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Pariser Enthüllungen - Kommissar Sturnis zweiter Fall E-Book

Stefan Böhm

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Beschreibung

Ein brisanter Mordfall in Paris in Verbindung mit der französischen Atomindustrie. Komissar Sturnis zweiter Fall - ein Elsässer in Paris. Der neue Frankreich-Krimi von Stefan Böhm. Den Straßburger Ermittler Antoine Sturni verschlägt es nach Paris. Sein Chef entsendet ihn an eine Spezialeinheit, die korrupte Machenschaften der französischen Atomindustrie aufdecken soll. Doch schnell wird klar, die Polizei hat es hier mit mehr als Korruption zu tun. Denn aus einem Pariser Kanal wird ein Toter geborgen, dessen Name in seinen Ermittlungsakten auftaucht. Die Ermittlungen laufen schleppend. Erst als Sturni hochbrisantes Material von einer berühmten Journalistin erhält, scheint er auf der richtigen Spur zu sein. Doch dann geschieht ein weiterer Mordfall, und bei der Toten handelt es sich um niemand anderen als Sturnis Informantin. Nun ist klar, Sturni selbst ist ins Visier der Täter geraten. Wird es ihm gelingen, Frankreich und Europa vor einer atomaren Katastrophe zu bewahren, während sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zuzieht? Im zweiten Teil der neuen Krimireihe mausert sich Kommissar Sturni vom elsässischen Landei zum Pariser "Weltbürger". Brillant erzählt mit viel Witz und hintergründiger Ironie. »Pariser Enthüllungen - Kommissar Sturnis zweiter Fall« von Stefan Böhm ist ein eBook von Topkrimi – exciting eBooks. Das Zuhause für spannende, aufregende, nervenzerreißende Krimis und Thriller. Mehr eBooks findest du auf Facebook. Werde Teil unserer Community und entdecke jede Woche neue Fälle, Crime und Nervenkitzel zum Top-Preis!

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Seitenzahl: 294

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Stefan Böhm

Pariser Enthüllungen – Kommissar Sturnis zweiter Fall

Kriminalroman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Ein brisanter Mordfall in Paris in Verbindung mit der französischen Atomindustrie. Kommissar Sturnis zweiter Fall – ein Elsässer in Paris. Der neue Frankreich-Krimi von Stefan Böhm.

Den Straßburger Ermittler Antoine Sturni verschlägt es nach Paris. Sein Chef entsendet ihn an eine Spezialeinheit, die korrupte Machenschaften der französischen Atomindustrie aufdecken soll. Doch schnell wird klar, die Polizei hat es hier mit mehr als Korruption zu tun. Denn aus einem Pariser Kanal wird ein Toter geborgen, dessen Name in seinen Ermittlungsakten auftaucht.

Die Ermittlungen laufen schleppend. Erst als Sturni hochbrisantes Material von einer berühmten Journalistin erhält, scheint er auf der richtigen Spur zu sein. Doch dann geschieht ein weiterer Mordfall, und bei der Toten handelt es sich um niemand anderen als Sturnis Informantin. Nun ist klar, Sturni selbst ist ins Visier der Täter geraten. Wird es ihm gelingen, Frankreich und Europa vor einer atomaren Katastrophe zu bewahren, während sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zuzieht?

Im zweiten Teil der neuen Krimireihe mausert sich Kommissar Sturni vom elsässischen Landei zum Pariser »Weltbürger«. Brillant erzählt mit viel Witz und hintergründiger Ironie.

Inhaltsübersicht

Prolog

1 Eine unerwartete Versetzung

2 Auf spanischem Boden

3 Abschied von der Heimat

4 Im Jahr 2006 im Senegal

5 Die Reise im TGV

6 Djamals Wunde

7 Pariser Wohnverhältnisse

8 Die Überfahrt

9 Der neue Auftrag

10 Gestrandet in Almeria

11 Der Tote im Canal Saint-Martin

12 Kanarische Inseln

13 Im Ermittlungsfieber

14 Ankunft in Paris

15 Ein Gespräch unter Experten

16 Erste Schritte in der großen Stadt

17 Einmal im Leben auf dem Eiffelturm

18 Momente des Glücks

19 Das mobile Endgerät

20 Fast ganz unten

21 Das Attentat

22 Der Abzugsschacht

23 Zoés Vermächtnis

24 La Bourgeoisie

25 Über den Dächern von Paris

26 Das Elsass in Gefahr

27 Kommissar Sturnis Heldentat

28 Banges Warten

Epilog

 

 

 

Für Johan und Valentin

Prolog

Zoé hatte es sich in einer dunklen Ecke des kleinen Bistros am Canal Saint-Martin gemütlich gemacht und wartete auf ihren Informanten. Ihre beiden Wachhunde hatte sie ausgetrickst. Auf den unterirdischen Geheimausgang aus der palastartigen Villa ihrer Familie im 3. Arrondissement waren die beiden Dummköpfe bis heute nicht gekommen. Seelenruhig warteten sie rauchend vor dem Anwesen ihrer Eltern; anscheinend gingen sie davon aus, dass sie sich einen netten Abend zu Hause mit ihrer Familie machte.

Für ihre konspirativen Treffen nutzte sie immer dieses Restaurant, nicht ihr zweites Wohnzimmer in der Avenue de Montaigne, in dem sie bekannt war wie ein bunter Hund. Sie schätzte die Anonymität dieses Ortes. Das Bistro wurde in erster Linie von den Anwohnern des Viertelsbesucht; auch einige Touristen verirrten sich ab und an hierher, aber das störte sie nicht. Niemand aus ihrer sozialen Schicht, keiner ihrer Medienleute würde jemals hier aufkreuzen, das war ihr wichtig.

