One of us is dead - Jeneva Rose - E-Book

One of us is dead E-Book

Jeneva Rose

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Beschreibung

Manche Freundschaften enden tödlich … In Buckhead, einem Vorort mit teuren Villen, beginnt die glänzende Fassade des High-Society-Freundeskreis zu bröckeln: Shannon, einst das unangefochtene It-Girl, wurde von ihrem Mann für eine jüngere Frau verlassen – und sinnt auf Rache. Crystal, die neue Ehefrau, merkt zu spät, dass sie Teil eines gefährlichen Netzes aus Intrigen und Verrat geworden ist. Gleichzeitig kämpft Olivia mit allen Mitteln darum, Shannons früheren Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Und Jenny, die Besitzerin der exklusiven Glow Beauty Bar, hütet die dunklen Geheimnisse ihrer Kundinnen … Als eine von ihnen tot aufgefunden wird, geraten alte Loyalitäten ins Wanken und aus Freundschaft wird ein gefährliches Spiel, bei dem man niemandem mehr trauen kann … Ein mörderischer Thriller, in dem Freundschaften auf die Probe gestellt werden und Rivalinnen über Grenzen gehen ...

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Seitenzahl: 403

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und [email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

 

1. Auflage 2025

© 2025 by Lago Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 MünchenTel.: 089 651285-0

 

Die englische Originalausgabe erschien 2025 bei Blackstone Publishing unter dem Titel One of us is dead

 

© 2022 by Jeneva Rose. All rights reserved.

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Tanja Schröder

Redaktion: Annett Stütze

Umschlaggestaltung: Maria Verdorfer

Umschlagabbildung: Zena Kanes

Satz: Kerstin Stein

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95761-255-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-396-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Titelseite

Für meinen Ehemann Drew, der meinte, die erste Widmung würde nicht zählen, weil mein echter Name nicht auf dem Cover stand.

Ich hoffe, diese hier zählt, mein Liebster.

1Jenny

Gegenwart

»Ich habe tausende Stunden mit diesen Frauen verbracht. Ich habe sie frisiert, gewachst, geschnitten, lackiert, gebräunt, gepudert und massiert. Ich kenne fast jeden Zentimeter ihrer Körper. Aber ich kenne auch ihre Dämonen – ihre tiefsten, dunkelsten Geheimnisse. Die Dinge, die wir unter der Oberfläche begraben, um der Welt nicht das Doppelgänger-Ich zu zeigen, das in uns lauert. Bin ich also überrascht, dass so etwas passiert ist? Kein bisschen. Ich habe damit gerechnet. Es war nur eine Frage der Zeit.« Ich rücke mich zurecht, schlage unter dem Tisch ein Bein über das andere.

Mir gegenüber sitzt Detective Frank Sanford, ein streng dreinblickender Mann mittleren Alters mit harten Gesichtszügen und breiten Schultern. Der klassische Arbeiterklasse-Ermittler. Trotz Anzug und Krawatte wirkt er alles andere als gepflegt oder ordentlich. Die geröteten Augen verraten, dass er viel zu viele Stunden arbeitet und viel zu wenig schläft. Wir haben mehr gemeinsam, als er je erfahren wird.

»Und wie kommen Sie an ihre tiefsten, dunkelsten Geheimnisse, Jenny? Sind Sie etwa auch deren Therapeutin? Ich dachte, Sie sind Friseurin«, fragt Detective Sanford und reckt sein markantes, stoppeliges Kinn vor. Seine Augen verengen sich, während er mich aufmerksam anstarrt, das Notieren pausiert und auf eine Antwort wartet. Wir sitzen uns in einem grell beleuchteten Verhörraum gegenüber. Die Luft ist abgestanden und kalt, und ich kann nicht sagen, ob der Raum die Stimmung des Detectives widerspiegelt oder umgekehrt.

»Ich bin beides, auf eine Art. Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie je in einem Salon verbracht haben, Detective Sanford, aber Frauen reden.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und halte seinem Blick stand. »Vor allem, wenn sie in einem Friseurstuhl sitzen und nichts als Zeit haben.«

Ich weiß, dieser Mann hat noch nie einen Fuß in einen Salon gesetzt, nicht nur wegen seines eigenen Pflegestandards. Die Wahrheit ist, dass ich mehr über meine Kundinnen als über meine eigene Familie weiß, besonders über diese Gruppe von Frauen. Ich sehe jede von ihnen mehrmals pro Woche. Sie haben Geld im Überfluss – oder zumindest ihre Ehemänner – und können es sich leisten, Ressourcen in den wichtigsten Kampf ihres Lebens zu stecken: den gegen die Spuren der Zeit am menschlichen Körper.

»Verstehe. Und Sie sind die Inhaberin der Glow Beauty Bar, richtig?« Er tippt mit dem Bleistift leicht auf den Tisch.

»Genau.« Ich nicke.

Er nimmt den Bleistift wieder auf und macht ein paar weitere Notizen, bemüht, nichts zu übersehen.

»Und wie lange gehört Ihnen der Salon schon?«

Meine Gedanken schweifen kurz ab, während ich mich erinnere, wann ich ihn gekauft habe. »Seit etwa fünf Jahren.«

»Und diese Frauen waren die ganze Zeit über Ihre Kundinnen?« Er runzelt die Stirn.

»Nein. Sie wurden erst vor ungefähr drei Jahren meine Kundinnen. Glow war nicht immer der Salon, der er heute ist.«

Er schreibt noch ein paar Notizen auf und zieht um etwas auf dem Blatt einen Kreis. Ich erhasche einen Blick auf die Worte im Kreis: Glow Vergangenheit?

»Verstehe. Sie kennen diese Frauen also seit drei Jahren und es überrascht Sie nicht, dass das passiert ist?« Er hebt die dichten, dunklen Augenbrauen.

»Nein. Lassen Sie sich von ihnen nicht täuschen, Detective. Jede für sich genommen ist aufrichtig, und sie können nett sein … aber wenn man sie zusammen in einen Raum steckt, sind diese Frauen einfach nur toxisch.«

2Jenny

Drei Wochen vor dem Mord

Olivia ließ ihren straffen, knackigen Hintern in meinen Stuhl plumpsen und warf ihre übergroße Hermès-Tasche auf den Boden. Ihr langes, üppiges, kastanienbraunes Haar strich mir übers Gesicht, als sie es achtlos über die Schulter warf. Dank mir war es durchzogen von der perfekten Mischung aus dunklen und hellen Strähnen. Sie trug einen roten Jumpsuit, der kaum Raum für Fantasie ließ. Olivia trug immer irgendeinen Rotton, sei es ihr komplettes Outfit, ein auffälliger Lippenstift oder ein markantes Accessoire. Rot war ihre Kraftfarbe, ihre Sicherheitsdecke. Man hätte sie nicht einmal tot in etwas anderem gesehen als in Louboutins mit roten Sohlen.

Während ich ihr ein frisch gereinigtes Umhangtuch umlegte, betrachtete sich Olivia im Spiegel mit reiner, unverhohlener Bewunderung. Sie drehte den Kopf hin und her, begutachtete ihre perfekt geformte Nase, die überspritzten, prallen Lippen und ihre hohen Wangenknochen. Wenn man eine brünette Barbie auf Lebensgröße aufblasen würde, sähe sie aus wie Olivia. Ich konnte erkennen, dass sie mit ihrem Aussehen zufrieden war, sie schenkte sich selbst ein leichtes Lächeln, das Veneers entblößte, die heller strahlten als eine Hundert-Watt-Glühbirne. Ich war seit Jahren ihre Friseurin, Visagistin, Nageldesignerin, Waxing-Fee, Bräunungsspezialistin, Lash-Stylistin und noch so vieles mehr. Und im Laufe der Zeit hatte ich beobachtet, wie ihre Lippen immer praller, ihre Wangenknochen immer höher und ihre Haut immer glatter wurden. Ihr Gesicht war in ständiger Bewegung, wie tektonische Platten.

