Panamericana - Der Weg nach Hause - Günter-Christian Möller - E-Book

Panamericana - Der Weg nach Hause E-Book

Günter-Christian Möller

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Beschreibung

Buenos Aires, Argentinien. Ein zwölfjähriger Junge ist mit seinen Eltern in der Stadt, weil sein Vater wichtigen Geschäften nachgehen muss, aber dabei auf seine Familie nicht verzichten wollte. Doch der "Urlaub" wird immer mehr zur Katastrophe und die Eltern streiten sich nur die ganze Zeit - bis auf dem Weg zu einer Fabrik ein schrecklicher Unfall geschieht und die Familie voneinander getrennt wird. Der Junge wird aus dem Wagen geschleudert und von einer alten Frau vor dem sicheren Tod gerettet. Gabriella nimmt ihn bei sich auf und erfährt, dass er sich an nichts mehr erinnern kann. Sie nennt ihn "Pedro" und kümmert sich liebevoll um sein Wohl. Doch Gabriella ist schon bald mit ihren Kräften am Ende und schickt Pedro auf eine Reise. Sie ist sich gewiss, dass seine Eltern aus den Vereinigten Staaten stammen und dort seine wahre Heimat ist - zumindest weisen alle Indizien darauf hin. Sie schickt den Jungen fort und auf eine gefährliche Reise Richtung USA. Aber bereits der Weg quer durch Südamerika erweist sich als schwieriges Unterfangen, denn nicht jeder ist Pedro wohlgesonnen. Pedro ist umgeben von Menschen mit krimineller Energie und muss stets und ständig um sein Leben fürchten. Für Geld und Macht schrecken diese nämlich auch vor einem kaltblütigen Mord nicht zurück. Aber wenigstens Fortuna steht auf seiner Seite und lässt ihn alle Gefahren einigermaßen schadlos überstehen – selbst den Sturz in eine tiefe Schlucht überlebt er mit nur ein paar Verletzungen. Nur die Erinnerungen an sein altes Leben wollen nicht zurückkehren und Pedro beginnt zu zweifeln, ob es wirklich richtig ist, einem Phantom, den Schatten seiner Vergangenheit hinterherzujagen. Was er jedoch nicht ahnt: Ein Detektiv ist auf der Suche nach ihm und heftet sich dicht an seine Fersen… Ein spannendes Erlebnis, das man nicht verpassen darf – genau das ist Günter-Christian Möllers Roman "Panamericana – Der Weg nach Hause". Hier erfährt man bei der Lektüre ein Abenteuer, das den Leser zum Staunen bringt und ihn bisweilen sprachlos macht ob der Emotionen, die geradezu überwältigend schön sind. Dieses Vergnügen fesselt einen bereits ab den ersten Seiten, denn solch eine Geschichte verspricht amüsante Unterhaltung, der es an nichts fehlt. Mit viel Gefühl und einem Hauch Nervenkitzel erzählt der deutsche Autor die Story eines Jungen auf der Suche nach seiner eigenen Identität – eben ein packender Coming-of-age-Roman.

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Seitenzahl: 374

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Günter-Christian Möller

Panamericana

Der Weg nach Hause

© 2013 Günter-Christian Möller

Titelbild: Günter-Christian Möller

guenter-christian-moeller.de

Lektorat, Korrektorat: Angelika Fleckenstein

spotsrock.de

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-5223-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Wir hatten das Ende des Weges erreicht. Auf der einen Seite war das undurchdringliche Dickicht des Waldes und auf der anderen gab es nur noch das Schilf und das Wasser. Der kleine Junge wandte sich um und sah mich mit weit aufgerissenen Augen ängstlich an. Dann sagte er mir, dass etwas Schreckliches passiert wäre. Erschrocken blickte ich mich um. Der Wind zerrte an den Zweigen der Bäume und Büsche und das Wogen des Grases und Schilfs rauschte in meinen Ohren. Doch ich spürte keine Gefahr. Nichts schien sich verändert zu haben. Angespannt fragte ich ihn:

„Wie kommst du darauf, Niko?“

„Ich brauche Abenteuer, Günti.“

1

Es war das absolute Grauen. Er hoffte, hier in Argentinien etwas Abwechslung und Ruhe zu haben, aber nein, seine Eltern stritten sich von morgens bis abends, und das auch noch über völlig belanglose Sachen. Er war zwölf Jahre alt und las gerade im Hotelzimmer seiner Eltern ein spanisches Comicheft, das sein Vater ihm geschenkt hatte. Dabei konnte er überhaupt kein Spanisch, und sein Vater wusste das. Der Vater behauptete, es wäre eine einfache Art, sich mit dieser Sprache vertraut zu machen. Leider hatte der Junge das englische Buch schon durchgelesen, das er mitgenommen hatte. Sein Vater forschte währenddessen ungeduldig in einer Wirtschaftszeitschrift. ‚Finanzielle Katastrophen‘, sagte er immer. Richtig genießen konnte er die Hiobsbotschaften offenbar nicht, denn er machte ständig ein finsteres Gesicht.

Eigentlich wollte seine Mutter nicht mit dem Vater hierher reisen. Aber nach einem längeren Streit hatte sie sich dann trotzdem dazu bereit erklärt. Allerdings nur, wenn der Junge – gemeint war er – auch mitkäme. Nun wusste er, dass er bei dieser Reise mal wieder den Puffer zwischen den beiden spielen sollte.

Da klopfte es an der Tür. Sein Vater blickte kurz auf und rief mürrisch ‚Herein‘. Eine Putzfrau kam mit ihrem Putzwagen ins Zimmer und schaute sich unsicher und fragend um.

„Fangen Sie ruhig schon an“, sagte der Vater mit gekünsteltem Lächeln.

Die Frau schob ihren Wagen etwas weiter zu einem kleinen runden Tisch, der einen nicht gleich erkennbaren Defekt hatte. Ein Bein des Tisches war nämlich lose, und wenn man ihn anstieß, fiel er mit zweifelhafter Eleganz und Hingabe um. Leider lagen heute Morgen einige persönliche Dinge der Mutter darauf. Und tatsächlich war die Putzfrau so ungeschickt, den Tisch mit ihrem Wagen anzustoßen. Das Tischbein gab nach, und nun lagen die Dinge, die sich darauf befunden hatten, auf dem ganzen Boden verstreut.

„Herrje!“, schimpfte der Vater und richtete sich in seinem Stuhl auf, um noch lauter als üblich schreien zu können. „Bringen Sie das sofort wieder in Ordnung!“

Während die Putzfrau versuchte, das Bein des Tisches wieder an die richtige Stelle zu setzen, stand der Junge auf und sammelte die Sachen, die er finden konnte, vom Boden auf. Doch wohin damit? Rasch steckte er die kleinen Sachen in die Hosentasche. Das Portemonnaie und die Handtasche legte er auf den freien Stuhl neben dem Vater. Prompt bekam er von ihm einen Rüffel dafür.

