Paare mit Paketen - Karen-Susan Fessel - E-Book

Paare mit Paketen E-Book

Karen-Susan Fessel

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Beschreibung

Wenn Partnerinnen oder Partner psychisch erkranken, potenzieren sich die Probleme, heißt es. Aber ist das wirklich und immer so? Karen-Susan Fessel hat elf Paare einfühlsam zu den Schwierigkeiten, aber auch eventuellen Vorteilen befragt. Mit zuweilen erstaunlichen Ergebnissen. Wie lernt man sich kennen, und wann kommt die Wahrheit auf den Tisch? Entwickeln betroffene Paare ganz eigene Strategien in der Alltagsbewältigung? Wer stützt wen, und gibt es darin ein Gleichgewicht? Oder braucht es das gar nicht? Und wie gelingt es, Schwere in Leichtigkeit aufzulösen und Humor zu bewahren? Elf beeindruckende Paare erzählen aus ihrem Leben. Ausdrucksstarke Porträts von Werner Krüper machen die eindringlichen Reportagen zu einem unvergleichlichen Buch!

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Karen-Susan Fessel Mit Fotos von Werner Krüper

Paare mit Paketen

Psychische Erkrankungen gemeinsam meistern

Foto: Alexander Heigl

Karen-Susan Fessel

ist Schriftstellerin und lebt und arbeitet in Berlin. Seit 1994 sind mehr als vierzig Romane und Erzählungen für Kinder, Erwachsene und Jugendliche erschienen, die teils mehrfach ausgezeichnet und übersetzt wurden. 2020 wurde ihr für ihr literarisches Schaffen und soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Foto: Susanne Güttler

Werner Krüper

absolvierte eine Ausbildung zum Krankenpfleger und arbeitet als freier Fotograf für Institutionen und Medien im sozialen Bereich.

Cover

Titel

Vorwort

»Seither ist mein Leben sehr viel besser«

Benjamin Maack und Friederike Trudzinski

»Heimat ist, wo Ivo ist«

Sarah Stermann und Ivo Neunaber

»Die Erkrankung macht ja nicht den ganzen Menschen aus«

Ute und Sandra Hoppe

»Ich würde mir für meinen Mann drei Beine abhacken«

Andrea und Frank Herpich

»Wir gehören einfach zusammen!«

Martina und Lutz Bollenbach

»Ich habe gelernt, mich selbst zu stoppen«

Sandra Rummler und Renate Försterling

»Er ist wie mein zweites Ich«

Maria G. und Jan B.

»Anja ist für mich eine Bank, auf die ich mich verlassen kann«

Heiko und Anja Paschen

»Wir ergänzen uns sehr gut«

Claudia und Julia Ueckermann

»Sie hat mir das Leben gerettet«

Marlene E. und Steffen T.

»Solch ein Glück!«

Oliver Sechting und Rosa von Praunheim

Nachwort

Leseprobe: BApK / Familienselbsthilfe (Hg.) – Wahnsinnig nah

Impressum

Vorwort

Meine erste bewusste Berührung mit einem psychisch erkrankten Menschen hatte ich im Alter von 18 Jahren. Gerade frisch nach Berlin gezogen, rief mich eines Nachts eine Freundin zu Hilfe, deren neuer Lebensgefährte offenbar einen psychotischen Schub erlitten hatte und völlig außer sich geraten war. Ich sah seine heillose Verzweiflung, erlebte ihre große Angst um sich und um ihn und fühlte mit beiden mit.

Diesen beiden ist es damals nicht gelungen, ihre Beziehung auf stabile Beine zu stellen. Und ich habe mich seitdem immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie genau das gelingen kann: eine gute Beziehung zu führen, wenn einer oder beide Partner psychisch erkrankt sind.

Dass ein großer Teil der Gesellschaft der Überzeugung ist, das sei im Grunde nicht möglich und man solle lieber sofort die Reißleine ziehen, hat mich früher wie heute berührt. Psychisch erkrankten Menschen, aber auch deren Partnerinnen und Partnern wird mit großem Misstrauen, mit Ablehnung und auch Angst begegnet. Die Vorurteile sind immens und vielfältig.

