Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen - Paul Natorp - E-Book

Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen E-Book

Paul Natorp

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Beschreibung

Paul Natorp beschreibt in diesem Buch Johann Heinrich Pestalozzis Leben und seine Ideen. Der Stil Pestalozzis mag manchem Leser am Beginne seltsam erscheinen, man muss sich in ihn hineinlesen wie etwa in den Kant'schen; aber nach kurzer, wenn auch eindringlicher Übung erstehen einem seine Schönheiten. Scheinbar wiederholt sich Pestalozzi sowohl in seinen Analysen wie auch in der Synthese seiner Geschichtstheorie. Dem tiefer eindringenden Leser wird nicht entgehen, dass es sich stets um Erweiterungen handelt, die aber dem flüchtigen Leser als eitle Wiederholungen erscheinen mögen. Das Buch muss bis zur letzten Zeile gelesen werden, wenn man den Sinn der ersten verstehen will. - Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 255

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Paul Natorp

Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen

Band 159 in der gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des jetzigen Herausgebers

Der Autor Paul Natorp

Johann Heinrich Pestalozzi

Vorwort zur ersten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

Erstes Kapitel – Pestalozzis Lebensgang und Entwicklungsgeschichte – Jugendgeschichte

Die Armenanstalt auf Neuhof

Die „Abendstunde“

„Lienhard und Gertrude“

Pestalozzi und die Revolution

Das Wirken in Stanz

Das Wirken in Burgdorf – „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“

Buchsee und Iferten – Die Glanzzeit

Der Verfall

Pestalozzis letzten Lebenstage

Zweites Kapitel – Die Prinzipien der Pestalozzischen Pädagogik – Die Ausgabe eines Systems der Pestalozzischen Pädagogik

Das Grundprinzip der Pestalozzischen Pädagogik und seine Momente

Das Prinzip der Spontaneität

Das Prinzip der Methode

Das Prinzip der Anschauung

Das Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte

Das Prinzip der Gemeinschaft

Drittes Kapitel – Pestalozzis Pädagogik in ihrer Durchführung – Einteilung der Pädagogik

Die sittliche Bildung im häuslichen Verein

Sittlicher Einfluss der sozialen Ordnungen – Die Schule als erziehende Kraft

Religion

Die Verstandesbildung – Die Verstandesbildung überhaupt und ihre Gliederung

Mathematische Bildung – Zahl und Rechnung

Mathematische Bildung – Formunterricht

Sprachunterricht

Zur Methodik sonstiger Unterrichtsfächer

Die physische oder Kunstbildung – Das Abc der Kunst

Die gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des jetzigen Herausgebers

Vorwort des jetzigen Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

Der in diesem Band enthaltene Text von Amalie Sieveking zeugt von der tiefen Frömmigkeit einer vom Pietismus geprägten Dame aus der gutbürgerlichen Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts und spiegelt die Denkmuster und Lebensart eines Teils der damaligen Zeit. Für uns sind diese Ansichten heute kaum nachzuvollziehen, doch sind sie ein Zeugnis damaliger diakonischer Aktivität. Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Der Autor Paul Natorp

Der Autor Paul Natorp

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/pestaloz.html

Paul Gerhard Natorp wurde am 24. Januar 1854 in Düsseldorf geboren und starb am 17. August 1924 in Marburg. Er studierte ab 1871 Musik, Geschichte, klassische Philologie und Philosophie in Berlin, Bonn und Straßburg. Nach vier Jahren Tätigkeit als Hauslehrer wurde er Hilfsbibliothekar in Marburg, wo er sich 1881 bei Hermann Cohen habilitierte. Er war ein deutscher Philosoph und Pädagoge, der als Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus bekannt ist. Neben philosophischen Arbeiten trat er mit einer auf Kants Ethik gegründeten Sozialpädagogik hervor.

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Johann Heinrich Pestalozzi

Johann Heinrich Pestalozzi

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/pestaloz.html

Geboren am 12. Januar 1746 in Zürich; gestorben am 17. Februar 1827 in Brugg / Kanton Aargau. Pestalozzi entstammte einer italienischen Kaufmannsfamilie, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts in Zürich lebte. Er besuchte die Lateinschule am Fraumünster und am Großmünster in Zürich sowie das Collegium Carolinum, die philosophisch-theologische Hochschule.

Unter Rousseauschem Einfluss verließ er das Carolinum vorzeitig und bereitete sich auf politisch-administrative Aufgaben vor; als diese Pläne scheiterten, entschloss er sich nach einjähriger Lehrzeit Bauer zu werden und auf das Birrfeld bei Brugg zu ziehen. Wegen einiger Fehlernten musste er den Betrieb durch die Weiterverarbeitung von Baumwolle stützen; dazu zog er auch verarmte Kinder aus der Umgebung heran. 1774 wandelte er den Hof in eine Armenanstalt um, die er wegen finanzieller Probleme 1780 wieder aufgeben musste.