„Lass den Unsinn! Die Frau hat das Durcheinander hier angerichtet und soll das gefälligst selber in Ordnung bringen. Wenn du so weitermachst, bist du in fünf Jahren der perfekte Dienstbote. Willst du das?“

Der Junge hielt inne, und wütender Trotz breitete sich auf seinem Gesicht aus. Dann setzte er sich auf den Stuhl, der am weitesten entfernt von seinem Vater stand und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Der herrschte noch einmal die Putzfrau an.

„Hören Sie gefälligst mit der Bastelei am Tisch auf und verschwinden Sie! Es gibt schon genug Unordnung hier drinnen. In einer halben Stunde ist meine Frau hoffentlich fertig. Danach können Sie so viel Unsinn in diesem Zimmer anrichten, wie sie wollen. Aber jetzt will ich meine Ruhe haben. Raus!“

Drohend sah er die Frau an.

Die bekam ein rotes Gesicht, schwieg betreten und schob ihren Wagen wieder nach draußen. Kurze Zeit später kam die Mutter ins Zimmer und blickte auf die Bescherung.

„Was ist denn hier passiert, George“, rief sie empört. „Kannst du nicht wenigstens eine halbe Stunde mal aufpassen, dass niemand diesen Tisch umwirft? Kaum bin ich für ein paar Minuten weg, und schon ist alles durcheinander. Wo ist denn nur mein Schmuck hingefallen?“

„Was regst du dich so auf? Es ist schon nichts verschwunden“, konterte der Vater verärgert. „Wenn du nicht willst, dass etwas wegkommt, dann musst du es eben nicht ausgerechnet auf diesen klapprigen Tisch legen, Eveline.“

Er wandte sich an den Jungen und brüllte ihn an. „Wo hast du die Sachen gelassen? In zwei Monaten wirst du dreizehn. Es wird Zeit, dass du dich endlich auch wie jemand benimmst, der mit seinem Kopf denkt, statt mit seinen ungeschickten Händen Pagendienste zu verrichten.“

Der Junge schwieg und kramte in seinen Taschen herum. Schließlich holte er die Dinge hervor, die er eingesteckt hatte.

„Ist das alles?“, polterte Eveline. „Wo ist mein Ehering? Mein Ehering ist weg, George! Ich weiß schon, dass dich das nicht interessiert. Der Ring ist dir genauso egal wie unsere Ehe.“

„Mach nicht so ein Theater, Eveline!“, klagte George. „Vielleicht liegt er ja irgendwo auf dem Teppich. Der Junge kann auch nichts dafür. Es wäre nicht das erste Mal, dass du ihn absichtlich verlegt hast.“

Wie so oft gab ein Wort das andere. Sie brüllten einander vorwurfsvoll an. Oft endete es damit, dass Türen knallten und sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Es ging auch an diesem Tag noch eine Weile hin und her, bis der Vater darauf drang, ins Restaurant zu gehen, um dort zu frühstücken. Beim Essen ging der Streit zwischen den Eltern weiter. Weniger laut, dafür umso gemeiner. Als sie nach dem Frühstück ins Auto stiegen, hatte der Junge kaum etwas gegessen. Damit gab er der Mutter wieder einen Grund, mit ihm zu schimpfen. Aber das war er ja gewohnt.

Der Vater schaute ständig auf die Uhr. Er war spät dran und würde sich sicherlich eine halbe Stunde verspäten. Er saß auf dem Fahrersitz des Leihwagens und fuhr vom Hotelparkplatz zur Hauptstraße. Er wollte an diesem Tag zu einer Fabrik fahren, die von einer ausländischen Firma aufgekauft werden sollte. Seine Aufgabe war es, die Finanzlage dieser Fabrik zu prüfen.

„Es macht keinen guten Eindruck auf diese Leute, wenn ich zu spät komme, Eveline“, klagte George vorwurfsvoll. „Sie glauben dann, sie können mit mir machen, was sie wollen. Ich muss dort die Bücher prüfen. So was dauert! Es ist gut, wenn sie etwas Respekt vor mir haben und sehen, dass ich es genau nehme.“

„Dafür ist es ja jetzt zu spät, George“, meinte Eveline genervt. „Du wirst das schon irgendwie hinkriegen. Erzähl mir lieber, wie wir übermorgen zu meiner Cousine kommen. Mit dem Zug fahre ich auf keinen Fall. Fünfhundert Kilometer in den klapprigen Zügen dieses Landes. Nicht mit mir! Und womöglich gibt nicht einmal einen Speisewagen. Es muss doch eine Möglichkeit geben, dorthin zu fliegen. Organisier das mal, George.“

„Wieso ich?“, brauste der Vater auf. „Ich muss schon den ganzen Tag arbeiten. Du kannst gefälligst auch etwas tun. Du vertreibst dir die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes mit gar nichts.“

„Du wirst mir wohl nicht abverlangen, dass ich mir Arbeit suche. Ich habe genug damit zu tun, den Jungen zu beschäftigen, ihm die Stadt zu zeigen, die Kultur des Landes näherzubringen. Es gibt in Argentinien so wundervolle Kirchen.“

Der Junge saß hinten und konnte im Rückspiegel das Gesicht seines Vaters sehen. Es lief langsam rot an, und dann schlug er mit der Hand auf das Lenkrad. Er begann, laut mit dem Fahrer des Wagens vor ihm zu reden, obwohl der ihn natürlich nicht hören konnte.

„Fahr doch weiter, du verdammter Idiot!“

Eveline schaute ihn kopfschüttelnd an und sagte: „George, ich habe mit dir geredet und du ignorierst mich einfach! Einmal am Tag musst du auch mit mir reden. Der Fahrer da vorn kann dich sowieso nicht hören.“

„Eveline, es ist ja egal, was ich dir sage. Du hörst meine Worte vielleicht, aber du glaubst sie mir nicht. Und selbst wenn du es mit deiner katholischen Barmherzigkeit doch einmal tust, dann verstehst du sie nicht. Also kann ich ebenso gut mit dem Mann da vorn reden. Der glaubt mir wahrscheinlich nicht, was ich ihm sage. Dafür versteht der wenigstens, was ich meine, wenn ich das Fenster aufmache.“

„Das sind ja schöne Komplimente, die du mir da machst, George!“, regte sich die Mutter erneut heftig auf. „Wirklich. Ich hoffe, dass du die Flugreise zu meiner Cousine irgendwie auf die Reihe kriegst.“

Der Junge sah, wie der Vater nur langsam den Kopf schüttelte. Dann betätigte er ein paarmal wütend die Hupe, um den Fahrer vor sich zu schnellerem Tempo zu bewegen.

Gelangweilt schaute der Junge aus dem Fenster. Plötzlich stellte er fest, dass sich das Schloss seines Sicherheitsgurtes löste. Er versuchte, es wieder zum Einrasten zu bringen. Leider war der Mechanismus kaputt, und so ließ er den Gurt Gurt sein. Resigniert öffnete er sein Comicheft und versuchte die Worte zu verstehen, die dort in den Sprechblasen standen.

