wird, ambivalent ist, ob schöngefärbt oder dramatisiert wird. Auch bleibt als Leerstelle die Geschichte und was die Zukunft bringen wird. Nicht zufällig zeigt sich beim gewählten Umschlagbild keine Nähe und Verbildlichung institutioneller Vorgaben oder eine Einengung auf eins der Teilfächer der Wirtschafts- bzw. Ökonomiedidaktik. Vielleicht können wir mit diesem Foto andeuten, dass die interdisziplinäre Verschränkung und Fächerintegration von Ökonomie und Deutschunterricht abenteuerlich, naheliegend und zugleich abwegig, dass sie ebenso reizvoll wie abschreckend sein kann – und dass noch einiges an Arbeit vor uns liegt. Um den Weg zur Fachverschränkung zu ebnen, bieten die Beiträge – und die Materialien auf der ide-Website unter https://ide.aau.at/ – neben verschiedenen Möglichkeiten, den Gegenstand sichtbar zu machen, viele konkrete Vorschläge für den Deutschunterricht, die die Dimensionen des Ökonomischen auch sehen und lesen lehren.

2. Lesbar machen: zur Frage der Zugänge

Neben dem Ziel, das Thema Ökonomie für den Deutschunterricht auszuloten und abzustecken, verfolgt dieses Heft nämlich auch das Ziel, das Ökonomische in Institutionen und Gegenständen lesbar und mithin auch veränderbar zu machen. In diesem Sinn geht es um Beiträge des reflexiven Umgangs mit Sprache, Literatur und Medien für eine – zukünftig noch zu konzipierende – ökonomische Bildung. Dabei stehen auch die Fragen im Raum, wie Sprache, Literatur und Medien ökonomische Phänomene diskutieren, mit ihren je eigenen Mitteln transformieren, kontextualisieren und bewerten, auch Verdecktes sichtbar machen und welche sprachlichen sowie literaturund medienbezogenen Kompetenzen für die reflektierende Begegnung damit benötigt und gefördert werden müssen. Bereits im Basisartikel zur »sozio|ökonomischen Bildung« werden grundlegende Verknüpfungen mit dem sprachlichen, literarischen und medialen Lernen aufgezeigt: Reinhold Hedtke spricht vom »reichhaltigen Arsenal für die funktionalistische Adressierung der Lernenden als Konsument*in, Berufssucher*in, Erwerbstätige*r und Bürger*in im Interesse Dritter«, aber auch von den »vielfältige[n] Möglichkeiten, diese Steuerungen zu analysieren, zu reflektieren und auch zu konterkarieren« (S. 24). Dass Sprachdidaktik Begegnungen mit Texten der Wirtschaft und über Wirtschaft, Sprachaufmerksamkeit bei deren begrifflicher und argumentativer Gestaltung sowie Handlungsfähigkeit in ökonomischen Kontexten fördern kann, zeigt das immense Potenzial des Lernbereichs Sprache, der vor allem auf der Ebene der Reflexion und Kritikfähigkeit das Fach der ökonomischen Bildung bereichern kann (siehe den Beitrag von Jürgen Struger). Wie erhellend es sein kann, ökonomischen Termini »auf den Zahn zu fühlen«, lässt sich in der Auseinandersetzung mit den Begriffen Sprache als Kapital oder Investment nachvollziehen, wenn sie auf den schulischen Umgang mit migrantischer Mehrsprachigkeit und mithin auf die Aufteilung in »Elite- oder Armutsmehrsprachigkeit« (Krumm 2014) bezogen werden (siehe den Beitrag von Lesya Skintey und Eva L. Wyss). Ganz konkret wird das sprachdidaktische Potenzial herauspräpariert, wenn die Sprachlichkeit von Informationen unter die Lupe genommen wird und Sprache im sprachsensiblen Fachunterricht und fachsensiblen Sprachunterricht vor dem Hintergrund der Aufmerksamkeitsökonomie als gut verkaufbare Ware untersucht wird. Empfohlen werden dazu kontrastive Methoden, die das gleiche ökonomische Thema in verschiedenen (multimodalen) Textsorten und Medien nach rhetorischen und visuellen Darstellungsmitteln durchleuchten (siehe den Beitrag von Markus Raith).

