Paganini und das Weihnachtswunder - Michaela Schwarz - E-Book
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Paganini und das Weihnachtswunder E-Book

Michaela Schwarz

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Beschreibung

Martin, der um seine verlorene Liebe trauert. Anna, eine glücklose Musikerin. Und ein herrenloser Hund – das sind die herzerwärmenden Helden in dieser bezaubernden Weihnachtsgeschichte. Alle drei brauchen sie dringend ein Wunder, damit sie wieder Freude am Leben haben. Ein geheimnisvoller alter Mann und die Klänge einer Violine könnten es vielleicht auf magische Weise bewirken ...

Ein zauberhafter Roman über die Wunder der Weihnachtszeit und die Magie der Zufälle.

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Über das Buch

Martin, der um eine verlorene Liebe trauert.

Anna, eine glücklose Musikerin.

Und ein herrenloser Hund – das sind die herzerwärmenden Helden in dieser bezaubernden Weihnachtsgeschichte. Alle drei brauchen sie dringend ein Wunder, damit sie wieder Freude am Leben haben.

Ein geheimnisvoller alter Mann und die Klänge einer Violine könnten es vielleicht auf magische Weise bewirken ...

Ein zauberhafter Roman über die Wunder der Weihnachtszeit und die Magie der Zufälle.

Über den Autor

erstes kapitel

 

 

Als Martin aus dem Haus trat, stürzten zwei schwarze Krähen auf der gegenüberliegenden Straßenseite vom Dach herab, als seien sie für den Himmel zu schwer geworden. Erst im letzten Moment fingen die Vögel sich und landeten auf der Plane eines Lieferwagens. Er schloss die Augen. Dann warf er den Schlüssel in den Briefkasten, wie er es dem Hausverwalter versprochen hatte. Die Wohnung war leer, die Möbel verkauft; den Rest, den niemand haben wollte, hatte er an eine Familie aus Kasachstan verschenkt, die erst vor einer Woche in Hamburg eingetroffen war.

Er nahm kein Taxi, sondern ging zu Fuß zum Bahnhof. Sein Koffer war nicht schwer, auch wenn sich darin alles befand, was er noch besaß. Viel war es nicht: Kleidung, Briefe, ein paar Fotografien und ein Tonband mit Annes Stimme und dem Klang einer ihrer Geigen. Vor hundert Jahren mochten Auswanderer so, mit dunklen, entschlossenen Gesichtern, zum Hafen gewandert sein, in Gedanken schon ganz weit weg, in New York oder Sydney. Er war zu nichts entschlossen, nur dazu, nicht mehr in dieser Stadt zu leben und an Anne zu denken.Auch sein Atelier in Eimsbüttel hatte er verkauft, mit allen Geräten und Kameras. Mit dem Geld würde er eine Weile über die Runden kommen. Nur eine Kamera hatte er behalten, eine Leica aus den fünfziger Jahren, die sich gar nicht für schnelle Bilder eignete; er wusste nicht, ob er sie wirklich jemals wieder benutzen würde. Am liebsten wäre er eine Zeitlang mit verbundenen Augen durch die Welt gelaufen.

Vor dem Bahnhof wurde ein großer Weihnachtsbaum mit bunten Kugeln geschmückt. Anscheinend waren in der Nacht ein paar heruntergefallen. Ein Mann, der auf einer Leiter an dem Baum lehnte, rief ihm etwas nach und lachte dann, doch Martin achtete nicht darauf. Viel Betrieb herrschte nicht auf dem Bahnsteig, als er in den Zug stieg. Ein regnerischer Dezembertag war angebrochen, kein Tag, an dem man gern verreiste. Der Zug war beinahe menschenleer. Ein alter Mann saß allein in seinem Abteil; er hockte am Fenster, einen gelben Schal um den Hals, als fahre er schon seit ewigen Zeiten durch die Gegend. Dabei war der Zug erst in Hamburg eingesetzt worden und hätte eigentlich ohne Passagiere im Bahnhof ankommen müssen.

