Der Weihnachtstango - Michaela Schwarz - E-Book
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Der Weihnachtstango E-Book

Michaela Schwarz

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Beschreibung

Vor dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum am Rockefeller Center in New York gaben Robert und Mara sich einst als frisch Verliebte das Versprechen, sich jedes Jahr am 20. Dezember für eine Nacht in Köln zu treffen. Ein Ritual, das sie seither nie versäumt haben. Aber nach vielen Jahren erhofft sich Robert von dem Treffen am Rhein nun mehr als je zuvor: Er möchte Mara für immer an seiner Seite haben und mit ihr zusammen durchs Leben gehen. Aber zum ersten Mal lässt Mara auf sich warten ...

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Über das Buch

Vor dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum am Rockefeller Center in New York gaben Robert und Mara sich einst als frisch Verliebte das Versprechen, sich jedes Jahr am 20. Dezember für eine Nacht in Köln zu treffen.

Ein Ritual, das sie seither nie versäumt haben. Aber nach vielen Jahren erhofft sich Robert von dem Treffen am Rhein mehr als je zuvor: Er möchte Mara für immer an seiner Seite haben und mit ihr zusammen durchs Leben gehen.

Aber zum ersten Mal lässt Mara auf sich warten ...

Über den Autor

Prolog

Mitternacht war längst vorüber. Seit drei Stunden waren sie durch Manhattan gelaufen; meistens schwiegen sie, spürten nur die Nähe des anderen. Allenfalls hatten sie sich dann und wann auf besondere Passanten aufmerksam gemacht – einen dicken Schwarzen, der über seiner Jacke ein Hemd mit der Aufschrift »Blackout 1977« trug, eine Alte, die in einem zerknitterten Rüschenkleid daherspazierte, als käme sie geradewegs von ihrer eigenen Hochzeit, und ein kleines Kind, das einen roten Umhang trug, als spiele es den Weihnachtsmann.

In zehn Stunden ging ihr Rückflug nach Deutschland. Danach würden sie sich nie mehr wiedersehen.

Vor vier Tagen, auf der Überfahrt zur Freiheitsstatue, hatten sie zum ersten Mal miteinander gesprochen. Allein hatte sie auf dem Oberdeck gestanden und sich gegen den eisigen Wind gestemmt. Nachdenklich, fast sehnsüchtig hatte sie über das graue Wasser geblickt. Er hatte kaum gewagt, sich ihr zu nähern. Sie war es dann gewesen, die ihn angesprochen hatte.

»Hier«, sagte sie und deutete nach Ellis Island hinüber, »hier sind viele Träume wahr geworden – der Eintritt ins Land der Wunder und Möglichkeiten.« Ihr Lächeln war das schönste gewesen, das er je gesehen hatte.

»Nicht für alle«, erwiderte er, »manche hat man sofort zurückgeschickt – die Kranken und Alten.«

Sie schaute ihn an. »Sind Sie immer so? Sehen erst das Unglück, dann das Glück?«

Im nächsten Moment, bevor er antworten konnte, wurde das Schiff, während es rumpelnd anlegte, von einer Welle erfasst, und sie war ihm beinahe in die Arme gefallen, ohne sich jedoch zu entschuldigen.

»Mara«, hatte sie stattdessen geflüstert, »ich heiße Mara und glaube an Träume.«

Danach waren sie beinahe unzertrennlich gewesen, und er hatte sich selbst nicht mehr erkannt.

Träume? Darüber hatte er niemals nachgedacht, nicht einmal zur Weihnachtszeit.

Als sie nun zum Rockefeller Center kamen, war die Eisbahn längst geschlossen, aber die Lichter an dem riesigen Weihnachtsbaum brannten offenbar die ganze Nacht. Die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt. Der Schnee, der am Tag zuvor gefallen war, war leider nicht liegen geblieben. Es war merkwürdig still. Zwei, drei gelbe Taxis fuhren vorbei. Von der Rockefeller Plaza klang entfernt Musik herüber. Die wenigen Passanten eilten vorbei, ohne dem geschmückten Baum Beachtung zu schenken.

Er sah die Reflexion der Lichter auf ihrem Gesicht; wie ein kleines Kind staunte sie den Weihnachtsbaum an.

Ich liebe sie, dachte er, ich liebe Linda, meine kluge, zuverlässige Frau, und ich liebe Mara. Das ist die Tragödie.

