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Urs Faes

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Beschreibung

Ein Mann und eine Frau lernen sich in den späten Jahren ihres Lebens kennen und erfahren noch einmal tiefe Zuwendung und Glück, im Alltag und auf Reisen in die Landschaft seiner Jugend – die Rocky Mountains in Wyoming. Doch neben die Freuden treten bald die Gebrechen des Alters, Jakov neigt zunehmend zu Zerstreutheit. Ein Name bleibt aus, ein Termin wird versäumt, ein Kehrichtsack landet im Teich des Nachbarn. Die ärztliche Untersuchung zeigt: Jakovs Gedächtnis ist nicht nur lückenhaft geworden. Seine Orientierung wird weiter schwinden, seine Sprache versiegen. Herta bemüht sich um Zuversicht, aber je mehr Jakov den Bezug zur Welt verliert und von der Vergangenheit eingeholt wird – einer frühen Liebe, dem Zerwürfnis mit dem Vater –, desto mehr braucht auch sie Unterstützung.

Mit großer Zartheit nähert sich Urs Faes einem Paar unter dem Eindruck der Krankheit. Er erzählt von innigen Momenten und wachsender Entfernung, von Fürsorge und Erschöpfung, von der Verunsicherung, wenn einer sich selbst abhandenkommt und lange Verdrängtes plötzlich wieder Gegenwart wird. Und von der Kraft der Einfühlung, einer Verständigung jenseits der Worte.

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Seitenzahl: 245

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Urs Faes

Untertags

Roman

Suhrkamp

… zu seiner Zeit spielt ein Mensch viele Rollen … Die allerletzte Szene, Die diese seltsam ereignisreiche Geschichte beendet, Ist die zweite Kindheit und bloßes Vergessen …

William Shakespeare, Wie es euch gefällt

I

Zwei Urnen

Sie war jetzt allein.

Niemand mehr würde kommen.

Sie legte die Hände auf die Tischplatte, ließ sie langsam über die geschliffene und neu lackierte Fläche gleiten, als wollte sie sich vergewissern, dass keine Fuge, kein Spalt, nicht einmal die kleinste Kerbe geblieben war. Sie umkreiste die Krüge, hielt Abstand, geradezu panisch bemüht, sie nicht zu berühren. Ihre Hände beschrieben kleine Bögen. Warum sage ich Krüge, dachte sie, das sind doch Urnen.

Herta hielt inne, schaute auf; draußen dunkelte es ein, auf dem Baum saßen die Spatzen. Sein Baum, dachte sie unwillkürlich und schloss die Augen. Diesen geduckt wirkenden Mirabellenbaum hatte er immer seinen Baum genannt, the crooked tree, the hunchbacked tree, der strauchartig sich ausbreitete. Das hatte Jakov gefallen. Er hatte sich um die gelben Früchte gekümmert, die Blätter eingesammelt im Herbst und abseits vom übrigen Laub auf einen Haufen geschichtet: das Laub des geduckten Baumes.

Sie machte kein Licht; sie wäre nicht da, falls jemand klingelte. Über dem See zogen Regenwolken dahin. Ihre Hände umfassten den linken Krug. Sie folgten der bauchigen Form. Dann nahm sie den Deckel ab und legte ihn beiseite. Sie hob das Gefäß an, kippte es und sah gespannt zu, wie die Asche langsam herausglitt: ein Grau, krümelig körnig und flockig zugleich, von Splittern durchsetzt, länglichen und schmalen spitzen. Sie beugte sich vor, die Mündung der Urne nah am Aschehaufen, der sich schon gebildet hatte und jetzt rasch höher wurde, zu einer ansehnlichen Größe wuchs, mit diesen nach unten kollernden Splittern, die sie nur mit der äußersten Fingerkuppe berührte.

Als nichts mehr herausfiel, klopfte sie sacht auf den Boden des Kruges. Dann holte sie einen Lappen, wischte das Innere sorgsam aus und ließ die Aschereste auf den Berg taumeln, den Ascheberg, in seinem Grau, mit einem Schimmer von Braun und diesem sie sonderbar berührenden Saum von Splitterknöchelchen.

Als sie die Urne abgestellt hatte, bemerkte sie die Plakette: Der Name stand darauf, das Datum, die Zeit.

Sie kniete nieder, stützte ihr Kinn auf der Tischplatte auf. Ihre zur Schale geformten Hände näherten sich dem Aschehaufen, umschlossen ihn, ohne ihn zu berühren.

