Paarbildung - Urs Faes - E-Book

Paarbildung E-Book

Urs Faes

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Beschreibung

Eigentlich ist Andreas Lüscher Unfallpsychologe. Seit er jedoch eine Stelle als Gesprächstherapeut in der onkologischen Abteilung eines Krankenhauses angetreten hat, bestimmen Vokabeln aus der Krebstherapie seinen Arbeitsalltag: Dosisfraktion, Rezidivrisiko, Paarbildung. Ihn, der lieber beobachtet als mittendrin steht, der lieber Distanz wahrt, als zu nahe zu kommen, fasziniert das Verhältnis zwischen Patient und Arzt, die Bedeutung von Kommunikation, von Worten. Bis er eines Tages auf die Krankenakte einer Patientin stößt, deren Name ihm vertraut ist: Mit Meret Etter hat ihn vor Jahren eine intensive Liebe verbunden, sie ist eine Frau, die mitmischte bei den Zürcher Jugendunruhen, die sich beim Harfespielen selbst vergessen konnte, eine Juristin, die mit Leidenschaft gegen das Unrecht kämpfte. Jetzt steht ihr ein Kampf ganz anderer Art bevor. Und es ist die Frage, ob die Wiederbegegnung mit Andreas Lüscher, nach sechzehn Jahren des gegenseitigen Schweigens, ihr ihre Lage erleichtert. Und ob es klug ist, wenn sich beide mit den Gründen für dieses Schweigen auseinandersetzen. Suggestiv, leicht und präzise erzählt Urs Faes in seinem neuen Roman vom Kampf mit einer Krankheit, vor allem aber von der Auseinandersetzung zweier Menschen mit sich selbst und der eigenen Vergangenheit. »Vor zwei Jahren wurde ich überraschend vom Chefarzt für Onkologie eines Schweizer Kantonsspitals angerufen. Er wollte jemanden mit einem Blick von außen die Menschen, die Abläufe, die Situationen in seiner Abteilung betrachten lassen. Ein Schriftsteller sei doch jemand, sagte er zu mir, der gelernt habe, genau hinzuschauen und hinzuhören auf das, was mit Menschen und zwischen Menschen sich ereigne…« Urs Faes, Schweizer Monatshefte »In Urs Faes’ Prosa glüht die Liebe dunkel und melancholisch wie bei einem García Márquez.« Der Spiegel

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Seitenzahl: 194

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Urs Faes

Paarbildung

Roman

Suhrkamp

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© Suhrkamp Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.suhrkamp.de

eISBN 978-3-518-74330-0

Für Re

Wie es tatsächlich sich verhält: wir sagen etwas wir reden zu einander aber wir reden nur so vor uns hin, aber wir wollen etwas ganz anderes sagen, aber wir wollen etwas loswerden, aber es ist zu schwer, von den Dingen zu reden die uns wirklich bewegen, ich meine es ist viel einfacher, von nebensächlichen alltäglichen ungenauen Dingen zu reden . . .

Friederike Mayröcker

I

1

Vor sieben Uhr dämmerte das Institut vor sich hin; die ersten Patientengespräche und die ersten Bestrahlungen waren auf halb acht angesetzt. Noch waren keine Schritte, keine Stimmen zu hören; in den langen Fluren lag ein Warten. Meist war er vor den andern da. Er schätzte diese Momente vor der Betriebsamkeit des Spitalalltags, ging langsam durch die Korridore. Sein Blick folgte dem Einfall des Lichts, das über die Wände kroch, in den Bronzereliefs aufleuchtete, in schmalen Bahnen über die Schwellen zu den Behandlungsräumen lief, dort auf die bereitstehenden Apparate fiel.

In dieser Stille sah er die Patienten und Patientinnen deutlicher vor sich als am Tag, wenn sie wirklich da waren und auf den Bildschirmen ihre von der Krankheit befallenen Körper sichtbar wurden, eine Brust, ein Kehlkopf, ein Lymphknoten, befallenes und bestrahltes Gewebe.