Als Mara für einen Moment die Augen schloss, wirkte sie noch schöner – die markanten Wangenknochen, der sinnliche Mund; selbst ihre Ohren, die ein wenig zu groß waren, gefielen ihm. Er war plötzlich sicher, dass sie sich etwas wünschte, und schloss auch die Augen.

Ich wünsche mir, dass dieser Moment nie vergeht.

Die Reise nach New York hatte nur der Weiterbildung von ein paar jungen deutschen Medizinern dienen sollen, und nun war sie das größte Abenteuer seines Lebens geworden.

Im nächsten Moment, während sie sich mit geschlossenen Augen an den Händen hielten und die Wärme dieses einzigartigen Weihnachtsbaums zu spüren glaubten, begann die Musik.

Eine einzelne Geige spielte eine schwungvolle, ungewöhnliche Melodie.

Er war so überrascht, dass er zusammenzuckte und die Augen aufriss. Ein schwarzhaariger Mann mit einer so dunklen Haut, dass er ihn im ersten Moment für einen Indianer hielt, stand da und nickte ihnen freundlich zu, während er spielte.

Sie waren ganz allein.

»Das ist ein Tango«, sagte Mara leise. »Kannst du Tango tanzen?«

Er schüttelte den Kopf, doch da hatte sie sich schon von ihm gelöst und sich wie eine richtige Tänzerin vor ihn hingestellt. Sie ergriff seine linke Hand, legte die andere um seine Taille und führte ihn – die ersten einfachen Schritte eines Tangos, den er zum letzten Mal vor über zehn Jahren auf dem Abiturball mehr schlecht als recht getanzt hatte. Aber sie konnte auch das: Tango tanzen.

Er sah, wie der dunkelhäutige Mann ihre Bewegungen mit einem beifälligen Lächeln begleitete.

»Gut so!«, hauchte Mara ihm ins Ohr.

Ich liebe dich, wollte er sagen, verdammt, vergessen wir all das, was uns in Deutschland erwartet, und bleiben einfach hier.

»Welcher Tag ist heute?«, fragte sie unvermittelt.

Er geriet ein wenig ins Stolpern, verpasste ein paar Schritte, doch so, als wäre es ein Leichtes, ihn wieder in den Rhythmus zurückzuführen, zog sie ihn an sich und ließ ihn spüren, welche Bewegungen er machen musste.

»Heute ist Dienstag, der 20. Dezember 1977.«

»Dann sollten wir uns Wiedersehen – nächstes Jahr, am selben Tag, irgendwo in Deutschland. Zu unserem nächsten Tango.«

Einen Moment später löste Mara sich von ihm, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und lief davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Als sie sich am nächsten Morgen am Abflugschalter wieder begegneten, trug Mara eine Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht bedeckte. Er wusste, dass sie geweint hatte. Sie war seit zwei Jahren mit einem älteren Chirurgen verheiratet, wie sie ihm wie beiläufig gestanden hatte, nachdem sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Und er selbst hatte Linda, seine kluge, nüchterne Frau, die er bei seinem ersten Praktikum im Krankenhaus kennengelernt hatte, wo sie schon Assistenzärztin gewesen war. Am 2. Januar würde er in ihre Praxis einsteigen. Alles war vorbereitet.

Wenn er zu Mara herüberschaute, wandte sie den Kopf, als bereite es ihr Schmerzen, ihn anzuschauen. Er wollte an ihr vorbeigehen, ihr den Umschlag mit der Nachricht zustecken, die er am frühen Morgen in seinem Hotel am Central Park geschrieben hatte. Statt vieler Liebesschwüre stand da nur: Mittwoch, 20. Dezember 1978 – Domhotel Köln. Ich warte auf Dich. Er wagte es jedoch nicht, ihr den Brief zu übergeben. Das Risiko, dass es die anderen aus ihrer Reisegruppe mitbekommen hätten, erschien ihm zu groß. Er war schon immer ein Feigling gewesen. Vielleicht hatte er auch deshalb Linda geheiratet, die immer wusste, was sie wollte.

Mara hatte augenscheinlich mit jemandem aus ihrer Gruppe den Platz getauscht, so dass sie fünf Reihen vor ihm saß. Während alle anderen während des langen Fluges schliefen, war er hellwach. Der Umschlag in seiner Tasche schien zu glühen. Wie könnte er es schaffen, ihr den Brief zuzustecken?

