Paul Valéry: Zur Ästhetik und Philosophie der Künste - Paul Valéry - E-Book

Paul Valéry: Zur Ästhetik und Philosophie der Künste E-Book

Paul Valéry

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Beschreibung

Band 6 der Gesamtausgabe legt Valérys Schriften und Vorträge zur Ästhetik und Philosophie der Künste vor. Zu Beginn stehen die drei einflussreichen Essays zu Leonardo da Vinci, in denen Kunst und Wissenschaft, Erfindung und Erkenntnis ineinandergreifen, und die den interdisziplinären Geist Valérys vergegenwärtigen. Im Weiteren werden theoretische Grundfragen und Wirkungsweisen der Kunst verhandelt, von Architektur, Malerei, Musik bis hin zu Tanz. Es folgen kunstgeschichtliche Kommentare, u. a. zu Degas, Manet, Renoir und Morisot. In seinen Betrachtungen zur Kunst geht Valéry nicht zuletzt den wechselseitigen Wirkungen zwischen Werk und Künstler oder Betrachter nach: »Alle Künste leben von Worten. Jedes Kunstwerk verlangt, daß man ihm antworte.«

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Seitenzahl: 772

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PAUL VALÉRY WERKE

Frankfurter Ausgabe in 7 Bänden

Herausgegeben von Jürgen Schmidt-Radefeldt

Suhrkamp

Band 6 Zur Ästhetik und Philosophie der Künste

Herausgegeben von Jürgen Schmidt-Radefeldt

Die Originalausgabe erschien 1957 unter dem Titel Œuvres I sowie 1960 unter dem Titel Œuvres II bei Éditions Gallimard, Paris.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5219.

© 1995, Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin

© Éditions Gallimard, 1957 und 1960

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Umschlaggestaltung: Brian Barth

eISBN 978-3-518-77148-8

www.suhrkamp.de

INHALT

LEONARDO DA VINCI

Einführung in die Methode des Leonardo da Vinci

Anmerkung und Abschweifung

Leonardo und die Philosophen

Das Schriftwerk von Leonardo da Vinci

Zu den ›Heften‹ von Leonardo da Vinci

ZUR PHILOSOPHIE DER KÜNSTE

Das Paradoxon des Architekten

Der künstlerische Schaffensprozeß

Der Unendlichkeitsfaktor in der Ästhetik

Überlegungen zur Kunst

Zum allgemeinen Begriff von Kunst

Rede über die Ästhetik

Philosophie des Tanzes

TANZ, ZEICHNUNG UND DEGAS

KLEINERE SCHRIFTEN ZU DEN KÜNSTEN

Im Umgang mit Corot

Triumphzug Manets

Erinnerungen Renoirs

»Tante Berthe«

Erneut zu Berthe Morisot

Honoré Daumier

Die Fresken des Paolo Veronese

Über die chinesischen Maler

Kleine Rede an die graphischen Künstler

Variationen über bebilderte Keramik

Mein Bildnis

Von der überragenden Würde der Künste, die das Feuer wirkt

Das Problem der Museen

Vorwort zu einer Ausstellung italienischer Kunst

Vorstellung eines »Museums der Literatur«

Bücher

Die beiden Tugenden eines Buches

Chinesische Gedichte

Die Eroberung der Allgegenwärtigkeit

1893 im Concert Lamoureux

Brief an Madame C

Zum Lob der Virtuosität

Einleitung zu einem Zwiegespräch über Kunst

Blicke aufs Meer

Inschriften am Palais de Chaillot

ANHANG

Editorische Nachbemerkung

Verzeichnis der Abkürzungen

Anmerkungen

Nachweise zu den einzelnen Texten

Namen- und Werkregister

LEONARDO DA VINCI

EINFÜHRUNG IN DIE METHODE DES LEONARDO DA VINCI

Für Marcel Schwob1

In der Verlegenheit, über ein großes Thema schreiben zu müssen, sah ich mich genötigt, das Problem zu bedenken und zu stellen, ehe ich an seine Lösung herangehen konnte. Das entspricht im allgemeinen nicht der Art, wie der literarische Geist vorgeht, der sich nicht dabei aufhält, den Abgrund auszumessen, den er seinem Wesen nach überspringt.

Von einem Menschen bleibt, was wir in Gedanken mit seinem Namen verbinden, nebst dem, was er geschaffen hat und was aus diesem Namen ein Zeichen für Bewunderung, Haß oder Gleichgültigkeit macht. Wir denken über sein Denken nach und können zwischen den Zeilen seines Werks dieses auf ihn bezogene Denken wiederfinden: wir können seinen Gedanken nach dem Bilde unseres eigenen Gedankens wiedererschaffen. Mühelos stellen wir uns einen gewöhnlichen Menschen vor: schlichte Besinnung genügt, die Antriebe und Grundarten seines Verhaltens vor uns erstehen zu lassen. Die unmaßgeblichen Handlungen, die sein äußeres Dasein ausmachen, lassen dieselbe Abfolge erkennen wie unsere eigenen; wir sind auf gleiche Weise wie er deren verknüpfendes Band, und der Tätigkeitsbereich, auf den sein Wesen schließen läßt, reicht nicht weiter als der, in dem wir uns bewegen. Nehmen wir an, dieser Einzelmensch rage in einem bestimmten Punkt hervor, so fällt es schon schwerer, sich die Leistungen und Bahnen seines Geistes vorzustellen. Wenn wir uns ihm gegenüber nicht mit verschwommener Bewunderung begnügen wollen, werden wir genötigt sein, unsere Vorstellungskraft in Richtung der bei ihm vorherrschenden Eigenart – von der wir freilich nur einen Keim in uns tragen – zu strecken. Wenn jedoch bei dem Geist, auf den wir es abgesehen haben, alle Fähigkeiten voll entwickelt sind oder wenn die

Diesem ersten Paragraphen würde ich heute eine ganz andere Fassung geben, seinen Gehalt jedoch und seine Funktion würde ich beibehalten. Er soll nämlich das Denken auf die Möglichkeit jedes derartigen Vorhabens hinleiten, das heißt: auf den Zustand und die Hilfsmittel eines Geistes, der in seiner Vorstellung einen Geist nachbilden will.

Hinterlassenschaft seines Wirkens auf allen Gebieten bedeutend hervortritt, fällt es immer schwerer und schwerer, die Gestalt in ihrer Einheit zu fassen; sie neigt dazu, sich unserem Zugriff zu entziehen. Zwischen den äußersten Punkten dieser geistigen Spannweite liegen Abstände, so groß, wie wir sie noch nie durchmessen haben. Der Zusammenhang dieses ineinandergreifenden Ganzen entzieht sich unserem Erkennen, wie ihm auch die ungestalten Raumfetzen, die vertraute Gegenstände trennen, entzogen bleiben, Fetzen, die dem Zufall bloßer Zwischenräumlichkeit anheimgegeben sind; so wie jeden Augenblick Myriaden von Tatsachen verlorengehen, ausgenommen die kleine Zahl jener, die die Sprache zum Leben erweckt. Und doch gilt es, hierbei zu verweilen, sich hierauf einzulassen und die Mühe zu überwinden, die unserer Phantasie eine Ansammlung derart – von ihr aus gesehen – ungleichartiger Elemente bereitet. Jedes Verstehen geht hier zum Erfinden einer einheitlichen Ordnung, eines einzigen Bewegers über, bestrebt, das System, dem es sich beugt, mit etwas wie Gleichartigkeit zu beseelen. Jedes Verstehen ist um ein eindeutiges Bild bemüht. Mit nachdrücklicher Kraft, die von seiner eigenen Spannweite und seiner geistigen Klarheit abhängt, bewältigt es am Ende wiederum seine eigene Einheit. Wie von einem Mechanismus ausgelöst, wird eine Hypothese laut, und vor uns steht das Individuum, das all dies geschaffen hat, die zentrale Schau, in der all dies vorgegangen sein muß: das ungeheure Gehirn2, in dem dieses seltsame Tier, das Tausende reiner Beziehungsfäden zwischen so vielerlei Formen gesponnen hat und dessen Leistung diese rätselhaften und verschiedenartigen Bildungen sind, sich den Instinkt als Wohnstatt erkoren hat. Die Art, wie es zu dieser Hypothese kommt, ist zwar Abwandlungen, nicht aber dem Zufall unterworfen. Ihre Gültigkeit hängt von der logischen Analyse ab, der sie zum Gegenstand wird. Sie ist der Grundstein der Methode, die uns beschäftigen und uns dienen soll.

In Wahrheit habe ich Mensch und Leonardo genannt, was ich in jener Zeit unter dem Vermögen des Geistes verstand.

Ich nehme mir also vor, mir einen Menschen vorzustellen, der sich in Leistungen so unterschiedlicher Art bezeugt hat, daß es, wenn ich sie auf ein Denken beziehe, keines gibt, das weiter gespannt wäre. Außerdem setze ich bei ihm ein Empfinden voraus, das auf die vielerlei Abstufungen der Dingwelt außerordentlich lebhaft anspricht und dessen Widerfahrnisse man nicht unzutreffend mit Analyse bezeichnen könnte. Ich sehe, wie alles ihm

Das umfassende Ganze – eher geht es um Universalität. Nicht so sehr jenes sagenhafte Ganze (wie es sich bei dem Wort Universum als Vorstellung zu melden pflegt) wollte ich bezeichnen, als das Gefühl für die Zugehörigkeit jeden Dings zu einem umfassenden System, das (hypothetisch) die Definition jeden Gegenstandes erlaubt . . .