An diesem Montag war er besonders zeitig in die Klinik gefahren, er wollte vor dem Achtuhrrapport die Patientenblätter durchsehen, um vorbereitet zu sein. Wie jeden Tag war er auf dem Weg vom Parkplatz zum Institut durch das Eingangstor geschritten: vorbei an zwei hochaufragenden weißen Säulen. Auf ihnen waren alle Geburten der letzten Wochen verzeichnet. Er hatte es sich angewöhnt, einen Augenblick stehenzubleiben und die Namen der Neugeborenen zu lesen: Myriam, Ralf, Zaid, Liliane, Jan.

Wenn auf seiner Station ein Exitus gemeldet wurde, dachte er an den Namen eines der Neugeborenen und gewann darin wieder so viel Festigkeit, daß es ihm leichter fiel, sich bei den Besprechungen den letalen Verlauf einer Krankheit anzuhören, ohne leer zu schlucken. Seit einiger Zeit fragte er nicht mehr insistierend nach oder fing gar in der Mittagspause nochmals über den Todesfall zu sprechen an.

Kollege Lüscher hat zur Routine gefunden, hatte ihm der Chef eines Tages vor versammelter Ärzterunde zugeworfen, als er regungslos den Erklärungen auf den eingeblendeten Schichtröntgenaufnahmen folgte, die die letzte Phase eines Pankreaskarzinoms zeigten. Der Patient war im Institut postoperativ bestrahlt worden, jedoch mit geringer Verbesserung der Symptomkontrolle. Er hatte bis zuletzt unter starken Schmerzen gelitten.

Das Wort Routine hatte Lüscher zusammenzucken lassen, doch er hatte dem Chef zugenickt, war den kleinen Punkten gefolgt, die in der PET-Untersuchung, dieser bildlichen Darstellung des Zuckerstoffwechsels im Körper, die Metastasen aufzeigten: gelbzuckende Flämmchen in einem Feld von Grün.

Was der Chef als Routine bezeichnete, empfand er als Distanz, die nötig war. Denn manches ging ihm nahe, obwohl er während zweier Jahre für eine private Opferhilfeorganisation als Unfallpsychologe gearbeitet hatte. Routine, die er mit Abstumpfung gleichsetzte, hatte er sich schon vor seiner Spitalzeit, eigentlich in jeder Lebensphase, verboten. Routine tötet das Leben und vertieft den Fluch, geboren zu sein. Der Satz von Cioran hatte sich in seinem Kopf festgehakt. Er hielt sich immer neu vor Augen, daß man auch in schwierigsten Situationen die Hoffnung nicht aufgeben durfte.

Und doch wurde, was er Gleichmut nannte, immer wieder durchbrochen. Er hatte kaum zwei Wochen im Institut gearbeitet, als auf einem der Patientenblätter, die zu Beginn des Rapports gezeigt wurden, der Name eines Bekannten erschien. Einem ehemaligen Mitschüler war ein Mastdarmkarzinom im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden, organübergreifend, sehr aggressiv, mit Fernmetastasen. Der leitende Arzt hatte von einer wahrscheinlichen Lebenserwartung von einem halben Jahr gesprochen. Auch diese Einschätzung war noch zu optimistisch gewesen. Lüscher hatte den Verlauf der Krankheit verfolgt, die Meldung vom Tod dieses Patienten hatte ihn, zu seiner Überraschung, tief berührt.

Heute hatte er den Säulen mit den Namen der Neugeborenen keine Beachtung geschenkt, da er den dunklen Haarschopf von Dr. Campriani, einer von ihm geschätzten Kollegin aus der Gynäkologie, erspäht zu haben glaubte. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Die Frau war nach rechts abgebogen und im Block der Chirurgie verschwunden. Er verharrte unschlüssig mitten im Korridor, schaute auf das Anschlagbrett. Eine Tür fiel ins Schloß.

Lüscher so früh, rief Dr. Thoman, und allein auf weiter Flur?