Als sich in dem Heft vor seinen Augen zwei Figuren prügelten, erinnerte er sich daran, was am Flughafen geschehen war. Seine Eltern hatten ihn dort für ein paar Minuten mit dem Gepäck allein gelassen. Da tauchte ein älterer Junge auf und provozierte ihn. Er verpasste dem Rüpel mutig eine Backpfeife. Danach war er einem Hieb dieses Idioten geschickt ausgewichen, stolperte dabei jedoch über eines der am Boden liegenden Gepäckstücke und fiel hin. Sein Vater war plötzlich wieder da gewesen und bekam nur mit, wie er am Boden lag. Sofort beschwerte er sich darüber, wozu er seit fast zwei Jahren Unterricht in Selbstverteidigung nehmen würde, wenn er nicht einmal mit einem einzigen Gegner fertig wurde. Es ging dem Jungen wie seiner Mutter. Er konnte es ihm auch nie recht machen.

Sie hatten mittlerweile die stark bevölkerten Straßen verlassen und fuhren auf einer einsamen Straße weiter. Ein paar Sträucher und Bäume standen gelegentlich rechts und links des Weges, und der Zustand der Fahrbahn verschlechterte sich merklich. Sie fuhren oft durch unangenehme Schlaglöcher. Die Mutter mahnte zur Vorsicht.

„George, fahr nicht so schnell. Die vielen Schlaglöcher sind nicht gut für meinen Rücken und die Reifen.“

Die mürrisch zusammengepressten Lippen entspannten sich kurz, und ein seltsames Lächeln breitete sich auf Georges Gesicht aus. Vielleicht dachte er, dass es Eveline recht geschähe, wenn sie nur ordentlich durchgerüttelt würde. Der Wagen wurde allmählich schneller.

„George, hörst du nicht, was ich gesagt habe? Fahr nicht so schnell! Du wirst uns noch alle umbringen mit der Raserei.“

„Unsinn! Hier gibt es weit und breit kein Fahrzeug. Uns kann überhaupt nichts passieren. So kann ich wenigstens ein bisschen von der verlorenen Zeit aufholen, Eveline“, belehrte er sie.

„Und was soll ich bitte machen, wenn du dieses altersschwache Fahrzeug so zermürbt hast, dass es bei der Fabrik seinen Geist aufgibt und ich damit nicht mehr zurückfahren kann?“

„Es gibt doch Ersatzteile“, meinte er leichthin. „Du bestellst einen Abschleppwagen und bringst es in die nächste Werkstatt.“

„Das ist nicht dein Ernst, George“, erwiderte Eveline leicht fassungslos.

„Es wird schon nichts passieren, Eveline. Hör wenigstens mit dieser ewigen Miesmacherei auf.“

„Nur, wenn du langsamer fährst, George.“

Der Vater verlangsamte nun tatsächlich das Tempo. Der Junge sah erstaunt auf und bemerkte, wie sich das Gesicht des Vaters zum ersten Mal an diesem Tag entspannte.

„Manchmal denke ich, dass es am besten wäre, wenn du dir wieder eine Arbeit suchen würdest, Eveline. Irgendetwas, das dir auch Spaß macht.“

Es herrschte für einige Momente tiefe Ruhe in dem Fahrzeug. Die Mutter wandte sich langsam dem Vater zu, und der Junge beobachtete, wie ein Staunen über ihr Gesicht huschte. Ihr Mund öffnete sich kurz und schloss sich wieder, ohne etwas zu sagen, so als ob sie diese wunderbare Stille nicht stören wollte. Sie blickte wieder auf die Fahrbahn.

„Ich habe selber schon daran gedacht, George.“

Zum ersten Mal seit langer Zeit umgab die beiden Streithähne verständnisvolles Schweigen. Der Junge fuhr mit der Hand in seine Hosentasche. Er ergriff einen Gegenstand und nahm ihn heraus. Es war der Ehering seiner Mutter. Nun bekam er ein schlechtes Gewissen und steckte ihn schnell zurück in die Tasche.

Die Straße führte jetzt bergauf und sie erreichten die Kuppe des Hügels. Dann ging es wieder recht steil bergab. Plötzlich lag mitten auf der Fahrbahn eine Steinplatte.

„Pass auf, George!“, schrie die Mutter entsetzt auf.

Es war zu spät. Der Vater konnte nicht mehr ausweichen und ein harter Schlag traf das Auto, dem ein Knall folgte. Ein Reifen war geplatzt, und das Auto schleuderte auf die Gegenfahrbahn, wo ein Laster laut hupend auf sie zuraste. Der Vater schaffte es gerade noch, den frontalen Zusammenstoß zu vermeiden und auf seine Fahrbahn zurückzukommen. Dies gelang nur deshalb, weil der Laster ausweichen konnte. Dennoch wurden sie von dem großen Fahrzeug seitlich erfasst.

Die Bremsen kreischten laut. Dann kam der Wagen von der Straße ab und geriet wieder heftig ins Schleudern. Der Junge wurde dabei nach vorne und zur Seite gedrückt. Seine Hand stieß gegen den Türgriff, an dem er sich ängstlich festzuhalten versuchte. Die Seitentür gab plötzlich nach und öffnete sich immer weiter. Wie in Zeitlupe versuchte er immer wieder, nach dem Türgriff zu greifen, um sich daran festzuhalten. Die Tür öffnete sich jedoch immer weiter und die Kraft, die ihn nach draußen drückte, wurde immer stärker. Sein linkes Bein hing plötzlich in der Luft. Die Hand kam nicht an den Griff heran und fasste ins Leere. Der Sand raste draußen an ihm vorbei und auf ihn zu. Ein schwerer Schlag traf seinen Brustkorb, die Hände und Beine. Eine Sandwolke hüllte ihn ein und nahm ihm den Atem. Dann wurde alles hell und kurz darauf schwarz.

Fernando hatte recht gehabt. Der weite Weg hatte sich gelohnt, denn der Laster hatte viele kaum beschädigte Kartons bei der Fabrik liegen gelassen. Diese sammelte sie mit Alfredo ein. Er war ein Enkel von José, dem Vater ihres verstorbenen Mannes und erst dreizehn Jahre alt, doch schon recht kräftig und eine große Hilfe für sie. Leider kam er nur noch selten mit ihr.

Heute Morgen hatte sie ihn bei José abgeholt, denn sie hatte einen Tipp von Fernando bekommen, dass es bei der entlegenen Fabrik etwas zu holen gäbe. Fernando kannte sich in dieser Gegend sehr gut aus, denn eigentlich war es sein Gebiet. Er selber hatte keine Zeit. Die alten Kartons sollten von dem Laster bei der Fabrik abgeholt werden. Aber man würde nicht alles mitnehmen und deshalb die schlechten Kartons zurücklassen. Von diesen schlechten Kartons wollten sie sich die besten holen.

Sie hatten Glück. Als sie dort ankamen, war noch kein anderer Cartonero dort. Sie waren die Ersten und suchten sich die besten Stücke heraus. Erst als sie ihren Wagen voll hatten, erschienen die anderen. Nun war sie mit Alfredo auf dem Rückweg. Sie zog vorne und der Junge schob hinten am Ziehwagen. Plötzlich wurden sie von einem Auto überholt.