Umso erfreuter war ich, als seitens des Verlages die Idee für dieses Buch an mich herangetragen wurde. Ich bin der vielleicht idealistischen, aber festen Überzeugung, dass wir nur das ablehnen, was uns fremd ist. Und alles, was wir kennenlernen, sei es durch direkte Begegnungen oder aber durch Bücher, das wird uns weniger fremd.

Deshalb hoffe ich – gemeinsam mit allen an diesem Buch Beteiligten –, dass die in diesem Band enthaltenen Reportagen und fotografischen Porträts dazu beitragen, die Stigmatisierung von psychisch Erkrankten abzubauen und Verständnis und Mitgefühl zu wecken. Aber auch Bewunderung – denn ich finde, dass viele der Porträtierten eine große Leistung vollbringen, indem sie dazu beitragen, dass sie als Paar und damit wir als Gesellschaft in Vielfalt friedlich und respektvoll miteinander leben.

Über die große Resonanz auf den Aufruf, sich für dieses Buch zu melden, waren der Verlag und ich erstaunt und erfreut. Die Auswahl aus den über fünfzig Zuschriften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu treffen, fiel uns nicht leicht. Liebend gern hätte ich alle Interessierten interviewt, jede einzelne Geschichte wäre es wert gewesen. Aber leider mussten wir uns auf elf Paare beschränken und konnten dabei die Paare aus Österreich und der Schweiz nicht berücksichtigen – die Corona-Pandemie machte uns, vor allem dem Fotografen Werner Krüper, einen Strich durch die Reisepläne.

Einige Paare habe ich dann auch notgedrungen per Videokonferenz interviewen müssen, was für mein Gefühl dann doch erstaunlich gut funktionierte.

Ich danke allen beteiligten Paaren ganz herzlich für ihre Bereitschaft, sich mir und meinen Fragen zu öffnen, für ihr Vertrauen und ihre Offenheit. Für mich persönlich ist dieses Buch eine meiner wichtigsten Arbeiten und eine große Freude.

Karen-Susan Fessel

»Seither ist mein Leben sehr viel besser«

Benjamin Maack und Friederike Trudzinski

Benjamin Maack(42), Journalist und Autor, arbeitete als Ressortleiter bei einem großen deutschen Nachrichtenmagazin, bis er vor knapp acht Jahren einen Zusammenbruch erlitt. Während eines mehrmonatigen Klinikaufenthalts wurde bei ihm eine Depression diagnostiziert, mit der er mittlerweile recht gut umzugehen gelernt und die er in seinem aktuellen Roman »Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein« verarbeitet hat.Friederike Trudzinski(38) war nach ihrem Germanistikstudium als Dramaturgin tätig und arbeitet heute als Ressortleiterin bei einer Frauenzeitschrift. Benjamin und Friederike sind seit 2008 verheiratet und leben mit ihren beiden Söhnen in Hamburg-Harburg.

Aus dem Erdgeschoss sind Kinderstimmen zu hören, dann fröhliches Lachen, gefolgt von einem Kreischen. Benjamin und Friederike sehen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an, schließlich springt Friederike auf. »Ich gucke mal schnell nach, ob die Kinder sich schon zerfleischen!« Benjamin lächelt. Kurz darauf kommt der jüngere Sohn die Treppe hinaufgerannt, stürmt ins Zimmer und hopst seinem Vater auf den Schoß. Zufrieden schmiegt er sich an ihn. Benjamin legt die Arme um den Vierjährigen und sieht nicht minder zufrieden aus – dass er sein Dasein als Vater liebt, ist dem 42-Jährigen deutlich ins Gesicht geschrieben. Und dass er das Zusammensein mit seinen Kindern genießt, umso mehr.