Dr. Thoman hatte um seine Anstellung gekämpft, sie durchgesetzt, trotz der ständig steigenden Kosten, für die das Institut sich rechtfertigen mußte. Der Arzt erwartete, daß der Nutzen der psychotherapeutischen Gespräche sich zeigen würde.

Wie geht’s? Kommen Sie zurecht?

Er sah ihn fragend an, als wollte er etwas hören, eine Zusatzinformation, die ein anstehendes Patientengespräch erleichtern könnte, eine hilfreiche Beobachtung.

Das Angebot einer solchen Gesprächsmöglichkeit war neu. Das Gespräch sollte die Ängste des Patienten aufnehmen und ihm weitere Wege aus seiner Situation öffnen, ein Gespräch, das anregte und die Kräfte des Patienten dadurch aktivierte, daß er Aufmerksamkeit erfuhr.

Dr. Thomans Nachfragen erinnerte ihn daran, daß seine Stelle zunächst nur als Versuch deklariert worden war. Er hatte im Herbst vergangenen Jahres mit seiner Arbeit begonnen. Damit hatte er sich, nach einem unruhigen Berufsleben, noch einmal neu orientieren wollen. Die Stelle bedeutete zugleich auch eine Rückkehr; in dieser Gegend war er vor vierundfünfzig Jahren geboren worden, hier war er aufgewachsen. Er mochte die Kantonshauptstadt, diese überschaubare Stadt an der Aare, er mochte den Blick auf die Jurahänge. Nicht weit entfernt, weiter oben im Tal, waren seine Eltern begraben, und sein jüngerer Bruder.

Er war froh, daß Dr. Thoman an diesem Morgen nicht weiter fragte und in seinem Büro verschwand.

Durch das Fenster sah er zwei Gärtner in blauen Overalls, die damit beschäftigt waren, die Rasensprenger neu zu plazieren und die Glyzinien aufzubinden, deren Duft durch das geöffnete Fenster drang und für eine Weile die Spitalgerüche verdrängte.

Der Frührapport war kurz, der leitende Arzt gab einen Überblick über die zwei Neueintritte, deren Krankheitsbefund am Nachmittag besprochen werden sollte, ein Mammakarzinom und ein Kehlkopftumor mit Stimmbandbefall, eine komplizierte Ausgangslage, die eine aufwendige Spezialplanung erfordern würde.

Lüscher zögerte einen Augenblick, bevor er die Unterlagen an sich nahm.

2

Die heruntergekurbelten Lamellenstores sperrten das Sonnenlicht aus. Die Frühsommerhitze, schon im Mai, quälte und machte allen in der Abteilung schmerzlich bewußt, daß sie zu arbeiten hatten, auch an diesem Nachmittag.

Im künstlichen Dämmer schimmerten die weißen Ärzteschürzen seiner Kollegen, die Gesichter verschwammen, fahle Ovale, verwischte Konturen, auf denen kein Zucken, Stirnrunzeln oder Gähnen zu erkennen war, auch keine Betroffenheit. Dafür war Lüscher dankbar.

Das Patientenblatt wurde auf die linke Seite der weißen Wand projiziert, auf der rechten leuchteten die farbigen Schichtröntgenaufnahmen, die von Dr. Vegh analysiert wurden, in seinem ungarisch geprägten Hochdeutsch, dessen Melodie Lüscher bei jedem Wort an Mandelgebäck erinnerte. Er hörte Dr. Veghs Stimme wie von fern, er blickte auf das leicht schräg projizierte Patientenblatt. Die kargen Daten – Name, Adresse, Einweisungsdatum – hatte er längst gelesen, mehrmals, vorwärts und rückwärts. Dr. Vegh sprach von dem invasiv duktalen Karzinom rechts, bei zwei Uhr gelegen, mit In-situ-Komponenten, er beschrieb die bereits ausgeführte Tumorektomie und Nachresektion mit Axilladissektion und die anschließenden vier Zyklen Chemotherapie; er erwähnte die nach der Chemotherapie festgestellten beweglichen Knoten auf der linken Seite und die aufgetretene Rötung, ein Serom.

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