Osmond - Marie Lewie - E-Book

Osmond E-Book

Marie Lewie

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Beschreibung

"Das ist das Gesetzt der Anziehung. Sollten eure Seelen bereits vor Geburt füreinander bestimmt worden sein, werden sie einen Weg finden, egal wie!" Besondere Menschen entwickeln plötzlich besondere Fähigkeiten. Sie sind zu stark und könnten für die Welt eine ungeahnte Gefahr darstellen. Deshalb werden sie gefangen und in spezielle Lager gebracht, um unter Kontrolle gehalten zu werden. Nachdem Luana ihren Job in einer dieser Einrichtungen beginnt, fühlt sie sich stark zu einem der Gefangenen hingezogen. Sie spürt ein Band zwischen ihnen, das stärker ist, als alles was sie bisher gefühlt hat. Der attraktive Kian brennt sich in ihre Gedanken und in ihr Herz wie ein unzerstörbares Brandmal. Ihr Leben lang wurde Luana beigebracht, dass die sogenannten Parame vor der Welt geschützt werden müssen und deshalb in den Einrichtungen leben müssen. Zu stark sei die Angst und der Neid der Menschen, zu schwach die Empathie. Niemals hätte sie gedacht, dass alles auf einer Lüge basieren könnte. Ihr Glaubenssatz wird vollkommen zerstört, als sie nach und nach die Wahrheit darüber erfährt. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Angst, kämpft sie um Gerechtigkeit und Freiheit.

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Seitenzahl: 696

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Marie Lewie

Osmond

Ruf der Nibbana

Fantasyroman

Impressum

Texte: © 2022 Copyright by Marie Lewie

Umschlag: © 2022 Copyright by

Cermancreative

Karte: © 2022 Copyright by BP-Illustration

Verantwortlich

für den Inhalt:Marie Lewie

c/o Lernstudio Maucher & Kollegen

Herzog-Georg-Straße 6

89264 Weißenhorn

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Playlist

No More Hiding – Gina Brooklyn

Is There Anyone – PERSONPERSON, XAM

Time Spiral – Tim Schaufert

The spider & thebutterfly – Mira

Save My Life, Acoustic – noll, Highlnd, Josh Rubin

You Know Me – Bethel Music, Steffany Gretzinger

Don´t Let Me Go, Acousitc – RAIGN

Safe Ground, Orchestral Version – noll, Gina Livia

You Don´t Know – VAYU

Wherever You´re Going – MaMan, Mitchel Dae

Steps – Otto A. Totland

No Air – Luc

Prolog

Es kam plötzlich, als würde man auf einer Landstraße überholen und nicht mit Gegenverkehr rechnen. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und sogar alte Menschen entwickelten einzigartige, nicht definierbare Fähigkeiten und erstaunten damit die gesamte Welt. Es war nicht ersichtlich, wie sich diese Fähigkeiten ihren Weg durch den normalen Organismus bahnten. Sie waren einfach da, von einem auf den anderen Tag, und keine Fähigkeit glich der anderen. So gab es Menschen, die Blumen erblühen oder Bäume wachsen lassen konnten. Es gab diejenigen, die Metall verbiegen oder Feuer kontrollieren konnten. Plötzlich gab es Menschen, die die Zukunft bis ins kleinste Detail vorhersagen konnten, sowie solche, die bei Nacht sehen konnten wie Tiere. Die Vielfalt war grenzenlos und die Angst der Menschen ebenso. Es entwickelte sich rasend schnell. Wie ein Virus verbreitete es sich in der Welt und schürte Angst und Sorge.

Die Regierung musste eine Lösung für das Problem finden, denn diese Fähigkeiten könnten unkontrolliert zur Katastrophe führen. Sie planten ein Szenario, das vielleicht nie eintreten würde. Aber Menschen sind nun einmal so; sie planen für die Zukunft, für Eventualitäten und für den schlimmsten Fall. Angst verbreitete sich wie Gift, unkontrollierbar und tödlich.

Panik war das Letzte, was die Regierenden gebrauchen konnten; einen weiteren Krieg würde die Welt nicht überstehen. Es war klar, dass dieses Problem so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden musste. Die notwendigen Informationen wurden wie ein Lauffeuer verbreitet und fest in den Köpfen der Bevölkerung verankert. Die paranormalen Menschen, oder kurz Parame, mussten vor Neidern, Manipulatoren und Dieben geschützt werden und durften auf keinen Fall in die falschen Hände geraten. Zumindest war es das, was man den Menschen glauben machte.

Ein Gesetz wurde erlassen, das vorschrieb, dass jeder von ihnen ausnahmslos an einen geschützten Ort gebracht werden musste, die sogenannten Archen.Die Parame waren weitsichtig und schlau; sie durchschauten das Spiel. Sie versuchten zu fliehen und sich vor den Menschen zu schützen, doch jede Art der Flucht war vergebens. Die Menschen machten sich zu Eigen, was ihnen niemals hätte gehören sollen.

1. Kian

Ich stochere mit dem Löffel in meinem Mittagessen und verdränge den Lärm des Speisesaals um mich herum. Die graue Pampe auf meinem Teller hat allerdings rein gar nichts mit Essen zu tun. Es sieht weder danach aus, noch riecht es ansatzweise nach Essbarem. Gerade bin ich dabei, mir einen Löffel davon in den Mund zu stecken, als Noah unter dem Tisch mit voller Wucht gegen mein Schienbein tritt. „Kopf hoch.“, flüstert er mir zu, als ich mit einer Mischung aus Wut und Schreck aufsehe.

Bevor ich es richtig verstehen kann, spüre ich bereits den brennenden Schmerz an meinem Knöchel. Strom fließt durch meine Fußfessel, verteilt sich in meinem gesamten Körper und bringt mich zum Beben. Intuitiv will ich danach greifen, damit das Brennen aufhört. Ruckartig wird mein Kopf an den Haaren nach hinten gezogen. Ich greife nach den Händen, die fest an meiner Kopfhaut ziehen, und versuche damit, den Zug zu reduzieren. Ich blicke direkt in das hässliche Gesicht einer Wache oder wie die Menschen sie nennen – eines Hüters. Ich habe bis jetzt nicht begriffen, warum man sie Hüter nennt. Wen behüten sie? Uns oder die Menschen da draußen?

Meine Kopfhaut brennt, und auch der Schmerz im Bein lässt nicht nach. Seine Visage ekelt mich an, er ist ungepflegt und stinkt nach Zigaretten.

„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du das Essen aufessen und nicht damit spielen sollst?“

Ich versuche, den Schmerz wegzuatmen, habe damit aber nur mäßig Erfolg. Seine Hände drücken noch fester zu, ziehen meine Haare und meine Kopfhaut weiter nach hinten. Wenn die Hüter uns berühren, während sie Strom durch unsere Körper jagen, ziehen sie sich spezielle Handschuhe aus Gummi über die Hände, damit der Strom nicht auf sie geleitet werden kann.

Mein Kopf liegt unangenehm im Nacken, während der Strom meinen Körper vibrieren lässt.

„Antworte, Parame!“

Anfangs fand ich dieses Wort abscheulich. Eine Erfindung der Menschen, um den Dingen Namen zu geben, die sie nicht begreifen. Sie wollen uns damit kennzeichnen, markieren als etwas Anderes. Die Menschen brauchten schon immer für alles einen Begriff, um unerklärliche Dinge in das System einzugliedern. Parame steht für paranormale Menschen, und ich habe mich zwischenzeitlich daran gewöhnt. Ich sehe es nicht mehr als Schmähung, ich sehe es als das, was ich bin: ein Mensch, der gewisse Begabungen entwickelt hat.

„Nein.“

Ich befinde mich seit über zwei Jahren in dieser Einrichtung in Eschawin. Eschawin war meine Heimat, ich bin hier großgeworden, und es fällt mir noch immer schwer, mein Schicksal zu akzeptieren, diesen Scheiß hier zu akzeptieren. Ich möchte mich nicht beugen, nicht aufgeben. Es ist mir klar, dass der Hüter den Strom jetzt noch stärker stellen und noch fester an meinen Haaren ziehen wird. Innerhalb von zwei Jahren weiß man, was man hier zu erwarten hat.

Die Bestrafung lässt nicht lange auf sich warten, Tränen schießen mir in die Augen. Wieder schlägt Noah mit seinem Fuß gegen mein Bein, versucht, mich zur Vernunft zu bringen. Ich versuche angestrengt, zu ihm zu sehen. Da sich mein Kopf allerdings in einer eher unbequemen Position befindet, fällt mir das momentan etwas schwer. Ich verstehe Noah, er weiß genauso gut wie ich, was folgen könnte. Ungehorsam wird nicht toleriert und aufs Maximum bestraft. Sie werfen uns in einen dunklen Raum, lassen uns dort tagelang ohne jeden Kontakt zur Außenwelt in unserem eigenen Siff liegen. Ich bin nicht scharf darauf und entschließe mich daher zu antworten.

Das Gefühl des Ausgeliefertseins drängt sich in meinen Kopf und vernebelt meinen Geist. Ich war frei, ich war ein Mensch, der eigene Entscheidungen treffen konnte, sein Leben selbstbestimmt leben konnte. Jetzt bin ich nichts mehr davon. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut, es ist allgegenwärtig. Wut durchflutet meine Adern, fließt mit jedem Schlag meines Herzens noch intensiver durch mich.