»Was machen wir heute?«, fragte ich, während ich vorsichtig einen Kamm durch ihr weiches Haar zog und sie dabei im Spiegel ansah. Ich wusste natürlich längst, was sie wollte, aber Kundenservice 101 besagt: Immer die Kunden sagen lassen, was sie möchten. Also wartete ich. Sie hob nur einen Finger, während sie wie wild auf ihrem Handy tippte.

Olivia und ich waren in jeder Hinsicht Gegensätze. Während ihr Haar dunkel und lang war, war meines erdbeerblond, wellig und reichte mir bis zu den Schultern. Ihre Gesichtszüge waren hart und markant, meine weich und rund. Ihre Augen waren schokoladenbraun, meine eisblau. Ihr Gesicht war makellos, meins übersät mit Sommersprossen. Olivia legte das Handy in ihren Schoß, sah mich kurz an und widmete sich dann wieder der wichtigsten Person in ihrem Leben: Olivia.

»Ansatz und Spitzen schneiden, und ich brauche ein Waxing. Dean kommt heute Abend nach Hause.« In ihren Augen funkelte es, und in ihrer Stimme lag ein Hauch Aufregung wie bei einem Schulmädchen, das von seiner ersten großen Liebe spricht. Dean und Olivia Petrov waren seit über zehn Jahren verheiratet, und ich war überrascht, dass zwischen ihnen überhaupt noch ein Funke lodern konnte. Andererseits sind toxische Beziehungen perfekt für extreme Höhen und Tiefen.

»Dann müssen wir dafür sorgen, dass du absolut perfekt bist.«

»Ich bin schon perfekt«, schnappte Olivia.

Ich lächelte und nickte. Über die Jahre hatte ich gelernt, dass das der beste Umgang mit schwierigen Kundinnen war, und Olivia war die Königin unter ihnen.

»Aber du machst mich immer noch perfekter als perfekt«, fügte sie hinzu.

Olivia hatte ein echtes Talent dafür, sich selbst zu loben, bevor sie anderen ein Kompliment machte. Genauso war es mit Schmeicheleien und Seitenhieben. Ich hatte eigens für sie den Begriff »Schmeichelhieb« erfunden. Es war, als hätte sie ihre ganz eigene, grausame Sprache entwickelt. Man merkte oft nicht einmal, dass sie einen beleidigte, denn ihre Worte kamen daher wie ein Geschenk mit hübscher Schleife.

Das Beste an meinem Job war, Frauen ein gutes Gefühl zu geben. Ich liebte diesen Moment, wenn ihre Gesichter nach meiner Behandlung aufleuchteten. »Beauty Glow« nannte ich das, daher auch der Name meines Salons: Glow Beauty Bar. Olivia war eine der wenigen Kundinnen, die dieses Strahlen ohnehin immer hatte, deshalb machte es weniger Spaß, mit ihr zu arbeiten, aber sie zahlte gut und allein ihre Beauty-Behandlungen hatten mir die Wohnung über dem Salon finanziert.

»Was habt ihr heute Abend so vor?«, fragte ich.

Olivia sah von ihrem Handy auf. »Ein bisschen dies und ein bisschen das.« Sie zwinkerte.

Sie hielt sich immer für so geheimnisvoll, aber ihre Textnachrichten verrieten ziemlich genau, was sie heute vorhatte. Ich nickte und begann mit dem Anmischen der Farbe.

»Ich liebe deine Sommersprossen, Jenny. Aber hast du mal überlegt, ein Full-Coverage-Make-up zu tragen?« Olivia musterte mein Gesicht.

Schmeichelhieb.

»Früher mal, aber Sommersprossen sind jetzt im Trend«, erwiderte ich mit einem Lächeln. »Viele Frauen malen sie sich inzwischen sogar auf.«

Sie zuckte mit den Schultern und starrte wieder auf ihr Handy, durchforstete ihre stark bearbeiteten Instagram-Bilder. »Wenn du meinst.«

So sehr ich mein Geschäft liebe, manchmal denke ich, dass es früher einfacher war. Ich musste mich nicht mit High-Maintenance-Kundinnen herumschlagen. Ich eröffnete die Glow Beauty Bar vor fünf Jahren. Es war immer mein Traum gewesen, einen kleinen Full-Service-Salon zu führen, aber glamourös war er anfangs nicht. Die Farbe blätterte von den Wänden, das Mobiliar war zusammengewürfelt und gebraucht, das Equipment alt und meine Kundschaft bestand aus älteren Damen, die zufällig von der Straße hereinschneiten. Ich kämpfte mich so durch, bis Olivia vor etwa drei Jahren mit einem Haar-Notfall in den Laden kam. Offenbar war ihre Stammfriseurin nach New York gezogen, und der Ersatz hatte ihr die Farbe komplett ruiniert. Ich war ihre Rettung. Sie erzählte ihren elitären Freundinnen von mir und mein Salon verwandelte sich von einem Billig-Friseurladen, der gerade so überlebte, in eine exklusive Beauty-Adresse für die Upper Class von Buckhead. Ich erweiterte um zwei Sonnenbänke, eine Spraytan-Kabine, eine Maniküre- und Pediküreecke, einen Waxing-Raum, eine Make-up-Bar, eine Sitzecke und eine Bar für Wein und Champagner. Kurz gesagt: Was auch immer sie wollten, ich machte es möglich. Heute gibt es sogar eine Warteliste, um überhaupt Kundin werden zu dürfen. Ich nehme nur 25 Vollzeitkundinnen an. Und mit Vollzeit meine ich: Sie müssen mindestens acht Behandlungen pro Monat in Anspruch nehmen. Tun sie das nicht, werden sie entweder aus dem Kundenstamm entfernt oder auf die Warteliste zurückgestuft. Es ist ex­trem exklusiv. Und extrem teuer.

»Wirst du in absehbarer Zeit Gesichtsbehandlungen anbieten?« Olivia zog an ihrer Haut.

Sie bewegte sich nicht. Ihr Gesicht bewegte sich nie, dank ihrer regelmäßigen Botox-Sitzungen.

»Hatte ich nicht vor«, sagte ich.

»Genau deshalb brauchst du mich. Jemanden, der das große Ganze im Blick hat. Du solltest eine Kosmetikerin einstellen. Einige deiner Kundinnen werden bald ernsthafte Anti-Aging-Behandlungen brauchen, so wie Shannon.« Olivia versuchte, eine Augenbraue zu heben, aber es gelang ihr nicht, stattdessen verengten sich ihre Augen nur ein wenig.

Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln und konzentrierte mich wieder auf ihr Haar. Olivia hielt sich für die Alleininhaberin von Glow. Leider war sie nur eine stille Teilhaberin, aber ich hoffte, in spätestens drei Jahren ihren Anteil zu kaufen. Sie war viel zu fordernd. Ich war ihr dankbar, dass sie den Salon gerettet hatte, aber irgendwie hatte sie ihn auch genutzt, um ihren gesellschaftlichen Status aufzupolieren. Der Salon war zum persönlichen Treffpunkt meiner Kundinnen geworden, ihr zweites Zuhause, fernab ihrer Villen. Olivia und ihre Freundinnen behandelten ihn wie ihr eigenes Wohnzimmer: Sie veranstalteten hier Buchclubs, Weinabende, Tratschrunden und Komiteesitzungen.