Im Kontext einer funktionalistisch und instrumentalistisch verstandenen ökonomischen Bildung ist Deutschdidaktik, und ganz besonders der Lernbereich Literatur, schwerlich zu denken. Dagegen ließen sich, wie Reinhold Hedtke argumentiert, mit dem transformativen Bildungsbegriff der sozioökonomischen Bildung prinzipiell gute Anknüpfungspunkte für den Umgang mit Literatur und Medien finden. »[E]in die Person berührendes, sie veränderndes oder transformierendes Lernen und die persönliche Reflexion dieses Wandels« (Hedtke, S. 20) kann ein Literaturunterricht jedoch nicht anbieten, wenn er dem neoliberalen Paradigma der Anpassung und Effizienzsteigerung folgt und sich einer Kompetenzorientierung im Sinne des »skilling« verschrieben hat. Gegen eine solche einseitige Förderung von Lesekompetenz auf Kosten einer selbstreflektierenden und sinnlichen Erfahrung setzt Emmanuel Breite mit Rückgriff auf Baum (2019) und Mitterer (2016) auf ästhetische Fremdheit und eine Didaktik des Scheiterns, die durchwegs auch mit Lustgewinn verbunden sein kann. Gegen Unterrichtskonventionen schreibt auch Carolin Führer bei der Lektüre von Gegenwartsromanen zu Themen der Ökonomie und Klasse an und kritisiert die in der Literaturdidaktik allfälligen identitätsorientierten und identifikatorischen Zugänge, weil sie die »Gefahr eines Bekenntnisunterrichts« (S. 67) und der Beschämung bergen. Stattdessen wären Bezüge zu medialen Erfahrungen herzustellen und die stereotypen sozialen Identitäten zu dekonstruieren. Für solcherart »Erzählungen des Prekären«, aber auch für Comics zum Thema Ökonomie finden sich in diesem Heft sowie auf der Website vielseitige Lektüreanregungen. Der Beitrag von Markus Reiterer zu »Ökonomie im Comicformat« gibt zudem Einblick in Subgenres, wie Sachcomics, Satiren und graphische Romane, sowie Themen, die von der Geschichte des Kapitalismus über Finanzcrashs bis zu globalen Ungleichheiten und Fluchtszenarien reichen. Wie Literatur auf knappem Raum in kurzer Zeit ganz konkret Teil sozioökonomischer Bildung werden kann, führt Thorsten Zimmer Schritt für Schritt in der Rubrik »Gedicht im Unterricht« vor und zeigt einmal mehr, wie sehr Literaturunterricht statt auf dem Paradigma der »ökonomischen Bildung« der engführenden Wirtschaftsdidaktik auf Wissenskonzepten der sozioökonomischen Richtung aufruht. Denn

[d]ie wirtschaftsdidaktische Strömung unterstellt die universelle Überlegenheit von Wissenschaftswissen. Sie macht es sich vorwiegend zur Aufgabe, alltagsweltliche Fehlvorstellungen der Lernenden durch fachwissenschaftlich korrektes Wissen aus Volks- und Betriebswirtschaftslehre zu ersetzen (Hierarchie des Wissens, Substitution). Die sozioökonomische Tradition anerkennt die Pluralität von Wissensformen – Alltags-, Erfahrungs-, Berufs-, kollektives Deutungswissen, Wissenschaftswissen – und deren je eigene Relevanz. Sie will diese miteinander vermitteln, ausdifferenzieren und weiterentwickeln. (Hedtke, S. 22)

