Oma dealt, Opa auch - Edith Luttner - E-Book

Oma dealt, Opa auch E-Book

Edith Luttner

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Beschreibung

"Lachen bis die Zähne rausfallen – Die unglaublichen Abenteuer der kiffenden Omas!" Die Alten von heute: Ein vierblättriges Freundinnenkleeblatt gehobenen Alters und Ehemann Peter klauen wie die Raben, verticken Rauschgift und kiffen genussvoll. Die Rentnerinnen sind zwar finanziell bestens ausgestattet und engagieren sich ehrenamtlich. Dennoch erpressen sie Männer, die sie zuvor in einem Dominastudio traktiert haben. Als Christa, Annelies, Gudrun und Sigrid es mit ihren kriminellen Machenschaften übertreiben, kommt es unter dramatisch-komischen Bedingungen zur Verhaftung. Die wilden Zeiten sind damit jedoch nicht vorbei... Der Strafprozess ist ein medialer Paukenschlag und die Politik ist gefordert auf die demografische Entwicklung zu reagieren, denn – tatsächlich – immer mehr Senioren werden straffällig. Doch die Omas mischen selbst die Pflegestation ihrer Strafvollzugsanstalt auf. Das Beste dabei: Weil der Strafvollzug kostenfrei ist, die Unterbringung auf der Pflegestation eines Altenheimes aber mindestens 60.000 Euro im Jahr kostet, bleibt ihr Vermögen zur Freude ihrer Erben unangetastet. Mit Witz greift Edith Luttner ein Thema auf, das uns alle angeht: Wir werden alt! Mit barock-handfestem wie skrupellosem Humor schafft sie es, eine Welt von Alten zu zeichnen, die auf fröhliche Weise außer Rand und Band geraten. Wir alle seien gewarnt: In Omas Garten blüht nicht nur der Mohn ...

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Seitenzahl: 309

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Oma dealt, Opa auch

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 9783958942707

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2023/2024

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Gefördert im Rahmen des Programms von Neustart Kultur.

Inhalt

Wie alles gekommen ist

In einer unbekannten Welt

Eine diebische Elster

Wieder zu Hause

Im Dominastudio

On Tour

Zehn Jahre später

Der Nonnenprozess

Wieder zu Hause

Vor Gericht

Der Oma-Prozess – Der erste Verhandlungstag

Antreten zur Haft

Zwei Jahre später – Kaffeeklatsch im Knast

Die Politprominenz

Wir sind Gefängnis

Altwerden ist Pubertät mit umgekehrten Vorzeichen

Anhang

Christa war die Keimzelle des vierblättrigen Freundinnenkleeblatts, das zu langjährigen Haftstrafen wegen Taschendiebstahls, Erpressung und Drogenhandels verurteilt wurde.

Mit Annelies war Christa schon in der Grundschule befreundet, mit Sigrid war sie im Gymnasium, mit Gudrun studierte sie Agrarwissenschaften. Zeitweise teilten sich Gudrun und Christa ein Zimmer im Studentenwohnheim – Christa wohnte dort kostengünstig und illegal. Sie teilten sich nicht nur das Zimmer, sondern auch ihre Liebhaber.

Aus ihnen waren honorige Frauen geworden, die heirateten, Kinder bekamen, sich scheiden ließen und ihre Berufe ausübten. Nur Sigrid machte auf Charity und entwickelte ein ausgeprägtes Weibchensyndrom. Tag für Tag, rund um die Uhr, das ganze Jahr über, lebte sie auf Stand-by für ihren Göttergatten. Sigrid hatte Betriebs- und Volkswirtschaft studiert. Ihre gelegentlichen Versuche, für sich eine adäquate berufliche Aufgabe zu finden, scheiterten an ihrer Trägheit und an seinen Ansprüchen. Gelegentlich schaute sie aus lauter Langeweile in der Firma ihres Mannes nach dem Rechten – zu seinem Leidwesen, denn er hatte was mit seiner Sekretärin. Ihrem Mann gelang es, die Affäre mit seiner Sekretärin geheim zu halten, oder Sigrid wollte es vielleicht auch gar nicht wissen? Christa vermutete immer Letzteres.

Sigrids Ehe endete nach wenigen Jahren durch den Tod ihres Mannes. Er hatte Krebs, und sie hatte Glück. Er starb beizeiten, und sie war die lustige Witwe – mit fettem Erbe, fetter Lebensversicherung und magerer Witwenrente. Auf die Witwenrente wollte sie, obwohl finanziell sehr gut gestellt, nicht verzichten. Deshalb kam eine Heirat mit Klaus, ihrem betuchten und deutlich älteren Lebensgefährten, nicht infrage. Aber Vögeln geht ja auch ohne Trauschein. Auch dieser beschenkte sie noch zu Lebzeiten äußerst großzügig und bedachte sie üppig in seinem Testament – zum Leidwesen seiner beiden Töchter, die sogar versucht hatten, ihn unter rechtliche Betreuung zu stellen. Sigrid hatte schon immer ein gutes Händchen für Männer, die sich von ihr ausnehmen ließen.

Christa war mit ihrem dritten Mann Gregor verheiratet, acht Jahre jünger als sie, der Vater ihres jüngsten Sohnes Korbinian und Großvater von Anna und Xaver.

Annelies war Lehrerin und unterrichtete Musik, Englisch und Latein. Schon nach wenigen Ehejahren war sie geschieden. Sie hatte Pech und musste über viele Jahre an ihren Mann, der sich der Kunst verschrieben hatte und auch etwas kränklich war, Unterhalt zahlen. Dieses Geld fehlte ihr für die Rente. Außerdem musste sie erhebliche Anteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung an ihren Ex-Mann abtreten.

Peter, Gudruns Ehemann, hatte mitgemacht bei den kriminellen Machenschaften der vier Freundinnen und saß auch mehrere Jahre im Knast.

Wie alles gekommen ist

Christa betrat die noble Snack-Bar Herzschlag und steuerte zielstrebig vorbei am Tresen auf ihren Stammplatz zu. Im Hintergrund spielte leise Jazzmusik. Der Kellner, passend zum futuristisch anmutenden Ambiente der Bar exquisit gekleidet, brachte ihr einen Latte Macchiato. Die Auswahl an Speisen und Getränken war sehr exklusiv und ebenso teuer. Mit kleinem Geldbeutel konnte man sich hier bestenfalls eine Tasse Kaffee leisten.