Als 1798 die Französische Revolution auch auf die Schweiz übergriff, wurde er durch die neue Zentralregierung beauftragt, in Stans zur Betreuung der Waisenkinder eine Armenanstalt einzurichten, die allerdings unter dem Druck des französisch-österreichischen Krieges nach sieben Monaten wieder geschlossen wurde. 1799 ermöglichte es ein Auftrag der Zentralregierung, in Burgdorf / Emme die in Stans entwickelten Unterrichtsmethoden weiter zu erproben. 1804/05 wurde das Institut nach Iferten verlegt und entwickelte sich dort für etwa zwei Jahrzehnte zu einem pädagogischen Zentrum Europas. 1825 löste er die Anstalt auf und zog sich auf seinen Hof im Birrfeld zurück.

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Vorwort zur ersten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

https://www.projekt-gutenberg.org/natorp/pestaloz/pestaloz.html

Über Absicht und Anlage der Schrift, besonders darüber, was sie Neues geleistet haben möchte, gibt die Einleitung Rechenschaft. Neu ist, auch meinen eigenen früheren Darstellungen gegenüber, der systematische Aufbau der Ideen Pestalozzis. Doch wäre es künstlich gewesen, hätte ich im Einzelnen neue Formulierungen auch da suchen wollen, wo ich glaubte das Beste mir zurzeit Mögliche früher gegeben zu haben. Daher finden sich besonders im dritten Kapitel manche auch wörtliche Übereinstimmungen namentlich mit dem Artikel „Pestalozzis Pädagogik“ in Reins Enzyklopädischem Handbuch. Aber schon die abweichende Gruppierung bedingte vielfach starke Änderung.

Angeführt sind Pestalozzis Schriften (mit S.) nach Seyffarths Liegnitzer Ausgabe (1899 ff.); doch ist die Sprache Pestalozzis nach Möglichkeit auf Grund der Originaldrucke wiederhergestellt. Wo es nützlich schien sind auch die Paragraphen der viel verbreiteten Mannschen Ausgabe (Langensalza, Beyer u. Söhne) beigesetzt.

Marburg, im November 1908

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Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage

Für diese so bald schon nötig gewordene Neuauflage brauchte der Text fast nirgends geändert, bloß im Hinblick auf die inzwischen erschienene neue Literatur über Pestalozzi hin und wieder ergänzt zu werden (s. bes. S. 2 u. f.).

Marburg, im November 1911

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Einleitung

Einleitung

Photographie nach einem im Pestalozzianum in Zürich befindlichen Original

Dass die Wirkung Pestalozzis auf unser Zeitalter nicht etwa erschöpft, sondern erst im Aufsteigen begriffen ist, wird gegenwärtig von vielen empfunden. In der pädagogischen Welt konnte er überhaupt nie in Vergessenheit geraten; und wohl jedem tiefer gebildeten Deutschen ist seine rührende Gestalt irgendeinmal entgegengetreten; besonders hat die Geschichte der Erhebung Preußens und Deutschlands vor hundert Jahren nie umhin gekonnt, sich dessen zu erinnern, was sein Name damals unseren Altvordern bedeutet hat. Aber für die weiteren Kreise der Gebildeten blieb er bis vor kurzem fast eine mythische Figur; man nannte ihn stets mit Ehrfurcht, man gedachte seiner mit dem Gefühl, mit dem man jedes echten Menschen gedenkt; aber man las ihn kaum noch. Den Glauben an seine geniale Größe durch eindringendes Studium in sicheres Wissen zu wandeln, scheinen nur wenige den Trieb verspürt zu haben; sonst wäre es nicht zu verstehen, dass seiner bis heute weder in der Literaturgeschichte noch in der Geschichte der Philosophie, weder in der politischen Geschichte noch in der historischen Soziologie so gedacht wird, wie es seiner Bedeutung entspräche.

