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Patient: Gesundheitssystem E-Book

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Beschreibung

Ab in die Sprechstunde Dort warten Expert:innen mit dem umfassenden Therapiekonzept für Neue Menschlichkeit Das Buch untersucht das chronisch kranke Gesundheitssystem mit Blick auf seine Bringschuld den Menschen gegenüber. Denn viele Beteiligte haben das Gefühl, dass genau dieser Fokus auf den Menschen auf der Strecke geblieben ist. Zeit für einen Sichtwechsel, der das gesamte System neu ordnet. Zeit für ein neues Denken. Zeit für Neue Menschlichkeit. Was könnte man verbessern, wo gibt es konstruktive Lösungen für mehr Autonomie und Selbststeuerung der Akteure und wie kann man nicht nur Symptome bekämpfen, sondern das Gesundheitssystem insgesamt in Richtung Neue Menschlichkeit weiterentwickeln? Der Herausgeber Christian Egle lädt relevante Impulsgeber und ausgewählte Expert:innen in die Sprechstunde. Dort diskutieren sie gemeinsam aktuelle Symptome, Therapien, Lösungen und präventive Maßnahmen. So entsteht ein facettenreicher und kontroverser Diskurs rund um das Gesundheitssystem von morgen. Mit Digitalisierungs- und Finanzexperten, Patientenvertretern, Chefärzten und Pflegedienstleistern, Politikern und Managern. Christian Egle moderiert, kommentiert und vernetzt die unterschiedlichen Perspektiven zu einem umfassenden Therapiekonzept der Neuen Menschlichkeit im Gesundheitssystem. Erzählt in acht Kapiteln, zusätzlich mit einer kleinen Geschichte der Bio- und Medizinethik sowie am Ende mit einer großen Netzkarte zukunftsfähiger Lösungsideen.

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Christian Egle (Hg.)

PATIENT: GESUNDHEITSSYSTEM

NEUE MENSCHLICHKEIT ALS THERAPIE

unter Mitarbeit von Michael Brinkmeier, Birgit Fischer, Jana Jünger, Markus Klimmer, Gabriele C. Klug, Sophie Charlott Krause-Hassenstein, Eckhard Nagel, Rainer Striebel, Gerd W. Stürz, Thomas Wolfram

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Einführung

Sprechstunde 1Herz

Wie wir uns Wirklich auf den Menschen fokussieren können

Sprechstunde 2Kreislauf

Wie Arzt und Patient zu gemeinsamen Entscheidungen kommen können

Sprechstunde 3Nerven

Wie Alle Akteure besser miteinander kooperieren können

Sprechstunde 4Organverbund

Wie wir ganzheitliche Versorgungskonzepte entwickeln können

Sprechstunde 5Gehirn

Wie wir das Potenzial digitaler Lösungen nutzen können

Sprechstunde 6Wirbelsäule

Wie wir die Finanzmittel sinnvoll einsetzen können

Sprechstunde 7Magen – Darm

Wie wir richtig in die Zukunft investieren können

Sprechstunde 8Haut

Wie wir Gesundheitspolitik transparent für alle gestalten können

EPILOG

CHANGE MAP

Anhang

Herausgeber, Autor*innen

Geleitwort

Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es formuliert erstens eine große Vision, zeigt zweitens Wege und Ideen der konkreten Umsetzung, wird drittens vom Herausgeber und einem Autorenteam mit hoher Fachexpertise in einem neuen Blickwinkel verfasst, bildet viertens die gesamte Perspektivendifferenz zu einem umstrittenen Thema ab und will fünftens die große Öffentlichkeit aufklären. Im Ergebnis bedeutet dieses Buch die notwendige und zielführende Einmischung in eine der konfliktreichsten gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart.

Es geht um das Gesundheitssystem, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Vielerorts ein echter Krankheitsfall. Und es geht um ein Gesundheitssystem, dem es nicht mehr gelingt, mit einem Verständnis der Bringschuld den Menschen bessere und fürsorgliche Gesundheit in Europa anzubieten. Im Gegenteil. Es hat sich vielfach zu bizarren Wirklichkeiten entwickelt, die Ökonomie vor Gesundheit stellen. Längst haben nicht wenige Bürger*innen den Eindruck, dass dieses Gesundheitssystem nur noch schwer reformierbar ist.

Ist es aber doch, so der Herausgeber, die Autoren und Autorinnen, Experten und Expertinnen in diesem Buch. Mit dem Begriff »Neue Menschlichkeit« versuchen sie, das Diktat einer profitgetriebenen Wirtschaftlichkeit aufzubrechen und es mit einer humanistischen, vernetzten und interprofessionellen Mitmenschlichkeit neu zu programmieren. Und weil dieses Buch einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, bezieht es alle Akteure mit ein: Ärzt*innen, Patient*innen, Manager*innen, Politiker*innen. Sie alle begeben sich auf eine spannende Reise voller kreativer Ideen und Lösungen.

Das vorliegende Buch ist eine große Gemeinschaftsleistung.