Für das Lokal arrangierte ein Gallerist immer wieder neue Ausstellungen zeitgenössischer Künstler. Oft hatte Christa mit ihren Freundinnen die aufwendig inszenierten Vernissagen mit Livemusik und politischem Kabarett besucht. Die Buffets waren kulinarische und optische Highlights – immer dem Thema der ausgestellten Kunstwerke angepasst.

Die Bar in der Münchner Schillerstraße, unweit vom Hauptbahnhof, eine eher schmuddelige Gegend mit vielen Computergeschäften, Juwelierläden, die Goldschmuck aus dem arabischen Raum anboten, türkischen Obst- und Gemüsehändlern, billigen Absteigen und vielen Sexshops mit eindeutigen Angeboten für Dienstleistungen aller Art, passte nicht in diese Gegend. Aber sie war für Christa und ihre Freundinnen der ideale Treffpunkt für ihre Streifzüge durch die Münchner Innenstadt. Schon seit vielen Jahren trafen sie sich jeden zweiten Samstag, um auf Diebestour durch die Münchner Einkaufspassagen zu gehen. Heute hatten sie einen anderen Plan.

Christa wurde schon etwas unruhig: Ja, wo bleiben sie denn, die Mädels?, dachte sie sich, und just in diesem Moment kamen Gudrun und Annelies gut gelaunt hereinspaziert. „Hallo ihr zwei beiden. Schön, dass ihr da seid. Ich hab’ mir schon die neue Ausstellung angeschaut. Schade, dass wir nicht bei der Eröffnung dabei waren“, begrüßte Christa ihre Freundinnen.

„War halt ein ungünstiger Zeitpunkt. Bis Sigrid kommt, wird es vielleicht noch etwas dauern. Bestellst du für mich bitte einen Cappuccino? Ich möchte mir schnell die neuen Kunstwerke anschauen“, sagte Annelies. „Für mich bitte einen Espresso. Ich geh’ mit Annelies mit“, sagte Gudrun.

Der Cappuccino und der Espresso ließen nicht lange auf sich warten – im Gegensatz zu Sigrid. „Es wird ihr doch hoffentlich nichts passiert sein?“, meinte Christa. „In letzter Zeit kam sie mir öfter etwas unkonzentriert vor.“

„Ach, mach dir keine Sorgen. Sie wird schon noch kommen. Wir haben ja alle Zeit der Welt“, beschwichtigten sie Annelies und Gudrun. „Wahrscheinlich wird sie auf Diebestour unterwegs sein. Heute spielt doch in der Allianz Arena der FC Bayern gegen Borussia Dortmund.“

„Da könnt ihr recht haben. Dann wird es mit Sigrid wohl noch etwas dauern. Ihr könnt euch Zeit lassen. Ich bestell’ mir auch noch einen Latte Macchiato und blättere die Zeitung durch“, antwortete Christa.

Endlich kam Sigrid gut gelaunt hereinspaziert.

„Schaut mal, was ich hier habe. Für heute habe ich die Kosten für unsere Vergnügungstour schon zusammengeklaut. Die U-Bahn war rappelvoll, und ich habe zwei Geldbeutel gestohlen. Und auf den Bahnsteigen und Rolltreppen konnte ich auch noch drei Mal zuschlagen. Jetzt wollen wir mal sehen, was da an Geld drinnen ist“, erklärte Sigrid ihr spätes Kommen.

„Nicht so laut!“, mahnte Annelies Sigrid.

„Wer soll uns hier schon hören?“, maulte Sigrid mit einer schwungvollen Rundumhandbewegung zurück.

Am anderen Ende der Tischreihe, hinter einer grünen Wand aus Birkenfeige, Fensterblatt und Strahlenaralie saßen noch zwei Gäste, die sich angeregt unterhielten. Ohne beobachtet zu werden, konnten die vier Mädels die Portemonnaies und Brieftaschen öffnen.

„Ich weiß nicht, warum nehmen die Leute zu einem Fußballspiel so viel Geld mit. Hier! Schaut! Der hat fast siebenhundert Euro dabei. Und in den Medien warnt die Polizei vor Taschendieben, gerade bei so großen Veranstaltungen wie einem Fußballspiel“, war Sigrids zufriedener Kommentar.

„Vielleicht will er nach dem Spiel noch in ein Puff gehen? Und der Straßenstrich ist ja auch nicht weit weg vom Fußballstadium“, antwortete Annelies.

„Was soll’s? Warum macht ihr euch darüber Gedanken. Uns kann’s doch nur recht sein. Wir machen damit Kohle“, beendete Christa die Debatte.

„Bei dieser Affenhitze habe ich keine Lust, durch die Kaufhäuser zu ziehen oder irgendwelchen Leuten die Brieftasche zu klauen“, sagte Gudrun.

„Ich auch nicht“, schloss sich Christa Gudruns Meinung an. „Bevor ich wegen dieser Hitze noch zum Tier werde, gehe ich ab heute Abend in den Hitze-Lockdown. Ich verlasse nicht mehr mein Haus. Wozu gibt es Lieferservice und meine liebe Frau Singer? Die muss einkaufen.“

„Ich werde mich auch zu Hause verbarrikadieren“, sagte Gudrun. „Denn wirklich hitzeresistent bin ich auch nicht mehr. Wenn ich da an unsere Landtechnik- und Ackerbauübungen in der prallen Sonne denke. Ich könnte es nicht mehr aushalten.“

„Müssen wir auch nicht mehr“, antwortete Christa.

„Ja, was wollen wir denn dann anstellen? Den ganzen Tag hier rumsitzen ist ja auch nicht das Gelbe vom Ei“, meldete sich Annelies zu Wort.

„Wir wollten doch heute am Frankfurter Ring in das Geschäft Weiber des Satans gehen, um uns zu informieren, was wir alles anschaffen müssen für unser Dominastudio“, meinte Christa. „Oder habt Ihr das vergessen?“

„Nein. Haben wir nicht. Und da fahren wir jetzt auch hin. Damit du endlich Ruhe gibst“, meinte Annelies.

„Also, mir ist das heute zu heiß, um dort Lack und Leder anzuprobieren“, wandte Gudrun ein.