„Ich lasse mich nicht gerne zu etwas zwingen!“, entgegne ich der Wache. Okay, verdammte Scheiße, warum kann ich nicht einfach den Mund halten? Ich kneife meine Augen zusammen, rechne mit einem Schlag ins Gesicht. Mein Atem geht unruhig, mein Puls steigt ins Unermessliche.

Abrupt werden meine Haare losgelassen, und ich spüre einen so harten Schlag auf meiner rechten Gesichtshälfte, dass mir für einen Moment schwarz vor Augen wird. Ich versuche, mich zu fangen und den Schwindel aus meinem Kopf zu vertreiben. Wie durch Nebel vernehme ich laute Rufe, sie mischen sich mit dem Klingeln in meinem Ohr und drängen sich dabei tief in meinen Kopf. Zuerst kann ich die Stimme nicht zuordnen, während ich angestrengt versuche, den Menschen dahinter zu erkennen. Das Klingeln in meinem Ohr nimmt ab, sodass ich wieder besser hören kann. Die Rufe werden lauter, so als käme die Person in meine Nähe. Diese Stimme gehört ganz eindeutig dem Direktor dieser Einrichtung, Mr. Ramian La Miel.

„Was ist hier los?“, fragt der Rektor mit tiefer Stimme. Ich kenne ihn nicht gut, er kommt ab und an vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, und verschwindet dann wieder. Es hat ihn bisher noch nie interessiert, wie es uns geht. Wir sollen kontrolliert, nicht behütet werden. Der Hüter versucht sich zu erklären, will gerade seinen Satz beginnen, aber der Rektor unterbricht ihn.

„Ich wollte meine Nichte nicht unbedingt direkt in Konfliktsituationen bringen.“

Nichte?! Habe ich mich da gerade verhört? Ich drehe meinen schmerzenden Kopf nach hinten, Richtung Eingangstür des großen Speisesaals. Rektor La Miel trägt wie immer einen Anzug, er ist groß und stattlich. Neben ihm geht eine zierliche junge Frau mit dunkelbraunen Haaren, welche ihr in sanften Wellen über die Schultern fallen und in der Mitte des Rückens enden. Sie kommen näher auf uns zu und bleiben direkt vor mir stehen. Ich kann den Blick nicht von ihr nehmen, sie ist hübsch, zweifellos. Sie hat braun-grüne Augen, wobei der Grünanteil höher ist. Ihr Gesicht wird von einzelnen Sommersprossen geziert, und ihre Lippen sind leicht rosa und voll, aber nicht zu voll. Ich bleibe wie paralysiert an ihr hängen, blicke ihr weiter in die Augen. Sie ist dabei, sich umzusehen, mustert die anderen Parame, während ich sie mustere.

Der Rektor sieht mich mit großen Augen an. Seine schwarzen Haare sind an den Seiten bereits grau und insgesamt etwas licht. Er trägt keinen Bart und ist perfekt rasiert, nicht ein Härchen ist zu sehen.

„Kian Navaan, richtig?“

Ohne eine Antwort zu geben, nicke ich. Ich habe keine Lust auf Konversation und will ihm das auch spüren lassen. Er könnte es allerdings mit Demut verwechseln, aber das ist mir im Moment egal. Es irritiert mich ein wenig, dass er meinen Namen kennt, aber das lasse ich mir nicht anmerken.

„Ich habe bereits einiges von dir gehört. Du sollst ziemlich rebellisch und unfolgsam sein. Aber keine Sorge, meine Nichte wird das in Ordnung bringen.“

Er wendet sich von mir ab und geht einen Schritt auf das Mädchen zu. Sie ist etwas jünger als ich, ich schätze sie auf etwa zwanzig. Wieder merke ich, wie ich an ihrem hübschen Gesicht hängen bleibe. Sie sieht mich das erste Mal an, seit sie bei mir stehen geblieben ist. Ihre Augen leuchten, das Grün durchdringt mich bis in die Tiefen meines Körpers. Es fühlt sich an, als reiße mich eine Lawine mit sich, ich bin nicht mehr fähig, mich an die Oberfläche zu kämpfen und verliere mich in ihrem Blick.

„Darf ich vorstellen, meine Nichte Luana La Miel. Ab sofort wird sie als Hüterin meiner Einrichtung arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass sie ihr Handwerk zu verstehen weiß. Es wird ihr nicht schwerfallen, unseren Mr. Navaan wieder in die Spur zu bringen, nicht wahr?!“

Mein Magen krampft sich unangenehm zusammen. Die Lawine ist dabei, mich vollkommen zu erdrücken, lässt mir keine Möglichkeit zu atmen. Eine Hüterin, eine Wache, eine ausführende Hand der Regierung, eine Feindin. Und dennoch sagt mir mein Gefühl etwas anderes, ich möchte sie weiterhin ansehen, suche nach einem Anhaltspunkt dafür. Ich sollte das nicht tun, sollte mich distanzieren und ihr zu verstehen geben, dass ich sie missachte.

Ich drehe mich zurück zu meinem Teller, stochere mit dem Löffel darin herum und versuche, meine Gedanken wieder in die Spur zu bringen.

„Entschuldigen Sie bitte, Rektor La Miel, Kian isst sehr schlecht, und ich habe mir Sorgen um sein Wohlbefinden gemacht. Sie kennen unsere Parame ja, es funktioniert nur mit ein klein wenig Druck.“

Er führt seine Hand vor seinen Kopf und macht diese Handbewegung. Er hält den Daumen und den Zeigefinger so übereinander, dass nur noch ein kleiner Spalt dazwischen bleibt.

Beide fangen schallend an zu lachen und geben uns das Gefühl, trainierte Affen zu sein. Ich verdrehe die Augen und esse still weiter. Der Rektor kommt direkt an mein Ohr, ich kann seinen Atem auf meiner Haut fühlen. Eiskalt läuft es mir den Nacken entlang, Gänsehaut überzieht meinen Körper. Ich möchte aufstehen, der Situation entkommen, und doch bin ich gezwungen, sitzen zu bleiben. Das ist einfach zu nah, sie haben es mir ausgetrieben, Menschen derart nah an meinen Körper zu lassen.

„Reiß dich zusammen, mein Freund. Du kennst die Konsequenzen.“

Sein Flüstern durchflutet meinen Kopf und unterstreicht seine Worte mit einer Härte, die ich körperlich spüren kann. Er geht einen Schritt zurück und bringt wieder Distanz zwischen uns. Ich blicke weiterhin stur in meinen Teller, starre auf den Haufen grauer Pampe. Er geht einen bedrohlichen Schritt auf den Hüter zu, seine Präsenz ist erdrückend.

„Bring den Jungen nach dem Essen direkt auf sein Zimmer, verstanden? Er soll verstehen, dass jede Handlung eine Konsequenz nach sich zieht. Wo kommen wir denn hin, wenn hier jeder tut, was er möchte?“

Ekel überkommt mich, reißt mich weiter in die Tiefe meiner Gedanken. Diese Welt ist so verdammt verkorkst. Ich muss mich regulieren, nicht vollkommen auszurasten. Schon immer waren mir Regeln und Kontrolle ein Dorn im Auge, schon immer habe ich meinen eigenen Willen durchgesetzt, so gut es ging. Aber das hier bringt mich an meine Grenzen.

„Jawohl, Rektor La Miel“, bestätigt der Hüter seine Aufgabe. Ich stelle mir einen kleinen Hund vor, der seinem Herrchen treu folgt und tut, was immer von ihm verlangt wird. Die Hüter hier sind genau das: kleine, folgsame Hunde. Schritte gehen in Richtung Ausgang, ich höre die Distanz, die sie zwischen uns bringen, und drehe mich noch einmal um. Ich sehe den beiden hinterher, sehe, wie der Rektor seiner Nichte den Vortritt lässt. Er zeigt mit der flachen Hand auf die Tür des Speisesaals und signalisiert ihr, voranzugehen. Sie ist seine Nichte, sie ist, was er ist. Ich schmecke Galle, fühle aufkommenden Ekel. Wie kann sie nur für diese Drecksäcke arbeiten? Wieder steigt Wut in mir auf, ein Gefühl, das ich zurzeit öfter spüre. Ich versuche, ruhig zu atmen, die Wut in den Griff zu bekommen. Die Gefangenschaft legt sich auf meinen Geist nieder, wie ein Schatten, dessen Dunkelheit allmählich alles einnimmt.

Die Innenwand des Speiseraums ist aus Glas, wir können von unseren Plätzen in den großen Hauptflur sehen. Ich starre weiterhin auf die Unbekannte und fühle dabei eine enorme Anziehung. Mein Blick bleibt auf ihr hängen, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Der Hüter geht einen Schritt auf mich zu und atmet unangenehm in meinen Nacken. Ich drehe mich zurück zu meinem Teller und versuche, den grauen Brei in mich hineinzustopfen. Noah sieht mich an, schlägt mir wieder gegen mein Schienbein. Er ist niemand, der sich alles gefallen lässt, aber meine Rebellion kann er auch nicht verstehen. Ich ignoriere ihn und kämpfe mit meinem Magen.