Und der originelle Beweis, wie Menschen unter der Flagge der Neuen Menschlichkeit eine neue Welt auszubuchstabieren versuchen, nicht nur kritisierend, sondern konstruktiv nach vorne weisend. Ich danke allen Mitwirkenden für diesen Mut und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Vorschläge.

Das Konzept der Neuen Menschlichkeit wurde im Rahmen von Gesprächen mit zahlreichen Expert*innen des Gesundheitssystems entwickelt. Alle anregenden Unterhaltungen und Diskussionen fanden Berücksichtigung, auch wenn einige Expert*innen nicht mit einem Zitat Erwähnung fanden.

Dieses Buch entstand mit freundlicher Unterstützung der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Julie Teigland, Managing Partner von EY EMEIA (Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika) und Mitglied der globalen Geschäftsführung.

Einführung

Gesundheit ist ein individuelles Grundrecht. Jeder und jede will es wahrnehmen, jeder und jede will es aufrechterhalten. Längst hat sich darum herum ein riesiges, undurchdringliches und widersprüchliches System gebildet: das Gesundheitssystem. Und nicht wenige verzweifeln oder äußern daran zumindest harsche Kritik. Ärzt*innen, Patient*innen, Politiker*innen, Expert*innen und Funktionäre. Im Kern geht es um den Verlust an Menschlichkeit, man fühlt sich verloren im Chaos, jeglicher Autonomie beraubt und nicht mehr fähig, Gesundheit selbst und auf Augenhöhe mitzugestalten oder gar zu steuern. Das Gesundheitssystem steckt in der Krise, ja, es ist geradezu selbst zum Patienten geworden. Dieses Buch versucht deshalb, mit dem Begriff Neue Menschlichkeit ein zeitgemäßes, modernes Denken und Handeln im Gesundheitssystem anzustiften. Um diesen Patient*innen wieder von seinen Leiden und Krankheiten zu befreien.

Lassen Sie uns mit dem Begriff der Gesundheit selbst beginnen. In der Präambel zur Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), übrigens bereits vor über 70 Jahren, heißt es, dass Gesundheit der Status des vollkommenen körperlichen, geistigen und gesellschaftlichen Wohlbefindens sei. Bis heute hat sich die Haltung vielerorts verfestigt, dass Gesundheit mehr ist als die nur Abwesenheit von Krankheit.

Aus dem Blickwinkel des Wohlbefindens hat sich auch die Begrifflichkeit erheblich verändert. Krankheit wird nicht mehr nur allein als quantitativ bestimmbarer Defekt an einem bestimmten Organ gesehen, sondern als Gesamtgeschehen mit relevanten inneren und äußeren Faktoren. Das reicht von bewusster Lebensführung über aktive Gesundheitspflege bis hin zur professionellen Hilfe beim Arzt. Übrigens weiterhin mit großem Vertrauen, denn knapp jeder zweite Deutsche hat großes Vertrauen in die Ärzteschaft. Was aber auch bedeutet, jeder zweite hat dieses Vertrauen nicht.

Die Neue Menschlichkeit im Gesundheitssystem

Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass auch die Wertigkeit von Gesundheit innerhalb moderner Gesellschaften unterschiedlich eingeschätzt wird. So ist das Wissen um den Wert von Gesundheit eng mit dem sozialen und ökonomischen Status verknüpft. In den etablierten, postmateriellen und modernen Leistungseliten, also bei rund 35 Prozent der Deutschen und innerhalb der bürgerlichen Mitte, ist es ein hohes Gut; dies steht im Gegensatz zu den sozial und ökonomisch schlechter gestellten Menschen innerhalb unserer Gesellschaft, die ebenfalls ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Hieraus resultieren einerseits ein unterschiedlich ausgeprägtes Maß an Wissen und resultierender Selbstfürsorge, andererseits auch eine deutlich verschiedene Nachfrage nach medizinischen Leistungen und speziell von gesundheitserhaltenden Vorsorgeangeboten.

Eines aber eint uns alle: Jeder von uns kennt jenen Augenblick, in dem wir bemerken, dass etwas nicht stimmt, uns etwas fehlt, wir Symptome zeigen, befürchten, krank zu werden, oder einfach nur beunruhigt sind. Dann will jeder so schnell wie möglich wieder gesund werden und es am besten möglichst lange bleiben. Und weil der Blick auf Gesundheit so differenziert ist wie noch nie, müssen alle Akteure im Gesundheitswesen viele neue Anforderungen erfüllen. Die Patient*innen werden über das Internet immer gebildeter, das medizinische Personal muss immer mehr Wissen und neue Erkenntnisse in den Diagnose- und Therapiealltag integrieren. Zu guter Letzt müssen alle Einrichtungen und Institutionen – von Praxen, über Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeinrichtungen bis hin zu Gesundheitsämtern – mitsamt ihrem funktional-bürokratischen Überbau dafür sorgen, dass dieses komplexe und komplizierte Zusammenspiel aus Diagnose, Therapie, Nachsorge und Prophylaxe jedem Einzelnen zugutekommt.