Ihr Handy vibrierte, sie hob es auf und tippte wieder wie wild. Ich fing beim Auftragen der Farbe auf ihren Ansatz einzelne Textnachrichten auf. Wenn meine Kundinnen nicht gerade mit mir redeten, telefonierten sie oder schrieben Nachrichten. Aus Angst, auch nur ein einziges heißes Gerücht zu verpassen. Es war schwer, das zu ignorieren, nicht zu kombinieren, nicht herauszufinden, was bei diesen Frauen wirklich vorging.

»Und wo ist Dean gewesen?«, fragte ich.

Der zweitbeste Teil meines Jobs war es, mich mit meinen Kundinnen zu unterhalten. Sie erzählten mir alles, manchmal unbeabsichtigt, aber sie taten es. Ihre Hoffnungen, Träume, Misserfolge, Sorgen, Probleme, Unsicherheiten ... alles. Ich mochte es, sie kennenzulernen. Ich fühlte mich, als wäre ich Teil ihres Lebens, auch wenn ich es nicht war. Das ließ die Arbeit weniger wie Arbeit erscheinen, sondern mehr wie ein tägliches Treffen unter Freundinnen. Ich war gut im Fragenstellen und noch besser im Zuhören. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, also war das die perfekte Kombination, denn meine Kundinnen redeten liebend gern, ganz besonders über sich selbst.

»Oh ... ähm ... ehrlich gesagt, keine Ahnung«, sagte sie. »Er ist manchmal wie ein streunender Hund. Man kann kaum den Überblick behalten«, fügte sie lachend hinzu.

Olivia und Dean gehörten zu den einflussreichsten und mächtigsten Leuten in Buckhead, für sie zählte vor allem der äußere Schein. Obwohl ich sie nun seit drei Jahren kannte, hatte ich keine Ahnung, was Dean beruflich machte, und ich glaube, sie wusste es auch nicht. Solange ihr monatliches Geld floss, interessierte es sie nicht. Gerüchten zufolge steckte er in irgendwelchen dubiosen Schmuggelgeschäften, aber wenn man ihn fragte, sprach er von Logistik.

»Apropos streunende Hunde, gibt’s bei dir jemanden?« Sie lächelte.

Ich pinselte weiter den dunkel glänzenden Farbmix auf ihren Ansatz, der stark nach Ammoniak roch. Die meisten mochten den Geruch nicht, aber ich fand ihn beruhigend.

»Nein, bei mir nicht. Der Salon ist mein Leben.« Ich blickte mich um, ließ den Blick schweifen.

Fünf Jahre nach seiner Gründung ist Glow nun sauber und modern, mit durchgehendem Holzboden, perfekter Spotbeleuchtung und dem neuesten sowie teuersten Salonequipment. Schwarze Samtvorhänge vom Boden bis zur Decke trennen den Empfangsbereich vom restlichen Salon. Niemand kommt hinter diese Vorhänge, außer Kundinnen oder Angestellten. Außenstehende sprechen über diesen Ort, als wäre er der Thronsaal des Buckingham Palace.

»Oh, Liebes. Du kannst nicht dein ganzes Leben in ein Objekt stecken«, sagte sie lachend. »Und das bedeutet viel, wenn es von mir kommt. Ich würde meine Seele für eine Crocodile Birkin verkaufen. Oh, du weißt wahrscheinlich gar nicht, was das ist … vielleicht besser so. Du hast simplere Dinge, auf die du dich konzentrieren musst.«

Schmeichelhieb.

Ich lächelte dünn und begann, ihre Spitzen zu schneiden. Dabei hatte sie erst letzte Woche einen Schnitt bekommen, demnach völlig unnötig, aber sie war schließlich diejenige mit der schwarzen AmEx. Ihr Handy vibrierte erneut. Ich sah kurz hinunter und sah eine Nachricht von jemandem namens Bryce’ Midlife-Krise.

»Sorry, Jenny. Ich hab ganz vergessen, dass ich heute mit den Ladys Mittagessen gehe. Wie lange dauert das noch?« Sie wippte nervös mit dem Fuß.

»Dreißig Minuten für die Haare, und das Waxing dauert noch mal dreißig.«

»Dann müssen wir das Waxing streichen. Ich muss mich mit der neuen Frau gutstellen.« In ihrer Stimme lag ein sarkastischer Unterton.

»Neue Frau?«

»Crystal Madison. Bryce’ neue Ehefrau – und wenn du mich fragst ein gewaltiges Upgrade zu Shannon.« Sie grinste.

»Ja, ich hab gehört, Bryce hat Shannon für eine Jüngere verlassen. Die haben doch gerade erst geheiratet, oder?«

Bryce war US-Kongressabgeordneter und saß in einem Handelsausschuss. Zwei Monate vor der Wiederwahl kursierten Gerüchte über Untreue. Er wurde nur knapp wiedergewählt. Kurz darauf verließ er Shannon und heiratete Crystal, in der Presse verkaufte er das Ganze als Flucht aus einer lieblosen Ehe hin zu seiner wahren Liebe. Ich nehme an, er hatte das genau geplant, um genug Zeit zu haben, sein Image bis zur nächsten Wahl wieder aufzupolieren.

»Hast du Crystal schon kennengelernt?« Sie warf mir einen kurzen Blick im Spiegel zu.

»Nein, bisher nicht.« Ich schüttelte den Kopf.

»Wirst du wahrscheinlich auch nicht. Die ist total ländlich.« Sie sprach das Wort mit Akzent aus. Olivia versuchte immer, ihren starken Südstaatenakzent unter einer merkwürdigen Mischung aus Upper-West-Side-Manhattan und Midwest-Nachrichtensprecherin zu verstecken, aber manchmal blitzte ihr Country-Charme durch, sehr zu ihrem eigenen Leidwesen.

»Nicht so Glitzer und Glamour wie Buckhead?« Ich kämmte die Spitzen von Olivias Haaren aus und prüfte die verbleibende Einwirkzeit der Farbe.

Buckhead ist ein wohlhabender Stadtteil im Norden Atlantas. Es klingt nicht so nett mit einem harten Namen wie Buckhead, doch um es richtig einzuordnen: Der durchschnittliche Preis eines Hauses liegt weit über 800.000 Dollar. Es gilt als das »Beverly Hills des Ostens«.

»Gar nicht. Nicht falsch verstehen. Sie ist wunderschön, wie eine Doppelgängerin von Jessica Simpson. Aber ich glaube nicht, dass sie zu deinen Stammkundinnen gehören wird. Zu natürlich, zu ungeschminkt für meinen Geschmack, und sie ist jung, so um die 25.« Olivia rollte mit den Augen. Olivia mochte keine jungen Frauen, weil sie selbst keine mehr war. Sie würde niemals eine dieser Frauen sein, die würdevoll alterten. Sie würde mit Händen und Füßen dagegen ankämpfen.

»Viel jünger als Bryce«, bemerkte ich.

»Oh, ja. Shannon war wahrscheinlich am meisten deswegen wütend. Du weißt schon, dass ihr Mann sie gegen eine Jüngere eingetauscht hat. Aber bei Bryce dreht sich ja sowieso alles ums Tauschen«, sagte Olivia unverblümt und einem leisen Lachen.

»Das war bestimmt nicht leicht für sie. Wie kommt sie damit klar?« Ich deutete auf das Waschbecken. Olivia setzte sich und lehnte den Kopf zurück, während ich ihr sanft die Haare ausspülte.

»Keine Ahnung. Mir egal«, sagte sie gleichgültig.

»Aber ihr seid doch Freundinnen«, sagte ich etwas lauter, um das Rauschen des Wassers zu übertönen, und weil es mich selbst überraschte, dass Olivia ihr nach allem, was Shannon durchgemacht hatte, nicht beistand.