„He, Alfredo, was machst du mit dem Geld, das wir heute verdienen?“

„Ich muss mir eine gebrauchte Hose kaufen, Gabriella. Und ein Paar andere Schuhe soll ich auch bekommen. Wenn es regnet, sind meine Füße in einer Minute pitschnass. Meine Güte ist das schwer, diesen Berg hinauf zu kommen.“

„Keine Angst, gleich geht es wieder bergab. Nur immer ordentlich schieben.“

Kurz darauf hörte sie auf der anderen Seite des Berges erst ein wildes Hupkonzert und dann das typische Geräusch eines Zusammenstoßes. Kurz darauf kam ihnen ein Laster entgegen. Wenig später sah sie eine Platte auf der Fahrbahn liegen. Und noch ein Stückchen weiter erblickte sie eine scheinbar leblose Gestalt neben der Fahrbahn.

Warum der Laster wohl weitergefahren ist, fragte sie sich. Vielleicht hatte der Fahrer keinen Führerschein oder irgendetwas mit den Frachtpapieren war nicht in Ordnung. Wer wusste das schon? Weit und breit war kein Auto zu sehen. Reifenspuren führten von der Straße zu einer Böschung. Was dort unten war, konnte sie nicht genau erkennen. Aber um den Jungen neben der Fahrbahn konnte sie sich kümmern.

Schön sah er aus, der junge Kerl. Seine Wange blutete. Auch das rechte Hosenbein war aufgerissen, und etwas Blut hatte den Sand rot gefärbt. Sie stellte fest, dass seine Kleidung aus gutem, teuren Stoff gemacht war. Ihre Gedanken kehrten sogleich wieder zu dem Menschen zurück, der vor ihr lag. Er war offensichtlich nur bewusstlos. Da hatte er Glück gehabt. Hier lagen keine harten Gegenstände oder Steine neben der Straße. Er war auf dem Sand gelandet. Sie beugte sich zu ihm hinunter und horchte an seiner Brust. Ja, das Herz klopfte kräftig vor sich hin. Sie schaute sich noch einmal um. Niemand war weit und breit zu sehen.

„Was sollen wir mit ihm machen, Gabriella?“

„Wir können ihn hier nicht liegen lassen, Alfredo, hilf mir, ihn auf den Wagen zu laden.“

„Wird man denn nicht denken, dass wir ihn ausrauben oder entführen wollen?“, fragte Alfredo zweifelnd.

„Unsinn!“, widersprach Gabriella energisch. „Wir wollen ihm helfen. Wir bringen ihn zu José. Der wird wissen, was zu tun ist.“

Sie durchsuchte seine Taschen und fand einen Ring, den sie einsteckte. In einem schönen neuen Portemonnaie fand sie knapp hundert Dollar. Der Verdienst von mehr als zwei Wochen Arbeit war das für sie. Sie luden den Jungen auf ihren Ziehwagen und gingen dann langsam weiter. Nun war die Last fast doppelt so schwer wie sonst. Damit würden sie nicht weit kommen. Zum Glück war es nur noch ein kurzes Stück bis zu José. Ihr kam der Gedanke, dass jemand diesen Jungen möglicherweise auch loswerden wollte und ihn deshalb hierher gebracht hatte. Als sie sich vorstellte, wie es wohl wäre, ihn bei sich aufzunehmen, wurde ihr bewusst, in welcher Einsamkeit sie mittlerweile lebte.

Nach einer halben Stunde waren sie bei der Hütte von José angekommen. Doch er war nicht zu Hause. Er würde erst Morgen zurückkommen, meinte Fernando. Er war Josés ältester Sohn und besaß sogar einen kleinen Lieferwagen. Er bot Gabriella an, sie und ihren Ziehwagen zu ihrer Hütte zurückzufahren, bis er die Gestalt sah, die dort unter einem größeren Stückchen Karton verborgen lag.

2

Er stand unter dem Dachvorsprung eines Schuppens und hörte die Regentropfen auf das Dach prasseln. Es waren die Geräusche eines ununterbrochenen Trommelwirbels, die irgendwo über ihm erzeugt wurden. Als er nach oben blickte, sah er, wie die Regenrinne langsam überlief und das Wasser dicht neben ihm auf den Boden stürzte. Etwas stimmte nicht. Wieso war er allein? Er wollte nach rechts und links blicken, doch er konnte den Kopf nicht bewegen. Er konnte nur noch geradeaus schauen. Seltsamerweise waren nirgends Regenschauer zu sehen. Ein undurchsichtiger Nebel kam ihm entgegen und hüllte langsam seine Umgebung ein. Als er dichter wurde, bekam er Angst, und als der Dunst schließlich sogar in seine Augen eindrang, fing sein Herz wild an zu schlagen. Er bekam keine Luft mehr und plötzlich merkte er, dass seine Augen geschlossen waren. Er hatte geschlafen und wachte langsam aus einem wirren Traum auf.

Ohne sich zu bewegen, spürte er, dass er auf einem Bett lag. Das Erste was er erblickte, waren Wellblechplatten über ihm, die von einigen Dachlatten getragen wurden. Auf sie prasselten die Regentropfen ein. Er spürte etwas Feuchtes an seiner rechten Hand. Es fühlte sich an, als ob ihn dort ein Hund ableckte. Er rieb die Finger aneinander. Nein, es war nur kalte Feuchtigkeit, die ihn dort berührte. Dann sah er, wie ein Tropfen auf seine Hand fiel. Wahrhaftig, die Decke über ihm hatte ein Loch. Er versuchte, seinen Kopf nach links zu wenden, denn von dort kam etwas Licht. Doch als er seine rechte Schulter heben wollte, spürte er furchtbare Schmerzen im Schultergelenk. Sofort begann sein Herz wieder schneller zu schlagen. Eine hastige Bewegung mit den Beinen wurde ebenfalls von starkem Schmerz verhindert. Er tastete mit der linken Hand seine rechte Seite ab. Die Rippen, die Hüfte, das Bein, alles auf dieser Seite schmerzte. Nur sein rechter Fuß fühlte sich gut an. Er drehte den Kopf und merkte, dass er ihn ohne Problem nach links wenden konnte, aber nur die Hälfte der Bewegung zur rechten Seite gelang ihm. Verdammt, tat das weh. Was war bloß passiert und wo war er hier eigentlich?

Nun fiel ihm ein merkwürdiger Geruch auf. Es roch nach Müll. Nein, es war eher der Geruch von Papier oder feuchten Kartons. Ja, es waren feuchte Kartons! Er versuchte vorsichtig, sich aufzurichten. Als er seine Muskeln anspannte und sich ein paar Zentimeter auf die linke Seite gedreht hatte, gab er mit einem Stöhnen auf und rollte in die ursprüngliche Position zurück. Diese kurze Bewegung hatte ihm jedoch zu der Erkenntnis verholfen, dass er sich in einem kleinen Holzschuppen befand, der wohl nur so groß wie ein Zimmer war. Nur kurz hatte er zwei Stühle und einen Tisch wahrgenommen. Eine Ecke der Hütte war mit Kartonpappe zugestellt. Einige Kochutensilien hingen an einer der beiden sichtbaren Bretterwände.