Richtpunkte an die Hand gibt: stets denkt er an das umfassende Ganze und zugleich an die Strenge.1 Er ist so veranlagt, daß ihm nichts von dem entgeht, was sich in die Vielfalt dessen, was ist, verirrt: kein armseliger Strauch. Er läßt sich in die Tiefe der Allerweltsdinge hinab, zieht sich in sie zurück und betrachtet sich. Er stößt auf die

Gewohnheiten und Strukturen der Natur, er geht sie von allen Seiten an, und es erweist sich, daß er der einzige ist, der konstruiert, aufzählt, das Gemüt bewegt. Er läßt Kirchen und Festungen erstehen; er schafft Ornamente voll Anmut und Größe, tausend Maschinen und die strengen Figurengebilde von mancherlei Forschungen. Er hinterläßt die Bruchstücke irgendwelcher großen Spiele. Bei diesem Zeitvertreib, der in seine wissenschaftliche Arbeit übergeht, die ihrerseits von Leidenschaft nicht zu trennen ist, scheint er auf zauberhafte Weise stets in Gedanken bei etwas anderem zu weilen . . . Ich werde ihm nachgehen, werde zusehen, wie er sich in der rohen Einheitlichkeit und stofflichen Dichte der Welt bewegt, wo er sich mit der Natur so vertraut macht, daß er sie nachahmt, um den Finger auf sie zu legen, so daß es ihm schließlich schwerfällt, sich einen Gegenstand vorzustellen, den sie nicht birgt.

Ein Autor, der eine Biographie verfaßt, kann versuchen, seinen Helden zu erleben oder aber ihn zu konstruieren. Und zwar verhalten sich diese beiden Verfahren gegensätzlich zueinander. Erleben heißt: sich ins Unvollständige einverwandeln. Das Leben, in diesem Sinne genommen, besteht ganz in Anekdoten, Einzelheiten, Augenblicken.

Noch fehlt diesem Gedankengeschöpf ein Name, der geeignet ist, die ganze Spannweite zwischen Grenzpunkten, die für gewöhnlich zu weit auseinanderliegen und dem Blick entzogen bleiben, in sich zu fassen. Ich wüßte keinen zutreffenderen als den des Leonardo da Vinci. Wer sich einen Baum vorstellt, der muß sich auch einen Himmel vorstellen und einen Grund, in dem er ihn wurzeln sieht. Darin waltet eine Art Logik, die fast gefühlsmäßig und so gut wie unerkannt ist. Die Person, die ich hier nenne, ist nichts anderes als eine solche Deduktion. Fast nichts von dem, was ich über sie äußern werde, darf auf den

Die Konstruktion hingegen impliziert a priori die Annahme eines Daseins, das auch – GANZ ANDERS Sein könnte. Diese Art von Logik ist es, die aufgrund sinnlich wahrnehmbarer Erfahrungen zur Bildung dessen führt, was ich weiter oben ein umfassendes Ganzes genannt habe – ein Ganzes, das sich hier aufeine Persönlichkeit bezieht. Alles inallem handelt es sich darum, vom Denkmöglichen Gebrauch zu machen, bei möglichst strenger Kontrolle durch das Bewußtsein.

Menschen, der diesen Namen berühmt gemacht hat, bezogen werden. Ich lege es nicht darauf an, Deduktion und Person zusammenfallen zu lassen, was ich im schlechten Sinne für unmöglich halte. Ich versuche vielmehr, auf die Einzelstruktur einer geistigen Existenz einen Blick zu werfen, die Methoden ahnen zu lassen, die in jedem Fund enthalten sind, diesem einen, im Gegensatz zu der Vielzahl vorstellbarer Dinge, ich versuche ein Modell zu entwerfen, das vermutlich grob ausfallen wird, aber dem Aneinanderreihen zweifelhafter Anekdoten, den Anmerkungen zu Katalogen, den Daten und Fakten vorzuziehen sein dürfte. Ein derartiger Ballast von Gelehrsamkeit müßte die rein hypothetische Absicht dieses Essays verfälschen. Die Ergebnisse der Forschung sind mir nicht unbekannt, aber ich darf vor allem deshalb nicht von ihnen sprechen, um nicht Anlaß zu geben, einen Entwurf, der an sehr allgemeine Begriffe geknüpft ist, mit den bruchstückhaften Lebenstatsachen einer längst entschwundenen Persönlichkeit zu verwechseln, wenn wir über ihre denkerische Existenz Gewißheit erlangen wollen, nebst der Gewißheit, daß wir sie nie besser kennenlernen werden.

All das würde ich heute ziemlich anders ausdrücken; doch erkenne ich darin meine Art, mir die Leistung als solche einerseits vorzustellen, und die zufälligen Umstände, aus denen die Werke hervorgehen, andererseits.

Mancher Irrtum, der sich in die Beurteilung menschlicher Werke einschleicht, ist dem eigentümlichen Vergessen ihres Zustandekommens zuzuschreiben. Man denkt häufig nicht daran, daß diese Werke nicht von jeher da waren. Daraus ergibt sich rückwirkend so etwas wie Koketterie, die im allgemeinen die Ursprünge eines Werks mit Stillschweigen übergeht, ja sie bisweilen geradezu verhehlt. Wir haben Angst, sie könnten zu unscheinbar sein; ja, wir gehen so weit, zu befürchten, sie

Die Wirkungsweise eines Werks ist nie eine bloße Folge aus den Bedingungen seiner Entstehung. Man kann vielmehr im Gegenteil sagen, daß ein Werk den heimlichen Vorsatz in sich trägt, der Phantasie eine Art und Weise seiner Entstehung einzuflüstern, die der Wahrheit sowenig wie möglich entspricht.

könnten natürlicher Art sein. Und wenn recht wenige Künstler den Mut aufgebracht haben zu sagen, wie sie ihr Werk zustande gebracht haben, so ist, wie ich glaube, die Zahl jener, die bestrebt waren, ebendies herauszufinden, auch nicht viel größer. Eine solche Untersuchung fängt mit dem mühsamen Verzicht auf den Gedanken an Ruhm und an lobende Beiwörter an; sie verträgt sich nicht mit der Vorstellung von Überlegenheit, mit keiner Großmannssucht. Sie führt dazu, unter dem Anschein der Vollkommenheit die Relativität zu erkennen. Sie ist notwendig, um von dem Glauben zu heilen, daß die

Läßt sich überhaupt etwas tun ohne den Glauben, daß man damit etwas anderes tut? Das Ziel des Künstlers ist nie das Werk, als das genommen, was es von sich reden macht, und dieses Redenmachen ist nie eine bloße Folge dessen, was es ist.

Geister so verschieden geartet seien, wie es ihre Schöpfungen erscheinen lassen. So etwa sind gewisse Arbeiten auf wissenschaftlichem Gebiet, insbesondere in der Mathematik, von so durchsichtiger Klarheit des Aufbaus, daß man sie nicht die Arbeiten eines einzelnen Menschen nennen möchte. Sie haben etwas Nichtmenschliches. Diese ihre Beschaffenheit ist nicht ohne Wirkung geblieben. Sie hat zur Annahme eines derartigen Abstandes zwischen gewissen geistigen Fächern – wie zwischen den Wissenschaften und den Künsten – geführt, daß man ihre ursprünglichen

Die Wissenschaften und die Künste unterscheiden sich vornehmlich darin, daß jene auf gewisse oder höchst wahr scheinliche Ergebnisse ausgehen müssen, während diese lediglich auf Ergebnisse von unbekannter Wahrscheinlichkeit hoffen können.

Schöpfer aus Befangenheit auseinandergerissen hat, und zwar in dem Maße, wie die Ergebnisse ihrer Arbeiten auseinanderzuliegen schienen. Dabei besteht ihr Unterschied in Wahrheit nur in der andersartigen Verfügung über eine gemeinsame geistige Habe, und zwar unterscheiden sie sich danach, was von dieser Habe behalten und was übergangen wird und wonach sich die Ausbildung ihrer Sprechweisen und ihrer Symbole richtet. Man muß mithin allzu reinen Büchern und Darstellungen gegenüber ein gewisses Mißtrauen hegen. Was festgelegt ist, leistet der Täuschung Vorschub, und was zum Anschauen gemacht ist, gewinnt ein anderes, ein edleres Aussehen. Nur solange das, was im Geiste vorgeht, noch in Bewegung,

Zwischen der Art der Entstehung und der Frucht bildet sich ein Gegensatz heraus.

noch unentschieden, noch dem Augenblick ausgeliefert ist, wird es für unsere Absicht taugen, das heißt: bevor man es Gedankenspiel oder Gesetz, Theorem oder Kunstwerk genannt hat und bevor es, im Begriffe sich abzuschließen, seinen ursprünglichen Ähnlichkeitscharakter preisgegeben hat.

Im Inneren spielt sich ein Drama ab. Drama, Abenteuer, Erregungszustände: alle dergleichen Wörter sind am Platze, sofern es nur mehrere sind, die einander berichtigend die Waage halten. Dieses Drama geht in den meisten Fällen verloren, genauso

Die berühmten Pensées sind nicht so sehr redliche Eigengedanken als Argumente – Waffen, Lähmungsgifte – für den anderen. Ihre Form ist manchmal so vollkommen, so gesucht, daß sie eine absichtsvolle Verfälschung des eigentlichen »Gedankens« erkennen läßt, um ihn zwingender, erschrekkender zu machen – als jeden Gedanken schlechthin.

wie die Stücke Menanders.3 Doch besitzen wir die handschriftlichen Aufzeichnungen Leonardos und Pascals berühmte Merkzettel. Diese Bruchstücke wollen von uns befragt sein. Sie vermitteln uns eine Ahnung, mit welch blitzhaften Gedankensprüngen, wie seltsam in menschliche Widerfahrnisse und geläufige Sinneseindrücke verkleidet, nach wieviel endlosen Minuten des Harrens Menschen die Schatten ihrer künftigen Werke erschienen sind, ihre vorauseilenden Schemen. Auch ohne sich auf so große Beispiele zu besinnen, bei denen man Gefahr läuft, in die Fehler der Ausnahme zu verfallen, genügt es zum Beispiel, jemanden zu beobachten, der sich allein glaubt und sich keinerlei Zwang antut: der einen Gedanken beim Schopf packt, vor einem Gedanken zurückweicht, der verneint, lächelt oder sich duckt und das seltsame Spiel seiner eigenen inneren Vielfältigkeit aufführt. Die Verrückten überlassen sich ihm vor aller Augen.

