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Peine – stahlhart und todsicher E-Book

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Beschreibung

Peine in Panik. Der Bürgerkönig stirbt, bevor er gekrönt werden kann. Die Polizei ermittelt mit Hochdruck. Muss das Peiner Freischießen abgesagt werden? Nicht nur dieses alljährliche Ereignis lockt zwielichtige Gestalten nach in die Fuhsestadt. Kleingartenkolonien, der alte Friedhof und der Burgpark werden plötzlich zum Tatort. Wer Peine für eine harmlose Kleinstadt hält, irrt sich gewaltig. Das beweisen die Kurzkrimis der 12 Krimiautoren auf perfide, humorvolle und überraschende Art. Begleiten Sie die Ermittler auf einer rasanten Jagd durch die die Stahlstadt und ihr Umland. Die AutorInnen: Kathrin Bolte, Sabine Brendeke-Gras, Ralf Droese, Marion Eßmann, Sabine Hartmann, Jürgen Hertwig, Nathalie Maasberg, Otto E. Müller, Ulli Schmidt, Petra Schwarz, Sabine Schymosch

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Seitenzahl: 387

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Peine

stahlhart & todsicher

Sabine Hartmann (Hg.)

Impressum:

Hottenstein Buchverlag

An der Höhe 15

D-31079 Sibbesse

Tel. +49 5065 - 1781

Fax +49 5065 - 1824

www.hottenstein.de

[email protected]

ISBN 978-3-935928-65-6

Bearbeitung und Satz: Martin Hartmann und Andreas Hartmann

Umschlaggestaltung: Andreas Hartmann

Titelgrafik: Catrin Knappert

Schauplatz: Krimistube in der Südstadt

Zeitraum: Juni 2015 bis September 2016

Protagonisten: 11 Autorinnen und Autoren

Plots: Morde in und um Peine

Antagonisten: Tippfehler,  Spurensuche, Tatortbegehung, kriminalistisches Fachwissen, Logikfehler, Stilbrüche, noch so viele Ideen ...

Danksagung: für Engagement und Begeisterung, für Unterstützung und Durchhaltevermögen, für Toleranz und Beharrlichkeit

Kathrin Bolte

Sabine Brendeke-Gras

Ralf Droese

Marion Eßmann

Sabine Hartmann

Jürgen Hertwig

Nathalie Maasberg

Otto E. Müller

Ulli Schmidt

Petra Schwarz

Sabine Schymosch

Wer weiß?5

Aktenzeichen 2016/002209556

Man sieht sich immer zweimal7

Der Schuss9

Der Querulant15

Die Freundin16

Vergangenheit17

Doppelter Einsatz19

Fell verfressen21

Finanzbeamtenlächeln23

Tod im Burgpark26

Alles Krimi oder was?30

Mörderische Ostern31

Am seidenen Faden41

Freischießen42

Sprung ins Glück59

Im Jubiläumsjahr60

Notgroschen70

Totsicher79

Himmelfahrtskommando80

Gold unter Limonen84

Leukämie93

Die Skatbrüder94

In der Krimistube97

Püppi muss Pippi105

Ein Vorwort: Freischießen für Nicht-Peiner114

Der König ist tot – es lebe der König116

Steckbriefe der Autorinnen und Autoren124

Wer weiß?

Sabine Brendeke-Gras

Unfall

Unfall vielleicht

Unfall vielleicht zufällig

Unfall vielleicht zufällig passiert

Unfall vielleicht zufällig passiert ohne sie

allein

Selbstmord

Selbstmord vielleicht

Selbstmord vielleicht gewollt

Selbstmord vielleicht gewollt inszeniert

Selbstmord vielleicht gewollt inszeniert von ihr

zum Schein

Mord

Mord vielleicht

Mord vielleicht perfekt

Mord vielleicht perfekt geplant

Mord vielleicht perfekt geplant von uns

wer weiß

Aktenzeichen 2016/00220955

Otto E. Müller

Letzte Woche Donnerstag, so gegen 22.00 Uhr, kam es in einer guten Wohngegend Peines zu familiären Streitigkeiten. Der lautstarke Streit der Hausbewohner, einem Sohn und seiner 65-jährigen Mutter, eskalierte schnell. „Ich bringe dich um, ich bringe dich um“, konnte ein gegenüberliegender Nachbar, der auch die Polizei rief, deutlich hören. Bei der sich anschließenden Schubserei stieß der 40-jährige Sohn seine Mutter die steile Kellertreppe hinunter, wodurch diese beim Sturz kopfüber auf den Kellerboden fiel. Sie erlitt schwere Kopfverletzungen, die von einem Notarzt versorgt wurden und einen stationären Aufenthalt im Klinikum Peine erforderlich machten. Die Polizei leitete gegen den flüchtigen Sohn ein Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung ein.

Am Sonntagvormittag ging der Sohn ins Klinikum, um sich bei seiner dort untergebrachten Mutter zu entschuldigen. Die auf der Station Beschäftigten waren über das gewalttätige Verhalten des Sohnes informiert, deshalb wurde ihm der Zutritt, unter Hinweis auf die Besuchszeitregelung verwehrt.

„Ich muss zu meiner Mutter, es tut mir so leid“, diskutierte er mit dem Personal, bevor er dann doch das Krankenhaus verließ. Um eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung des Sohnes mit seiner Mutter zu verhindern, verlegte man sie vorsorglich in ein Dreibettzimmer der gleichen Station. Die nun anwesenden Patientinnen erschienen als Deeskalationsmaßnahme für einen erneuten Besuch des Sohnes geeignet.

Zur Mittagszeit erschien der Sohn wieder auf dem Gelände des Krankenhauses, hielt sich zunächst einige Zeit im Raucherbereich vor dem Eingang auf und ging auf die Station. Eine Schwester der Frühschicht beschrieb ihm unbedarft den Weg zu seiner Mutter. Einige Zeit später waren von dort ein Streit und laute Stimmen zu hören, dann plötzlich ertönte ein durch Mark und Bein gehender Schrei. Wenige Sekunden danach schleppte sich der Sohn aus dem Zimmer in Richtung Treppenhaus. Die ihm folgende Krankenschwester stellte fest, dass ein Messer in seinem Rücken steckte.

„Oh Gott, das kann doch nicht sein“, rief sie und ihr wurden die Knie weich. Obwohl ein Arzt sofort zur Stelle war, verstarb er an den Folgen der schweren Verletzung. Um die Patientinnen im Zimmer hatte sich in der Aufregung niemand gekümmert. Nach Hinweisen der Mutter, konnte ihre dreißigjährige Bettnachbarin, am Goldfischteich im Patientengarten angetroffen werden. Sie saß dort auf einer Bank und sprach vor sich hin.

„Hallo, was ist passiert“, versuchte der Einsatzleiter der Polizei eine Kontaktaufnahme.

„Er wollte meine Mutter schlagen“, antwortete sie ganz leise.

Ein weiteres Gespräch war nicht möglich, sie sprach mit sich selbst und auch zu den Fischen.

„Er wollte meine Mutter schlagen“, wiederholte sie.

„Kommen Sie, wir bringen Sie zu Ihrer Mutter“, mit diesen Worten führte eine Polizistin sie in Richtung Haupteingang. „Kommen Sie, Ihre Mutter wartet schon.“

„Ich will zu meiner Mutter, ich will zu meiner Mutter“, murmelte sie ständig leise vor sich hin, bis zur Ankunft im Landeskrankenhaus.

Man sieht sich immer zweimal

Sabine Schymosch

Martina Fischer saß auf ihrer Terrasse in der ruhigen Gegend „Kammergärten“. Dort hatte sie den Blick frei auf das Barumer Moor, der Herzberg war nicht weit und sie konnte schnell in der Innenstadt sein oder im Kreismuseum, wo sie sich oft die wunderschönen Ausstellungen ansah.

Sie erfreute sich an ihren Blumen, die in voller Pracht standen, besonders die Rosen zeigten ihre volle Schönheit.