Sie ließ die Hände kurz auf dem Tisch ruhen. Dann schob sie ihre Rechte mitten durch den Haufen, teilte ihn langsam in zwei, schob die Hälften auseinander: da einer, dort einer. Meine Hälfte, ihre Hälfte; dazwischen das Meer, der Atlantische Ozean. Vielleicht müsste Jakovs Asche dem Meer übergeben werden, in der Mitte zweier Kontinente. Beide haben sein Leben umspannt. Niemand weiß, was seine Heimkehr ist. Jakov hat von Europa als seiner Heimkehr gesprochen, da wo die Anfänge seiner Familie liegen: Warmia, Masuren. Nun sprechen »die da drüben« von seiner Heimkehr nach Thermopolis, Wyoming, in den Staat mit den hohen Bergketten, den großen Ebenen, den tiefen Einsamkeiten. Das hatte er oft erwähnt. Herta hätte vom Duft des Salbeis und der Pinien nach dem Regen gesprochen.

Nun kehrt er zurück; und die Seinen werden denken, er sei wieder bei ihnen, einer von ihnen.

Aber er ist auch da, bei ihr. Da oben am Waldrand, wo sie oft gestanden hatten, soll er ruhen, mit dem Blick auf den See und in die Berge. Auch daheim. Einer wie er ist an vielen Orten daheim. Er ist kein Einheimischer, er ist ein Vielheimischer. Das passt zu ihm.

Sie ergriff das bereitgelegte Blatt, schob es mit einem schnellen Ruck unter den ersten Haufen, hob ihn vorsichtig auf und ließ die Asche in die neue Urne gleiten. Sie legte das Papier nochmals nah an die Aschereste, die von diesem Haufen geblieben waren, tupfte mit dem Zeigefinger jedes Flöckchen auf, schob jeden Splitter nach. Den zweiten, etwas kleineren Aschehaufen beförderte sie mit derselben Sorgfalt in die Urne mit der Plakette. Mit bebenden Fingern packte sie einen Splitter nach dem andern, ließ ihn in die Urne fallen. Sie strich Leim auf den Rand und drückte den Deckel an. Das hatte sie lange geübt. Sie schmunzelte einen Augenblick. Dann kehrte dieser jähe Schmerz zurück.

Für die Amerikaner, murmelte sie vor sich hin und tippte den Zettel an. Sollen sie ihre Urne haben. Und ich die meine.

Sie wagte immer noch nicht, Licht zu machen; niemand sollte sie stören.

Unser letztes Stelldichein.

Herta flüsterte und kam sich dabei seltsam vor. Was tust du da? Und warum?

Warum Jakov nach einer langen Ehe diese Verfügung getroffen hatte, das begriff sie nicht. Er hatte nie zurück über den Atlantik gewollt, außer für Besuche mit ihr zusammen, nie allein. Wir beide, hatte er gesagt, bleiben zusammen, beisammen für immer. Die Kastanie am Waldrand hatte ihm gefallen: ein Ort der Ruhe, ein Ort zum Bleiben.

Nun hatte er anders entschieden, ohne ihr das mitzuteilen. Ein Kuvert enthielt alles, was er verfügte. Was sie schmerzte. Was sie hinnahm und nicht begreifen konnte.

Sie hörte ein Geräusch, schnellte auf. Sie bemerkte auf der Straße eine rasch vorübereilende Gestalt, den Mantelkragen hochgeschlagen wie er, Jakov, manchmal. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken, nicht mehr. Da ging einer vorüber, in den Abend hinein. Keiner, der zu ihr wollte, das war gut. Sie würde nicht öffnen, niemandem. Sie hatte genug Besuche empfangen in den letzten Tagen. Sie waren ihr schlimmer vorgekommen als das, was in den vergangenen Monaten geschehen war. Ihre Töchter waren da gewesen, Leute aus dem Dorf – auch solche aus dem Heim, die ihn gekannt hatten. Alle hatten ihn gekannt. Fast alle. Sie hatte Hände schütteln, Auskunft geben müssen, erzählen von den letzten Wochen, die ohne Sprache gewesen waren.

Niemand von denen da drüben war gekommen, zum Glück. Da hätte sie sich vielleicht nicht beherrschen können nach allem, was geschehen war, nach diesen Briefen erst recht. Mit Ungeduld forderten sie zurück, was ihnen gehörte, angeblich: seine Asche, seine Uhr und die anderen Dinge, all of Father’s things. Die Fotos waren aufgeführt, Ehrensachen und Ehrenzeichen; die Stiefel waren vermerkt, die Gürtel und Gürtelschnallen, die Socken und Sockenhalter. Die Liste war lang. Sie müsste zusammensuchen und abhaken. Das würde dann die dritte Firma abholen, die war zuständig für Sachen. Sie wollten nicht warten. We need them back. Immediately, hatten sie unterstrichen.

Das passte zu denen.

Und die Mappe mit Papieren? Auch zurück in die USA? Back home auch diese Zeugnisse aus vergangener Zeit, Liebeszeichen, Briefe? Sie ergriff den Lippenstift, das Strumpfband. Wartete. Nichts. Kein Schmerz mehr, kein Zittern. Sie blickte auf die alten Fotos. Eine schöne Frau, zweifellos. Sie lächelte. Das war ausgestanden. Damit bist du versöhnt. Sie steckte seine Liebesdinge in einen Beutel, um sie wegzuwerfen. Die Papiere legte sie in die Mappe zurück, in die Jakov sie gesteckt und die er bezeichnet hatte: The Virginie-Papers. Die würde sie zur zurückbleibenden Urne legen. Die drüben müssten sie nicht sehen.

