Pedro Lenz - Samanta Siegfried - E-Book

Pedro Lenz E-Book

Samanta Siegfried

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Beschreibung

Pedro Lenz von Samanta SiegfriedDer Regen zieht Fäden vom Himmel, als ich im roten Wagen von Pedro Lenz in Richtung Heimat fahre. "Hier, da war früher die Metzgerei, und hier ein Veloladen. Und das, dieses beige komische Haus, direkt an der Straße. Da bin ich aufgewachsen." Schummertal. November. An jenem Ort beginnt auch sein Roman "Der Goalie bin ig". Und tatsächlich fühlt es sich unterwegs mit Pedro Lenz zuweilen an wie in einem seiner Romane. Nicht nur die Schauplätze ähneln sich. Auch die Menschen, die darin vorkommen. Zum Beispiel die Büezer, mit denen er damals auf der Baustelle arbeitete, neuneinhalb Stunden am Tag, durchgefroren bis auf die Knochen, immer in Bewegung, "nicht leer warten Pedro!", immer in Bewegung bleiben. "Wenn heute einer sagt: Schriftsteller, das ist doch keine richtige Arbeit. Dann kann ich das verstehen."Vom Maurer zum Schriftsteller, so wird Lenz heute gerne verkauft. Doch dazwischen liegen Brüche, Prägungen, so manch eine Kehrtwende. Zweifel und Zufälle. Auf jeden Fall ist er einer, der sich in verschiedenen Milieus Zuhause fühlt und mit einer Natürlichkeit auf sein Gegenüber zugeht, die auch mich verblüffte. "Hey Pedro, ich hatte meinen Hund nach dir benannt", haut ihn eine ältere Frau in einer Beiz in Langenthal an. "Er hieß Goalie. Er war ein Guter!"

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Autor.

Maurer.

YB-Fan.

 

Pedro Lenz

von Samanta Siegfried

 

 

 

 

 

 

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

Zum Buch

Pedro Lenz. Autor. Maurer. YB-Fan.

Pedro Lenz ist ein Mann der leisen Geschichten. Ohne Berührungsängste vor verschiedenen Milieus nimmt er sie auf und vermittelt seinen Lesern das Gefühl: Ich bin einer von euch. Doch wozu fühlt er sich selbst zugehörig? Und wie wurde aus Pedro Lenz, dem Halbspanier, Sohn eines Fabrikdirektors, Maurer und Jugendarbeiter, einer der erfolgreichsten Mundartautoren der Schweiz? Eine Reise von Langenthal bis Olten, zwischen Beizen, Bünzlis und Bahnhöfen.

Zur Autorin: Samanta Siegfried

Samanta Siegfried war verblüfft, mit welcher Natürlichkeit Pedro Lenz auf seine Mitmenschen zugeht und sie an seinem Leben teilhaben lässt. Die gebürtige Bernerin lebt in Basel und arbeitet als freie Journalistin für diverse Zeitungen und Magazine.

 

Kapitel 1: Von einem geplatzten Traum und einer neuen Heimat

Eigentlich hatte sich Pedro Lenz das romantischer vorgestellt. Eine richtige »Chnelle« hätte es werden sollen, mit Lyrik und Jazz. Wo man sich trifft, Alt und Jung am selben Tisch, schwere Holztische mit Charakter, zum Jassen, Palavern, zum Rauchen und Saufen. Seinetwegen auch zum Schweigen. Eine Beiz jedenfalls, so richtig zum Versitzen. Seine Beiz.

Das war das Bild, das ihm vorschwebte, als er 2010 das Restaurant Flügelrad in Olten zusammen mit seinen Freunden, dem Journalisten Werner De Schepper und Schriftsteller Alex Capus, übernahm. Und weil es eben gut in dieses Bild passte, quartierte er sich gleich in der Wohnung direkt über der Beiz ein, bescheidene drei Zimmer, eine Küche musste erst noch installiert werden, aber hey, er hatte ja jetzt eine Beiz.

Seinen Schreibtisch stellte er direkt an das Fenster, mit Sicht auf den Bahnhof Olten, die Eisenbahnerstadt, Dreh- und Angelpunkt der Schweiz. So dicht an Gleis 12, dass er es noch rechtzeitig auf den Zug nach Bern schafft, wenn dieser im Lautsprecher angekündigt wird. »Gleis zwölf, Einfahrt des Intercity-Express nach Bern.«

So kann er, der Literat, von oben dem Treiben zuschau­en. Und was kann sich ein Literat Schöneres vorstellen, als jederzeit dem Treiben zuschauen zu können. Besonders einer wie Pedro Lenz, der seine Inspiration aus diesem Treiben zieht. Diesem Knäuel an Menschen, die täglich zur Arbeit fahren, zum Wandern, zur Schule. Den Büezern, den Geschäftigen, den Straßenkehrern. Den Pendlern und den Pensionierten.