Dabei sah das vor gut acht Jahren noch ganz anders aus. »Ich kann mich an viele Abende erinnern, an denen ich mich in den Schlaf geweint habe«, sagt Benjamin. »Abende, an denen ich neben dem Babybett auf dem Boden lag, während Friederike den Kleinen ins Bett brachte – und mir die Tränen nur so aus den Augen liefen.«

Der »Kleine«, das ist der ältere, 2012 geborene Sohn. »Benjamin war total verknallt in das Baby«, erklärt Friederike und setzt sich wieder neben ihren Mann. »Aber er konnte es einfach nicht genießen.« So, wie der junge Vater auch andere Dinge, um die ihn manch einer beneiden würde, nicht genießen konnte. Mit 26 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, gefolgt von drei weiteren Büchern, die durchweg gut besprochen wurden. 2013 wurde er zum renommierten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen, erhielt mehrere Literaturpreise und nahm an Lesungen teil. Zugleich stieg er weiter die Karriereleiter hinauf.

Seine Schullaufbahn war nicht unbedingt in geraden Bahnen verlaufen, in der zehnten Klasse wechselte er vom Gymnasium auf die Realschule, absolvierte dann auf einer berufsbildenden Schule das Abitur und danach mehrere Praktika bei Zeitungen, bis er ein Volontariat bekam, das er wiederum für den ersten Job als Redakteur abbrach. Über Umwege und ein angefangenes Studium landete er schließlich bei einem großen Nachrichtenmagazin und arbeitete sich dort zügig hoch. Nebenbei organisierte er Veranstaltungsreihen, initiierte ein Kassettenlabel und stürzte sich in immer neue Projekte.

Mit 34 Jahren war Benjamin ein erfolgreicher Autor, namhafter Journalist, verheiratet mit seiner großen Liebe und frischgebackener Familienvater. Von außen betrachtet, schien alles in bester Ordnung. Aber Benjamin gelang es weder, sich zu entspannen, noch, sich über seine Erfolge zu freuen: »Das Schlimme waren die Momente, in denen ich nichts zu tun hatte und alles erledigt war – da hatte ich dann immer so ein unangenehmes, bedrohliches Rauschen im Kopf. Und das Bild, dass sich hinter mir eine Welle der nicht erledigten oder nicht gut gemachten Sachen auftürmt, die irgendwann über mir zusammenschlägt. Ich habe immer gedacht, dass man das Leben, so sehr es geht, mit Dingen füllen muss, die man schafft, bevor man stirbt. Das war mein Antrieb.«

»Ich hab manchmal gedacht: Jetzt freu dich doch mal!«

Seine innere Unruhe wuchs beständig an, äußerte sich nach und nach auch in körperlichen Beschwerden. Benjamin litt vermehrt unter Kopf- und Rückenschmerzen und unter extremer Anspannung, die sich zusehends verstärkte. Die Arbeitsbelastung nach seiner Beförderung zum Ressortleiter nahm weiter zu, zeitweilig ging der junge Vater schon morgens um fünf Uhr ins Büro, um in Ruhe schreiben zu können, und kam völlig erschöpft erst gegen Abend zurück – zu erschöpft manchmal, um auch nur das Baby ins Bett zu bringen. Das übernahm dann Friederike, die kurz vor der Geburt des Sohnes wiederum einen neuen Job bekommen hatte, der sie ungemein forderte. Ihre karge Freizeit verbrachte sie mit dem Kind und Freundinnen, ihren Mann bekam sie kaum zu Gesicht, und wenn, dann in desolatem Zustand. »Wir waren beide ständig k.o.«, sagt Friederike.

Benjamin fügt hinzu: »Manchmal denke ich: Wenn wir nicht so kaputt gewesen wären, hätten wir uns bestimmt getrennt.«