Sie nickte versonnen, hob den Kopf.

Wieder einer, der auf der Straße vorübereilte. Der Regen war stärker geworden, das Rauschen verschluckte jedes Geräusch. Sie sah die Lachen im Lichtschein auf dem Vorplatz, Laub lag darin; der Wind blies jetzt heftiger, zerzauste die Bäume, wirbelte auch die Blätter seines Baumes auf. An seinem Testament gab es nichts auszusetzen. Er hatte es Jahre zuvor verfasst, als er durch die Krankheit noch nicht schwer gezeichnet war, alles korrekt, einwandfrei. Aber doch –

Sie verscheuchte den Gedanken, durchquerte den Raum im Dunkel, stellte sich ans Fenster. Der Haufen Laub vom Mirabellenbaum glänzte nass. Sie hatte ihn absichtlich liegen gelassen. Im nächsten Frühling hätte er ihn vielleicht erkannt, wiedererkannt, und dann wäre dieses Strahlen in seinem Gesicht gewesen, wie es jedes Mal sich eingestellt hatte, wenn er sich an etwas erinnerte.

Herta machte Licht, sah die Urnen, die eine nah bei der anderen.

Nur noch diese Nacht würden sie nebeneinanderstehen – zwei Teile, zwei Hälften, eine für jeden Kontinent.

Hatte er die Verfügung in Erinnerung an seinen Sohn geändert, den früh verstorbenen, von dem er mit so viel Liebe gesprochen hatte? Sie versuchte sich das Bild von diesem etwas bleichen Jungen ins Gedächtnis zu rufen, der nicht in den Prärie-Staat zu passen schien: schmal und blass das Gesicht, eine schmächtige Gestalt, die jedes Pferd abwerfen würde, nicht bloß die manchmal störrischen Stuten; das Gegenteil seines Vaters, der ständig ausritt, sich gebärdete wie eine Spätausgabe von John Wayne. Dennoch liebte Jakov Ken mehr als die beiden anderen Kinder.

Er hätte mit ihr darüber reden können. Mit ihr hatte er doch über alles reden können, etwa nicht? Sie waren einmal an Kens Grab gewesen, in Thermopolis; mit neunzehn war er gestorben.

Hatte Jakov deshalb den Staaten den Rücken gekehrt? Endgültig.

Finally. Das wiederholte er immer wieder. Nun kehrte er doch zurück, etwas von ihm. Damit die da drüben Ruhe geben. Sie nannten es Heimkehr.

Herta wollte es noch immer nicht glauben; sie setzte sich an den Tisch, griff nach einem Apfel in der Schale, rieb ihn an ihrem Ärmel, bis er glänzte. Jakov hatte es geliebt, in Äpfel zu beißen, die glänzten. Auch im Heim hatte sie ihm die Äpfel poliert.

Sie sah hinüber auf die Urne mit dem Zettel. Im kleinen Kreis mit ihren Töchtern hatte sie im Krematorium Jakovs sterbliche Überreste einäschern lassen und die Urne, auf ihren Wunsch hin unverschlossen, nach Hause getragen.

Auch sie würden ihren Kreis bilden. Ohne sie. Das hatten sie klargemacht. Herta war über diese Zurückweisung irritiert, enttäuscht. Bei ihrem vorletzten Besuch ritten sie noch zusammen aus, sie und er und seine erwachsenen Kinder, Maud und Owen. Sie saßen abends am Feuer, nah am Fluss mit dem Namen des Windes, der durch das Tal streifte: Wind River. Sie summte die Lieder mit und hatte das Gefühl, dazuzugehören.

Sie wäre gerne mit ihm gereist, noch dieses letzte Mal.

Aber das wollten die da drüben nicht. Erst sprachen sie von den hohen Kosten. Dann erwähnten sie die Grenzformalitäten nach den September-Anschlägen, mit all den Kontrollen und Leibesvisitationen, und was erst mit der Urne geschehen könnte. Die Asche würde gewiss durchsucht, würde vielleicht gar in Quarantäne genommen. Und von Laramie herauf würde kein Taxifahrer eine Urne aus Europa transportieren, mit Viren und Ungewissheiten, durch diesen eisigen Winter mit gefährlich verschneiten Wegen. Neuerdings seien auch wieder Bären aufgetaucht, vereinzelt auch Wölfe, eine unberechenbar wilde Art.