Martin machte sich nichts aus alten Leuten. Manchmal, wenn die Geldnot besonders groß gewesen war, hatte er auf goldenen Hochzeiten fotografiert, hatte sich von Kindern, die auch schon jenseits der fünfzig waren, weitschweifig erklären lassen müssen, wie er ihre betagten Eltern ins Bild setzen solle. Es stimmt, dass die meisten alten Menschen rochen, dass sie etwas an sich hatten, was einen an Dinge erinnerte, an die man nicht erinnert werden wollte. Er meinte nicht den Tod, sondern Alter und Krankheit und den Wunsch, alles im Leben richtig gemacht zu haben.

Der Alte schaute ihn nur kurz an. Er sah nicht wie die Alten aus, die Martin von den langweiligen Hochzeitsfeiern kannte. Er hatte langes schlohweißes Haar und trug einen engen schwarzen Anzug mit schwarzer Weste. Außer einem abgewetzten großen Lederbeutel, den er auf seinen Knien balancierte, schien er kein Gepäck zu haben. Lediglich ein schwarzer Geigenkasten lag auf der Ablage über ihm.

Ausgerechnet eine Geige!, dachte Martin.

Der Alte nickte ihm kurz zu, als Martin auf dem schräg gegenüberliegenden Sitz des Abteils Platz nahm. Um ihm nicht zu nahe zu kommen, verzichtete er auf das Privileg, am Fenster zu sitzen. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, sich wie ein gewöhnlicher Reisender die Gegend anzuschauen. Also schloss er die Augen, während der Zug sich langsam in Bewegung setzte. Als Kind hatte es ihm gefallen, wenn er mit seiner Mutter und seiner Halbschwester in die Ferien gefahren war, meistens nur für wenige Tage nach Holland ans Meer. Zu mehr hatte das Geld nie gereicht. Früher, in der Kindheit, hatte es Aufregung und Abenteuer bedeutet. Doch nun floh er vor dem Meer; selbst Hamburg lag zu nahe an der Nordsee. Eigentlich hätte er bis in die Wüste fahren müssen, aber auch der Weg nach München, quer durch Deutschland, war weit genug. In München hatte er vor ein paar Jahren einen Auftrag gehabt. Er wusste trotzdem so gut wie nichts von der Stadt; ihm reichte die Gewissheit, dass es dort nicht nach Salz und Meer riechen würde. Er würde sich in einem billigen Hotel einquartieren und seine Zeit vergeuden und Anne vielleicht irgendwann vergessen.

Mit geschlossenen Augen bemerkte Martin, dass auch von dem Alten ein Geruch ausging, aber nicht nach Alter und Schmerz, nach durchgelaufenen Schuhen und schlecht gereinigten Kleidern. Nein, er roch beinahe wie ein neugeborenes Kind, nach Haut und einer milden Seife. Oder nein, es duftete im Abteil auch ein wenig nach Zitrus, so als säße er nicht in einem Zug, sondern irgendwo im Süden unter einem Zitronenbaum. Hatte der Alte ein besonderes Parfüm benutzt? Oder gab es Menschen, die sich mit Zitronensaft einrieben?

In Bremen stieg niemand zu. Martin blieb mit dem Alten allein im Abteil.

Als er zu ihm schaute, schälte der Alte einen Apfel. Er tat das langsam, mit solch gemessenen Bewegungen, als vollziehe er eine sakrale Handlung. Seine Hände waren groß und stark geädert. Zog er trotz seines hohen Alters als Musiker durch das Land? Spielte er die Geige noch, die er bei sich führte?

Bedächtig schob der Greis sich die Apfelstücke in den Mund. Dann schien er sich plötzlich an den Mitreisenden zu erinnern. Er schaute Martin mit seinen weichen blauen Augen an und hielt ihm das letzte Stück hin.

Obschon Martin hungrig war, lehnte er ab.

»Vielen Dank«, log er, »habe ausgiebig gefrühstückt.«

Der Alte lächelte nachsichtig, als durchschaue er diese Lüge. Dann kramte er in seinem zerschlissenen Lederbeutel und holte eine winzige silberne Kanne hervor.