Für den Bereich der Medien stellen die Autor:innen dieses Heftes Zugänge vor, die sich besonderer Herausforderungen annehmen, indem sie u. a. falsche Versprechen und Täuschungen der digitalen Welten sichtbar machen. Jeweils mitverhandelt werden dabei folgende Fragen: »Wer richtet welche externen Ansprüche mit welcher Berechtigung an mich als Person, an mich und uns als Gruppenmitglied oder an meine Generation? Mit welchen Verfahren kann ich sie hinterfragen, wie können wir sie entmachten und eigene Philosophien entwickeln?« (Hedtke, S. 23) Petra Anders widmet sich der Digitalisierung, die das lernende Subjekt standardisiert, prüft und ständig Wettbewerbslogiken unterwirft. Statt das Problem jedoch in veränderten medialen Bedingungen auszumachen, kritisiert die Autorin das Maschinenlernen und plädiert stattdessen für Sandbox-Lernumgebungen, kooperative Settings und die »artistische Technik der Kapitalismuskritik« (S. 86). Wie Dokumentarfilme und Influencer-Posts gelesen werden können, zeigen die anderen beiden medien- bzw. sprachdidaktischen Beiträge auf. Während der Blick auf die dokumentarische Ästhetik das Vorschussvertrauen betreffs Objektivität irritiert und Bedeutungen der filmsprachlichen Verfasstheit gut freilegen kann (vgl. den Beitrag von Dieter Merlin), sind Strategien und Kalküle der Influencer-Kommunikation schwieriger ans Tageslicht zu bringen. »Die Spur der Bilder und Texte ist ebenso eine des Sich-Zeigens wie eine des Verschwindens«, schreibt Michael Baum (S. 97), Trugbilder täuschen etwas vor, was nicht ist, oder verschleiern, was ist. In medialen Welten, wo die Jugendlichen mehr zuhause sind als Lehrkräfte, sind Unterrichtshandlungen behutsam anzuleiten. Die Vorschläge in Baums didaktischer Skizze reichen von einer Rekonstruktion der Rezeptionssituation über sprachliche Transformation und Analyse des ökonomischen Profits bis hin zu ästhetischen Verfahren.

Ökonomie zu lesen ist nicht immer so spannungs- und bildreich, wie dies die Beiträge zu Romanen, Comics, Infotainment, Filmen und Posts vorführen – es ist jedoch ein Thema, das in den neuen österreichischen Lehrplänen für die ersten acht Schulstufen sehr dezidiert verankert wurde. In einem E-Mail-Gespräch zwischen Wissenschaft und Schule, zwischen Anna Gisbertz und Jan Theurl, wird deutlich, dass der Deutschunterricht, abgesehen von der Entrepreneurship-Education, die eine affirmative Haltung zur neoliberalen Wirtschaftsordnung grundlegt, für die Wirtschafts-, Finanz- und Verbraucher:innenbildung reichhaltige Materialien und Methoden bereithält: sei es, um in literarischen Texten die Karriere des homo oeconomicus oder antike Gemeinwohlkonzepte nachzulesen, sei es, indem die Verbindung sprachlicher und ökonomischer Phänomene über ChatGPT, Metaphern und Narrative, aber auch über die Valorisierung von Sprachen und anderen identitätskonstituierenden Merkmalen reflektiert werden.

In diesem Dialog ist im Hinblick auf die ökonomische Bildung im Deutschunterricht von einer »attraktiven Herausforderung« (S. 123) zu lesen. Diese etwas weniger herausfordernd und umso attraktiver zu machen, ist Anliegen dieses Themenheftes, das sowohl auf der Website wie auch in weiteren interdisziplinären und fächerintegrativen Gesprächen weiterzuführen ist. Mitnichten haben dazu Ziele der ökonomischen Bildung im Deutschunterricht verfolgt zu werden, indem Schulbuchtexte kaufmännischer Ausbildungen rezipiert und die Geschäfte der Wirtschaftsfächer übernommen werden. Ebenso wenig sind die klassischen Gegenstände, Sprache, Literatur und Medien, zu redimensionieren oder zu erweitern. Schon gar nicht soll einer Ökonomisierung des Deutschunterrichts Vorschub geleistet werden. Stattdessen bedarf es der Reflexion bildungspolitischer Rahmen sowie des Unterrichtsfachs und der jeweiligen Fachdidaktiken anhand der Frage, wie sehr diese sich an der Transformation von Stroh in Geld und der Produktion von Goldkindern beteiligen – oder auch nicht:

Wir kennen die Standardregeln inzwischen in- und auswendig, mit denen unsere »Bildungs«politiker die Forderungen des Neoliberalismus zu einem Selbsterhalt in angewandte »Pädagogik«, in »Ausbildungsrichtlinien«, übersetzen: Sie bestehen wie im Märchen »Rumpelstilzchen« darin, »Goldkinder« hervorzubringen. Alles, was sie von Natur aus sind und besitzen, hat da zu gelten als »Stroh«; – es ist solange wertlos, als es sich nicht durch die »Wertschöpfung« menschlicher Arbeit und Leistung in seiner »Geldform« »realisieren« läßt. (Drewermann 2007, S. 14)

Wir wünschen eine anregende Lektüre.