Ich schiebe gerade den letzten Löffel in meinen Mund, da werde ich grob am T-Shirt gepackt und nach oben gezogen. Wie vom Rektor befohlen, bringt mich der Hüter umgehend auf mein Zimmer, wobei „Zimmer“ eigentlich auch das falsche Wort ist. Die Menschen haben angefangen, nach Worten zu suchen, die Dinge schöner klingen lassen, dahinter verbirgt sich meist aber etwas völlig anderes.

Das vermeintliche Zimmer ist eine Gefängniszelle, deren Türen ausschließlich vom Personal geöffnet werden können. In der Zelle gibt es ein vergittertes Fenster, ein Waschbecken, eine Toilette und meistens zwei bis drei Betten. Seit ich hier bin, teile ich mir meine Zelle mit Noah Amaran. Wir haben uns hier kennengelernt und sind enge Freunde geworden. Wir fühlen den Schmerz des anderen, die Unterdrückung und das Gefühl der Machtlosigkeit, welches uns wie ein Virus zerfrisst. Nichts verbindet mehr, als gemeinsam dasselbe durchleiden zu müssen.

Persönliche Gegenstände besitzen wir nicht, auch keine persönliche Kleidung. Wir tragen Einheitskleidung in tristem Grau, eine Spezialanfertigung. Jedes Kleidungsstück ist aus speziellem Material, feuerfest, wasserundurchlässig, formstabil. Es ist unmöglich, diese Kleidung zu zerstören. Wir tragen einen Kapuzenpullover, darunter im selben Grau ein T-Shirt und eine Jogginghose, ebenfalls in Grau. Wenn ich früher das Gefühl hatte, wenig zu besitzen, wurde mir eindeutig schmerzhaft klargemacht, was es wirklich bedeutet, nichts zu besitzen. Ich sehne mich nach einem Kopfkissen, einer Decke, nach eigener Kleidung und nach Schokolade. Scheiße, verdammt, wie ich Schokolade vermisse. Manchmal schmecke ich sie noch auf der Zunge, bis ich feststelle, dass ich wieder mal im Tagtraum versunken bin.

Der Hüter packt mich am Oberarm, drückt so fest zu, dass ich spüre, wer hier der Chef im Ring ist. Wenn er könnte, würde er noch fester zudrücken. Er schmeißt mich grob in die Zelle, ich verliere fast den Boden unter meinen Füßen. Die Türen werden elektronisch, per Chip, geöffnet und geschlossen. Das sirrende Geräusch des Türschlosses drängt sich in den Vordergrund. Ich bin bereits darauf konditioniert. Wut steigt in mir auf wie loderndes Feuer. Ich bin ständig damit konfrontiert, zu akzeptieren, Grenzen einzuhalten und dabei nicht durchzudrehen.

Ich stecke fest in meiner Emotion, meiner Wut und Frustration. Wenn ich mich so fühle, brauche ich den Blick ins Freie. Meine Beine bewegen sich wie von selbst, gehen auf das kleine Fenster zu. Von hier aus kann ich direkt auf den Hof sehen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal vor einem vergitterten Fenster in einen noch extremer vergitterten Hof sehen würde. Ich bleibe stehen, versuche mich zu beruhigen und den Druck von meiner Brust zu nehmen. Um diese Zeit befinden sich ausschließlich Wächter auf dem Hof; uns ist es nur einmal täglich erlaubt, ins Freie zu gehen. Ich genieße diese Momente dann sehr, dort kann ich für einen kurzen Moment wieder Energie tanken. Ich sehe nach oben, sehe den blauen Himmel über mir. Es könnte so einfach sein, ist es aber nicht. Es reicht, wenn ich meinen Blick ein Stück senke, um wieder in der Realität zu sein. Mauern, Gitter, Stacheldraht. Es ist ein Sinnbild für alles, was gerade auf der Welt passiert. Ändere deinen Blickwinkel nur um eine Nuance, und du siehst den Himmel über dir.

Die Menschen werden durch das Erscheinungsbild unserer Einrichtung massiv manipuliert. Man will ihnen glauben machen, dass wir es sind, die beschützt werden müssen. Mauern funktionieren in beide Richtungen; es kommt nur darauf an, von welcher Seite man sie betrachtet. Wird im Zoo der Löwe vor den Menschen oder die Menschen vor dem Löwen geschützt? Die Gitterstäbe selbst geben darüber wenig Aufschluss; es ist der menschliche Geist, der das entscheidet. In meinem Fall ist es Bullshit zu glauben, wir wären die Beschützten. Vielleicht mag die Menschheit nicht sehen, wie so viele Dinge, die hier passieren, aber wir werden eingesperrt wie Tiere. Die Fußfesseln, die wir tragen, verhindern, dass wir unsere Kräfte einsetzen können. Sie funktionieren ähnlich wie ein Blitzableiter; sobald unsere Energie einschlägt, wird sie durch die Fußfessel abgeleitet. Wir haben keine Chance, unsere Kräfte zu nutzen, solange wir diese Dinger tragen. Sie haben Angst vor uns, Angst vor unseren Kräften und deren Auswirkungen, und was passiert, wenn Menschen Angst haben? Sie versuchen zu kontrollieren. Also haben sie beschlossen, uns zu jagen und in die Archen zu bringen. Arche... wieder ein Wort der Täuschung, ein Wort, das Sicherheit suggerieren soll. Doch es ist nun mal, was es ist: ein Ort, an dem wir unterdrückt und gefangen gehalten werden.

Wieder denke ich mich in Rage; Wut steigt in mir auf. Ich versuche, das beengte Gefühl zu erdrücken, konzentriere mich auf meinen Atem und die Worte in meinem Kopf. Ich bin mir sicher, irgendwann werden sie es tausendfach zurückbekommen. Wenn wir nicht kontrollierbar sind, gibt es Konsequenzen, immer. Ich denke an diese neue Hüterin, sie geht mir nicht aus dem Kopf. In meinem früheren Leben, als ich noch kein Parame war, habe ich öfter schöne Frauen gesehen. Aber bei ihr ist es etwas anderes, es ist ein Gefühl, welches ich nicht beschreiben kann. Es ist, als würde ich sie kennen, gut kennen sogar. Sie ist die erste weibliche Hüterin in Eschawin, in dieser Arche. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie sich durchzusetzen versucht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie eine Chance gegen einen Parame hätte. Auch wenn wir unsere Kräfte nicht nutzen können, sind wir doch alle stärker als die Menschen. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde, sollte sie sich nicht durchsetzen können. In mir keimt das Gefühl, sie schützen zu wollen. Wütend schiebe ich den Gedanken beiseite, versuche, ihm keine Macht über mich zu geben. Ich sollte mich um andere Dinge kümmern, anstatt mir Sorgen um jemanden zu machen, den ich weder kenne noch kennen möchte.

Wieder dringt das Sirren des Türschlosses an mein Ohr und verursacht eine Gänsehaut. Ohne jegliche Erwartung drehe ich mich Richtung Tür und sehe dabei zu, wie Noah in die Zelle geschoben wird. Sein linkes Auge ist stark geschwollen und seine Haut an der Schläfe aufgeplatzt. Die Tür fällt lautstark ins Schloss, das Sirren manipuliert meinen Geist.

„Was ist passiert?“, frage ich besorgt. Noah fasst sich angespannt ins Gesicht. Er sieht wütend und zerstreut aus, wischt sich das Blut von seiner Schläfe und putzt es an seiner Hose ab.

„Dieser verdammte Drecksack. Wenn die nicht ihre Wut unmittelbar an einem von uns auslassen können, ist direkt der nächste dran.“

„Ist nichts Neues. Ist es auszuhalten?“

„Werd’s überleben.“

Noah ist einen guten Kopf kleiner als ich. Er ist stark, keine Frage, aber jeder Schlag trifft ihn doppelt so hart wie mich. Ich würde ihm gerne ein kaltes Tuch auf sein Auge legen, aber wir haben nichts in unseren Zellen, das ich umfunktionieren könnte. Ich ziehe mein T-Shirt aus, gehe zum Waschbecken und lasse kaltes Wasser darüber laufen.

„Bist du irre? Die bringen dich um, wenn die das sehen.“

„Schon gut, eine Hand wäscht die andere. Leg dich hin.“

Ich drücke ihm mein nasses T-Shirt in die Hand und gehe zurück ans Fenster. Wieder sehe ich nach oben, sehe in das Blau des Himmels. Ich atme ruhig weiter, unterdrücke die Wut, das Fenster nicht öffnen zu können. Die anderen müssten Hofgang haben. Ich denke, dass Noah und ich den restlichen Tag in der Zelle bleiben müssen.

„Eines Tages werden sie für ihren Größenwahn bezahlen müssen. Die Welt müsste vor diesen Arschlöchern geschützt werden, nicht vor uns“, raunt Noah. Er hält sich mein T-Shirt an das geschwollene Auge und starrt an die Decke. Ich sehe seine Wut und fühle seinen Schmerz.

