Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Aus 1010 Leben - Clio vom Purpurnen Wasser erinnert sich Der Kampf um die Führung der Endlosen Armada ist im Sommer 428 NGZ längst zugunsten Perry Rhodans entschieden. Und Kazzenkatt, der Lenker des Dekalogs, hat bei seinen Angriffen auf die Endlose Armada und auf verschiedene Chronofossilien, die er zu pervertieren versuchte, nach anfänglichen Erfolgen schwere Niederlagen einstecken müssen. Ja, es kommt sogar dazu, dass zwei der drei Basen des Dekalogs in die Gewalt der Gegenseite geraten. Derartig in seiner Macht geschwächt, ist es dem Element der Lenkung auch nicht möglich, das wichtige Chronofossil Hundertsonnenwelt länger zu halten. Vielmehr muss Kazzenkatt den Planeten wieder den Posbis überlassen. Auf dem Schauplatz Tiefenland jedoch ist zur gleichen Zeit die Situation für die drei Ritter der Tiefe nicht so rosig. Zwar haben Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan verhindern können, dass das Museumsland zum Graugebiet wird, aber eine dauerhafte Rettung ist nur möglich, wenn das Land Mhuthan selbst vom Graueinfluss befreit wird. Dies geschieht, doch die Aktion hat ungeahnte Folgen. Das gesamte Tiefenland gerät in Aufruhr, die Transmitterdome beginnen zu arbeiten, und ganze Völkerschaften werden jäh aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und an unbekannte Orte versetzt. Die Geschehnisse erinnern an ein PSIONISCHES ROULETTE ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nr. 1229
Psionisches Roulette
Aus 1010 Leben – Clio vom Purpurnen Wasser erinnert sich
von Ernst Vlcek
Der Kampf um die Führung der Endlosen Armada ist im Sommer 428 NGZ längst zugunsten Perry Rhodans entschieden. Und Kazzenkatt, der Lenker des Dekalogs, hat bei seinen Angriffen auf die Endlose Armada und auf verschiedene Chronofossilien, die er zu pervertieren versuchte, nach anfänglichen Erfolgen schwere Niederlagen einstecken müssen. Ja, es kommt sogar dazu, dass zwei der drei Basen des Dekalogs in die Gewalt der Gegenseite geraten.
Derartig in seiner Macht geschwächt, ist es dem Element der Lenkung auch nicht möglich, das wichtige Chronofossil Hundertsonnenwelt länger zu halten. Vielmehr muss Kazzenkatt den Planeten wieder den Posbis überlassen.
Auf dem Schauplatz Tiefenland jedoch ist zur gleichen Zeit die Situation für die drei Ritter der Tiefe nicht so rosig. Zwar haben Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan verhindern können, dass das Museumsland zum Graugebiet wird, aber eine dauerhafte Rettung ist nur möglich, wenn das Land Mhuthan selbst vom Graueinfluss befreit wird.
Dies geschieht, doch die Aktion hat ungeahnte Folgen. Das gesamte Tiefenland gerät in Aufruhr, die Transmitterdome beginnen zu arbeiten, und ganze Völkerschaften werden jäh aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und an unbekannte Orte versetzt.
Clio – Die Spielzeugmacherin erinnert sich.
Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan – Die Ritter der Tiefe sollen verurteilt werden.
Twirl und Domo Sokrat – Lethos' und Atlans Orbiter.
Trafala – Clios Schöpfer.
Der Große
»Wir müssen von hier verschwinden«, erklärte Atlan. »Es wird nicht lange dauern, bis die Exterminatoren mit Verstärkung zurückkommen.«
»Sollen sie nur kommen!«, dröhnte sein Orbiter, der Haluter Domo Sokrat, und klatschte die vier Hände zusammen. »Ich bin nämlich gar nicht so sicher, dass ich meine Drangwäsche schon überstanden habe.«
Das Land Mhuthan war von Graueinfluss frei, und auch für den Nachbarbereich Schatzen bestand von dieser Seite im Augenblick keine Gefahr.
Dafür waren die so genannten Exterminatoren aufgetaucht, die auf die Ritter der Tiefe fixiert schienen und auf sie Jagd machten. Die erste Auseinandersetzung hatten die Ritter der Tiefe dank der Spielzeugmacherin Clio zwar für sich entschieden. Ihnen allen war jedoch klar, dass ihnen das Schlimmste noch bevorstand.
»Wir können nicht weg«, begehrte Jen Salik auf. »Nicht jetzt, wo wir wichtige Enthüllungen von Clio zu erwarten haben.«
Er stand der Spielzeugmacherin in erwartungsvoller Haltung gegenüber. Sie starrte mit ihren drei pupillenlosen Augen auf seinen bloßgelegten Zellaktivator, als würde er sie hypnotisieren. Und die Chyline hatte kundgetan, dass sein Anblick uralte Erinnerungen in ihr weckte.
»Es muss sein«, pflichtete Lethos-Terakdschan Atlan bei. »Wir können alle eine Verschnaufpause brauchen, vor allem Clio, die sich total verausgabt hat. Es ist besser, wir ziehen uns weiter vom Transmitterdom zurück und suchen uns ein Versteck.«
Jen Salik gab schließlich nach und verstaute seinen Zellaktivator unter der Halspasse seines TIRUNS. Das löste bei der Spielzeugmacherin eine heftige Reaktion aus, ihren birnenförmigen Körper durchlief ein Zittern, und sie schwankte wie ein Kreisel.
»Meine Erinnerung ... meine frühe Jugend ... wohin ...?«, stammelte sie.
»Wir holen alles nach«, versprach Jen Salik sanft. Durch weiteres gutes Zureden brachte er sie dazu, ihr selbstgebautes Flugaggregat zu benützen und ihm, Atlan und Domo Sokrat zu dem vereinbarten Treffpunkt zu folgen.