UTA SCHAFFERSSABINE ZELGER

Literatur

BAUM, MICHAEL (2019): Der Widerstand gegen Literatur. Dekonstruktive Lektüren zur Literaturdidaktik. Bielefeld: transcript.

BAUMAN, ZYGMUNT (2009): Leben als Konsum. Hamburg: Hamburger Edition.

BOLTANSKI, LUC; CHIAPELLO, ÈVE (2013): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UKW.

BRAND, ULRICH; WISSEN, MARKUS (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.

DELILLO, DON (2003): Cosmopolis. New York: Charles Scribner’s Sons. [Dt. Übersetzung Köln: Kiepenheuer & Witsch.]

DREWERMANN, EUGEN (2007): Von der Macht des Geldes oder Märchen zur Ökonomie. Düsseldorf: Patmos.

EAGLETON, TERRY (2012): Warum Marx recht hat. Berlin: Ullstein.

ILLOUZ, EVA (2021): Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

KRUMM, HANS-JÜRGEN (2014): Elite- oder Armutsmehrsprachigkeit: Herausforderungen für das österreichische Bildungswesen. In: Wegner, Anke; Vetter, Eva (Hg.): Mehrsprachigkeit und Professionalisierung in pädagogischen Berufen. Interdisziplinäre Zugänge zu aktuellen Herausforderungen im Bildungsbereich. Opladen u. a.: Budrich Uni-Press, S. 23–40.

MATTERN, NICOLE; SCHAFFERS, UTA (2020): Ökonomisches Wissen und ökonomische Bildung im Literaturunterricht? Eine kritische Annäherung. In: Dies. (Hg.): Ökonomisches Wissen und ökonomische Bildung im Literaturunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 1–24.

MITTERER, NICOLA (2016): Das Fremde in der Literatur. Zur Grundlegung einer responsiven Literaturdidaktik. Bielefeld: transcript.

POLT-HEINZL, EVELYNE (Hg., 2009): Lesebuch Finanzkrise. Texte aus der österreichischen Literatur zusammengestellt und kommentiert von Evelyne Polt-Heinzl. Wien: Literaturhaus Wien (= Zirkular Sondernummer, Bd. 73).

SMITH, ADAM (1978): Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Ursachen und seiner Natur. München: Recktenwald.

SPINNER, KASPAR H. (2005): Der standardisierte Schüler. Rede bei der Entgegennahme des Erhard-Friedrich-Preises für Deutschdidaktik am 27. September 2004 In: Didaktik Deutsch, Jg. 10, H. 18, S. 4–13.

VOGL, JOSEPH (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes.

WEBER, MAX (2017): Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus. Hg. von Andrea Maurer. Ditzingen: Reclam.

______________

1 Die Diskussion über das, was »die Ökonomie«, »das Ökonomische« ist, ist ebenso weitläufig wie das, was jeweils unter ökonomischer oder wirtschaftlicher Bildung verstanden wird (vgl. u. a. Mattern/Schaffers 2020 sowie den Beitrag von Hedtke in diesem Heft). Da unser Heft auf verschiedene Dimensionen von Wirtschaft und Ökonomie sowie auf damit verbundene unterschiedliche Bildungskonzeptionen fokussiert, werden diese Begriffe auch hier nicht systematisch getrennt.

UTA SCHAFFERS ist Professorin für Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Universität Koblenz. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Ostasien in der deutschsprachigen Literatur, Literatur und Ökonomie sowie Reiseliteratur. Sie ist Leiterin des DFG-geförderten Wissenschaftlichen Netzwerks »Reisende Körper: Körper und Körperlichkeit in Reiseliteratur«.E-Mail: [email protected]

SABINE ZELGER ist Hochschulprofessorin für Deutschdidaktik an der KPH Wien/Krems. Ihr zentraler Forschungsschwerpunkt ist Politik und Ökonomie der Fiktionen, die sie literaturwissenschaftlich und literaturdidaktisch in den Blick nimmt.E-Mail: [email protected]