»Korrektur: waren Freundinnen. Ich muss da jetzt Abstand gewinnen. Shannon ist ein sinkendes Schiff in dieser Stadt. Klar, sie bekommt Unterhalt, aber Bryce hat den Einfluss und die Macht.«

Meine Augen wurden groß, während ich verarbeitete, was sie gerade gesagt hatte. Olivia und Shannon waren einmal sehr eng gewesen, und zu erfahren, dass sie das nicht mehr waren, nur weil sich ihr Ehemann von ihr getrennt hatte, war ein Schock. In diesem Moment wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Das Gleichgewicht in der Gruppe war nicht mehr dasselbe. Es war wie der Moment, wenn der Wind plötzlich aufhört und der Himmel aufklart, kurz bevor der Sturm losbricht.

Ich hatte Shannon diesen Monat noch nicht gesehen, und sie stand kurz davor, als Kundin gekündigt zu werden. Sie hatte noch sieben Tage Zeit für acht Behandlungen. Ich hatte eigentlich geplant, ihr etwas Spielraum zu lassen, aber es war offensichtlich, dass Olivia sie loswerden wollte. Ich nahm mir vor, Shannon am Nachmittag anzurufen, um sie daran zu erinnern.

»Das ist wirklich schade. Ich hab Mitleid mit ihr«, sagte ich.

»Nicht nötig! Shannon war nie besonders nett. Sie war schrecklich zu mir, und ich musste sie quasi zwingen, deine Kundin zu werden. Sie fand, dein Laden wäre unter ihrem Niveau ...« Olivia kräuselte die Nase.

Ich runzelte leicht die Stirn, während ich vorsichtig ihr Haar mit einem Handtuch trocken knetete.

»Ach, lass dir das nicht so zu Herzen gehen. Shannon ist einfach eine Zicke.« Olivia wedelte abfällig mit der Hand.

»Mich stört das nicht. Sie hat viel durchgemacht.« Ich führte Olivia zurück zum Friseurstuhl.

»Sie ist ein Auslaufmodell. Und das tut dem Geschäft hier nicht gut. Sie ist nur eine Erinnerung daran, wie tief man fallen kann. Traurig, aber wahr.« Olivia zog ihr Handy hervor und scrollte durch Tausende von Selfies, während ich ihr die Haare föhnte.

Ich war loyal gegenüber all meinen Kundinnen, selbst den schlimmsten. Es machte mir nichts aus, mir die Dramen anzuhören, die sich zwischen diesen Frauen abspielten. Ich verstand, dass man sich mal Luft machen muss und sich nicht jede mit jeder versteht. Aber ich wollte nie in die Mitte dieser Streitereien geraten. Ich hörte zu, aber ich machte nicht mit. Doch das ist der Knackpunkt am Drama: Man muss nicht mitmachen, um hineingezogen zu werden.

Olivia tippte eine Nachricht an eine Gruppe namens Buckhead Women’s Foundation. Ich las mit, während ihre knochigen Finger über die Tasten huschten. Da braute sich etwas zusammen.

Die Eingangstür bimmelte in dem Moment, als ich Olivia die Haare mit den Fingern auflockerte. Es war perfekt. Volumen und Glanz wirkten, als wäre sie einem Shampoo-Werbespot entsprungen.

»Geh schon mal hinter«, hörten wir Mary, unsere Empfangsdame, vorne sagen.

Olivia stand auf und bewunderte sich ein letztes Mal im Spiegel, schürzte die Lippen und vergewisserte sich, dass jede Strähne an ihrem Platz war.

Karen Richardson trat hinter dem Vorhang hervor. Sie trug einen schulterlangen roten Bob, der aussah wie die warme Glut eines Lagerfeuers. Karen war eine treue Kundin, Anwältin für Luxusimmobilien und eine enge Freundin von Olivia – so nah man jemandem in Buckhead eben stehen konnte. Sie war dünn und drahtig, kein Gramm Fett an ihr. Mit ihren eingefallenen Wangen, dem breiten flachen Kiefer und dem großen Zahnpastalächeln wirkte sie eher wie ein Laufstegmodel als wie eine Mutter oder Maklerin.

Karen richtete ihren Blick auf Olivia. »Hast du gerade eine Notfall-Komiteesitzung einberufen?«

Olivia drehte sich dramatisch um, das Haar wirbelte über ihre Schulter. »Ja. Keine Sorge, dauert nicht lang.«

»Und warum findet sie im Café und nicht hier statt?«

»Ich dachte, es wäre praktischer, weil wir danach zum Lunch mit Bryce’ Midlife-Krise verabredet sind.« Olivia deutete ein Lächeln an.

Karen seufzte und zögerte kurz, als versuche sie, Olivia zu durchschauen.

»Worum geht’s bei dem Meeting?«, fragte sie, die Hand in die Hüfte gestemmt.

»Findest du raus, wenn du da bist.«

Olivia wandte sich mir zu. »Vielen lieben Dank, Jenny. Du bist die Beste!« Sie küsste mich links und rechts auf die Wange, schnappte sich ihre Tasche vom Boden, drückte mir als Trinkgeld einen Hunderter in die Hand und verließ den Laden mit dem Glow, meiner Spezialität.

»Manchmal übertreibt sie«, sagte Karen kopfschüttelnd, während sie Olivia nachsah.

»Aber eben nicht immer«, sagte ich mit einem Lächeln. Di­plomatie gehörte auch zu meinem Job und vermutlich würde das bald eine meiner wichtigsten Aufgaben werden.

»Sollen wir?« Ich deutete mit der Hand nach hinten, und wir gingen zum Spraytan-Raum.

Karen zog sich rasch aus. Es war überhaupt nicht unangenehm, ich hatte sie schon über hundertmal eingesprüht, es war reine Routine. Ich kannte ihren Körper besser als meinen eigenen. Jedes Muttermal. Jede Narbe.

»Großer Tag für dich. Notfall-Meeting und Lunch mit den Ladys.«

»Gott. Bitte erinnere mich nicht dran.« Karen stöhnte genervt.

Ich grinste.

Karen lächelte, während ich begann, ihre milchweiße Haut in ein sanftes Bronze zu tauchen. »Ich weiß nicht, was Olivia da wieder im Schilde führt, aber es kann nichts Gutes sein. Du hast von Crystal gehört, oder?«

Ich nickte.

»Hab sie noch nicht persönlich getroffen. Aber es fühlt sich an, als würde ich Shannon hintergehen, wenn ich sie willkommen heiße.«

»Hast du mit Shannon darüber gesprochen?«

»Ja, aber nicht über Crystal. Shannon ist ein Wrack, und ich hab ihr nicht gesagt, dass ich mit Crystal und Olivia essen gehe.« Karen drehte sich zur Seite, und ich beendete das Einsprühen ihrer Vorderseite.

»Vielleicht solltest du es tun. Mit Shannon reden, meine ich.«

»Wahrscheinlich schon. Aber was soll ich machen, wenn sie ein Problem damit hat?« Karen drehte sich, und ich sprayte ihren Rücken ein. »Ich hab ein Geschäft zu führen, und ich führe es professionell. Verstehst du?«

Ich nickte, denn ich verstand es besser als jeder andere. Karen war nicht wie die anderen Ehefrauen. Sie hatte einen kleinen Sohn und war nicht auf das Geld ihres Mannes angewiesen. Obwohl der als plastischer Chirurg reichlich verdiente. Aber Karen hatte sich ein Immobilienimperium von Grund auf aufgebaut, und inzwischen war sie so erfolgreich, dass sie ein ganzes Team hinter sich hatte, sie musste nur noch reinschneien und die Deals abschließen.

»Und natürlich müssen wir Crystal in unseren Kreis aufnehmen, schließlich ist sie jetzt Bryce’ Frau, und in dieser Stadt geht’s nur darum, wen man kennt, was man trägt, wie man aussieht und wie viel Macht und Geld man hat.« Karen seufzte.