„Ich hab’ doch gesagt, wir sollten uns nur mal umschauen und auch mal auf die Preislage achten. Wir müssen doch nicht gleich einkaufen“, wies Christa Gudrun zurecht.

„Mir wär’s halt recht, wenn wir jetzt bald unsere Pläne für ein Dominastudio in die Praxis umsetzen würden. Die Kaufhausdiebstähle sind langweilig und auch zu gefährlich. Bis in die letzte Ecke werden die Verkaufsräume kameraüberwacht. Und die elektronisch gesicherten Etiketten machen es auch nicht leichter. Wenn’s dumm läuft und wir erwischt werden, dann landen wir in der Psychiatrie wegen Kleptomanie.“

„Da stimme ich Christa zu. Aber mal nicht gleich den Teufel an die Wand“, meinte Sigrid.

„Unserer Langeweile können wir als Dominas mit mehr Spaß begegnen. Wir können ein perfektes Doppelleben organisieren. Wir machen weiter auf Familie, spielen mit unseren Enkeln, und wir machen wie bisher ein bisschen auf Ehrenamt. Und ansonsten peitschen wir Männer durch, die dafür auch noch bezahlen. Das ist doch perfekt“, meinte Annelies.

„Also, hört jetzt auf mit eurer Diskussion. Wir sollten uns auf den Weg machen. Es ist ja schon fast Mittag“, beendete Sigrid die Gesprächsrunde, rief den Kellner, bezahlte die Zeche und kaufte noch für jede von ihnen eine Flasche Wasser.

In einer unbekannten Welt

Das Schaufenster war mit weißer Folie zugeklebt, darauf prangte eine breitbeinig auf High Heels stehende und peitschenschwingende Frau. Sie war schwarz in Lack und Leder gekleidet, ihr Gesicht war hinter einer purpurroten Ledermaske verborgen. Die Eingangstür war mit schwarzer Folie zugeklebt, und mit großen roten Lettern stand geschrieben: „Ihr Satansweiber! Kommt herein!“ Der Türgriff bestand aus einer großen mit rotem Plüsch überzogenen Handschelle.

Etwas beklommen betraten die vier Freundinnen das angenehm klimatisierte Geschäft. Der Mann, der sich als Geschäftsinhaber ausgab, war ein Zwetschgenmanderl, trug eine bayerische kurze Lederhose mit filigran bestickten Hosenträgern. Sein Oberkörper war entblößt. Christa, Sigrid, Gudrun und Annelies mussten sich erst sammeln. Sie waren etwas verwirrt vom Anblick dieses Mannes. Alles, was sichtbar war von seinem Körper, war mit bunten Tätowierungen verziert. Das Zwetschgenmanderl war sehr diskret und ignorierte das unsichere Benehmen der vier Frauen. „Was kann ich für die Damen tun?“, fragte er freundlich. Alle vier stotterten gleichzeitig drauflos, dass sie sich ein Dominastudio einrichten und sich jetzt einfach mal umschauen wollten, was sie dafür alles anschaffen müssten und was das ungefähr kosten würde. „Wir sind Rentnerinnern und wir brauchen eine Beschäftigung, und wenn wir damit auch noch unsere Renten aufbessern können, umso besser“, erklärte Christa ihren Besuch.

„Ja, dann lasse ich Sie jetzt mal allein, damit Sie sich in aller Ruhe umschauen können. Hier sind die Ausstellungsstücke, die Sie gerne auch anfassen und anprobieren können. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit. Hier sind noch Kataloge. Alles, was ich nicht hier im Geschäft habe, kann ich auch bestellen. Wenn Sie was brauchen, dann rufen Sie mich einfach.“ Das Eis war gebrochen.

Beim Hinausgehen bot er Erfrischungsgetränke an und verschwand im Hinterzimmer. Zwei Minuten später brachte das Zwetschgenmanderl gekühlte Whiskey-Drinks.

Gudrun und Annelies durchblätterten die Kataloge, beratschlagten, was eingekauft werden sollte, und markierten die Gegenstände mit kleinen Post-its. Auf einem Blatt Papier notierte Gudrun die Preise. Sigrid und Christa befummelten die Kleidungsstücke und durchwühlten die Ausstellungsschränke mit Handwerkszeug – Peitschen, Elektroschocker, Handschellen, Würgebänder, Käfige, Reizwäsche für Frauen und Männer.

Christa wollte schon wieder lange Finger machen. Eine rote, trägerlose Corsage mit Strapsen, die mit funkelnden Strasssteinen besetzt waren, hatte es ihr angetan. Sigrids erzürnter Blick hielt sie davon ab. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du da noch reinpasst. Und für wen willst du das Teil anziehen? Für Gregor etwa?“

„Ich würde dieses rote Teil anziehen zum Auspeitschen. Dazu schwarze Netzstrümpfe und rote High Heels. Das wäre doch schon mal ein Anfang für meine Arbeitskleidung“, meinte Christa.

„Wann hast du eigentlich das letzte Mal in einen Spiegel geschaut. Eine trägerlose Corsage?! Aus glänzender Seide?! Und das Höschen als Stringtanga?! Schau doch mal deinen Hängebusen an. Abgesehen von deiner Wampn und deinem fetten Arsch. Und du hast gehörig Cellulitis, nicht nur an den Beinen, sondern auch an deinen Oberarmen. Das ist einfach so in unserem Alter. Und du hast Falten im Gesicht so tief wie der Rheingraben.“

Christa war gekränkt und sprachlos. Letzteres kam bei ihr eher selten vor.

Inzwischen hatte sich Gudrun zu ihnen gesellt. „Liebe Christa! Da hat Sigrid leider recht. Was wir brauchen, sind hautenge Anzüge, vielleicht in Schlangenlederoptik. Die halten unsere Speckschwarten dort, wo sie hingehören. Wir dürfen ruhig ein wenig prall darin ausschauen. Ich meine, es darf auch etwas ordinär wirken. Unser Gesicht sollten wir hinter Masken verstecken. Annelies und ich haben schon ein paar Modelle im Katalog für uns ausgesucht.“

Nach etwa einer halben Stunde ließ sich das Zwetschgenmanderl wieder blicken und servierte weitere Getränke, diesmal auf Wunsch Prosecco und Mineralwasser, beides gut gekühlt. Genauso lautlos wie er gekommen war, verschwand er wieder im Hinterzimmer.