Da huschte ein Schatten durch das Licht, das ihn von links beobachtet hatte, und eine Gestalt mit langen Haaren betrat den Raum. Eine alte weibliche Stimme redete auf ihn ein. Nach vielen Sätzen schwieg sie und schien auf eine Antwort zu warten. Er suchte nach den richtigen Worten. Doch statt der Worte gab er nur ein Krächzen von sich. Sie kam noch etwas näher an ihn heran, berührte ihn sanft mit der Hand an seinem Arm und sah ihn besorgt an.

Neugierig sah er in ihr Gesicht. Es war ein ängstlicher Blick, der ihn musterte, aber schließlich lösten sich die Sorgen in ein Lächeln auf. Er musste wohl auch gelächelt haben, denn sofort fing sie wieder munter an zu reden, bis sie zu einer Stelle kam, bei der sie mit ihrer Hand auf sich selbst deutete und die Worte ‚Gabriella Gonzales‘ von sich gab. Dann schwieg sie und wartete. Endlich deutete sie auf ihn, zog die Augenbrauen über dem fragenden Blick hoch und zuckte ein bisschen enttäuscht mit den Schultern.

Er verstand ihre Sprache nicht. Allerdings schloss er aus ihrem Verhalten, dass sie seinen Namen wissen wollte, und er versuchte erneut, zu sprechen. Er wandte den Blick von ihr ab und öffnete den Mund. Doch er brachte kein Wort über die Lippen. So sehr er auch suchte, er fand die Worte nicht, die er sagen wollte. Schließlich schüttelte er nur schwach den Kopf.

Du musst doch wissen, wie du heißt, dachte er und suchte nach Wörtern in seinem Kopf, nach Namen. Da tauchte das Gesicht dieser alten Frau über ihm auf, und sie sah ihn erneut besorgt an. Er spürte ihre Hand auf seinem Arm. Nun zog er seine Schultern hoch und sagte in seiner Sprache: „Ich weiß es nicht.“

Auch dieses Mal lächelte sie ihn nur an und deutete auf ihren Mund, machte eine Kaubewegung, führte ihre Hand noch einmal zum Mund und deutete eine Trinkbewegung an. Dann zog sie erwartungsvoll ihre Augenbrauen hoch und wartete.

Er lächelte zurück und wiederholte die Trinkbewegung. Sie wandte sich ab und kam kurze Zeit später mit einem Becher voll Wasser zurück, den er gierig ergriff. Als das erste Wasser in seinen Mund floss, spürte er seinen Durst überdeutlich. Das Aufrichten plagte ihn nun eine Spur weniger als vorher.

Sie gab ihm etwas zu essen und sagte ein Wort dazu, dass sie mehrmals lächelnd wiederholte. Sie zeigte auf die Geschirrutensilien und nannte ihm die Wörter dazu, die er ihr nachsprach. Dann verschwand sie für eine Weile und kehrte erst nach ein paar Stunden zurück, als es bereits dunkel wurde. Neben einer Anzahl weiterer leerer Kartons brachte sie auch eine Illustrierte mit und zeigte sie ihm. Sie entzündete eine kleine Petroleumlampe, und im matten Lichtschein brachte sie ihm weitere Wörter bei. Schließlich legte sie sich neben ihn und blies das Licht der Lampe aus.

Bald hüllten ihn die Dunkelheit und die Geräusche von Lärm aus der Nachbarschaft ein. Irgendwo ganz in der Nähe stritten ein Mann und eine Frau in der unbekannten Sprache, bis ein Kind anfing zu schreien. Der Mann verstummte, während die Frau beruhigende Worte sprach. Dann tauchten Bilder aus einer unbekannten Welt auf, die er nicht zu deuten vermochte, bis er davon unruhig aufwachte und feststellte, dass immer noch Schmerzen seine rechte Körperseite gefangen hielten. Das Geschrei der Menschen war verstummt und die Frau, die neben ihm lag, kam ihm nun vertraut vor. Auch wenn sie so laut schnarchte, als ob sie mit dem Lärm ein wildes Tier vertreiben wollte.

„Aufwachen, Pedro, wach auf. Wir müssen gleich los. Morgen wird im Flussviertel das Papier abgefahren. Höchste Zeit, da heute die besten Stücke zu suchen und wegzuholen.“

Drei Monate war er jetzt schon hier bei der alten Frau und kannte mittlerweile sowohl den Großteil der Worte ihrer Sprache als auch ihre harte tägliche Arbeit. Vor allem aber hatte er einen Namen von ihr bekommen: Pedro. Er fand den Namen schön.

Über sich selber wusste er nur das, was die Frau ihm erzählte: Sie hätte ihn eines Tages am Wegesrand gefunden und mitgenommen. Wahrscheinlich hatte er einen Unfall gehabt. Sie wusste nicht, wer er war und was genau ihm zugestoßen sei.

Gabriella hatte ihm etwas Spanisch beigebracht. Jeden Abend hatte sie mit ihm eine Illustrierte durchgeblättert und ihm auf jedem Bild zwei oder drei spanische Wörter zu den Gegenständen oder Dingen genannt, die dort zu sehen waren. Als sie die Illustrierte erneut durchblätterte, musste er die Worte wiederholen. Ständig verbesserte sie ihn behutsam. Dann kamen die ganzen Sätze. Das alles bewältigte sie mit einer gewinnenden Freundlichkeit, die jedes Mal ein Lächeln in sein Gesicht zauberte, sodass er sich fragte, ob sie jemals ein böses Wort zu ihm sagen könnte. Ihre Geduld schien endlos zu sein.

Wenn sie ihre Kartonagen auf den kleinen Ziehwagen gepackt hatten und Gabriella zog, während er hinten schob, schien sie nie die gute Laune zu verlieren. Selbst in Zeiten, wenn es regnete und er völlig erschöpft war, ermahnte sie ihn nur. Nie beschimpfte sie ihn, er wäre zu faul. Sie hatte ihm vor Kurzem erzählt, dass sie früher verheiratet gewesen war und zwei Kinder hatte. Ihr Mann war vor langer Zeit gestorben. Damals konnte sie sich nicht um ihre Kinder kümmern, denn sie musste das Geld für das Essen verdienen, das sie und die Kinder brauchten. Also mussten die beiden Kleinen tagsüber bei einer älteren Verwandten bleiben, die auf sie aufpasste. Eines Tages erkrankten sie an Diphterie und starben. Als sie das sagte, liefen ihr ein paar Tränen über die Wangen. Kurz darauf strahlte sie ihn jedoch wieder freundlich an und erinnerte ihn an die Arbeit.

Niemals machte sie auch nur den Versuch, ihn wegen einer Nachlässigkeit zu beschimpfen oder gar zu schlagen. Wenn sie ihn anfasste, dann nur, um ihn sanft zu berühren und ihm mit durchdringendem Blick in die Augen zu schauen. Dann wies sie ihn darauf hin, dass sie beide diese Dinge brauchten, um ihr Essen bezahlen zu können.

„Sonst müssen wir morgen hungern, Pedro.“

Auch heute musste er sich das anhören.

„Ich weiß, Gabriella, ich weiß, ich komm ja schon“, sagte er mit einem gespielten Stöhnen.