Sie holte sich eine Tasse Kaffee aus der Küche und war jetzt froh, ihre Arbeit getan zu haben. Ihr Sohn Stefan war endlich mit 26 Jahren in eine eigene Wohnung gezogen und so hatte sie sich das „Kinderzimmer“ neu tapezieren lassen, den Fußboden erneuert. Sie hatte sich ein schönes Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Computer, Lesesessel und Leselampe geschaffen. Ein paar schöne Bilder fehlten noch. Sie wollte bis September warten, um sich bei der kommenden Aktion „offene Ateliers“ umzusehen. Vielleicht fand sie dort das passende Bild für ihr Zimmer. Das hatte noch Zeit, für den Moment war sie glücklich und zufrieden mit ihrem Ergebnis.

Als sie genüsslich in den Keks biss, schellte es an ihrer Haustür. Besuch erwartete sie nicht. Sie öffnete und ließ ihre Vermieterin in ihre Wohnung.

„Vielleicht braucht Frau Lampe ein wenig Unterhaltung“, dachte sie sich.“ Wohlwissend, dass Herr Lampe erst kürzlich verstorben war. “Gehen Sie doch auf die Terrasse, ich hole eine Tasse Kaffee für Sie …“

Das Verhältnis zwischen den beiden war angenehm. Die meisten Gespräche wurden in der Vergangenheit jedoch immer mit Herrn Lampe geführt. Schließlich wohnte Martina schon über zehn Jahre in dieser Eigentumswohnung.

„Ich komme heute mit einem besonderen Anliegen zu Ihnen, Frau Fischer … Sie wissen ja, dass mein Mann verstorben ist. Tja, und ich will nicht lange drum herum reden, ich möchte die Wohnung jetzt verkaufen.“

Martina blieb der Keks im Hals stecken und sie wusste im Moment nichts darauf zu erwidern, obwohl sie sonst recht schlagfertig war.

„Und ja, wenn die Wohnung leer wäre, wäre sie besser verkäuflich!“

Martina verschluckte sich und musste hüsteln. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf: Ich? Jetzt hier raus!? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich habe diese Wohnung erst zu einem Schmuckstück gemacht, vor zehn Jahren war die Wohnung recht runtergekommen, das viele Geld, das ich da reingesteckt habe, alles umsonst? Kann sie mir überhaupt kündigen? Habe ich nicht das Recht auch bei einem Vermieterwechsel zu bleiben …?

„Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, wenn ich ein paar Fotos von den einzelnen Räumen mache, oder Frau Fischer? Dann kann ich einem Interessenten schon mal die Fotogalerie zeigen?“

Martina nickte nur. Frau Lampe zückte die Kamera und schoss Fotos von ihrer Wohnung. Sie verabschiedete sich dann recht bald.

„Was soll die Wohnung denn kosten, Frau Lampe?“ schob Martina schnell noch hinterher.

„Ich habe mit 96.000 € kalkuliert“, erwiderte sie und weg war sie.

Martina schwirrte der Kopf. Raus aus der Wohnung?

96.000 € bekomme ich niemals bei meinem kleinen Gehalt als Teilzeitangestellte finanziert … Was mache bloß?

Vollkommen aufgelöst gönnte sie sich erst einmal einen Ramazotti mit Zitrone auf Eis.

Am nächsten Tag hatte sich Martina ein wenig beruhigt, ging mit ihrer Kaffeetasse zu ihrem Computer, um ihre Mails zu checken und um ihrer Freundin Annegret einen Geburtstagsgruß zu schicken. Sie entschied sich für einen bunten Blumenstrauß als e-card und formulierte ihre Glückwünsche.

„Ach, eigentlich kann ich jetzt noch ein wenig rumdaddeln“ und erwischte sich dabei, wie sie die Homepage von Immobilienscout öffnete und nach 3-Zimmer-Wohnungen suchte.

„Ich fasse es nicht!! Frechheit!“, waren ihre ersten Gedanken, als sie auf dem Bildschirm ihr eigenes Schlafzimmer, Badezimmer und Küche sah. „Diese blöde Kuh hat meine Wohnung fotografiert und stellt meine Intimsphäre ins Internet, unglaublich!“

Warum bist du so leichtgläubig gewesen und hast ihr das gestattet?“, mahnte sie sich selbst. “Ich muss jetzt mit jemanden reden“, entschloss sie sich und rief ihren Sohn Stefan an.

„Mutter, am besten gehst du morgen zum Mieterschutzbund oder einem Rechtsanwalt, die haben bestimmt eine Lösung!“, schlug Stefan vor.

„Schöner Urlaub“, sagte sie sich, „ich muss morgen wieder in der Apotheke arbeiten. Ich bekomme bestimmt nicht so schnell einen Termin“, erwiderte Martina und legte auf. Aber die Idee ihres Sohnes empfand sie als gut. Sie beruhigte sich ein wenig und erschrak als das Telefon erneut läutete.

„Ich bin es, Frau Fischer und ich habe schon einen Interessenten für die Wohnung. Wann kann ich vorbei kommen?“, plärrte die Stimme am anderen Ende.

„Finden Sie es fair, meine Wohnung ins Internet zu stellen, ohne mir darüber Bescheid zu geben?“ Martina bemerkte ihre aufkeimende Erregung und hätte Frau Lampe am liebsten durch den Hörer gezogen.

„Das hätten Sie sich doch denken können, wenn ich Fotos von Ihrer Wohnung mache“, antwortete die Vermieterin frech, „also, wann kann ich kommen, geht 14.00 Uhr bei Ihnen?“

Martina beruhigte sich ein wenig und begann zu schmunzeln. Sie dachte sich: „soll sie doch kommen“ und bestätigte Frau Lampe den Termin.

Pünktlich um 14.00 erschien Frau Lampe - allerdings ohne den möglichen Käufer. „Herr Zeisig kommt eine halbe Stunde später“

Martina bat sie ins Wohnzimmer, bot ihr eine Tasse Kaffee an. Frau Lampe nahm das Angebot an.

Martina servierte den Kaffee mit einem Digitalispräparat und stellte die Tasse auf den Tisch. „Kekse habe ich heute nicht“.

„Das macht nichts“, antwortete Frau Lampe „eine Tasse Kaffee um diese Uhrzeit ist genau richtig“.

Einige Minuten später wurde Frau Lampe unruhig, ihr war übel und sie bekam blaue Lippen und verabschiedete sich schnell von Frau Fischer mit dem Hinweis, ihr ginge es schlecht.

„Auf Wiedersehen“, säuselte Martina und „Gute Besserung.“

Martina sah ihr nach, wie sie aus der Wohnung ging „Es ist hoffentlich nichts Ernstes“ und schloss mit einem Lächeln die Tür.

Am übernächsten Tag bekam Martina einen Brief vom Amtsgericht. Herr Lampe hatte ihr in seinem Testament ein Vorkaufsrecht eingeräumt.

Der Schuss

Ralf Droese

Der Schuss dröhnte in seinen Ohren. Karl Matuschek zuckte zusammen. Das hatte er nicht erwartet. Ungläubig starrte er auf die Waffe. Dass der Regen ihn durchnässte, nahm er nicht wahr. Dann wurde ihm übel.

Das Telefon zerrte an seinen Nerven. Kommissar Dieter Sternberg fluchte. Keine Störung, hatte er sich erbeten. Er sah erst von den vor ihm liegenden Akten auf, als sein Mitarbeiter Andreas Merten an die Trennscheibe des Büros klopfte und schulterzuckend auf den Telefonapparat deutete. Sternberg hätte am liebsten das berühmte Tintenfass nach ihm geworfen. Ärgerlich nahm er das Gespräch an.

„Ja, Drebert hier. Im Einsatz. Leblose Person, Gartenkolonie Telgte. Ist wirklich leblos. Sollten Sie sich besser ansehen. Sieht nicht nach Unfall aus.“

„Wissen Sie, dass es regnet? Und was ist mit dem Doktor?“ Der Kommissar warf seinen Stift missmutig auf den Tisch.

„Ist schon verständigt. Hat aber nicht mehr viel Sinn. Glaube ich. Das ist ziemlich sicher eine Schussverletzung.“

„Sch…eibenkleister!“ brummte Sternberg vor sich hin und stand schon in der Tür des Nebenraums.

„Lars, leg dein Frühstück zur Seite, wir wollen Gassi gehen. Andreas, ruf´ die Kriminaltechnik an. Und ehe du mich noch einmal störst, frag´ dich mal, wofür wir die vielen Assistenten bezahlen! Lars, kommst du?“

Die „vielen“ Assistenten bestanden ausschließlich aus der Person Lars Kruse, Anfang 30, seit einigen Monaten in der Dienststelle tätig.