Die vier Freundinnen merkten nicht, dass sie schon mehr als zwei Stunden im Geschäft verbracht hatten. Das Zwetschgenmanderl trat wieder in Erscheinung und fragte, ob die Damen sich schon für etwas entschieden hätten und ob er behilflich sein könnte. Gudrun und Annelies zeigten ihm, was sie in den Katalogen gefunden hatten, und Sigrid und Christa zeigten ihm die Lederoveralls, die infrage kämen, wenn es diese auch für sie in Größe fünfzig/zweiundfünfzig gäbe. Das Zwetschgenmanderl entpuppte sich als charmanter Lügner: „Aber gnädige Frau. Sie brauchen doch nicht Größe fünfzig, doch höchstens Größe sechsundvierzig bei einem passenden Schnitt.“

„Sparen sie sich Ihre Süßholzraspelei. Ich kenne meine Speckschwarten“, sagte Sigrid und zeigte auf ihren Mittleren Ring, der von einer Taille nichts mehr erkennen ließ. „Sie würden es doch auch nicht glauben, wenn ich sagen würde, Sie sehen aus wie ein jugendlicher Adonis.“

Mit einem Schlag war die gute Stimmung gekippt. Auf der Straße schimpfte Christa auf Sigrid ein: „Ja, hat’s das jetzt gebraucht, dass du diesen Mann so anblaffst und beleidigst. Du hast ja deine Launen überhaupt nicht mehr im Griff. Und sag ja nicht, das sind die Hormone. Deine Wechseljahre hast du durch. Du bist ein richtig bitterböses Weib. Ich ruf’ das Zwetschgenmanderl nächste Woche an und werde mich bei ihm entschuldigen. Außerdem möchte ich einen Termin ausmachen, wann wir kommen können, um Klamotten anzuprobieren.“

„Böse sein macht Spaß“, antwortete Sigrid pampig.

Die Freundinnen verabschiedeten sich schnell. Jede hatte es eilig, denn zu Hause warteten ihre Ehemänner und Enkelkinder. Christa fuhr mit Gudrun Richtung Neuhausen.

„Du, Gudrun. Ist dir das nicht auch schon aufgefallen mit Sigrid. Sie vergisst in letzter Zeit doch so manches. Und sie reagiert auf die kleinste Kleinigkeit oft sehr aggressiv.“

„Ja, das stimmt. Ich kenne dieses Verhalten von meiner Schwiegermutter. Bei der hat es auch so angefangen. Für mich sind dies die ersten Anzeichen einer beginnenden Demenz. Alzheimer lässt grüßen!“

„Das täte mir sehr leid für Sigrid. Hoffentlich stimmt deine Prognose nicht. Wir müssen mehr Rücksicht auf Sigrid nehmen. Mal abwarten, wie sich die Situation entwickelt.“

Gudrun verabschiedete sich von Christa mit einer flüchtigen Umarmung. Im Laufschritt verließ sie die U-Bahn-Station. Christa beneidete Gudrun um ihre drahtige Figur. Sie war mit Abstand die Sportlichste von den vieren.

Gregor begrüßte sie mit Vorwürfen. Er war stinkig, dass sie den ganzen Samstag mit ihren Freundinnen verbracht hatte. „Ja, wo bleibst du denn so lange. Du weißt doch, dass heute Anna und Xaver kommen. Die Betten habe ich für sie schon hergerichtet!“

Christa freute sich immer, wenn ihre Enkelkinder bei ihr übernachteten.

„Ja, danke. So aufwendig ist das doch auch nicht, frische Bettwäsche überzuziehen. Es sind doch schließlich auch deine Enkel. Was hast du denn sonst so den ganzen Tag gemacht?“, fragte Christa freundlich, denn sie wollte einen Streit vermeiden.

„Ich war in meinem Hobbykeller. Es wäre eben schön, wenn wir beide auch einmal einen Samstag gemeinsam verbringen würden. Warum bist du immer samstags mit deinen Freundinnen unterwegs? Ihr könnt euch doch auch unter der Woche treffen. Ihr seid doch nicht mehr Berufstätig. Was treibt ihr eigentlich den ganzen Tag? Mir kommt das schon sehr seltsam vor?“

„Ach, lass es doch gut sein. Warum bist du so eifersüchtig auf die Mädels? Oder ist dir einfach nur langweilig, und ich soll zu Hause sein und den Pausenclown für dich spielen? Such dir auch Freunde, geh in einen Schachclub aber mach irgendetwas, was nichts mit deinem Beruf zu tun hat und auch nicht mit mir und mit deiner Familie. Es gibt hier in München so viele Möglichkeiten. Überleg dir was und mach was.“

Christa graute vor der Zeit, wenn Gregor in Rente gehen sollte. Zum Glück war er ein paar Jahre jünger als sie, und zum Glück ist das Renteneintrittsalter auf siebenundsechzig heraufgesetzt worden. So hatte sie noch einige Jahre Galgenfrist.

Gregor flüchtete in seinen Hobbykeller – so, wie er es immer tat, wenn er mit Christa Streit hatte. Und Christa dachte sich, er soll doch am bestem gleich sein Bett dort aufschlagen, so oft, wie wir in letzter Zeit miteinander streiten. Eine Stunde später hörte Christa, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte. Gregor war zurückgekommen. „Lange mache ich deine Eskapaden nicht mehr mit“, sagte er zu Christa. „Aber ich will heute nicht mehr mit dir streiten. Das müssen unsere Enkelkinder nicht mitbekommen.“

„Ist ja gut. Wir könnten heute Abend mit Xaver und Anna noch einen kleinen Spaziergang im Englischen Garten machen, und Anna könnte dabei ihr neues Fahrrad und Xaver sein Laufrad ausprobieren. Was meinst du?“, antwortete Christa mit guter Miene zum bösen Spiel und dachte sich, so kann es wirklich nicht mehr weitergehen. Immer öfter dachte sie über eine Trennung nach.

Christa hatte auch zwei Portemonnaies aus Sigrids Raubzug in ihrer Kommode versteckt, ein weiteres hatte Annelies, und zwei Brieftaschen Gudrun. Am Montagvormittag, wenn Gregor in seinem Büro sich auf seine Meetings vorbereitete, wollte sie nach Landshut fahren, dort mit den Kreditkarten noch die Konten leerräumen und dann die Portemonnaies in Kuverts verpacken und an die Besitzer zurückschicken.

