Ommh Arsch vorbei geht auch ein Weg - Alexandra Reinwarth - E-Book

Ommh Arsch vorbei geht auch ein Weg E-Book

Alexandra Reinwarth

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Beschreibung

So manch einer hat sich schon Gedanken um den Sinn des Lebens gemacht. Auch Alexandra Reinwarth hält eines Tages beim Staubsaugen inne und fragt sich: War's das jetzt? Kommt da noch was oder geht es so weiter wie bisher? Also zieht sie mit einer vagen, aber zielgerichteten Hoffnung aus, den tieferen Sinn, der doch noch irgendwo versteckt sein müsste, zu finden. Um ihm auf die Schliche zu kommen, versucht sich unter anderem im Trance-Dance, meditiert mit Reiki Reiner, spricht mit den Erzengeln, lässt ihre Chakren reinigen, heilfastet und besucht entgegen ihren eigenen Überzeugungen einmal wieder eine Kirche. Mit viel Witz und Humor beschreibt die Bestsellerautorin in dieser längst überfälligen Neuausgabe von Das "Sinn des Lebens"-Projekt ihre inspirierende und schräge Reise. Noch nie hat sich jemand auf so amüsante Weise auf Sinnsuche begeben. Mehr Informationen und weitere tolle Produkte zu Am Arsch vorbei gibt es unter: www.am-arsch-vorbei.de

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
 
3. Auflage 2021
 
© 2017 by mvg Verlag, 
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Neuausgabe des 2013 bei mvg erschienenen Titels Das »Sinn des Lebens«-Projekt.

Inhalt

Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung – auf der Suche nach Erkenntnis
Der geistige Weg: Geistige Erfüllung durch Spiritualität
Die Lebensfreude-messe
Die Engelschule
Bei den Schamanen: jetzt wird’s wild
Das Medium & die Rückführung
Die Kirche
Der körperliche Weg: Das Finden der inneren Mitte
Ich umarme einen Guru
Trance-Tanz
Fasten
Reiki-Reiner
Schweigen – Einfach mal die Klappe halten
Der seelische Weg: Innerer Frieden und Zufriedenheit
Die verpasste Liebe treffen
Sich treu bleiben
Mit der Mutter aussöhnen
Das Kind
Und nun?
Nachwort

Einleitung – auf der Suche nach Erkenntnis

Manchmal denkt man sich doch echt Was soll das alles?

Das kann einen ganz kleinen Auslöser haben, zum Beispiel – staubsaugen! Das geht dann ungefähr so:

→Wozu mache ich das überhaupt? Nächste Woche sieht es wieder genauso aus.→Wozu mache ich überhaupt irgendetwas sauber, wenn es wieder dreckig wird?→Ist mein Leben zum Saubermachen da? Wohl kaum.→Also wozu zum Teufel sind wir da?

Nicht, dass ich übermäßig oft staubsaugen würde, aber sehen Sie, was ich meine? Es passiert ganz leicht. Was soll das alles?, frage ich mich andauernd.

Verstehen Sie mich nicht falsch, über mir hängt keine große, ­dunkle Wolke der Verzweiflung oder so etwas. Es klappt so weit alles ganz gut in meinem Leben, von Feinheiten wie einem sauertöpfischen Nachbarn und einer genetischen Bindegewebsschwäche und solchen Dingen mal abgesehen. Es ist nur so, dass ich mir manchmal denke: Ist das alles? Müsste da nicht noch etwas sein? Kommt da jetzt noch was Aufregendes, Erkenntnisreiches in diesem ­Leben – oder geht das jetzt einfach immer nur so weiter – arbeiten, schlafen, staubsaugen – bis man umfällt? Es muss doch im Leben einen tieferen Sinn geben, als sich so durchzuwurschteln!

Es ist ein bisschen so wie in dem Film Eat, Pray, Love. Nicht, dass ich auch nur entfernt Ähnlichkeit mit Julia Roberts hätte, aber da zog auch eine aus, um sich ebendiese Fragen selbst zu beantworten. Leider ist die Autorin der Buchvorlage aber Amerikanerin, und das verwandelt schon den absichtlichen Verzehr von Kalorien durch ein paar Teller Nudeln in eine Form der Selbstverwirklichung. Nein, mit ein paar Spaghetti kremple ich mein Leben nicht um, wenn es danach ginge, wären das Nirwana und ich schon längst die dicksten Kumpels. Hier muss ein ausgefeiltes Programm her und den Weg dorthin werde ich in drei Arbeitsschritte teilen:

1.einen geistigen: Geistige Erfüllung durch Spiritualität,2.einen körperlichen: Das Finden der inneren Mitte – über den Körper ans Gemüt,

und 3. einen seelischen: Innerer Frieden und Zufriedenheit

Damit müsste ich den Weg zum Urgrund des Seins so weit zusammen haben. Wenn Sie Lust haben, kommen Sie mit und gucken Sie mir zu, vielleicht ist das eine oder andere für Sie dabei.

Der geistige Weg: Geistige Erfüllung durch Spiritualität

Haben Sie sich schon mal die Chakren reinigen lassen? Mit den Erzengeln geplauscht? Nein? Sie haben auch noch nie nackt auf einer Waldlichtung getanzt, um die Göttin anzurufen? Sie wissen noch nicht mal, wer Sie in Ihrem früheren Leben waren? Sie sind wohl nicht so der spirituelle Typ?