»Trinken Sie!«, sagte er; es war eher ein freundlicher Befehl als eine Aufforderung. »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Schluck vertragen.«

Martin wappnete sich für einen kräftigen Schluck Hochprozentiges, billigen Korn oder irgendeinen Likör, aber was er da trank, schmeckte nach kalten, frischen Früchten.

»Ich trinke keinen Alkohol«, erklärte der Alte mit einer Bestimmtheit, als müsse er auf einen Vorwurf antworten. »Und esse auch kein Fleisch.«

Martin nickte nur und gab ihm die Kanne zurück. Sollte der Alte essen, was er wollte!

Der Geiger schaute ihn an, entließ ihn nicht aus seinem Blick, als prüfe er sein Gegenüber für etwas, eine Aufgabe, die Martin nicht kannte oder noch nicht verstand. Dann runzelte er die Stirn und schob seinen Lederbeutel beiseite. Da begriff Martin, wie alt der Mann sein musste. Über achtzig, schätzte er. Die Haut in seinem Gesicht war nicht nur faltig, sondern rissig wie Pergament. Winzige aufgeplatzte Äderchen durchzogen seine Wangen. Kann sein, dass er auch schon neunzig ist, dachte Martin. Vielleicht saß er ja sogar mit einem Hundertjährigen im Abteil.

»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ein paar Takte auf meiner Geige spiele?«, fragte der Alte. »Sie wollen nicht reden, und meinen Ohren ist ein wenig langweilig.«

Seinen Ohren war langweilig? Wollte der Alte ihn veralbern?

Martin nickte höflich, während er gleichzeitig überlegte, ob er sich nicht einen anderen Platz suchen solle. Aber dann fiel ihm keine gute Begründung dafür ein, und wortlos wollte er sich nicht davonmachen.

Behutsam, als wäre sie ein lebendiges Wesen, holte der Alte seine Geige aus dem Kasten und legte sie sich auf die Schulter. Um spielen zu können, musste er ein wenig nach vorn rücken. Allein seine Haltung zeigte, dass er ein Könner war.

»Wissen Sie, was mich manchmal ein wenig traurig macht?« Der Alte schaute Martin über seine Geige hinweg betrübt an. »Ich denke an all die Musik, die Mozart nicht geschrieben hat, weil er viel zu früh gestorben ist. Nun schweben diese wunderschönen Weisen ziellos durch das Universum, weil niemand mehr da ist, der sie einfangen kann.«

Martin nickte erneut, ein verlegenes, bedeutungsloses Nicken, weil er nicht recht verstand, was der Alte da redete, aber der achtete gar nicht mehr auf ihn. Er strich ein paar Takte, ein kurzes, freudiges Lied, als würde da jemand über eine Wiese hüpfen, während neben ihm eine graue norddeutsche Landschaft vorbeirauschte.

Dann, als Martin schon im Takt mit dem Fuß wippte und es ihm beinahe gefiel, dass jemand in einem fahrenden Zug Geige spielte, brach der Alte ab und nahm sein Instrument von der Schulter. Er legte die Geige in den Kasten zurück und starrte auf seine Hände, als seien sie ihm plötzlich fremd geworden. »Es geht nicht mehr«, murmelte er in sich hinein. »Ich höre ein anderes Lied in meinem Kopf, doch diese alten Hände spielen es nicht. Sie wollen nichts Neues mehr spielen.«

Bekümmert zog er sich auf seinen Sitz zurück und starrte hinaus.

Martin schwieg; nicht einmal das Kompliment, das er dem Alten eigentlich für sein Spiel hatte machen wollen, brachte er über die Lippen.

Der Zug hielt in Osnabrück, und für einen flüchtigen Augenblick erwog er tatsächlich, auszusteigen und seine dürftigen Pläne zu ändern. Anne kam aus dieser Stadt. Hier hatte sie ihm den gotischen Dom, die alten Bürgerhäuser am Markt und den schmalen Fluss gezeigt, der sich durch die Innenstadt wand. Er dachte an ihr Lachen und an ihr Schweigen. Beide hatten am Anfang zusammengehört wie zwei Seiten einer Medaille. In ihrem Schweigen hatte auch immer eine sanfte Heiterkeit gelegen, als könne sie plötzlich aus der Stille heraus loslachen. Aber wenn sie lachte, war es immer, als wäre ihr Lachen nur ein heller lichter Vorhang, und dahinter gab es jede Menge Stille und Melancholie.