Nach jeder Diebestour wurden die Geldbeutel und Brieftaschen an ihre Besitzer zurückgeschickt. Sie verschickten sie immer aus einer anderen Stadt, und die Geldautomaten waren mindesten hundert Kilometer entfernt, wieder in einer anderen Stadt. München und das gesamte S-Bahn-Gebiet waren Sperrgebiet.

Peter hatte dazu eine Excel-Tabelle erstellt, welche Städte und Geldautomaten schon daran waren. Er war zum Mittäter geworden, was ihm knapp sieben Jahre Haft einbrachte.

„Hallo Omi!“, rief Anna, lief auf sie zu und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange. „Gehen wir morgen in den Tierpark?“

„Nicht, wenn es morgen so heiß ist wie heute. Was hältst du davon, wenn wir ins Nordbad gehen?“

„Ja, super. Das wird schön. Und anschließend gehen wir zu McDonald’s!“

„Natürlich, meine allerliebste kleine Schmusekatze.“

Christas Schwiegertochter war darüber ‚not amused‘. Sie legte größten Wert auf eine gesunde Ernährung ihrer Kinder. McDonald’s war für sie der Inbegriff für alle schlechten Lebensmittel, die es auf der Welt gab. Christa ignorierte den gequälten Gesichtsausdruck ihrer versnobten Schwiegertochter und deren Einwände. Die besorgte Mama wusste, dass sie mit ihren Bedenken keinen Erfolg haben würde. Aber Oma und Opa waren zuverlässige und kostenlose Babysitter. Xaver hatte inzwischen auf Opas Arm Platz genommen und kuschelte sich an ihn.

In solchen Momenten konnte Christa ihre Gedanken zu einer Trennung von Gregor verdrängen. Innerlich umarmte sie ihn. Sie liebte ihn doch sehr.

Christa brachte Xaver ins Bett, der sich mit seinem Kuscheltier in den Schlaf schmuste. Gregor las Anna noch eine Geschichte vor. Sie war schon fast eingeschlafen, als das Telefon klingelte. Sigrid war am Apparat. Christa wimmelte Sigrid schnell ab und vertröstete sie auf morgen Abend, denn sie bemerkte, dass Gregor schon misstrauisch seine Stirn in Falten gelegt hatte. „Jetzt wart ihr doch den ganzen Tag zusammen. Was gibt es da jetzt schon wieder zu besprechen?“, fragte er.

„Das verstehst du nicht, und du solltest auch nicht darüber nachdenken.“

„Lange mache ich das nicht mehr mit. Was ist denn los mit dir? Deine Launen soll aushalten, wer will, aber ich nicht. Morgen ziehe ich in meinen Hobbykeller. Und wenn es sein muss, dann reiche ich die Scheidung ein.“

Im ersten Moment war Christa erschrocken. Doch das traute sie Gregor nicht zu, dass er die Scheidung einreicht. Und wenn schon. Aus seinem Keller erschien er immer wieder nach spätestens drei Stunden. Also, was soll’s! Wenn nicht Xaver und Anna wären, würde sie ohnehin alles liegen und stehen lassen und auf und davon laufen.

Sie würde damit aufhören, für ihre Kinder in den Startlöchern zu stehen, um deren Wünsche zu erfüllen. Sie würde sich nur noch um Anna und Xaver kümmern, aber nicht um ihre erwachsenen Enkel, die nur ihre Telefonnummer wussten, wenn sie Geld brauchten, und das brauchten sie oft. Es waren ihre Enkel, nicht Gregors. Trotzdem hatte er immer bereitwillig Geschenke gekauft, Urlaube mitfinanziert und das Taschengeld aufgebessert.

Sie würde ihr Ehrenamt in der Schule aufgeben. Die Arbeit mit den lese- und lernschwachen Kindern machte ihr Spaß, aber sie musste sich auch mit den Eltern der Kinder auseinandersetzen und sich mit den Lehrkräften absprechen. Beides hasste und nervte sie. Der Rest war Langeweile und Frust.

Deshalb war sie in dieses kriminelle Doppelleben hineingeschlittert, aus lauter Langeweile. Ein Zurück gab es nicht mehr. Und zurück wollte sie auch nicht mehr.

Annelies und Gudrun ging es genauso. Sigrid war dabei, ihren Alltag immer mehr zu vergessen, auch ihren senilen Klaus. Welch ein Glück für sie!, dachte sich Christa.

Für Montag hatte Christa also zu tun. Sie fuhr zuerst nach Landshut und leerte zwei Konten. Dann fuhr sie Richtung Rosenheim und verschickte von verschiedenen Briefkästen aus die Geldbeutel. Diese hatte sie zuvor sorgfältig in wattierte Kuverts, die mit computergedruckten Etiketten mit unterschiedlicher Schrift adressiert waren, verpackt. Sie hatte dabei äußerst vorsichtig hantiert, hatte Gummihandschuhe an, eine Papierschürze umgebunden und sie trug einen Mundschutz. Sie verwendete sogar unterschiedliche Briefmarken und zum Zukleben für jedes Kuvert immer einen anderen Klebestift oder Klebeband. Nach getaner Arbeit warf sie die Handschuhe in einen Gulli, weit ab von ihrem Haus, die Papierschürze und den Mundschutz verbrannte sie in der Garage im Holzofengrill. Im Winter war das einfacher. Da kam alles in den heimischen Kachelofen. Im Sommer musste sie höllisch aufpassen, dass Gregor und die Nachbarn nichts merkten. Zur Tarnung hatte sie deshalb schon manches Mal den Grill vorgeheizt, mit Holzkohle warmgehalten und abends spontan ihre Nachbarn zu einem kleinen Grillfest eingeladen. Das stimmte Gregor wieder friedlicher.

Christa war froh, dass Gregor noch nicht zu Hause war, als sie von Rosenheim zurückkam. Bevor sie morgens das Haus verlassen hatte, hatte sie einen Linsensalat hergerichtet. Unterwegs kaufte sie in einem Delikatessfischgeschäft zwei Lachsfilets, die sie auf der Hautseite kross anbriet. Sie hatte noch etwas Sahnemeerrettich im Kühlschrank, und dazu gab es Baguette mit Kräuterbutter. Das Abendessen war gerettet. Sie wusste, dass Gregor keinen Aufstand machen würde – bis das Telefon klingelte. Sigrid war am Apparat.