Kurze Zeit später erreichten sie die Kolonie „Friedrichsruh“. Am Haupteingang wartete ein Kollege der Streife auf sie.

„Tag, Drebert. So ein Schietregen. Hätten Sie nicht bei besserem Wetter anrufen können? Oder wenigstens jemand anders?“

„Tag, Chef. Der Anders ist schon lange nicht mehr bei uns, und das Wetter ist doch noch gut für Ende März. Kommen Sie, ich gehe vor.“

Sie hatten ein längeres Stück zu gehen. Am Ende einer Sackgasse bildete der Weg einen kurzen Winkel. Ein Streifenpolizist und der Notarzt erwarteten sie. Auf einem Haufen Grünzeug und Strauchschnitt sahen sie den Toten. Der Arzt bestätigte ihnen den Tod, wahrscheinlich durch die Schusswunde, und bat dann, wieder in den Notdienst zu dürfen.

„Ja, sicher.“ Sternberg reichte ihm die Hand. „Den Bericht dann bitte bald. Den Rest übernimmt hier gleich die KTU. Danke“.

Ein Mann in Gartenkleidung stand etwas abseits.

`Hat sicher den Fund gemeldet`, dachte Sternberg und trat näher an die Leiche. Alter dreißig aufwärts, schätzte er. Einfache Kleidung, schmutzig, Jacke und Hemd blutgetränkt. Er sah sich um. Außer ihren eigenen Spuren nur vom Regen verwaschene Abdrücke, sicher Gartenkarren.

„Ich hab´ auch nichts gesehen“, Kruse trat an ihn heran. „Hat ja aber auch schon drei Tage geregnet. Bin gespannt, was die Jungs noch finden.“ Mit dem Kopf deutete er auf die eintreffenden Kollegen der Kriminaltechnik. „Der Typ dort hat ihn gefunden. Wir können im Gartenlokal mit ihm sprechen. Wie wär´s auch mit ´nem Kaffee? Die Feuchtigkeit von außen reicht mir langsam.“

„So, Herr Gehrmann, jetzt mal für unseren Bericht“ begann Sternberg, als drei Tassen heißen Kaffees auf dem Tisch dampften, „Sie haben den Toten gefunden?“

„Jawoll, Herr Kommissar. Ich dachte, da hat mal wieder einer was auf den Haufen gepackt. Ist nämlich verboten, muss alles zum Sammelplatz gebracht werden. Und dann seh´ ich, dass da eine Jacke zwischen liegt. Sauerei, denke ich, und ziehe dran. Und dann ist der tot. Hab´ gleich angerufen. Und der Doktor sagt, ist ´n Schuss, nicht wahr? ´n Herzkasper deckt sich ja auch nicht zu, nicht wahr?“

„Nein, meistens nicht“. Kruse, der für das Protokoll schrieb, rollte mit den Augen.

Eine weitere Tasse Kaffee später schlossen sie die Befragung ab.

„Tja, Lars, nun auf Entdeckertour zu den Schaulustigen. Du gehst links runter, ich rechts. Und nachher besorgst du bitte noch einen Gartenplan und eine Mitgliederliste“.

Kurz vor Dienstschluss balancierte Andreas Mertens ein Tablett durch die Tür des Konferenzraumes und stellte das „Gedeck“, wie hier im Kommissariat Schäferstraße der Kaffee mit Milch genannt wurde, auf dem Tisch ab.

„So, Leute“, begann Dieter Sternberg und trat an die Pinnwand, „folgendes haben wir bis jetzt“. Er steckte die erste Karte auf der Wand fest. „Unbekannter Täter. Opfer männlich, Mitte dreißig, ca. 1,70 groß, schlank, eher ungepflegt. Schussverletzung, wahrscheinlich tödlich, Zeitpunkt des Todes etwa vor drei Tagen. Näheres erfahren wir morgen früh aus Hannover nach der Obduktion.“

Er wandte sich an seine Kollegen Kruse, Mertens und die hinzugekommene Kommissarin Sabine Schmahlert vom 1. Kommissariat Salzgitter. „Dann weiter im Text.“ Er heftete die nächste Karte an. „Fundort ist wohl nicht Tatort. Hier gibt es kaum Blut. Dafür aber auf dem Hauptweg eine auffällige Stelle. Proben sind schon zur Untersuchung.“ Sternberg nahm die dritte Karte zur Hand. „Zeugen gibt es noch nicht. Der Tote wurde von einem Gartenanlieger, einem Herrn Gehrmann, aufgefunden. Seinen Angaben zufolge ist er heute das erste Mal seit zwei Wochen dort gewesen. Lars und ich haben die anwesenden Schaulustigen befragt, alles Kleingärtner. Gesehen hat niemand etwas. Tja, das ist alles, was wir zurzeit wissen“.

„Gibt es eine passende Vermisstenmeldung?“, hakte Kommissarin Schmahlert nach.

„Nein, es liegt noch nichts vor. Wir machen morgen früh weiter, wenn die Ergebnisse aus Hannover hier sind und der Staatsanwalt sich gemeldet hat. Und bringt Regenjacken mit, wir werden die Laubenpieper noch einmal besuchen müssen.“

Der Freitagmorgen begann mit Sonnenschein, und so war auch die Stimmung gelöst, als das Ermittlungsteam sich wieder dem Fall „Friedrichsruh“ zuwandte.

„So, dann wollen wir mal“, eröffnete Dieter Sternberg die Runde. „Der Tote hat einen Namen. Der Bericht aus Hannover gibt uns folgendes: Bei ihm wurden Geldbörse, Schlüsselbund und ein Handy gefunden. Die Nummer gehört zu einem Sven Lehmann, wohnhaft in Peine, Hagenstraße. Das Gerät war nicht gesperrt. Am Abend des 24. März gibt es einige Kontakte, siehe Liste. Im Portemonnaie nur etwas Kleingeld. Außerdem hatte er kleine Mengen Gras und Speed bei sich, sauber verpackt. Hat er vielleicht gerade gekauft, oder wollte er es selbst verkaufen? Dann mal weiter: Das Opfer wurde mit einer Waffe Kaliber 7/57 getötet. Das Geschoß traf in den Rücken und hat sich an Schulter und Rippenbogen gefangen. Der Tod trat circa zwei Tage vor dem Auffinden ein. Lässt sich wegen der Nachttemperatur und des Regens nicht genauer bestimmen. Aber sehr wahrscheinlich in der Nacht von Montag auf Dienstag.“

„7/57?“, Sabine Schmahlert, die rechtzeitig mit ihrem Kollegen Schulz aus Salzgitter eingetroffen war, sah sich fragend um, „weiß jemand etwas dazu?“

Sternberg sah auf seine Notizen: „Wurde schon vor dem ersten Weltkrieg für alles Mögliche verwendet. Heute hauptsächlich bei Jagdwaffen gebräuchlich.“

„Na, auf Menschenjagd können wir hier bei uns ganz gut verzichten“, warf Lars Kruse ein.

„Vielleicht bist du trotzdem nahe dran. Aber erst mal weiter.“ Sternberg steckte zwei Memokarten mit den neuen Daten an die Pinnwand. „Weiterhin passt das Blut vom Hauptweg zum Opfer. Das bedeutet“, er wies mit dem Finger auf den Lageplan an der Tafel, „dass zwischen Tatort und Fundort zweihundertfünfzig Meter liegen. Wie würdet ihr eine 70-Kilo-Leiche transportieren?“

„70 Kilo trägst du nicht“, kam von Ingo Schulz, „das sind drei Sack Zement. Außerdem ist ein erschlaffter Körper ziemlich unhandlich.“

„Das denke ich auch.“ Sternberg sah wieder auf den Plan der Kolonie. „Entlang der Strecke gab es auch keine weiteren Spuren. Viel Blut ist am Tatort versickert, aber nach Tragen oder Schleifen hätten wir etwas finden müssen. Die Jungs von der Technik sind da schon sehr genau. Ich vermute, wenn es jemand aus Friedrichsruh war, hat er das Opfer einfach auf eine Karre geladen. Oder es waren Fremde. Haben ihn vielleicht zu zweit getragen. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie sie den Abfallhaufen gefunden haben. Das ist dann auch erst mal alles zur Sache. Was meint ihr dazu?“

„Vielleicht Dienst nach Vorschrift?“ Kommissarin Schmahlert zwinkerte den anderen zu. „Da ist die Liste der Kleingärtner und da ist die Wohnadresse in Peine.“

„Gute Wahl, Sabine.“ Dieter Sternberg zwinkerte zurück. „Nimmst du dir mit Ingo die Liste vor? Zuerst die Anlieger um Fundort und möglichen Tatort. Lars, wir sehen uns die Wohnung an, falls der Schlüssel passt. Und fahren dann zum Meldeamt. Sicher sind Angehörige vorhanden.“

„Passt!“ Die Tür sprang auf und Kommissar Sternberg betrat mit seinem Assistenten Kruse die Wohnung.