Sie bestellte sich einen weiteren Aperol Spritz, rauchte eine Gauloise und arbeitete auf ihrem iPad. Er hatte ängstlich geklungen, am Telefon. Ob er überhaupt kommen würde? Viele ihrer Kontaktleute machten in letzter Minute einen Rückzieher. Es war ihr tägliches Brot, schließlich war sie bei ihrer Arbeit auf Informanten wie diesen angewiesen. Menschen mit Insiderinformationen, die ihr Gewissen erleichtern wollten, ohne selbst belangt zu werden. Und ihre Informanten konnten sicher sein, dass sie allein sich öffentlich exponierte und alle Risiken auf sich nahm.

Zoé hatte ihn nicht kommen hören. Plötzlich stand er vor ihr. Klar, ihr Gesicht war in ganz Frankreich bekannt.

Der Mann stellte seine abgewetzte Aktentasche auf den Boden, nahm eine speckige Baskenmütze aus Leder vom Kopf und setzte sich unaufgefordert an ihren Tisch. Die aufmerksame Kellnerin war sofort zu Stelle.

»Einen Picon Bière bitte!«

Die Bedienung sah ihn verständnislos an, wollte sich aber keine Blöße geben und verschwand in Richtung Tresen, um den Kollegen am Ausschank zu fragen, was für ein sonderbares Getränk der verschrobene Gast bestellt hatte.

Picon Bière? Zoé lachte still in sich hinein. Gab es das überhaupt noch? Vielleicht im Elsass, in der Provinz, aber doch nicht in der Hauptstadt …

Eine graue Maus saß ihr gegenüber, der schillernden Journalistin, dem extrovertierten Star eines von sich eingenommenen Milieus. Der Mann musste um die fünfzig sein, wirkte aber viel älter mit seiner Halbglatze. Seine Haltung, seine Kleidung und sein ganzes Auftreten ließen eher auf einen Greis schließen. Den ergrauten Haarkranz hatte er sich lang wachsen lassen und über die glatt polierte Kopfhaut gekämmt. Die Frisur saß nicht mehr, nachdem er seine Mütze abgenommen hatte. Die langen Haare standen wild in alle Richtungen ab.

Obwohl es warm war, trug er einen karierten Pullover über seinem dunkelgrauen Hemd, das am Kragen ausgefranst war. Das zerknitterte Jackett hätte sie sich bei den Temperaturen geschenkt, von Qualität und Zustand des Kleidungsstücks ganz zu schweigen. Dieser Mann hatte zu Hause keine Frau, die sich um ein Minimum an Körperhygiene ihres Gatten kümmerte und auf seinen Stil achtete …

»Was haben Sie für mich?«

Zoé hielt sich nicht lange mit dem Austausch von Höflichkeiten auf, dafür fehlte ihr die Zeit. Genauso hatte sie sich ihr Gegenüber vorgestellt, ein biederer Beamter …

Umständlich öffnete er seine Aktentasche und holte einen dicken Umschlag heraus, der an den Kanten aufgerissen war. Ängstlich sah er sich dabei um, als befürchte er, beobachtet zu werden. Wenn hier jemand beobachtet wurde, dann Zoé. Sie war der Star, nicht dieser unscheinbare Staatsdiener. Madame Le Coq kannte keine Angst, hatte ähnliche Situationen schon hundertmal erlebt.

»In dem Umschlag befinden sich unveröffentlichte Gutachten, die ich in den letzten Jahren angefertigt habe.«

Zoé hatte sich vor dem Treffen über ihn erkundigt. Ein schrulliger Geselle mit einem genialen Verstand. Man durfte ihn nicht unterschätzen. Dieser Informant war wichtig für sie, vielleicht der wichtigste von allen. Zoé war selbst nicht auf den Kopf gefallen, aber nach allem, was sie über ihren Gesprächspartner in Erfahrung hatte bringen können – viel war es nicht –, schien ihr dieser Mann auf seinem Gebiet haushoch überlegen zu sein.

»Ich muss Ihnen nicht groß erklären, was in meinen Analysen steht. Sie werden alles verstehen, die Konsequenzen, vor allem die Gefahr, der wir ausgesetzt sind.«

»Sie wissen, dass ich meinen Informanten absolute Diskretion zusichere. Ihr Name wird nirgendwo erwähnt werden, und ich werde nichts veröffentlichen, was auf Sie persönlich zurückgeführt werden könnte.«

»Ich weiß, sonst wäre ich nicht hier.«

Wortlos stand er auf und verließ das Bistro, ohne sich zu verabschieden. Sein Picon Bière war noch nicht serviert worden. Wahrscheinlich suchte die Kellnerin verzweifelt im Keller nach einer verstaubten Flasche des Orangenlikörs, den schon seit Jahren niemand mehr bestellt hatte.

Zoé musste schmunzeln. Was für ein schräger Kauz! Kaum zu glauben, dass niemand an ihrer grande école in allen Jahrgängen besser abgeschnitten hatte als dieser Kerl. Gespannt öffnete sie den Umschlag und begann zu lesen.

Den Mann, der auf der anderen Seite des Kanals hinter einem Baum stand und sie fotografierte, sah sie nicht.

1 Eine unerwartete Versetzung

»Qu'est-ce qu'il veut cette fois – was will er denn diesmal schon wieder?«

Antoine Sturni stand gerade im Vorzimmer seines Direktors bei Elodie Lenz und nutzte die übliche lange Wartezeit für ein Schwätzchen, bevor er in die Höhle des Löwen gerufen wurde.

»Ich habe wirklich keine Ahnung. Er hat ein richtiges Staatsgeheimnis daraus gemacht. Aber ich muss Sie warnen. Seine Lippen umspielte immer ein süffisantes Lächeln, wenn er davon sprach, dass er demnächst mal ein ernstes Wörtchen mit Ihnen reden müsse.«

Das verhieß nichts Gutes. Besprechungen mit seinem direkten Vorgesetzten verhießen eigentlich nie etwas Gutes …

Wie immer ließ Bouget ihn ewig im Vorzimmer warten, obwohl er genau wusste, dass Sturni da war – ein Mittel, um ihm seine Macht zu demonstrieren. Gute Personalführung sah anders aus.