Ich auch nicht.

Als Jugendliche hatte ich immer angenommen, wenn ich erst mal groß wäre, würde sich mir der Sinn und Zweck unseres (und besonders meines) Aufenthalts auf dieser Erde schon noch enthüllen. Tatsächlich bin ich jedoch in dieser Sache überhaupt nicht weitergekommen, man muss sich ja auch noch um andere Dinge kümmern, und spätestens als ich älter wurde und so wahnsinnig erwachsene Dinge tat wie Überweisungen auszufüllen, Auto zu fahren und zu heiraten, wurde mir klar, dass die Erwachsenen, zu denen ich nun allem Anschein nach gehörte, auch nur improvisieren. Wie sollte es auch anders gehen? Wir leben ja alle zum ersten Mal, kein Wunder also, dass da alles noch nicht auf Anhieb klappt. Allerdings gibt es Leute, die sich mehr mit dem Sinn und Zweck beschäftigen als ich und die davon überzeugt sind, einem gewissen Plan zu folgen oder diesen zumindest ansatzweise zu verstehen – wenn das stimmt, also das wäre großartig. Willkommen in der spirituellen Welt.

Mein letztes transzendentales Erlebnis fand in meinem Kinderzimmer statt. Ines und Stefan, die Nachbarskinder, saßen mit mir im Schneidersitz auf dem Fußboden. Vor uns stand ein umgedrehtes Glas in einem Kreis aus Buchstaben. Wir waren professionell in wallende Gewänder (Bettlaken) gehüllt, hatten die Vorhänge zugezogen und warteten darauf, dass ein verstorbener Geist erschien, der durch das Glas zu uns sprechen würde. Das Einzige, was uns jedoch nach einer guten halben Stunde erschien, war meine äußerst lebendige Mutter, die sagte, Abendessen wäre fertig und Ines und Stefan sollten jetzt nach Hause gehen.

»Wir können ja morgen weitermachen«, rief ich Ines und Stefan hinterher und sie winkten vom Gartentor aus zurück: »Ja, bis morgen!«

So können Verabredungen zur Geisterbeschwörung aussehen. Dass wir am nächsten Tag doch lieber tote Käfer beerdigten, steht sinnbildlich für den pragmatischen Umgang von Kindern mit der geheimnisvollen spirituellen und mysteriösen Welt: Sie ist eben auch nicht geheimnisvoller, spiritueller und mysteriöser als die Idee, Hasen würde zu einer bestimmten Zeit im Jahr bemalte Eier verstecken oder tote Hamster kämen in den Himmel. Ganz zu schweigen von dem, was Kinder aufgetischt bekommen, die in einer der gängigen Religionen erzogen werden. Ich kenne mich mit den anderen Religionen nicht so gut aus, aber was ich von der christlichen mitbekommen habe, schlägt jedem paranormalen Fass den Boden aus.

Daher nahmen meine Kinder-Kollegen und ich das unerklärlich Jenseitige ebenso wie den Osterhasen und die Auferstehung Jesu einfach: an.

Auch wenn im Laufe der folgenden Lebensjahre das Unterscheiden zwischen offensichtlich erdichteten Geschichten und der tatsächlichen, existenten Welt immer leichter fiel – so ganz sicher war ich mir nie, ob nicht doch Dinge möglich sind, die auf den ersten Blick völlig unmöglich sind. Diese Ahnung verblieb aber völlig regungslos in einem ungenutzten Teil meines Gehirns, erst etwas später, als im Leben meiner Schulfreundinnen und mir allmählich ein übergroßes Interesse an Jungs zu sprießen begann, wurden wir alle miteinander noch kurz zu Hobby-Hellseherinnen:

Jeder noch so kleine Hinweis, dass der ahnungslose Auserwählte tatsächlich für einen bestimmt war, war willkommen. Passte sein Sternzeichen nicht ideal zu dem eigenen, dann vielleicht sein Aszendent oder das chinesische Horoskop. Passte alles nicht, konnte man immer noch den Liebestest in der Zeitschrift ­Mädchen ­machen. Und gefiel einem das Ergebnis nicht, konnte man den Test ja auch noch einmal machen. Und dann noch mal, so lange, bis es passte. Als schließlich die realen Jungs in unser Leben traten, stiegen die meisten von uns um, von Horoskopen und Hoffen auf Küssen und Knutschen (aber nicht alle). Dabei stellte sich heraus, dass die Welt des anderen Geschlechts mitunter auch ziemlich mysteriös anmutet …

Die spirituelle Welt und die Jungs-Welt kollidierten nur ein einziges Mal: als mein Freund während der Studienzeit mir ehrlich und reinen Herzens versicherte, es hätte in einem Wald, in der Nähe seiner Heimatstadt, Steine geregnet. Und zwar richtige faustgroße Steine. Allerdings hat er mir ebenso reinen Herzens kurz darauf erzählt, dass er mich verlassen müsste, weil ich etwas Besseres verdient hätte. Mit zunehmender Lebenserfahrung bin ich mir daher bei der Steinregen-Geschichte nicht mehr so hundertprozentig sicher.

Ansonsten hat sich seither bei mir spirituell rein gar nichts getan – man hat ja schließlich auch noch andere Dinge zu tun: Beziehungen führen, arbeiten, Müll trennen, solche Dinge. In meinem Alltag war bis jetzt einfach kein Platz für spirituelle Energiearbeit und Selbstfindung, kein Wunder also, dass es da mit der Erleuchtung hapert.