„Junggeselle“, stöhnte Lars Kruse mit einem Blick auf die Unordnung in Flur und einzigem Zimmer, „und schon ziemlich lange, so wie das hier stinkt.“

Beide sahen sich um. Auf einer Ablage fanden sie einige Scheine Bargeld und einen Personalausweis auf den Namen Sven Lehmann.

„Dieter, die Leute von der Wache meinten, den Lehmann kennen sie. Kleinere Drogensachen. Hat auch schon mal betrunken gepöbelt. Er hat sich zeitweise in Telgte an der Tanke und am Kiosk aufgehalten. Würde ja auch zur Laubenkolonie passen.“

Die beiden Beamten nahmen die kleine Wohnung noch etwas näher in Augenschein, konnten aber nichts Auffälliges entdecken. Sie verschlossen die Tür und fuhren zum Rathaus, um das Einwohnermeldeamt aufzusuchen.

Zur Mittagszeit saß das kleine Ermittlerteam im Gartenlokal Friedrichsruh beisammen.

„Erstaunlich gutes Essen“, lobte Ingo Schulz die Küche. „Wir sollten hier unseren Stützpunkt aufschlagen.“

„Von wegen“, wehrte Sternberg ab, „dann wird mir zu viel gegessen und zu wenig ermittelt. Wie ist es denn bei euch gelaufen?“

Sabine Schmahlert warf einen Blick auf ihre Liste. „Als direkte Anlieger kommen sechs Pächter am Fundort und acht am möglichen Tatort in Frage. Bis auf zwei haben wir mit allen gesprochen. Nur einer war am Montag im Garten, ist aber schon um 18:00 Uhr gegangen. Er hat in der ganzen Kolonie höchstens vier Gärtner bemerkt. Es ist eben kein Gartenwetter. Und wie war´s bei euch?“

„Der Lehmann ist echt“, antwortete Sternberg, „der Schlüssel gehört zur Wohnung, ein Ausweis lautet auf seinen Namen und gemeldet ist er dort auch. Die Mutter ist verstorben, es gibt keine weiteren Angehörigen. Ein Nachbar wäre bereit, ihn zu identifizieren. Da wir schon mal im Rathaus waren, haben wir die Namen der Pächter mit den Waffenscheinbesitzern abgeglichen. Der Fritz ist registriert und der Matuschek vor fünf Jahren gestrichen worden. Unser Lehmann ist auch schon wegen Drogen bei uns auffällig geworden. Wir werden noch die Kioskbrüder besuchen und die letzten Handykontakte abfragen. Dann helfen wir euch bei der Gartenliste. Einen Stützpunkt brauchen wir hier nicht. Aber ich denke, dieses Wochenende lernen wir die Speisekarte wohl noch besser kennen.“

„N´Abend!“ Die beiden Beamten traten auf die kleine Gruppe Männer zu, die sich vor dem Kiosk an der Vöhrumer Straße lautstark unterhielt. „Ich bin Kommissar Sternberg von der Polizei Peine, das hier ist mein Kollege Kruse. Leute, kennt einer von euch den Sven Lehmann?“ Sie zeigten ein vergrößertes Paßfoto herum.

„Was woll´n se´n von dem?“ Ein älterer Mann beugte sich über das Foto.

„Von dem wollen wir gar nichts mehr, der ist tot. Hat ihn jemand am Montagabend vielleicht noch gesehen und weiß irgendetwas? Er war ja noch hier“, klopfte Sternberg auf den Busch.

„Montag? Da hat Braunschweig verlor´n, da war der hier. Und dann iss er weg. Der hatte Stunk mit dem Berliner. Die sind dahinten hin, und dann sagt er, der Berliner is ein Arsch. Und der Berliner brüllt noch, wenn der Sven bestellt, muss er auch Knete haben.“

„Ist das alles?“

„Der Sven sagt noch, er kümmert sich und er ruft an und dann is er weg.“

„Wohin ist er weg?“

„Weiß ich nich. Wisst ihr was? Nee. War ja auch schon zu hier die Bude, und dann sind wir auch weg, nich Bolle?“

„Wer ist denn der Berliner?“

„Weiß keiner. Der heißt Berliner, weil er immer icke sagt. Is auch nich von hier“

„Und wie sieht der aus?“

„Das is so´n Langer, stinkt immer wie ein Parfümladen. Ach ja, und hat ´nen dicken silbernen Ring. Rechts glaube ich, oder Bolle? Kommt immer mit ´nem schwarzen Kombi. Mehr gibt’s da nich.“

„Na gut. Wir kommen noch mal wieder. Tschüss dann.“

„Lars, komm. Wir fahren eben zum Gartentor. Was denkst du über den Berliner?“

„Von dem habe ich noch nichts gehört. Könnte aber passen. Stoff hatte der Lehmann ja bei sich. Wollte vielleicht mehr haben und konnte nicht bezahlen. Der hatte bestimmt vor, sich ´nen Euro dazuzuverdienen.“

Sternberg stellte den Wagen am Nebeneingang der Laubenkolonie ab und stieg aus. „Sieh´ mal, hier ist die ganze Nacht geöffnet, dann ist er hier sicher rein.“

„Wollen wir nicht mal bis zum Tatort gehen?“ Kruse stand schon im Gartenweg.

Einige Parzellen von der Fundstelle der Blutlache entfernt sahen sie das erleuchtete Fenster einer Laube.

„Hat wohl auch kein Zuhause“, brummte Kruse.

„Doch, Lars, und zwar hier. Der Schornstein qualmt, also ist er nicht nur auf einen Sprung hergekommen. Und wenn er sich öfter in seiner Laube verkriecht, war er vielleicht auch am Montagabend hier. Komm, fragen ist gut für die Bildung: kostet nichts und macht auch noch schlau.“

Kruse sah ihn verblüfft an: `Jetzt wird er philosophisch!`, dachte er im Stillen und folgte ihm zum Tor des Gartens.

„Abgeschlossen, Chef. Wollen wir trotzdem rein?“

„Moment noch!“ Sternberg beobachtete, was im Gartenhaus vor sich ging. Eine Person hantierte an einem Schrank und schob ihn dann an die Wand. Er wandte sich wieder an seinen Assistenten. „Vielleicht hat er Angst nach der Tat vom Montag. Lass es uns zuerst mit Rufen versuchen“.

Nach mehreren lauten `Hallos` öffnete jemand die Tür der Laube. Im Schein der Außenlampe sahen sie einen großen, stämmigen Mann.

„Hallo“, rief Sternberg „entschuldigen Sie bitte. Wir sind von der Kriminalpolizei Peine und würden gern mit Ihnen sprechen. Dürfen wir hereinkommen?“

Der Mann leuchtete sie mit einer starken Taschenlampe an.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“

„Kriminalpolizei. Schließen Sie bitte auf?“ Dabei hielt Sternberg seine Polizeimarke in den Lichtkegel.

Die Lampe immer noch auf die beiden Polizisten gerichtet, kam er mit leichtem Hinken auf sie zu. „Man weiß ja nie“ sah er sie fragend an, „Sie sind von der Polizei?“

„Ich bin Kommissar Sternberg und das ist mein Kollege, Herr Kruse“, sie hielten ihre Marken in den Lichtschein. „Wir sahen Licht und hätten einige Fragen an Sie. Dürfen wir einen Moment hereinkommen, Herr … äh?“

„Matuschek, Karl Matuschek. Wenn es sein muss.“ Er öffnete das Tor. „Aber da war heute schon jemand. Kommen Sie“.

Die beiden Kriminalbeamten folgten ihm ins Haus und nahmen an einem kleinen Tisch Platz.