„Was will denn die schon wieder? Was heckt ihr eigentlich miteinander aus? Ich habe schon lange das Gefühl, dass du vor mir etwas verheimlichst“, sagte Gregor. Er war sehr verärgert. Da war auch das gemütliche Abendessen schon wieder vergessen.

„Was sollen wir alten Frauen denn schon aushecken? Du weißt doch, dass ich morgen Nachmittag in der Schule bin und meinen Lesekindern helfe, den Text für ein neues Theaterstück zu lernen“, beschwichtigte Christa ihren Mann.

„Und am Mittwoch gehe ich doch immer zur Wassergymnastik. Da sind wir alles nur alte Frauen, denn ihr Männer habt es ja nicht nötig, mit ein wenig Bewegung auf euren Körper zu achten. Und am Donnerstag bin ich wieder bei meinen Lesekindern. Damit ist die Woche ohnehin schon vorbei.“

„Und was hast du heute den ganzen Tag gemacht?“, fragte Gregor misstrauisch.

„Ach, du weißt doch, dass ich bei dieser Hitze nicht viel unternehmen kann. Ich hab’ nur so ein wenig rumgekruscht in meinem Kleiderschrank. Den muss ich dringend ausräumen. Ich schrumpfe sicher nicht mehr zurück auf Kleidergröße 40. Und du solltest auch mal an deinen Kleiderschrank gehen. Ich denke, da gibt es auch vieles, was dir nicht mehr passt.“

Konnte Christa Gregors Misstrauen damit entkräften? Sie war sich nicht sicher, auch wenn er nicht weiter nachbohrte.

Geschickt hatte sie Gregor abgelenkt – auf den Inhalt seines Kleiderschrankes. Das war sein wunder Punkt. Auch er war aus vielen seiner Anzüge und Hemden rausgewachsen, was er strikt leugnete. Die nicht mehr tragbare Kleidung konnte er auch nicht in die Kleidersammlung geben. Er war ein Messi. Deshalb gab es oft Streit. Über Jahre hatte Christa seinen Hobbykeller nicht mehr betreten. Sie wollte gar nicht daran denken, wie es dort wohl ausschauen mag. In der Wohnung duldete sie Gregors Sammelleidenschaft nicht.

Als Gregor schon gemütlich vor dem Fernseher saß und die Tagesthemen anschaute, schlich Christa heimlich in ihr Ankleidezimmer und schaffte dort Unordnung. Sie durchwühlte ein paar Schubläden und ließ sie offenstehen. Sie hängte ein paar knittrige Kleider, die sie schon lange nicht mehr getragen hatte, auf den Kleiderständer und faltete einige Hosen, Pullover und Blusen zusammen für einen Karton mit der Aufschrift „Kleidersammlung für die Ukraine“. In einen blauen Müllsack warf sie alte Unterwäsche und Socken. Es sah wirklich so aus, als ob sie den ganzen Nachmittag rumgekruscht hätte – für den Fall, dass Gregor seinem Misstrauen nachgibt.

Dann hatte es sich auch Christa neben Gregor auf dem Sofa gemütlich gemacht. In Gedanken war sie bei Sigrid. Christa hatte das Gespräch wegen Gregors Anwesenheit sehr schnell beendet. Aber sie wusste, dass Sigrid Probleme hatte. Sie war am Telefon sehr aufgeregt und konnte kaum einen zusammenhängenden Satz herausbringen. Hoffentlich kümmert sich Annelies um Sigrid. Christa hatte ihr deswegen eine WhatsApp geschickt.

Bevor die beiden zu Bett gingen, lotste Christa Gregor in ihr Ankleidezimmer und fragte hinterfotzig, ob er meine, dass sie das hellblaugeblümte Sommerkleid noch tragen könnte. „Ich weiß nicht so recht, ob ich das Kleid noch anziehen soll. Es passt mir immer noch perfekt. Aber bin ich da nicht schon etwas zu alt für so ein farbenfrohes Kleid? Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es ein wenig zu kurz ist für mich. Mein Beinwerk ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Der Zahn der Zeit nagt erbarmungslos.“

Gregor reagierte sehr charmant darauf und bat sie, das Kleid anzuprobieren. „Natürlich kannst du das Kleid tragen. Gerade weil es so farbenfroh ist, steht es dir supergut. Und deine Beine kannst du immer noch herzeigen. Komm bitte ja nicht auf die Idee, dass du deine Haare wieder färben lässt, nur um damit jünger auszusehen. Dein schlohweißes Haar sieht sehr elegant aus. Deine neue Frisur steht dir absolut gut. In dem Kleid und mit deiner neuen Frisur schaust du aus, als ob du von einem Modedesigner kommen würdest.“

Christa gab ihm für dieses Komplement einen dicken Kuss. „Wir könnten doch am kommenden Wochenende abends ausgehen. Mal keine Enkelkinder hüten. Was meinst du?“, fragte Christa.

„Ja, mal ins Kino gehen. Mit Popcorn und Cola. Das wäre wirklich mal eine schöne Abwechslung“, meinte Gregor.

Der Kinoabend fiel, wie sich noch herausstellen sollte, buchstäblich ins Wasser. Durch einen nächtlichen Wasserrohrbruch waren der Vorrats- und der Trockenraum des Kellers überflutet worden.

Christa hatte es wieder geschafft, Gregor milde zu stimmen. Und sie wollte wirklich am kommenden Samstag mit ihm ins Kino gehen. Ein neuer Film von Franz Xaver Kroetz war angelaufen.

Christa konnte es gar nicht erwarten, bis Gregor morgens das Haus verlassen hatte. Sie saß wie auf heißen Kohlen. Die Tür war kaum ins Schloss gefallen, da rief sie bei Sigrid an. Sie ließ das Telefon lange klingeln, versuchte es mehrmals – Sigrid war nicht erreichbar. Christa war sehr beunruhigt. Nachdem sie auch Annelies nicht erreichen konnte, stieg sie in die U-Bahn und fuhr zu Sigrids Wohnung. Sigrid war ausgeflogen. Wohin? Das wusste auch Gudrun nicht. Auch sie war besorgt um Sigrid. Christa traf sich mit Gudrun vor Sigrids Wohnung, und sie gingen in das Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Tische und Stühle im Garten luden zu einem gemütlichen Plausch ein. Die üppig weißblühenden Traubenkirschen verbreiteten einen angenehmen, honigartigen Duft. Gemeinsam fiel ihnen das Warten leichter.