Dies sind Beispiele dafür, wie sich physische, endliche, meßbare Lageveränderungen unmittelbar an jene Komödie der Person4 knüpfen, von der ich sprach. In diesem Fall sind geistige Bildvorstellungen die Akteure, und es ist unschwer zu verstehen, daß man, sofern man die Besonderheit dieser Bilder zum Verschwinden

Ich wäre geneigt zu sagen, daß am Gedanken das Wirklichste ist, was an ihm nicht naives Abbild der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit ist; beobachtet man jedoch – was übrigens immer heikel und nicht selten anzweifelbar ist–, was in uns geschieht, so liegt die Annahme nahe, daß die Spielarten der Abwandlung in beiden Welten vergleichbar sind, was uns instand setzt, die im eigentlichen Sinne physische Welt grosso modo in Metaphern auszudrücken, die der sinnlich erfahrbaren Welt entlehnt sind, insbesondere dem Bereich jener Handlungen, die wir physisch vollziehen können. So: Pensée, Gewogenes; begreifen; verstehen; Hypothese, Synthese usw.

bringt, um lediglich ihre Abfolge, ihre Häufigkeit, ihre Periodizität, ihre Assoziationsfähigkeit abzulesen, alsbald geneigt ist, nach Analogien in der sogenannten stofflichen Welt auszuschauen, daß man die wissenschaftlichen Analysen mit ihnen zusammenbringt, ihnen einen Ort, einen stetigen Zusammenhang, gewisse Eigenheiten der Fortbewegung, Geschwindigkeit und demzufolge Masse und Energie unterstellt. Man wird dann gewahr, daß eine ganze Fülle derartiger Systeme möglich ist, daß das eine nicht mehr Gültigkeit hat als irgendein anderes und daß die Anwendung, die man von ihnen macht – wertvoll, weil sie stets in irgend etwas Licht wirft –, ständig überwacht und auf ihren rein sprachlichen Charakter zurückverwiesen werden muß. Denn genaugenommen besteht die Analogie in nichts anderem als in der Fähigkeit, die Bilder zu variieren, sie zu kombinieren, einen Teil des einen mit einem Teil des anderen zusammen bestehenzulassen und – bewußt oder unbewußt – das Verbindende in ihren Strukturen zu gewahren. Und insofern entzieht sich der Geist, der ihr Ort ist, der Beschreibung. Die Worte büßen an ihm ihre Kraft ein. Hier bilden sie sich, entspringen sie vor seinen Augen: er ist es, der uns die Worte beschreibt.

Dauer kommt von »durus«, hart. Was andererseits bedeutet, daß man gewisse Seh, Tast- oder Bewegungsbilder oder deren Kombinationen doppelwertig ausstattet.

Der Mensch trägt also Visionen mit sich fort, deren Kraft er sich zu eigen macht. Er bezieht auf sie seine Geschichte. Sie sind deren geometrischer Ort. Von hier aus fallen diese staunenerregenden Entscheidungen, erfolgen diese Durchblicke, blitzhaften Ahnungen, stichhaltigen Urteile, Erleuchtungen, unbegreiflichen Beunruhigungen, nebst allerlei Torheiten. In gewissen außerordentlichen Fällen fragt man sich verblüfft, unter Anrufung abstrakter Gottheiten, Genie, Inspiration5 und tausend anderer, wie es zu dergleichen Vorfällen kommt. Wieder einmal glaubt man, es habe sich etwas schöpferisch ereignet, denn vor dem Mysterium und dem Wunder liegt man auf den Knien, während man nach den Kulissen nicht fragt; man macht aus der Logik ein Mirakel; aber der Inspirierte war schon seit einem Jahr in Bereitschaft. Er war reif. Er hatte immer daran gedacht, vielleicht ohne sich selber darüber klar zu sein, und wo die anderen noch außerstande waren zu sehen, hatte er angeschaut und kombiniert, so daß er nun nichts anderes tat, als daß er in seinem Geiste las. Das Geheimnis Leonardos wie das Bonapartes6 wie überhaupt der Menschen, die je auf den Gipfel der Intelligenz gelangt sind, besteht und kann nur bestehen in den Beziehungen, die sie fanden – finden mußten – zwischen Dingen, deren Zusammenhang

Das Wort Kontinuität trifft nicht den eigentlichen Sinn. Ich weiß noch, daß ich es anstelle eines anderen Wortes niedergeschrieben habe, das ich nicht habe wiederfinden können. Ich wollte sagen: zwischen Dingen, die wir nicht in ein System des Gesamtzusammenhangs unserer Handlungen einordnen oder übersetzen können. Das heißt: das System unserer Vermögen.

uns nicht aufgrund gesetzmäßiger Kontinuität gegeben ist. Im entscheidenden Moment brauchten sie nur noch bestimmte Handlungen auszuführen. Die Gipfelleistung – in den Augen der Welt – war nur noch ein ganz einfacher Vorgang, etwa wie der Vergleich zweier Längen.

Dieser Gesichtspunkt läßt die Einheit der Methode, um die es uns geht, sichtbar werden. In diesem Umkreis ist sie beheimatet, ist sie elementar. Sie ist dessen eigentliches Leben; er ist durch sie definiert. Und wenn so mächtige Denker wie der, dem ich in diesen Zeilen nachgehe, aus diesem Schatzbereich ihr latentes Vermögen schöpfen, können sie mit Recht in einem Augenblick bewußter und klarer Einsicht schreiben: Facil cosa è farsi universale! Es ist leicht, sich universal zu machen. Sie können für die Dauer einer Minute das wundersame Werkzeug, das sie sind, bewundern – freilich um im gleichen Augenblick das Wunder zu leugnen.

Aber zu dieser klaren, endgültigen Einsicht kommt es erst nach langen Irrwegen und unumgänglichen Vergötzungen. Das Bewußtsein von der Arbeitsweise des Geistes, worin eben die von mir angesprochene verkannte Logik besteht, findet sich nur höchst selten, selbst bei den fähigsten Köpfen. Die Zahl der Begriffe, die Fähigkeit, sie weiter auszubauen, die Fülle geistiger Entdeckungen sind etwas völlig anderes und bleiben unberührt von dem Urteil, das man über ihr Wesen fällt. Rein vorstellungsmäßig ist der Sachverhalt jedoch leicht zu fassen. Eine Blume, eine Behauptung, ein Geräusch können nahezu gleichzeitig vorgestellt werden; man kann sie nach Belieben so dicht wie möglich aufeinanderfolgen lassen; irgendeines dieser Gedankendinge kann sich auch verändern, kann aus der Form gebracht werden und nach freier Willkür des Geistes, der es beherbergt, nach und nach sein ursprüngliches Gesicht einbüßen; jedoch allein das Wissen um dieses Vermögen verleiht ihm seinen ganzen Wert. Allein das Wissen setzt instand, diese Formbilder zu kritisieren, sie auszulegen, in ihnen nur das zu finden, was sie enthalten, nicht aber ihre einzelnen Zustände unmittelbar auf die Zustände der Wirklichkeit auszudehnen. Mit ihm hebt die Analyse aller geistigen Phasen an, die Analyse all dessen, was man erst jetzt in ihrem Namen Wahn, Idol, Fund zu nennen berechtigt ist – und was vorher nur Abschattungen waren, zwischen denen kein Unterschied bestand. Vordem waren sie gleichwertige Variationen ein und derselben Substanz; sie verglichen sich, schwankten unbestimmt und unverantwortlich hin und her, wobei sie sich manchmal allesamt demselben System zugehörig nennen konnten. Das Bewußtsein von den Gedanken, die man hat – insofern es Gedanken sind –, bedeutet soviel wie diese Art von Gleichheit oder Gleichartigkeit anerkennen; heißt soviel wie spüren, daß alle derartigen Fügungen rechtmäßig und natürlich sind und daß die Methode darin besteht, sie anzureizen, sie mit voller Schärfe zu sehen und dem nachzugehen, was sie jeweils implizieren.

An einem bestimmten Punkt dieser Beobachtung oder dieses geistigen Doppellebens, bei dem das gewöhnliche Denken zum bloßen Traum eines wachen Schläfers wird, zeigt sich, daß die Abfolge dieses Traums, die Wolke aus Kombinationen, Gegensätzen, Wahrnehmungen, die sich um ein forschendes Bemühen zusammenzieht – oder die unbestimmt, nach freier Laune abläuft –, sich mit wahrnehmbarer

Diese Beobachtung (über die Grenzannäherung psychischer Vorgänge) hätte eine eingehendere Behandlung verdient. Sie führt zu Untersuchungen der Zeit, der Erscheinung, die ich manchmal Zeitdruck nenne, der Rolle der äußeren Umstände, der willkürlichen Setzung gewisser Schwellen ... Hierin steckt eine ganze innere Mechanik, von sehr feinfühliger Beschaffenheit, bei der besonders geartete Abschnitte von Dauer die Hauptrolle spielen, ineinander verschachtelt sind usw.