So, wie es aussieht, bin ich mit meiner ebenso vagen wie hoffnungsvollen Ahnung, da draußen möge tatsächlich irgendetwas sein, nicht alleine. Die Suche nach der höheren Ordnung, nach etwas, das der Lebensgestaltung eine Orientierung gibt, und nach diesem vermaledeiten Sinn des Lebens kennen vermutlich die meisten. Auf eine befriedigende Antwort kommen jedoch die wenigsten.

Während des Glücksprojekts1 stieß ich diesbezüglich auf einen Text, der sich ›Interview mit Gott‹ nennt. Das Interview besteht aus einem Haufen Plattitüden vor aquarellfarbenen Landschaften und am Ende wird Gott die Frage gestellt:

»Gibt es noch etwas, das deine Kinder wissen sollten?«

Und Gott antwortet:

»Dass ich hier bin. Immer.«

Kann man spirituell gerührt sein? Also ich war es in dem Moment. Mir wurde ganz warm im Bauch und ich spürte ein sehnsüchtiges Ziehen in meinem Inneren. Was für eine schöne Vorstellung. Wenn man glauben kann, dass irgendeine höhere Ordnung über einen wacht und man nicht allein ist, dann fühlt man sich bestimmt glücklich. Wenn man darauf vertrauen kann, dass alles schon irgendwie einen Sinn hat und seine Richtigkeit, auch wenn wir das nicht immer gleich verstehen.

Aber kann man das glauben? Dass es eine Macht gibt, die wir mit unserem bloßen Auge und unserem Menschenverstand nicht sehen, geschweige denn begreifen können? Ist da irgendwas? Ist es so, wie Shakespeares Hamlet sagt: »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich erträumen lässt«?

Eine immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit?

Manchmal bin ich geneigt, das zu glauben. Zum Beispiel wenn meine Freundin Petra mir erzählt, in der Nacht, als sie überraschend und um Wochen zu früh ihren Sohn zur Welt brachte, habe ihre Mutter aus dem Ausland spontan in dem betreffenden Krankenhaus angerufen, denn sie hätte so ein komisches Gefühl gehabt. Oder dass verschiedene Erfindungen in einem ähnlichen Zeitrahmen in verschiedenen Kulturen gemacht wurden, die nicht in Kontakt miteinander standen!

Gibt es eine Verbindung, eine Art unsichtbares Netzwerk zwischen den Menschen? Oder eine geheimnisvolle Aura, die manche sehen können? Letzteres wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass die Betrunkenen und die Bettler in der Fußgängerzone immer auf mich zusteuern, die sehen meine Schwächstes-Glied-in-der-Kette-Aura.

Oder ist das alles, wie mein reizender Lebensgefährte L. meint, Shanti-Käsemit Soße? Aber warum lächeln diese erleuchteten Gurus dann immerzu?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird auch mein Entschluss: ich baue meine Verbindung zum Transzendenten aus. Ich will Spiritualität erleben, mich selbst sowohl finden als auch erfahren, mein Bewusstsein erweitern, das innere Glück freilegen und Erleuchtung, die will ich auch. Ich will einmal gemischten Shanti-Käse mit Soße. Ich probiere alles Mögliche durch, irgendwo werde ich schon das Richtige finden. Das einzige Problem ist: Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.

Es ist aber auch vertrackt! Haben Sie sich mal die ganzen Wege zum erleuchteten, glückseligen Selbst angesehen? Da ist es ja leichter, bei Ikea die Abkürzung zum Restaurant zu finden! Zu meinem ganz großen Glück findet jedoch just dieses Wochenende in München die Lebensfreude-Messe statt. Dass ich dort Inspiration finde, versprechen diverse Plakate, auf denen die wichtigsten Programmpunkte angekündigt sind:

Es gibt eine Motherdrum-Lounge mit Trommelpower, Shakti Dance und Delfin-Channeling, Quanten-Transformationen und als ganz großes Highlight: die Präsentation des Metatron-Lichtstabs! Da muss ich hin, keine Frage – und ich weiß auch schon, wer mitmuss:

Anne.

Anne, das müssen Sie wissen, ist meine Esoterik-Freundin. Die Freundin, die an meiner Seite gegen die Jungs in der Puppenecke gekämpft hat. Die, die so oft bei mir übernachtet hat, dass meine Mutter ihr eine eigene Zahnbürste gekauft hat und mit der ich gemeinsam auf der Schultoilette das Wachstum unseres Jungmädchenbusens kontrolliert habe. Anne ist diejenige, die immer zu mir hält, egal was ich ausgefressen habe. Und das, obwohl unsere Interessen der Kindheit (Jungs, Busenwachstum, Kätzchen) irgendwann auseinandergingen: Anne vertiefte sich in Tarotkarten, Wasserenergetisierung und Cranio-Sacral-Therapie und ich vertiefte mich in L. und eine angehende Karriere in der bunten Welt der Werbung. Trotzdem ergänzen wir uns prächtig:

Anne weiß, wie man Ayurveda richtig ausspricht und dass ich wegen Feng-Shui meinen Klodeckel zumachen muss, und ich berate sie im Gegenzug kompetent beim Shoppen. Ich schlucke solidarisch mit ihr Schüßler-Salze, dafür tut sie konsequent so, als würde es ihr schmecken, wenn ich koche. Anne ist super. Und wenn sie ihre Glücksaura-Kette auf meinen Lottoschein legt oder mit Bergkristallen eine Karaffe Rotwein statt Wasser mit Energien aufladen will, muss man sie einfach gern haben.