Dabei gefiel ihm die Arbeit. Er wusste, dass er fast genauso stark war wie sie und war stolz darauf. Ohne sich zu beklagen, stand er auf und sie machten sich auch heute auf den Weg.

An diesem Abend wollte sie auf dem Rückweg José besuchen. José war der Vater ihres verstorbenen Mannes. Er hatte noch drei weitere Söhne, die alle verheiratet waren und Kinder hatten, die selber zum Teil schon erwachsen waren. Einer der Söhne, Fernando, würde sie nach dem Fest zurück zu ihrer kleinen Hütte bringen. Als sie den Jungen damals gefunden hatte, war er es gewesen, der sie schließlich zurückgebracht hatte. Heute Abend gab es jedoch kein Problem, denn sie würden nur den sechsundsiebzigsten Geburtstag von José feiern.

An diesem Abend unterhielt sich der alte Mann eindringlich mit Gabriella.

„Ich habe es dir damals nicht gesagt. Es waren einige Leute an einem Jungen in Pedros Alter interessiert. Es war die Rede von einem Privatdetektiv und einer hohen Belohnung. Ich habe nichts zu dir gesagt, weil ich dich nicht ängstigen wollte. Der Privatdetektiv war leider nicht der Einzige, der Interesse an ihm hatte. Einige von Sabatinis Männern haben damals ebenfalls nach dem gleichen Jungen hier herumgefragt.“

Gabriella hatte erschrocken die Hand auf ihren Mund gelegt. Sabatini war ein gefürchteter Gangsterboss in der Gegend. Niemand wollte ihn zum Feind haben. José sah die Bestürzung in ihrem Gesicht und versuchte, sie zu beruhigen.

„Mach dir keine Sorgen, die Sache ist jetzt fast drei Monate her. Heute Abend ist es dunkel und niemand außer uns sieht ihn. Meine drei Söhne sind eingeweiht und werden nichts sagen. Es ist gut, dass Pedro eine Baseballmütze trägt, so kann man seine Augen nur schwer erkennen und man hält ihn für einen von uns. Blaue Augen sind hier leider recht selten. Da, wo du jetzt wohnst, bist du mit ihm in Sicherheit. Ich wollte dir das nur sagen, denn wenn er entführt wird, um dann ein Lösegeld für ihn zu erpressen, ist es das Schlimmste, was geschehen kann.“

„Wieso sagst du mir das alles, José?“

„Ich denke, dass es an der Zeit ist, ihm einen Lebenslauf zu beschaffen. Da ihm sein Name in drei Monaten nicht eingefallen ist, bezweifle ich, dass er ihm bald wieder einfallen wird. Eher wird es noch lange dauern. Nur wenn er einen Lebenslauf hat, mit dem er sich abgefunden hat, wird er hier in Sicherheit sein.“

„José, ich habe meinen Nachbarn schon erzählt, dass er der Sohn meiner Cousine und ihres Mannes aus Bahia Blanca ist und sie im Moment nicht für ihn sorgen können.“

„Und wie erklärst du ihnen sein schlechtes Spanisch?“

Sie lächelte verschmitzt, bevor sie sagte: „Ich habe ihnen gesagt, dass er als kleines Kind gestottert hätte und schließlich ganz mit dem Sprechen aufgehört hat. Erst vor ein paar Monaten hat er wieder damit angefangen.“

Zufrieden nickte der alte Mann und legte seinen Kopf etwas schief.

„Schön, dann bleib dabei. Aber du musst auch darüber nachdenken, ob du ihn nicht doch eines Tages wieder freigibst.“

Sie sah ihn kurz an und blickte niedergeschlagen auf den Boden. Dann äußerte sie einen unangenehmen Gedanken.

„Wenn er hier zur amerikanischen oder englischen Botschaft ginge und denen von seiner Unwissenheit erzählen würde, würden sie ihm dann überhaupt glauben? Und wenn sie ihm glauben, würde uns das alle nicht auch in große Gefahr bringen? Wenn seine wirklichen Eltern reich sind, dann schicken sie vielleicht einen Privatdetektiv zu uns, weil sie glauben, dass wir ihn entführt hätten.“

Der alte Mann sah sie an und dachte nach. Er war kurz davor sie zu fragen, wieso sie denn glaubte, dass er Amerikaner und ein Kind reicher Eltern sei. Er sagte allerdings nur: „Was auch immer wir jetzt tun, mag falsch sein, Gabriella. Aber du musst damit rechnen, dass er sich irgendwann doch einmal an sein früheres Leben erinnert. Dann wird er seinen eigenen Weg gehen, egal wie gefährlich dieser Pfad werden wird. Und selbst wenn er sich nicht erinnert, wird er irgendwann diesen Weg gehen, wenn er älter ist.“

Gabriella kullerten ein paar Tränen über das Gesicht. Der alte Mann sah sie besorgt an und sagte schnell: „Nichts muss hier und heute entschieden werden. Aber irgendwann wird er ein Mann sein und muss seinen eigenen Weg gehen. Das ist der Lauf der Zeit. Spätestens in zehn Jahren ist er fort. Dann bist du sechzig, Gabriella.“

Sie wusste, was das bedeutete. Sie würde nicht nur allein ihre Arbeit verrichten müssen, sondern wäre auch auf die Hilfe von Josés Familie angewiesen sein. Gabriella erinnerte sich an den Tag, als sie Pedro neben der Straße fand. Den Ring, den sie bei ihm fand und an sich nahm, hatte sie weder José noch dem Jungen gegenüber je erwähnt. Der Ring war aus Gold, und es waren zwei Namen eingraviert: ‚Eveline and George‘.

Gabriella konnte lesen, denn ihr Mann war Lehrer gewesen und hatte es ihr beigebracht. Er hatte ihr sogar kurz vor der Krankheit, die ihn plötzlich in den Tod riss, auch von anderen Sprachen erzählt. Vor allem von der englischen Sprache. Nur wenig hatte sie davon behalten. An dieses eine Wort konnte sie sich noch deutlich erinnern. Es war das englische Wort für ‚und‘, das diese beiden Namen verband. Es lag nahe, dass der Junge also entweder englischer oder amerikanischer Herkunft war und es sich bei dem Ring um den Trauring seiner Eltern handeln konnte. Doch sie brachte es nicht über sich, José oder gar dem Jungen von dem Ring zu erzählen. Als sich herausstellte, dass der Junge seinen Namen vergessen hatte, wurde ihr klar, dass schon der Weg zur Botschaft einer dieser Länder mit dem Ring ihnen nichts als Schwierigkeiten eingebracht hätte. Die Behörden wären auf sie aufmerksam geworden und hätten nicht nur viele Fragen gestellt. Nun kam damals noch dazu, dass Sabatini von dem verschwundenen Jungen erfahren hatte. Der Mann war nicht nur der gefürchtetste Kriminelle im Stadtviertel, sondern auch ziemlich nachtragend.