Dieses Buch beschäftigt sich zentral mit diesen, sich stetig verändernden Herausforderungen. Oder anders gesagt: Wie schaffen es die professionellen Akteure, die immer mehr wissen, forschen und erkennen, der zutiefst menschlichen Empfindung einer möglichen Erkrankung so zu begegnen, dass deren Menschsein gewürdigt, berücksichtigt und wertgeschätzt bleibt? Es geht also zentral darum, wie das Gesundheitssystem einer individuellen Autonomie des Daseins weiter begegnen will: Top-down, von oben herab, bei Patienten das Gefühl hinterlassend, ausgeliefert zu sein? Oder im Verständnis einer modernen Autonomie, interpretiert als Möglichkeit, sein eigenes Schicksal selbst zu steuern und auf Augenhöhe, ja geradezu ebenbürtig zu sein, wenn die Medizin in dieses Gesamtgeschehen rund um die persönliche Gesundheit und somit die eigene Existenz eingreift.

Summum bonum

Lassen Sie uns mit der Kamera noch etwas näher heranzoomen. Es macht sich nicht nur im Gesundheitssystem ein großes Unbehagen breit. Der Soziologe Armin Nassehi formuliert die grundsätzliche gesamtgesellschaftliche Fragestellung wie folgt: »Wie können die Menschen, kann die Menschheit, kann die Gesellschaft so viel Leid und Problematisches zulassen, während sie die Mittel dagegen doch in der Hand zu halten scheint? Warum streben die Handelnden, obwohl sie die Mittel dazu hätten, nicht nach dem summum bonum, das alle besserstellen und Lösungen wahrscheinlicher machen würde?«

Man könnte anders fragen: Warum erkranken die Teilsysteme? Warum wird das Gesundheitssystem selbst zum Patienten, obwohl es alle Problemlösungen in Händen hält? Warum werden Lösungen permanent wieder zu Problemen? Warum sind die Beharrungskräfte so stark? Keine Frage: Es mehren sich allerorten die Symptome und Beschwerden. Patienten fühlen sich als anonymer »Fall«, sie erleben das System, auf das sie angewiesen sind, als träge, bürokratisch und intransparent. Zudem besteht ein ausgeprägter Mangel an Fachkräften, welcher die Arbeit in vielen Bereichen erschwert und zur weiteren Verknappung von Ressourcen führt.

Die Häufigkeit von »Burn-out« und Überlastungen von Mitarbeitern aller Berufsgruppen im Gesundheitssystem nimmt seit Jahren stetig zu. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig – wesentliche Ursachen wie zunehmende Arbeitsverdichtung, häufiges Handeln in Ausnahmesituationen mit höchster emotionaler Belastung, ständige Verfügbarkeit und oftmals schlechte Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sind vielerorts anzutreffen.

Gleichzeitig erhöhen sich die Ausgaben und Kosten immer weiter, die wirtschaftliche Situation ist vielerorts angespannt. Diese Aufzählung könnte um viele weitere Punkte fortgeführt werden. Die Akteure im Gesundheitssystem kennen dieses Lied längst in- und auswendig. Unterdessen bleibt das, was das Menschsein ausmacht, auf der Strecke: die Menschlichkeit als grundsätzliches soziales und kooperatives Miteinander. Gegenseitige Hilfe zum Schutze aller wird beseitigt. Man hätte die Mittel in der Hand, schafft aber kein gemeinsames summum bonum? Was gilt es zu tun?

Das Jetzt erfordert, dies eindrucksvoll verstärkt durch die aktuellen grundlegenden Veränderungen unserer Gesellschaft und Kultur, ein Mehr an Kreativität, Innovationsfähigkeit, Motivation und vor allen Dingen sozialer Kompetenz – kurzum: mehr Individualität. Nur so wird es möglich sein, die Symptome des Patienten Gesundheitssystem zu beheben und das erwachsende Neue im Sinne von Menschlichkeit zu gestalten.

Die Individualität aller Akteure zu stärken ist Maß und Ziel dieses Buches. Wir, der Herausgeber und die Autor*innen, sind allesamt Teilnehmer*innen an diesem großen Spiel der Widersprüche, Antinomien und Paradoxien. Oft seit vielen Jahren. Aber wir wollen nicht aufgeben. Wir verstehen uns als bedingungslose Protagonisten der breiten Selbstermächtigung aller Akteure im Gesundheitssystem und plädieren so für ein verändertes, weiterentwickeltes Bild von Menschlichkeit. Diese stärkt vorrangig die Selbstbestimmung jedes Einzelnen, sodass aufgeklärte, autonome Menschen, die auf ein für sie relevantes Wissen zurückgreifen können, in der Lage sind, dies ihrer jeweiligen Rolle im Gesundheitssystem entsprechend verantwortungsvoll einzusetzen.