Christa holte ihren Anruf beim Zwetschgenmanderl nach und entschuldigte sich für Sigrids rüdes Benehmen. Zusätzlich vereinbarte sie mit ihm einen Termin außerhalb der Geschäftszeit, denn sie wollten in aller Ruhe ihre Arbeitskleidung anprobieren. Das Zwetschgenmanderl versprach, bis dahin alles, was Annelies und Gudrun im Katalog markiert hatten, zu besorgen.

Mittlerweile war es fast Mittag geworden. Christa wollte sich gerade von Gudrun verabschieden, als Sigrid voller Elan um die Ecke bog. Sie hatte sich gestern Abend einsam gefühlt und sich kurzerhand mit ihrem Callboy getroffen, bei ihm übernachtet, und jetzt war alles gut. Gudrun und Christa staunten nicht schlecht. Sie wussten nicht, dass Sigrid schon seit mehr als einem Jahr regelmäßig die Dienste eines Callboys in Anspruch nahm. Die zwei waren fast beleidigt, dass Sigrid ihnen das verschwiegen hatte. Sie waren aber auch erleichtert darüber, dass Sigrid noch so aktiv war.

„Ich bin gespannt, was Annelies zu deinem Callboy sagt“, meinte Christa. „Du könntest ihn uns doch ausleihen. Ich würde seine Dienste auch gerne mal in Anspruch nehmen.“

„Bitte, Christa, ich möchte es Annelies selbst sagen. Halt also den Mund“, war Sigrids Antwort.

„Und wann, wenn ich fragen darf? In drei Jahren?“

„Jetzt hört auf mit eurer Streiterei. Das bringt doch nichts“, mischte sich Gudrun ein und brachte die beiden zum Einlenken.

„Wisst ihr, was das zusätzlich Pikante an der Geschichte ist? Mein Freizeitvergnügen zahlt mein seniler Klaus. Wenn der wüsste, wie ich so nach und nach seine Konten plündere. Ich kann seine Kinder schon verstehen, wenn sie Angst haben, dass für sie nichts mehr zum Erben übrigbleit“, sagte Sigrid. „Sie haben schon einmal versucht, eine gesetzliche Betreuung zu erwirken. Erfolglos. Denn so einfach geht das nicht.“

Die drei Freundinnen verabschiedeten sich eilig. Sigrid musste unbedingt ganz schnell auf die Toilette, Christa und Gudrun mussten nach Hause.

„Ich glaube, unsere Befürchtungen, dass Sigrid an einer beginnenden Demenz leidet, sind unbegründet“, sagte Christa zu Gudrun auf dem Weg zur U-Bahn.

„Hoffentlich! Aber wirklich sicher bin ich mir dabei nicht. Sie vergisst einfach sehr vieles und, das macht mir am meisten Sorgen, sie ist oft so aggressiv. Letzte Woche, als ich bei ihr war, hat sie den Paketboten angeschnauzt, du kannst dir das gar nicht vorstellen. Der war ganz außer Atem. Ich glaube, das Paket, das er hochgeschleppt hatte, wog mindestens zwanzig Kilogramm. Der Aufzug war kaputt. Und sie hat geschimpft wie ein Rohrspatz, weil sie so lange an der Tür warten musste. Dabei pfeift sie selbst aus dem letzten Loch, wenn sie sich in ihre Wohnung hochwuchten muss“, antwortete Gudrun.

„Ja ja, unsere Sigrid verbreitet enorm viel Charme und Liebreiz, so wie in unserem Dominaladen. Mich wundert, wie ihre Haushälterin ihre Launen erträgt? Hab’ ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich einen Termin beim Zwetschgenmanderl ausgemacht habe, für Freitag in zwei Wochen, ich glaube es ist der zwanzigste Juli, ab dreizehn Uhr. Ich denke, das passt auch für Annelies und Sigrid. Rufst du bitte die beiden an. Bei mir liegt Gregor auf der Lauer. Ich fürchte fast, dass er etwas ahnt von unserem Doppelleben.“

„Wär’ scheiße, wenn er uns auf die Schliche kommt. Ich ruf’ sie an. Also, bis bald“, verabschiedete sich Gudrun.

Christa hatte es eilig und sprintete – für ihr Alter immer noch gut drauf – zum nächsten Taxistand. Für die U-Bahn und dann umsteigen in den Linienbus, war es schon zu spät. Sie musste noch ihre Sachen zusammensuchen für ihre Lesekinder. Für das Essen heute Abend hatte sie noch keine Idee. Aber vielleicht konnte sie einen Rest aus der Schulküche mit nach Hause nehmen.

Gregor war todmüde, als er abends nach Hause kam, und er hatte sich wieder beruhigt. Der Streit war begraben. Mit gutem Appetit aß er das Menü aus der Schulküche. Damit er es nicht merkt, hatte Christa das Essen nachgewürzt, bei der Gemüsebeilage meinte sie es besonders gut. Christa holte als seine fürsorgliche Ehefrau, ganz scheinheilig, für ihn eine frische Gemüsemischung aus der Gefriertruhe. Gregor maulte deswegen ein wenig vor sich hin. Eine Fleischzulage wäre ihm lieber gewesen. Mein Gott, wie kann der Mann nur so blauäugig sein!, dachte sich Christa.

Christa litt bei der Hitze Höllenqualen. Schon seit Ostern hatte es nicht mehr geregnet. Sie verließ kaum noch das Haus und wollte auch keinen Besuch haben. Annelies, Gudrun und Sigrid ging es genauso und sie stellten ihre Raubzüge durch die U- und S-Bahnen und die Münchner Shopping-Malls ein. Den vereinbarten Termin beim Zwetschgenmanderl verschoben die vier Mädels auf Anfang September.