„Herr Matuschek, wir ermitteln im Fall des tot Aufgefundenen. Waren Sie am Montag auch hier im Garten?“

„Das habe ich der Dame alles schon gesagt. Die war auch von der Polizei.“

„Das ist unsere Kollegin Frau Schmahlert, richtig. Aber wir nehmen heute Abend die Kolonie in Augenschein und jetzt können Sie uns ja hier helfen. Also, Montag?“

„Ja, Montag war ich hier“. Karl Matuschek saß so steif auf seinem Stuhl als sollte er eine Prüfung ablegen. „Am Nachmittag, so bis sechs oder sieben Uhr. Dann bin ich zum Essen gefahren.“

„Hat Ihre Frau auf Sie gewartet?“

„Ich wohne allein, da wartet niemand.“

„Was macht man bei der Kälte im Garten?“, wunderte sich Lars Kruse.

„Hier ist immer was zu tun. Aber bei dem Regen hab´ ich nur etwas zusammengefegt und dann ein Bierchen getrunken. Und dann sitze ich immer noch ein wenig. Soll ja keiner denken, dass alles leer steht im Winter. Viermal haben sie dieses Jahr schon in der Kolonie eingebrochen, diese Banditen. Da komm ich lieber mal gucken. Und jetzt auch noch der Tote, war das ein Unfall?“

Im kleinen Kachelofen rumpelte es. Blauer Qualm und beißender Geruch zogen plötzlich durch den Raum.

„Herr Matuschek, was verbrennen Sie denn da?“ Sternberg musste husten.

Kruse stand schon am Ofen und öffnete die Klappe. Blaugrüne Flammen züngelten empor. Mit dem Feuereisen zerrte er einen Packen Textilien aus dem Feuer und warf ihn nach draußen vor die Tür. Matuschek öffnete ein Fenster und wischte sich Schweiß von der Stirn.

„Herr Matuschek“, Sternberg hustete wieder, „das ist ja fürchterlich. Das dürfen Sie nicht, das kann doch giftig sein. Wenn es Baumwolle ist, haben Sie nochmal Glück. Aber Sie bekommen Ärger, wenn das Kunstfasern sind. Geben Sie meinem Kollegen einen Eimer, wir nehmen die Lumpen mit.“

Kurz darauf führten sie die Befragung fort. Sternberg ergriff wieder das Wort.

„Herr Matuschek, Ihren Waffenschein haben Sie schon länger nicht mehr, haben Sie denn noch Waffen?“

Lars Kruse zog fragend die Brauen hoch, erinnerte sich dann aber an den Besuch im Rathaus.

„Waffen?“ Karl Matuschek ließ die Augen kurz durchs Zimmer schweifen, „Waffen hab´ ich nicht, nein. Ein Kleinkaliber hatte ich, aber das ist weg, nein.“

„Eine Frage habe ich noch.“ Sternberg spielte mit dem Stift auf seinem Block. „Ich sah, wie Sie den Schrank an die Wand geschoben haben. Steht der sonst woanders?“

Matuschek drehte sich herum und betrachtete den Schrank mit einer Miene, als müsste er überlegen, was ein Schrank ist und wofür man ihn benötigt.

„Der Schrank“, sagte er langsam, „der – der kommt im Winter von der Wand, schimmelt sonst, muss Luft dran“, und wandte sich zurück.

„Ja, das war´s dann, Herr Matuschek, vielen Dank, wir müssen jetzt gehen. Wir helfen Ihnen noch kurz mit dem Schrank. Komm, Lars, den stellen wir schnell gerade hin, dann braucht Herr Matuschek sich nicht allein abzumühen.“

Sie fassten zu, und mit einigen deutlichen Blicken gab er seinem Kollegen zu verstehen, das Möbelstück etwas vor- und wieder zurückzuschieben.

„So, bleiben Sie ruhig sitzen, wir finden hinaus. Gute Nacht, und verbrennen Sie keinen Müll mehr, das ist wirklich verboten“.

„Mann, Dieter, bin ich froh, dass wir mit deinem Wagen fahren“, grinste Lars seinen Kollegen an, als sie wieder im Auto saßen, „der Eimer stinkt ja erbärmlich. Aber was sollte das ganze Spiel?“

„Eigentlich dachte ich nur, er könnte am Montag etwas bemerkt haben. Aber als er Sabine erwähnte, war er nicht so ärgerlich, wie ich es erwartet hätte, sondern er saß da wie das Kaninchen, das auf den Biss der Schlange wartet. Die Wut über die Einbrecher ließ ihn dann wieder ganz er selbst sein. Und er fragte, ob das ein Unfall war. Fragt man da nicht nach Mord? Außerdem die Lappen im Ofen.

Gut, dass du sie so schnell herausbekommen hast. Bin gespannt, was er da verbrennen wollte. Ja, und bei den Waffen dachte ich, vielleicht hat er noch welche. Außerdem glaube ich, er schwindelt. Deshalb wollte ich hinter den Schrank sehen, aber da ist nichts. Ich weiß also nicht so recht. Er hatte mit Waffen zu tun, er hat eine Stinkwut auf Einbrecher, er will irgendetwas verbergen. Aber das ist alles nicht strafbar.

Jedenfalls haben wir mit dem Berliner und dem Matuschek nun zwei Personen, die wir im Auge behalten sollten. Ich überlege mir etwas bis Morgen. Vielleicht holen wir uns eine Durchsuchung. Übrigens: Wo soll ich dich jetzt eigentlich absetzen?“

Der Samstagmorgen kam wie immer zu früh. Trotzdem war Kommissar Sternberg der Erste im Büro des Polizeikommissariats Peine.

„Hallo Andy“, begrüßte er seinen Mitarbeiter Andreas Mertens, der nicht gerade freudestrahlend in der Tür stand. „Tut mir leid, dir das Wochenende zu versauen, aber heute kommen wir nicht ohne dich aus. Ist Lars schon im Haus? Ach, da bist du ja, Morgen Lars. Siehst aber etwas zerknittert aus.“

„Morgen Chef. Zum Bügeln war keine Zeit mehr.“ Er grinste und rieb sich das unrasierte Kinn. „Hättst mich wohl besser nicht am Zara abgesetzt. Man trifft immer so viele Bekannte. Da kann man eben nicht gleich wieder gehen.“

„Na, in deiner Gleichung ist doch auch immer eine Unbekannte“, stichelte Sternberg.

„War aber unter dem Strich eine Nulllösung. Konnte das Ergebnis auch nicht mehr auf vierzig Prozent anreichern, weil wir heute zu tun haben. Wie sieht´s denn aus, hast du einen Plan?“ Lars Kruse zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu den beiden Kollegen an den Tisch.

Dieter Sternberg schlug seinen Block auf und notierte. „Da ist zum einen der Berliner. Ich habe Sabine gebeten, heute früh in Braunschweig bei der Drogenfahndung anzuklopfen. Wer in Peine scheinbar größere Mengen auf der Straße dealt, kann kein unbeschriebenes Blatt sein. Sie kommt dann später mit dem Schulz zu uns. Zum anderen haben wir da den Matuschek. Andy, für den brauchen wir vom Staatsanwalt eine Durchsuchung. Setz dich bitte gleich mit Hildesheim in Verbindung.

Muss aber für die Wohnung und den Garten ausgeschrieben sein. Der Mann ist mir nicht rund. Vielleicht brennt er Schnaps oder versteckt nur eine Lottomillion, kann aber auch unser Mann sein, wir werden sehen. Andy, wer ist denn heute im Haus?“

„Manne Drebert und seine Leute haben Dienst.“

„Gut, wenn das Fax aus Hildesheim hier ist, möchte ich zwei Leute haben, die Lars und mich begleiten. Wir dekorieren die Pinnwand und gehen dann die Anliegerliste weiter durch.“

Dieter Sternberg und Lars Kruse schrieben noch am Bericht des Vorabends als Andreas Mertens eintrat.

„Das Fax vom Staatsanwalt lässt noch auf sich warten. Aber die Wache hatte eben einen Anruf. Der Wirt der Laubenkolonie in Telgte soll jemanden getroffen haben, der sich seltsam verhalten hat. Er soll irgendetwas über den Mordfall erzählt haben. Wollt ihr die Aufnahme hören?“

„Danke, Andy, nein, gib mir mal die Nummer, ich rufe ihn zurück.“

Kurze Zeit später standen die beiden Kriminalbeamten am Tor der Gartenanlage. Neben ihnen hielt ein Streifenwagen.