Deshalb haben wir uns in diesem Buch versammelt, um unsere Ideen, Vorschläge und Lösungen in einem kohärenten und konsistenten Sinne vorzutragen und vorzuschlagen. Wir nennen es die Neue Menschlichkeit. Alle Mitwirkenden im Gesundheitssystem werden so zu Coaches und Partnern, Patient*innen werden Expert*innen ihrer eigenen Erkrankung; Bürger steuern Ihre Gesundheit selbst und Systemvertreter handeln als Exekutive einer bedingungslosen beiderseitigen Gewinnbeziehung. Die Neue Menschlichkeit ist Ausdruck eines neuen Denkens auf allen Ebenen. Jeder bringt seine Ressourcen ein, um physisch, psychisch und sozial das Wohlbefinden aller zu steigern. Das wäre die konsequenteste Auslegung der WHO-Definition.

Eine kleine Geschichte der Menschlichkeit im Gesundheitswesen – woher wir kommen und wohin wir gehen

Um besser zu verstehen, dass die Neue Menschlichkeit kein kurzfristiges Buzzword wird, wollen wir zeigen, dass es eher die konsequente Weiterentwicklung einer langen medizinethischen Entfaltungslinie ist. Über Jahrhunderte weg. Wir wollen damit klarmachen, dass es auch historisch zwingend ist, diesen großen Schritt zu gehen. Gleichzeitig können dadurch Faktoren identifiziert werden, die helfen, die aktuellen und chronischen Beschwerden des Patienten Gesundheitswesen besser zu verstehen.

Die Historie der Grundzüge unserer etablierten, wissenschaftlich-orientierten medizinischen Versorgung ist relativ kurz und umfasst eine Zeitspanne von ungefähr 60 Jahren, während die Grundprinzipien unseres präsenten Verständnisses von Behandlung, Betreuung, Pflege und Zuwendung wesentlich länger zurückliegen. Dort sollte die Anamneseerhebung beginnen. Kommen Sie mit auf diese kurze Reise durch die Jahrhunderte.

Die Anfänge der Betreuung, Behandlung und Pflege von Kranken außerhalb ihres eigenen Umfeldes von Familie, dörflicher Gemeinschaft und teilweise klösterlicher Zuwendung reichen mehrere Jahrhunderte zurück. In einzelnen Hospitaleinrichtungen und streng religiös geführten Spitalen, die bereits im 9. Jahrhundert entstanden waren, erfolgte zunächst nur eine Betreuung der Ärmsten. Ab dem 12. Jahrhundert entstanden dann parallel im Zuge der Gründung vieler Städte und der einhergehenden Verelendung zahlreicher Menschen erste kirchlich-bruderschaftliche Spitäler. Bis in das 15. Jahrhundert hinein etablierte sich auf dieser Basis außerdem ein städtisches Spitalwesen. Mit ihrer schrittweisen Etablierung kam es so zu einer Übertragung der eigentlichen kirchlich orientierten Aufgabenverteilung in der Kranken-, Armen-, und Altenpflege, wenngleich eine Säkularisierung der Prinzipien und Inhalte der Betreuung der Kranken nicht erfolgte. Die praktizierte christliche Moral und Ethik verankerten sich fest in der Praxis des karitativen Wirkens in der Betreuung von Kranken und Leidenden und sind bis heute feste Bestandteile unseres kulturellen Verständnisses von Zuwendung, Betreuung und Nächstenliebe – den wesentlichen Elementen von Menschlichkeit.

Bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts waren Klöster die eigentlichen Zentren heilkundlichen Handelns. Weltlich ausgerichtete Medizinschulen gab es nur wenige. In den ersten Universitäten wurden eher klassische Lehrvorstellungen vermittelt. Gesundheit galt im Mittelalter als ein Geschenk Gottes – mit hohem irdischen Gut. Der Übergang in die Renaissance im 16. Jahrhundert führte indes zu einer schrittweisen Loslösung der etablierten Dogmen. Immer offener wurde die Frage nach dem tieferen Grund der Dinge gestellt. Erste Erkenntnisse zu Anatomie und Funktion des menschlichen Körpers führten zu Kritik und schrittweisem Verlassen der humoralpathologischen Vorstellungen. So beschränkten sich bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts die Erkenntnisse der Medizin zur Behandlung von Erkrankungen neben überlieferten Rezepturen hauptsächlich auf die Forschungen und Beobachtungen einzelner Gelehrter und Wissenschaftler, sodass für nahezu alle Erkrankungen, unserem heutigen Verständnis folgend, keinerlei Therapie zur Verfügung stand. Erst mit dem zunehmenden Verständnis und Wissen über die Anatomie und Physiologie des Menschen in den ersten Universitäten wie Salerno, Bologna, London, Montpellier und Oxford wurde es langsam möglich, Krankheiten oder krankhafte Zustände in einem neuen Verständnis zu behandeln.

Die Veränderungen beschleunigten sich allerorten. Das städtische Hospitalwesen etablierte sich und die Städte übernahmen organisatorische und steuernde Aufgaben. Erstmals erfolgte die Zuweisung von Ärzten in Hospitäler, um ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung gewährleisten zu können. Darüber hinaus wurden erste Regeln getroffen, wie die verschiedenen Beteiligten überhaupt zusammenwirken sollten – mit Ärzten, Chirurgen, Badern, Barbieren, Zahnbrechern, Hebammen und Apothekern waren ja eine ganze Reihe unterschiedlichster Akteure beteiligt.