Nach einer gefühlten Ewigkeit war es so weit. Direktor Bouget rief seine Vorzimmerdame an und teilte ihr mit, dass sein für Mord und Totschlag zuständiger commissaire nun zur Audienz zu ihm kommen könne.

Elodie zwinkerte Sturni verschwörerisch zu und kniff ihm leicht in die Seite, als sie die Tür zum Büro des Direktors öffnete, um ihn hineinzulassen.

»Mein lieber Sturni, da sind Sie ja endlich.«

Ich bin schon seit fast einer Stunde hier, und das weißt du auch ganz genau, dachte er bei sich, lächelte aber nur freundlich.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Direktor?«

»Nicht so förmlich, mein Bester. Es gibt eine wichtige Angelegenheit, die ich mit Ihnen besprechen muss.«

Er fühlte sich immer unwohler in seiner Haut. Bouget war scheißfreundlich wie selten, und das konnte nur bedeuteten, dass er einen Anschlag auf ihn vorhatte.

»Wie ich Ihnen bereits sagte, war ich sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit bei der Lösung des Mordes an Dr. Hasselfeld.«

Das hatte sich während seiner Ermittlungen aber ganz anders angehört. Damals hatte Bouget gedroht, ihn von dem Fall abzuziehen. Nach der Lösung des Falls hatte Bouget sich dann vor die Presse gestellt und so getan, als habe er den Mord am Kabinettschef des Präsidenten der Europäischen Kommission im Alleingang aufgeklärt.

»Allerdings sind mir bei Ihrer Ermittlungsarbeit einige Defizite aufgefallen, die eine Führungskraft, zumindest innerhalb meiner Polizeidirektion, nicht haben darf.«

Defizite? Wo bitte hatte er Defizite? Er hatte den komplexen Fall bravourös gelöst und Europa vor seinem Untergang bewahrt. Was wollte sein Chef denn noch?

Bouget selbst war seiner Auffassung nach das personifizierte charakterliche Defizit. Das sollte also kein Karrierehindernis sein, im Gegenteil.

»Sie sind ein hervorragender Ermittler, mit dem richtigen Riecher. Sie verstehen doch, was ich meine.«

Der Direktor schnickste ihm kumpelhaft mit dem Zeigefinger gegen seine zugegebenermaßen etwas zu groß geratene Nase. Dabei hielt er ihm die Hand vor sein Riechorgan, drückte seinen Zeigefinger gegen seinen Daumen, setzte ihn so unter Spannung und ließ ihn dann schnalzen, sodass sein Zeigefinger mit voller Wucht gegen Sturnis Nasenspitze titschte.

So viel camaraderie hatte er bei seinem sonst so distanzierten Vorgesetzten noch nie erlebt. Den Nasenschnickser empfand er als direkten Eingriff in seine Intimsphäre, wollte aber mit einem Protest noch abwarten, bis er wusste, worauf Bouget mit seinem eigentümlichen Verhalten hinauswollte. Er rieb sich mit den Fingern über seine schmerzende Nasenspitze und wartete ab.

»Was Ihnen ein wenig fehlt, ist Weltläufigkeit, Esprit. Mir ist nicht verborgen geblieben, dass Sie sich mit den Ermittlungen im Brüsseler Milieu etwas schwergetan haben.«

Das konnte man wohl sagen. Nicht zuletzt deshalb, weil sein Direktor ihm untersagt hatte, just in diesem Milieu zu ermitteln.

Zugegebenermaßen sprach Bouget mit seiner Kritik einen wunden Punkt an. Er war ein elsässisches Landei. Die Ermittlungen in der großen, weiten Welt, die ihn in diesem Mordfall nach Brüssel und Frankfurt führten, hatten ihm viel abverlangt. Antoine bekam Beklemmungen, wenn er das Elsass verlassen musste, und sein Direktor wusste um diese Schwäche.

»Deshalb habe ich mich dazu entschieden, Ihnen eine Personalentwicklungsmaßnahme angedeihen zu lassen.«

Personalentwicklungsmaßnahme? Angedeihen zu lassen? Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Befördern konnte man ihn nur noch zum Polizeidirektor, einem Posten, den Bouget selbst einnahm, und er wäre wirklich der Letzte, der ihn für seine eigene Nachfolge vorgeschlagen hätte. Hatte Bouget vor, ihn zu versetzen? Etwa in die IT-Abteilung, zu Auguste Romain? Der Gedanke trieb ihm Angstschweiß auf die Stirn.

»Ich habe mit dem Präfekten gesprochen, und er ist einverstanden. Wir werden Sie für einige Zeit abordnen, und zwar nach Paris.«

Erneut verpasste ihm sein Direktor einen kumpelhaften Schnickser, diesmal gegen seinen Bauch. Seit der Lösung seines letzten komplexen Mordfalls hatte er sich einige Pfunde abtrainiert, trotzdem war sein Bauchansatz immer noch eine sensible Schwachstelle, an der er nicht gerne angefasst wurde, schon gar nicht von seinem direkten supérieur! Das Verhalten seines Direktors war ihm entschieden zu privat und verunsicherte ihn. Er zuckte zusammen, zog den Bauch ein und nahm Haltung an. Vielleicht war es genau das, was sein Vorgesetzter erreichen wollte …

Bouget strahlte ihn an, als habe er ihm gerade mitgeteilt, dass er im Lotto gewonnen habe.