Jetzt aber scheint sich hierin allmählich eine Wandlung anzubahnen. Es ist zu seiner Erforschung in den letzten Dezennien so viel geschehen, dass es nachgerade nicht mehr angeht, darüber gänzlich hinwegzusehen. Die Schriften Pestalozzis sind dank dem unermüdlichen Eifer des trefflichen Seyffarth in nahezu erschöpfender Vollständigkeit (wenn auch nicht philologisch musterhaft) herausgegeben; die Bibliographie, besonders die Nachweisung der bis dahin bekannten Briefe, ist durch den nicht minder rühmlichen Sammelfleiß Israels sehr gefördert. Und eine kaum zu bewältigende Fülle auf Pestalozzi bezüglichen zeitgeschichtlichen Materials ist in Hunzikers (Rudolf Hunziker – 1870 – 1946 Von 1897 bis 1935 unterrichtete er als Professor für Latein, Deutsch und Geschichte am Städtischen Gymnasium Winterthur (ab 1919 Kantonsschule Winterthur).  Er war 1917 Mitbegründer und dann Direktor und Herausgeber der Jahrbücher der Literarischen Vereinigung Winterthur.) Pestalozziblättern und Seyffarths Pestalozzistudien zusammengetragen. Dadurch ist zur Ergänzung und vielfach auch Berichtigung der vierbändigen „Pestalozzischen Biographie (die selbst fast nur Materialsammlung war) außerordentlich viel beigetragen worden. Durch so vielfältige Vorarbeit war es dem Verfasser dieses Büchleins erleichtert, nun auch zum allgemeineren Verständnis und zur tieferen Würdigung des Mannes, seiner Persönlichkeit, seiner Leistungen und seiner Ideen das seinige beizusteuern. [Man findet die Ausbeute meiner mannigfachen Entdeckungsfahrten in diese Terra incognita jetzt bequem zusammen in der Biographie Pestalozzis und Auswahl aus dessen Schriften (in Greßlers Klassikern der Pädagogik), und in den „Gesammelten Abhandlungen zur Sozialpädagogik“; in knappster Zusammenfassung in einem größeren Artikel von Reins Enzyklopädischem Handbuch der Pädagogik („Pestalozzis Pädagogik“)]. Von wertvollen Einzelarbeiten seien ferner genannt: Wigets ausgezeichnete Studie im Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik (Band 23 und 24); Walsemanns Buch über Pestalozzis Rechenmethode (1901); Israels Arbeit über Pestalozzis Institut in Iferten nach Papieren Blochmanns (1900); Seyffarths neu bearbeitete Pestalozzidarstellung von 1904; K. Muthesius' feine Studie über Goethe und Pestalozzi (1908); Lesers Schrift: J. H. Pestalozzi, seine Ideen in systematischer Würdigung (1908), eine Arbeit, die mir besonders willkommen sein musste als unabhängige Bestätigung meiner Grundauffassung des Mannes und seiner Ideen; besonders aber Heubaums Biographie (in der Sammlung „Die großen Erzieher“, 1910), welche nicht ganz mit innerem Grunde eine ablehnende Haltung gegen meine Pestalozzidarstellung einzunehmen scheint; wenigstens urteilt Rudolf Lehmann (in den Jahresberichten für neuere deutsche Literaturgeschichte, XIX/XX, Seite 608 f.), dass Heubaum trotzdem mit seiner allgemeinen Würdigung des Pestalozzischen Denkens an meine (und Lesers) Auffassung „ganz nahe herankomme“; dass somit „die wissenschaftliche Erforschung des Gedankenkreises Pestalozzis in den letzten Jahren zu einem einheitlichen und für die Erziehungsgeschichte höchst wichtigen Ergebnis geführt und eine weit tiefere und zugleich geschichtlichere Auffassung dieses Gedankenkreises begründet hat, als noch bis vor kurzem herrschte –“, was nur die nicht zugeben, welche von dieser „bis vor kurzem herrschenden“ Auffassung eben von ihrer pädagogischen Vorbildung her beherrscht geblieben sind. Diese Bemerkung scheint, manchen Beurteilungen der 1. Auflage dieses Büchleins gegenüber, nicht überflüssig zu sein. Es darf gesagt werden, dass alle, die im letzten Jahrzehnt über Pestalozzi selbständig geforscht und dem mühsamen und umfänglichen Studium der Quellen sich ernstlich unterzogen haben, bei manchen Abweichungen in untergeordneten Fragen doch in den Hauptpunkten zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangt sind. – Neben diesen gründlichen Untersuchungen ist eine Auswahl aus Pestalozzis Schriften für weitere Leserkreise in Diederichs Verlag, eine andere bei Teubner erschienen. Auch die ergreifenden Liebesbriefe, gewechselt zwischen Pestalozzi und seiner Braut, haben endlich die ihnen gebührende Beachtung gefunden (P.s Liebesfrühling, v. K. Engelhard, 1911). Dagegen vermisste man lange eine zugleich kurz orientierende, von gelehrtem Ballast nach Möglichkeit befreite, und doch tief genug in den Kern der Sache dringende Darstellung der Ideen Pestalozzis. Eine solche wird hier gegeben. Wenn dabei nach der Natur der Sache manches früher Gesagte zu wiederholen war, so tritt doch in dem neuen Zusammenhang vieles unter neue Beleuchtung, und war im Einzelnen manches früher Übergangene hinzuzunehmen.