»Du musst mich nicht daran erinnern.« Ich lachte.

»Ach, komm.« Sie tätschelte meine Schulter. »Du bist das It-Girl dieser Stadt.«

»Nur weiß es keiner.« Ich lächelte schief und reichte ihr ein Handtuch.

»Oh, Schätzchen, das wird sich ändern.«

3Olivia

»Perfekt. Jetzt sind alle da.« Ich ließ meinen Blick über die Frauen schweifen, die um den Tisch in einem abgetrennten Raum eines schicken Cafés saßen. Ein breites Lächeln klebte auf meinem Gesicht. Ich konnte nicht anders. Ich hatte jahrelang auf diesen Moment gewartet. Wir waren der Vorstand der Buckhead Women’s Foundation. Wir waren die Elite, denn wir planten die angesagtesten Events für wohltätige Zwecke oder anderes. Jeder wollte sein wie wir.

Karen zog eine Augenbraue hoch. »Shannon fehlt.«

»Stimmt. Denn es geht um sie«, sagte ich und hob das Kinn.

Sophie, die Schriftführerin, saß zu meiner Linken und schrieb jedes meiner Worte mit, als sei ich Shakespeare höchstpersönlich. Es war gut, sie an meiner Seite zu haben, aber sie würde nie Teil meines inneren Zirkels sein. Klar, Sophie hatte Geld, aber außer Mitschreiben hatte sie nichts zu bieten. Und dazu war sie so aufregend wie eine Packung ungesalzener Cracker. Ihr Aussehen passte perfekt zu ihrer Persönlichkeit ... langweilig.

Tina, die Schatzmeisterin, blätterte durch ihr Kassenbuch. Bei jedem Umblättern wehte mir eine Wolke ihres muffigen, abstoßenden Parfums entgegen. Trotz ihres Geldes roch sie nach Armut. Wäre Tina nicht so unangenehm anzusehen, wären wir uns bestimmt näher. Aber sie hatte mit ihren Schönheitsoperationen angefangen, bevor die Technik ausgereift war, und mit einem Chirurgen, der sein Handwerk nicht beherrschte. Das Ergebnis: Ihre Haut sah aus, als würde sie gleich von ihrem Gesicht in den Schoß rutschen. Meine Augen hielten das kaum aus.

»Tina, deine Haut strahlt heute richtig«, lobte ich. »Die mangelnde Elastizität fällt kaum auf.«

»Olivia, du bist zu freundlich«, sagte sie lächelnd.

»Und Sophie, dein Outfit ist so ganz du. Ich könnte das nie tragen.«

Sophie sah auf ihr schlichtes weißes T-Shirt hinab. »Ich bin mir sicher, du könntest, Olivia. An dir sieht alles gut aus.«

»Da hast du recht. Fangen wir an?«

Tina und Sophie nickten. Karen lehnte sich zurück und legte den Kopf schräg. Ich musste sie für diesen Beschluss nicht überzeugen. Ich brauchte nur zwei Stimmen und die hatte ich.

»Die Notfallsitzung des Vorstands der Buckhead Women’s Foundation ist hiermit eröffnet«, sagte Sophie.

»Wunderbar. Der Grund, weshalb ich euch zusammengerufen habe, ist Sorge. Wir wissen alle, dass Shannon eine schwere Zeit durchmacht. Mein Herz schmerzt ihretwegen.« Ich legte die Hand auf die Brust und setzte ein mitleidiges Gesicht auf. Meine absolute Hassmimik.

Tina und Sophie nickten wieder. Karen beugte sich nach vorne.

»Ich stelle den Antrag, dass Shannon von ihrem Amt als Vorsitzende entbunden wird. Wer ist dafür?«

Sophie und Tina hoben bereits die Hände.

»Moment mal! Das ist nicht okay«, platzte es aus Karen heraus. So gar nicht ladylike.

Sophie und Tina senkten schnell die Hände. Feiglinge.

»Nein, Karen. Es ist nicht okay, dass unsere Veranstaltungen und Spendenaktionen genauso leiden wie Shannon.« Ich hielt meine Stimme ruhig.

»Wie leiden sie?« Karens Augen weiteten sich.

»Sophie, bitte lies vor, wer bei den letzten beiden Sitzungen gefehlt hat«, wies ich an.

Sie nickte und blätterte in ihren Notizen. »Shannon.«

»Ich glaube, das reicht als Beweis«, sagte ich mit einem spitzen Lächeln.

»Aber sie plant die kommende Gala doch völlig problemlos. Ich habe alles, was sie sagen wollte, bei den Sitzungen weitergegeben«, argumentierte Karen.

»Eine Vorsitzende führt, Karen. Sie delegiert nicht über die PR-Beauftragte.« Ich schüttelte den Kopf.

»Olivia hat recht«, warf Tina ein. »Ich habe noch nicht mal die aktuellen Finanzzahlen, weil sie sie mir nicht übermittelt hat.«

»Und es ist nicht fair, dass ich sie als abwesend markieren muss. Ich habe jetzt schon Krämpfe vom vielen Mitschreiben«, fügte Sophie hinzu.

Ich hätte fast die Augen verdreht. Ihr Einwand war so schwach und langweilig wie sie selbst. Wir hatten das doch geübt.

»Ich will hier nicht die Böse sein.« Doch, will ich. »Aber laut unserer Satzung gilt: Zwei oder mehr verpasste Sitzungen ohne triftigen Grund führen zur Abberufung aus dem Amt«, sagte ich. Das hätte eigentlich Sophie sagen sollen.

»Ja, das stimmt.« Sophie blätterte in ihrem Ordner und schob Karen ein Papier hin.

Karen überflog es schnell und sah mich dann wieder an. »Ist eine Scheidung kein triftiger Grund?«

»Nein. Steht nicht in der Satzung«, sagte ich.

»Wir haben es nicht aufgenommen, weil es inzwischen so häufig vorkommt«, erklärte Tina. »Einige unserer Mitglieder sind schon in der dritten Scheidung, aber Mitglieder haben mehr Spielraum als der Vorstand.«

Karen stöhnte. »Können wir nicht eine Ausnahme machen?«

Wir schüttelten gleichzeitig die Köpfe. »Das wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, Karen. Also wer ist für Shannons Abberufung als Vorsitzende?«

Tina, Sophie und ich hoben die Hände.

»Gegenstimmen?«

Karen hob ihre Hand.

»Gut, damit ist es beschlossen. Shannon Madison ist nicht länger Vorsitzende der Buckhead Women’s Foundation. Keine Sorge, Karen. Sie bleibt Mitglied und kann sich bei der nächsten Wahl wieder aufstellen lassen«, sagte ich mit einem Lächeln.

Sophie schrieb alles eifrig ins Protokoll.

»Ich möchte einen Antrag stellen«, sagte Tina.

Braves Mädchen.

»Antrag, Olivia Petrov zur neuen Vorsitzenden zu ernennen. Wer ist dafür?«

Ich riss die Hand so schnell in die Höhe, dass ich mir beinahe die Schulter ausgekugelt hätte. Tina und Sophie taten es mir gleich. Karen stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Gegenstimmen?«, fragte Tina.

Karen hob nicht einmal die Hand. Besiegt.

»Das ist doch Bullshit«, sagte Karen.

»Nein, das ist Business, was im Grunde dasselbe ist«, sagte ich mit einem unbeschwerten Lachen. »Wie wäre es damit: Die Gala ist nur noch eine Woche hin, und Shannon hat wirklich hart an dem Event gearbeitet. Soll es doch ihr letzter Auftritt als Vorsitzende sein. Die restlichen Mitglieder informieren wir bei der darauffolgenden Sitzung. Klingt das fair?« Ich legte den Kopf leicht schief und schraubte mein Lächeln etwas nach oben, nicht zu viel, nicht zu wenig.