Sturni hingegen erstarrte vor Schreck, nachdem er den ersten Schock mit dem Bauchschnickser verdaut hatte. Hatte er richtig gehört? Paris? Das war Hunderte Kilometer vom Elsass entfernt. In Ordnung für einen Tagesausflug oder ein langes Wochenende, aber eine Versetzung, wenn auch auf Zeit …

Sein Vorgesetzter schien ihn missverstanden zu haben, grinste ihn weiter breit an. Oder grinste er etwa so dreist, weil er genau wusste, was das für Sturni bedeutete? Wochen, vielleicht Monate entfernt von seiner vertrauten Heimat.

»Sie haben richtig gehört, Paris! Die schönste Stadt der Welt und das Zentrum der Grande Nation, zu der, ob Sie es wollen oder nicht, auch das Elsass gehört.«

»Für wie lange muss ich denn nach Paris?«, fragte Sturni kleinlaut.

Er schwankte leicht, suchte Halt und fand ihn in einem von Bougets schweren Sesseln aus schwarzem Glattleder, in den er sich, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, einfach sinken ließ.

»Es ist alles für Sie organisiert. In drei Tagen geht es los. Sie werden für drei Monate zu einer Spezialeinheit der direction centrale de la police judiciaire – der Zentrale der französischen Kriminalpolizei – versetzt, die sich mit Steuerstrafsachen und Wirtschaftskriminalität beschäftigt. Die Ermittlergruppe wurde erst vor Kurzem eingerichtet und soll sich mit möglichen Ungereimtheiten bei französischen Atomkonzernen beschäftigen.«

Drei Monate? Steuerstrafsachen und Wirtschaftskriminalität? Atomkonzerne? Sturni wurde kreidebleich. Er befürchtete, die Fassung vollends zu verlieren, und klammerte sich verkrampft an seinen Sitzlehnen fest, als Bouget fortfuhr.

»Seit Monaten übt eine landesweit bekannte Journalistin öffentlich Druck auf die Regierung aus. Über einen Blog verbreitet sie unhaltbare Behauptungen, dass es bei unseren Atomkonzernen nicht mit rechten Dingen zugehe. Was erlaubt sich diese impertinente Person! Schließlich handelt es sich bei diesen Unternehmen um die Filetstücke unserer Wirtschaftsnation, um die weltweit bewunderte Ingenieurskunst der Grande Nation. Unsere Atomkraftwerke sind schließlich die besten und sichersten der Welt!«

Sturni war in seinem Sessel zu einem Häuflein Elend zusammengeschrumpft, bekam Bougets Monolog nur noch am Rande mit. Er, ganz allein, in Paris? Ohne Margaux, ohne Christian und weit weg von seinem geliebten Straßburg …

»Damit diese Frau die Öffentlichkeit nicht völlig verrückt macht, hat die Regierung kürzlich eine Sondereinheit aus verschiedenen Spezialisten eingesetzt, die den Vorwürfen nachgehen soll. Alle Anschuldigungen werden sich selbstverständlich als völlig haltlos erweisen. Sie dürfen für drei Monate ein Teil davon sein! Das Innenministerium hat mich nach meinem besten Mann für den Job gefragt, und ich habe gleich an Sie gedacht. Verstehen Sie es als Auszeichnung!«

Antoine Sturni, ein Fachmann für Steuerstrafsachen und Wirtschaftskriminalität? Was war das für ein Quatsch! Mit der flachen Hand wedelte er sich etwas frische Luft zu und versuchte, seinen Kreislauf wieder in Schwung zu bekommen.

»Die kleine Ermittlertruppe untersteht direkt dem Generaldirektor der police judiciaire. Ihr neues Büro liegt auf der Île de la Cité, mitten im Herzen von Paris. Île de la Cité, Sturni, zentraler geht es in Paris nicht!« Bouget geriet ins Schwärmen.

Den Kriminalhauptkommissar überkam dagegen der Schwindel. Zum Glück lümmelte er auf Bougets gemütlichem Bürosessel, sonst hätte es ihm schon längst die Füße weggezogen.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?«

Selbst seinem egomanisch veranlagten Vorgesetzten war nun aufgefallen, dass sein ranghöchster Ermittler in Sachen Mord und Totschlag kurz vor dem Kreislaufkollaps stand. Er schenkte ihm ein Glas Mineralwasser ein und reichte es ihm. Sturni trank hastig und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Vor seinem Vorgesetzten wollte er sich nicht die Blöße eines Schwächeanfalls geben. Ruckartig stand er auf und versuchte, das Gleichgewicht zu halten.

»So gefallen Sie mir schon wieder viel besser. Ich wusste, dass ich Ihnen damit eine Freude mache.«

Bouget klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. Eine ebenfalls ungewohnte Geste von seinem geschniegelten, aalglatten und sonst stets auf Distanz bedachten Vorgesetzten. Wenigstens gab es keine weiteren peinlichen Schnicksereien mehr, die hätten ihm den Rest gegeben.

»Und was ist mit meinem Morddezernat in Straßburg?«

Sturni suchte verzweifelt nach Möglichkeiten, das drohende Übel doch noch abzuwenden.

»Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. François Straumann wird Sie während Ihrer Abwesenheit vertreten. Er ist ein erfahrener Beamter und genießt mein vollstes Vertrauen.«

Ein plötzlicher Hustenanfall überkam ihn. Straumann, ein erfahrener Beamter, der Bougets vollstes Vertrauen genoss? Was zum Teufel war hier los? Da konnte man nur hoffen, dass es in den nächsten drei Monaten in Straßburg ruhig bleiben würde. Straumann war ein netter Kerl, aber stinkfaul und als Ermittler wahrlich keine Leuchte. Allerdings war er nun mal sein dienstältester Inspektor und damit sein Stellvertreter. Immerhin hatte Bouget seine Stelle nicht mit einem jungen Emporkömmling nachbesetzt, was dafür sprach, dass er nach den drei Monaten auf seine alte Stelle zurückkehren durfte. Straumann konnte die Aufgabe unmöglich dauerhaft übernehmen, wollte es auch gar nicht.