Freilich muss der ganze Versuch einer Systematisierung der Pestalozzischen Gedankenwelt auf harten Widerstand noch immer gefasst sein. Ich selbst hatte im Eingang der Darstellung in Reins Handbuch des näheren begründet, weshalb Pestalozzis Gedankenwelt eigentlich keine systematische, sondern nur eine historische, am biographischen Faden fortgehende Darstellung zu vertragen scheint. Der Reichtum und die Lebensfülle seiner stets unmittelbar aus den Erfahrungen seines Wirkens und Schaffens erwachsenen Ideen will sich den Fesseln eines Systems nicht gutwillig fügen; und sie mit Gewalt in diese Fesseln schlagen, heißt vielleicht sie ihres besten Vorzugs – eben der Freiheit, in der sie aus dem Leben quellen – berauben. Indessen hat Pestalozzi nach zusammenhängender Theorie doch ernstlich gestrebt und sie als unabweisbare Aufgabe anerkannt, ihren Mangel eben doch als Mangel empfunden. Und, was wichtiger, sein Denken war innerlich derart zentral geeint, dass, wer ihn wirklich aus dem Grunde verstehen will, dem Unternehmen einer Rekonstruktion seiner Ideen aus ihrem wahren Zentrum sich nicht wird entziehen dürfen. Aus dieser Erwägung hatte ich bereits in der genannten Darstellung der eingehenden „entwicklungsgeschichtlichen Vorführung“ der Pestalozzischen Ideen wenigstens den knappen „Entwurf eines Systems“ derselben folgen lassen. Und ich habe mich seitdem in wiederholter Erwägung der Frage in der Überzeugung nur befestigt, dass neben und nach der historischen eine systematische Darstellung, wie sie dort nur in den allgemeinsten Umrissen versucht war, nicht bloß möglich, sondern unerlässlich gefordert blieb, wenn man einmal sich in den vollen Besitz dieser reichen Schatzkammer fruchtbarer Gedanken sollte setzen können. Es bildet daher die Systematik der Pestalozzischen Ideen, so wie ich sie als Ertrag meiner ganzen bisherigen Forschung zu geben mir getraue, in gegenwärtiger Darstellung die Hauptsache, während die Entwicklungsgeschichte nur im Umriss als erstes Kapitel vorangeschickt wird. Es dürfte damit besonders dem Bedürfnis pädagogisch interessierter Leser entsprochen sein, überhaupt aber aller, die Pestalozzi nicht bloß als ein merkwürdiges Phänomen der Ideengeschichte der Menschheit kennen lernen, sondern so viel als möglich zum eignen Gebrauch aus ihm entnehmen möchten. Denn dazu bedarf es einer Rechenschaft, die nach dem logischen Zusammenhang zu fragen nicht unterlassen kann. Auch dem Soziologen und Historiker, überhaupt jedem, dem es weniger um die Form als um den Gehalt der Pestalozzischen Ideen zu tun ist, schließlich selbst dem, der die schriftstellerische Form des Studiums wert erachtet (die doch nur Form ihres Inhalts sein will und anders gar nicht zu verstehen ist), wird eine solche Vorführung, mag sie immerhin dem Verdacht einer „Konstruktion“ unterliegen, zum wenigsten im Sinne der leichteren Übersicht willkommen sein. Wie ganz aber diese Systematik aus der historischen und biographischen Forschung mir erwachsen ist, davon wird, wer es der Mühe wert hält, durch Vergleichung mit der entwicklungsgeschichtlichen Darstellung in Reins Handbuch, wie ich hoffe, überzeugt werden.

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Erstes Kapitel – Pestalozzis Lebensgang und Entwicklungsgeschichte – Jugendgeschichte

Erstes Kapitel – Pestalozzis Lebensgang und Entwicklungsgeschichte –

Jugendgeschichte

Johann Heinrich Pestalozzi, aus ursprünglich italienischem, aber schon seit der Reformationszeit in Zürich ansässigem und eingebürgertem Geschlecht, war daselbst am 12. Januar 1746 geboren. Sein Vater, Johann Baptist, ein Wund- und Augenarzt, starb im Alter von nur 33 Jahren 1751; so wurde der Knabe mit zwei Geschwistern in bescheidenen, fast dürftigen Verhältnissen hauptsächlich von der Mutter (Susanna, geb. Hotz) und einer treuen Dienstmagd (Barbara Schmid, „das Babeli“) erzogen. Seine große, von Gewandteren leicht auszubeutende Treuherzigkeit und sein scheinbarer Leichtsinn – in Wahrheit vielmehr eine große Unbekümmertheit um äußere und kleine Dinge, die aus früher intensiver innerer Beschäftigung sich erklärt – trug schon dem Schuljungen den Spottnamen „Heiri Wunderli von Thorliken“ ein. Obgleich keineswegs ein Musterschüler, pflegte er die Hauptsachen im Unterricht schnell und warm zu erfassen und zählte daher im Ganzen wenigstens zu den besseren Schülern.