Ebenfalls mit von der Partie ist meine Freundin Jana. Jana hat, im Gegensatz zu Anne, eine äußerst pragmatische Art, die Dinge zu sehen. Motherdrum-Lounge und Metatron-Lichtstab können sie nicht überzeugen. Im Gegenteil, die Ankündigung im Programmheft Dr. Mario Max Prinz zu Schaumburg-Lippe live mit seiner persönlichen Karma-Ablösung und dem Seminar Hellsicht compact lassen sie beinahe einen Rückzieher machen: »Karma-Ablösung? Ist das eine Krankheit? Und wenn das ansteckend ist?«

Mit der Aussicht auf ein paar anschließende Cocktails ist sie aber dann doch voller Vorfreude dabei: »Meinetwegen, weil ihr’s seid.«

Die Lebensfreude-messe

Im Eingangsbereich der Kongresshalle, in der die Messe stattfindet, trauen Jana, Anne und ich unseren Nasen nicht: »Das riecht doch hier nach, nach … Shit!«, spricht Jana aus, was uns allen dreien durch den Kopf schießt. Kein Zweifel, hier hat jemand ganz eindeutig Marihuana geraucht! »Die machen ja wirklich ernst mit ihrer Lebensfreude«, freut sich Jana und unsere Laune steigert sich noch, als wir zu unserer Eintrittskarte eine wunderbare Wundertüte geschenkt bekommen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Joint, sondern um einen Umschlag mit Überraschungen, was ja auch toll ist. Also zumindest mitteltoll, darin befinden sich nämlich:

•ein Päckchen mit »Friedenssamen«, die sich bei genauerer Betrachtung als Sonnenblumensamen herausstellen,•ein Lesezeichen mit einem Einhorn drauf, das Jana mit spitzen Fingern in die Höhe hält,•Informationen über die Kraft des Urgesteins Tesit,•ein Anmeldeformular zum roh-veganen Rezeptwettbewerb in der Kategorie Meeresspaghetti,•Informationen über ein kleines Fläschchen mit pastellfarbenem Etikett, das energetisiertes Wasser, türkisen Farbstoff, Alkohol und nicht näher definierte Blütenessenzen enthält und für 33 Euro käuflich zu erwerben ist. Das Gute, so ein Vorzug des Produkts mit dem Namen Seelentor ist, dass das Energiebild auf dem Etikett seine Wirkung nicht verliert und daher für lediglich 19 Euro vom Hersteller immer wieder aufgefüllt werden kann.•Außerdem ist in der Wundertüte Werbung für: ein Bachblüten-Emotionsgetränk, Trinkampullen mit dem Namen Frohnatur, Einhorn-Aura-Sprays und handgearbeitete Kuschelengel aus Frottee, die mit harmonisierender Energie aufgeladen wurden.

Jana verdreht die Augen. »Oh Mann. Die Cocktails später gehen auf eure Kappe.« Ich klopfe ihr aufmunternd auf die Schulter und es geht los: Wir betreten die Halle. Die Motherdrum-Lounge muss ganz in der Nähe sein, denn es wabern ein paar dumpf schwingende Töne durch die Luft. Zusammen mit einem Gemisch aus Räucherstäbchen-Aroma liegen sie über dem Gewusel aus Ständen, Gängen, Besuchern und Ausstellern. »Uiiii«, macht Anne neben uns und verschwindet in Richtung eines Standes, über dem in großen Lettern Aura-Chakren-Fotografie prangt.

Jana sieht mich fragend an: »Das gibt es wirklich? Ich dachte immer, das wäre so eine Art Parodie.« Weit gefehlt. Wie sich herausstellt, umgibt Anne ein überwiegend gelbes Energiefeld und während Anne sich diese Erkenntnis 50 Euro kosten lässt, sehe ich im ausliegenden Flyer des Fotografen unter der Bedeutung der Farbe Gelb nach: Gelb steht für Charme, Klugheit, Intoleranz, Wärme sowie Egoismus und Ziellosigkeit; für Offenheit, Freude, Grübelei und für noch einige andere Dinge. Ich will Anne fragen, was sie davon hält, aber die ist schon in ein Gespräch mit dem Heiler und Handaufleger vom nächsten Stand vertieft. Der nickt ernst und ich höre ihn sagen: »Jaja, wenn’s mechanisch blockiert ist, kann man energetisch nichts machen.«

Jana sieht mich Hilfe suchend vom Stand gegenüber an: Der Aussteller hat sie in ein Gespräch über ayurvedisch-indische Haarpflegeprodukte verwickelt, die er ganz exklusiv vertreibt. Besonders wirksam gegen Haarausfall, wie er betont. »Ich wusste gar nicht, dass du dahingehend Bedarf hast«, wundere ich mich und ziehe sie weiter. »Ich auch nicht«, sagt Jana dankbar und hält mir ein Faltblatt vor die Nase. Es zeigt ein Foto des Erfinders des Wunderhaarwuchsmittels, also von dem Mann, der behauptet, Glatzenbildung aufhalten und rückgängig machen zu können: Es ist ein etwa 60 Jahre alter Inder und er ist augenscheinlich ein Sikh – Anhänger einer Religion, deren männliche Mitglieder sich ausschließlich mit einem Turban bedeckten Kopf in der Öffentlichkeit zeigen.