Sie hatte schon begriffen. Da hatten sie auch noch die Blizzards erwähnt, die vom Norden her einfielen, begleitet von Eisregen und heftigen Schneefällen, die den Verkehr lahmlegten und zu Temperaturen von minus fünfzehn Grad führen könnten. Das Auto könnte in Schneeverwehungen stecken bleiben und Vaters Asche würde im festgefrorenen Auto vielleicht Schaden nehmen oder gar verloren gehen.

Sie hatte gebeten, dabei sein zu dürfen, mit ihnen, mit ihm, auf seinem letzten Gang.

Er war mein Mann, schrieb sie, zweiundzwanzig Jahre. Doch nun meldete sich der erstgeborene Sohn, der suchte nicht nach Schnee und Klapperschlangen. Der bedeutete ihr nur kurz und knapp: Ihre Anwesenheit sei nicht erwünscht, die Familie wolle unter sich sein.

Sie hingegen hatte den Auftrag bekommen, die Urne schnell und ordnungsgemäß, also nach den vorliegenden Gesetzen, in die USA transportieren zu lassen.

Sie legte den Apfel in die Schale zurück, streckte ihre Hände nach den Urnen aus, schob sie noch näher aneinander, neigte den Kopf leicht nach vorne. Die Hälfte der Asche würde dableiben. Bei ihr. In ihrer Erde, die auch seine gewesen war, für jene Hälfte des Lebens, die er mit ihr gelebt hatte. Eine schöne Hälfte. Trotz der Krankheit. Auch in der Krankheit hatte es diese Augenblicke gegeben: Inseln des Lichts. Jakov sagte »String of Lights«. Wir legen Lichterketten, sagte er, wenn er sich freute, das Schwere von ihm abfiel.

Diese Momente waren nicht auf den Inventarlisten von denen da drüben. Die gehörten nur ihr.

Die blieben da –

Dieser kühle Morgen, der Hufschlag ihrer Pferde, ihr Reiten hinein ins Tal, am Fluss entlang, der über die Steine glitt: Gros Ventre River, sagte er. Langsam ritten sie im Talgrund dahin, ein Feld von Gelb zwischen Fluss und Bergen, staubige Blüten auf hohen Stengeln. Wieder sagte Jakov nur ein Wort, Rabbitbrush, und wies mit dem Finger auf eine kleine Blume, die fast unscheinbar an der sandigen Böschung darbte: Dusty Maiden. Herta saß noch ängstlich auf dem Pferd, das unwillig dahintrottete, öfter stehen blieb, nach dem Grünzeug schnappte und nicht weiter wollte, auch wenn sie ihre Schenkel gegen seine Flanken presste und der Stoß ihrer Fersen heftig war. Aber Jakov war neben ihr geritten, immer mit einem Rat zur Stelle, einem aufmunternden Wort.

Auf beiden Seiten der Schlucht stiegen die Berge an, steinig karg, von rotem Fels durchsetzt. Ein Geröllfeld, das zu Tal gestürzt war, hatte den Fluss zu einem See gestaut, eine unbewegte Fläche von Blau. Sie hielten die Pferde an, schauten auf. Die Red Hills, erklärte Jakov, die Gipfel, auf denen die Wolkenschatten ziehen. Sie sog mit der Morgenluft die Bilder ein. Sie und Jakov waren sich noch ganz nah in diesen frühen Jahren. Sie waren, so kam es ihr vor, offene Räume füreinander. Im Schritt ritten sie ins Tal hinein, im langsamen Trotten der Pferde – ihr erster gemeinsamer Ritt. Und darin leuchteten der Sauerampfer, die roten Felsen. Es war die erste Reise in sein Land, damals, die späte Hochzeitsreise – sie beide voller Lebenslust, immer unterwegs, fast schon Abenteurer, Pioniere.

Nun trat er seine letzte an.

Warum bloß wollte er dahin?

Weil dazwischen das Vergessen lag?

Sie erhob sich, durchmaß das Wohnzimmer, blieb vor der Uhr stehen. Auch sie würde zurückkehren, sorgsam verpackt über den Atlantischen Ozean. Das Erbstück der Familie, seiner Familie.

Was blieb ihr?

Die Erinnerungen? An die Jahre, die sie ihre wilden nannte, in denen sie so viel gewagt hatten, sie beide, zu allem bereit, das eine mit dem anderen.

An die Krankheit? An diesem zweitletzten Sonntag im November stand er nicht mehr auf. Die heftigen Regenfälle, die mit Schlammlawinen und Hangrutschen einhergegangen waren, hatten aufgehört. Der Tag war sonnig, mit milden Temperaturen. Bis zuletzt war Jakov immer wieder aufgestanden, war auf den Beinen gewesen.

Heimreise, meerwärts

Sie hatte den Wecker gestellt: halb fünf.

Die Männer der Firma Ash Logistics wollten früh kommen, noch vor Anbrechen des Tages, in der Dunkelheit.