Collegium Carolinum in Zürich

Er machte, wohl nach mehrjährigem Besuch einer deutschen Elementarschule, 1754-1761 die Lateinschule, 1761-1763 das Collegium humanitatis durch und besuchte darauf das hauptsächlich der Ausbildung von Theologen gewidmete, mehr dem Charakter einer Akademie sich nähernde Collegium Carolinum, in welchem er bis Herbst 1765 die beiden unteren Kurse, den philologischen und philosophischen, nicht aber den dritten, theologischen durchlief. Von seinen Lehrern gewann auf ihn den stärksten Einfluss Bodmer, ein Mann, der sich nicht auf Mitteilung des vorgeschriebenen Lehrstoffes beschränkte, sondern persönlich auf die einzelnen Schüler einzuwirken und namentlich sie zu tüchtigen Bürgern ihres Vaterlandes in antik freiheitlichem Geiste zu erziehen strebte. In gleicher Absicht taten viele ernstgesinnte, aus Bodmers Schule hervorgegangene junge Züricher sich zusammen zu einem Verein, der „Helvetischen Gesellschaft zur Gerwe“, so benannt nach dem Zunfthaus der Gerber, wo die Zusammenkünfte stattfanden. Diesem Verein trat, gleich seinen Freunden Lavater, Füßli, Bluntschli u. a. auch Pestalozzi bei. Man kam allwöchentlich zusammen, um Aufsätze der Mitglieder über Gegenstände aus der Geschichte, Politik, Moral und Pädagogik gemeinsam zu lesen und zu besprechen. Als dieser Verein, der wegen seiner entschieden demokratischen Richtung bei den Regierenden der Stadt von Anfang an nicht wohl gelitten war, im Jahre 1767 im Zusammenhang mit politischen Unruhen aufgelöst wurde, kam auch der junge Pestalozzi in ernsten Verdacht gefährlicher Umtriebe; er wurde in Arrest genommen, aber als unschuldig erkannt und mit scharfer Verwarnung entlassen. Eine von den Vereinsgenossen herausgegebene periodische Schrift „Der Erinnerer“ brachte auch einige Aphorismen, „Wünsche“ betitelt, aus Pestalozzis Feder, worin er unter anderen gemeinnützigen Dingen eine schlichte Erziehungslehre für den einfachen Bürger und Bauern fordert. Bedeutender und sehr bezeichnend für seine damalige politische Richtung ist ein Aufsatz „Agis“, der nebst dem Bruchstück einer Übersetzung der dritten Olynthischen Rede des Demosthenes im „Lindauer Journal“ 1766 ohne Nennung des Verfassers erschien. Dieser Aufsatz legt nicht nur Zeugnis ab von Pestalozzis ernster Beschäftigung mit Geschichte und Politik der Alten (Demosthenes, Plutarch), sondern verrät eine geradezu revolutionäre Stimmung.

Jean-Jacques Rousseau – 1712 – 1778

Diese erklärt sich aus dem starken Eindruck der Schriften Rousseaus, die damals erst kürzlich erschienen waren und, wie in aller Welt, so besonders in der Schweiz eine tiefe Gärung hervorgerufen hatten.

Rousseaus Ideen waren auch nicht ohne Einfluss auf Pestalozzis Berufswahl. Nachdem er seine anfängliche Absicht des Theologiestudiums frühzeitig aufgegeben, hatte er eine Zeitlang ernstlich daran gedacht, sich durch das Studium der Rechte zu einer politischen Laufbahn als eine Art Volksanwalt auszurüsten. Sein Freund Bluntschli brachte ihn davon ab, indem er ihn überzeugte, dass ihm dazu die ruhige, kaltblütige Menschen- und Sachkenntnis allzu sehr mangle. Aber auch, als er sich dann für den bescheidenen Beruf des Landwirts entschied, waren „sittliche Absichten und Liebe zum Vaterland“ (wie er 1771 an Hirzel schreibt) von seiner Entschließung „nicht getrennt“; er gedachte nämlich durch vorteilhafte Bewirtschaftung seines Gutes sich den Weg zu bahnen, um zur Hebung der Volksbildung und Volksökonomie in seiner Umgebung etwas beitragen zu können. Bestärkt wurde er in seinem Entschluss durch die Sehnsucht, ein geliebtes Mädchen, Anna Schultheß („Nannette“), mit der die gemeinsame Trauer um den früh verstorbenen Bluntschli, der auch ihr hochgesinnter Freund gewesen war, ihn zusammengeführt und deren Liebe er gewonnen hatte, in nicht zu ferner Zeit heimführen zu können. Denn er durfte nicht hoffen, die Hand der wohlhabenden, schönen und gebildeten Kaufmannstochter zu erlangen, wenn es ihm nicht gelang, es in kurzem zu sicherem Wohlstand zu bringen; das hoffte er als Landwirt am ehesten zu erreichen. Die nötigen Fachkenntnisse brachte der angesehene Berner Rudolf Tschiffeli, der in Kirchberg bei Burgdorf ein großes Gut bewirtschaftete, ihm bei; bei ihm verlebte Pestalozzi eine sehr glückliche Zeit (Herbst 1767 bis Frühjahr 1768) in eifrigem Studium. Dann nach Zürich zurückgekehrt, kaufte er größtenteils mit geliehenem Geld ein für seine Absicht sonst nicht ungeschicktes, nur viel zu großes und daher für seine Verhältnisse zu kostspieliges, bisher fast unbebautes Grundstück in der Nähe von Brugg, auf Berner Gebiet, im späteren Kanton Aargau, unweit der Habsburg, und begann es zu bewirtschaften. Nach schweren Kämpfen durfte er (Herbst 1769) seine Braut heimführen. Sein Wohnsitz war, bis das auf seinem Grundstück neuerrichtete Haus „Neuhof“ (Frühjahr 1771) bewohnbar war, in Müligen. Der erhaltene, von Seyffarth herausgegebene Briefwechsel der beiden Liebenden gewährt tiefe Einblicke in Pestalozzis Gemütsart und in sein ganzes Treiben während dieser Lehrjahre. Er erscheint in diesen Briefen durchaus nicht als der empfindsame Träumer, als den man nach seinen späten Selbstschilderungen ihn sich vorzustellen pflegt; er zeigt vielmehr eine für seine Jugend erstaunliche Kenntnis von Menschen und Sachen, ein entschlossenes, oft nur zu jähes Handeln, allerdings auch ein heißes, bisweilen zu heftiger Erregung gesteigertes Empfinden. Seine Schreibart ist höchst lebendig und warm, bald stürmend, bald erhaben und wieder anmutig scherzend; kurz, von einer Jugendlichkeit, die ihn in den besten Momenten dem jungen Goethe nahe stellt. Kaum von geringerem Wert sind die Briefe der Anna Schultheß. Ihre beiderseitige Liebe ist von der höchsten und reinsten Art, und ist durch ihr ganzes schweres Leben hindurch so geblieben.