Karen presste die Lippen aufeinander und dachte einen Moment nach. Es war ein nettes Angebot. Eigentlich sogar großzügig von mir. Ich spielte auf Zeit. Man muss auch mal einen Hauch Freundlichkeit einstreuen.

»Okay. Die Gala bedeutet ihr viel, also ist das fair«, sagte sie und schob die vollen Lippen nach vorn.

»Freut mich, dass du das auch so siehst. Wir müssen dann noch die Position der stellvertretenden Vorsitzenden neu besetzen. Nehmen wir doch bei der nächsten Sitzung Vorschläge entgegen und stimmen in der darauf folgenden ab. Einverstanden?«

Nicken rundherum.

»Bitte sehr«, sagte die Kellnerin. »Vier Gurken-Minz-Detox-Drinks.« Sie stellte jedem von uns ein Glas hin.

Ich hob meines zu einem kleinen Toast – auf mich selbst, natürlich. »Ich dachte, wir könnten auch mal etwas Reinigung gebrauchen«, sagte ich lachend.

Tina und Sophie kicherten, wie sie es sollten.

»Auf das Ende der Leidenszeit und auf einen Neuanfang mit einer neuen Anführerin.« Ich stieß mit Tina und Sophie an. Karen hob ihr Glas lediglich an die Lippen und kippte es in einem Zug runter, eindeutig unzufrieden mit den getroffenen Entscheidungen. Aber sie würde sich schon fangen. Schließlich war sie nicht wie ich. Sie war eher der Typ vergeben und vergessen. Ich hingegen glaubte schon immer an eine dritte Option: Vergeben, vergessen – oder verdammt noch mal nie wieder davon ablassen.

4Karen

Ich verließ angesäuert den privaten Raum des Cafés. Shannon würde wütend sein, vielleicht auch auf mich. Aber was hätte ich schon tun können, wenn Olivia mich so überrumpelte, während Tina und Sophie weder Rückgrat noch Verstand genug hatten, sich ihr entgegenzustellen? Hatte sie das die ganze Zeit geplant? Technisch gesehen hatte Olivia recht. Satzung ist Satzung, und Shannon hatte die letzten beiden Sitzungen gefehlt. Aber trotzdem. Das Ganze fühlte sich einfach nicht richtig an.

Ich lief durch das Café und entdeckte Crystal bereits an einem Tisch sitzen, wartend auf Olivia und mich. Ich hatte sie auf Social Media gesehen – Shannon und ich hatten sie ein paarmal gestalkt, tief im Weinrausch – aber in echt war sie noch hübscher. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem geblümten Sommerkleid an einem runden Tisch, der mit teurem Glasgeschirr, frischen Tulpen und einem weißen Leinentuch gedeckt war. Ihr langes blondes Haar fiel in natürlichen Wellen, und sie war gebräunt – nicht wie ich, sondern vom Draußensein. Sie hatte ein besonderes Strahlen an sich. Sie war jung und schön, auf eine mühelose Art. Ich konnte sehen, was Bryce an ihr fand.

Ich näherte mich dem Tisch, und sie schien unsicher, wer ich war. Sie hatte offenbar ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

»Crystal?«

»Ja, die bin ich.« Sie lächelte. Texas lag in ihrer Stimme.

Ich streckte ihr die Hand hin. »Ich bin Karen Richardson. Schön, dich kennenzulernen.«

Sie stand auf und umarmte mich stattdessen. Ich hatte sie eher aufgekratzt erwartet, aber sie strahlte eine ruhige Zurückhaltung aus. Sie war angenehm. Ich wollte sie hassen – Shannons wegen – aber ich konnte nicht, jedenfalls noch nicht.

Ich setzte mich, legte meine Tasche auf den Stuhl neben mir und bestellte beim Kellner einen Chardonnay. Ich trank normalerweise nicht mittags unter der Woche, aber nach dieser Sitzung brauchte ich etwas Stärkeres als Selleriesaft.

»Und wie gefällt dir Buckhead bisher?«, fragte ich, wohlwissend, dass sie erst seit ein paar Monaten in der Gegend war und sich gerade erst ein wenig unter die Leute wagte. Sie hatte sich zurückgezogen, um sich einzuleben. Ich nahm ihr das nicht übel. Die meisten Frauen mochten sie nicht, schließlich hatte sie Shannons Mann gestohlen.

»Ganz gut bisher. Ich versuche einfach, ein Gefühl für die Gegend zu bekommen und sie zu verstehen.« Sie nestelte an ihrer Serviette, zerknüllte sie und strich sie dann wieder glatt.

»Oh, Liebes, ich lebe seit über zehn Jahren hier, und habe das Gefühl, ich verstehe diese Stadt immer noch nicht«, sagte ich lachend.

Sie lachte mit. »Hast du einen Tipp für mich?«

»Einfach Geduld haben. Die Leute werden sich schon einfinden.« Ich nahm einen Schluck Wein. Ich sah, wie sie sich etwas entspannte. Sie war eindeutig nervös und wollte eigentlich gar nicht hier sein. Ich vermutete, Bryce hatte sie zu diesem Treffen gedrängt. Er war ganz versessen darauf, sein ramponiertes Image nach der Trennung von Shannon aufzupolieren.

»Was machst du so?«, fragte Crystal.

»Ich trinke.« Ich nahm einen weiteren Schluck.

Ihre Augen wurden groß.

»War nur ein Scherz.«

Sie nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Bierglas. Es war wirklich Bier. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie Bier trank. In dem Moment wusste ich, dass ich sie mochte. Die Frauen hier tranken grüne Smoothies, Champagner, Wein oder Wodka. Sie tranken niemals Bier.

»Aber im Ernst.« Ich stellte mein Glas ab. »Ich leite meine eigene Immobilienfirma für Luxusobjekte. Und ich habe einen fünfjährigen Sohn namens Riley.« Ich zückte mein Handy und zeigte ihr ein paar Bilder meines kleinen Wirbelwinds, ein schlanker Junge, der aussah wie eine perfekte Mischung aus Mark und mir. Er hatte meine Augen und meine Nase, aber Marks Haare und Körpergröße.

»Er ist ja zuckersüß«, schwärmte Crystal.

»Ja, er ist mein Ein und Alles.« Ich steckte das Handy zurück in meine Tasche. »Hast du Kinder?« Ich wusste, dass sie keine hatte, aber ich war neugierig, ob sie welche wollte. Ob sie und Bryce schon darüber gesprochen hatten. Ich wusste nicht mal, ob ich das für mich wissen wollte oder für Shannon.

»Ach, Gott, nein. Ich hätte irgendwann gern welche, aber nicht so bald. Ich glaub, ich bin noch nicht so weit.«

»Ich bin mir sicher, Bryce ist mehr als bereit.« Ich wusste selbst nicht, warum ich das sagte. Es war ein Seitenhieb, ein kleiner, für Shannon. Der Letzte, sagte ich mir. Crystal war nett. Ich hatte keinen Grund, sie zu hassen. Sie räusperte sich verlegen.

»Dass du deine eigene Immobilienfirma hast, ist echt beeindruckend«, sagte sie und klang aufrichtig.

»Danke. Ich hab sie ganz allein aufgebaut, als ich hierhergezogen bin. Ich wollte etwas Eigenes und inzwischen ist sie so erfolgreich, dass sie nicht mehr all meine Zeit frisst. Ich bin eher das Gesicht des Unternehmens. Ich zeige Präsenz, mache den Abschluss.« Ich lächelte sie an.