»Das gehört zu unserer Diskretion.«

Diskret war auch die Auftragsbestätigung: Formulare in sechsfacher Ausführung. Eliane hatte mehrere Offerten geprüft, die Leistungen miteinander verglichen, das Risiko abzuschätzen versucht. Auch Bestattungstransportfirmen unterlagen den Marktkräften und der Forderung nach Transparenz. Die Preise waren sehr unterschiedlich, aber gestiegen waren sie seit dem elften September bei allen. Sie hörte am Telefon die Ausführungen über die strengen Sicherheitsvorschriften durch die Antiterrorgesetze, die, wie jedermann wisse, für die Reisenden, ihre Identität und ihr Gepäck gälten; sie gälten aber auch für die Toten, selbst für jene, die bereits eingeäschert waren, für die besonders. Denn Terroristen nutzen jede Möglichkeit, die Asche von Verstorbenen ebenso wie die Unterhose von Lebenden. Dem müsse begegnet werden, mit neuen Abwehrmethoden, mit mehr Begleitpersonal, mit besonderen Kontakten zu den Zollbehörden. All das koste viel Zeit und Geld. Aber nur so könne der Tote oder seine Asche Ruhe in der heimatlichen Erde finden.

Herta schlürfte heißen Kaffee und schaute auf die Urnen, die nah beieinanderstanden, ein letztes Mal. Dann würde sie die ihre entfernen. Die Männer sollten nicht ahnen, dass sie nur die Asche des halben Jakov über Rawlins und Jeffrey City bis nach Thermopolis begleiteten. Erst auf ihrer zweiten Reise hatte Jakov sie in seine engere Heimat mitgenommen, ins Wind River Tal. Sie waren in einem alten Dodge ins Tal hineingefahren, in dem die Sonne schon Frühling verhieß, während die Berghänge noch im Schnee lagen. Vergnügt und sicher und voller Energie steuerte er das schwere Gefährt auf der engen Straße dahin.

Eine Woche blieben sie im Desert Inn Motel nahe dem See im Boysen State Park und unternahmen fast jeden Tag Ausritte zu zweit in dieses trockene Land hinein. Wüste, von Grünzeug durchzogen, Sagebrush, hatte er erklärt, ein Beifußgewächs. Sie hatte eingeatmet. Durchgeatmet. War sie da glücklich gewesen, ungebrochen glücklich?

Am Ende der Woche fuhren sie dann in seine Stadt, mehr Dorf als Stadt, mit hohen Bergen und Heilquellen. Für all die Wunden, die schwären und schmerzen, warf er ein.

Sie sah ihn verwundert an.

Was meinst du?

Da erwähnte er seinen Sohn Ken. Verunglückt bei einem Autounfall, im Alter von neunzehn Jahren. Eine Wunde, die nicht heilte. Er hatte ihr das Grab gezeigt, oben auf dem Friedhof über dem Städtchen.

Würde seine Asche, seine halbe Asche, nun neben seinem Sohn zur Ruhe kommen? Late home, hatte er den Friedhof genannt, auf dem neben Ken auch Lois Marie ruhte, seine geliebte Mutter. Als sei erst da oben, auf diesem Friedhof unter den roten Felsen, ein Ankommen, ein spätes.

Herta zuckte zusammen, als hätte sie schon ein Klingeln gehört, schaute auf die Uhr.

Noch zehn Minuten.

Sie würden zu zweit sein, ein Fahrer und ein Urnenträger. Der würde die Urne nicht mehr aus den Händen geben, würde sie auf der langen Reise begleiten. Er würde Übergriffe übereifriger Zollbeamter ebenso abwehren wie Rüpelhaftigkeiten von Seiten des Flughafenpersonals und der Sicherheitskräfte. Die Firma Ash Logistics sicherte in ihrem Vertrag zu, dass Übergriffe auf Urne und Asche verhindert, die sterblichen Überreste unangetastet bleiben würden. »Unserer Firma geht die Würde der Toten über alles. Das ist unser Markenzeichen. Auch die Toten sollen gut nach Hause kommen, unbeschadet, in sicherem Geleit und aufmerksamer Betreuung.« Eliane hatte das vorgelesen, nicht ohne diesen Unterton von Ironie, der ihr eigen war.

Und wo blieb ihre Würde? Ihr Weg mit der zweiten Urne, mit dem etwas größeren Aschehäufchen, würde kurz sein – zu dem stillen Ort gleich oben am Waldrand, wo sie oft, auch noch in den letzten Wochen, mit Jakov verweilt hatte. Da würde sie die Urne vergraben, hinter der Kastanie, einem alten Baum, wie die Espen und Zirbelkiefern im Grand Teton Nationalpark.