»Ihre neue Dienststelle hat sich um alles gekümmert. Selbst eine Wohnung hat die police judiciaire für Sie angemietet. In Paris ist das ja schließlich nicht so einfach, bei den Mietpreisen dort. Sie werden sehen, dass diese Erfahrung Ihr Leben verändern wird. Ich selbst kenne Paris wie meine Westentasche, für mich ist es das kulturelle Zentrum der Welt. Die Zeit dort wird Ihren Horizont erweitern und, nehmen Sie es mir nicht übel, das ist bei Ihnen auch mal bitter nötig.«

Bouget komplimentierte ihn aus seinem großen stylischen Büro, wobei er ihn immer noch etwas stützen musste, und knallte die Tür hinter ihm zu. Die Audienz war beendet. Es war ausgemachte Sache, um die Entsendung nach Paris kam er nicht mehr herum.

***

Elodie Lenz schaute ihn besorgt an. Sie stützte ihn mit einem beherzten Griff unter seine Arme und platzierte ihn auf ihrem Bürostuhl, bevor sie ihm einen Marc de Gewürz in ein kleines Schnapsglas eingoss, den sie für solche Fälle immer in ihrer Schreibtischschublade aufbewahrte. Bei den Allüren ihres Chefs war diese Form der Stärkung häufiger nötig und den Beamten der Polizeidirektion nach einer Audienz bei ihrem directeur sehr willkommen. Der elsässische Edelbrand tat schnell seine Wirkung, und Sturnis Lebensgeister kehrten zurück.

»Was hat er Ihnen angetan?«

Er schluckte, rang um Fassung und antwortete schließlich mit erstickter Stimme: »Er schickt mich fort. Nach Paris …«

»Mon dieu, das kann er doch nicht machen. Paris ist doch Lichtjahre vom Elsass entfernt.«

Mit der TGV-Direktverbindung waren es zwar nur noch eine Stunde und siebenundvierzig Minuten, aber was hatte das bei eingefleischten Elsässern schon zu bedeuten?

»Für drei Monate …«

Er ließ sich von Elodie ein weiteres Glas des hochprozentigen Tresterschnapses einschenken und kippte ihn in einem Zug hinunter.

»Wie kann er nur so herzlos sein. Nur weil er selbst Paris für den Nabel der Welt hält, muss das nicht automatisch auch für uns Elsässer gelten.«

Elodie konnte bestens nachvollziehen, wie er sich fühlte. Straßburg und das Elsass waren ihr Ein und Alles.

Immerhin hatte sie es – im Gegensatz zu Sturni, der das Elsass in seinem ganzen Leben kaum verlassen hatte – auch schon in die große, weite Welt hinausgezogen. Ihre Verlobungsreise führte sie nach Martinique in der Karibik und ihre Hochzeitsreise sogar nach La Réunion im Indischen Ozean. Da es sich bei beiden tropischen Inselparadiesen um französische Übersee-Départements handelte, musste sie zumindest Frankreich für ihre Ausflüge in die große, weite Welt nicht verlassen. Das wäre dann doch zu viel verlangt gewesen …

Es blieb offen, ob Bouget ihn mit der Entsendung in diese Spezialeinheit bestrafen oder belohnen wollte. Schließlich konnte sein Direktor es selbst kaum erwarten, seiner eigenen Versetzung in die elsässische Provinz ein Ende zu bereiten und möglichst bald einen attraktiven Posten in Paris zu ergattern, idealerweise in einem der Ministerien. Bouget war Karrierist durch und durch, und so hatte er sich dazu bereit erklärt, die Straßburger Polizeidirektion im fernen Elsass zu übernehmen, um auf der Karriereleiter voranzukommen. Glücklich war er hier nicht. Seine Versetzung nach Straßburg verglich er im trauten Kreis seiner Pariser Eliteabsolventen gerne mit einer Verbannung nach Sibirien.

Der Kommissar gab sich einen Ruck, leerte das letzte Tröpfchen Marc aus dem Schnapsglas und erhob sich schwungvoll aus Elodies gemütlichem Bürostuhl.

»Es hilft alles nichts, Elodie, da muss ich jetzt durch. Wir sehen uns in drei Monaten.«

Er drückte Bougets Sekretärin fest an sich, als sei es ein Abschied für immer, und stürmte dann aus ihrem Büro, bevor ihm vor lauter Selbstmitleid noch die Tränen kamen.

2 Auf spanischem Boden

Mit letzter Kraft erreichte Abdel den Strand. Alle Insassen des völlig überfüllten kleinen Holzbootes, die noch dazu in der Lage waren, sprangen ins Wasser und wateten die letzten Meter ans Ufer, bevor das Boot selbst dort anlandete.

Neugierige Touristen kamen herbei, einige machten Fotos mit ihren Handykameras, andere reichten den Migranten Plastikflaschen mit Wasser. Er widerstand der Versuchung, sich eine Flasche Wasser zu greifen. Jetzt zählte jede Sekunde. In der Ferne hörte er bereits die Sirenen der Polizei. Abdel war Algerier, hatte quasi keine Chance auf ein Bleiberecht in Europa. Wenn die spanischen Behörden ihn schnappten, dann wäre alles umsonst gewesen. Sie würden ihn zurück nach Algerien schicken.

Er hastete über den Sand und flüchtete sich in das hinter dem offenen Strandabschnitt gelegene Gestrüpp und Unterholz. Auch hier war er noch nicht in Sicherheit. Die Polizei hatte den Strand erreicht und ließ ihre Spürhunde aus den Fahrzeugen. Das Bellen war weithin zu hören und versetzte die Flüchtenden, die sich in alle Winde zerstreuten, in Angst und Schrecken. Sie würden nicht nur am Strand, sondern auch im Hinterland nach ihnen suchen.

Einige waren zu schwach und schafften es nicht einmal mehr, das Boot zu verlassen. Sie wurden von der Polizei aus dem Boot geholt und in Gewahrsam genommen. Ihre Odyssee endete am Strand des gelobten Kontinents Europa.