Regelmäßigkeit entfaltet, mit evident maschinenartiger Kontinuität. Hier erhebt sich nun der Gedanke (oder der Wunsch), das Tempo dieser Abfolge zu beschleunigen, die Bestimmungsglieder heranzuführen bis an ihre Grenze, bis an die Grenze ihres vorstellbaren Ausdrucksvermögens, jenseits deren alles verändert sein wird.7 Und wenn diese Art von Bewußtheit zur Gewohnheit wird, kommt man beispielsweise dazu, auf Anhieb alle möglichen Ergebnisse einer geplanten Handlung, alle Beziehungen eines gedachten Gegenstandes zu überprüfen, um sich sodann ihrer zu entledigen, gelangt man zu der Fähigkeit, stets ein noch intensiveres oder genauer bestimmtes Ding, als es das gegebene Ding ist, zu erahnen, gelangt man zu dem Vermögen, aus dem Schlaf eines Denkens, das zu lange gewährt hat, zu erwachen. Jeder beliebige Gedanke nimmt, sobald er fest wird, hypnotischen Charakter an und wird in der Sprache der Logik zu einem Idol; im Bereich der poetischen Konstruktion und der Kunst wird er zu unfruchtbarer Eintönigkeit. Der Sinn, von dem ich spreche und der den Geist instand setzt, auf sich selbst vorauszuschauen und das als Ganzes vorzustellen, was sich der Vorstellung im einzelnen erschließen wollte, sowie der Effekt dieser zusammenfassenden Operation ist Voraussetzung jeder Art von Allgemeingültigkeit. Dieser Sinn, der bei gewissen Individuen in Gestalt einer wahren Leidenschaft und mit einzigartiger Kraft aufgetreten ist, der in den Künsten Voraussetzung jeden Vorankommens ist und die Erklärung dafür gibt, warum immer häufiger engere Begriffe, Abkürzungen und schärfere Kontraste in Gebrauch kommen, liegt in rationaler Form implizit allen mathematischen Begriffen zugrunde.

Meiner Ansicht nach liegt das Geheimnis dieser mathematischen Überlegung oder Induktion in einer Art Bewußtsein von der Unabhängigkeit einer Handlung hinsichtlich ihres Stoffes.

Ihm sieht das Verfahren sehr ähnlich, das unter dem Begriff des mathematischen Reihen-Kalküls2 solchen Analysen ein weites Feld eröffnet hat und das vom Additionsverfahren bis hinauf zur Infinitesimalrechnung mehr zu bedeuten hat als das bloße Einsparen einer unbestimmten Anzahl überflüssiger Experimente, denn es steigt zu komplexeren Begriffseinheiten auf, insofern die bewußte Nachahmung meines Handelns ein andersgeartetes Handeln ist, das alle möglichen Angleichungen der ersten Handlungsstufe in sich faßt.

Dieses Bild – Dramen, Strudel, klare Schau – tritt unwillkürlich in Gegensatz zu anderen Bewegungen, anderen Szenen, die von uns die Namen »Natur« oder »Welt« beziehen und mit denen wir nichts weiter anzufangen wissen, als uns von ihnen abzusetzen, um uns sogleich wieder in sie hineinzubegeben.

Die Philosophen sind im allgemeinen dabei stehengeblieben, unser Dasein in diesem Begriff »Welt« und diesen Begriff

Darin steckt der Erbfehler der Philosophie. Sie ist ein persönliches Anliegen, will es aber nicht sein. Sie will wie die Wissenschaft ein zum Weitergeben geeignetes und sich mehrendes Kapital bereitstellen. Daher die Systeme, die so tun, als stammten sie von niemandem her.

wiederum in unserem Dasein auf gehen zu lassen; aber darüber hinaus gehen sie nicht, denn, wie man weiß, sind sie vollauf damit beschäftigt, das, was ihre Vorgänger darin sahen, abzustreiten, anstatt mit eigenen Augen hinzuschauen. Die Gelehrten und die Künstler haben sich die Sache auf jeweils andere Art zunutze gemacht; und zwar begaben sich die einen ans Messen, danach ans Konstruieren; die anderen ans Konstruieren, als ob sie gemessen hätten. Alles, was aus ihrer Hand stammt, findet aufs neue seinen Ort im natürlichen Umkreis und nimmt an ihm teil, indem es die Stoffe, aus denen er gebildet ist, in neuen Formen fortführt. Doch vor dem Abstrahieren und Bauen steht das Beobachten: Die Eigenart der Sinne, ihre unterschiedliche Fügsamkeit unterscheidet und liest unter den in Masse vorgesetzten Eigenschaften diejenigen aus, die vom Individuum behalten und entwickelt werden sollen. Zunächst erfolgt die Feststellung passiv, nahezu gedankenlos, mit einem Gefühl des Sicherfüllenlassens und dem einer langsamen und gleichsam beglückten Kreisläufigkeit; dann kann es geschehen, daß man auf den Geschmack kommt und den Dingen, die verschlossen und unableitbar waren, andere Wertakzente gibt; man fügt etwas hinzu, findet besonderes Gefallen an bestimmten Punkten, läßt sie bei sich zu Worte kommen, und so vollzieht sich eine Art Rückerstattung der durch die Sinne empfangenen Energie; bald wird sie auch die Lagerung umgestalten, wobei sie sich des reflektierenden Denkens einer Person bedient.

Auch der universale Mensch beginnt mit der bloßen Anschauung, und immer wieder wird er sich mit Gesehenem vollsaugen. Er wendet sich zurück zu den Berauschungen des einzelnen Triebs und zu der inneren Bewegung, die das geringste Ding der Wirklichkeit hervorruft, wenn man sie als ein Zweierlei betrachtet, das in seinen Eigenschaften so innig aufeinander abgestimmt ist und soviel allseitige Wirksamkeit in sich vereinigt.

Nützlichkeit der Künstler. Erhaltung der Feinfühligkeit und Unbeständigkeit der Sinne. Ein moderner Künstler muß zwei Drittel seiner Zeit an den Versuch wenden zu sehen, was sichtbar ist, vor allem aber nicht zu sehen, was unsichtbar ist. Die Philosophen müssen nur allzu oft für den Fehler büßen, daß sie sich auf entgegengesetzte Art trainiert haben.

Die meisten Leute nehmen viel häufiger mit dem Verstand als mit den Augen wahr. Anstelle farbiger Räume nehmen sie Begriffe in sich auf. Eine kubische weißliche Form, die hochsteht und mit Reflexen von Glasscheiben durchschossen ist, nennen sie mir nichts, dir nichts ein Haus, was für sie soviel heißt wie: Das Haus! Vielschichtige Idee, Zusammenklang abstrakter Eigenschaften! Wenn sie den Standort wechseln, entgeht ihnen die Bewegung der Fensterreihen, die Verschiebung der Flächen, die den sinnlichen Eindruck ständig verändern; denn der Begriff ändert sich nicht. Sie nehmen eher wie nach einem Wörterbuch als aufgrund ihrer Netzhaut wahr, sie bringen die einzelnen Gegenstände so ungeschickt zusammen, sind sich so im unklaren über die Freuden und Leiden des Anschauens, daß sie die lohnenden Ansichtspunkte erfunden haben. Von allem übrigen wissen sie nichts. Dabei huldigen sie aber einer Anschauung, die von bloßen Worten strotzt. (Eine allgemeine Regel dieser Schwäche, die in allen Bereichen der Erkenntnis anzutreffen ist, besteht eben in der Auswahl evidenter Stellen,

Ein Kunstwerk sollte uns immer beibringen, daß wir nicht gesehen haben, was vor unseren Augen liegt.

dem Ausruhen in eindeutig festgelegten Systemen, die es einem leichtmachen, die einem einleuchtend entgegenkommen . . . Insofern kann man sagen, daß das Kunstwerk stets mehr oder weniger erzieherisch ist.) Aber selbst diese lohnenden Ansichtspunkte bleiben ihnen nahezu verschlossen, während alle Modulationen, die jeder

Die Tiefenerziehung besteht darin, sich von der Grunderziehung frei zu machen.

noch so kleine Schritt, das Licht und das Haften des Blicks hervorrufen, nicht bis zu ihnen vordringen. In ihren Sinneseindrükken wirken oder entwirken sie nicht das geringste. Da sie wissen, daß der Spiegel des ruhenden Wassers horizontal ist, entgeht ihnen, daß das Meer am hinteren Rand des Bickfeldes aufrecht steht; wenn eine Nasenspitze, eine aufglänzende Schulter oder zwei Finger zufällig in einen Lichtstrahl geraten, der sie absondert, bringen sie es nie fertig, nichts anderes darin zu sehen als ein neues Schmuckstück, das ihr Sehen bereichert. Dieses Schmuckstück ist für sie Bruchteil einer Person, die allein Dasein hat, nur diese kennen sie. Und da sie sofort unter den Tisch fallen lassen, was keine Bezeichnung aufzuweisen hat, ist die

Das heißt: mehr Dinge sehen, als sich das Wissen träumt. Hier meldet sich ein naiver Zweifel, der dem Verfasser wohlvertraut ist, nämlich hinsichtlich des echten Werts und der echten Rolle der Worte. Die Worte (der gewöhnlichen Sprache) sind für die Logik nicht geschaffen. Die Dauer und Eindeutigkeit ihrer Bedeutungen sind niemals gesichert.

Im ganzen entspringen die Fehlurteile und Analogien dem Umstand, daß ein Eindruck auf zweierlei oder viererlei verschiedene Art vervollständigt werden kann. Eine Wolke, ein Stück Land, ein Schiff sind drei Arten, wie die Erscheinung eines bestimmten Gegenstandes am Meereshorizont vervollständigt werden kann. Wunsch oder Erwartung spielen dem Geist vorschnell einendieser Namenzu.

Zahl ihrer Eindrücke von vornherein eng begrenzt!3

Macht man von der entgegengesetzten Gabe Gebrauch, so gelangt man zu echten Analysen. Man kann nicht sagen, daß sich diese Gabe an der Natur bewährt. Dieses Wort nämlich, das in seiner Bedeutung allgemein zu sein und die Möglichkeit von jederlei Erfahrung in sich zu bergen scheint, ist gänzlich partikular. Es ruft persönliche Bilder wach, wie sie für das Gedächtnis oder die Geschichte eines Individuums bestimmend sind. Am häufigsten weckt es die Vorstellung von einem grünen Quellen, das verschwommen und anhaltend ist, von einer großen elementaren Kraft, die sich dem Menschlichen entgegenstellt, von einer eintönigen Mengenhaftigkeit, die über uns herfällt, von etwas, das stärker ist als wir, das ineinander verschlungen, einander zerreißend, schlafbefangen und immerfortwirkend ist und in dessen Personifikation die Dichter Grausamkeit, Güte und was dergleichen Absichten mehr sind, hineinlegen. Man muß also den, der anschaut und richtig anzuschauen versteht, in irgendeiner Ecke des Seienden ansiedeln.