Sie fuhr mit Jakov damals, auf ihrer zweiten Reise, in diesem Dodge, der wie ein Schiff dahintrieb. Tagelang waren sie unterwegs. Jakov fotografierte und zeichnete die schütteren, geborstenen Kiefern, Blaufichten und Espen. Er verzeichnete besondere Lagen, Orte und Eigenheiten. Er führte immer und überall Listen, mit genauen Zahlenangaben, mit Ort und Datum. So notierte er den Benzinverbrauch des alten Dodge, achtundzwanzig Liter auf hundert Kilometer, verschwenderisch, ja, aber er hatte genau dieses Auto gewollt. Sie widersprach nicht. Manchmal hielt er auch Alltagseinzelheiten fest, die ihn bewegten. Er schrieb und las ihr vor, von der Explosion in einem Schnellzug in Bulgarien und vom Start des US-Erdbeobachtungssatelliten ins All, der ihn mit Stolz erfüllte.

Sie fragte nie, warum er solche Listen führte, auch später nicht. Tiere interessierten ihn kaum, mit Ausnahme von Schmetterlingen. Selbst wenn ein Bär oder ein Elch ihren Weg kreuzte, beeindruckte ihn das wenig. Er lachte über ein freches Streifenhörnchen, zollte einem Bison, der die Straße querte, seinen Respekt. Mehr nicht. Mit Leidenschaft maß er hingegen die Bäume, umfasste ihre Stämme, betrachtete ihre Kronen.

Er hielt auch jeden Tag die Kilometerzahl fest, die sie gefahren waren, die Temperatur am Morgen und am Abend. Er notierte den Dollarkurs und den Preis für die Feinunze Gold. Das verstand sie; Jakov hatte sein Geld angelegt und lebte von seinen Erträgen.

Seine Begeisterung für diese alten Bäume gefiel ihr, er war eben ein Baumnarr; wie Kinder zählte er Äste, zeichnete die Form knorriger Stämme nach.

Hätte sie das seltsam finden müssen oder gar abstrus? Sie störte sich nie daran.

Bald würde seine Asche, ein Teil seiner Asche, da oben liegen, hinter der Kastanie mit dem Blick auf die Berge, den Glärnisch und den Katzenstrick, die Jakov vergeblich zu buchstabieren versucht hatte. Aber er behielt das Wort »Zungenbrecher«, freute sich an den englischen Entsprechungen »Tongue Twister« und »Crackjaw«. Er liebte sein amerikanisches Englisch, wechselte manchmal unvermittelt in ein Deutsch, das fremdartig, wie aus einem anderen Jahrhundert wirkte, das Deutsch seiner Kindheit im Rheinland, mit Wörtern, die lange abgelegt schienen, in Eis oder Torf gelegt.

Sie könnte jeden Tag hinaufgehen zu ihm, den schmalen Weg zwischen den Häusern durch, auf dem Wiesenpfad bis zum Wald. Da könnte sie Zwiesprache halten mit ihm. Und von dort oben würde die Asche des halben Jakov ihre unsichtbaren Fühler ausstrecken zur anderen Aschehälfte jenseits des Atlantiks. Es wäre ein atlantisches Aschesehnen, das die Kontinente überspannte: ein halber Jakov für Europa, ein halber für Amerika.

Auf dieser zweiten Reise hatte er ihr seine Familie vorgestellt: Nancy, seine von ihm geschiedene Frau, sowie die beiden damals schon erwachsenen Kinder Owen und Maud. Bei einem Spätnachmittagstrunk hatte sich ein zwangsloses Gespräch ergeben. Nancy schien ohne Groll, Owen und Maud scherzten viel mit Jakov. Er fand zu jener Verspieltheit, die sie an ihm so mochte. Sie hatte sich darüber gefreut, auch über die Selbstverständlichkeit, mit der sie angenommen und gleich zu einem Ritt in die Landschaft eingeladen wurde. Dahin kehrte er nun zurück.

Vielleicht würden sie ihm gar eine Gedenkstätte einrichten, eine Bronzetafel für einen, der ein Wanderer gewesen war, einer, der von einem Irgendwoher kam, wie er selber sagte, und unterwegs war zu einem Irgendwohin. Ein Fremder, der auch im Tod ein Fremder blieb, in zwei Erden begraben.

Sie hörte Motorenlärm, schrak auf; rasch öffnete sie das Fenster, sah auf die Uhr. Bald fünf, noch alles unbewegt draußen, tiefe Nacht; ein kühler Luftzug fiel ins Zimmer. Sie ließ das Fenster einen Spaltbreit geöffnet.

Dann umfasste sie entschlossen ihre Urne mit beiden Händen, trug sie ins Schlafzimmer, verschloss sie im Schrank und steckte den Schlüssel ein.

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, sah das Scheinwerferaugenpaar am Straßenrand.

Sie kamen, um ihn zu holen.

Als es klingelte, machte sie Licht, öffnete. Die beiden Männer trugen dunkle Anzüge und hochgeschlossene Rollkragen.

Ash Logistics Company, sagte der eine und streckte ihr eine Ausweisplakette entgegen. Der andere trug einen kofferähnlichen Blechbehälter in den Raum.