Auch die Betreuung und Pflege von Erkrankten begann sich in diesem Zeitraum zu verändern, um dem Anspruch an eine spezifischere, nun deutlich medizinisch-geprägtere, über das Maß der ausschließlich karitativen Zuwendung und Betreuung hinausgehende Behandlung der Erkrankten gerecht zu werden. Es erfolgte eine erste Annäherung zweier, bis dato nahezu vollständig getrennter Welten des Umgangs mit Erkrankten und Leidenden. Eine »Professionalisierung« entwickelte sich auf Basis neu entstehender Spitalverordnungen mit regelmäßigen ärztlichen Konsultationen in nunmehr vorwiegend städtisch getragenen Spitäler.

In der Wissenschaft wiederum vollendete sich ein umfassender Ablösungsprozess von der dominierenden antiken und arabisch-mittelalterlichen Betrachtungsweise hin zu neuen Erkenntnismethoden. Erkenntnisse sollten fortan durch Beobachtung, Experiment und induktives Erkennen erlangt werden. Gleichwohl war die Medizin bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch stark der antik-islamischen Tradition verhaftet. Analyse und Interpretation dieser Lehren bildeten die Grundlage für Erkenntnis und Entscheidungen. Die Medizin war theoretisch.

Aber nicht mehr lange. Ein neues Denksystem brach an. Medizinisch anwendbares Wissen entstand jetzt aus Beobachtungen, die zu Handlungen führten. Empirisches Wissen, das in der Praxis ständig beobachtet und verbessert wurde, war die Grundvoraussetzung für ärztliche Kunst. Somit wurde der Weg für eine geordnete Erfahrungsbildung, die Schaffung erster Systematiken und Klassifikationen krankhafter Zustände gelegt. Wir erkennen bereits, wie sich der caritative Aspekt einer menschlichen Krankenbetreuung langsam zu erweitern beginnt. Das Zeitalter der Wissenschaft tat sein Übriges.

Denn im 18. Jahrhundert vollzog sich eine Weiterentwicklung der systematischen, vernunftgelenkten Erkenntnisbildung durch gezieltes Beobachten und Experimentieren. Auf Basis des Primates der Vernunft und der Unabhängigkeit des Denkens erfolgte die vollständige Ablösung von der kirchlichen Dogmatik. Die städtischen und staatlichen Autoritäten sahen sich in zunehmendem Maße als Diener ihrer Bürger. Es kam zu neuen Strukturen des Gesundheitswesens im öffentlichen Raum. Unter Wahrung und Förderung der karitativen Gesichtspunkte der Betreuung der Patienten bestimmten neue Interessen das Handeln. Die Wirtschaft drängte in die Mitte der Gesellschaft. Sie hatte natürlich großes Interesse, auf gesunde Arbeitskräfte als Grundvoraussetzung für das ökonomische Wachstum und Prosperität der Gesellschaft zurückgreifen zu können. Die Rolle des Staates wandelte sich – er wurde zum Wächter der Gesundheit und somit zur Erzieherin des Volkes. Gleichzeitig wandelten sich europaweit die Hospitäler der alten Prägung. Es entstanden neue, moderne Einrichtungen. Krankenhäuser mit verschiedenen Fachdisziplinen vereinten sich in einem Gebäude, Diagnostik und Behandlung wurden institutionalisiert. In Folge dessen veränderten sich auch die Anforderungen an Pflege und Betreuung. Die konfessionell geprägte Pflege entsprach nicht mehr den Anforderungen der Zeit und des Zeitgeists.

Diese Stimmung des Aufbruchs übertrug sich auf das 19. Jahrhundert, dem »Jahrhundert der Medizin«. Mehr Wissen führte zu mehr Weltlichkeit, alte Sichtweisen wurden herausgefordert, Rollen und Aufgaben neu vergeben. Ärzte, die bis dahin vorwiegend universell tätig waren, spezialisierten sich von den Hochschulen ausgehend ab den 1880er Jahren. Bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch herrschte ein Mangel an institutionellen Strukturen, um diesem gerecht zu werden. Während die Ausbildung von Ärzten isoliert und elitär im Umfeld der Universitäten erfolgte, oblag die Ausbildung – und somit auch die Vermittlung von Wissen und Werten in Krankenpflege und Betreuung – hauptsächlich katholischen Orden oder vereinzelten Diakonissenanstalten.