»So etwas hätte ich auch gern irgendwann ... du weißt schon, was Eigenes.« Sie nippte an ihrem Bier.

Ich trank einen weiteren Schluck Wein und da sah ich Olivia durchs Restaurant laufen. Wie immer zu spät, obwohl sie sich bereits im Café befunden hatte. Aber so war Olivia. Und sie hatte sich umgezogen seit der Sitzung, jetzt trug sie ein enges scharlachrotes Kleid, das genau zwischen elegant und sexy pendelte. Olivia hatte »elexy« perfektioniert, ihre eigene Wortschöpfung.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin.« Olivia nahm am Tisch Platz. »Hi, ich bin Olivia Petrov.«

Sie und Crystal begrüßten sich mit einer Umarmung. Olivia bestellte einen Chardonnay und einen Salat. Ich bestellte ebenfalls einen Salat, und Crystal einen Burger mit Pommes. Olivia verengte die Augen, als sie das hörte, ganz offensichtlich darüber urteilend und sie dafür verachtend. Crystal war fünfundzwanzig. Sie konnte essen, was sie wollte. Olivia und ich waren Mitte dreißig, wir mussten unsere Kalorien für Wein aufsparen.

Während Olivia und ich an unseren Salaten knabberten und Wein tranken, nahm Crystal große Schlucke aus ihrem Bierglas und biss herzhaft in ihren Burger. Olivia beobachtete sie, als würde sie ein Tier im Zoo betrachten, neugierig, aber auch mitleidig.

Crystal ließ ein kleines Bäuerchen entweichen. »’Tschuldigung.«

Sie tupfte sich die Mundwinkel ab und aß unbeeindruckt weiter. Sie versuchte zumindest, sich anzupassen, aber ein Texas-­Girl kann eben nicht einfach seine Cowboyboots und das Lasso ablegen. Sie versuchte, aufrecht zu sitzen, so wie Olivia es tat, aber spätestens nach einer Minute sackten ihre Schultern wieder zusammen, und sie musste sich neu aufrichten. Wir saßen schweigend da, starrten auf unsere Teller, schenkten uns kurze Blicke und kleine Lächeln. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war unangenehm. Nicht gerade mein Ideal eines gelungenen Nachmittags. Olivia war es schließlich, die das Schweigen brach.

»Also, du und Bryce ... Wie habt ihr euch kennengelernt?«

Natürlich stellte Olivia diese Frage. Sie ging immer direkt zum Klatsch über. Ich hätte es als unangebracht bezeichnet, aber ich war selbst neugierig. Wie kam ein Mädchen wie Crystal an einen Mann wie Bryce?

Crystal legte den Burger ab und wischte sich mit der Serviette den Mund. Sie räusperte sich. »In einer Bar in Texas, in der ich gearbeitet habe. Er war geschäftlich in der Stadt, und wir haben uns einfach auf Anhieb verstanden.« In ihren Augen funkelte es – nicht boshaft, sondern liebevoll. Sie mochte Bryce wirklich.

»Wusstest du, dass er verheiratet war?« Olivia grinste. »Ich verurteile dich nicht«, fügte sie scheinheilig hinzu, als würde das die Frage weniger unangemessen machen.

Crystal blickte zwischen uns hin und her, kaute auf ihrer Unterlippe. Dann kippte sie den Rest ihres Biers hinunter und stellte das Glas mit Nachdruck ab.

»Ich sag’s jetzt einfach, weil ich keine Lust hab, dass das ständig im Raum hängt: Nein, anfangs wusste ich’s nicht. Er hat es mir nicht gleich gesagt, und als er es dann tat, hatte ich mich längst in ihn verliebt. Ich bin eigentlich nicht so eine Frau, aber anscheinend bin ich’s doch irgendwie. Und mir tut es leid wegen Shannon. Ich wollte das nie, aber es ist passiert. Ich hab einen Mann kennengelernt und mich verliebt. Dafür schäme ich mich nicht, und ich finde nicht, dass ich es sollte.« Sie sagte alles in einem Atemzug, als hätte sie es schon hundertmal geübt. Dann sah sie uns beide an, auf der Suche nach Zustimmung.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Olivia und schenkte Crystal das gesuchte Verständnis. Es war offensichtlich, dass sie es nicht ernst meinte. »Wenn man’s weiß, dann weiß man’s«, fügte sie hinzu.

Sie zwinkerte mir zu. Ich wusste nicht warum, lächelte aber trotzdem. In Buckhead lächelt man. Wenn man angepisst ist und wenn man sich freut.

»Ich will ebenfalls etwas klarstellen. Ich bin mit Shannon befreundet, aber ich möchte auch dir freundlich begegnen. Ich hoffe, du verstehst das, und dass Shannon es irgendwann auch versteht.« Ich fühlte mich schuldig, überhaupt hier zu sein. Meine Loyalität gehörte Shannon.

»Ich versteh das.« Crystal nickte nachdrücklich. »Und ich respektiere es auch.«

Ich lächelte sie an, es war ein zufriedenes Lächeln.

Olivia warf ihre Serviette auf den Tisch und trank den Rest ihres Weins. »Ich nicht. Ich bin fertig mit Shannon und du solltest es auch sein.«

Ich legte den Kopf schräg, runzelte die Stirn. »Reichte es nicht, ihr den Vorsitz zu nehmen?«

»Nein. Erinnerst du dich nicht, wie sie mich behandelt hat, als ich neu in Buckhead war?« Olivia hob das Kinn und nippte an ihrem frisch eingeschenkten Wein.

»Nein, und es ist außerdem ewig her.« Ich rollte mit den Augen.

»Die Mobberin vergisst, dass sie mobbt. Das Opfer nie. Sie ist jetzt ein Auslaufmodell. Von ihrem Mann geschieden und ihr Amt los. Ich hab keinen Platz für Ballast in meinem Leben und will mir so eine negative Energie nicht antun.« Olivia presste die Lippen zusammen.

Ich warf meine Serviette auf den Tisch. Ja, es hatte eine Zeit gegeben, in der Shannon und Olivia sich nicht verstanden. Aber so schlimm hatte ich es nicht in Erinnerung. Das war vor fünf Jahren, kurz nachdem ich Riley bekommen hatte. Damals wurde es mal kurz unschön, glaube ich. Aber ich erinnere mich kaum. Ich war mit einem Neugeborenen und meinem Business beschäftigt. Aber wer hält so lange an so was fest? Olivia offensichtlich.

Ich war kurz davor, aufzustehen und zu gehen, aber ich hatte noch nicht bezahlt und Crystal verdiente das nicht ... noch nicht. Ich wusste, dass da mehr im Busch war als Olivias und Shannons Vergangenheit, um Olivia so wütend zu machen. Es war offensichtlich: Shannon war kaum älter als Olivia und ihr Mann hatte sie gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht. Ihr Hass war getränkt in Unsicherheit und Angst. Olivia wollte Shannon isolieren, weil sie fürchtete, selbst einmal wie sie zu werden. Angst macht Menschen verrückt. Unsicherheit noch verrückter.

»Ich will wirklich keinen Ärger machen«, sagte Crystal zu mir. »Ich bewundere, dass du Shannon gegenüber loyal bleibst und trotzdem freundlich zu mir bist.« Dann wandte sie sich an Olivia. »Bitte fühl dich nicht verpflichtet, Shannon wegen mir den Rücken zu kehren.«

»Ich kehre Shannon nicht deinetwegen den Rücken zu. Ich wende mich von ihr ab, weil sie es verdammt noch mal verdient hat.« Olivia sprang abrupt auf. Der Stuhl kippte hinter ihr um. Sie warf einen Hundert-Dollar-Schein auf den Tisch (ihr Markenzeichen) und rauschte aus dem Restaurant, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dramatik war Olivias Spezialität. Das war ihre kranke Art, Crystal zwei Dinge zu zeigen: erstens, dass man sich besser nicht mit ihr anlegt, und zweitens, dass man gut daran täte, sich auf ihre Seite zu schlagen. Wahn ist eine mächtige Kraft. Ich verdrehte die Augen, leerte mein Glas und trank dann auch noch Olivias aus.