Friederike registrierte sehr genau, dass mit Benjamin etwas nicht stimmte. Aber mehr noch machte ihr fast die ungeliebte klassische Rollenverteilung zu schaffen, der sie nie hatte entsprechen wollen. Doch jetzt sah es ganz danach aus, dass sie in genau dieses Schema hineinfielen. »Der gefürchtete Klassiker«, erklärt sie mit einem schiefen Lächeln. »Die Frau geht arbeiten, macht Haushalt und Kind, und der Mann ist nicht zu Hause, weil er außerhalb arbeitet.« Die Streitereien zwischen den beiden nahmen zu, weil Friederike immer mehr das Gefühl hatte, in die Rolle einer sogenannten »guten Mutter« gedrängt zu werden, da der Vater von seinem Job so kaputt ist. Sie schüttelt den Kopf bei der Erinnerung: »Er hat total viel gemacht, immer noch neue Dinge. Ich hab manchmal gedacht: Jetzt freu dich doch mal, wenn du was erreicht hast, anstatt dich in eine Situation zu bringen, in der du eine Sache fertig hast, eine Sache halbfertig und drei neue in der Pipeline!«

Doch Benjamin gelang es nicht mehr, gegenzusteuern. Die Unfähigkeit, etwas Erreichtes oder auch nur Schönes zu genießen, die andauernde Rastlosigkeit, das ständig nagende Gefühl, nicht genug geleistet zu haben – diese Faktoren bildeten, so lässt es sich heute im Rückblick sehen, die Bausteine jenes instabilen Gerüstes, auf dem Benjamin seit Jahren entlangbalancierte, bis es schließlich unter ihm zusammenbrach und ihn in den Abgrund riss.

An einem seiner wenigen freien Tage hatte Benjamin eigentlich nur vor, einzukaufen, die Küche aufzuräumen und den Eineinhalbjährigen vom Kindergarten abzuholen. Der erste Punkt gelang auch mühelos, Benjamin nahm beim Einkaufen noch eine Flasche guten Weines mit. Doch dann öffnete er sie zu Hause und trank sie komplett aus. »Ich war sofort sehr betrunken«, schildert er die entscheidende Situation, »und rief eine Freundin an, damit sie das Kind abholte, und dann eine andere Freundin, damit sie mich mit zu sich nahm. Der Kleine sollte mich so nicht sehen.« In der Wohnung der Freundin brach Benjamin weinend zusammen, erholte sich, zurück zu Hause, tagelang kaum. Schließlich rief er einen Freund an, der Psychologe war. »Ich sagte ihm: ›Ich glaube, ich gehe wieder zur Arbeit.‹ Er sagte: ›Kannst du machen, dann wird es aber in einem oder eineinhalb Jahren doppelt so schlimm sein. Du hast einen Zusammenbruch gehabt, Depressionen, einen Burn-out.‹« Benjamin nahm das zunächst nicht ernst, aber als die Tage und Wochen ins Land zogen und sein Zustand sich nicht verbesserte, wurde ihm klar, dass sein Freund recht gehabt hatte. »Ich wusste dann, ich muss in die Klinik.« Vor allem, weil er sich selbst immer mehr als Belastung für Friederike und den Jungen empfand: weinerlich, unfähig, auch nur das Nötigste zu leisten, ohne jeden nützlichen Aspekt.

Anderthalb Monate Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik folgten. Einigermaßen stabilisiert und medikamentös eingestellt kam Benjamin zurück, fühlte sich geheilt und setzte die Tabletten bald wieder ab. Dann kam das zweite depressive Tief, zweieinhalb Monate Psychiatrie, zwei Monate Tagesklinik – und das Bewusstsein, dass sich die Depression doch nicht so leicht abschütteln lässt.

»Man musste was machen, sonst war man weniger wert«

Hinweise auf diese Entwicklung hatte es schon lange zuvor gegeben. Benjamin, 1978 in Winsen/Luhe geboren, wuchs als Sohn einer Sparkassenangestellten und eines Bahnbeamten in Bardowick in einer unauffälligen Mittelstandsfamilie auf, als »ein schwieriger, manchmal etwas übellauniger und schwermütiger Jugendlicher. Ich war vor allem sehr, sehr wütend«, erzählt Benjamin rückblickend. Auch sein im vorletzten Jahr verstorbener, sehr dominanter Vater war oft wütend gewesen, hatte ständig gearbeitet und in seiner Freizeit – sicherlich durchaus bezeichnend – am liebsten Holz gehackt. »In meiner Familie waren immer alle sehr kritisch miteinander«, erklärt Benjamin. »Alle krittelten aneinander herum. Kein Umfeld, in dem besonders respektvoll miteinander umgegangen wurde.« Dafür eines, in dem Arbeit und Fleiß über allem standen. Das wurde Benjamin, so sieht er es heute, vorgelebt: »Man musste was machen, sonst war man weniger wert.«