Reinhold Hedtke

Sozio|ökonomische Bildung

Kontext, Konzeptionen und Kontroversen

Die Bedeutung von ökonomischer Bildung ist allgemein anerkannt, in den Schulen ist sie fest verankert. Ihre Ziele, Prinzipien, Inhalte und Organisationsformen bleiben wissenschaftlich und bildungspolitisch jedoch überwiegend umstritten. Der Beitrag stellt die Grundzüge der Kontroversen vor und skizziert die Traditionen der ökonomischen und der sozioökonomischen Bildung, beschreibt den Ausbau ökonomischer Bildung als politisches Projekt und diskutiert zentrale Differenzen im Verständnis von Bildung und von bildungsrelevantem Wissen. Er zeigt Anschlüsse für die sprachliche, literarische und ästhetische Bildung und deren Potenzial für die sozio|ökonomische Bildung auf.

Deutschland, Österreich und Frankreich erleben seit einer Reihe von Jahren kontroverse Debatten um die ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Forderungen nach einem Ausbau dieser Bildung stoßen oft auf spontane Sympathie. Das verdankt sich zu einem erheblichen Teil bildungspolitischen Kampagnen samt journalistischem Aktivismus, die seit einigen Jahren auch Österreich erfasst haben, während sie in Deutschland schon seit mehr als zwei Jahrzehnten andauern. Ein Exempel war die Kampagne Wirtschaft in die Schule (vgl. Hedtke 2008). Die Aufmerksamkeit für mehr ökonomische Bildung ist ein lobbyistischer Erfolg und weder Zufall noch allein dem Zeitgeist geschuldet.

Die Kontroversen ranken sich vor allem um sechs Fragen: Ist ökonomische Bildung an Schulen tatsächlich schlechter gestellt als politische, gesellschaftliche oder rechtliche Bildung? Soll man ein separates Schulfach Wirtschaft einrichten, in das die wirtschaftlichen Inhalte und Kompetenzen aus den bestehenden Fächern verschoben werden? Welche Ziele soll die ökonomische Bildung erreichen, welches Wissen und Können sollen die Lernenden erwerben? Soll sie sich auf eine einzige wissenschaftliche Denkweise beschränken oder mehrere alternative vermitteln? Verstärkt sie die Tendenzen zur Entpolitisierung und Ökonomisierung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft? Setzt sie die Lernenden unter Druck, ihre persönliche Lebensführung auf Rechenhaftigkeit und Selbstrationalisierung auszurichten? Fördert ökonomische Bildung einseitig Positionen im Interesse von Unternehmen und Unternehmer*innen, wirtschaftlichen Eliten und wirtschaftlich Privilegierten sowie die Akzeptanz der herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse?

Vor allem Unternehmensverbände, Wirtschaftskammern, Unternehmensstiftungen, Finanzindustrie, konservative und wirtschaftsliberale Parteien, Wirtschaftspresse und Teile der Wirtschaftsdidaktik fordern ein Separatfach Wirtschaft. Es soll disziplinär angelegt sein und volks- sowie betriebswirtschaftliches Wissen und Können vermitteln. Was der Verlust der Domäne Wirtschaft für die Domänen Gesellschaft, Politik und Recht bedeutet, wird nicht bedacht, sie würden einfach im bisherigen multidisziplinären Fach verbleiben. Das ist in Österreich Geographie und Wirtschaftskunde an Mittelschulen und allgemeinbildenden höheren Schulen – die Domänen Politik, Gesellschaft und Recht gehören zu Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung.

Bevor man sich eingehender mit ökonomischer Bildung auseinandersetzt, muss man eine bildungspolitische Nebenwirkung der asymmetrischen Aufmerksamkeit für Wirtschaft notieren: das Abblenden anderer Bildungen. Direkt betrifft das die gesellschaftliche, die rechtliche und die politische Bildung. Aber auch andere Bildungsanliegen, etwa die technische, die philosophische oder die gesundheitliche Bildung, werden marginalisiert. Der einseitige Blick auf Wirtschaft verhindert die dringende Diskussion, ob und wie das Fächerspektrum insgesamt zeitgemäß zu reformieren ist und welche Bildungen in der Schule zu kurz kommen oder gänzlich fehlen. Die ökonomische Bildung profitiert von dieser Einseitigkeit, weil die Kosten, die ihr Ausbau bei anderen verursacht, in den Debatten ignoriert werden.