„Guten Morgen, Drebert, hallo Herr Behrens, schön dass Sie gleich hier sind.“

„Morgen, Chef, Morgen, Lars. Mit Signal wär´s noch etwas flotter gewesen.“

„Besser nicht, das Licht lockt nur Motten an. Einen Volksauflauf brauchen wir jetzt nicht. Wir sprechen zuerst mit dem Anrufer, dann müssen wir vielleicht eine Person ausfindig machen. Mir nach, Leute, ich folge.“

Der Wirt erwartete sie schon vor der Tür. „Guten Morgen, Herr Kommissar, da ist er lang!“ er deutete hastig auf den Hauptweg.

„Guten Morgen. Keine Hektik. Wir setzen uns drinnen an einen Tisch und Sie erzählen uns in Ruhe, was geschehen ist, ich muss das alles aufschreiben“.

„Ja, also das war so“, begann der Wirt gleich darauf, „ich war um zehn Uhr hier, muss alles aufgeräumt werden, und dann schon die Küche vorbereiten. Ich wische draußen die Tische, da kommt der Matuschek mit seinem Fahrrad angeschoben. War auch besser so, als Stütze, akkerat gehen konnte der nicht mehr. Na, denke ich, hat wohl wieder in der Laube gepennt, geschlafen meine ich.“

„Übernachtet er denn oft hier?“, fragte Sternberg.

„Ja, kommt immer wieder mal vor. Dann schickert er sich einen.“

„Er macht was?“, unterbrach Kruse ihn.

„Na ja, er trinkt einen mehr, als gut ist und dann schläft er auch hier im Garten. Der fühlt sich hier wohl und zuhause ist ja keiner. Jedenfalls sieht er mich und kommt rüber. Ob ich noch ´ne Buddel Klaren hab, fragt er. Mensch Karl, sag ich, du hast doch genug. Wenn du noch was trinkst fällst du um. Ja genau, das war ein Unfall, sagt er da, klar war das ein Unfall, er will jetzt einen Klaren, das war nämlich ein Unfall. Das war mir langsam zu bunt mit seinem Unfall. Geh nach Haus, sag ich, hau dich aufs Ohr, hier gibt´s keinen Unfall. Doch, sagt er wieder, das war ein Unfall. Er wollte ihn nur verjagen. Und dann fing er an zu heulen, sowas kann ich nicht ab, da liefen ihm die Tränen. Dann fing er wieder an mit verjagen, und der bewegt sich nicht mehr, den hat er dann weggebracht, mit der Karre oder Handwagen oder was weiß ich. Ich denk, der hat einen Marder oder so. Haste wieder rumgeballert, sag ich, hast so ´n Aas erwischt. Der hat nämlich ´nen Kleinkaliber, passt immer auf wegen Karnickel und so Zeug. Aber Marder ist ja verboten. Doch, das war ein Unfall, fing er wieder an, ein Unfall. Mensch Karl, sag ich, ich hole uns doch erst mal einen Klaren, er soll sich hinsetzen. Wie ich wiederkomme seh´ ich, ist der schon wieder zu seiner Ponderosa runter. Ist auch besser so, denk ich, soll er sich hinlegen. Na ja, die beiden Klaren hab ich dann gekippt. Und da seh´ ich mittenmal klar: der meint gar nicht den Marder. Vielleicht war der Matuschek in der Nacht mit dem Toten auch hier draußen und hat was gesehen. Und wie Sie doch die Tage hier waren und Berichte geschrieben haben, denk ich: Jetzt rufst du die Polizei an. Der Karl weiß irgendwas und wenn der sprittig ist, macht er vielleicht Blödsinn. Deshalb sag ich ja, der ist da runter gegangen, kann in seiner Laube sein, oder auch zuhause.“

Die Beamten sahen sich an.

„Kommt!“ Sternberg stand auf und wandte sich an die Streifenpolizisten. „Ihr holt eure Westen, Lars und ich gehen vor. Wir bleiben im Hauptweg.“

Sternberg und Kruse hielten sich hinter der Hecke verborgen und versuchten, einen Blick auf das Grundstück zu werfen.

„Das Fahrrad liegt da“, bemerkte Lars Kruse. „Was hatte er eigentlich verbrannt?“

„Kleidungsstücke, sahen auf den ersten Blick auch verschmiert aus. So langsam passt eins zum anderen, Lars.“

Die Polizisten kehrten mit angelegten Schutzwesten zurück. Gemeinsam betraten sie den Garten.

„Herr Matuschek?!“, Sternberg rief noch etwas lauter: „Herr Matuschek, sind Sie da? Hier ist Sternberg, von der Polizei. Kann ich reinkommen?“

„Lassen Sie uns mal, Chef.“ Drebert schob sich vor. „Der hat wohl nur eine Kleinkaliberwaffe, aber die tut mehr weh, als einer vertragen kann.“

„Ach, deshalb seid ihr wohl zu zweit. Aber wenn er der Todesschütze ist, hat er auch ein Kaliber 7/57. Da brauchst du dann eine neue Weste, wenn er nicht sowieso deinen Arsch erwischt. Also keine Experimente, Drebert. Geh´ mit Lars rüber, wir bleiben auf dieser Seite.“

Sternberg ging, durch die Johannisbeersträucher gedeckt, langsam auf das Gartenhaus zu, der zweite Mann dicht hinter ihm. Vorsichtig versuchte er, einen Blick ins Innere zu werfen.

„Chef!“, rief Kruse plötzlich von der anderen Seite herüber, „da hinter dem Zaun im Wald ist jemand!“

Das Grundstück grenzte rückwärtig an den alten jüdischen Friedhof, der mit seinen hohen Bäumen und dem Buschwerk einem Wäldchen glich. An einer Stelle wies der marode Zaun eine Lücke auf. Unter den Zweigen auf der anderen Seite sah Sternberg einen Mann mit einer Schaufel hantieren.

„Herr Matuschek!“, rief er wieder, „Herr Matuschek, warten Sie mal!“

Die Person drehte sich etwas unsicher suchend um. Sternberg stand auf und trat näher an den Zaun.

„Herr Matuschek, ich bin Kommissar Sternberg von der Polizei. Ich komme noch mal wegen gestern Abend. Hatten Sie einen Unfall?“

Der Mann schwankte etwas. „Polizei? Geh´n Sie weg. Das war nur ein Unfall. Geh´n Sie weg!“ Dabei stolperte er weiter in die Friedhofsanlage hinein.

„Alle Mann die Waffen weg!“, rief Sternberg und zwängte sich durch den Zaun.

„Ja, die Waffe!“, keuchte der Betrunkene und blieb stehen, „die Waffe, weg da, ich hab´ die Waffe!“

Die vermeintliche Schaufel erwies sich als stattliches Gewehr, das direkt in seine Richtung zeigte. Sternberg ging am Boden in Deckung.

Plötzlich dröhnte ein Schuss in seinen Ohren. Karl Matuschek zuckte zusammen. Das hatte er nicht erwartet. Ungläubig starrte er auf die Waffe. Dann wurde ihm übel.

„Tja, liebe Gemeinde, Abschlussbericht.“

Kommissar Dieter Sternberg saß vor der Pinnwand im Konferenzraum der Polizeiinspektion in der Schäferstraße. Um den Tisch hatte sich außer seinem Assistenten Lars Kruse die Kommissarin Sabine Schmahlert mit ihrem Kollegen Ingo Schulz, Andreas Mertens und einige Mitarbeiter der Wache versammelt.