Gut gelaunt passieren wir den Stand einer russischen Heilpraktikerin, dank deren Wissen wir vermeiden könnten zu altern und zu sterben, und lassen die Präsentation eines Bauprojekts in Rumänien links liegen, das zu seiner Realisierung lediglich noch ein paar Sponsoren, Gönner, Stifter, Schenkungen, Investments, Erbnachlässe und Kredite braucht.

»Das da sieht doch ganz gut aus!«, strahlt Jana und deutet auf ein paar bequeme Sessel, an deren Rückenlehne auf Nackenhöhe eine Art Kissen befestigt ist. Darin befinden sich vier rotierende Kugeln. Drum herum stehen ein paar Verkäufer und bitten Platz zu nehmen, und diesmal nehmen wir das Angebot gerne an.

»Aaahh, ist das schön«, seufzt Jana. Mit geschlossenen Augen genießen wir die Massage der beheizten (!) Kugeln in unserem Nacken. »Ist ein super Messe-Angebot und nur dieses Wochenende gültig«, freut sich einer der Verkäufer über unser Wohlgefallen. »Sie können das Kissen auch unter die Beine legen oder an den Steiß, überall, wo es Ihnen guttut«, erklärt er weiter, woraufhin Jana und ich uns kurz ansehen – und grinsen. »Du setzt dich da jetzt nicht drauf«, raune ich Jana zu, die sich schon an der Befestigung des Kissens zu schaffen macht. »Ich habe keinen Bock, aus der Lebensfreude-Messe zu fliegen!«

»Schon gut«, schmollt Jana und wendet sich an unseren Verkäufer. »Was kostet das Kissen denn?«

»150 Euro im Angebot, statt den üblichen 249 Euro«, strahlt der über beide Ohren, woraufhin wir uns freundlich verabschieden. Ich habe inzwischen nachgeguckt: Wenn Sie auch in den Genuss kommen wollen, geben Sie bei Amazon »Shiatsu-Kissen« ein. Die kosten so um die 50 Euro.

Kurz darauf stehen wir in einer Musik-Ecke mit Klangschalen (so wie Obstschalen, nur aus Bronze, sehr hübsch) und zugehörigen Klöppeln, wunderschönen Holz-Xylofonen und mittendrin hängen verschieden große Gönge (was ist nur der Plural von Gong?). Unter anderem: ein großer Gong mit über einem Meter Durchmesser, der an zwei Seilen aufgehängt ist. Für gute Handwerkskunst habe ich ja etwas übrig, und das hier sind wirklich toll gemachte Sachen. »Das ist der Saturn-Gong«, höre ich eine tiefe Stimme hinter mir, und da steht ein großer Mann mit Vollbart und Fellweste. »Man muss ihn bei fünf und bei sieben Uhr schlagen«, brummt er freundlich und zeigt auf die beiden Stellen auf dem Gong und einen großen Klöppel in seiner Hand. »Warum?«, rutscht es mir heraus und der Öhi erklärt: »Die Wellen, die du damit verursachst, ordnen die Zellen im Körper neu. Der Zellenmüll wird dadurch abgetrennt und mit dem Trinken ausgeschieden, das verzögert den Alterungsprozess um ungefähr zehn Jahre.«

»Ach so!«, antworte ich. Wie kommt man aus solchen Dialogen wieder raus?, frage ich mich, und diesmal kommt mir der Zufall zu Hilfe: eine junge Mutter mit einem circa vierjährigen Kind ist sichtlich an den Klangschalen interessiert, woraufhin der Öhi sofort abdreht und vor dem Kind in die Knie geht, während er der Mutter erklärt: »Wir alle werden als perfekte musikalische Wesen geboren. Erst durch die Konditionierung verlieren wir die Fähigkeit, uns durch Töne, Klang und Rhythmus zu artikulieren.«

Das Kind sieht den Öhi begeistert an und entklöppelt ihn sofort. Jana und ich verschwinden zügig, aber es ist bis in die entfernteste Ecke der Messehalle zu hören: Wir werden definitiv nicht als perfekte musikalische Wesen geboren – oder dieser Vierjährige ist schon in Grund und Boden konditioniert.

Das Passieren der Reihen stellt sich übrigens mitnichten so einfach dar, wie Sie sich das vielleicht vorstellen: Kennen Sie diese Mitarbeiter von Restaurants, die vor dem Eingang eine aufgeklappte Speisekarte in der Hand halten und versuchen, möglichst viele Touristen in ihr Etablissement zu ziehen? So ähnlich geht das hier zu. Kaum passt man einen Moment nicht auf und es gibt einen Augenkontakt mit dem Standbetreiber, ist man auch schon in ein Gespräch über Chakren-Edelstein-Kissen verwickelt. Und wenn Sie sich abwenden, stehen Sie unter Umständen vor einem Mann, der Sie über seine Pilzpulverkapseln informieren will und dem Sie die ganze Zeit auf die schwarze Seidenkrawatte schielen, auf der ein paar handgemalte Eulen prangen.