Ein junges Mädchen schaute in das Abteil. Es hatte die Hand schon am Türgriff, um einzutreten, bevor es sich anders entschied und weitereilte. Vielleicht hatte sie zu abweisend ausgesehen, ein merkwürdiges Paar: ein alter Mann mit langen weißen Haaren und ein jüngerer, der sie mit düsteren Augen anblickte.

Der Alte hielt nun die Augen geschlossen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als habe sich ein angenehmer Traum auf ihn gelegt. Für einen Moment wirkte er mit seinem faltigen Antlitz gar nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein glücklicher Außerirdischer, der seine Landung auf der Erde erschöpft, aber unversehrt hinter sich gebracht hatte. Tief atmete er ein und aus. Martin beneidete ihn um den Schlaf. Mehr als vier Stunden waren ihm selbst in den letzten Monaten nie vergönnt gewesen; einmal hatte er schwere Beruhigungstabletten genommen, aber da waren nur noch mehr flirrende Alpträume durch sein Bewusstsein geschwebt.

Er hatte niemandem gesagt, dass er Hamburg verlassen würde, hatte niemanden eingeweiht. Verlierer, die aus einer Stadt fortzogen, taten das in der Regel nicht mit Getöse. Wenn er es recht bedachte, war er mit allem, was er in den letzten Jahren getan hatte, zu kurz gesprungen; seine Fotos waren zwar guter Durchschnitt, aber eben nicht die hohe Kunst, die er in ihnen sehen wollte. Und die Kurse, die er gegeben hatte, waren auch nicht dazu geeignet gewesen, sich einen Ruf als brillanter Fotograf zu machen. Anne hatte zu Beginn seine Nachtbilder geliebt: silbriges Licht am Hafen, an den Landungsbrücken oder der Mond über dem Alten Land. Eine Zeitlang hatte er den Tick gehabt, aus offenen Fenstern hinaus zu fotografieren, gleichgültig, was dahinterlag, die Elbe, baufällige Häuser, Glasfassaden, ein Park, eine Kiesgrube, Brachland.

Plötzlich wurde die Tür des Abteils aufgerissen. Martin schrak zusammen. War er in einen Sekundenschlaf gefallen? Ein Schaffner stand in der Tür: Fahrkartenkontrolle. Zu dem Alten blickte er nur kurz hinüber und wandte die Augen gleich wieder ab, so als nehme er ihn gar nicht wahr. Jedenfalls weckte er ihn nicht, um ihn nach dem Fahrschein zu fragen, wie es doch seine Pflicht gewesen wäre. Er begnügte sich mit Martins Fahrkarte.

Der Alte öffnete die Augen genau in dem Moment, als der Schaffner die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte. Er schaute Martin mit seinen blauen Augen an, die so jung wirkten, dass sie gar nicht in sein faltiges Gesicht passten, und lächelte. Sollte er tatsächlich ohne eine Fahrkarte unterwegs sein und sich insgeheim freuen, dass der Schaffner ihn übersehen hatte? Der Alte reckte sich, kramte in seinem Lederbeutel und hielt seinem Mitreisenden wieder die silberne Kanne hin.

Dankbar trank Martin von dem erfrischenden Tee.

Etwas an dem Alten verstörte ihn. In der Gegenwart gewisser Lehrer hatte er sich früher gelegentlich so gefühlt; sie hatten die geheimnisvolle Fähigkeit besessen, sofort zu wissen, wer seine Hausaufgaben gemacht hatte und wer nicht.

Martin räusperte sich. Während der Alte ihn stumm fixierte und auch aus der Kanne trank, hatte das Schweigen im Abteil sich verändert. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, eine Erklärung, wohin er unterwegs war. Doch der Alte kam ihm zuvor.

»Wohin fahren Sie?«, fragte er forschend, während er die Kanne gewissenhaft in seinem Lederbeutel verstaute. »Wissen Sie schon, wo Ihre Reise zu Ende ist? Haben Sie ein Ziel?«