Sein alter Freund Farid war nicht einmal so weit gekommen. Gemeinsam mit Djamal waren sie schon vor Wochen illegal von Algerien nach Marokko gereist. Häufig mussten sich die drei vor der Polizei mit ihren Spürhunden verstecken, und auch die einheimische Bevölkerung war ihnen nicht wohlgesinnt. Sie litten an Hunger und Durst, und ihre Körper waren völlig ausgezehrt, als sie in der vereinbarten Nacht das Boot der Schlepper erreichten. Obwohl sie diesen Kriminellen viel Geld bezahlt hatten, wurden sie von ihnen wie Vieh behandelt. Als sich Farid darüber beschwerte, wurde er von den Schleppern schwer misshandelt. Mit den Kolben ihrer Gewehre prügelten sie auf ihn ein und verletzten ihn am Kopf, Rücken und an den Armen. Djamal und Abdel mussten tatenlos zusehen, hingen sie doch vollkommen von ihren Schleppern ab. Außerdem waren ihre Peiniger bewaffnet und sie nicht.

Farid war so ausgezehrt, dass er die Überfahrt nicht überlebte. Er starb in Abdels Armen an Hunger, Durst und den Schlägen der Schlepper. Sie packten seinen Leichnam und warfen ihn einfach über Bord. Das kleine Schiff war völlig überfüllt, und die Schlepper waren froh um jeden Migranten, den sie tot über Bord werfen konnten. Das Geld hatten sie ohnehin bereits eingestrichen. Abdel ballte die Faust und weinte stumm, als er seinen toten Freund im dunklen Wasser verschwinden sah. Widerstand wäre zwecklos gewesen, sie hätten ihn erschossen und ebenfalls über Bord geworfen. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment.

Djamal war mit ihm vom Boot gesprungen und über den Strand gehastet. Sie wussten, dass dies der kritische Punkt ihrer Reise werden würde, und hatten vorab vereinbart, sich hier zu trennen und später wieder zusammenzukommen. Am Hafen von Marbella hatten die drei Freunde einen Treffpunkt vereinbart; dort wollten sie sich beim Blick auf die Luxusjachten ausmalen, wer von ihnen es als Erster schaffen würde, ein Leben in Saus und Braus zu führen.

Abdel hastete durch das Gestrüpp, schürfte sich an vielen Stellen Arme und Beine auf, rannte, bis er nicht mehr konnte. In einer kleinen Holzhütte fand er Unterschlupf und wartete, bis es dämmerte. Von Ferne hörte er die Polizei mit ihren Hunden. Viele der Bootsflüchtlinge, die es nicht weit genug ins Hinterland geschafft hatten, wurden von der Polizei aufgegriffen. Ihnen drohte die Abschiebung. Die Chance auf Asyl in Spanien ging gegen null. Unter den Migranten war allgemein bekannt, dass die spanische Polizei nicht zimperlich mit ihnen umging. Keinesfalls durfte man sich von ihr erwischen lassen.

Erst in den frühen Morgenstunden war die Luft rein. Abdel schälte sich aus seinem Versteck und machte sich auf zu ihrem Treffpunkt nach Marbella.

3 Abschied von der Heimat

Mit Tränen der Wut und der Trauer in den Augen packte Sturni seinen großen alten Seesack, in dem er schon auf der Polizeischule seine Siebensachen verstaut hatte, und zwei weitere große Koffer.

»Quelle espèce de merde pourri – so eine verflixte Scheiße! Das hat Bouget mit Absicht gemacht! Er weiß genau, wo meine Schwachstelle liegt. Paris!!! Wie kann er mir das nur antun! Ich will nicht weg aus dem Elsass! Je le hais – ich hasse ihn!«

Margaux strich ihm liebevoll über den Rücken, als er sich auf sein Bett setzte und verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammenschlug.

»Du wirst sehen, es wird alles gut werden. Paris ist ja nicht aus der Welt, und du kannst jedes Wochenende mit dem TGV nach Straßburg zurückfahren.«

»Außerdem kommen wir dich ganz oft besuchen. Paris ist doch super. Gehen wir dann auch ins Disneyland Paris? Das soll noch toller sein als der Europa-Park in Rust.«

Christian hüpfte auf seinem Bett herum und war begeistert. Die Verzweiflung seines Vaters konnte er überhaupt nicht verstehen. Die optimistische südfranzösische Lebensart hatte er von seiner Mutter Caroline geerbt. Die Trennung seiner Eltern war inzwischen kein Thema mehr für ihn.

Sturni hingegen war zu Tode betrübt. Gerade lief doch alles so gut. Die Scheidung von seiner Ex-Frau hatte er, nicht zuletzt dank seiner neuen Freundin Margaux, gut verwunden, seinem Sohn Christian ging es nach der schwierigen Trennungszeit wieder bestens … und dann so etwas. Die »Verbannung« nach Paris lag ihm schwer im Magen. Allerdings blieb keine Zeit, um Trübsal zu blasen. In weniger als einer Stunde fuhr sein TGV nach Paris ab; sie mussten sich beeilen.

»Willst du eigentlich deinen gesamten Hausstand mitnehmen? Mit dem Zug ist es doch nur ein Katzensprung. Außerdem soll man in Paris auch ganz gut einkaufen können, habe ich mir sagen lassen.«

Margaux musste schmunzeln, als sie vor seinem prallvoll gepackten Seesack und den beiden riesigen Koffern standen.

»Und verhungern wirst du dort bestimmt auch nicht. Zur Not bringen dich deine poignées d'amour – dein Hüftgold – durch die harten drei Monate …«

Seine Freundin zwickte ihn liebevoll in die Hüfte, die zugegebenermaßen immer noch gut gepolstert war. Zumindest schnickste sie ihm nicht gegen seinen Bauch wie Bouget.