„Irgendwann werden sie dafür bezahlen, ganz bestimmt.“

2. Lu

Mein Onkel zieht mich durch den gesamten Trakt. Er ist stolz darauf, das spüre ich in jedem seiner Worte widerhallen. Ich hänge noch immer meinen Gedanken hinterher und komme nicht los davon. Die Parame waren alle vollkommen still, saßen bewegungslos an ihren Tischen wie Geister. Sie wirkten abwesend, so als wären sie in einer vollkommen anderen Welt gefangen. Ich versuche mir einzureden, dass sie noch schlaftrunken waren oder einfach nicht miteinander sprechen. Aber etwas in mir glaubt dem nicht, will meinen eigenen Erklärungen nicht trauen.

Ich folge stillschweigend meinem Onkel, begutachte dabei die Arche und versuche mir alles genau einzuprägen. Das Gebäude ist groß, es gibt einen Speisesaal, ein Bürogebäude, einen Krankenflügel, einen großen Hof und etliche Zimmer für die Parame. Im Erdgeschoss befindet sich der Speisesaal, der Krankenflügel, ein Aufenthaltsraum für die Parame und ein abgesperrter Bereich, den ich später erst sehen soll. Eine Treppe im offenen Bereich des Erdgeschosses führt in den ersten Stock. Dort sind die Zimmer der Parame, der Aufenthaltsraum der Mitarbeiter und die Büroräume. Wir gehen die Treppe nach oben. Das Eisengeländer ist kalt unter meinen Fingern. Ich sehe meinen Onkel an; voller Stolz sieht er in meine Richtung. Er war schon immer einer der erfolgreichsten Geschwister meines Vaters. Er sieht ihm ähnlich, die grünen Augen und die sonnengeküsste Haut. Nach dem Treppenabsatz wenden wir uns nach rechts, die Türen der Zimmer erstrecken sich jeweils rechts und links vom Mittelgang. Sie sind alle geöffnet und ich werfe beim Vorbeigehen verstohlen einen Blick hinein. Mein Magen zieht sich eigenartig zusammen, das hatte ich nicht erwartet. Die Zimmer wirkten keineswegs wohnlich, trist und grau trifft es eher. Ich kann beim Vorbeigehen nicht den kompletten Raum erkennen, aber was ich sehe, gleicht eher einer Gefängniszelle. Ungläubig verringere ich meine Geschwindigkeit, gehe langsamer und starre in die Räume. Ich versuche mir zu erklären, weshalb das so ist. Plötzlich ist da diese eine Tür, die geschlossen ist. Ich fühle eine seltsame Präsenz, als würde mich ein Schleier umgeben. Er legt sich um mein Herz und fühlt sich dabei eigenartig erdrückend an. Mein Onkel reißt mich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.

„Luana. Bitte nicht stehen bleiben.“

Ich schließe wieder bei ihm auf, gehe Schritt für Schritt hinter ihm her. Wir gehen den langen Gang entlang bis ganz nach hinten. Ein kräftiger Mann in schwarzer Kleidung steht mit verschränkten Armen vor einer massiven Metalltür. Ich versuche, sein Gesicht zu lesen, seine Emotionen darin zu erkennen. Das tue ich bei jedem Menschen. Ich bin nicht gut darin, fremden Menschen mein Vertrauen zu schenken, aber ich bin gut darin, ihre Gesichtszüge zu deuten. Der Mann hält uns ein kleines Gerät entgegen. Es hat Ähnlichkeit mit einem Handy, ist aber etwas größer. Mein Onkel streckt seinen Arm aus, zieht den Ärmel seines Hemdes etwas zurück und legt sein Handgelenk direkt auf das Gerät. Erst jetzt fällt mir auf, dass er eine Art Armband aus Silikon trägt. Ich bleibe weiterhin auf die Situation konzentriert, versuche, jedes Detail in mich aufzusaugen. Ein unangenehmes Piepsen ertönt, der Typ zieht das Gerät wieder zu sich und starrt für einen kurzen Moment darauf. Ohne ein weiteres Wort an uns zu richten, öffnet er die Metalltür und gibt uns den Weg frei.

„Dieser Bereich ist das Kontrollzentrum. Hier findest du alle Daten zu jedem einzelnen Parame. Von hier aus wird alles gesteuert und geregelt. Deshalb ist dieser Bereich bewacht und abgeschlossen“, beantwortet mein Onkel die unausgesprochene Frage. Wir gehen durch die Tür, hinein in einen großen Raum voller Computer und Bildschirmen. Menschen sitzen davor und starren fokussiert darauf. Lärm dringt an meine Ohren, es wird wild durcheinander gesprochen. Ich versuche, mich auf einzelne Gespräche zu konzentrieren, aber die Worte verlieren sich in der Masse. Der Raum erinnert mich an eine Schaltzentrale. Wir stehen auf einer Empore, die Plätze der Mitarbeiter gehen wie eine Tribüne nach unten. Mein Blick bleibt geradeaus auf einem riesigen Monitor hängen; dort ist die komplette Arche zu sehen. Der Speisesaal, der Aufenthaltsraum, der Hof und jeglicher Bereich, in dem die Parame gesehen werden sollen. Es fühlt sich eigenartig an und hinterlässt einen bitteren Beigeschmack in mir. Weshalb ist das notwendig? Weshalb ist diese Art der Überwachung notwendig?

Ich spüre den eindringlichen Blick meines Onkels auf mir und höre seinen tiefen Atemzug. Als er mich anlächelt, erkenne ich den Stolz in seinen Augen, was in mir ein zwiespältiges Gefühl auslöst. Davon wurde nie ein Wort gesprochen, kein einziges Mal hat er das erwähnt. Niemand sollte derart überwacht und in seiner Privatsphäre eingeschränkt werden. Immer noch versuche ich, wie benommen den Grund dafür zu erkennen und meine Gedanken zu beruhigen. Es muss dafür einen Grund geben, es muss einfach. Ich versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren und die aufkommende Panik durch gute Gefühle zu ersetzen.

„Lass uns hinuntergehen, ich möchte dich jemandem vorstellen“, ruft Ramian über den Lärm hinweg. Ich folge ihm die Treppen nach unten. Wir bleiben etwa in der Mitte der Tribüne stehen und biegen in die rechte Reihe ab. Wir gehen den Mittelgang ein Stück entlang und bleiben schließlich vor einem der Arbeitsplätze stehen. Eine junge Frau, etwa in meinem Alter, sitzt auf ihrem Stuhl und telefoniert. Sie trägt ein Headset und starrt angespannt auf den Bildschirm vor sich. Ihre Mimik lässt darauf schließen, dass sie gerade eine hartnäckige Diskussion führen muss. Wieder sehe ich nach vorn auf den großen Monitor, sehe die Parame im Hof stehen. Sie unterhalten sich miteinander, aber ich kann nicht hören, was sie sagen. Ich sehe den leeren Speisesaal, den leeren Aufenthaltsraum und den leeren Hauptflur. Weshalb sind alle im Hof? Die Stimme der Frau vor mir wird lauter, was meine Gedanken stört. Ich schaue vom Monitor auf und konzentriere mich nun auf sie. Etwas scheint sie wirklich zu stören.

„Nein, das geht so nicht. Ich habe es dir bereits gesagt, die beiden können dort nicht den ganzen Tag bleiben… Nein, hör doch zu, Joe... das Training kann auf keinen Fall ausgesetzt werden… Schluss jetzt, hol die beiden später dazu, kein Widerwort.“

Sie klickt seitlich auf das Headset und dreht sich in unsere Richtung. Ihre blauen Augen haben die Farbe des Meeres, sie hat rote Haare und Sommersprossen. Sie trägt ihr lockiges Haar zu einem Pferdeschwanz, der ihr bis zu den Schultern geht. Selten habe ich eine derartige Aura gespürt, ein Charisma, das mich vollkommen umzuwerfen droht. Ihre Souveränität ist beeindruckend, ihr Aussehen absolut einzigartig; etwas an ihr gibt mir Ruhe und Frieden. Sie steht auf und streckt meinem Onkel ihre Hand entgegen.

„Mr. La Miel, es ist mir eine Ehre.“

„Miss Ophier, freut mich, Sie in Aktion zu sehen. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus; in Sachen Durchsetzungsvermögen soll Ihnen wohl keiner etwas vormachen können. Worum ging es eben?“

Ich sehe zwischen den beiden hin und her und bin stille Beobachterin eines Moments. Ihre roten Locken bewegen sich sanft über ihre Schulter, während mein Onkel vor Ausstrahlung strotzt.

„Zwei Parame wurden nach dem Frühstück auf ihre Zimmer gebeten. Joe möchte sie für heute dort lassen, aber das Training sollte auf keinen Fall ausgesetzt werden“, trällert sie sanft.

„Sehr gut, das ist die einzig richtige Entscheidung. Ich sehe, Sie haben Ihren Bereich im Griff. Ich würde Ihnen hiermit meine Nichte Luana La Miel übergeben. Wir hatten ja darüber gesprochen.“

Ihr Blick geht in meine Richtung, die meeresblauen Augen sehen mich an, durchdringen mich. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe; was sie ausstrahlt, strahlt direkt in meine Seele. Sie nimmt ihre Hand nach oben und hält sie mir entgegen.