Wenigstens sind wir zu zweit, da kann man sich gegenseitig davonziehen – apropos zu zweit: »Wo ist Anne?«

Suchend sehen wir uns um, was sofort einige Koreaner auf uns aufmerksam macht, die mit einem Lächeln und einem Gerät auf uns zukommen, das aussieht wie ein Vibrator mit Spikes. Noch bevor sie »Ionenenergie« sagen können, sehe ich aus dem Augenwinkel Anne winken und keine Sekunde zu früh. »Huhu, hier!«, rufe ich und schiebe uns an den enttäuschten Koreanern vorbei.

Anne steht vergnügt vor einem Tisch mit giftgrünem Schleim. »Green Smoothies!«, lächelt sie uns an und prostet uns mit einem Glas davon zu. »Was ist da drin?«, fragt Jana und blickt gebannt auf das Glas. »Keine Ahnung«, strahlt Anne und kippt sich den Inhalt in einem Zug hinter die Binde. Jana und ich beobachten sie gespannt. »Und?«, fragen wir gleichzeitig. Annes Nase kräuselt sich etwas.

»Guck mal«, grinst Jana sie an und deutet auf das ausliegende Info-Material: auf der Vorderseite prangt ein 1a Außerirdischer mit übergroßen Augen und Wasserkopf, »das ist frisch gepresster Kleiner-grüner-Männchen-Saft.«

Da bekomme ich ja jetzt auch Appetit: »Los, wir gehen zu dem Essensstand dort drüben«, schlage ich vor, und kurz darauf stehen wir etwas ratlos vor dem Tresen.

Lieber eine vegane Nussecke oder eine Dinkel-Kirsch-Krokant-Schnitte? Oder doch etwas Vollkornkäse ohne Milch? Aber was ist da dann drin? Wir entscheiden uns für den Großen Teller Lebensfreude, das klingt am besten.

Der Teller Lebensfreude besteht hauptsächlich aus Hülsenfrüchten mit verschiedenen Chutneys (Soßen, wie ich sie ja gerne nenne) und ist: gar nicht mal schlecht! Während wir löffeln, sehen wir uns die ganzen Zettel, Broschüren und Flyer an, die wir inzwischen gesammelt haben. »Eins verstehe ich nicht«, sagt Jana und wedelt mit einem Blatt Papier, auf dem die Irisdiagnose aus dem fernen Osten propagiert wird. »Wieso sollte eine Behandlungsmethode glaubhaft oder wirksam sein, nur weil irgendein chinesischer oder indianischer oder tibetanischer Quacksalber das vor 2000 Jahren gemacht hat? Ich meine, vergleicht doch nur die medizinischen Systeme und die Lebenserwartung im Jahr 3 nach Christus und heute! Wenn jemand, sagen wir, ein Haus baut, dann probiert er es doch auch nicht erst mit den ›uralten Architekturkünsten der Ägypter‹, oder?«

Jana deutet auf ein Merkblatt, auf dem ein Mittel zur Krebs­bekämpfung präsentiert wird, und kommt derart in Rage, dass der Rutengeher vom Stand nebenan nervös wird. So wie Jana geht es vielen, und auch ich bin nicht verschont davon: Sobald Krankheiten ins Spiel kommen, ist Schluss mit lustig. Sofort hat man verzweifelte Menschen vor Augen, deren Leiden von obskuren Heilern ausgenutzt wird, indem sie ihnen einen letzten Strohhalm, eine letzte Hoffnung bieten. Da kommt einem die Galle hoch, ganz klar.

Alles jedoch, was unterhalb dieser Liga spielt, könnte von Ungläubigen immer noch als originelles Hobby hingenommen werden. Und auch wenn man natürlich durchaus darauf hinweisen könnte, dass hier einige der Interessierten definitiv einen an der Klatsche haben – na und? Mein Nachbar macht »Ultramarathon«, das heißt, er rennt Strecken über 87 Kilometer – bergauf und zu Fuß! Also wenn der keinen an der Klatsche hat, dann weiß ich auch nicht. Trotzdem regt sich kein Mensch derart emotional über beispielsweise Extremsportler auf wie über die Aura-Chakra-Fotografen. Und wenn die Leute Geld ausgeben wollen für ein Einhorn-Spray (Oh Gott – da fällt mir ein: was ist da eigentlich drin?), dann sollen sie doch, ist ja ihr Hobby. Ich meine, daran gemessen, was meine Mutter für ihr Hobby, nämlich ihren Hund, ausgibt, davon könnte man den einen oder anderen Baggersee mit Einhorn-Spray füllen!

»Es sind ja auch mehr diejenigen, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen mit so einem Scheiß, die mich aufregen, nicht die Konsumenten«, rechtfertigt sich Jana und ich verstehe sie vollkommen. Trotzdem: Eine andere Branche, die den Leuten ebenfalls das Geld aus der Tasche zieht, und zwar noch viel perfider, und allein in Deutschland knapp 200 000 Süchtige hervorbringt, nämlich die Glücksspielbranche, provoziert lange nicht so eine emotionale Kritik. Komisch, oder? Und das, obwohl man da am Ende eines Glücksspieltages gar nichts in der Hand hat – also nicht mal ein Einhorn-Spray oder einen Frottee-Engel.

