Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind? - Hervé Jaouen - E-Book

Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind? E-Book

Hervé Jaouen

4,7

Beschreibung

Véro, 13, hat es nicht leicht: Ihre wechselnden Freunde sind notorisch untreu, ihr Bruder ist ein Ekel, und jetzt soll sie auch noch ihr Zimmer räumen, weil ihre Oma dort einzieht. Und die leidet an Alzheimer … Innerhalb kürzester Zeit ist das Familienleben komplett auf den Kopf gestellt. Omama plündert nachts die Küche, hortet Unmengen Schokoriegel und Silberlöffel unter ihrem Bett, weil sie glaubt, dass der Krieg noch immer andauert, telefoniert stundenlang ins Ausland oder löscht versehentlich extrem wichtige Dateien auf Mamans Computer ... Als Véro Omas alten Reisekoffer (ihre Schatzkiste) geschenkt bekommt, stößt sie auf eine Vergangenheit, von der keiner wusste. Nach und nach nimmt Omas Leben Kontur an: ihre großen Lieben und Enttäuschungen im Leben, ihre kleinen Geheimnisse. Virtuos, liebevoll, mit hinreißendem Humor und ohne jede Sentimentalität schildert Hervé Jaouen das turbulente Leben einer ganz normalen Familie, die auch die absurdesten Situationen mit Bravour meistert. Ein herrlich positives Buch über ein ernstes Thema.

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Hervé Jaouen

Pardon, Monsieur,

ist dieser Hundblind?

Aus dem Französischen von Corinna Tramm

Für die Omama meiner Freunde, die die hübschen Züge und die besten Repliken der Omama dieses Romans inspiriert hat.

Alle anderen Personen sind frei erfunden.Alle Ähnlichkeiten mit existierenden Personen oder solchen, die existiert haben, sind rein zufällig.

Inhalt

Sommer

Herbst

Winter

Frühling

Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Brand, der die Ereignisse beschleunigt hat. Nein, kein Vergleich mit dem Brand von Atlanta in Vom Winde verweht, ein Film, den ich mir immer wieder in der Originalversion anschaue. Ich liebe Englisch. Ist auch nicht verwunderlich, das habe ich von Maman. Sie ist Übersetzerin und arbeitet zu Hause. Praktisch, immer jemanden da zu haben, der einem die Hieroglyphen der Phonetik erklärt. Papa ist Philosophielehrer, und so haben wir ein fabelhaftes Intellektuellen-Elternpaar. Ich will mich überhaupt nicht beklagen. Papa ist mit seiner Philosophie sehr zurückhaltend. Er kommt nicht bei jeder Gelegenheit damit an. Ich glaube, dass er uns, also Guillaume und mir, wie einer Beute auflauert. Er wartet ab, bis wir reif genug sind, um uns dann die Samen seiner verwickelten Gedanken ins Gehirn zu injizieren, ein bisschen wie ein verrückter Gelehrter, der sich mit Experimenten beschäftigt, wie sich blaue Tomaten oder Fische ohne Gräten erzeugen lassen.

Aber ich schweife schon ab.

Fangen wir ganz von vorn an.

Bei dem Brand war ich nicht dabei. Niemand war dabei, außer Omama. Klar, denn es hat ja in ihrem Haus gebrannt, Anfang Juni.

Omamas Haus ist eine alte Fachwerkvilla, eingebettet in die bretonische Bocage-Landschaft, wenige Schritte vom Meer und einem winzig kleinen, zwischen Felsen gelegenen feinen Sandstrand entfernt. Im Innern sind die Decken so hoch, dass ich als Baby glaubte, ich befände mich im Haus eines Riesen. Alte Möbel schmücken die Räume, und der Dachboden ist voll von allerlei Dingen, die unbrauchbar geworden sind, die man aber einfach nicht wegwerfen kann. Draußen gibt es eine große Veranda und ein Gewächshaus für Gemüse. Eine bemooste Zisterne, die an einen Taubenschlag grenzt, sammelt das Regenwasser, mit dem im Sommer die Beete gegossen werden. Mitten auf dem Rasen steht ein Pavillon aus Holz, in dem uns Omama den Imbiss servierte, als wir klein waren.

Omama ist wie ihr Haus: alt, aber schön. Sie ist groß und schlank. Sie hat blaue Augen und eine leichte Stupsnase wie die Skandinavier. Ihre wunderbaren blonden Haare hat sie zu einem Knoten hochgesteckt, ein unheimlich kompliziertes Gebilde. Ich schaffe es nicht, das nachzumachen, ich muss zu feine Haare haben. Ihr Haarreif verleiht ihr ein aristokratisches Aussehen. Niemandem würde es einfallen, sie einfach als alte Frau zu betrachten. Omama ist eine Dame. Eine Dame der feinen Gesellschaft in einem gewissen Alter, die sich immer in einer gepflegten Sprache mit altmodischen Wörtern ausdrückt.

Ich komme jetzt zum Brand. Die Kulisse steht, und die Darstellerin ist frisiert und geschminkt! Kamera ab!