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Die Armenanstalt auf Neuhof

Die Armenanstalt auf Neuhof

An dem 1770 geborenen Söhnchen Hans Jakob („Jacqueli“) konnte Pestalozzi die ersten eigenen Erziehungsstudien machen. Die wertvollen Tagebuchaufzeichnungen über seine Beobachtungen und Versuche an dem vierjährigen Knaben (1774) lassen den Einfluss Rousseaus auch auf seine Erziehungsgrundsätze deutlich erkennen. Sachbildung geht vor Wortbildung; das Sehen, Hören und Tun muss weit vorhergehen dem Urteilen und Schließen. Stetiger, lückenloser Fortschritt der Bildung; „Ordnung, Genauheit, Vollendung, Vollkommenheit“ in allem; selber finden, was irgend selber zu finden ist; an der Hand der „Natur“ lernen, der der Lehrer nur „leise und still mit der folgenden Kunst fast nebenher schleicht“: Das gibt Mut und Freude, ohne die alles Lernen keinen Heller wert ist. Gehorsam muss sein (gegen Rousseau!), aber er muss in freiem Zutrauen, in der Erfahrung der Liebe und überlegenen Einsicht des Erziehers gegründet sein.

Zu einer bedeutenden Erweiterung und Vertiefung seiner pädagogischen Erfahrung führte ihn indirekt das baldige Scheitern seiner landwirtschaftlichen Unternehmung. Sein Plan war an sich zwar nicht unverständig. Aber schon beim Landkauf wurde er durch einen gewissen Merki, der sich durch einige wirkliche Dienste, die er ihm dabei leistete, in sein Vertrauen geschlichen hatte, hinterher betrogen. Überhaupt war Pestalozzi nie ein genauer Rechner. Misswuchs und sonstige unvorhergesehene Schwierigkeiten kamen hinzu; so begreift es sich, dass das Bankhaus, das den größten Teil der Kosten vorgeschossen hatte und nun den erhofften Nutzen nicht absah, seine Gelder endlich zurückzog. Pestalozzi allein aber konnte unter der drückenden Schuldenlast das ohnehin schwierige Unternehmen auf die Länge unmöglich weiterführen. Dieser Misserfolg musste ihn doppelt niederschlagen, weil er so auch jede Hoffnung schwinden sah, zur Linderung des Volkselends, das er jetzt täglich in nächster Umgebung vor Augen sah und das ihm näher ging als die eigne Not, auch nur irgendetwas beitragen zu können. In solcher Bedrängnis kam ihm der Gedanke, es könne ihm zugleich und dem armen Volke um ihn her geholfen werden, wenn er sein Gut in eine Anstalt zur Auferziehung von Armenkindern umwandelte.