Außer seinen Klamotten hatte Sturni nämlich auch massenhaft Lebensmittel eingepackt: Sauerkraut und foie gras – Gänseleberpastete – aus der Dose, gute elsässische Knackwürste und große Mengen weiterer charcuterie – Wurstwaren –, vakuumierte Fleischnacka nach traditioneller Elsässer Art und vieles mehr.

»Wir müssen los, dein Zug!«

Christian wurde schon ungeduldig. Sturni hätte am liebsten seinen Zug verpasst, so elend war ihm zumute. Er quälte sich mit seinem schweren Gepäck die enge Treppe des alten Fachwerkhauses hinunter. Zum Glück gab es vor seiner Wohnung auf der Pont Royal eine Straßenbahnhaltestelle mit einer direkten Verbindung zum Straßburger Hauptbahnhof.

Es war Mitte August. Im Oberrheintal herrschten mal wieder Rekordtemperaturen, und er schwitzte unter seinem schweren Gepäck, das er selbst mit Margaux’ und Christians Hilfe kaum schultern konnte. In den Dernières Nouvelles d’Alsace, dem elsässischen Regionalblatt, hatte er gelesen, dass sich inzwischen sogar die Asiatische Tigermücke im Oberrheintal festgesetzt hatte. Wenn das mit der Klimaerwärmung so weiterging, dann hätten sie demnächst tropische Verhältnisse im Elsass; im Hochsommer war es bereits so weit.

Vielleicht hatte Margaux ja recht, und er hatte es mit seinem Gepäck etwas übertrieben. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie mussten sich beeilen, um seinen Zug noch zu erreichen. Am Bahnhof angekommen, hasteten sie auf Gleis zwei, auf dem der TGV nach Paris in Kürze einfahren würde.

Zu seiner Überraschung warteten bereits seine beiden Inspektoren, François Straumann und Bernard Isinger, am Bahnsteig auf ihn.

»Wir können unseren allseits geschätzten commissaire doch nicht einfach in die Fremde ziehen lassen, ohne ihm angemessen Lebewohl zu sagen. Salü, mach’s güat!«

Sturni war ohnehin schon zum Heulen zumute, aber als er seine Inspektoren mit einem großen Fresskorb elsässischer Spezialitäten in der Hand sah, stahlen sich endgültig ein paar Tränen der Rührung in seine Augen. Wenn Straumann ihm jetzt auch noch einige seiner elsässischen Lebensweisheiten mit auf den Weg gab, könnte er nicht mehr in den Zug steigen, der ihn in die Fremde bringen sollte. Er spürte jetzt schon Heimweh, und dabei war er noch nicht einmal losgefahren.

François Straumann, der ältere von beiden und für die nächsten Monate sein Stellvertreter bei der Mordkommission, drückte ihn fest an sich. Wie immer trug er ein grob kariertes Hemd und Hosenträger, die dafür sorgten, dass seine Cordhose nicht von seinem mächtigen Wanst rutschte und immer schön auf Bauchnabelhöhe blieb. Bei der Umarmung roch er strenger als sonst, und Antoine musste sich zusammenreißen, um der überschwänglichen Zuneigungsbekundung nicht vorzeitig ein Ende zu bereiten.

»Ich habe dir noch ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk mitgebracht.«

Straumann zog ein kleines rundes Päckchen aus seiner Hemdtasche, dessen Duft einem die Tränen in die Augen trieb. Und er hatte seinen Inspektor schon verdächtigt, es mit der Körperhygiene nicht so genau genommen zu haben …

»Ich war am Wochenende auf meiner bevorzugten ferme auberge im Munstertal, ganz in der Nähe des Petit Ballon. Dort machen sie den besten Käse der Welt. Kein Munsterkäse riecht besser und schmeckt würziger als dieser.«

Da hatte sein Inspektor ausnahmsweise nicht zu viel versprochen. Sturni kämpfte schon wieder gegen eine Ohnmacht an. Erst Bouget mit seiner Hiobsbotschaft und nun auch noch die Konfrontation mit einem chemischen Kampfstoff in Form eines überreifen Munsterkäses.

»Das wäre doch nicht nötig gewesen, François, es sind doch nur drei Monate.«

Sein Inspektor stopfte ihm die Delikatesse in seine Hemdtasche. Sturni hatte sich extra schick gemacht, da er nicht genau wusste, wer und was ihn in Paris erwarten würden. Er hatte es bisher noch nicht gewagt, das offizielle Schreiben der direction centrale de la police judiciaire zu öffnen, in dem man ihn über seine neue Dienststelle, seinen Aufgabenbereich und seine ihm von der Polizei zur Verfügung gestellte Wohnung informierte. Er hatte also keine Ahnung, was in Paris auf ihn zukommen würde. Im Zug blieb noch genügend Zeit, um die Unterlagen durchzulesen. Sturni war zwar ein Meister der Verdrängung, aber spätestens im TGV würde er der Wahrheit ins Auge sehen müssen. Drei Monate in der Hauptstadt standen ihm bevor … Was für andere wie ein romantischer Traum klang, kam für ihn einer Horrorvorstellung nahe.

Gegenüber seinen Inspektoren gab er jedoch den starken Mann. François Straumann klopfte ihm derweil mitfühlend mit seinen kräftigen Pranken auf den Rücken und stimmte dabei das Lied »Leb wohl, Elsass, mein geliebtes Land« an, was Sturnis Stimmung nicht wirklich aufheitern konnte. Auch Bernard Isinger, sein zweiter, jüngerer und erheblich begabterer Inspektor, drückte ihn fest an sich und übergab ihm den Fresskorb mit allerlei Köstlichkeiten.