Luft hole und öpis us dr Luft usehole

Würde er einen Szenenwechsel brauchen, so seine Vorstellung, müsste er nur die Treppe nach unten stolpern, in die Beiz, seine Beiz, sich eine Zeitung nehmen, eine Zigarette anzünden und einen Kaffee bestellen. Kurz innehalten, lesen, rauchen, Pausenmodus.

Läsen und schnufe

und schnufen und läse

vüu schnufe, vüu läse

Rhythmus und Pouse,

Rhythmus und Pouse,

Rhythmus und Pouse

Jetzt, fast acht Jahre später, sitzt er in der Gaststube des Flügelrads, vor ihm ein Kaffee, Schwarz ohne Zucker, Crème ohne Crème, und sagt: »Eigentlich habe ich mir das hier romantischer vorgestellt.« Und seine Worte verharren noch eine Weile in der Stille des Raumes, in den cremeweißen Wänden, den lackierten Tischen, auf denen die Gastgeberin die roten Servietten für den Abend aufdeckt. Längst hat er sich damit abgefunden, dass diese Beiz für seinen Traum nicht geeignet ist. »Das ist eine Beiz zum Essen. Nicht zum Sein. Punkt.«

Heute ist er froh, dass sich das Restaurant überhaupt rentiert, ja, fast jeden Abend bis auf den letzten Platz besetzt ist. Mit einem Küchenchef und Wirt, der weiß, was gute Gastronomie ausmacht: Währschafte Schweizer Küche, Mittagsmenüs zu fairen Preisen, Suppe oder Salat zum Selberschöpfen, wie damals bei Oma. Nicht zu vergessen die charmanten Zwillingsschwestern, Blondschöpfe mit Pagenschnitt, die mit ihrem Service dafür sorgen, dass so manch ein Besucher heute Stammgast ist. Nein, reinreden will Pedro Lenz auf gar keinen Fall, auch den Kaffi zahlt er wie ein normaler Gast, Trinkgeld inklusive. Nur dass bereits nachmittags für den Abend aufgedeckt wird, darüber ist er bis heute nicht recht hinweggekommen. Doch am Ende hat er es dieser Beiz zu verdanken, dass er überhaupt nach Olten gekommen ist. Und das hat er bis heute nie bereut.

Davor wohnte er fünfzehn Jahre in Bern. An der Wylerstraße, die durch das Nordquartier führt, Breitenrain, Lorraine, jene Gegenden, in denen es vielleicht bis heute noch am ehesten diese Art von Beizen gibt, wie sie Pedro Lenz so gerne mag. Hier nahm auch seine Karriere als Schriftsteller ihren Anfang, und hier wohnen bis heute noch die Menschen, die ihn auf diesem Weg eng begleiteten: der Schriftsteller Beat Sterchi, sein Vorbild, sein Kollege, sein Freund, der ihn ermutigte, nah an seiner eigenen Lebenswelt zu schreiben. Raphael Urweider, das Lyrik-Talent, fast zehn Jahre jünger als Lenz, der später seine beiden Mundartromane ins Hochdeutsche übersetzen sollte. Christian Brantschen, erst Pianist bei »Stop the Shoppers«, später bei Patent Ochsner und Musiker zahlreicher Bühnenprogramme, der für die beiden Romane von Pedro Lenz die Musik komponierte und bis heute mehr als zweihundert Mal mit ihm auf Tournee war. Und Urs Frieden, damals Journalist, der den unerfahrenen Lenz in dem Fußballtreff gegen Rassismus »Halbzeit« hat auftreten lassen, als dieser noch ein No-Name war. »Achtung, seid bitte kurz still, da will einer etwas lesen!«

Nicht zuletzt Franziska. Seine damalige Freundin, mit der er 15 Jahre lang zusammen war. Die er später sogar heiratete. Und die einen erheblichen Teil dazu beigetragen hat, dass Lenz es gewagt hat, Schriftsteller zu werden.