„Hi, ich bin Renata. Wir nennen uns hier alle ausschließlich beim Vornamen, dein Onkel ist da eine absolute Ausnahme.“

Wir drehen uns beide in seine Richtung und sehen in ein zufriedenes Gesicht. Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und geht. Ich sehe ihm für einen kurzen Augenblick hinterher, versuche zu fühlen, was ich als Kind für ihn gefühlt habe. Diese Distanz zwischen uns wird wohl für immer bleiben; Emotionalität war noch nie sein Ding. Meine Gedanken driften ab, der Lärm der Zentrale nimmt mich ein. Ich schüttele meinen Kopf, versuche, mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und widme mich wieder Renata.

„Hi, ich bin Lu.“

„Willkommen, Lu. Schön, dass du da bist. Setz dich zu mir, ich werde dir ein bisschen von meiner Arbeit zeigen.“

Ich setze mich auf den freien Stuhl neben ihr und blicke in die vor uns aufgebauten Bildschirme. Auf einer der beiden Seiten ist eine Tabelle zu sehen, auf der anderen ein System, das einige Namen zeigt. Renata sieht mich an und deutet auf die Bildschirme.

„Das erkläre ich dir später, erst mal erhältst du jetzt das notwendige Grundwissen. In unserer Einrichtung werden ausschließlich Parame im Alter zwischen fünfzehn und dreißig Jahren untergebracht. Es gibt Archen für unterschiedliche Altersgruppen; wir haben uns für dieses Alter entschieden. Parame in diesem Alter sind noch sehr lernfähig und können bei richtigem Training gut in ihre Aufgaben eingeführt werden. Wir haben hier die weltweit besten Trainer angestellt, was unsere Einrichtung zu einer der besten der ganzen Welt macht.“

Ihr Blick ist stark, es wirkt, als könnte sie mir in die Seele sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie auf eine Reaktion von mir wartet oder ob sie mich einfach nur intensiv ansieht. Wieder tauche ich in dieses tiefe Blau ein und bleibe darin hängen.

„Jeder Parame wird bei Ankunft durch mehrere Teststationen geschickt. Wir nehmen dort die kompletten Daten auf, den Gesundheitszustand, das Geschlecht, den Namen, das Alter und all diese Dinge. Die Fähigkeiten der Neuankömmlinge werden natürlich auch ins System aufgenommen, aber sie werden vorher noch einer von vier Gruppen zugeteilt.“

Sie weckt damit meine Neugierde. Ich habe bislang noch nie davon gehört, dass es eine Aufteilung in unterschiedliche Gruppen gibt. Im Moment kann ich mir auch nicht erklären, welchem Zweck das dienen könnte, wofür eine Gruppierung nötig sein soll. Renata deutet meinen Blick offenbar genau richtig, sieht die Frage in meinem Kopf schwirren und beantwortet sie.

„Lu, die Fähigkeiten der Parame sind sehr unterschiedlich. Dabei unterscheiden sie sich nicht von uns; jeder hat eine unterschiedlich ausgeprägte Stärke in verschiedenen Dingen. Wie auch bei den Menschen gibt es bei den Parame stärkere und weniger starke Fähigkeiten. Stell dir vor, einer von ihnen hätte die Fähigkeit, nur durch einen Blick zu töten. Das Gefahrenpotential dahinter ist enorm und muss von uns kontrolliert werden. All diejenigen, die vergleichbare Kräfte besitzen, werden der Sektion eins zugeordnet und müssen von uns mit besonderer Sorgfalt trainiert werden. Die Parame dieser Sektion sind stärker, schlauer, haben bessere Grundbedingungen, um ihre Gaben gekonnt einzusetzen. Sie sind quasi die Supernova. Sie sollen ihre Fähigkeiten kontrollieren können und es ist unsere Aufgabe, es ihnen beizubringen. Genau das passiert in den Trainings; dort dürfen sie ihre Fähigkeiten gezielt trainieren. Das wird man dir aber noch zeigen.“

Bislang habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich kenne bei Weitem nicht alle Fähigkeiten, und der Bruchteil, den ich kenne, gehört mit Abstand nicht in diese Gruppierung. Da die Parame allesamt in den Archen leben, bin ich bislang keinem von ihnen begegnet. Aber ich kann und will mir nicht vorstellen, dass sie versuchen würden, uns zu töten. Es gibt dafür keinen Grund; wir beschützen sie, bieten ihnen Heimat und Sicherheit vor den Menschen. Weshalb sollte man diejenigen angreifen, die einem helfen wollen? Dieser Gedanke fühlt sich eigenartig an, so surreal.

„Wie läuft so ein Test ab? Ich meine, zeigen die Parame freiwillig ihre Fähigkeiten? Wissen sie von den Gruppierungen?“

Ich möchte es verstehen, möchte wissen, womit ich es zu tun habe. Meine Aufmerksamkeit hängt an Renatas Lippen wie klebriger Honig.

„Nein, sie wissen nichts davon, kennen weder ihre eigene Gruppe noch die der anderen. Die Gruppierung wird im System und auf den Transpondern am Handgelenk gespeichert. Das heißt, dass nur die Mitarbeiter diese Information sehen können und sollen. Und nein, die meisten zeigen ihre Fähigkeiten nicht freiwillig, aber Sturheit wird ihnen dann durch Wut ausgetrieben.“

„Was meinst du damit?“

Wieder überkommt mich dieses Gefühl. Renata sieht mich mit festem Blick an, so als wolle sie mir etwas mitteilen, ohne es auszusprechen.

„Sie werden provoziert, geschlagen, angeschrien, und die meisten reagieren unkontrolliert. Sie verteidigen sich mit ihren Fähigkeiten, und schon können wir es entsprechend gruppieren.“

Sie dreht sich von mir weg und richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Bildschirme direkt vor uns. Ihr Parfüm riecht angenehm nach frischen Blumen und Sommer. Sie tippt im System einen Namen ein und deutet mit dem Zeigefinger darauf, zeigt mir, dass ich hinsehen soll.

„Hier steht der Name, daneben das Geschlecht, das Alter und direkt danach die Gruppierung.“

Ich sehe hinter dem Alter eine weitere Zahl. Die drei ist nicht hervorgehoben, nicht farblich gekennzeichnet, nicht größer geschrieben als der Rest. Diese Zahl bedeutet so viel und ist an Unscheinbarkeit nicht zu übertreffen.

„Es gibt also vier verschiedene Sektoren. Eins bis vier, wobei vier die gewöhnlichsten Fähigkeiten definiert und eins die ungewöhnlichsten Fähigkeiten“, erklärt Renata weiter.

Sie sieht mich an und wartet auf eine Reaktion, welche ich ihr aber nicht geben kann. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich empfinde es als notwendig, dass die Kräfte durch spezielle Trainingseinheiten kontrolliert werden, aber eine Gruppierung erscheint mir nicht richtig. Wir teilen die Menschen von den Parame und die Parame untereinander nochmals? Wieso versuchen wir ständig, Unterschiede zu finden und Dinge danach zu bewerten? Ich gehe deshalb weiter auf ihre Erklärung ein, entscheide mich gegen eine erzwungene Reaktion.

„Mit ungewöhnlich meinst du tödlich.“

Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage. Renata nickt, ihr Blick ist ausdruckslos und ihre Gedanken scheinen zu kreisen. Ich frage mich, weshalb ein Ort, der eigentlich als Schutz dienen soll, Sektionen benötigt, um die Gefährlichen von den nicht Gefährlichen zu unterscheiden. Sollten hier nicht alle gleich sein? Ist es nicht unsere Aufgabe, sie zu beschützen?

Ich wollte meinem Onkel diesen Gefallen nicht abschlagen, wollte ihn in seiner Arbeit unterstützen, Teil davon werden. Im Moment fühlt es sich allerdings seltsam an, hier zu sein. Meine Eltern haben mir so oft von den Archen erzählt, dem Schutz, den wir dadurch bieten können, die Gemeinschaft, die wir stärken. Die anderen Dinge haben sie mir verschwiegen. Renata sieht mich nicht an, starrt weiter auf die Bildschirme vor ihr. Es scheint so, als wäre ihr die Situation unangenehm, so als wolle sie flüchten und könne es nicht. Sie senkt ihren Blick und spricht jetzt leiser.

„Aber keine Sorge, sie können dir nichts tun. Alle tragen ausnahmslos Fußfesseln. Alle Hüter können darüber Strom in unterschiedlichsten Stärken fließen lassen. Ein Knopfdruck per Fernsteuerung und man bringt sie zum Schweigen. Die Fesseln nehmen ihnen jegliche Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu nutzen.“

Ich versuche zu verstehen, weshalb sie dabei ihren Kopf gesenkt hält. Die Worte hallen in mir wider und verursachen ein bedrückendes Gefühl. Strom als Bestrafung? Das war niemals Bestandteil meiner Ausbildung, niemals Teil der Aufklärung und ist absolut grausam. Ich versuche zu verstehen, weshalb sie das tun, weshalb sie ihnen die Fähigkeiten nehmen und dadurch extrem schwächen. Es wäre so, als würde man uns die Augen verbinden. Was nutzt einem Menschen sein Augenlicht, wenn es ihm nur temporär erlaubt wird zu sehen? Man würde aus diesem Menschen einen halben, nicht richtig funktionierenden Menschen machen. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren, sie zu ordnen und neu aufzustellen. Renata meinte, dass alle Daten auf den Transpondern gespeichert werden. Ich denke, dass sie damit die Armbänder meint. Ich möchte mich aber nochmals vergewissern, ob meine Annahme richtig ist und meine Gedanken in eine andere Richtung lenken.