Jugendlicher Versuch, sich ein individuelles Universum vorzustellen. Ein Ich und sein Universum, wenn wir einmal annehmen, daß dergleichen Mythen brauchbar sind, müssen in jedem System im gleichen Verhältnis zueinander stehen wie eine Netzhaut zu einer Lichtquelle.

Der Beobachtende ist gefangen in einem Kreis, der nie zu sprengen ist, in dem es Unterschiede gibt, die sich als Bewegungen und Gegenstände herausstellen, und dessen Oberfläche geschlossen bleibt, obwohl alle seine Bestandteile sich erneuern und die Stelle wechseln. Der Beobachtende ist zunächst nur die Voraussetzung dieses endlichen Raums; in jedem Augenblick ist er dieser endliche Raum. Kein Erinnern, keine Fähigkeit verstören ihn, solange er sich mit dem, was er anschaut, gleichsetzt. Und wäre ich imstande, mir vorzustellen, daß er in diesem Zustand beharrte, dann könnte ich zwischen seinen Eindrücken und den Eindrücken, die er im Traum empfängt, nicht den mindesten Unterschied feststellen. Er empfindet Lust, Unlust, Gleichmut als Ausfluß4 dieser ganz ungewissen Formen, zu denen sein eigener Leib rechnet. Nun entziehen sich die einen jedoch nach und nach der Anschauung und werden kaum noch gesehen, indessen andere den Blick auf sich lenken – und zwar an der gleichen Stelle, an der sie immer gewesen sind. Ein überaus inniges Ineinander von Veränderungen ist festzustellen; beim Sehbild ist es durch die Dauer, die Ermüdung sowie die natürlichen Bewegungen bedingt. Einzelne Stellen im Gesichtsfeld bringen sich

Die Ungleichheit tritt mit Notwendigkeit ins Spiel; das Bewußtsein ist seinem Wesen nach unbeständig.

übertrieben zur Geltung, so wie ein krankes Glied größer zu sein scheint und die Vorstellung vom eigenen Körper durch die Bedeutung, die ihm der Schmerz gibt, ganz und gar einnimmt. Die hervorstechenden Punkte wird man leichter behalten und für den Gesichtssinn schmeichelhafter empfinden. Von hier aus gerät der Betrachter ins Träumen, von jetzt an vermag er auf immer zahlreichere Gegenstände die besonderen Kennzeichen der ersten und wohlbekannten Gegenstände auszudehnen. Er vervollkommnet den gegebenen Bereich, indem er sich eines

Es gibt eine gewisse Freiheit in den Zusammenstellungen, den Entsprechungen und gegenseitigen Aufhebungen, die sich im gesamten Wahrnehmungsbereich auswirkt. Wenn mehrere gleichzeitig sprechen, kann man immer nur dem folgen, was einer von ihnen sagt.

vorausgehenden entsinnt. Dann fügt er das Nacheinander seiner Eindrücke nach Belieben zusammen oder nimmt es auseinander. Er kann seltsamen Kombinationen Geschmack abgewinnen: so betrachtet er eine Anordnung von Blumen oder eine Gruppe von Menschen als ein festes in sich geschlossenes Eigenwesen, und ebenso eine Hand, eine Wange, die er isoliert, einen Lichtfleck auf einer Wand, ein Zusammentreffen von Tieren, die zufällig beieinan der sind.

Es handelt sich dabei um Intuitionen im engen und etymologischen Sinne des Wortes. Ein Bild kann im Hinblick auf ein anderes vorhergesehen sein.

Er will unsichtbare Gesamtheiten ersinnen, von denen ihm die Teile gegeben sind. Er meint die Schleifen zu sehen, die ein Vogel mit seinem Flug zieht, die Kurve, über die ein geworfener Stein hingleitet, die Flächen, die unsere Gebärden umreißen, aber auch jene aus der Ordnung fallenden Einrisse, jene fließenden Arabesken, jene gestaltlosen Kammern, welche in einem alles durchdringenden Netz erschaffen werden vom schwirrenden Speichenblitz im schauernden Insektenschwarm, von der Dünung der Bäume, von den Rädern, dem menschlichen Lächeln, der Brandung. Manchmal treten die Spuren dessen, was er geistig ersonnen

Zentrale Rolle der Fortdauer von Eindrücken. Es besteht eine Art von Symmetrie zwischen diesen beiden in umgekehrtem Wechsel Verhältnis stehenden Umwandlungen. Der Verräumiichung des Nacheinander entspricht, was ich einst die Chronolyse des Raums nannte.12

hat, im Sand oder auf dem Wasser sichtbar hervor; manchmal kann sogar seine Netzhaut in der Zeit die Form, in der ein Gegenstand den Ort wechselt, auffangen.11

Es gibt einen Übergang von den Formen, die aus der Bewegung entstehen, zu den Bewegungen, in die aufgrund einfacher Abwandlung der Dauer die Formen geraten. Wenn der fallende Regentropfen wie eine Linie erscheint, wenn tausend Schwingungen wie ein anhaltender Ton klingen, wenn die Unregelmäßigkeiten in diesem Papier hier sich wie eine blanke Fläche ausnehmen und dafür allein die Dauer des Eindrucks maßgebend ist, so kann umgekehrt eine ruhende Form durch eine angemessene Geschwindigkeit ersetzt werden, und zwar durch eine periodische Verlagerung eines entsprechend gewählten Dings (oder Elements). Die Geometrie kann

Das würde sich auf einer bestimmten Stufe zeigen, sofern es auf dieser Stufe Licht und Netzhaut überhaupt noch gäbe. Man würde aber die Gegenstände nicht mehr sehen. Also besteht hienieden die Rolle des Geistes im Kombinieren unvereinbarer Größen- und Eigenschaftsordnungen, in Anpassungen, die einander ausschließen ...

Zeit und Geschwindigkeit in das Studium der Formen einführen, kann sie aber ebenso vom Studium der Bewegung fernhalten; und die Sprache kann bewirken, daß ein Küstenstreifen sich hinzieht, daß ein Berg sich erhebt, daß ein Standbild sich aufrichtet. Und der Taumel der Analogien, die Logik der Kontinuität führen diese Bewegungstendenzen bis an die äußerste Grenze, bis zur Unaufhaltbarkeit. Alles bewegt sich innerhalb der Vorstellung in fortschreitenden Graden. In diesem Zimmer, und weil ich diesen Gedanken als einzigen andauern lasse, handeln die Dinge genau wie der Lampendocht: der Sessel verzehrt sich an Ort und Stelle, der Tisch beschreibt

Es geschieht aufgrund der Abstufung unserer Sinnesvermögen und der Wahrnehmungsdauer, daß wir diesem Chaos von Zuckungen und Vertauschbarkeiten eine Weit der festen Körper und der iden tifizierbaren Gegenstände entgegenstellen. Un mittelbar nehmen wir nur Beharrungen und Mittelwerte wahr.

eine so rasche Drehung, daß er durch sie bewegungslos wird; die Vorhänge fließen endlos, fortwährend herab. Wir stehen vor einer unendlichen Verwobenheit: um in all der Bewegung der Körper, dem Kreisen der Umrisse, dem verknoteten Ineinander, den Bahnen, den Gefällen, den Wirbeln, dem Netz aus Geschwindigkeiten wieder zu uns selber zu kommen, müssen wir uns an unser großes Talent geregelten Vergessens wenden – das heißt: wir müssen, ohne das erworbene Wissen auszumerzen, einen abstrakten Begriff auf stellen: den der Größenordnungen.

Hiermit erlischt im erweiterten Bereich dessen, »was gegeben ist«, der Überschwang dieser Einzeldinge, von denen es keine Wissenschaft gibt. Wenn man sie lange Zeit ansieht und in Gedanken dabei ist, verändern sie sich; wenn man nicht mehr in Gedanken dabei ist, verfällt man in eine brütende Schläfrigkeit, die wie ein gleichmäßiger Traum haftet und beharrt, indem man die Kante eines Möbelstücks, den Schatten eines Blattes hypnotisch anstarrt, dagegen erwacht, sobald man sie sieht. Es gibt Menschen, die mit besonderer Feinschmeckerei die Lust an der Individualität der Dinge auskosten. Sie schätzen an einem Gegenstand genießerisch jene Qualität der Einzigartigkeit – die alle besitzen. Ein merkwürdiges Verhalten, das seinen letzten Ausdruck in der Bühnendichtung und der Bühnenkunst findet und das man in diesem äußersten Falle als Identifikationsföhigkeit bezeichnet hat.5

Immer diese Macht der Ungleichheit.

Nichts wirkt in einer Beschreibung so ausgesprochen absurd wie die Überspanntheit eines Menschen, der behauptet, er sei ein bestimmter Gegenstand und empfinde dieselben Eindrücke wie dieser – sofern es sich um einen stofflichen Gegenstand handelt!6 Und doch gibt es im Phantasieleben nichts Stärkeres. Der auserwählte Gegenstand wird gleichsam zum Mittelpunkt dieses Lebens; immer zahlreichere Assoziationen schließen sich um ihn zusammen, je nachdem, ob der Gegenstand mehr oder weniger komplex ist. Im Grunde kann diese Fähigkeit nur ein Mittel sein, die Lebenskraft der Phantasie anzureizen, eine potentielle in aktuelle Energie umzuwandeln, bis zu dem Punkt, wo sie zu einem pathologischen Symptom wird und auf entsetzliche Art die fortschreitende Abstumpfung einer dahinschwindenden Intelligenz beherrscht.

Vom reinen Anschauen der Dinge bis zu diesen Zuständen hat der Geist nichts anderes getan, als seine Funktionen zu erweitern und sich Wesenheiten zu schaffen, entsprechend den Problemen, die ihm jeder Sinneseindruck aufgibt und mit denen er mehr oder minder leicht fertig wird, je nachdem, ob von ihm eine mehr oder minder intensive Erschaffung solcher Wesenheiten gefordert wird. Man sieht, daß wir hier auf die eigentliche Praxis des Denkens stoßen.