Obwohl ihr Xaver und Anna sehr ans Herz gewachsen waren, war Christa Angst und Bang vor den kommenden Ferien. Sechs Wochen sollten sie bei ihren Großeltern sein. Für Urlaub hatten ihre Schwiegertochter und ihr Sohn keine Zeit. Und die beiden Kinder in der Großstadt zu bespaßen, wurde von Jahr zu Jahr schwieriger, denn vor allem Anna stellte immer mehr Ansprüche.

Deshalb hatte Christa auf einem Bauernhof im Oberallgäu für drei Wochen eine Ferienwohnung gemietet. Anna freute sich auf Reitstunden, auf die Kühe und Kälber und den kleinen Streichelzoo. Sie war aber enttäuscht, dass ihr Großvater nur an den Wochenenden zu Besuch kommen wollte.

Aufgeregt hatte sie am Abend vor der Abreise ihr Stallgewand, ihre Gummistiefel und Stallgaloschen eingepackt. Christa war eigens mit ihr in einem Fachgeschäft für Arbeitskleidung und hatte sie mit Shorts, Latzhosen, Wetterjacken und Overalls eingekleidet. Und Anna bestand darauf, dass sie auch eine Reithose und Reitstiefel bekam. Christa leistet keinen Widerstand, denn die Rechnung legte sie ihrem Sohn vor: „Aber Mama, so viel Geld? Fast sechshundert Euro! Das muss doch nicht sein. Markenkleidung für Kinder! Nur weil Anna Kühe und Kälber streicheln möchte. Da hätte es doch auch billigere Sachen gegeben.“

„Lieber Korbinian, der Laden ist in der Hohenzollernstraße. Ich musste also nicht weit fahren. Und ich wusste, dass es dort alles gibt, was Annas Herz begehrt. Ich darf Anna verwöhnen. Das dürfen Großeltern. Und ihr seid ja nicht knapp bei Kasse.“

„Das stimmt schon, aber trotzdem ist das zu viel.“

„Die Sachen sind nicht rosa und pink. Ihr könnt sie für Xaver aufheben. Der wird da schnell reinwachsen.“

„Ist ja gut. Das Geld bekommst du, wenn ihr aus dem Urlaub zurück seid.“

Korbinian wusste, dass er nicht weiter nachbohren sollte, denn schließlich finanzierten seine Eltern den gesamten Urlaub. Und er wusste, dass seine Kinder keinen schöneren Urlaub haben könnten. Dafür war er seinen Eltern unendlich dankbar.

Sabine war noch gekommen, um sich von Anna und Xaver zu verabschieden.

„Hallo Mama!“, rief Anna und zeigte stolz ihr Stallgewand. „Und für Xaver haben wir Stallgaloschen gekauft, und auch eine Latzhose.“

„Toll! Da seid ihr ja gut ausgestattet.“ Sabine fragte nicht danach, wie viel Geld Christa dafür ausgegeben hatte.

Sabine half Anna beim Packen. „Anna, was möchtest du alles mitnehmen, außer deinem Stallgewand? Denk nach, damit du nichts vergisst.“

„Omi hat schon fast alles hergerichtet. Auch mein neues Fahrrad und Xavers Laufrad sind schon im Auto. Und wenn ich was vergessen habe, kann Opa mir dann das mitbringen, was ich noch brauche, wenn er am Wochenende kommt. Warum kommst du nicht und Papa nicht an den Wochenenden? In der Ferienwohnung gibt es sicher auch für euch ein Schlafzimmer. Und wenn nicht, dann schlafe ich im Wohnzimmer, Xaver bei Opa und Oma auf der Besucherritze und ihr könnt dann in unser Kinderzimmer.“

„Ach, Anna, gerne würden wir zu euch kommen. Aber es geht einfach nicht. Wir wollen uns umschauen nach einem schönen, großen Haus. Dann bekommst du ein eigenes Zimmer. Und Xaver muss nicht mehr hinter dem Raumteiler schlafen.“

Annas traurige Stimmung war verflogen. „Da freu’ ich mich schon drauf. Bekomme ich dann ein Himmelbett mit Wolken und eine rosa Bettwäsche?“

„Mal abwarten, liebe Anna. So weit sind wir noch nicht.“

Sabine war wieder schwanger, und Korbinian und sie wollten die Zeit nutzen, um sich für oder gegen das dritte Kind zu entscheiden. Korbinian hätte das dritte Kind gewollt, Sabine aber hatte Angst vor einer dritten Geburt. Anna und Xaver waren mit einem Kaiserschnitt geboren worden. Und nachts wieder aufstehen, stillen, Windeln wechseln und, und, und … Sie fühlte sich überfordert. Vorher stand nochmals eine Untersuchung beim Frauenarzt an, und sie mussten noch einen Termin bei einer Schwangerschaftskonfliktberatung wahrnehmen. Sabine erlitt vorher eine Fehlgeburt.

Sabine las Anna noch eine Gutenachtgeschichte vor, Korbinian kuschelte Xaver ins Bett. Mit einem Gutenachtkuss verabschiedeten sie sich.

Korbinian half noch, die Koffer im Auto zu verstauen, Sabine räumte die Küche mit auf. Mit dem Wunsch für eine gute Reise und einem dicken Dankeschön verabschiedeten sie sich von den Großeltern.

Christa und Gregor hatten es nicht eilig, am ersten Ferientag in aller Herrgottsfrüh loszufahren. In Bayern 3 und in den Fernsehnachrichten wurden lange Staus auf den Autobahnen gemeldet. Erst spätnachmittags machten sie sich auf den Weg nach Kempten, wo sie im nahegelegenen Rappenscheuchen die Ferienwohnung gemietet hatten. Christa hatte Xaver im Auto, Gregor Anna. Er musste am Sonntagabend wieder zurück nach München.

Anna ließ es sich nicht nehmen, den Kühen und Kälbern noch einen abendlichen Besuch abzustatten. Und sie wollte ihrem Moritz, einem schon etwas betagten Haflinger, noch Grüß Gott ins Ohr flüstern. Erst nach dem Abendessen, das Christa bei der Bäuerin bestellt hatte, ließ sie sich ins Bett bringen. Xaver war schon lange eingeschlafen.

Christa und Gregor machten es sich gemütlich vor dem Fernseher. Es dauerte nicht lange, und auch Christa war eingeschlafen. Gregor weckte sie sanft.