„Renata, du hast erwähnt, dass die Daten alle auf den Transpondern gespeichert sind. Du meinst diese Armbänder, die hier alle tragen?“

„Richtig.“

Sie macht eine kurze Pause und schiebt ihre Bluse an den Ärmeln nach oben. Sie streckt mir ihren Arm entgegen und zeigt mir das Band. Es ist am linken Handgelenk und eher unscheinbar. Der Transponder ist mittig in das graue Silikonband eingearbeitet und steht ein klein wenig nach oben ab.

„Dort sind alle Daten gespeichert. Die Mitarbeiter haben dadurch entsprechend Zugang zu allen Räumlichkeiten und die Möglichkeit, immer zu sehen, welcher Sektion der jeweilige Parame zugeordnet ist. Du wirst später auch noch so ein Schmuckstück bekommen; zuerst muss ich allerdings noch deine Daten aufnehmen. Diese werden dann gespeichert und später mit deinem persönlichen Armband konfiguriert.“

Sie nimmt meine Daten auf, ohne mit der Wimper zu zucken. Es interessiert sie offenbar nicht, wie alt ich bin, wie mein Familienstand ist oder mit wem ich verwandt bin. Sie macht ihren Job, und den macht sie offensichtlich gut. Sie öffnet ihre Schreibtischschublade und holt ein kleines elektronisches Gerät heraus. Dann schnappt sie sich meinen Daumen und presst ihn auf das Gerät. Natürlich ist mir sofort klar, dass sie hier gerade meinen Fingerabdruck speichert. Es fühlt sich seltsam an, alles von sich preiszugeben, vollkommen durchsichtig zu sein. Ich möchte nicht widersprechen, möchte meinem Onkel keinen Ärger machen. Dennoch fühle ich mich nicht gut dabei und sehe fragend zu Renata.

„Keine Sorge, das gehört zum normalen Ablauf, nichts Dramatisches.“

„Wunderbar“, antworte ich sarkastisch. Für einen Wimpernschlag glaube ich, dass sie meinen Sarkasmus bemerkt hat. Ihre Augen treffen meine, verweilen kurz, bevor sie wieder auf meinen Finger zurückkehren. Sie lässt meine Hand los und tippt noch einige Male auf der Tastatur. Ich sehe ihr dabei zu und fokussiere mich auf ihre Hände. Sie hat schöne Hände, lange Finger und trägt pinken Nagellack.

„Wir werden jetzt zu Wago gehen. Er ist dein direkter Vorgesetzter und Ansprechpartner für die Arbeit an den Parame. Du kannst dich dann immer an ihn wenden, wenn du dazu Fragen hast. Wenn du allerdings mehr über das Programmieren wissen möchtest, dann kannst du dich natürlich gerne an mich wenden.“

Sie lächelt mich an, ihre meeresblauen Augen richten sich auf mich. Plötzlich überkommt mich wieder dieses angenehme Gefühl, das meinen Körper durchflutet und sich so vertraut anfühlt. Wir warten einen Moment, bis der Drucker alle Seiten ausgespuckt hat. Renata nimmt den Stapel, heftet ihn zusammen und reicht ihn mir.

„Hier sind alle wichtigen Informationen zusammengestellt: Was im Notfall zu tun ist, meine Kontaktnummer sowie die Nummern der Mitarbeiter im Kontrollzentrum und im Krankenbereich. Wenn du außer zum Programmieren noch Fragen hast, kannst du dich jederzeit gerne an mich wenden.“

„Das mache ich, danke, Renata.“

Sie steht auf, geht an mir vorbei und bleibt im Mittelgang stehen. Als sie sich zu mir umdreht, strahlt sie mir freundlich entgegen. Ihre roten Locken fallen wie ein Wasserfall über ihre Schultern, und ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden. Renata ist etwas größer als ich und vermittelt eine Mischung aus Feminität und Stärke.

„Na komm schon, dir entgeht etwas, wenn du Wago nicht kennenlernst.

Ich stehe auf, gehe auf sie zu und lasse mich von ihrer fröhlichen Art mitreißen. Es ist, als würde ich gleiten; es fühlt sich so leicht an, in ihrer Nähe zu sein.

***

Wir verlassen das Kontrollzentrum und gehen die Treppe hinunter, durch den langen Gang und vorbei an den Zimmern der Parame. Sofort fällt mir auf, dass die zuvor geschlossene Tür jetzt offen steht. Plötzlich treten zwei Parame aus dem Zimmer und stellen sich reglos neben die Tür. Ich beobachte das Geschehen mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Schrecken. Die Parame wirken angespannt, und Abneigung spiegelt sich in ihren Gesichtern. Ein mittelgroßer Mann steht vor ihnen und mustert sie. Er strahlt so viel Macht aus, dass ich mich dafür schäme. Unbehagen überkommt mich und zerrt an meinem Geist. Es fühlt sich an, als wäre ich Zeuge eines Demutsrituals, einer Unterwerfung. Einer der beiden kommt mir bekannt vor; ich habe sein hübsches Gesicht schon einmal gesehen. Es dauert einen Moment, bis ich erkenne, um wen es sich handelt: Der Junge aus dem Speisesaal von heute Morgen. Ich suche in meinem Kopf nach seinem Namen, während ich von einer starken Präsenz erfasst werde. Plötzlich ist der Name da, als würde mir jemand zuflüstern: Kian. Er steht einfach da, sein Kopf ist gesenkt, seine Arme hängen schlaff an seinem Körper. Er bewegt sich nicht. Ich sehe, wie er versucht, seine Hände zusammenzunehmen und mit seinen Fingern zu spielen, aber der Hüter gestattet ihm diese Bewegung nicht und schlägt seine Hände auseinander. Wut durchflutet meinen Körper und erfüllt jede Zelle. Ich möchte ihn anbrüllen, ihm sagen, er solle sofort aufhören, aber etwas hält mich zurück. Es kommt mir vor, als würde die Situation im Zeitraffer ablaufen. Meine Augen bleiben an Kian hängen, durchdringen ihn. Er ist groß, größer als sein Zimmergenosse, der mit einem geschwollenen Auge brav neben ihm steht – natürlich reglos. Kian hat dunkles, nicht ganz schwarzes Haar, das ihm leicht lockig ins Gesicht fällt. Er trägt ein graues T-Shirt, wie alle Parame, und ich bemerke, dass es an seinem Bauch nass ist. Der Hüter nutzt die Situation schamlos aus und genießt es, die Oberhand zu haben. Ekel schürt den Drang in mir, ihn anzubrüllen. Es scheint, als würde Kian meine Präsenz spüren, denn er hebt den Kopf und sieht mich an. Er bemerkt meinen Blick, der zweifellos an ihm haftet. Wir gehen so nah an ihm vorbei, dass ich direkt in seine Augen sehen kann. Mein Atem stockt, mein Puls rast und droht, meine Gedanken zu verraten.

In meinem gesamten Leben habe ich noch nie eine schönere Augenfarbe gesehen. Gefesselt starre ich ihn an und überlege, wie ich diese Farbe beschreiben könnte. Es gibt keinen passenden Namen dafür, denn sie liegt weit außerhalb der Norm. Ich suche in meinen Gedanken nach Dingen, die diese Farbe haben könnten. Ich denke an die Abende mit meinem Vater, an seltene Momente des Familienglücks, als seine Hand nach einem Getränk griff. Ich sehe die goldbraune Flüssigkeit, wie sie in Wellen durch das kleine Glas fließt – Whisky. Kian hat whiskyfarbene Augen. Ich bin völlig in den Bann dieser Augen gezogen und habe das Gefühl, mich darin zu verlieren. Eine Wärme umhüllt meinen Geist und sorgt für absolute Zufriedenheit. Es fühlt sich an, als würde ich ihn kennen, als wären wir uns schon einmal begegnet. Mein Herz schlägt schneller, als wäre es kurz davor, mir aus der Brust zu springen. Wenn ich ihn ansehe, fühle ich mich, als wäre ich zu Hause, als würde mich eine warme Geborgenheit umgeben. Wie kann sich jemand Fremdes so sehr nach Heimat anfühlen?

Meine Gedanken schweben und füllen meinen Geist mit einem atemberaubenden Gefühl. Was in aller Welt geschieht hier? Ich zucke zusammen, als Kian sich voller Schmerz den Bauch hält und sich gekrümmt vornüberbeugt. Der Hüter hat ihm mit der Faust direkt in den Magen geschlagen.

„Kopf runter, bis ich etwas anderes sage.“

Als hätte der Schlag mir gegolten, gehe ich mit großen Schritten auf den Hüter zu. Ich möchte ihm mitten ins Gesicht schlagen, ihn in die Knie zwingen. Renata packt mich am Handgelenk, sieht mir in die Augen und schüttelt still den Kopf. Sie gibt mir das Zeichen, nicht weiterzugehen. Ungebändigte Wut fließt durch mich und hindert mich am rationalen Denken. Sie zieht mich weiter, ohne mir die Chance zu geben, etwas gegen dieses Gefühl zu unternehmen. Ich sehe Kian hinterher; wieder senkt er seinen Blick und begibt sich in Demut. Es ist meine Schuld, dass er geschlagen wurde; ich habe das verursacht. Ich versuche, meinen Atem zu beruhigen und die aufkommenden Tränen wegzukämpfen. Dieses Gefühl ist derart stark, dass es mich selbst erschreckt. Ich kenne ihn nicht, und doch fühlt es sich an, als hätte man mir mitten in den Magen geschlagen.