Als sie schon im Landeanflug auf Frankfurt waren, bat er eine Stewardess, ihr den Umschlag zu geben. Die junge Frau war ein wenig überrascht, willigte jedoch ein.

Er sah Mara nicht mehr, als sie das Flugzeug verließen. Irgendwo vor ihm hastete sie zu ihrem Gate – Weiterflug nach Hamburg in fünfundzwanzig Minuten.

Während er auf sein Gepäck wartete und wusste, dass Linda ihn draußen in Empfang nehmen würde, hatte er das Gefühl, als hätte man ihm ein lebenswichtiges Organ aus dem Körper gerissen. Seine Traurigkeit war so groß, dass er glaubte, nicht mehr atmen zu können. Sein Blutdruck war im Keller, und er nahm die Menschen um sich herum nur als diffuse Schattenwesen wahr.

Wie sollte er gleich Linda begegnen? Sie hatte daraufbestanden, ihn in Frankfurt abzuholen, um ihn nach dem langen Flug zu ihrem Haus am Ammersee zu chauffieren.

Als er sein Gepäck vom Band nahm, fühlte er sich wie ein alter, geschlagener Mann. Doch plötzlich stand die Stewardess aus dem Flugzeug vor ihm und überreichte ihm lächelnd einen Umschlag. Sie hatte offenbar Gefallen daran gefunden, die Liebesbotin zu spielen.

Sofort, ohne sich bei der jungen Frau zu bedanken, riss er ihn auf. Auf einem kleinen weißen Zettel stand nur ein einziges Wort: Ja.

Erstes Kapitel

Die ganze Woche hatte er an Mara gedacht. Er hatte schon erwogen, früher nach Köln zu fahren, um sich dort in aller Ruhe auf ihr Treffen vorzubereiten, aber dann hatte er sich nicht getraut, die Praxis vor der Zeit zu schließen. Außerdem waren noch einige Dinge zu besprechen gewesen – mit dem Steinmetz, der den Grabstein im Februar fertig haben sollte, und mit Rainer, der im Frühjahr die Praxis allein weiterführen würde.

Robert blickte auf Lindas Grab, betrachtete das helle Holzkreuz mit ihrem Namen und kam sich wie ein Betrüger vor. Aber er war ja auch ein Betrüger gewesen – jedes Jahr am 20. Dezember hatte er sie mit der Frau betrogen, die er wirklich liebte.

Verzeih mir!, wollte er flüstern, brachte jedoch kein Wort heraus.

Eine alte Frau lief an ihm vorbei und grüßte ihn. Er erinnerte sich nicht an ihren Namen, wusste aber, dass sie stets Lindas Patientin gewesen war – wie viele Frauen aus dem Dorf, die sich genierten, sich von einem Mann untersuchen zu lassen.

Linda war dreiundsechzig geworden, sieben Jahre älter als er. Es hatte bei ihr nie Anzeichen von Bluthochdruck gegeben, und doch hatte sie innerhalb von vier Monatenzwei Schlaganfälle erlitten; der erste hatte ihr die Sprache geraubt, der zweite war tödlich gewesen.

Robert erwiderte den Gruß der Frau, als sie sich schon längst wieder abgewandt hatte, und strebte dem Ausgang des Friedhofs zu.

Der Ford stand da. In sechs Stunden würde er vom Ammersee aus in Köln sein und auf Mara warten, und zum ersten Mal hatte er sich keine seltsame Entschuldigung einfallen lassen müssen, warum er vier Tage vor Heiligabend unbedingt nach Köln fahren wollte. Er war nun Witwer, ein alleinstehender, kinderloser Mann. Da war nur Rainer, Lindas Neffe, den er insgeheim für einen Schwätzer und einen miserablen Arzt hielt.

Er fuhr langsamer als sonst. Vielleicht weil er sich zum ersten Mal vor der Begegnung mit Mara fürchtete. Er musste mit ihr reden, ihr endlich sagen, dass es nicht mehr ging; er konnte sie nicht mehr nur einmal im Jahr für eine Nacht und ein langes Frühstück treffen. Er musste sie häufiger sehen, jeden Tag – oder gar nicht mehr.