»Aber ein Betreiber eines Spielkasinos versucht nicht, dir einzureden, dass die Menschheit von Kräften gesteuert wird, die sich mit Verstand und Vernunft nicht erklären lassen«, wirft Jana wütend ein, und vermutlich wäre die Diskussion noch richtig interessant geworden, aber Anne schreit plötzlich auf: »Oh nein! Jetzt verpassen wir gerade den Vortrag über den Metatron-Lichtstab!« Wie blöd, wie konnte das passieren! Wir hetzen den Gang entlang in Richtung des Saals Nummer 9, auf dessen Türe prangt auch schon das Plakat:

Der Metatron-Lichtstab Kosmisches Werkzeug der neuen Zeit

 

Und ich verlese mich prompt: »Komisches Werkzeug der neuen Zeit?« Leider ist die Vorstellung wohl gerade vorbei, denn die Tür geht auf. Vermutlich, weil es in unserem Seelenplan so vorgesehen ist oder weil wir nur einfach die drei Glückshasen sind, können wir zu unserer großen Freude einen Blick auf den Metatron-Lichtstab werfen, der wird nämlich gerade zur Tür hinausgetragen, und ganz ehrlich: Komisches Werkzeug der neuen Zeit trifft es ganz gut:

Der Metatron-Lichtstab ist ungefähr 40 Zentimeter groß. An einem Stab, der aussieht wie ein mit Kieseln gefüllter Plexiglas-Stab, ist eine Feder befestigt und oben an der Feder baumelt ein Konstrukt aus zwei pyramidenförmigen Gestellen. Ich male Ihnen das mal eben auf:

Während das kosmische Werkzeug der neuen Zeit an uns vorbeigetragen wird, schunkelt das Pyramidengestell leicht hin und her, genau wie – kennen Sie noch diese Haar- oder Stirnreifen, an denen zwei Draht-Antennen wie Fühler befestigt waren, gerne mal mit roten Herzen am Ende? Die man heute noch manchmal bei Junggesellinnenabschieden sieht? genauso schwankt der Pyramidenkopf auf seinem Stab hin und her.

»Das ist nicht deren Ernst«, sagt Jana.

»Doch«, antworte ich und ziehe den zugehörigen Flyer aus der Tasche: »Der Metatron-Lichtstab schwingt sich in unser Energiefeld Schicht für Schicht ein, reinigt, klärt und befreit.«2

»Bekomme ich jetzt die versprochenen Cocktails?«, fragt Jana und sieht uns flehend an. »Klar«, lachen Anne und ich, hängen uns bei ihr ein und zelebrieren in einer nahe gelegenen Bar ausgiebig Lebensfreude – ganz ohne Lichtstäbe, Gönge und Einhörner.

Als Inspiration für das Projekt »Geistige Erfüllung durch Spiritualität« war die Messe vielleicht nicht hundertprozentig das Richtige, aber eine verlorene Schlacht ist noch lange kein verlorener Krieg: Werden wir doch sehen, ob nicht doch ein bisschen Spirit zu finden ist …

Die Engelschule

Mein Vorhaben, mich spirituell weiterzubilden, stößt zu Hause nicht ausschließlich auf Begeisterung: »Kannst du nicht stattdessen einen Italienisch-Kurs auf der Volkshochschule machen oder so was?« Wir bereiten zu Hause das Abendessen vor und L. steht in der Küche vor der Spüle und sieht besorgt aus. Sehr besorgt. So besorgt wie ein Mann nur aussehen kann, der gerade Hühnchenteile säubert.

»Die Volkshochschule zählt nicht als spirituelle Welt«, antworte ich und schenke uns ein Bier ein, »und Anne hat recht, man sollte über die Dinge Bescheid wissen, bevor man sich ein Urteil erlaubt. Du könntest sie auch mal ernster nehmen!«

L. sieht mich verdutzt an: »Anne ernst nehmen? Verstehe mich nicht falsch, ich mag Anne, aber Anne glaubt auch, dass man sich von Licht ernähren kann!«

»Ja«, nicke ich zustimmend, »das war aber nur eine Phase – und sie hat ganz schön abgenommen in der Zeit.«

L. sieht leicht verzweifelt aus: »Und wenn du plötzlich anfängst, mit Wünschelruten durchs Haus zu laufen? Oder mit Verstorbenen zu sprechen? Stell dir nur vor, deine Oma Hermine erscheint uns hier! Die machst dann aber du weg!«

»Keine Sorge«, lache ich, »so weit wird es schon nicht kommen. Ich will mich doch nur etwas umsehen – ich weiß nur noch nicht, wo ich anfangen soll!«

Während L. die Hühnchenteile abtupft und ich mein Bier trinke, überlegen wir beide, was ein geeigneter Einstieg in die Materie sein könnte.

Mit einem Lächeln im Gesicht dreht sich L. zu mir um.

»Wie wär’s mit denen hier?«, zwinkert er mir zu und bewegt dabei zwei bleiche Hühnerflügel zwischen den Fingerspitzen auf und ab.

Ich sehe ihn verständnislos an. »Übersinnliche Hühnchen?«

»Du bist auch ein übersinnliches Hühnchen«, grinst L. »Nein, ich meine Engel! Beziehungsweise Schutzengel, die sind bei uns in der Arbeit gerade total angesagt.«

Nicht, dass Sie komische Vorstellungen von L.’s Arbeitsplatz bekommen: L. arbeitet gerade für ein Frauenmagazin. Dort sitzt er in einem Büro zusammen mit 28 Arbeitskolleginnen und ist seither, was Trends und Lifestyle angeht, schwer auf Zack.