Die in ihm lodernde Wut, die sich oft in zynischen Bemerkungen äußerte, war auch Friederike früh aufgefallen. »Er war immer so wütend, böse, so zynisch«, erinnert sie sich. »Aber auf eine Weise, bei der man schnell durchschaute, dass sie mit Verzweiflung zu tun hatte.«

Friederike hatte vor der Beziehung mit Benjamin schon einen Freund gehabt, der mit Depressionen gekämpft hatte. »Sie war es gewöhnt, mit fertigen Typen zusammen zu sein«, sagt Benjamin und grinst. Seine Frau verdreht die Augen und lacht ebenfalls.

Friederike, 1982 in Aachen geboren und in Hamburg-Harburg aufgewachsen, war 17 Jahre, Benjamin 21 Jahre, als sie sich in Hamburg bei einer Gruppenlesung kennenlernten, bei der Benjamin mitwirkte. Friederike, die selbst schriftstellerische Ambitionen hatte, war mit zwei Freundinnen gekommen. »Ich kann mich erinnern, wie ich da so saß und aus den Augenwinkeln diese drei sehr jungen attraktiven Mädchen sah, die mich im Profil sehen konnten. Nicht meine Schokoladenseite …«, erinnert sich Benjamin lächelnd. Friederike war ihm zwar aufgefallen, »aber sie war sehr jung. Deshalb habe ich lange gar nicht darüber nachgedacht, dass wir ein Paar werden könnten.«

Das kümmerte sie wiederum wenig: »Ich hab gedacht: Das wird mein nächster Freund!«

Und ein Jahr später kam es dann auch so. Allerdings wurde die Beziehung zunächst hart auf die Probe gestellt, denn Friederike ging zum Studium nach München, eine Stadt, in der es durchaus auch Spannendes zu erleben gab. Sie trieb sich eher auf Poetry-Slams herum, statt zu studieren, schrieb Texte und lernte interessante Menschen kennen. »Wir haben uns einmal im Monat gesehen«, berichtet Benjamin mit gerunzelter Stirn, »und dann oft gestritten. Wir waren zusammen, uns aber doch fremd, durch das seltene Sehen.«

Schließlich trennten sie sich für eine kurze Zeit – ein halbes Jahr, in dem Benjamin ziemlich in sich zusammenfiel. Als sie wieder zusammen waren, kam Friederike, unter anderem auch wegen Benjamin, zurück nach Hamburg und studierte dort Germanistik. Im Jahr 2008 heirateten die beiden. »Benjamin wollte mich sehr dringend heiraten, mir war das eigentlich nicht so wichtig«, erzählt Friederike mit einem verschmitzten Lächeln. »Er hatte wahrscheinlich zu viele amerikanische Filme geschaut.«

Die Hochzeit selbst war eine Riesenparty; unzählige Gäste tanzten bis zum nächsten Morgen, mittendrin der überglückliche Benjamin und seine Braut, im von der Schwester genähten weißen Kleid. Am nächsten Abend legten die beiden in ihrer Lieblingskneipe einen 500-Euro-Schein auf den Tisch und betranken sich mit allen Gästen, die zur Party am Vorabend nicht hatten kommen können. Mit einem Filmriss sank Benjamin ins Bett, um aneinandergeschmiegt mit seiner frischgebackenen Ehefrau einzuschlafen – Letzteres ein Ritual, das sie bis heute pflegen und aus dem sie viel Kraft ziehen.

Die Beziehung festigte sich und hielt aus, dass Friederike nach dem Studium für zwei Jahre nach Hannover ging, um dort als Dramaturgin am Theater zu arbeiten. Als sie mit dem ersten Sohn schwanger wurde, zog sie zurück nach Hamburg und wohnte fortan gemeinsam mit Benjamin in einer großen Altbaumietwohnung am Fischmarkt.