Bereits bei ihrem achten Treffen, im Jahr 1985, war er fest entschlossen gewesen, es Mara zu sagen – ihr gewissermaßen einen Antrag zu machen. Ich verlasse meine Frau, weil ich mit dir zusammen sein will. Ich ziehe nach Hamburg, wenn du willst, suche mir eine Praxis, in die ich einsteigen kann.

Sorgsam hatte er sich die Worte zurechtgelegt, wie es ihm zur Gewohnheit geworden war, wenn ihm etwas besonders schwerfiel. Es würde sicherlich nicht leicht sein, in Hamburg Fuß zu fassen. Mara war eine erfolgreiche Herzchirurgin an der Universitätsklinik, er hingegen nur ein einfacher Landarzt aus Bayern, aber damit könnte er fertig werden.

Für das erste Wiedersehen hatte er noch einen Besuch bei einem Schulfreund vorgeschoben. Im zweiten Jahr hatte er so getan, als müsse er ein Geschenk für Linda besorgen, und hatte ihr dann, gewissermaßen als Kompensation, ein teures Bild geschenkt. Dann hatte er einen guten Vorwand gefunden: Er wolle seinen neuen Ford direkt beim Werk in Köln abholen, hatte er Linda erklärt, und damit begründet, warum er sie für einen Tag in der Praxis allein lassen musste. Ab 1983 hatte er sich jedes zweite Jahr ein neues Ford-Modell besorgt, obwohl er eigentlich viel lieber einen BMW gefahren hätte, aber das gehörte zu seiner Tarnung. »Lass mich doch!«, hatte er seiner Frau letztes Jahr noch gesagt. »Diese Reise nach Köln ist so eine Art Ritual für mich, und ein Arzt, der mit einem Ford vorfährt, ist den Leuten sofort sympathisch, weil er nicht mit seinem Status angibt.«

Er hatte keine Ahnung, ob sie ihm diese Gründe jemals geglaubt hatte. Wahrscheinlich hatte es sie irgendwann auch nicht mehr interessiert; sie hatte jedenfalls gelacht, als er seine Ausrede zum ersten Mal vorgebracht hatte, und war in ihren Landrover gestiegen, um Patienten zu besuchen oder in den Reitstall zu fahren, wo sie inzwischen jede freie Minute verbrachte. Ihr Verhältnis war an einem Nullpunkt angekommen. Sie hatten sich schon damals über ihre Arbeit hinaus nicht mehr viel zu sagen. Er schob es auf Mara, die Schattenfrau, die ihn nie losließ. Linda erklärte es sich damit, dass sie kinderlos geblieben waren.

Bei diesem besonderen Treffen, 1985, traf er um siebzehn Uhr im Domhotel ein, das wie immer weihnachtlich geschmückt war. Man begrüßte ihn höflich wie jedes Jahr. »Ja, Herr Doktor Faber – das Eckzimmer mit Domblick. Es ist alles vorbereitet.«

Zuerst packte er seinen Koffer aus und baute den Rekorder mit der Tangomusik auf. Auch das gehörte zu ihrem Ritual. Um genau Mitternacht tanzten Mara und er Tango. Er hatte heimlich Unterricht genommen, war deswegen eigens von Schondorf nach München gefahren, um in einer Doppelstunde die wichtigsten Schritte zu üben, obwohl ihm klar war, dass er im Vergleich zu ihr immer ein jämmerlicher Tänzer bleiben würde.

Um zwanzig Uhr war Mara immer noch nicht eingetroffen. Er begann sich Sorgen zu machen. War ihr etwas passiert? Warum versetzte sie ihn ausgerechnet dieses Jahr, wo er so ernsthaft mit ihr reden wollte?

Er konnte nicht einmal in Hamburg nachfragen, weil er weder ihre Telefonnummer noch ihre Adresse hatte. Auch das hatte von Anfang an zu ihrer Verabredung gehört. Keine Nachrichten, keine Telefonate, keine Fragen.

Nur der 20. Dezember sollte ihnen gehören.

Gegen halb zehn klopfte es an der Zimmertür.

Er hatte schon eine heimliche Zigarette geraucht und sich damit abgefunden, dass Mara dieses Jahr nicht kommen würde, aber da stand sie vor ihm: verlegen lächelnd, mit funkelnden Augen.

»Tut mir leid, Liebster«, sagte sie und küsste ihn sofort. »Ich habe den Zug verpasst, und der zweite hatte Verspätung, aber nun bin ich ja da.«

Sie öffneten sofort den Champagner und tranken, ohne zuvor – wie sonst – in das Restaurant zu gehen und etwas zu essen.