Gabriella hatte früher stark unter dem Tod ihrer Kinder und ihres Mannes gelitten. Die Begegnung mit dem Jungen war fast wie eine Erlösung für sie gewesen. Die Einsamkeit war von einem Tag auf den anderen verschwunden, und die Freude am Leben war in ihr Herz zurückgekehrt. Jetzt jedoch spürte sie, dass sie sich an dem Glück des Jungen und seiner Eltern versündigt hatte. Sie hatte eine schwere Schuld auf sich geladen und sah keinen Ausweg. Wie viele andere Menschen in einer schwierigen Lebenssituation beschloss auch sie, so weiterzumachen wie bisher.

Der alte Mann spürte, dass ihr etwas auf der Seele lag. Da er auch keinen Ausweg aus dem offensichtlichen Dilemma sah, schwieg er und begann nach einer kurzen Pause, von einer schönen Erinnerung zu erzählen, um von dem Problem, das sie belastete, abzulenken.

3

Er war schon vor neun Wochen hier gewesen und hatte nach dem Jungen gesucht. Nichts war dabei herausgekommen. Einige Leute glaubten, ihn gesehen zu haben. Leider hatte sich jede dieser Spuren als Sackgasse entpuppt. Die Leute hatten offensichtlich großes Interesse an seinem Geld, aber nur wenig Wissen und noch weniger Skrupel, ihn auf eine falsche Fährte zu schicken, wenn er ihnen kein Geld gab. Leider gab es einige unangenehme Kriminelle, die damals Interesse an seinen Nachforschungen zeigten, worauf er gezwungen war, die Sache abzubrechen. Sie wollten ihm weismachen, sie hätten den Jungen, waren jedoch nicht bereit ein Lebenszeichen von ihm mitzuteilen. Ständig waren ihm dunkle Gestalten gefolgt. Schließlich musste er die Eltern des Jungen überreden, die Suche vorübergehend zu beenden.

Vor ein paar Tagen war er zurückgekehrt. Diesmal ging er vorsichtiger vor. Nun suchte kein Privatdetektiv nach einem verschwundenen Jungen aus den Vereinigten Staaten. Er gab sich stattdessen als Verwandter eines verschwunden Jungen aus, dessen Familie selber nur geringe Mittel hätte und aus Uruguay stammte. Er befragte jetzt nur alte Leute, die auch viel auf Achse waren und den Eindruck erweckten, viel herumzukommen. Und er fragte nicht sofort nach dem Jungen, sondern unterhielt sich erst mit den Leuten. Wenn der Junge damals bei Kriminellen gelandet wäre, dann hätte er sicher ein eindeutiges Lebenszeichen und eine Lösegeldforderung erhalten. Also musste der Junge bei jemandem gelandet sein, der ihm nützlich war. Er war zwölf Jahre alt und als Arbeitskraft für irgendeine anstrengende Tätigkeit bestimmt gut zu gebrauchen, denn er war kräftig für sein Alter.

Er war von den Eltern des Jungen für diesen Job nicht nur wegen seiner Erfahrung ausgesucht worden, sondern auch wegen seiner erstklassigen Spanisch-Kenntnisse. Er war ein recht kräftiger Mann und wog um die hundert Kilo. Auf seinem einhundertneunzig Zentimeter großen Körper saß ein Kopf mit einem Paar stechender Augen und einer knolligen Nase. Wahrlich, keine Schönheit! Eine lange Narbe an seiner linken Schläfe ließ vermuten, dass er einem Kampf nicht unbedingt aus dem Weg ging. Er trug die Kleidung eines heruntergekommenen Soldaten. Sein Kopf war kahl, und die Kappe, die er zum Schutz gegen die Sonne trug, war viel zu klein. Niemand ahnte, dass in seinem linken Stiefel ein Messer lauerte, mit dem er prächtig umzugehen verstand, sobald er in Gefahr geriet.

Es war erst sein vierter Tag bei der erneuten Suche. Er saß am Straßenrand und beobachtete die Leute. Einen alten Hut hatte er vor sich hingelegt, ebenso wie ein Schild, auf dem er um ein Almosen für eine Mahlzeit bat. Ein alter Mann mit einem Ziehwagen kam an ihm vorbei und hielt kurz an. Er musterte sein Gesicht.

„Du hast wohl vor Kurzem deinen Job verloren, mein Sohn. Wenn du Geld haben willst, musst du selber etwas tun. Du darfst nicht warten, bis das Geld zu dir kommt. Du musst dahin gehen, wo du es finden kannst.“

Der Detektiv sah den alten Mann an und überlegte, was das wohl für ein merkwürdiger Kauz sein mochte, der ihn da ansprach. Er musterte ihn, denn sein Blick hatte sich zwar zunächst an dessen Gesicht geheftet. Doch dann kletterte er gemächlich von den dunklen verschlossenen Augen über die verwinkelte Nase und den lächelnden Mund weiter nach unten. Das Kinn wurde von einer offensichtlich recht alten Delle verziert. Eine Lebenserinnerung, die ihm bescheinigte, zu einer falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Eine alte, abgetragene, olivgrüne Jacke versteckte ein hellblaues Designerhemd, wie es die Mitarbeiter nordamerikanischer Auslandsvertretungen oft trugen. Die zu kurze Hose dagegen passte eher zu einem fluchtbereiten Strafgefangenen. Die Socken sahen bequem aus, und die noblen Sportschuhe waren offensichtlich neu. Allerdings deutete nichts darauf hin, dass sie von dem Besitzer auch wirklich gebraucht wurden. Sie ließen lediglich darauf schließen, dass er ständig in diesem Viertel unterwegs war und viele Leute kennen musste, denn sein Ziehwagen beherbergte allerlei Trödel, den er kaufte und verkaufte. Der Detektiv entschloss sich zu einem kleinen Experiment, indem er den Trödler fragte. „Ob der gnädige Herr vielleicht eine kleine Gabe für einen ehrbaren Arbeitslosen hat, der sich nie etwas hat zuschulden kommen lassen. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hat er eine Wahrheit ausgesprochen, die von einem ungehobelten Herrn als Beleidigung betrachtet wurde.“

Das lächelnde Gesicht wurde etwas breiter, und der alte Mann griff in seine Hosentasche, um einen Centavo herauszuholen. Er legte ihn allerdings nicht in den bettelnden Hut, sondern auf den Rand desselben und meinte: „Das ist nur für die wunderschöne Geschichte. Ich weiß, dass meine Kleidung nicht zu meiner Redeweise passt, aber bei dir passt überhaupt nichts zusammen. Du hast zwar die Kleidung eines Bettlers, jedoch die Schuhe eines Bergwanderers, und dein Schnabel würde jedem Hahn Ehre machen.“

Mit diesen Worten ging er vor dem vermeintlichen Bettler in die Knie und nahm den Centavo, den er auf den Hutrand gelegt hatte, wieder in die Hand. Nun sah er dem bettelnden Detektiv aus kürzester Entfernung in die Augen und sagte betont zwanglos: „Du riechst wie ein vornehmer Diener und dein Blick ist der eines Raubtiers. Schlimmer als der eines Polizisten. Welche düstere Lebenserfahrung hat dich in diesen Rinnstein verbannt?“

Kaum hatte er das gesagt, hörte er ein Auto näherkommen und richtete sich schnell wieder auf. Dann schob er seinen Wagen mit überraschender Leichtigkeit ein paar Schritte weiter, als er erkannte, dass es ein Polizeiwagen war. Der Trödler war in einem kleinen Laden verschwunden und schaute durch die Scheibe nach draußen, während die Ordnungshüter den armen, am Boden sitzenden Bettler passierten.