Kommen Sie.

Sie blieben vor dem Tisch stehen, der eine bekreuzigte sich, der andere prüfte die Haftung des Deckels, nickte.

Dann würden wir jetzt, wenn es Ihnen recht ist, die Urne verpacken, zunächst für den Transport bis zum Flughafen. Dort folgen dann die Zollformalitäten und die nächsten Schritte für die Reise. Die Flugkarten sind gelöst. Wir begleiten zu zweit.

Ich weiß.

Sie stieß die Urne leicht an, sah auf die Männer, die abwartend standen, fast lässig, als wollten sie jeglichen Eindruck von Eile vermeiden.

Machen Sie nur.

Sie wandte sich ab, setzte sich in die Ecke.

Mit einer Sorgfalt, die ihr übertrieben schien, legten die Männer ein Tuch um die Urne, schnürten es fest und hoben das Paket in den Behälter, schoben weiteres Füllmaterial nach, Bausch um Bausch, bis der eine Mann ein trockenes Okay flüsterte, das wie ein Hüsteln klang. Dann schraubten sie den Deckel fest und stellten den Behälter zwischen sich.

Wir wären so weit.

Sie nickte.

Nachdem die beiden gegangen waren, löschte sie das Licht, setzte sich, blieb im Dunkel sitzen. Sie holte ihren Krug aus dem Schrank und stellte ihn auf den Tisch zurück.

Sie wollte die frühe Stunde vor Anbruch des Tages nutzen und ihre Urne ebenfalls aus dem Haus schaffen. Sie hatte schon die Erde hinter der Kastanie zum Wald hin vorbereitet, die Gras- und Moosschicht abgehoben, ein Loch ausgestochen, gut getarnt in einer Delle des Waldbodens.

Genau an dieser Stelle hatte Jakov damals das wimmernde Kätzchen entdeckt. Er hatte das schwer verletzte Tier emporgehoben, nach Hause getragen und gesund gepflegt. Momos Tod im letzten Herbst hatte er schon nicht mehr wahrgenommen. Weder hatte er sich um den Tierkadaver gekümmert, noch später erkennen lassen, dass etwas fehlte.

Für einen Augenblick legte sie ihre Hand auf die Mappe: die Virginie-Papiere. Wie oft hatte sie sich gewünscht, diese Geschichte hätte sie nie erreicht.

Aber das war jetzt vorbei. Und seine Verwandten drüben? Was wussten sie? Lange her, hatte Owen knapp erwidert, als sie nach dem Namen Virginie gefragt hatte.

Herta stellte die Urne in die Tragetasche, hängte sie sich um. Draußen ergriff sie den Spaten und schritt voran. Noch immer war es dunkel, doch der Regen hatte aufgehört; in einzelnen Häusern brannte schon Licht. Rasch verließ sie die Straße, nahm den Weg, der zum Waldrand führte.

Sie trug ihren Jakov hügelan, während der andere auf dem Weg zum Flughafen war, zehn Uhr zwanzig ab Zürich mit American Airlines nach New York La Guardia, dann weiter nach Denver International mit Anschlussflug nach Cheyenne oder mit dem Mietwagen die Interstate 25 über Fort Collins bis Cheyenne und über den Highway 80 bis Rawlins, wo sie nach Norden abbiegen würden, über Lander und Riverton bis in seine Stadt: Thermopolis. Ihre Augen hatten die Strecke auf der Karte abgefahren, und manchmal war eine Erinnerung da, jäh und überraschend –

Ein Bummel durch Lander, ein Café an der Hauptstraße, das in einen Innenhof führte, wo ein kleiner Bach sprudelte, als wäre man auf dem Land. Sie lehnten am Geländer. Jakov zog ein Päckchen aus der Tasche. Ein Aquamarin, sagte er, so klar und blau wie das Wasser der Seen, des Jenny und des Lewis Lake. Und wie das Blau deiner Augen, Herta, fügte er an, verschmitzt und leicht verlegen.