Crystal zog die Nase kraus, tupfte sich mit einer Serviette das Kinn ab und nippte sporadisch an ihrem Wasser.

»Du wirst dich an sie gewöhnen müssen«, sagte ich lachend. Es stimmte. Olivia wuchs einem mit der Zeit ans Herz ... wie ein Tumor. Man mochte sie selten auf Anhieb. Außer, sie wollte, dass man sie mochte. Und das passierte nur, wenn man ihr etwas bieten konnte. Ich meine, sie war meine Freundin, aber ich erinnere mich noch, dass ich sie anfangs nicht mochte. Und selbst jetzt fühlte es sich oft mehr wie Ertragen an. So war das in Buckhead.

Mein Handy vibrierte und Crystals ebenso. Eine Nachricht von Olivia in unserem Gruppenchat.

Tut mir leid wegen meines Ausbruchs. Ich stehe gerade unter enormem Druck wegen meiner neuen Position als Vorsitzende, und das, was Shannon mir vor fünf Jahren angetan hat, sitzt einfach noch tief. Bitte verzeiht mir. Ich hab die Rechnung übernommen.

Xoxo, Olivia.

»Du wirst dich an sie gewöhnen müssen«, sagte ich und schüttelte den Kopf.

»Ja ...«, murmelte Crystal.

Die Kellnerin kam und fragte, ob wir noch etwas wollten. Ich bestellte zwei Tequila-Shots. Sie kamen mit allem Drum und Dran – Limette, Salz und Olivias Nervenzusammenbruch.

Wir leckten das Salz, und bevor wir den Shot tranken, stieß ich mit ihr an.

»Auf Buckhead! Hoffentlich kommst du hier lebend wieder raus.«

Wir kippten die Gläser, saugten die Limette aus und lachten.

5Crystal

Ich verließ das Café mit einem guten Gefühl, leicht beschwipst und deutlich besser gelaunt als bei meiner Ankunft – dank Karen. Sie war wie ein frischer Windstoß, wie Texas an einem Oktobermorgen. Sie erinnerte mich an zuhause – ehrlich und bodenständig. Olivia war eine andere Geschichte. Eine tickende Zeitbombe. Ihre Gleichgültigkeit gegenüber Shannon hatte mich überrascht. Ich fragte mich, was Shannon ihr angetan haben konnte, dass Olivia so voller Groll war. Es war die Rede von irgendeinem Vorfall in der Vergangenheit, aber was genau geschehen war, wusste ich nicht. Für mich war Shannon das Opfer in all dem. Und ich mochte das nicht. Ich wusste, dass ich Mitschuld trug. Ich kannte Shannon nicht, aber das musste ich auch nicht, um zu wissen, dass es falsch war, ihr den Mann zu nehmen.

Bryce’ Kampagnengebäude sah aus wie eine Miniversion vom Weißen Haus. Es stand schon hier, als ich herzog, aber er hatte mir erzählt, dass er es selbst entworfen und aus eigener Tasche bezahlt hatte. Ein normales Bürogebäude reichte ihm wohl nicht. Ich betrat das Gebäude, grüßte seine Sekretärin und spazierte mit einem Sandwich und Chips aus einem nahe gelegenen Café direkt in sein Büro. Ich dachte, er hätte Hunger und würde wissen wollen, wie das Treffen mit den Frauen gelaufen war. Schließlich war er es gewesen, der mich dazu gedrängt hatte. Er wollte sein Image reparieren und politisch aufsteigen, und dazu brauchte er mich und mein Mitwirken.

»Hey, Schatz«, sagte ich.

Er drehte sich vom Fenster weg, das auf eine kleine Rasenfläche hinausging, und legte den Finger auf die Lippen, während er weiter ins Telefon redete. Ich seufzte, wickelte das Sandwich und die Chips aus und legte sie auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich ließ mich auf der anderen Seite nieder und beobachtete, wie er hin und her lief. Er war mein Ticket raus aus Texas, raus aus der Bar, raus aus meinem alten Leben, auf das ich alles andere als stolz war. Ich wollte mehr und manche von uns kommen nur weiter, wenn sie sich irgendwo dranhängen. Wie eine Zecke, die sich tief in die warme Haut eines ahnungslosen Wirts bohrt. Doch das darf man nicht falsch verstehen. Ich habe mich in Bryce verliebt. Und zwar heftig.

Sein perfekt geformtes Kinn mit dem Grübchen, der athletische Körperbau, die stechend blauen Augen – das war es, was mich damals sofort angezogen hatte. Bryce besaß alles: Aussehen, Intelligenz, Geld und Macht. Eine Gruppe von ortsansässigen Müttern hatte sogar den inoffiziellen Slogan seiner letzten Kampagne geprägt: »Bryce Madison – ein Lächeln, so schön, man würde es zweimal ins Amt wählen.« Ist nie wirklich viral gegangen, aber ich glaube, es hat ihm die Wiederwahl erleichtert.

»Ist mir egal. Mach den Trucks keinen Stress«, sagte er und beendete das Gespräch abrupt. Er warf das Telefon auf den Schreibtisch und sein Gesicht hellte sich auf, als er mich ansah.

»Ich hab dir Lunch mitgebracht.« Ich lächelte, als er um den Schreibtisch herumkam.

Er erwiderte mein Lächeln mit einem leidenschaftlichen Kuss. Seine Hände glitten an meinem Rücken entlang, griffen meinen Hintern, schoben sich unter mein Sommerkleid. Ich lachte leise und küsste ihn noch fester. Dann zog er sich zurück, richtete sich auf und ging wieder auf die andere Seite des Schreibtischs.

»Keine andere Frau bringt mich so aus der Fassung wie du, Crystal.« Er zwinkerte mir zu und setzte sich, während er hungrig sein Sandwich verschlang. Er war immer ganz auf die Arbeit fokussiert.

»Ich freu mich, dass ich so auf dich wirke, Mr. Madison.« Ich errötete.

Er drückte auf eine Taste seines Tischtelefons. »Bring mir ein Wasser«, befahl Bryce seiner Sekretärin. Kurz darauf kam sie mit zwei Flaschen herein, eine für ihn, eine für mich. Ich bedankte mich. Bryce nicht. Ich nahm mir vor, ihn später deswegen auszuschimpfen. Ich wusste, er war beschäftigt, gestresst und müde, aber ich war so erzogen worden, dass es keine Ausrede für fehlende Manieren gibt.

»Na, wie lief es mit den Ladys, Mrs. Madison?« Er hob eine Augenbraue.

»Ganz gut.« Ich wollte es dabei belassen, aber ich wusste, er würde nachhaken. Bryce war so ein Mann – er wollte immer mehr. Er wollte unbedingt, dass ich mich mit ihnen verstand. Es ging alles um Imagepflege, für ihn und für mich. Ich verstand das irgendwie. Es war das Leben, für das ich mich entschieden hatte. Ich wusste, dass ich Opfer bringen würde.

»Und ...?«

»Ich mag Karen«, sagte ich.

»Gut. Sie und ihr Mann spenden regelmäßig an die Kampagne, und sie ist gut vernetzt. Ihre Luxus-Immofirma hat übrigens geholfen, dieses Büro hier möglich zu machen. Und Olivia?«

»Die ist ... okay.«

Er warf sein Sandwich auf den Tisch. »Bitte sei ehrlich.«