Eine Neuorientierung wurde Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend von Florence Nightingale geprägt. Sie hatte im Jahr 1860 in London eine Pflegeschule mit dem Ziel der Professionalisierung und somit weitergehenden Verweltlichung des Bildes von Pflege und Betreuung gegründet. Die von ihr entwickelten Konzepte zu Ausbildung, Umgang und Interaktion mit Kranken und Pflegebedürftigen orientierten sich stark an Hippokrates, folgten allerdings klaren organisatorischen Strukturen und erlaubten eine praxisnahe Einbindung in die sich immer mehr abzeichnenden spezifischen Anforderungen. Die bestimmende Rolle der christlichen Ethik innerhalb der Krankenpflege wandelte sich im Licht der Industrialisierung. Das Selbstverständnis veränderte sich, das Berufsbild der Krankenpflege zeichnete sich immer umfassender, langsam auch begleitet von einer sozialen Aufwertung des Berufsbildes, in der Gesellschaft ab. Erste nationale und internationale Berufsverbände für Pflege wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet, die die Etablierung besserer Rahmenbedingungen in der Pflege, aber auch die Schaffung sozialer Sicherungssysteme für die Pflegenden anstrebte. Die gesellschaftliche Verankerung eines neuen Berufsstandes war vollzogen.

Bereits einige Jahrzehnte zuvor hatten sich Veränderungen in der gesellschaftlichen Betrachtung des Wertes sozialer Sicherungssysteme entwickelt. Begleitet von einer bereits seit 1845 bestehenden Möglichkeit zur Krankenversicherung erfolgte die Schaffung gesetzlich verankerter sozialer Sicherungssysteme: Kranken-, Unfall- sowie Invaliditäts- und Altersversicherung. Gesundheit war inhaltlich säkularisiert und zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden.

Der Dreiklang aus Industrialisierung, Wissenschaft und gesellschaftlicher Veränderung dominierte in der Folge eigentlich bis heute das medizinethische Verständnis. Dies führte zu einer technisch-industriell – auf Prozesse und Abläufe, Technologie und absolute Plan- und Messbarkeit fokussierte – Betrachtungsweise des Gesundheitssystems. Ein neuer Wirtschaftsfaktor, mit der Betrachtung des Gesundheitswesens als Wertschöpfungsinstrument war entstanden.

Katalysiert wurde diese Entwicklung durch die Möglichkeit, die historischen Entdeckungen und wissenschaftlichen Modelle des 20. Jahrhunderts zum Nutzen der Menschen umfassend verfügbar zu machen. So revolutionierte die Erfindung des Computertomogramms als technische Weiterentwicklung der Nutzung der Röntgenstrahlung die Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie, ebenso die Etablierung der Magnetresonanztomographie. Hinzu kam die Charakterisierung des menschlichen Erbgutes – der DNA –, die neue Gebiete der Medizin wie Immunologie, Molekularbiologie und Pharmakologie hervorbrachte. Auch alle anderen Disziplinen der Medizin veränderten sich grundlegend. Das Wissen nahm in rasantem Tempo zu, neue Methoden kamen zur Anwendung, immer mehr Informationen wurden gewonnen. Sie veränderten die Schwerpunktsetzung innerhalb des Gesundheitssystems. In Folge dessen wurden Patient*innen zu Fällen, Leistungen zu Punkten sowie Prozesse zu Optimierungen. Kurzum: Das Gesundheitswesen wandelte sich in eine Industrie. Alles wurde messbar – technologische Hilfsmittel und Prozesse dominieren den Alltag. Die karitative Menschlichkeit in der Medizin und im Gesundheitssystem wird mit einer starken wissenschaftlichen Aufladung konfrontiert.

Zweifelsohne, die Erfolge dieser neuen Eigenlogik waren und sind offensichtlich. Die medizinische Versorgung, eingebettet in ein umfangreiches Netz aus sozialer Absicherung, einem Netzwerk aus Modalitäten und Versorgungsmöglichkeiten, wurde unter dem Aspekt der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten gesehen immer besser, wie dargestellt aber auch apparativer, anonymer, kostenintensiver und unpersönlicher. Leistungen oder Handlungen, die menschliches Miteinander betreffen – wie Gespräche und Erläuterungen, Beratung und Betreuung – wurden fortan wie technische Untersuchungen bewertet. Gleichzeitig wuchs das Wissen um die Möglichkeiten zur Prävention, Diagnostik und auch Intervention immer rascher, der Grad an Spezialisierung und Wissen, der erforderlich war, um adäquat beraten, behandeln, pflegen, helfen und entscheiden zu können, nimmt immer mehr zu – bei allen Beteiligten.

Diese nahezu vollständige und sehr erfolgreiche Zuwendung der modernen Gesellschaft zum Primat des Determinismus in allen Bereichen des Lebens sowie das Entstehen der modernen Industriegesellschaften forderten insbesondere ab Mitte des 20. Jahrhunderts die bestehenden ethischen Prinzipien des Zusammenlebens heraus.

Blick zurück nach vorne: Während im Mittelalter die medizinische Ethik hauptsächlich noch von der theologischen Ethik und durch christliche Wertvorstellungen wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit bestimmt war, nahmen die Einflüsse der zunehmend idealistisch und dann auch positivistisch geprägten Philosophie zu. Unter dem Einfluss der dramatischen Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts, sowie der Erkenntnis, wonach grundlegende Erfindungen einerseits zum Wohle der Menschheit, anderseits aber auch zum Tode von Millionen führen können, intensivierte man auch in der Medizin eine Auseinandersetzung zu den Fragen von Moral und Ethik.