Auch hier die Ungleichheit. Der Übergang vom Weniger zum Mehr erfolgt spontan, der Übergang vom Mehr zum Weniger erfolgt durch Nachdenken und kommt selten vor – er ist ein Bemühen, wider das routinemäßige und bloß anscheinende Verstehen anzugehen.

Denken besteht fast in der gesamten Zeit, die wir ihm widmen, in einem Herumirren zwischen Motiven, von denen wir in erster Linie wissen, daß sie uns mehr oder weniger bekannt sind. Man könnte eine Einteilung der Dinge nach der geringeren oder größeren Schwierigkeit, die sie unserem Verstehen entgegensetzen, vornehmen, man könnte sie einteilen nach dem Grad unserer Vertrautheit mit ihnen und nach den verschiedenerlei Widerständen, die uns ihre Beschaffenheit oder ihre Teile entgegensetzen, um als Ganzes vorgestellt zu werden. Es blieben nun noch Vermutungen über die Geschichte dieser Abstufung eines innig verwobenen Ganzen anzustellen.

Wäre alles unregelmäßig oder alles regelmäßig, so gäbe es kein Denken, das ja der Versuch ist, von der Unordnung zur Ordnung überzugehen, wobei es, um tätig zu werden, das Ungeordnete und als Leitbild das Geordnete braucht. Das Isolierte, das einzelne, das Individuelle bleiben unerklärbar, das heißt, sie haben als Ausdruck nur sich selbst. Unüberwindliche Schwierigkeit, die mit den Primzahlen gegeben ist.

Die Welt ist unregelmäßig mit regelmäßigen Anordnungen übersät. Zu diesen gehören die Kristalle, die Blumen, die Blätter; die unterschiedlichsten Streifen- oder Fleckenmuster auf Fellen, die Flügel, die Schalen von Tieren; die Windspuren im Sand und auf der Oberfläche des Wassers usw. Zuweilen hängen diese Effekte von einer Art Perspektive oder von unstetigen Gruppierungen ab; bei Entfernung treten sie hervor, oder ihr Muster ändert sich; die Zeit bringt sie zum Vorschein oder verhüllt sie. So zeigt die Zahl der Todesfälle, der Geburten, der Verbrechen und Unfälle innerhalb ihrer Variation eine Regelmäßigkeit, die um so deutlicher wird, je mehr Jahre man zur Beobachtung heranzieht. Die überraschendsten und, gemessen am Verlauf der unmittelbar benachbarten Augenblicke, asymmetrischsten Ereignisse gehen, wenn wir sie auf weitergefaßte Abschnitte beziehen, in so etwas wie eine Ordnung ein. Man kann diesen Beispielen des weiteren die Instinkte, die Gewohnheiten und Sitten zugesellen, ja sogar jene Beispiele einer dem Anschein nach periodischen Wiederkehr, die so viele geschichtsphilosophische Systeme hervorgebracht haben.

Die Erkenntnis der regelmäßigen Kombinationen fällt in den Bereich der einzelnen Wissenschaften und – wenn sie erkenntnismäßig nicht feststellbar sind – in den der

– die seit 1894 nahezu in den gesamten Bereich der Physik eingedrungen ist.13

Wahrscheinlichkeitsrechnung. Für unsere Absicht genügt, was wir eingangs gesagt haben: die regelmäßigen Kombinationen, ob zeitlicher oder räumlicher Art, sind im Feld unserer Forschung unregelmäßig verteilt. Geistig gesehen scheinen sie einer Vielzahl formloser Dinge gegenüberzustehen.

Ich glaube, man könnte sie als die »ersten Anleiter« des menschlichen Geistes bewerten, wenn eine derartige Behauptung sich nicht auch sofort umkehren ließe. In jedem Falle stellen sie die Stetigkeit dar.7

Am leichtesten zu begreifen – sehr schwer zu definieren. Die ganze Stelle ist ein jugendlicher und reichlich mißglückter Versuch, die einfachsten Intuitionen zu beschreiben – bei welchen sich manchmal die Welt der Bilder und das System der Begriffe die Hand reichen.

Ein Gedanke bewirkt eine Veränderung oder Verlagerung (beispielsweise der Aufmerksamkeit) unter Elementen, die im Verhältnis zu ihm als fest angenommen werden und die er der Erinnerung oder der augenblicklichen Wahrnehmung entnimmt. Wenn diese Elemente einander völlig gleich sind oder wenn ihr Unterschied sich lediglich auf den Abstand beschränkt, das heißt: auf die schlichte Tatsache, daß sie nicht ineinander übergehen, besteht die Arbeit, die zu leisten ist, nur darin, sie im Bewußtsein auseinanderzuhalten. So wird von allen Linien eine gerade Linie am leichtesten zu begreifen sein, weil es das Denken die allergeringste Mühe kostet, von einem ihrer Punkte zum nächsten zu gehen, insofern jeder dieser Punkte im Verhältnis zu allen anderen gleich gelagert ist. In anderen Worten: alle Teile sind einander derart gleich, wie kurz man sie auch annehmen mag, daß sie allesamt auf einen einzigen, und zwar immer gleichen Teilabschnitt zurückgehen: darum gibt man auch stets den Umfang von Figuren mit geraden Strecken wieder. Auf einer höheren und komplexeren Stufe zieht man zur Darstellung kontinuierlicher Eigenschaften die Periodizität heran, denn diese Periodizität, mag sie nun in Zeit oder Raum statthaben, ist nichts anderes als die Aufspaltung eines gedachten Gegenstandes in Bruchteile, derart, daß diese unter gewissen definierten Bedingungen füreinan der eintreten können – oder daß sich dieser Gegenstand unter den gleichen Bedingungen vervielfachen läßt.

Unterdessen, 1930, ist der Punkt erreicht, wo diese Schwierigkeiten dringend werden. Ich habe im Jahre 94 diesen Zustand sehr im groben umschrieben; inzwischen verzweifeln wir an jeder Erklärung durch Figuren – ja an jeder verstandesmäßigen Erklärung.

– wie Langevin hofft – ich dagegen nicht – (Streitgespräch in der Société de Philosophie, 1929).

Warum läßt sich von allem, was vorhanden ist, nur ein Teil auf solche Weise reduzieren? Ein Augenblick tritt ein, da die Figur so komplex wird, da das Ereignis derart neu erscheint, daß man darauf verzichten muß, sie im Ganzen zu fassen und mit ihrer Übertragung in kontinuierliche Größen fortzufahren. An welchem Punkt haben Männer wie Euklid ihre Untersuchung der Formen abgebrochen? Bis zu welchem Grade war die Stetigkeit der Figur unterbrochen, daß sie nicht weiterkamen? Ein Schlußpunkt der Forschung ist hier erreicht, an dem man unwillkürlich geneigt ist, nach den Evolutionstheorien zu greifen. Man will sich nicht eingestehen, daß diese Grenzschranke endgültig sein könnte.

Insgesamt findet eine Anpassung an die Verschiedenartigkeit, die Vielfalt und Unbeständigkeit der Tatsachen statt.

Eines steht fest: Grundlage aller Spekulationen ist die Erweiterung der Kontinuität durch Metaphern, Abstraktionen und Sprachen. Die Künste bedienen sich ihrer auf eine Weise, von der gleich zu sprechen sein wird.

Wir gelangen dahin, uns die Welt als etwas vorzustellen, was sich hie und da auf intelligible Bestandteile zurückführen läßt. Manchmal reichen dafür unsere Sinne aus, in anderen Fällen wendet man außerordentlich sinnreiche Methoden an, und trotzdem bleiben leere Stellen. Die Versuche bleiben lückenhaft. Hier nun ist das

Das hat sich, dreißig Jahre später– heute – im Jahre 1930 –, seltsam bewahrheitet. Die physikalische Theorie – in ihrer tiefsten und kühnsten Ausprägung – hat unter dem Zwang, auf die Bilder, die visuelle und motorische Ähnlichkeit zu verzichten, nur noch ein Leitprinzip, um ihr ungeheures Gebiet zu umspannen, die Gesetze zu vereinheitlichen und sie vom Ort, vom Zeitpunkt und der Bewegung des Betrachters unabängig zu machen – nämlich die Symmetrie der Formeln.

Reich unseres Helden. Er hat einen stark ausgeprägten Sinn für Symmetrie, der ihm alles zum Problem werden läßt. In jede Verstehenslücke dringt sein erfinderischer Geist ein. Man sieht, wie gut er zu brauchen ist. Er ist gleichsam eine Hypothese der Physik. Man müßte ihn erfinden, aber er ist schon leibhaftig da; jetzt erst kann man sich vom universalen Menschen ein Bild machen. Ein Leonardo da Vinci kann in unseren Geist eingehen, ohne ihn allzu stark zu blenden, und zwar im Namen einer definierbaren Anschauung: das Nachsinnen über seine Schöpferkraft braucht nicht zu rasch im Nebel großer Worte und Beiworte, die der Konsistenz des Denkens so sehr geschadet haben, unterzugehen. Glaubt man etwa, daß er selber sich mit dergleichen Luftspiegelungen begnügt hätte?