Schutzengel … während L. sich wieder dem Abendessen widmet, gehe ich ins Wohnzimmer und fahre den Computer hoch.

»EinSchutzengelist […] ein zum Schutz eines Landes, eines Ortes oder einer Person zugestellter Engel«, weiß Wikipedia. Das ist ja wie in einem Monty-Python-Film: zur Tür hinaus, linke Reihe anstellen, jeder nur einen Schutzengel!

Mir persönlich schießen ja grundsätzlich immer zuerst die praktischen Fragen durch den Kopf:

1.Wenn jeder Mensch einen Schutzengel hat – und die Menschheit hat seit ihren Anfängen mengenmäßig ordentlich zugelegt – haben sich dann die Schutzengel auch vermehrt (und wenn ja, wie)? Oder teilen sich mehrere Menschen einen?2.Wenn sich mehrere Menschen jeweils einen teilen, ist dann ausreichender Schutz überhaupt noch gewährleistet?3.Wenn es Schutzengel gibt, wo war der Knaller dann, als ich mir beim Skifahren das Bein gebrochen habe?4.Und wie halten die Engel es generell mit dem Elend der Welt: ziehen sie sich vor humanitären Katastrophen prinzipiell zurück oder liegt das nicht mehr in ihrem Kompetenzbereich?

Ich sehe mir im Internet noch ein paar Bilder von Schutzengeln an. Die sehen noch genauso aus wie auf den Fleißbildchen zu meinen Grundschulzeiten. Da hat sich optisch rein gar nichts getan. Business- oder Casual Look sucht man hier vergeblich und auch die Frisurenfrage stellt sich nicht: kein Bob, kein flotter Kurzhaarschnitt oder was Peppiges in Asymmetrisch. Die Dauer­welle ist nach wie vor das Must-have.

An diese pastellfarbenen Gestalten kann man nicht wirklich glauben, oder? Und wie die heißen! Ich habe Ihnen hier mal ein paar Namen aufgelistet:

•Vehuiah•Hetziel•Lavayah•Nethahiah•Vechuyah•Hahahel (das ist kein Witz!)•Vahoel•Nememiah•Damabiah

So heißen Engel! Engel heißen nie Daniela oder Finn.

Aber über solche Oberflächlichkeiten will ich hinwegsehen – bei den Bildern handelt es sich ja nicht um Fotos, sondern um die Vorstellung derjenigen, die sie gemalt haben. Man kann schließlich auch überzeugter Christ sein, ohne zwingend davon auszugehen, dass Gott einen Rauschebart hat und Augenbrauen wie Theo Waigel.

Die einhellige Meinung im Internet lautet, dass es sich bei den Engeln um Lichtwesen handelt und sie meistens als Lichtpunkte, Reflexionen im Augenwinkel oder ähnliche Licht-Phänomene wahrnehmbar sind. Eine Präsenz sei zu spüren, wenn sie bei einem sind, und ein wohliges Gefühl. Wie man es aber nun genau anstellt, um die Präsenz und das Licht zu bemerken, und woher man weiß, dass das Flackern eben der Schutzengel war und nicht das Fernspannwerk, das weiß ich nicht. Und das werde ich ändern.

»Eine was?«, fragt L. irritiert, als wir später am Küchentisch über den Hühnern sitzen und ich ihm meinen Entschluss mitteile.

»Eine Engelschule«, wiederhole ich mit einem abgeknabberten Hühnerflügel in der Hand, was mir in dem Moment fast etwas pietätlos vorkommt. »Da lernt man alles über Engel, Erzengel und Schutzengel« erkläre ich L. »Sie bringen einem bei, wie man mit seinem persönlichen Schutzengel Kontakt aufnimmt, wie man ihn wahrnimmt, ihn sieht und mit ihm kommuniziert! Man erfährt sogar seinen Namen!«

L. ist baff. »Engelschule«, wiederholt er und runzelt die Stirn. »Jepp«, nicke ich, »mit theoretischen Grundlagen und praktischen Übungen. Mehr kann man nicht verlangen, da habe ich mich gleich angemeldet.«

Ähnlich skeptisch wie L. reagiert meine Freundin Jana, als ich ihr am Telefon von meinem Plan berichte, mich in Sachen Lichtwesen unterrichten zu lassen. Ich kann ihre hochgezogenen Augenbrauen förmlich durch das Telefon sehen: »Engelschule? Hab ich noch nie gehört, wo gibt’s denn so was?«

»In Pasing«, antworte ich freudig, was, für alle Ortsunkundigen, ein Stadtteil von München ist.

»Engel in Pasing?«, fragt Jana ungläubig. »Ich glaube dir kein Wort!«

Eine Woche später stehe ich pünktlich um neun Uhr morgens vor der Engelschule. Ich habe zwar keine konkrete Vorstellung davon, wie eine Engelschule aussehen soll, aber auf ein Reihenhaus mit Thujenhecke und Häkelgardine am Küchenfenster hätte ich nie getippt. Während ich zum fünften Mal Straßenname und Hausnummer überprüfe, öffnet sich die Haustüre mit Trockenblumenkranz und ein älterer Herr der Marke rüstiger Rentner