(Band 65e dieser gelben Buchreihe berichtet über Johann Hinrich Wichern und das von ihm 1833 in Horn bei Hamburg gegründete Rauhe Haus. Wichern war von Pestalozzis Ideen beeinflusst. Er hatte bleibenden Erfolg, weil der junge Handwerker als Gehilfen anwerben konnte, die den Kindern in den „Familien“ als „Brüder“ zur Seite standen. Diese Gehilfen erhielten durch Wichern eine theoretische Ausbildung und eine berufliche Perspektive als „Hausväter“ in anderen Kinderheimen („Rettungsanstalten“), als Lehrer oder als Kolonistenprediger in Übersee.) Die Kinder sollten unter seiner Anleitung vor allem arbeiten lernen; durch die gemeinsame Arbeit des Hauses – Baumwollspinnerei und -weberei, kombiniert mit einfacher Feldarbeit, besonders Gemüsebau – würde die Anstalt, einmal in Gang gebracht, sich bald selber erhalten können, während ihre Zöglinge zugleich die Segnungen eines schlichten, aber liebewarmen Hauslebens genössen und so zu eben der Lebensführung gebildet würden, auf die ihre Lage sie hinwies. Der Plan war nicht bloß in der Absicht vortrefflich, sondern an sich auch sehr wohl ausführbar. Pestalozzi fand in seiner Nähe vielfache Aufmunterung und anfangs auch tätige Hilfe. So konnte die Anstalt im Jahre 1774 ins Leben treten. Indessen wuchs ihm die Sache nur zu bald über den Kopf. Es hätte mehr als menschliche Kräfte gefordert, neben seinem Hauptzweck der Erziehung Feldbau, Fabrikation, Handel und ein ganzes großes Hauswesen mit bis zu 50 Bettlerkindern zu bewältigen. Er hätte allerwenigstens für die äußere Verwaltung und Rechnungsführung geeignete Hilfskräfte zur Seite haben müssen. Ganz besonders nachteilig erwies sich, dass es ohne obrigkeitlichen Schutz, den er vergebens nachsuchte, nicht möglich war, die Kinder zum Bleiben in der Anstalt zu bewegen; die meisten gingen, nachdem sie sich eine Zeitlang in ihr hatten verköstigen und verpflegen lassen, ohne Dank davon. So konnte die Absicht, dass die Anstalt sich durch die Arbeit der Zöglinge selbst erhalte, natürlich nicht erreicht werden. Aus allen diesen Gründen war das Scheitern des Versuchs unvermeidlich. Mit der äußersten Anstrengung vermochte er ihn eine Reihe von Jahren hindurch fortzuführen; endlich aber, im Jahre 1780, musste er blutenden Herzens die Anstalt auflösen und stand nun da als ein gänzlich Gescheiterter.

In mehreren kleinen Aufsätzen, die der warm für ihn interessierte Iselin in Basel in seiner Zeitschrift „Ephemeriden der Menschheit“ 1777 und 1778 zum Abdruck brachte, hat Pestalozzi seinen Plan ausführlich dargelegt und über die Ausführung berichtet. Als Kerngedanke tritt deutlich hervor: Der Arme muss für seine Lage erzogen werden. Seine Auferziehungsstube muss seiner künftigen Wohnstube so viel als möglich gleich sein, während die meisten öffentlichen Stiftungen hiervon gerade das Gegenteil zeigen. Die entscheidenden Fragen sind: 1. Kann die Arbeit der Armenkinder zu so hohem Ertrag gebracht werden, dass dadurch eine solche Anstalt sich selber zu erhalten imstande ist? und 2. Ist es ratsam, die Auferziehung des Armen dem Geiste der Industrie zu unterwerfen? Was wird die Verbindung von Gewerbsamkeit mit Erziehungsanstalten für einen Einfluss auf den späteren häuslichen Zustand der so erzogenen Armen, auf ihre Sittlichkeit, auf ihre körperliche Stärke und auf den Feldbau haben? Beide Fragen glaubt Pestalozzi schon auf Grund seiner unvollkommenen Versuche im günstigen Sinne beantworten zu können. Besonders erkennt er die Erziehung zur Industriearbeit als unumgänglich notwendig. Die Entwicklung zur Industrie ist einmal da und nicht mehr rückgängig zu machen. Der Arme trägt schon jetzt allen Schaden des Fabrikwesens, es gilt ihm jetzt auch den größten möglichen Gewinn davon zu verschaffen, nicht indem man ihn in die nächste beste Fabrik schickt, wo sie „in einer ungesunden Luft zu Maschinen gebraucht werden, wo sie von Pflicht und Sitten nichts hören, wo ihr Kopf, ihr Herz und ihr Körper gleich erdrückt oder wenigstens unentwickelt und ungebaut bleibt“, sondern indem man „den in der Fabrikindustrie liegenden größeren Abtrag der Verdienstfähigkeit des Menschen als Mittel zur Erzielung wahrer wirklicher Erziehungsanstalten, die den ganzen Bedürfnissen der Menschheit genügen“, benützt. Denn an sich ist der Mensch „unter allen Umständen und bei allen Arbeiten der Leitung zum Guten gleich fähig... Mit dem Herzen allein wird das Herz geleitet... Spinnen oder Grasen, Weben oder Pflügen, das wird an sich weder sittlich noch unsittlich machen...“ Die wesentliche Voraussetzung ist nur, dass der Gewinn nicht der einzige Endzweck der Industrie, sondern nur das Mittel zu dem wahren Endzweck der Erziehung ist.