Dieser symbolische Geist birgt in sich eine überaus reichhaltige Sammlung von Formen, einen immer klaren Hort von Verhaltensweisen der Natur, eine Bewältigungskraft, die immer auf dem Sprunge ist und die mit der Ausdehnung seines Bereichs wächst. Eine Fülle von Wesen, eine Fülle möglicher Erinnerungen, die Kraft, in Weltweiten eine außerordentlich große Zahl bestimmter Dinge zu erkennen und sie auf tausenderlei Art zusammenzufügen, machen seine Anlage aus. Er ist der Herr der Gesichter, der Anatomien, der Maschinen. Er weiß, woraus er sich ein Lächeln bilden kann; er vermag, es der Front eines Hauses, den Faltungen eines Gartens einzusetzen; er zerzaust und kräuselt die Strähnen der Gewässer, die Zungen der Flammen. In furchtbaren Garben zeichnen sich – wenn seine Hand die Wechselfälle eines Sturmangriffs, den er ersinnt, in Figuren festhält – die Flugbahnen von Tausenden von Geschützkugeln ab, die das Bollwerk von Städten und festen Plätzen, kaum daß er sie in allen Einzelheiten erbaut und bewehrt hat, in Trümmer legen. Als dünkten ihn Wandelbarkeit und Möglichkeit der Dinge im Ruhezustand zu langsam, schwärmt er für die Schlachten, die Stürme, die Sintflut. Er hat sich zur Anschauung ihrer mechanischen Gesamtwirkung erhoben und zum Gefühl der anscheinenden Unabhängigkeit und Lebendigkeit ihrer Bruchteile, als er eine Handvoll Staub aufstieben sah oder wenn er sich in die übersteigerte Vorstellung jedes einzelnen Kämpfers versetzte, in der eine Leidenschaft und ein geheimer Schmerz sich winden.8 Er ist in den »zaghaften und jähen« Körperchen der Kinder; er kennt die Verkümmerungen in den Gebärden der Greise und Frauen, die Vereinfachung des Leichnams. Er besitzt die geheime Kunst, phantastische Wesen zu bilden, deren wirkliches Vorhandensein wahrscheinlich wird und bei denen die Überlegung, die ihre Teile aufeinander abstimmt, so stark ist, daß sie auf Leben und Natürlichkeit des Ganzen schließen läßt. Er schafft einen Christus, einen Engel, ein Ungeheuer, indem er, was bekannt und allenthalben ist, in eine neue Ordnung bringt und sich Illusion und Abstraktion der Malerei zunutze macht, die immer nur eine Qualität der Dinge wiedergibt und mit ihr alle Qualitäten aufruft.

Von den Beschleunigungen oder Verzögerungen, die mit Erdstürzen oder Steinschlägen sinnfällig gemacht werden, von den massiven Wölbungen zum vielfachen Faltenspiel, von den Rauchfahnen, die auf Dächern sprießen, zu fern ragenden Höhen, zu den verschleierten Buchen am Horizont; von den Fischen zu den Vögeln, von den Sonnenfunken des Meeres zu den unzähligen Glimmerplättchen des Birkenlaubs, von den Schuppen zu den Glanzlichtern auf Meeresbuchten, von Ohren und Locken zu den erstarrten Strudeln

Skizzen dieser Art finden sich in Leonardos Handschriften in großer Zahl. Man sieht ihn hieraus der Vorstellung abbilden, was die Photographie unserer Tage sichtbar gemachthat.

der Muscheln reicht sein Weg. Von der Muschel wechselt er über zum eingerollten Kamm der schwankenden Woge, von der blanken Haut kleiner Teiche zu den Adern, die sie zu erwärmen vermöchten, zu elementaren Bewegungen des Kriechens, zu flüssigen Schlangen. Er belebt. Das Wasser um den Schwimmer9 klebt er ihm in Schärpen und Bändern an, die getreu die Muskelarbeit nachbilden. Die Luft verfestigt er in der Kielspur der Lerchen mit kleinen Dunkelschraffierungen, mit einem schaumigen Gequirl von Blasen; es ist die zergehende Hinterlassenschaft dieser luftigen, atmend bewegten Bahnen an die bläulichen Blätter des Raums, die Dichte des unbestimmten Raumkristalls.

Seine Denkleistung erweist sich in alldem jener langsamen Umwandlung des Raumbegriffs zugehörig, dem als Vorstellung nicht mehr eine leere Kammer, ein einhelliges Volumen entspricht, sondern der allmählich zu einem System wird, das von der in ihm enthaltenen Materie und der Zeit unabtrennbar wird.

Er baut alle Bauwerke noch einmal; alle Möglichkeiten, sich die verschiedensten Stoffarten anzueignen, reizen ihn. Er hat seine Lust an der Verteilung der Dinge in den Dimensionen des Raums; an Bogenrundungen, Verstrebungen, gespannten Kuppeln; an Galerien und Zeilenarkaden; an Massen, deren Last sich im Gewölbebogen freischwebend hält; an Widerlagern, an Brücken; am verschieden tiefen Grün der Bäume, das sich in eine Atmosphäre hineinstaffelt, mit der es sich durchtränkt, an der Flugordnung der Zugvögel, deren südwärts gespitzte Dreiecke ein rationelles Schema lebender Geschöpfe sichtbar machen.

Er läßt sich auf alles ein, wagt sich vor und übersetzt in diese universale Sprache klar und deutlich alle seine Empfindungen. Die Fülle seiner metaphorischen Auskünfte gestattet ihm das. Seine Lust an der Unerschöpflichkeit auch des geringfügigsten Bruchstücks, des flüchtigsten Aufstrahlens der Welt versichert ihn aufs neue seiner Kraft, gibt ihm den Zusammenhalt seines Wesens wieder. Seine Freude lebt sich in schmückenden Festdekorationen aus, in reizenden Erfindungen, und wenn er davon träumt, einen fliegenden Menschen zu konstruieren, läßt er ihn in die Lüfte steigen, um Schnee von den Gipfeln der Berge zu holen und im Sommer auf das vor Hitze brodelnde Pflaster der Städte zu streuen. Sein bewegtes Gefühl geht hinüber in die Köstlichkeit reiner Gesichter, die ein Schatten des Schmollens verzieht, in die Gebärde eines Gottes, der stumm ist. Sein Haß kennt alle Waffen, alle Tücken des Ingenieurs, alle feinen Kniffe des Strategen. Er stellt furchtbare Kriegsgeräte auf, die er hinter Bastionen, Laufgängen und vorspringenden Bollwerken verschanzt, er baut in die Zuggräben Schleusen ein, die einer Belagerung im Nu ein anderes Gesicht geben; und mit besonderer Freude denke ich daran – weil dies für die schöne Keckheit der Italiener im 16. Jahrhundert so bezeichnend ist –, daß er Wehrtürme gebaut hat, deren vier Treppenaufgänge unabhängig voneinander um dieselbe Mittelachse geführt waren, so daß die Söldnertruppen und ihre Anführer und die einzelnen Trupps angeheuerter Soldaten getrennt waren.

Er vergöttert den männlich und weiblich gebildeten Körper, der sich an allem mißt. Er hat seine Höhe im Gefühl, und daß eine Rose ihm unter Umständen bis an die Lippen reicht, während eine große Platane ihn mit ihrem aufschießenden Drang um das Zwanzigfache übertrifft und wieder zurückfallend das Laub bis auf seinen Scheitel senkt; und daß er mit seiner strahlenden Form einen möglichen Saal erfüllt, eine gewölbte Höhlung, die daraus hervorgeht, eine natürliche Lichtung, die seine Schritte bemißt. Er beobachtet die abfallende Linie des aufgestellten Fußes, das im Fleisch verschwiegene Skelett, das Zusammenspiel beim Gehen, das ganze Oberflächenspiel von Wärme und Kühle, das hinstreift über die Nacktheit seiner einen Mechanismus umhüllenden Übergänge von Weiß und Bronzebraun. Aber das Gesicht, dieses lichtspendende und lichtempfangende Ding, das sonderbarste unter allen sichtbaren Dingen, das anziehendste, das sich am schwersten anschauen läßt, ohne daß man darin liest, hält ihn gebannt. Im Gedächtnis eines jeden von uns hausen unbestimmt ein paar hundert Gesichter mit ihren Abweichungen. In seinem hingegen waren sie geordnet und folgten einander von Gesicht zu Gesicht; von einer Ironie zur anderen, von einer Weisheit zu einer weniger weisen, von der Güte bis zur Göttlichkeit, nach symmetrischem Gesetz. Um die Augen, diese Festpunkte, die veränderlich strahlen, läßt er mit höchster Aussagekraft die Maske spielen und sich verzerren, deren komplizierte Gliederung und Ineinandergreifen bestimmter Bewegungsorgane die gleichmäßige Haut verdeckt.

Vielleicht entfernt die weitestreichende Inbesitznahme seiner selbst den einzelnen von jeder Besonderheit – es sei denn jener einen Besonderheit, Herr und Mittelpunkt seiner selbst zu sein?

In der Menge der Geister erscheint er wie eine jener regelmäßigen Kombinationen, von denen wir gesprochen haben: Anscheinend braucht er, um verstanden zu werden, sich nicht wie die überwiegende Mehrzahl an eine Nation, eine Überlieferung, eine Gruppe, die sich derselben Kunst befleißigt, anzuschließen. Die Anzahl und der innere Zusammenhang seiner Handlungen machen aus ihm ein symmetrisches Gebilde, etwas wie ein System, das in sich selber vollkommen ist oder was sich unablässig in ein solches verwandelt.

In Anmerkung und Abschweifung wird dieser Gedanke weiter entwickelt.