„Der Verlauf ist bekannt. Die Vernehmung des Karl Matuschek liegt jetzt auch vor.“

„Wie geht es ihm?“

„Polizeiobermeister Drebert hat ihn mit einem Schuss ins Bein handlungsunfähig gemacht. Dankenswerter Weise das erkrankte Bein, er wird weiterhin hinken können, die Ärzte sind da zuversichtlich. Nach seiner Aussage hat er die Tatnacht in der Laube verbracht. Ziemlich spät machte sich jemand an seiner Tür zu schaffen. Wir wussten ja schon, dass er eine latente Wut auf Einbrecher mit sich herumträgt. Und dann bei ihm! Er hat sich seine alte Schrotflinte geschnappt und wollte dem Strolch einen Denkzettel verpassen. Der lief aber sofort weg, als er sich entdeckt sah. Er war schon draußen auf dem Weg, als Matuschek hinterherschoss. Die Waffe hat einen Zwillingslauf, und statt der Schrotpatrone, die übrigens wie die restlichen, aufgefundenen uralt und kaum noch zündfähig war, hat sich ein Schuss mit dem längst vergessenen Mantelgeschoß im zweiten Lauf gelöst. Das Ergebnis kennt ihr. In Panik hat er das leblose Opfer dann auf eine Karre geladen und zuerst in seinen Garten geschoben. Er muss wohl noch etwas getrunken haben und hat ihn dann, für seine Verhältnisse weit entfernt, unter dem Strauchschnitt versteckt. Danach ist er zwei Tage nicht aus seiner Wohnung gegangen. Erst als er durch Sabine befragt wurde, hat er es wohl mit der Angst bekommen. Er wollte die mit Blut verunreinigte Kleidung verbrennen, und die Waffe irgendwo verstecken. Danach nahmen die Dinge ihren Lauf. Jetzt hat er noch mindestens zwei Wochen Klinik vor sich. Das Weitere liegt beim Staatsanwalt. Im Übrigen lade ich euch heute zum Essen ein. Wo gehen wir hin?“

Der Querulant

Jürgen Hertwig

Im Peiner Stadtteil Vöhrum lebt der pensionierte Oberstudienrat Peter Kasubke. Sein Haus liegt in idyllischer Lage im Hainwaldweg schräg gegenüber von Dorfgemeinschaftshaus und Kindergarten.

Seit fünf Jahren genießt er seinen Ruhestand. Nachbarn beschreiben ihn hinter vorgehaltener Hand als schwierigen Charakter. Immer wieder gibt es Streitigkeiten mit den anderen Eigentümern. Überhängende Äste von Bäumen und Sträuchern aus dem Garten des Nachbarn Manfred Schimke schneidet er einfach ab. Den Grünschnitt wirft er kurzerhand über den Zaun zurück. Nach einer erneut lautstarken Auseinandersetzung droht er bereits Prügel an.

Selbst das Schützenfest, das in unmittelbarer Nähe seines Grundstückes gefeiert wird, sollte verboten werden. Das aufgrund seiner Strafanzeige eingeleitete Verfahren gegen die Schützengilde wies das zuständige Gericht zurück.

Hedwig Kasubke, seine Frau, schüttet ihrer Nachbarin Sylvia Pannek regelmäßig das Herz aus. Sie kann es ihrem Mann im Haushalt nicht Recht machen.

„Seitdem Peter zu Hause ist, erklärt er mir den Haushalt. Er kocht und backt mittlerweile alles selber, damit es ihm auch schmeckt“, schildert die Lehrergattin der Nachbarin.

Sein kleines Anwesen ist natürlich sehr gepflegt. Den Vorgarten und selbst den Grünstreifen an der Straße hält er sauber.

Auffällige Passanten, die sich seiner Meinung nach nicht richtig verhalten, werden regelmäßig zurechtgewiesen.

Jeder Hundehalter gibt Anlass für laute Pöbeleien, die im ganzen Viertel zu hören sind.

Stehen die Tierfreunde doch unter Verdacht, die Hinterlassenschaften der Vierbeiner nicht ordnungsgemäß zu entsorgen.

Besonders aggressiv beschimpft er ständig Constanze Erdmann. Sie geht regelmäßig mit ihrer Havaneserhündin Luzie in den angrenzenden Feldern spazieren. Auf seine Vorhaltungen bekräftigt Frau Erdmann mehrfach, dass sie natürlich die kleinen Häufchen mitnähme.

Nun eskaliert die Situation: Herr Kasubke fühlt sich unverstanden und installiert Verbotsschilder auf seinem Grundstück.

Trotzdem stellt sich keine Besserung ein. Es folgen Anzeigen bei der Polizei. Alle diese Maßnahmen führen jedoch nicht zum Erfolg.

In seiner Verzweiflung und Verärgerung ersinnt der erfahrene Pädagoge die Lösung seines Problems: Im Internet sucht er nach Rezepten für selbstgebackene Hundekekse. In einigen Foren wird von Thunfischcrackern geschwärmt. Hundefreunde berichten dass sich die Fellnasen regelrecht um die leckeren Kekse raufen.

Der erfahrene Hobbybäcker hat alle Zutaten im Hause und fängt sofort mit der Zubereitung an. Der Teig ist schnell geknetet.

„Nun aber zum Abrunden des Geschmacks noch ein paar besondere Leckerlies dazu“, brummt er vor sich hin. Rattengift, kleine Nägel und zerkleinerte Rasierklingen werden vorsichtig in den Teig eingearbeitet.

Da er keine Hundeknochenausstechform hat nimmt er jene für Tannenbäume und Sterne der Weihnachtsbäckerei. Schnell zieht ein leckerer Duft durchs Haus. 20 Minuten und 170 Grad später ist sein Werk fertig.

Mit diabolischer Freude verteilt er im Schutze der folgenden dunklen, mondlosen Nacht die Köder auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Zwei Tage später schaltet der Lehrer, wie jeden Morgen, sein Gerät zum Abhören des Polizeifunks ein. Natürlich hat er mit seiner Beamtenmoral etwas Gewissensbisse; doch wie soll er sonst mitbekommen was in der Siedlung vor sich geht?

„Gitter 1 an Gitter 2“, quäkt es aus dem Lautsprecher. „Sofortiger Einsatz im Kindergarten Löwenzahn am Hainwaldweg. Verdacht auf Vergiftung. Der Notarzt ist bereits unterwegs.“

Schon heult das Martinshorn durch die Siedlung. Herr Kasubke eilt zum Fenster und verbirgt sich hinter seiner Gardine.

Er muss mit ansehen wie gegenüber ein bleiches Mädchen aus dem Kindergarten getragen wird.

Puls- und Blutdruckwerte schnellen nach oben.

Bevor eine gnädige Ohnmacht dem Lehrer das Bewusstsein raubt, erkennt er gerade noch, dass es sich um seine geliebte Enkelin Pia-Charlotte handelt.

Sie hat offenbar auf dem Weg in den Kindergarten von den Keksen genascht.

Die Freundin

Ulli Schmidt

Die Frauen treffen sich etwa vierteljährlich in kleiner Runde. Öfter schaffen sie es nicht. Jede hat familiäre Verpflichtungen:

Ein Ehemann ist Schichtarbeiter, ein anderer will sein Essen immer pünktlich. Und in einer anderen Familie ist ein Kind krank.

Aber eine der Freundinnen hat immer Zeit, weil ihre Eltern nebenan wohnen und sich gern um Kind, Haushalt und Garten kümmern.

Die Frauen teilen viele Gemeinsamkeiten, wie Rad fahren, Kochen, Einkaufen, Erziehung, Kleidung --- natürlich ist die Freundin mit nur einem Kind deutlich schlanker. Sie betont es auch gern: „Huch, ich glaube, ich habe schon wieder abgenommen! Seht doch mal!“

Wenn die Freundin mal eine der Frauen besucht, fällt irgendwann mit Sicherheit der Satz: „Ich habe meinen Haushalt schon fertig. Aber Du mit deinen vielen Kindern!“

Sie lackiert sich lieber täglich die Nägel, statt bei ihrem kranken Kind in der Klinik zu bleiben.

Bei einem der Treffen ist eine der Frauen sehr traurig über das Verhalten ihres Mannes.

Die Freundin sagt dazu: „Dass du dich über deinen Mann beklagst, verstehe ich nicht. Ich verstehe mich sehr gut mit ihm!“

Die Freundin sitzt gern mit schmachtenden Blicken und Gesten, sich aufreizend räkelnd den verheirateten Männern gegenüber.

Die Freundin streckt gern – katzenähnlich – wie zufällig den Herren ihr Hinterteil entgegen.

Die Freundin besucht gern die Männer, deren Frauen aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Hause sein können, z.B. im Krankenhaus sind oder zur Reha.

Eines Tages ist die Freundin verschwunden.

Nach einigen Wochen treffen sich die Frauen wie verabredet, sehen sich an – wissend – und starten zu einer wunderschönen Radtour durch den Landkreis Peine.

Pst ... Wer weiß schon, dass die Pforte des Burggartenbunkers ein kleines, neues Schloss hat.