Die Entstehung der modernen Industriegesellschaft hatte die kulturell verankerten konfessionellen Werte innerhalb von Gesellschaft und Gesundheitssystem nahezu vollständig verdrängt. Es entstanden neue Prinzipien der medizinischen Ethik unter Anwendung universaler humanistischer Prinzipien und jenseits einer konfessionellen Wertedeutung. Sie beruhen auf dem Prinzip der uneingeschränkten Wahrung der Menschenwürde, dem uneingeschränkten Recht auf Selbstbestimmung und dem Grundprinzip einem Menschen keinen Schaden zuzufügen. Innerhalb dieser Prinzipien finden sich die Aspekte des christlich verankerten Begriffs der Menschlichkeit zwar wieder, sie sind allenfalls aber nur noch ein kleiner Teilaspekt dieser Definition. Es geht vielmehr um die Frage der Zulässigkeit, der Möglichkeiten, aber auch der Verantwortung des individuellen menschlichen Handelns innerhalb der Gesellschaft oder des jeweiligen Bezugssystems auf Basis des Respekts der menschlichen Autonomie, der Sicherstellung von Wohltätigkeit, der Wahrung von Gerechtigkeit und der Vermeidung von Schaden.

Doch damit ist die Problematik des Themas auch benannt. Die Prinzipien der biomedizinischen Ethik wie auch die der historisch und kulturell nur noch marginal abgebildeten konfessionell determinierten Inhalte von Menschlichkeit erfuhren keine maßgebliche Abbildung im industriell-wertschöpfend geprägten Bild des Gesundheitswesens. Der Anteil der direkten menschlichen Interaktion, der kooperativen, auf den Prinzipien der wissenschaftlichen Evidenz beruhenden Entscheidungen ordnete sich in zunehmendem Maße, unabhängig von der Trägerschaft, dem Prinzip der Gewinnbetrachtung unter. Darüber hinaus zeigten sich – in Analogie zur freien Marktwirtschaft – stärker werdende Verschränkungen zwischen Industrie, Wirtschaft und Gesundheitswesen, welche die Abgrenzung von wirtschaftlichen Interessen und dem konsequenten Handeln im Sinne von Patienten, Angehörigen und den im Gesundheitswesen Tätigen nahezu unmöglich machte.

Die Menschlichkeit im alten Sinne hatte ihre Existenzgrundlage verloren, die alternativen Modelle scheiterten an der Rigidität der etablierten Systeme.

Mit Beginn des Zeitalters der digitalen oder mikroelektronischen Revolution am Ende des 20. Jahrhunderts änderten sich, vergleichbar mit dem Einfluss der ersten industriellen Revolution auf das Mittelalter, erneut die grundlegenden Mechanismen und Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Entstehung von Wissen und Erkenntnis. Unser Verhältnis zu Informationen, deren Verfügbarkeit, zu Kommunikation, Interaktion und Kooperation, zur Schaffung von Werten und Generierungen von Evidenz wurden neu definiert. Getragen von den schier unbegrenzten Möglichkeiten einer sich immer schneller entwickelnden Mikroelektronik werden sowohl lokale als auch nationale und globale Macht- und Wissensverhältnisse neu geordnet. In einer sich nunmehr immer schneller vernetzten, interagierenden Welt verdoppelt sich das Substrat der digitalen Ära alle zwei Jahre: die digital verfügbaren Daten. Sie sind die Basis für Informationen, für abgeleitetes Wissen, für Entscheidungen und jede Form ihrer technologischen Nutzung – und für eine ganze Reihe neuer Geschäftsmodelle.

Die Dynamik aller dieser Entwicklungen lässt sich wohl am besten daran verdeutlichen, dass genau jene Unternehmen, deren einziges Kapital in der Beschaffung, Verarbeitung und im Austausch von Informationen besteht, innerhalb von 20 Jahren zu den größten multinationalen Konzernen wurden. So wie sich hieraus resultierend unser Verhältnis zu Beschäftigung, Sozialisierung, aber auch zu abstrakten Kategorien wie Wahrheit und Realität verändern, erwächst die Frage, wie sich diese Entwicklungen in den Kontext von Medizin, Gesundheit, Gesundheitsfürsorge und auch unter ethischen Aspekten bewerten lässt.