Er ist danach geschaffen, den modernen Menschen zur Verzweiflung zu bringen; ist dieser doch von Jugend an einer speziellen Richtung hörig, die ihn, wie man meint, zu überlegenen Leistungen führen muß, weil er ganz in ihr befangen ist: Man beruft sich auf die Vielfalt der Methoden, auf die Menge von Einzelheiten, auf die ständige Summierung von Tatsachen und Theorien und bringt es doch nur zu einer Verwechslung des geduldigen Beobachters, des peinlich bemühten Registrators dessen, was ist, des Individuums, das sich nicht ohne Verdienst – wenn das Wort einen Sinn hat! – der exakten Arbeitsweise eines Werkzeugs angleicht, mit dem Menschen, für den diese Arbeit geleistet wird, mit dem Dichter in Hypothesen, dem Baumeister analytischer Materialien. Zum einen paßt die Geduld, die einsinnige Richtung, die Spezialisierung und das Sichzeitnehmen. Der Verzicht auf selbständige Denkleistung macht seine Stärke aus. Der andere hingegen muß quer durch die Trennungsschranken und Scheidewände aus und ein gehen. Seine Aufgabe ist, sie zu durchbrechen. Ich möchte hier auf eine Parallele zwischen der Spezialisierung und jenem schon erwähnten Zustand der Verbohrtheit aufgrund eines fortgesetzten sinnlichen Eindrucks hinweisen. Doch trifft wohl am ehesten das Argument zu, daß jede neue Entdeckung, auf welchem Gebiet auch immer, in neun von zehn Fällen dem Eindringen von Mitteln und Erkenntnissen, die nicht vorgesehen waren, zu danken ist; nachdem wir diese Fortschritte auf die Schöpfung zuerst von Bildern, dann von Sprachformen zurückgeführt haben, kommen wir nicht an dem

Heute würde ich schreiben, daß die Anzahl der möglichen Verwendungen eines Wortes durch den einzelnen von größerer Bedeutung ist als die Anzahl der Wörter, über die er verfügt.14 Vgl. Racine, Victor Hugo.

Schluß vorbei, daß die Menge der Sprachformen, die ein Mensch beherrscht, sich in besonderem Maße auf die Anzahl der Chancen, neue zu finden, auswirkt. Es wäre nicht schwer aufzuzeigen, daß alle jene Geister, die Generationen von Suchern und Wortfechtern den Stoff geliefert haben und deren Hinterlassenschaft das menschliche Meinen, die menschliche Nachredesucht jahrhundertelang gespeist hat, mehr oder minder universal gewesen sind. Die Namen Aristoteles, Descartes, Leibniz, Kant, Diderot sind hierfür ausreichender Beleg.

Diderot wirkt in diesem Zusammenhang befremdend. Vom Philosophen hatte er nur die Leichtfüßigkeit, die man zum Philosophieren braucht und die, nebenbei gesagt, viele Philosophen vermissen lassen.

Damit kommen wir zu den Freuden der Konstruktion. Wir werden versuchen, anhand einiger Beispiele die bisher geäußerten Ansichten zu begründen und im Bereich ihrer Anwendung die Möglichkeit, ja fast die Notwendigkeit eines Zusammenspiels aller Denkformen aufzuzeigen. Ich möchte zeigen, wie mühsam die Einzelergebnisse, die ich flüchtig berühren werde, zu erzielen wären, wenn nicht Begriffe, die einander fernzustehen scheinen, in Menge an ihnen mitbeteiligt wären.

Das Willkürliche als Schöpferdes Notwendigen . . .

Wen nie – sei es auch nur im Traum! – ein Unternehmen gepackt hat, das er mit völliger Freiheit auch wieder fahrenlassen kann, wer sich nie an das Abenteuer einer Konstruktion gewagt hat, die schon abgeschlossen ist, wenn die anderen sie erst beginnen sehen, und wer nicht die das eigene Selbst entflammende Begeisterung einer einzigen Minute gekostet hat, das Gift der Empfängnis, die Skrupel, die Kälte innerer Einwände und jene wechselseitige Ablösung von Gedanken, bei der immer der stärkste und umfassendste auch über die Gewohnheit, ja sogar über die Neuartigkeit siegen muß, wer nicht auf dem blanken Weiß der Seite15 ein Bild geschaut hat, an dem die Möglichkeit und der bedauernde Verzicht auf alle Zeichen, die von der getroffenen Wahl ausgeschlossen blieben, zehrte, und wer nicht im lichten Luftraum ein nichtvorhandenes Bauwerk erblickt hat, wen nicht Schwindel angesichts des Abstandes von einem Ziel ergriffen hat, die bange Sorge um die Mittel zu seiner Verwirklichung, das Gefaßtsein auf Verzögerungen und Enttäuschungen, die Berechnung der fortschreitenden Phasen, die in die Zukunft entworfene Planung, die sogar damit rechnet, was dann nicht in die Überlegung einzutreten hat – der kennt auch nicht, wie immer es sonst um sein Wissen bestellt sein mag, den Reichtum und die Ergiebigkeit und die geistige Spannweite, die der Tatbestand des Konstruierens erhellt. Auch die Götter haben vom menschlichen Geist die Gabe des Schöpferischen empfangen, weil dieser Geist seiner periodisierenden und abstrahierenden Anlage gemäß das Faßbare bis zum Unfaßbaren hin erweitern kann.

Konstruieren spielt sich zwischen einem Vorsatz oder einer eindeutig bestimmten Schau und den zu ihrer Verwirklichung gewählten Materialien ab. Man setzt eine Ordnung an die Stelle einer anderen ursprünglichen, was für Gegenstände man auch ordnen mag. Es sind Steine, Farben, Worte, Begriffe, Menschen usw.; ihre Eigenbeschaffenheit verändert nicht die

Diese Unabhängigkeit ist Voraussetzung der Formsuche. Dagegen geht in ebier anderen Phase der Künstler darauf aus, die Besonderheit, wenn nicht gar die Einzigartigkeit, die er zunächst aus dem Bereich seiner Aufmerksamkeit getilgt hatte, wiedereinzusetzen.

allgemeinen Bedingungen jener Art von Musik, in der sie vorerst – um im Bilde zu bleiben – nur die Rolle der Klangfarbe spielt. Erstaunlich ist oft der Eindruck von Richtigkeit und Zweckdienlichkeit bei menschlichen Konstruktionen, die aus anscheinend unvereinbaren Gegenständen zusammengefügt sind, als hätte der Meister, der die Anordnung vornahm, geheime Wahlverwandtschaften in ihnen entdeckt. Doch über die Maßen sind wir erstaunt, wenn wir darauf kommen, daß der Urheber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle außerstande ist, sich über die eingeschlagenen Wege Rechenschaft zu geben, daß er Inhaber einer Macht ist, deren Antriebs federn ihm unbekannt sind. Er kann niemals im voraus einen Erfolg für sich buchen. Aufgrund welcher Berechnungen lassen sich die Teile eines Gebäudes, die Elemente eines Dramas, die Komponenten eines militärischen Sieges miteinander vergleichen? Welche Reihenfolge verborgener Analysen führt zur Schöpfung eines Werkes?

Der Instinkt ist ein Impuls, dessen Ursache und Ziel im Unendlichen liegen, wenn man einmal annimmt, daß bei dieser Gattung Ursache und Ziel überhaupt eine Rolle spielen.

In solchem Fall ist es üblich, sich um Aufklärung an den Instinkt zu wenden, doch gibt es zunächst einmal für den Instinkt auch heute noch keine rechte Erklärung, und zudem müßte man sich in diesem Falle auf ausgesprochene Sonderinstinkte persönlicher Art beziehen, das heißt auf den widerspruchsvollen Begriff einer »Erbgewohnheit«, die sowenig gewohnheitsmäßig wie erblich ist.

Konstruieren legt, sofern die aufgewendete Mühe zu einem verständlichen Ergebnis führt, den Gedanken an einen gemeinsamen Maßstab der eingesetzten Bestimmungselemente nahe, an ein Element oder ein Prinzip, von welchem schon die bloße Aufnahme ins Bewußtsein bedingt ist und das nur abstrakter oder imaginärer Art sein kann. Ein Ganzes, das aus Veränderungen besteht, ein Bild, ein Gebäude vielzähliger Eigenschaften können wir uns nicht anders denn als gemeinsamen Ort der Modalitäten einer einzigen Materie oder eines einzigen Gesetzes vorstellen, dessen fortlaufender Zusammenhang von uns in dem Augenblick bestätigt wird, da wir dieses Gebäude als ein In-sich-Ganzes, als den abgegrenzten Bereich unserer Untersuchung anerkennen. Hier stoßen wir abermals auf jenes seelische Postulat der Kontinuität, das im Bereich unserer Erkenntnis eine ähnliche Rolle spielt wie das Trägheitsgesetz in der Mechanik. Allein die rein

differentiell wird hier nicht im streng mathematischen Sinne gebraucht. Ich meinte Kombinationen aus identischen Elementen.

abstrakten, rein differentiellen Kombinationen, wie die Zahlenkombinationen der Mathematik, lassen sich aufgrund festgelegter Größen konstruieren; beachten wir, daß sie zu unseren sonstigen möglichen Konstruktionen im selben Verhältnis stehen wie die regelmäßigen Gebilde in der äußeren Welt zu denen, die es nicht sind.

Es gibt in der Kunst ein Wort, das allen ihren Spielarten, allen ihren Launen einen Namen leiht und das mit einem Schlag alle vorgeblichen Schwierigkeiten, die ihr aus dem Gegensatz zur Natur oder aus der Annäherung an sie erwachsen, aus dem Wege räumt, jener Natur, die sich nicht ohne Grund noch nie fassen ließ: es lautet

Ornament als Antwort auf die Leere, als Möglichkeitsausgleich ergänzt gewissermaßen eine Freiheit und hebt sie auf.

Ornament.16 Stellen wir uns doch nacheinan der die geschweiften Strichmuster, die gleichmäßigen Unterteilungen vor, wie sie die ältesten Gegenstände, die wir kennen, überziehen; denken wir an die Umrisse von Vasen und Tempeln; die Vierecke, Schneckenwindungen, Eiformen und Streifen der Antike; die kristallinisch wuchernden Wandflächen der Araber; die Gewölberippen und Symmetrien der Gotik; die Wellen, die Flammen und Blumen auf Lack und Bronze der Japaner; und in jeder dieser Epochen das Eindringen pflanzenhafter, tier- oder menschenähnlicher Bildungen, die Vervollkommnung in der Ähnlichkeit ihrer Wiedergabe: die Malerei, die Plastik. Oder denken wir an die Sprache und ihre ursprüngliche Melodie, an die Trennung des Wortes von der Musik, an ihrer beider Aufschwung, an die Erfindung der Wörter, der Schrift, durch welche erst die Verschränkung von Satzfiguren