Im Folgenden werden vier Fragen diskutiert: Was ist der Stand ökonomischer Bildung in allgemeinbildenden Schulen (1)? Wie wird ökonomische Bildung konzipiert (2)? Auf welchen Bildungsbegriff stützt sie sich (3)? Welches Wissen hält sie für bildungsrelevant (4)? Potenzielle Anschlussstellen für die sprachlich-literarisch-ästhetische Bildung werden fortlaufend notiert.

1. Der Ausbau von ökonomischer Bildung als politisches Projekt

Ökonomische Bildung ist ein seit langem anerkanntes und etabliertes Element schulischer Allgemeinbildung. Sie ist in den Stundentafeln und Lehrplänen der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz verankert und meist in multidisziplinär sozialwissenschaftlichen oder integrativen Schulfächern organisiert (Übersicht für Deutschland in Weber 2022). In Deutschland ist die für ökonomische Themen verfügbare Lernzeit im Vergleich zu Politik und Gesellschaft recht groß (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2020, S. 208–221); hinzu kommen außerunterrichtliche Aktivitäten wie Betriebspraktikum und Berufsorientierung (vgl. Gökbudak/Hedtke 2020, S. 6–12).

Die Fächer variieren national und regional, so gibt es etwa »Politik und Wirtschaft«, »Wirtschaft-Politik«, »Sozialkunde«, »Geographie und wirtschaftliche Bildung«, »Wirtschaft und Recht«, »Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung« oder »Wirtschaft, Arbeit, Technik« (Hedtke 2015, S. 19–21). Zu den einschlägigen curricularen Inhaltsfeldern der ökonomischen Bildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz zählen Haushalt, Konsum und Konsumfolgen, Arbeit und Arbeitswelten, Berufsorientierung, Unternehmen und Produktion, Marktwirtschaft und Handel, Geld und Währung, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Vergleich ökonomischer Systeme, Europa, Globalisierung und Nachhaltigkeit (zu den neuen Lehrplänen in Österreich siehe den Beitrag von Gisbertz und Theurl in diesem Heft).

In Bildungspolitik, Lehrplänen, Schulen und Lehrmaterialien dominiert ein sozialwissenschaftliches und gegenstandsbezogenes Verständnis ökonomischer Bildung, das Lernen über und für Wirtschaft mit Lernen über Politik, Gesellschaft oder Recht zusammenbringt und in einem gemeinsamen Schulfach verortet (sozialwissenschaftliche Tradition). Diese Tradition prägt die allgemeinbildenden Schulformen der Sekundarstufe I (Klassenstufen 5 bis 8 bzw. 10) in Deutschland und Österreich. Ein zweiter Traditionsstrang versteht ökonomische als wirtschaftswissenschaftliche Bildung und organisiert sie in einem separaten, disziplinären Schulfach (wirtschaftswissenschaftliche Tradition). Diese Variante kommt im deutschsprachigen Raum am seltensten vor. Sie wird in den genannten Kampagnen und von Teilen der Wirtschaftsdidaktik zur Bestlösung erklärt.

Die pauschale Zustimmung zu ökonomischer Bildung entspringt auch ihrer begrifflichen Unschärfe. Der schillernde Begriff »ökonomisch« kann etwas aus dem Realitätsbereich Wirtschaft bezeichnen, eine optimale Zweck-Mittel-Relation (Wirtschaftlichkeitsprinzip), etwas aus den Wirtschaftswissenschaften oder eine spezifische Analyseperspektive aus den Sozialwissenschaften wie die ökonomische Verhaltenstheorie. Zu ihren Kernannahmen zählt das individuelle zweckrationale, optimierende Handeln. Solange in Öffentlichkeit und Politik unklar bleibt, was »ökonomisch« meint und was Bildung heißen soll, eignet sich der Begriff ökonomische Bildung als Projektionsfläche für sehr unterschiedliche Vorstellungen. Das hält die Gegensätze der unterschiedlichen Interessen und Bildungsverständnisse latent.

Konzeptionelle Gegensätze kennzeichnen auch die Strömungen der Fachdidaktiken, die gleichwohl auch gemeinsame Positionen vertreten.

2. Konsens und Kontroverse: fachdidaktische Positionen zur ökonomischen Bildung