Gesundheitssystem neu denken

Es stellt die Menschen vor nie dagewesene Herausforderungen – insbesondere dann, wenn es das eigene Wohlbefinden und die eigene Gesundheit betrifft. Die seit mehr als zwei Jahrhunderten etablierten Prinzipien der wissenschaftlichen Erkenntnis gelten auch im digitalen Zeitalter, nur können das verfügbare Wissen und die resultierenden, verfügbaren Möglichkeiten nur noch im Kontext vernetzter Interaktion und Kooperation gesehen werden. Wir verstehen den Menschen immer mehr als Individuum, sind theoretisch immer mehr in der Lage, in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, genetischem Profil, ethnischer Herkunft oder aufgrund bestimmter Risikoprofile spezifische Entscheidungen für Diagnostik, Therapie oder auch zur Prävention zu fällen. Die Grundlage hierfür sind die Möglichkeit und die Fähigkeit, die zugrundeliegenden Daten zu verstehen, den Kontext ihrer Anwendung einordnen zu können, um selbst Entscheidungen fällen und demgemäß handeln zu können. Dies betrifft nicht nur neue, zukunftsweisende Behandlungskonzepte wie die Stammzell- oder Gentherapie, sondern auch ein neues Verständnis von Befähigung und Autonomie eines jeden einzelnen. Die Prinzipien ethischen Handelns greifen weiter und sind stärker gefordert denn je: die Verantwortung von Ärzten und der in Heilberufen Tätigen wächst in nicht gekanntem Maße. Sie sind für die Patient*innen die Mittler zwischen Wissen, Möglichkeit, Risiko und letztlich Nutzen.

Und genau hier setzt unser Verständnis einer Neuen Menschlichkeit an. Sozusagen als nächster zwingender Schritt im historischen Verständnis einer je zeitgemäßen Gesundheits- und Medizinethik. Mit einer umfassenden, der Dynamik und Komplexität der sich entwickelnden digitalen Welt gerecht werdenden Befähigung und Ermächtigung aller Mitwirkenden und Betroffenen. Ebenso ist es zwingend erforderlich, sich mit den Aspekten der Evidenz- und Entscheidungsfindung zur Legitimation individueller Therapiekonzepte auseinanderzusetzen. All diese und noch viele weitere Fragen illustrieren sowohl die Komplexität als auch die Dynamik der Veränderungen. Die in der Gesellschaft allgegenwärtige Vernetzung, der nahezu unbegrenzte Zugriff auf Informationen und das Wissen sowie die Effekte der immer weiter voranschreitenden Globalisierung werden sich in das Gesundheitswesen übertragen.

Das Gesundheitssystem im 21. Jahrhundert bekommt eine alte Rolle im neuen Gewand: nämlich alles dafür zu tun, den Menschen, Patienten, deren Angehörigen und allen dort Tätigen die Rahmenbedingungen zu schaffen, um im Sinne der Gesundheit eines umfassend aufgeklärten, informierten und somit autonomen wissenden Menschen oder Kranken handeln zu können.

Patientenfokussierung und Gesundheitskompetenz sind hier nur die ersten Schritte. Das oberste Ziel im digitalen Zeitalter ist es, die universelle Befähigung aller Beteiligten im Gesundheitssystem in den Fokus zu stellen, um die Prinzipien der biomedizinischen Ethik: Autonomie, Fürsorge, Gerechtigkeit und Schadensvermeidung neu abzubilden. Die ethisch-moralische und somit zutiefst menschliche Prämisse muss es sein, ein Gesundheitssystem nach den Bedürfnissen der Beteiligten zu errichten. Dieser transformative Prozess rückt den Menschen in seinen unterschiedlichen Rollen konsequent in den Mittelpunkt.

Womit wir wieder an Maß und Ziel dieses Buchs erinnern wollen. Eine neue Menschlichkeit im Gesundheitssystem auszubuchstabieren und damit ein neues Denken und Handeln anzubieten. Wir schicken deshalb die wichtigsten Probleme und Fragen des Gesundheitssystems selbst in die Sprechstunde. Dort warten Experten und Expertinnen und untersuchen das chronisch kranke Gesundheitssystem mit Blick auf seine Bringschuld den Menschen gegenüber. Was könnte man verbessern, wo gibt es konstruktive Lösungen für mehr Autonomie und Selbststeuerung der Akteure und wie kann man nicht nur Symptome bekämpfen, sondern das Gesundheitssystem insgesamt in Richtung Neue Menschlichkeit weiterentwickeln?

Der Herausgeber hat dafür relevante Autor*innen, Impulsgeber und ausgewählte Expert*innen in die Sprechstunde eingeladen. Dort diskutieren wir gemeinsam mit ihnen aktuelle Symptome, Therapien, Lösungen und präventive Maßnahmen. So möge im besten Falle ein facettenreicher und kontroverser Diskurs rund um das Gesundheitssystem von morgen entstehen. Mit Digitalisierungs- und Finanzexpert*innen, Patientenvertretern, Chefärzt*innen und Pflegedienstleistern, Politiker*innen und Manager*innen. Die verschiedenen Perspektiven eines umfassenden Therapiekonzepts der Neuen Menschlichkeit im Gesundheitssystem werden sichtbar. Erzählt in acht Kapiteln.

Zusammengefasst: Kleine Verbesserungen helfen nicht mehr weiter. Der Patient Gesundheitssystem benötigt dringend eine komplett neue Therapie. Mit der Leitidee der Neuen Menschlichkeit für alle: Ärzt*innen, Patient*innen, Funktionäre, Politiker*innen, Manager*innen. Der Herausgeber und die Autor*innen wollen das kränkelnde Gesundheitssystem von der Wurzel her therapieren. Am Ende des Buchs mit einer großen Change Map inklusive konkreter Maßnahmen und Therapievorschlägen. Sofort ein- und umsetzbar.