Dann ging die Partnerschaft mit Franziska in die Brüche, und Lenz zog mit seinem Freund Raphael Urweider zusammen. Charaktere, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Urweider fiel der Erfolg früher und leichter zu als Lenz, und während Lenz versuchte seinem jungen Künstlerfreund beizubringen, was es heißt, auch mal zu beißen, einen langen Atem zu haben und nicht immer alles für gegeben zu nehmen, versuchte Urweider, Lenz beizubringen, auch einmal Nein zu sagen, und nicht immer und überall und auch noch umsonst aufzutreten. Und während sie sich gegenseitig kritisierten und mit ihrer Kunst inspirierten, überlegte sich Pedro Lenz, wo sein neues Zuhause sein könnte. Was, wenn er sich in Bern neu einrichtet, sich dann aber in eine Frau aus Bad Zurzach verliebt? Mit diesem und ähnlichen Gedanken verstrich die Zeit, bis er es nach drei Jahren Provisorium satthatte und wusste: Ich muss eine Entscheidung treffen.

Dass er mit Olten liebäugelte, ist für ihn nicht so weit hergeholt, wie es manch einem erscheinen mag. Olten, dieser gefühlte Mittelpunkt der Schweiz, von dem die meisten Leute nur den Bahnhof kennen, vielleicht noch ein Kongresszentrum oder bestenfalls einen der Wanderwege, die irgendwo in den Jura abzweigen, roch für Pedro Lenz schon immer nach Pizza, Mode und Abenteuer.

In Langenthal aufgewachsen, war Olten die größte Großstadt in der Nähe, daher fuhren seine Eltern mit ihm und den zwei Geschwistern an manch einem Wochenende dahin, wo es Dinge zu erleben gab, die den Langenthalern zuhause nicht vorbehalten waren. Die Pizzeria zum Lindenbaum war ein solches Erlebnis. Wenn sie nicht in dem Restaurant Silberkugel auf der Raststätte Deitingen-Süd Burger essen konnten, wollten die Kinder der Familie Lenz immer in die Pizzeria zum Lindenbaum, jenes Lokal am Rande der Oltner Altstadt, in dem man den Pizzaiolo noch beim Teigdrehen zuschauen konnte und das, obwohl von Schweizern geführt, eine südländische Exotik ausstrahlte, wie es zu dieser Zeit noch eine Rarität war. Und wenn der Vater von Pedro Lenz an einem Samstag sagte: »Unsere Kinder müssen eingekleidet werden«, ging man ebenfalls nach Olten. Meistens zu Kleider Frey, einem der erfolgreichsten Textilunternehmen in Wangen bei Olten mit der größten Auswahl an Jeans. »Und einem Schießstand, an dem wir Kinder mit Luftgewehren schießen konnten«, erinnert sich Pedro Lenz. Wahlweise fanden sie ihre Kleidung auch in der EPA, im ABM und im Coop City.

Später, mit 16 Jahren, war es schließlich das Nachtleben, das Pedro Lenz nach Olten zog. Sein Vater warnte ihn noch: »Ihr geht nach Olten? Geht aber bloß nicht in den Hammer!« So wussten Pedro Lenz und seine Jugendfreunde ganz genau, nach was sie Ausschau halten mussten.

Der Hammer, nahe der Station Olten-Hammer, war in den 1960er-Jahren eine der ersten großen Discotheken der Schweiz. Und eine der legendärsten. In dem riesigen Saal traten Pink Floyd bereits auf, als sie kaum einer kannte, auch The Kinks oder Josephine Baker. Aber nicht nur als Konzertlokal, vor allem als Drogenumschlagplatz machte sich der Hammer einen Namen, es wurde gedealt bis zum Abwinken. Der Wirt ließ keine Gelegenheit aus, mit seiner Knarre zu bluffen und zu drohen, notfalls auch Gebrauch von ihr zu machen. Der Hammer, das war damals ein kleiner wilder Westen – mitten in Olten!

Das waren die Erinnerungen, die Pedro Lenz an diese Stadt hatte, als er 2009 einen Anruf von seinem Schriftstellerfreund Alex Capus bekam. Es werde eine Beiz frei in Olten und eine Wohnung obendrein. Ob er nicht Lust hätte? Und auch wenn alles von damals längst verschwunden war, der Kleider Frey, die Pizzeria am Lindenbaum, die EPA, der ABM und auch der Hammer, sagte er ohne Zögern zu. So wurde Olten die neue Heimat von Pedro Lenz.