Vergangenheit

Petra Schwarz

Nun war er da, dieser besondere Tag in Blumenhagen. Beim vergangenen Volksfest wurde es verkündet. Der deutsche Fußballmeister kommt zum Freundschaftsspiel zu Germania Blumenhagen in das kleine Dorf im Peiner Nordkreis.

Schon der Vereinsbus war eine Sensation. Er parkte am Sporthaus, am Stadion Am Kampe. Nur die Kühe auf der Weide schienen völlig unbeeindruckt und grasten gemütlich weiter. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Grün/Weiß soweit das Auge reicht und jeder hatte seine Aufgabe. An diesem Tag wurde der Bäcker zum Kassierer, der Verwaltungsangestellte zum Getränkeverkäufer und die Hebamme stand bei der Freiwilligen Feuerwehr und hoffte, dass nichts passierte. Den schönsten Auftrag hatten die Kinder, die mit den Spielern einlaufen durften. Sie sahen aus, als wenn sie in grüne und weiße Farbtöpfe getaucht wurden. Auch die Haare machten keine Ausnahme.

Rund 2000 Zuschauer freuten sich auf das Spektakel, das nun beginnen sollte. Zu keiner Zeit hatte der Kreisligist eine Chance. Schon zur Halbzeit war das Ergebnis zweistellig für den deutschen Meister. Und sie nahmen das Trainingsspiel auch ernst, denn der Ehrentreffer wurde den Gastgebern verwehrt. Der guten Laune auf dem Sportplatz tat das keinen Abbruch. Die Zuschauer waren sich einig. Ein einmaliger Tag in der Geschichte von Blumenhagen.

Der Trainer des Bundesligisten schaute nach dem Spiel in die Kabine, um zu sehen, wie seine Stars mit den beengten Verhältnissen des Kreisligisten klarkamen. Dann ging er in einen noch kleineren Raum. Diese Kabine war für ihn reserviert. Er wollte, so wie immer nach dem Spiel, sich mit den Jungs auslaufen. Ein wenig Fitness war auch für ihn gut.

Der Trainer öffnete die Tür und was er sah, war unfassbar.

Auf dem kalten Steinfußboden der Umkleide lag sein Außenstürmer André Buschbaum in einer Blutlache. Ein Messer steckte in seiner Brust.

Bei der Polizei in Peine kam grad die Meldung rein. Ein Toter beim Fußballspiel in Blumenhagen. Frank Fischer war 50 Jahre alt, Polizist aus Berufung und privat Fußballer aus Leidenschaft. In seiner Jugend war er top in Form und ein guter Sportler. Auch heute noch, ein attraktiver Mann. Sein Hobby betrieb er nun als Trainer und war jedes Wochenende unterwegs. Auch seine Mannschaft spielte in der Kreisliga Peine und er kannte sich bestens im Amateurfußball in Peine aus. Was für eine Ironie des Schicksals. Erst ließ es der Dienstplan nicht zu, dass er zum Spiel konnte und nun musste er hin.

Mit seinem Kollegen fuhr er zum Tatort, um die ersten Untersuchungen zu machen. Bevor sie noch die Leiche in Augenschein nehmen konnten, trafen sie auf den Trainer, der heute ganz anders wirkte als sonst im Fernsehen. Sie hörten ihn vor sich hinmurmeln: „Das wusste ich doch gleich, das konnte doch nichts werden. MEISTER in BLUMENHAGEN, so´n Kuhkaff, so´ne kleine Kabine!“ Frank Fischer, der den Mann sofort erkannte ging auf ihn zu und sagte: „Sie haben die Leiche gefunden? Tut mir Leid für Sie und Ihren Verein. Was war er denn so für ein Mensch?“

„Ich weiß nicht so recht, was ich jetzt sagen soll. Er war ein begnadeter Fußballer und das wusste er auch. Die anderen konnten sich die Seele aus dem Leib laufen, der Ruhm gehörte ihm. Ein Fußballgott …, dafür hielt er sich wohl. Bei den Pflichtterminen mit den Sponsoren glänzte er auch gern mit Abwesenheit.“

„Ist das überhaupt erlaubt?“, fragte Frank Fischer.

„Nein natürlich nicht“, antworte der Manager. „Die vereinsinterne Strafe zahlte der doch aus der Portokasse“.

Kommissar Fischer dachte sich, mit dem bin ich noch nicht fertig und legte nach: „Ich würde gern einen Blick in ihre Tasche werfen.“

„Was wollen Sie denn darin finden?“, fragte er, bekam keine Antwort und reichte sie ihm. In der Tasche waren Handy, Portemonnaie, Sportsachen, Vitaminpillen,… nichts Auffälliges.

„Wir brauchen auch Ihre Fingerabdrücke, so können wir Sie am schnellsten ausschließen.“

Völlig abwesend nahm der Trainer sich das halbvolle Bier von der Theke, auch wenn er nicht wusste, wem es gehörte.

Die Polizisten gingen in die Kabine, um sich ein Bild vom Tatort zu machen. Der Fundort gehörte den Kollegen von der Spurensicherung, die inzwischen eingetroffen waren.

„Also machen wir weiter mit der Befragung.“ Die beiden Kommissare gingen zurück auf den Sportplatz und suchten sich die Verantwortlichen vom Sportverein. Den Platzwart Maik Leonhart fragten sie, was er denn so gesehen hätte.

„Nichts Auffälliges“, antwortete er. Er selber hatte nochmal danach geschaut, dass sein Rasen in Bestform für die Stars war und ob die Bälle genug Luft hatten. Er hatte hier von allen wohl am meisten zu tun. Merkwürdig fand er nur, dass Germanenfan Hajo Weiß vorn am Sporthaus war, als der „Meisterbus“ ankam. Der stand sonst immer allein, weitab von allen anderen Zuschauern.

Der nächste, der befragt wurde, war der 1. Vorsitzende. Auch er stand unter Schock. „Ich war vorhin direkt am Bus, um alle persönlich zu begrüßen. Dem André Buschbaum habe ich noch die Hand geschüttelt. Ich kann nicht begreifen, was hier passiert ist. Der André ist dann zum Sporthaus gegangen, wurde kurz von Hajo Weiß ins Gespräch verwickelt und verschwand dann in den Kabinengang.“

Schon wieder dieser Name Hajo Weiß dachte Kommissar Fischer, mit dem müssen wir auch reden.

Hajo Weiß war ein Mann Anfang Sechzig. Er war mit einer Einheimischen verheiratet und doch ein Einzelgänger. Bei der Befragung stellte sich heraus, dass Weiß früher als Stützpunkttrainer tätig war. So hatte er auch André Buschbaum kennengelernt und er schilderte ihn als sensibles Kind und wunderte sich, dass aus ihm ein Führungsspieler geworden ist.

Am nächsten Tag war routinemäßig die Durchsuchung von André Buschbaums Wohnung vorgesehen. Frank Fischer wollte gern dabei sein. Als Fußballfan war er schon neugierig, wie der so wohnte und wann bekam man schon mal diese Gelegenheit. Im Schlafzimmer standen mehrere beleuchtete Vitrinen. Jede einzelne war voll mit Pokalen und Auszeichnungen des Spielers. So ein Angeber, dachte Fischer, liegt in seinem Bett und sonnt sich in seinem Ruhm. Auffällig war allerdings zwischen den teuer aussehenden Designermöbeln die alte Kiste. Sie passte so gar nicht hierher und erinnerte ihn an seine eigene, die er im Werkunterricht in der Schule gebaut hatte. Er öffnete sie und fand als erstes Fanbriefe. Er fing an zu lesen und hoffte auf Hinweise. „Vielleicht ein verrückter Fan?“, fragte er sich. Nach einigen Briefen, in denen nichts Interessantes stand, beschloss er den Rest mit auf´s Revier zu nehmen und da weiter zu lesen. Dann waren da noch Babykleidung, Spiele, kaputte Schuhe und Bücher. Eins davon war ein Tagebuch. Er hat doch wohl nicht …  Der Kommissar klappte es auf und es fielen Kinderfotos und eine alte, etwas verblasste Einladung zu einem Fußball-Sommercamp heraus. Er begann zu lesen:

Liebes Tagebuch, ich weiß, dass dieser Satz wie von einem Mädchen klingt, aber egal, liest ja eh keiner.

Kommissar Fischer musste grinsen.