Es ist ungefähr Viertel vor zwölf. Omama hat gerade ihre Zeitung zu Ende gelesen und das Kreuzworträtsel gelöst, Wörter, die sie eher entkreuzt, als dass sie sie miteinander kreuzt, aber das nur nebenbei. Sie trägt verschmutzte Stiefel, obwohl sie sich in der Küche befindet, eine riesige Küche mit weiß und blau gemusterten Kacheln. Sie begießt einen Geranientopf, der auf dem Herd aus emailliertem Gusseisen thront. Er hätte es verdient, in einem Museum zu stehen. Seit dem Krieg wurde darin kein Holz mehr verbrannt.

Omama zündet die große Flamme des Gasherds an, pustet das Streichholz aus und schiebt es durch eines der kleinen Löcher einer Abdeckscheibe.

Omama deckt den Tisch: weiße Tischdecke, Porzellanteller, Weinglas, Messer und Gabel mit Horngriffen, Wein in einer Kristallkaraffe.

Omama bindet sich eine Schürze um die Taille, faltet die Zeitung zusammen, öffnet den Kühlschrank und legt die Zeitung zwischen die Joghurts und eine verdorbene Scheibe Schinken. Sie holt ein Beefsteak, Butter und eine Flasche Milch heraus. Sie schneidet ein großes Stück Butter ab, das sie in eine Bratpfanne legt. Sie stellt die Pfanne auf die kleine Flamme des Gasherds, die nicht angezündet ist.

Omama gießt Milch in einen Topf und stellt ihn auf die große, angezündete Flamme.

»So, fertig!«, sagt sie.

Sie betrachtet das alles mit ihrem hoheitsvollen Blick, hebt den Kopf, erblickt eine Rosenschere über dem Kühlschrank, nimmt sie, setzt ihren Strohhut auf und geht zur Tür. Doch irgendetwas bekümmert sie. Stirnrunzelnd geht sie zurück. Sie bleibt einen Augenblick nachdenklich stehen. Danach nimmt sie den Topf mit der Milch vom Feuer und ersetzt ihn durch die Pfanne, in der sie das Beefsteak auf die harte Butter legt. Zufrieden geht sie hinaus.

Im Garten vertieft Omama sich in das sorgfältige und minutiöse Beschneiden ihrer Rosenstöcke.

Hinter ihr beginnt Rauch aus dem Küchenfenster zu quellen. Zunächst ein Strahl. Und dann ganze Wirbel.

Über die Hecke erblickt der Nachbar den dichten schwarzen Qualm. Er ruft Omama zu:

»Madame Lavielle! Madame Lavielle! Es brennt! Schauen Sie!« Omama hebt den Kopf von ihren Rosen. Sie fühlt sich ein wenig belästigt.

»Ach nein, so was! Es sieht aus, als würde es brennen! Und es beunruhigt Sie nicht, dass es bei Ihnen brennt?«

»Bei mir?«. Dem Nachbarn versagt fast die Stimme. »Aber es ist doch bei Ihnen, Madame Lavielle, bei Ihnen!«

»Was macht denn die Feuerwehr? Siesta?«

»Haben Sie sie angerufen?«

»Pftt! Wozu denn?«

»WOZU?«

»Da, wo Feuer ist, muss doch auch die Feuerwehr sein.«

»Vorausgesetzt, dass sie informiert wurde!«

»Es reicht, Monsieur! Ich muss mich jetzt wieder um meine Rosenbeete kümmern. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag!«

Der Nachbar nahm die Beine unter den Arm.

Um die Feuerwehr zu rufen.

Ohne ihn wäre das Haus komplett abgebrannt.

Während Omama ihre Rosensträucher beschnitt.

Ihre Gedächtnisstörungen begannen, ganz schön besorgniserregende Ausmaße anzunehmen.

Sommer

Einige Wochen nach dem Küchenbrand war das Schuljahr zu Ende, und es begann eine Zeit sommerlicher Vergnügungen. Schlafen bis in die Puppen, baden im Meer, nächtelanges Fernsehen, Ausgehen mit der Clique, kurz, alles, was das Schülerleben im Teenageralter lebenswert macht.

Wenn es dir kein Blödmann von großem Bruder vermurkst, dieses Leben.

Ich hörte, wie sein Angebermofa von der Hauptstraße abbog und durch die Kurven des Wegs düste, der zum Haus unserer Familie führt. Wir wohnen in einem renovierten Bauernhof nicht weit von Omama entfernt, auf halbem Weg zwischen der Stadt und dem Meer.

Es war ungefähr sechs Uhr abends, ich hatte gerade geduscht, nachdem ich am Strand gewesen war, und das Telefon in meinem Zimmer eingesteckt, wo es eine Steckdose, jedoch keinen Apparat gibt. Ich muss mir also einen von unten klauen. Eine Idee von Papa. »Aus der Schwierigkeit entstehen die Vernunft und das Maß«, sagt er. Ich lag auf meinem Bett und wollte gerade Lucie anrufen – hatte vergessen, ihr am Strand etwas in puncto Renaud zu sagen – als das Geknatter des Mofas mir die Lust dazu verdarb. Diese Art von Lärm stört deinen Grips. Man kann gar nicht anders als hinzuhören und sich die Route der Maschine vorzustellen. Ein kontrolliertes Rutschen über die Kieselsteine im Hof, ein letztes Beschleunigen wie beim großen Preis von Magny-Cours, ein Aufprall (das Fahrgestell wird schonungslos gegen die Hauswand geworfen), die Haustür, die zufällt, dann die des Esszimmers, das Getrampel der schweren Schuhe mit ihren Stahlkappen auf der Treppe, dann Rufe:

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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