Ich bin gezwungen, Renata zu folgen; sie hält mich fest am Handgelenk und zieht mich weiter vorwärts. Ich hätte Kian noch stundenlang ansehen können, ihn und seine whiskyfarbenen Augen.

***

Ich kämpfe mit meinen Gedanken und versuche, aus dem Chaos zu entkommen. Was passiert hier? Wo bin ich gelandet? Weshalb gehen sie so mit den Parame um? Ich beiße mir auf die Zunge und behalte meine Gefühle für mich. Vielleicht war das eine Ausnahme, vielleicht handelt es sich um einzelne Hüter, die ihren Job zu ernst nehmen. Oder es ist eine abscheuliche Art, mit den Parame umzugehen. Ich weiß es nicht und bin in meinem Kopf gefangen, ohne einen Ausweg zu finden.

Ich folge Renata zu einer weiteren massiven Metalltür. Es steht keine Wache davor, lediglich ein kleiner grauer Kasten verhindert das unbefugte Eindringen. Renata zieht ihren Ärmel am linken Handgelenk nah oben und hält ihren Arm mit dem Transponder vor das Gerät. Nach ein paar Sekunden höre ich ein Sirren, gefolgt von dem Klicken eines Türschlosses. Renata zieht die Metalltür am Knauf nach außen auf. Sie hat auf dem gesamten Weg kein Wort mit mir gesprochen und die Situation vollkommen ignoriert. Ich bin mir nicht sicher, wie sie dazu steht. Ich bin umgeben von Menschen, denen ich nicht vertrauen kann. Ich beschließe, meine Gedanken und Gefühle unbedingt für mich zu behalten. Wir treten in den Aufenthaltsraum ein. Der Raum ist groß und wirkt auf mich wie ein Lehrerzimmer. Einzelne Hüter trinken Kaffee, unterhalten sich oder lesen. Ihre lebhaften Gespräche und das Lachen lenken mich von der vorherigen Situation ab. Ich versuche mir einzureden, dass das eben eine Ausnahme war und der Hüter einfach seine Grenzen überschritten hat. Doch Kian taucht vor meinem inneren Auge auf, gekrümmt vor Schmerz. Ich kämpfe krampfhaft, diesen Gedanken zu verdrängen, schaffe es aber kaum. Ein großer, mittvierziger Mann mit Vollbart kommt auf uns zu. Sein Geruch ist markant; meine Nase füllt sich mit Moschus und Zitrone.

Er streckt mir die Hand entgegen, ich greife danach und sehe ihn mit festem Blick an. Sein Händedruck ist stark, seine Innenflächen leicht feucht.

„Ich bin Wago Altin, schön, dich kennenzulernen.“

Eine Woge der Ehrfurcht durchzieht meinen Körper. Seine Präsenz ist enorm; er allein füllt den gesamten Raum aus.

„Nur Lu… bitte“, erwidere ich und lächle ihn an, während ich versuche, meine Zweifel zu verbergen. Wago dreht sich zu Renata und lächelt auch sie an. Das war wohl der unausgesprochene Rausschmiss. Sie wirft mir einen letzten Blick zu, bevor sie den Raum verlässt. Ich versuche, aus ihrem Blick eine Bedeutung herauszulesen, doch es gelingt mir nicht. Während ich an die vorangegangene Situation denke, bemühe ich mich, ihre Mimik zu verstehen. Sie wendet sich ab und lässt mich alleine mit Wago zurück.

„Ich lasse gerade dein Armband anfertigen, Luana. Morgen solltest du es bekommen. Ab jetzt bist du direkt mir unterstellt. Du wirst meine Anweisungen bedingungslos und ohne Fragen befolgen. Du tust, was ich dir sage; Widerworte oder Ungehorsam dulde ich nicht. Du wirst Gehorsam zeigen und dich der Rangordnung einfügen. Dies wird deine Lebensaufgabe sein, die du mit absoluter Hingabe und Entschlossenheit erfüllen wirst. Ich gehe davon aus, dass du mich verstanden hast.“

Er beugt sich zu mir und verringert den Abstand zwischen uns so stark, dass ich seinen Atem riechen kann. Mir wird unwohl; er ist eindeutig zu nah. Sein Auftreten erinnert mich an einen Feldwebel oder einen General. Mir fehlen die Worte, und ich fürchte, etwas Falsches zu sagen oder meine Gedanken auszusprechen. Er scheint mit einem Nicken zufrieden zu sein; mehr kann ich ihm nicht bieten.

„Hast du mich verstanden?“

Seine Augen durchdringen mich und lassen mich immer kleiner werden. Ich weiß nicht, was ich sagen soll oder was er von mir hören möchte.

„Ja, ich habe dich verstanden, Wago“, antworte ich schließlich laut.

„Das ist gut.“

Er lächelt mich an und schafft wieder etwas Abstand. Ich spüre, wie die Anspannung in mir nachlässt und ich wieder ruhiger atmen kann. Ich kann diesen Mann absolut nicht einschätzen, doch ich weiß, dass ich mich anpassen muss. Man sollte in seiner Nähe vorsichtig sein.

„Komm mit, du bist den Rest des Tages bei mir“, sagt Wago. Ich folge ihm ohne ein Wort. Während wir durch die Gänge gehen, beginnt er zu erzählen und versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Doch meine Gedanken sind woanders, nicht bei Wago. Ich ertappe mich, wie ich mich nach Kian umsehe und hoffe, ihn und seine whiskyfarbenen Augen zu sehen. Das gesamte Stockwerk ist leer; hier oben ist niemand. Ich bin allein mit Wago und der drückenden Stille zwischen uns, obwohl er unentwegt spricht.

„Morgens ertönen zwischen sieben und acht Uhr zweimal Sirenen, um die Bewohner zu wecken. Danach muss jeder Parame duschen und sich für das Frühstück fertig machen. Das Frühstück dauert etwa zwei Stunden. Es wird deine Aufgabe sein, sicherzustellen, dass jeder bis dahin seinen Teller und sein Glas leer hat.“

Er macht eine kurze Pause und bleibt stehen, um zu überprüfen, ob ich ihm sowohl physisch als auch psychisch folge.

„Danach müssen sie nach draußen in den Hof. Dort können sie Sport treiben oder sich unterhalten; wichtig ist nur, dass sie frische Luft schnappen. Das Mittagessen verläuft wie das Frühstück. Nach dem Mittagessen finden die Trainingseinheiten statt. Da wir derzeit in diesem Bereich unterbesetzt sind, erfolgen diese im Wechsel. Die Parame haben somit nicht täglich Training und können an den anderen Tagen länger im Hof oder im Aufenthaltsraum bleiben. Hofgang gibt es maximal für eine Stunde, danach dürfen sie in den Aufenthaltsraum. Das Abendessen findet pünktlich um neunzehn Uhr statt, danach müssen alle unbedingt auf ihre Zimmer und schlafen. Es ist absolut unerlässlich, dass sie tief schlafen. Wir verwenden dafür ein spezielles... Nun, nennen wir es ein spezielles Mittel, um das sicherzustellen.“

Ich höre aufmerksam zu und spüre die Nachwirkungen seiner Worte in meinen Gedanken. Ich möchte die Abläufe genau verstehen und frage mich verzweifelt, warum der Schlaf so hohe Priorität hat. Gedanken von Zwang und Unterdrückung steigen in mir auf, und ich empfinde aufkommenden Zweifel. Warum werden sie dazu gezwungen?

„Wago, ich möchte nicht unhöflich sein, aber weshalb werden die Parame in den Schlaf gezwungen?“

Er sieht mich an, als wäre meine Frage unhöflich oder im Moment unangebracht. Ich weiß nicht, warum, aber er gibt mir ständig das Gefühl, klein zu sein.

„Du wirst alles zu gegebener Zeit erfahren. Unsere Abläufe sind sehr komplex, und wir können dir nicht alles gleich am ersten Tag erklären. Aber keine Sorge, das Thema Schlaf ist äußerst interessant; es wird dir gefallen.“

Er sieht auf seine Armbanduhr und dann wieder zu mir.

„Es ist Zeit für das Abendessen. Die Schutzbefohlenen erwarten uns bereits im Speisesaal. In der Regel kommen sie frühzeitig zusammen, damit wir pünktlich starten können.“

So erklärt sich also, warum wir hier oben ganz allein sind. Wir gehen die Treppe hinunter, und ich folge Wagos Schritten. Es ist unheimlich still; ich kann niemanden hören; nur das Echo unserer Schritte hallt von den Wänden zurück. Der Speisesaal befindet sich am Ende des langen Flurs im Erdgeschoss. Als wir den Raum betreten, versucht die Stille, mich zu erdrücken. Es ist, als würde ich darin ersticken; dieses Gefühl ist mir neu und schnürt mir die Kehle zu. Die Parame stehen alle vor ihren Tellern, dürfen weder sitzen noch essen und halten ihre Köpfe gesenkt. Mitgefühl durchflutet mich, ich möchte sie aus dieser Situation befreien, doch ich kann es nicht. Wago rückt wieder näher und flüstert in mein Ohr. Moschus und Zitrone vermischen sich mit dem Geruch des Essens. Ich bemühe mich, nicht zu würgen und dem Ekel nicht die Oberhand zu lassen.