Kapitel 2: Wie Pedro seine erste Heimat eroberte – und wieder verlor

»Hey Pedro!« –

»Beatrice! Das ist ja lustig!« –

»Jetzt bin ich gerade einmal eine Viertelstunde hier,

und dann läufst du mir über den Weg.«

Es ist ein trüber Novembertag in Schummertal, Schauplatz von Pedro Lenz’ erfolgreichstem Roman »Der Goalie bin ig« und Synonym für seine Heimatstadt Langenthal. Hier hat er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens verbracht und nach einem kurzen Intermezzo in Zürich nochmals vier Jahre. Hier wurde er getauft, und hier teilen sich seine Eltern ein Grab. Jetzt steht er vor dem Haus seiner Kindheit, einem beigen Einfamilienhaus an der Aarwangenstraße, der längsten Straße, die durch den Ort führt, am Anfang des ruhigen Bäregg-Quartiers. Als Pedro klein war, trennte das Haus noch ein kleiner Streifen Grün von dem Troittoir an der Straße. Dann wurde eine Unterführung für Fußgänger gebaut, wie es in den 1970er-Jahren vielerorts üblich war. Als man noch der Meinung war, die Fußgänger müssten unten durch, unter den Autos. Für den Bau musste die Familie Lenz einen Teil ihres Grundstückes opfern, den besagten Streifen Grün zwischen Trottoir und Haus. Später malte man aber doch einen Zebrastreifen über die Straße, und seither benutzt kaum noch jemand die kurze Unterführung und Pedro Lenz denkt, dass man nun das Grundstück eigentlich wieder verbreitern könnte. Und während er diesen Gedanken nachhängt, taucht Beatrice neben ihm auf.

Beatrice ist eine freundliche Frau mit kurzen grauen Haaren und einer randlosen Brille. Die beiden waren Nachbarn, sie ist vier Jahre älter als er. Seit vielen Jahren haben sie keinen Kontakt mehr, sehen sich höchstens mal kurz bei einer Lesung von Pedro Lenz. Jetzt stehen sie da, vor den Häusern ihrer Kindheit, und erinnern sich an früher. »Hier unter der Birke, da haben wir immer Schule gespielt«, sagt Beatrice und deutet auf den Rasen vor ihrem Elternhaus. – »Genau. Und du hast mir beigebracht, wie man als Linkshänder richtig schreibt!« So kam es, dass Pedro Lenz unter einer Birke, auf einem Tisch aus Plastik, Schönschreiben gelernt hat. »Du bist beim Schreiben geblieben, und ich beim Unterrichten«, sagt Beatrice, die heute als Lehrerin arbeitet. Lenz lacht sein bauchiges, rhythmisches Lachen.

Dann beginnt Beatrice zu erzählen. Von ihrem Vater, der vor einem Jahr gestorben ist. Und wie sie als Einzelkind vor der Frage stand, ob das elterliche Haus verkauft werden sollte. Beatrice wollte es behalten. Hier, in dem Garten vor dem Haus, in dieser ruhigen Quartierstraße, hier kann sie sich entspannen, wie sie es sonst nirgends kann.

»Ich habe dem Päpu bis zum Schluss aus deinen Büchern vorgelesen. Er wusste natürlich noch, wer Pedro ist; der Aktive, der als kleiner Junge überall hochgeklettert ist wie ein Affli.« – »Jo, genau. Bei den Schmuckis bin ich immer auf die Birnbäume. So vergeht die Zeit!« Auch Marcel Hofer, erzählt Beatrice weiter, wird das Haus der Eltern behalten. Aber noch lebt Frau Hofer und ist gut in Schuss. Ohne Rollator, nichts. Und Frau Hefermehl, die fährt sogar noch Auto! Auch der Iseli Hans, das war verblüffend, blieb rüstig bis zu seinem Tod.

Vielleicht, denkt Pedro Lenz, während er Beatrice zuhört, hätte er das Haus auch behalten sollen. Als seine Eltern in eine Blockwohnung zogen, weil sie sich um Haus und Garten nicht mehr kümmern konnten, haben sie ihre drei Kinder gefragt: Wollt ihr das Haus? Von seinen Geschwistern hatte niemand Interesse, Pedro Lenz war der Einzige, der sich vorstellen konnte einzuziehen. Aber seine damalige Partnerin wollte das unter keinen Umständen. Vielleicht, denkt er heute, hätte er insistieren sollen. »Es ist nämlich schön, Beatrice, du hast recht! Es ist schön hier.«

Jetzt steht er etwas verloren davor und schaut auf das gepflegte, geputzte Haus mit Lättlihaag. Das einst so fest mit ihm verbunden war und jetzt nicht mehr so recht zu ihm gehören will. Bis zu dem Umzug seiner Eltern bedeutete das Haus für Pedro Lenz eine Sicherheit, der er sich bis dahin gar nicht bewusst war. Egal wo er war, wie weit weg oder wie lange er nicht mehr bei seinen Eltern vorbeigeschaut hatte, er konnte immer dorthin zurückkehren. Bis zum Schluss hatte er einen Schlüssel für das Haus und ein Zimmer, in dem er übernachten konnte. Und er wusste: Auch wenn die Welt zusammenbricht, hier habe ich ein Zuhause. Als er das erste Mal wieder nach Langenthal kam, nachdem seine Eltern umgezogen waren, fühlte es sich für Pedro an, als hätte er ein Stück Heimat verloren.