Jakov verweilte gerne an den Seen, schaute still auf die glatte Fläche hinaus – genauso gerne, wie er in dieses wilde, gebirgige Land mit seinen großen Ebenen fuhr, den eisig kalten Wintern, das fernab schien, weit weg von Cheyenne, wo der Vater seine Fabrik eingerichtet hatte, wo seine Mutter Lois Marie immer eine Fremde blieb und kränklich. Vielleicht hatte er deshalb nach der Trennung vom Vater und vom väterlichen Betrieb sich in diesem kleinen Ort niedergelassen: Thermopolis, den er zärtlich Thermop nannte oder einfach Mops. Er sprach nie über die Trennung vom Vater, den Streit, der gewesen sein musste, über die Unversöhnlichkeit, die geblieben schien. Das ließ er aus, als wäre da eine Lücke. A gap, hatte auch der Arzt im Riverton Memorial Hospital gesagt. Doch eine Antwort auf die Frage, was er damit meine, hatte er nicht gegeben. Nicht geben können? Nicht geben wollen? Herta wusste es nicht. Aber es war der Anfang von Jakovs Krankheit gewesen, vor neun Jahren. Oder waren es schon mehr, wenn sie die ersten Anzeichen einbezog? Sie hatte die kleinen Veränderungen kaum beachtet, gerade weil Jakov so aufrecht in seinem Alltag stand, dessen Widrigkeiten mit Humor begegnete. Hatte das sie davon abgehalten, rechtzeitig Abklärungen beim Arzt zu veranlassen? Jakovs feines Schmunzeln über die Unbilden des Alltags trug sie oft über Sorgen und die Gebrechlichkeit der Welt hinweg. Dieses gemeinsame Hinschauen auf das, was sie umgab, auf der Straße, im Restaurant oder bei einem Gang entlang des Seeufers verband sie. Immer wieder fanden sie ins Einvernehmen, das Spannungen löste, Enttäuschungen erträglich machte – mit einem treffenden Wort, einem Blick oder auch nur einer Geste.

Jakov gelang oft dieses Schmunzeln, auch dann, wenn eine Situation nicht auszuhalten schien: ein schnippischer Beamter, eine Endlosschlange auf der Post, ein Popcornknacken im Kino während der spannendsten Filmszene. Ein Langsam-Langsam wuchs aus seinen Blicken, seinen Mundwinkeln. Sie sah ihn jetzt für einen Augenblick in aller Deutlichkeit vor sich, als würde er gerade eintreten. Darin liebte sie ihn, in diesem beruhigend Unbeschwerten, das ihm zu eigen war. Es blieb ihm weit in die Krankheit hinein, über die Diagnose hinaus.

Sie fröstelte, als würde der Schrecken über die Gewissheit der Krankheit noch immer nachwirken, der Tag, an dem der Arzt ihnen die Diagnose unterbreitet und dabei auch das Unumkehrbare des Verlaufs nicht verheimlicht hatte. Er hatte das Fremdwort gebraucht: irreversibel. Der Verlauf ist irreversibel, hatte er gesagt, und nach einer Weile beigefügt: Leider.

Er hatte recht behalten.

Es war schwierig gewesen, alles, auch das Unterwegssein, ihre letzte Reise in die Staaten, die vierte, ausgerechnet zu ihrem siebzehnten Hochzeitstag. Wieder einmal, oder hätte sie sagen sollen, noch einmal, ein paar Tage in Shoshoni, im Desert Inn, eine Herbstfahrt, bevor der erste Schnee fiele – das war ihr schon fast verzweifelter Plan gewesen.

Doch endlich angekommen zeigte er kaum Freude, nicht einmal an den Ufern des Wind River, an denen er früher gerne flaniert war und von denen er seine Angelrute übers Wasser geschwungen hatte. Auch das Bad in den Thermen kräftigte ihn dieses Mal nicht. Die Fahrt nach Lucerne schob er hinaus, Besuche wiegelte er ab, als fürchte er, der Begegnung nicht gewachsen zu sein.

Das so sorgfältig vorbereitete Treffen mit den alten Freunden, auch mit seiner Stute Sina, wurde zum Albtraum.

Er wünschte sich keine weiteren Visiten und auch keine Ausflüge mehr, nicht einmal einen Abstecher nach Worland, wo seine Schwester Helen lebte, auch nicht an den Jenny Lake. Er winkte ab, als sei er auch der Prärien und Wälder müde. Home, flüsterte er, und sie dachte an ihr Haus über dem See. Ihr Heim, das wäre auch seins. Ein Irrtum.

All das erinnern, um zu begreifen?

Einmal traf er sich mit Owen und Maud zu einem Ausflug, ohne sie. Sie hatte ihnen vom Hotel aus nachgeschaut. Jakov ging leicht taumelnd, Owen stützte ihn – ein seltsames Verhältnis zwischen Vater und Sohn nach Jahren der Distanz. Und nun eine späte Nähe? Sie kehrten bald wieder zurück. Jakov schien verstört, es folgte eine unruhige, quälende Nacht.

Und anderntags geschah dieser Unfall. Die Familie, die nun einsprang, entschlossen, ihn aufnahm.

Ihr blieb die Rückkehr ohne ihn: ein Direktflug Denver–Zürich. Seine letzte Reise, hatte sie damals gedacht. Darin hatte sie sich getäuscht, wie sich jetzt zeigte.

Sie stieg langsam hügelan. Die Erde war glitschig, aber sie war froh um das Tauwetter der vergangenen Tage. Kaum hatte sie die letzten Häuser hinter sich gelassen, drehte sie sich um. Unten lag der See, blauschwarz; an den Ufern die blinkenden Lichter, im Osten begann es zu dämmern.