Nach der Geburt des Kindes begann für Friederike auch beruflich eine schwierige Phase der Neuorientierung. Der Theaterarbeit als Dramaturgin und Schauspielerin hatte sie den Rücken gekehrt; für ihre literarische Arbeit – für einen Erzählband und mehrere Texte in Anthologien hatte sie 2006 den Hamburger Förderpreis für Literatur gewonnen – war keine Zeit mehr geblieben. Wo sollte es nun für sie hingehen? Nach einem Praktikum bei einer Zeitschrift wurde sie übernommen und stieg zur Ressortleiterin auf. Aber die Situation zu Hause – beide Eltern arbeiteten spürbar mehr, das Kind war lange im Kindergarten und alle waren ständig übermüdet – machte sie immer nervöser. Benjamins Mutter half zwar regelmäßig aus, aber dennoch spitzte die Situation sich unaufhaltsam zu. Bis Benjamin schließlich zusammenbrach.

»Die Zeit in der Klinik hat mich extrem runtergefahren«

Für Benjamin geht es im Hinblick auf seine Depressionen, die er lange nicht als solche wahrnahm oder gar bezeichnete, eher um die Frage, ob »so eine Depression dafür sorgt, dass ich nicht mehr funktioniere. Vorher hatte ich sicher auch schon Depressionen, aber genug Puffer dazwischen und konnte mich manchmal einfach ausklinken aus der Welt. Was nicht mehr geht, wenn man ein Kind hat.«

Nach seinem ersten Klinikaufenthalt entschieden sich Friederike und Benjamin schließlich zu einem großen Schritt, der sich im Nachhinein als glückliche Fügung herausstellt: Sie zogen nach Harburg in eine wunderschöne kleine Altstadtvilla, die Friederikes Familie ursprünglich für eine ihrer großen Schwestern gekauft hatte. Mittlerweile ist die Villa in Friederikes und Benjamins Besitz übergegangen. Große Teile des Hauses hat Benjamin selbst renoviert und saniert, in der Zeit nach seiner ersten depressiven Phase – die mit einem katastrophalen Unfall geendet hatte: In der Psychiatrie war Benjamin während eines Volleyballspiels extrem unglücklich gestürzt und hatte eine schwere Verletzung erlitten, einen Schädelbasisbruch mit Kleinhirnquetschung. Zwei Tage lag er im künstlichen Koma, sein Überleben stand auf Messers Schneide.

Doch Benjamin schaffte es – und musste wieder ganz von vorn anfangen. Mühsam erlernte er vieles wieder neu, was bis dahin eine Selbstverständlichkeit gewesen war: gehen ohne Schwindel, sehen ohne Doppelbilder. Weil seine Augenmuskulatur falsch angesteuert wurde, konnte er längere Zeit nicht richtig sehen, nicht lesen, musste sehr viel schlafen und brauchte eine Ewigkeit, um sich zu erholen. Einen Monat verbrachte er in der Reha. »Das war gut, weil es sehr viel Geschwindigkeit rausgenommen hat«, sagt er im Rückblick. »Die Zeit in der Klinik hat mich extrem runtergefahren.« Danach war Benjamin eineinhalb Jahre krankgeschrieben und konnte endlich – zumindest in Grundzügen – das genießen, was ihm die ganze Zeit zuvor nicht möglich gewesen war: sein Leben als Ehemann und Vater.

Benjamin blieb zu Hause und kümmerte sich um das Kind. Jetzt, wo der Druck von außen weggefallen war, klärten sich für Benjamin viele Dinge, mit denen er jahrelang zu kämpfen gehabt hatte. Zugleich gelang es ihm, die hohen Medikamentendosen zusehends mehr zu reduzieren. Nicht nur sein Körper heilte, auch seine Seele kam endlich ein wenig zur Ruhe: »Wenn der Körper viel zu tun hat, um zu Kräften zu kommen, dann kann sich die Psyche erholen.«