Mara war anders als sonst – aufgekratzter, redseliger, während er immer schweigsamer und nachdenklicher wurde.

Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, tanzten sie ihren Tango – er war und blieb ein schlechter Tänzer, aber was spielte es für eine Rolle? Er wollte sie im Arm halten, sie riechen, den Duft ihrer Haut einatmen.

Sie war ein wenig magerer geworden und hatte zwei Falten um die Mundwinkel, aber auf keinen Fall wollte er sie nach den Gründen fragen. Einmal, im dritten Jahr, hatte er sich scheinbar beiläufig nach ihrem Mann erkundigt, und da war sie ganz steif geworden, als habe ein Schmerz sie getroffen. »Robert – bitte keine Fragen!«, hatte sie gesagt und ihm ihr anderes, düsteres Gesicht gezeigt. »Wolf und ich durchleben gerade eine schwierige Phase.«

Als der Tango beinahe zu Ende war, hatte er sich geräuspert und zu seiner Rede angesetzt: »Mara, ich muss dir etwas sagen.«

Sie hatte ihn angeschaut und glücklich gelächelt. »Ich dir auch«, hatte sie geflüstert.

Für einen Moment war er sicher gewesen, dass sie ihm dasselbe mitteilen wollte. Sie waren Seelenverwandte. Auch sie hatte vor, ihren Mann für ihn zu verlassen, um mit ihm zusammen zu sein.

»Fang du an!«, sagte er ungewohnt siegessicher.

Mara hatte ein wenig Lippenstift aufgelegt, überhaupt war sie geschminkt, was sonst nie vorgekommen war. Dezent hatte sie die Lider nachgezogen; ihre blauen Augen funkelten, und dann brach es aus ihr heraus. »Stell dir vor – ich bin verliebt«, sagte sie. »Er heißt Sören und ist Däne; kein Arzt, Gott sei Dank, sondern ein Bauingenieur. Er will mich heiraten.«

Robert geriet aus dem Takt. Zum Glück verklang die Musik wenig später. Mara kehrte in ihrem T-Shirt ins Bett zurück, während er in einem Sessel Platz nahm und sich eine Zigarette ansteckte; ihr gefiel nicht, wenn er rauchte, doch nun achtete sie gar nicht darauf.

Innerhalb von zehn Minuten erfuhr er mehr von ihrem Leben als bei den sieben Treffen zuvor. Sie arbeitete längst nicht mehr als Herzchirurgin, sondern hatte eine homöopathische Zusatzausbildung absolviert und praktizierte als Ärztin für Naturheilkunde in der eigenen Praxis. Seit zwei Jahren war sie von ihrem ersten Mann geschieden und hatte wieder ihren Mädchennamen angenommen, den sie ihm jedoch nicht nannte.

Er begriff, dass er überhaupt nichts von ihr wusste. Sie waren keine Seelenverwandten, sie war eine Frau, mit der er einmal im Jahr Tango tanzte – mehr nicht.

Als sie sich am nächsten Morgen trennten, war er sicher, dass er sie nie wiedersehen würde, doch ein Jahr später erwartete sie ihn bei seinem Eintreffen bereits auf ihrem Zimmer im Domhotel, zum ersten und einzigen Mal in all den Jahren. Von dem Dänen hatte sie nie wieder gesprochen.

Es war sechzehn Uhr, als er in Köln eintraf. Er parkte in der Garage unter dem Dom und ging dann die wenigen Schritte zum gediegenen, ehrwürdigen Domhotel. DerHimmel war grau, es nieselte leicht. Vom Weihnachtsmarkt neben dem Hotel drang Musik herüber. Kinder sangen auf einer Bühne Weihnachtslieder.

Wo Linda jetzt wohl ist?, dachte er und erschrak bei diesem Gedanken. Sah sie vom Himmel herab und begriff nun, was er all die Jahre lang am 20. Dezember getan hatte? Ein Auto abholen, einen Freund besuchen, einen Herzspezialisten konsultieren, in einer Galerie ein Bild kaufen – was für armselige Ausreden er für seinen Betrug gehabt hatte!

Er lächelte über sich selbst. Der Rest eines Kinderglaubens schien noch in ihm zu stecken, wenn er meinte, dass die tote Linda auf ihn herabschaute.

Zweites Kapitel