Als die Staatsgewalt verschwunden war, nahm der Detektiv seinen Hut und setzte ihn auf den Kopf, während das zu klein geratene Käppi in seine Jackentasche wanderte. Diesen alten Philosophen wollte er sich näher anschauen. Da kam der Mann auch schon aus dem Laden und machte dem neuen Bekannten ein Zeichen ihm zu folgen.

Der Detektiv begann das Gespräch.

„Ich wollte dir ein Geschäft vorschlagen.“

„Ich bin ganz Ohr.“

„Ich gebe dir einen ganzen Peso, und du bekommst sogar ein neues Hemd, wenn du mir ein paar Informationen gibst?“

„Und das wäre?“

„Eins nach dem anderen. Ich weiß nichts über dich. Überhaupt nichts. Und du weißt über mich schon eine ganze Menge. Ich habe einen schlechten Kleidergeschmack, rieche nicht wie ein Bettler und bin ein Raubtier.“

An dieser Stelle schwieg der Detektiv und ging wartend neben dem alten Mann her.

„Ich heiße Hernandez und bin ein ganz harmloser Straßenhändler.“

„Freut mich, dich kennenzulernen, Hernandez. Kennst du vielleicht Herrn Sabatini?“

Hernandez blieb unvermittelt stehen und blickte seinem Gegenüber erschrocken in die Augen. Der Detektiv war auch stehengeblieben, denn die Antwort auf diese Frage war sehr wichtig. Er glaubte für einen kurzen Moment, in die Seele des alten Mannes blicken zu können. Die Angst war echt. Der Detektiv klopfte ihm lächelnd auf die Schulter und bat ihn, weiterzugehen.

„Danke, mehr wollte ich gar nicht über deine Beziehung zu ihm wissen. Ich suche jemanden. Einen Jungen, der nur englisch spricht. Er kommt aus Montevideo und ist von dort abgehauen. Das letzte Mal gesehen wurde er in der Nähe der alten Fabrik unten am Fluss vor etwa drei Monaten. Er ist mein Neffe. Mein jüngerer Bruder hat eine englische Frau geheiratet. Er kann ihn nicht suchen, denn er ist vor zwei Jahren gestorben.“

Sein Gesprächspartner stand wie angewurzelt da und schaute ihn mit offenem Mund an. Der Detektiv schob Hernandez sanft vorwärts. Während sie nun schweigend nebeneinander hergingen, dachte der Wagenbesitzer offensichtlich intensiv nach. Sein Blick schweifte ständig wieder von den Passanten auf der Straße zum Boden ab, als ob dort die Erklärungen verborgen wären, nach denen er suchte.

Schließlich kamen sie in eine Gegend, in der sie nur noch wenige Leute trafen. Hernandez war zu einem Entschluss gekommen und fragte: „Hast du ein Bild?“

Der Detektiv griff in eine seiner Taschen, zog ein Foto des Jungen heraus und hielt es Hernandez zur Ansicht hin.

Der griff nach dem Bild und staunte: „Blaue Augen.“

„Ja, nicht wahr. Es gibt auch eine Belohnung, falls er gefunden wird. Wie gesagt, er ist von zu Hause weggelaufen und auch das nur, weil er in die Fänge einer Bande geraten war. Aber wenn ich ihn wiederfinde, dann wird ihm nichts mehr geschehen, denn mein älterer Bruder wird das Sorgerecht bekommen, und der wohnt in einer anderen Stadt.“

Hernandez starrte immer noch auf das Foto und schien nachzudenken. Plötzlich hatte der Detektiv den Eindruck, dass der Mann etwas wusste. Sofort warf er einen Köder aus.

„Es gibt fünfhundert Dollar Belohnung für Hinweise, mit denen der Junge endlich gefunden wird.“

Es durfte nicht zu viel sein, sonst würde Hernandez vielleicht misstrauisch werden.

„Ob deine Geschichte über den Jungen wahr ist oder nicht, will ich gar nicht wissen. Ich habe den Jungen schon mal gesehen. Nur weiß ich nicht mehr, wo.“

Der Detektiv schaute ihm in die Augen und spürte wieder, dass Hernandez die Wahrheit sagte. Er war kurz davor die Belohnung auf tausend Dollar zu erhöhen.

Doch Hernandez schien seine Gedanken zu erraten und beharrte: „Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter, aber ich sehe bestimmt ein paar hundert am Tag. Und selbst wenn mir einfällt, wo es war, dann hat es nicht viel zu bedeuten.“

Der Detektiv sah ihn unsicher an.

„Es wäre ein guter Hinweis“, lockte der Detektiv.

„Ich weiß“, erwiderte Hernandez.

Plötzlich lächelte er und sagte: „Ich hätte gerne einen kleinen Kiosk direkt an der Straße für meinen Trödel. Ich werde zu alt für diesen Ziehwagen.“

Der Detektiv verdrehte die Augen, schaute auf die Straße und schüttelte den Kopf, als er entgegnete: „Eine Lizenz für einen festen Stand für drei Jahre. Mehr ist nicht drin.“

„Gut. Ich muss heute noch umziehen. Die Sachen aus meinem alten Lager in ein neues schaffen. Hilfst du mir?“

Der Detektiv holte einen Zehndollarschein aus seiner Tasche und drückte ihn zusammen mit einem Zettel, auf dem seine Telefonnummer stand, in die Hand des alten Mannes. Dann ging er davon.

4

Pedro war an diesem Morgen recht spät aufgewacht und wunderte sich, dass Gabriella noch nicht aufgestanden war. Leise rollte er aus dem Bett und zog sich an. Er deckte den Tisch und holte das Brot und die Margarine. Als er die Wurst aus der Erdbox holen wollte, hörte er, dass Gabriella sich bewegte und stöhnte. Erschrocken beugte er sich über sie und berührte ihre Schulter. Sie war heiß und Schweiß stand auf ihrer Stirn. Er rüttelte an ihrem Arm.

„Gabriella, was ist mit dir?“

„Ich habe Schmerzen, Pedro. Links am Bauch tut es fürchterlich weh. Ich habe das Gefühl, dass ich brenne. Du darfst das Wasser nicht trinken. Vielleicht ist es das Wasser, es hat auch meinen Mann umgebracht. Es war schlecht. Hast du gestern unser Wasser getrunken? Ich hatte es nicht abgekocht.“

„Nein“, sagte er.

Er war gestern Abend von der Arbeit so müde gewesen, dass er nur von der Flasche mit dem alten Mineralwasser getrunken hatte und nichts von dem Krug, den Gabriella vom Brunnen geholt hatte. Er war ihm einfach zu schwer gewesen.

„Du darfst es nicht trinken, ohne es abzukochen. Du musst zu José, und ihn holen. Sag ihm, dass es mir schlecht geht. Und die nächsten Tage darfst du nicht mehr im Bett neben mir schlafen. Wenn José hier ist, wird er wissen, was zu tun ist.“