***

Auf dem gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade der aus Colmar kommende Regionalzug ter Alsace s’Elsass ein, der die Perlen des Elsass – Mulhouse, Colmar und Straßburg – miteinander verbindet. Damit kam man, mit einmal Umsteigen in Sélestat, in sein Heimatdorf Ribeauvillé. Von Ferne sah er den TGV aus München in den Straßburger Bahnhof einrollen. Es war endgültig Zeit, Abschied zu nehmen.

Sobald der TGV angehalten hatte, begab sich das kleine Grüppchen zu dem Waggon, in dem ein Sitzplatz für ihn reserviert war. Er hatte Margaux und seinen Sohn Christian fest an sich gedrückt und war bereit einzusteigen, als plötzlich seine Mutter vor ihm stand.

»Maman, was machst du hier?«

Sturni war völlig perplex. Er besuchte seine Mutter und seinen Bruder in unregelmäßigen Abständen in Ribeauvillé, dem Dorf an der elsässischen Weinstraße, in dem die beiden bis heute lebten. Sein Vater war vor zwei Jahren an einem Herzinfarkt verstorben. Er hatte ein schlechtes Gewissen, da er sich viel zu wenig um seine nun verwitwete Mutter kümmerte, aber er hatte es ja nicht einmal geschafft, seine Ehe zu retten. Wie sollte er dann den Ansprüchen seiner Mutter gerecht werden?

Seine maman hatte ihn, seitdem er in Straßburg lebte – und das waren nun doch an die zwanzig Jahre –, keine Dutzend Mal besucht. Christians Geburt vor mehr als sieben Jahren dürfte der letzte Anlass gewesen sein, für den sie diesen langen und beschwerlichen Weg auf sich genommen hatte. Eine Reise mit dem ter Alsace nach Straßburg war für sie ein Abenteuertrip, den sie nur zu ganz besonderen Ereignissen auf sich nahm.

»Ich kann meinen Jungen doch nicht in die Fremde ziehen lassen, ohne ihm noch einmal in die Augen geschaut und ihn fest an mich gedrückt zu haben.«

Seine Mutter war in eine traditionelle elsässische Tracht gekleidet, ein schwarzes Kleid mit Stickereien vor der Brust und einer roten Schürze um die Lenden. Sie trug sogar die traditionelle elsässische Kopfbedeckung, die sie selbst in Ribeauvillé nur zu besonderen Anlässen aufsetzte. Keine Frage, seine Mutter hatte sich für das traurige Ereignis mächtig in Schale geworfen.

»Hast du an deinen passeport, deinen Reisepass, gedacht?«

»Maman, Paris liegt in Frankreich!«

»Wenigstens an deine carte d'identité?«

Seine Mutter fing an, ihn zu nerven, wie immer, wenn er mehr als fünf Minuten in ihrer Nähe war. Er konnte seinen Sohn Christian plötzlich gut verstehen, der sich gerade in einer Trotzphase befand. Maman und papa waren momentan extrem uncool … Wenn er seinen Sohn zur Schule brachte, dann musste er ihn an der letzten Straßenecke vor der Schule absetzen, damit seine potes, seine Kumpel, auf dem Schulhof nicht sahen, dass er noch von Mama oder Papa zur Schule gebracht wurde, anstatt alleine dorthin zu gehen.

Die Regel galt allerdings nicht, wenn seine neue Freundin Margaux Christian in die Schule beziehungsweise zu dem in seiner Schule stattfindenden Schülerferienprogramm brachte. Die Ferien dauerten immer noch an, und halb Frankreich verbrachte die lange Sommerpause an der Côte d'Azur, der Bucht von Arcachon oder in Biarritz. Margaux durfte mit auf den Schulhof, wurde als neue Freundin seines papa in seine Clique eingeführt und tauschte sich mit den Siebenjährigen über die coolsten Handyspiele aus. Was hatte diese Frau nur, was Caroline und er nicht hatten? Wahrscheinlich war es genau das. Sie war jung, hübsch, charmant und eben nicht maman et papa.

Ganz ähnlich erging es ihm mit seiner eigenen Mutter. Er liebte sie über alles, doch entwickelte sie sich zur casse-pieds, zur Nervensäge, kaum dass er einige Minuten mit ihr verbrachte. Sie hatte ihm nie verziehen, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte und nun schon fast zwanzig Jahre in Straßburg lebte. Es lag zwar keine Autostunde von Ribeauvillé entfernt, doch für sie begann hier ein anderes Universum. Obwohl er selbst sehr heimatverbunden war und das Elsass nur in Notfällen verließ, war sein Umzug nach Straßburg ein wichtiger emanzipatorischer Schritt für ihn gewesen, den er nie bereut hatte. Er achtete auf eine gewisse Distanz zu seiner Familie, und niemand verübelte ihm dies mehr als seine Mutter.

Hinzu kam die gerade erst vollzogene Scheidung von Caroline, die seine Mutter ihm persönlich anlastete. Obwohl Caroline aus Südfrankreich stammte, hatten sich seine Mutter und sie nach anfänglichen Schwierigkeiten miteinander arrangiert. Maman nahm ihm persönlich übel, dass seine Ehe in die Brüche gegangen war. Scheidungen kamen in ihrer Gedankenwelt nicht vor, waren Teufelszeug aus amerikanischen Fernsehserien.

»Maman, ich bin französischer Polizeibeamter! Natürlich trage ich meine carte d'identité, meinen Personalausweis, immer und überall bei mir, wie übrigens auch meinen Dienstausweis, meine carte d'identité de service.«

Sturni wedelte mit den beiden Ausweisen vor ihrem Gesicht herum. Er war so schon gestresst genug. Dass seine Mutter auch noch am Bahnhof aufkreuzte, um ihm Lebewohl zu sagen, gab ihm den Rest. Christian musste sie über sein Abreisedatum informiert haben. Die beiden steckten ihm entschieden zu eng unter einer Decke, seitdem beide über ein eigenes portable verfügten und Christian grand-mère auch noch beigebracht hatte, wie man es bediente.