»So vergeht die Zeit! Mach’s guet Beatrice!« –

»Du o, Pedro!«

Mit den ersten Schritten fängt alles an. Wie die meisten Menschen hat auch Pedro Lenz sie im Elternhaus getan. Danach im Garten, danach im Garten von Beatrice. Dann in die nächste Quartierstraße, erste Runden mit dem Dreirad, Straßenkreide auf Beton. Der Weg in den Kindergarten war schließlich der erste, den der kleine Pedro alleine ging. Vorbei an den Nachbarn, Frau Stengele, Frau Ellenberger, vorbei an den Birnbäumen der Schmuckis. Als er Fahrrad fahren konnte, wurde die Welt, die sich ihm auftat, noch größer, noch weiter.

Aber der einschneidendste Weg, der ihn prägte und ihn ein Stück größer werden ließ, war bezeichnenderweise der ins »Buggeliturnen«. Eigentlich hieß es Haltungsturnen, eine Verordnung des Schularztes wegen seines schnellen Wachstums, damit seine Rückenmuskulatur mithalten konnte. Aber in der Schule sagten alle nur Buggeliturnen. Das erste Mal begleitete ihn sein Vater, doch danach sagte er: »Jetzt weißt du ja, wo es ist, das findest du alleine.«

Pedro war unwohl zumute. Was, wenn er sich verlaufen würde? Das war immerhin ein halbstündiger Fußmarsch. »So hast du gleich zwei Trainings auf einmal«, sagte der Vater nur. »Hinlaufen, Turnen, Zurücklaufen.« Er drückte ihm einen Zettel mit der Adresse in die Hand für den Fall, dass er jemanden nach dem Weg fragen müsste. Dann ging er los. Der Weg war nicht einfach gerade, es mussten einige Straßen überquert werden. Doch mit jedem Schritt, den er ging, und mit jeder Kurve, die er wiedererkannte, wuchs sein Gefühl der Emanzipation, der Selbstständigkeit und als er es schließlich geschafft hatte, war er sich sicher: Ab jetzt steht mir alles offen. Die Welt hat sich mir erschlossen.

»Komme ich heute in eine fremde Stadt, wende ich die genau gleiche Strategie an wie damals als kleiner Bub. Ich erschließe mir zuerst die nahe Umgebung, gehe einmal um den Block. Danach erweitere ich meinen Radius, gehe zum Bäcker und zurück, zum Kiosk und zurück. Finde eine Beiz, die mir gefällt, und erschließe mir damit Stück für Stück eine neue Welt, bis sie zu einem Teil von mir geworden ist.«

Nach diesem Schlüsselmoment wuchs sein Selbstvertrauen kontinuierlich. Sein erstes Geld verkitschte er mit Freunden am Kiosk von Frau Leuenberger – zwei Carambar oder vier Fünfermöcken. Später fragten sie nach einer Schachtel Zigaretten mit dem Kamel drauf – »fürs Mami«. Damit fuhren sie am Mittwoch mit den Velos die Aarwangenstraße hoch bis in den Hardwald. Das war ihr Revier, Pedro kannte es wie seine Hosentasche. Dort haben sie mit Steinschleudern nach Vögeln geschossen, mit Schaufeln eine Motocrossbahn gebaut. Feuer gemacht, geraucht und dabei extra nahe am Feuer gestanden, um den Geruch zu vertuschen. Die restlichen Zigaretten lagerten sie in Einmachgläsern für das nächste Mal, so blieben sie fresh.

Pedro Lenz war ein drahtiger, filigraner Junge, »mager wie nes Natürjoguhrt«, wie er den Jungen von damals in seinem Buch »Liebesgschichte« beschreibt. Er und sein Bruder haben die ersten Rollbretter nach Langenthal gebracht, im Jahre 1977. Das erste Mal ein solches Gefährt gesehen haben sie in Madrid, der Heimatstadt der Mutter. Wieder zuhause, zimmerten sie im Keller aus Brettern und Rollschuh-Rollen ein Skateboard zusammen. Bald darauf kam der Trend auch in die Schweiz, die beiden Brüder investierten ihren Weihnachtswunsch in echte Rollbretter und gründeten den SRL-Club – Skateboard Rollers Langenthal. Der Keller fungierte als Vereinslokal, in dem sie die Routen planten. So sah das aus in Langenthal, damals 1977.

Pedro Lenz brauchte die Bewegung, er hatte Ausdauer, Drive