„Es ist nicht wie in einer Kantine; sie dürfen sich das Essen nicht selbst holen. Unser Personal stellt es bereit, und die Parame stehen an ihren festen Plätzen und warten, bis wir ihnen das Okay geben. Erst dann dürfen sie sich setzen und essen.“

Da ist es wieder, dieses bedrückende Gefühl. Ich lasse meinen Blick über die Menge wandern. Wenn alle feste Plätze haben, muss Kian dort hinten sein. Und tatsächlich, ich entdecke seinen Hinterkopf. Sein Blick ist gesenkt, seine Haltung voller Demut. Es scheint, als wäre er gebrochen, als hätte man ihm seine gesamte Seele geraubt. Ein stechender Schmerz durchzieht meinen Körper und lässt mein Herz für einen Moment aussetzen. Ich hadere mit mir selbst, möchte ihn aus dieser Situation befreien und ihn bitten, den Kopf zu heben. Er ist jung; er sollte sein Leben genießen, lachen und Spaß haben; bei meiner Seele, er sollte viel mehr lachen. Stattdessen steht er da, wartet auf eine Anweisung, darauf, dass man ihm eine Erlaubnis erteilt. Ich betrachte seine wunderschönen, vollen, fast schwarzen Haare. Ich möchte hineinreifen, sie fühlen, ihn fühlen. Es ist eine Kraft, die mich mit sich zieht, und ich kann nicht dagegen ankämpfen, kann mich ihr nicht entziehen. Ich werde mitgerissen, als hätte ich einen reißenden Fluss betreten. Panisch versuche ich, gegen die Strömung anzukämpfen, doch ich habe keine Chance; ich bin ihm ausgeliefert. Ich spüre das Pochen meines Herzens und versuche zu verstehen, was es fühlt und warum. Angst durchdringt meinen Geist und lässt mich nicht los. Es ist dieses überwältigende Gefühl, das er in mir auslöst, er und seine whiskyfarbenen Augen.

3. Kian

Jede Zelle meines Körpers kämpft gegen den Drang an, meinen Kopf zu heben. Diese Demut frisst mich auf und zerstört meinen Geist. Es fühlt sich an, als würde mir jemand die Hand auf den Mund drücken; ich kann zwar atmen, doch es reicht nicht zum Leben. Ich bin stark und versuche, dem Drang nicht nachzugeben, weiterzukämpfen. Es fällt mir so schwer, dass ich in Gedanken anfange zu zählen, um mich ein wenig zu beruhigen. Meine Kopfhaut prickelt, als würde ich beobachtet. Eine Präsenz erfüllt den Raum und mich. Ruhe durchflutet meinen Körper und bringt mir einen Hauch von Frieden. Meine Gedanken kreisen um dieses Mädchen, dieses wunderschöne Mädchen. Ich erinnere mich an ihre Augen und an den Moment, als sich unsere Blicke trafen. Eine unglaubliche Kraft lag darin, ein Gefühl von tiefer Vertrautheit. Es war, als würde die Luft um uns herum brennen. Bis jetzt kann ich mir nicht erklären, warum ich aufgesehen habe, aber da war dieses Gefühl, diese Energie. Doch sie ist eine von ihnen. Sie ist der Grund, warum ich hier bin, warum ich nicht ich selbst sein darf. Ich denke an ihre grünen Augen und an dieses warme Gefühl. Warum passiert das gerade? Ich sollte nicht so über sie denken, sollte sie auf Distanz halten und aus meinem Kopf verbannen. Meine Gedanken wirbeln, schleudern mich von einem Gefühl ins nächste. Ich versuche, diese Unruhe zu verlangsamen, als ich grob aus meinen Gedanken gerissen werde. Wago steht neben mir; für ihn scheint Distanz ein Fremdwort zu sein, denn unsere Nasen berühren sich fast. Sein Atem stinkt penetrant nach Kaffee und Pfefferminz. Er glaubt tatsächlich, der Geruch von zehn Tassen Kaffee am Tag könne mit einer Pfefferminztablette überdeckt werden.

„Wenn ich dir noch sehe, dass du dein Essen nicht aufgegessen hast, Kian, wird es Konsequenzen geben.“

Mein Gesicht bleibt an seinem hängen, während meine Augen in die Richtung dieser Frau sehen. Luana heißt sie, soweit ich mich erinnere. Sie steht neben ihm, und mir wird unangenehm klar, dass sie ihn von nun an auf Schritt und Tritt begleiten wird – sie wird sein Schatten sein. Ekel überrennt mich und durchströmt jede Pore meines Körpers. Irgendwann wird sie es sein, die mir ihr Gesicht entgegenstreckt und mich zum Essen zwingt. Dennoch ist es ihr Blick, der mich durchdringt und mir dieses wahnsinnige Gefühl gibt. Hin- und hergerissen wende ich mich wieder Wago und seinem penetranten Geruch zu.

„Ich gebe immer mein Bestes, das weißt du doch, Wago.“

Ich spucke ihm seinen Namen entgegen. Wir dürfen die Hüter niemals beim Namen nennen; das ist eine der unzähligen Vorschriften hier. Ich spüre seine aufkommende Wut, die tief in ihm brodelt. Ich weiß, ich sollte mich zurückhalten, aber etwas in mir kann das einfach nicht. Ich fühle mich wie ein Wolf in Gefangenschaft, der alle töten will, aber einen Maulkorb trägt. Ich hätte damit rechnen können, denn seine flache Hand schlägt mir ins Gesicht. Die Stelle an meiner Wange wird warm und beginnt leicht zu brennen. Aus dem Augenwinkel sehe ich Luanas erschrockenen Blick. Sie sieht ängstlich aus, ihre Haut wird fahl, und sie versucht gerade noch, sich nicht die Hand erschrocken vor den Mund zu halten. Ich folge ihrer Bewegung, als sie ihre Hand wieder neben ihren Oberschenkel legt. Das Glühen meiner Wange wird stärker, und ich verfluche mich für mein loses Mundwerk. Wago dreht meinem Tisch den Rücken zu und brüllt wütend in die Runde:

„Wer sich ein Beispiel an unserem Großmaul Kian nehmen will, sollte daran denken, dass für jeden aufmüpfigen Parame die gleichen Strafen gelten.“

Ich sehe, wie er ein kleines elektronisches Gerät aus der Hosentasche holt und mehrmals darauf drückt. Ich spüre den Schmerz bereits, bevor er real wird. Der Strom bahnt sich seinen Weg von meinem Knöchel bis in jede Körperzelle. Er stellt die Intensität immer höher, möchte ein Mahnmal für die anderen auf meine Kosten schaffen. Ich kann mich kaum noch aufrecht halten und unterdrücke den Drang, in die Knie zu gehen. Es ist nicht meine Art, einfach aufzugeben, also kämpfe ich weiter und versuche, den Schmerz so gut es geht zu ignorieren. Ich versuche, standhaft zu bleiben, und will mir den Schmerz nicht ansehen lassen, weiß aber, dass ich dabei kläglich versage. Ich höre Wagos Schritte in meine Richtung, unverkennbar. Der Schmerz hört so abrupt auf, wie er gekommen ist. Ich erkenne seinen Geruch aus Hunderten; er kommt mir wieder so nah wie zuvor und packt mich an meinen Haaren. Seine dunkelbraunen Augen starren mir bedrohlich entgegen, und ich sehe ihm an, dass er mich am liebsten umbringen möchte. Sein Flüstern dringt tief in mich ein und sorgt für unangenehme Gänsehaut. Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass ich jetzt besser schweigen sollte.

„Kian Navaan, ich habe langsam keine Geduld mehr mit dir.“

Er wendet sich von mir ab in Richtung der anderen. Sie haben alle weiterhin ihre Köpfe gesenkt, keiner will der Nächste sein. Wago beginnt mit festem Schritt durch die Reihen zu gehen und brüllt lautstark:

„Ihr verdammten Mutanten! Ohne uns wärt ihr alle längst tot. Und was ist der Dank? Ihr solltet den Boden küssen, auf dem wir gehen.“

„Halt doch einfach mal deine verdammte Klappe, Wago! Das kann keiner mehr hören.“

Verdammt, Jara. Ich drehe mich zu ihr um; sie steht zwei Tische hinter mir an ihrem Platz. Jara und ich wurden damals gleichzeitig von einer Spezialeinheit geschnappt. Wir kennen uns, seit wir Kinder waren, sind zusammen aufgewachsen, haben diese Kräfte entwickelt und wurden gemeinsam in dieses Loch gesteckt. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft, sie ist der einzige Grund, warum ich noch lebe, sie gibt meinem Leben einen Sinn und Kraft, um hier durchzuhalten.



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