Robert Owen – 1771 – 1858

– Es ist fast derselbe Gedankengang, durch den ein Menschenalter später der hochsinnige Sozialist Robert Owen zu einem auf solideren wirtschaftlichen Grundlagen unternommenen Versuch in ähnlicher Richtung geführt wurde. Im Unterricht der Pestalozzischen Anstalt stand ihrer ganzen Absicht gemäß die Handarbeit weit voran; Lesen, Schreiben, Rechnen wurde auch getrieben, doch glaubte er die Unterweisung darin wenigstens bis zum neunten Jahre hinausschieben zu dürfen. Die Art der sittlichen Unterweisung war „meistens nicht Unterricht des Lehrers“, sondern „teilnehmender Unterricht des Hausvaters, Ergreifung der immer vorfallenden Gelegenheiten, an denen er mit ihnen, sie mit ihm Anteil nahmen“. Rührend ist es, in den Berichten zu lesen, wie Pestalozzi auf die Individualität jedes einzelnen seiner Pflegebefohlenen eingeht, wie er an die verkommensten, elendesten, unbegabtesten bis zu den blödsinnigen herab unermüdliche Sorgfalt wendet und überglücklich ist, wenn er nur eine Spur von Fortschritt bemerkt. „Ich lebte“, sagt er später über diese Zeit, „jahrelang im Kreise von mehr als fünfzig Bettlerkindern, teilte in Armut mit ihnen mein Brot, lebte selbst wie ein Bettler, um zu lernen, Bettler wie Menschen leben zu machen“.

Das Scheitern des hochsinnig geplanten Unternehmens musste ihn noch ungleich schwerer treffen als sein erster, bloß persönlicher Misserfolg. Zwar sein Glaube an das, was er gewollt, hat keinen Augenblick gewankt. Aber bei der Welt fand er keinen Glauben mehr. „Andern will er helfen und kann sich selber nicht helfen“: Diesen ewigen Spott der Weltklugheit über die selbstvergessene Liebe bekam er wie oft zu hören. Auch seine besten Freunde glaubten, ihm sei einmal nicht zu helfen; sie hielten für ausgemacht, er werde seine Tage im Spital oder gar im Narrenhause beschließen müssen. Der einzige Iselin hielt treu zu ihm und überzeugte ihn, dass „in wichtigen Dingen mutvolle Efforts, auch wenn sie für einmal nicht zum Ziele führen, dennoch entferntere gute Folgen ihrer Natur nach haben müssen“. Auch find die „entfernteren guten Folgen“ nicht ausgeblieben; es sind namentlich die sogenannten Wehrlischulen in der Schweiz indirekt aus Pestalozzis Anregung hervorgegangen, welche eben das zu verwirklichen suchen, was er mit seiner Anstalt gewollt hatte.

Seinen Landsitz vermochte er nur dadurch sich zu erhalten, dass er den größeren Teil des Gutes an Verwandte verkaufte, um von dem Erlös seine Gläubiger wenigstens teilweise zu befriedigen. Den ihm verbliebenen Rest gab er in Pacht, bis sein Sohn die Bewirtschaftung übernehmen konnte. Sein zerrüttetes Hauswesen wieder in Ordnung zu bringen, war ein ausgezeichnetes Mädchen, Elisabeth Näf („die Lisabeth“) ihm behilflich, das um diese Zeit aus freien Stücken als einfache Magd in sein Haus kam und allmählich ganz mit der Pestalozzischen Familie verwuchs. Sie ist das Urbild der „Gertrud“ des Pestalozzischen Romans. Später nahm sich ein anderer Baseler Freund, Felix Battier, seiner wirtschaftlichen Lage sachkundig an. Seitdem war wenigstens die eigentliche Not überwunden, und so konnte Pestalozzi sich während der 18 Jahre seiner unfreiwilligen Muße (1780–1798) schriftstellerischen Arbeiten ungestört widmen.

* * *

Die „Abendstunde“

Die „Abendstunde“

Er hatte bei seinem verunglückten Versuch Unermessliches gelernt. Vor allem war eine gründliche Kenntnis des Volkes in seinem Elend und seiner nur tief vergrabenen Kraft, aber auch der Mittel und Wege, wie ihm geholfen werden könnte, ihm wie von selbst zugefallen. Das alles musste sich aussprechen, und sobald er nur die Feder ansetzte, strömte ihm der Stoff von selbst zu. So entstanden in kurzer Frist (von Nebenarbeiten abgesehen) zwei hochbedeutende Schriften: Die „Abendstunde“ und das Volksbuch „Lienhard und Gertrud“.