Dabei handelte es sich um eine hochaufragende, aber offenbar unfertige Wabenkonstruktion irgendeines Wandervolkes in etwa 30 Kilometer Entfernung. Lethos-Terakdschan ließ sich von seinem Orbiter Twirl dorthin zu teleportieren.
Kaum am Zielort angekommen, erklärte der junge Abaker:
»Hier gibt es eine Quelle der Kraft – ist ja toll! Soll ich was für dich tun, Tengri?«
»Beim Vagenda, nein!«, rief Lethos-Terakdschan entsetzt aus. »Eine Völkerwanderung reicht!«
Twirl war sichtlich eingeschnappt, und Lethos traute ihm zu, dass er ihm aus Trotz einen Streich spielen könnte. Als die anderen eintrafen, schlug er daher einen neuerlichen Standortwechsel vor.
Der nächste Rastplatz entpuppte sich aber als ebenso ungeeignet.
Das ganze Gebiet war bereits von pygmäenhaften, vierarmigen Humanoiden okkupiert, die es von irgendwo aus dem Tiefenland ins Transmittergebiet von Mhuthan verschlagen hatte. Um Lethos und Twirl kümmerten sie sich nicht. Als jedoch Clio eintraf, gerieten sie vor Aufregung völlig außer sich.
»Eine Chyline!«, riefen sie. »Eine Spielzeugmacherin!«
»Sie schickt der Große Spender!«
»Es ist nicht irgendeine Chyline. Seht! Seht!«
»Es ist Clio vom Purpurnen Wasser!«
Sie scharten sich zusammen und setzten zu einem Sturmlauf an. Aus dem lauten Durcheinander von Stimmen kristallisierte sich allmählich ein Sprechchor heraus.
»Spielzeugmacherin, Spielzeugmacherin, hilf uns aus der Not!«
Der Ruf hatte auf Clio eine geradezu magische Wirkung. Wieder erschauerte ihr Birnenkörper, und sie sagte mit ihrer tiefen, vibrierenden Stimme:
»Schau an, Emsch-Dirlusker aus Vanhirdekin. Wie hilflos und verloren sie in diesem fremden Land sind. Sie brauchen dringend meine Hilfe. Doch ich bin zu erschöpft, um sie ihnen gewähren zu können. Ich muss erst eine Weile ausruhen, bevor ich Überlebenshilfe leisten kann.«
Das fanden auch Lethos und Atlan, darum entschlossen sie sich, ihren Standort zum dritten Mal zu wechseln. Diesmal wählten sie eine Ruine zu ihrem Ziel.
Als Lethos mit Twirl dort rematerialisierte, erkannte er, dass es sich um eine zerstörte Eugen-Station handelte. Offenbar hatten irgendwelche Wesen ihren Unmut über die Völkerwanderung an der Tiziden-Station ausgelassen. Aber die unbekannten Vandalen waren weitergezogen, und in weitem Umkreis war kein Lebewesen zu sehen. Es war ein außergewöhnlich ruhiger Ort, fast zu ruhig für diese turbulente Zeit, fand Lethos.
»Niemand da«, stellte Twirl enttäuscht fest und ließ die Ohren hängen. »Wenn ich wenigstens auf jemanden meinesgleichen treffen würde.«
»Die anderen werden bald eintreffen«, sagte Lethos schnell, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Bei sich fragte er, und schirmte diese Gedanken vor dem jungen Abaker ab, ob dessen Artgenossen alle vom Fiktivtransmitter erfasst und in die Fremde abgestrahlt worden waren. Laut fügte er hinzu: »Und wenn Clio sich erst erholt hat, kannst du dir von ihr ein passendes Spielzeug wünschen.«
»Was fändest du als passendes Spielzeug für den Orbiter eines Ritters der Tiefe?«, erkundigte sich Twirl schalkhaft.
Der Hathor lachte herzlich. Es war ein befreiendes Lachen, denn Twirls Schlagfertigkeit zeigte immerhin, dass er frei von Schuldkomplexen wegen der von ihm verursachten Völkerwanderung war.
Lethos' Lachen animierte den Jungen dazu, Grimassen zu schneiden und einige Saltos vorwärts und wieder zurück zu schlagen. Gerade als die anderen angeflogen kamen, verschlang er sechs seiner Gliedmaßen zu einem wahrhaft gordischen Knoten und klatschte dazu mit seinem hinteren, verkümmerten Beinpaar.
»Ich hatte schon besseres Publikum«, sagte er verdrossen, als er merkte, dass seine Darbietungen niemand so recht begeisterten. Trotzig fügte er hinzu: »Aber ich kann mir auch eine Quelle der Kraft suchen und mir aufmerksamere Zuschauer besorgen ...«
»Hiergeblieben«, befahl Lethos ihm. »Alles zu seiner Zeit. Oder du wirst es hautnah erleben, wie ein Ritter seinem Orbiter das Hinterteil versohlt.«
»Da müsstest du mich zuerst einmal kriegen!«
»Schluss jetzt!«
Twirl verstand.
Meinetwegen, sagte er in Gedanken. Aber ich wünschte mir, dass auch mal Zeit fürs Vergnügen bleibt.
*
Es war schon eine recht ungewöhnliche Situation, aber Jen Salik empfand sie offenbar gar nicht als ungemütlich oder, was durchaus legitim gewesen wäre, peinlich.
Der zurückhaltende Terraner, dem man äußerlich gar nicht ansah, was ihn zu einem Ritter der Tiefe befähigte, ließ es zu, dass Clio seinen Zellaktivator unter seinem TIRUN hervorholte. Sie hatte zu diesem Zweck zwei Arme mit schlanken, feinnervigen Händen gebildet, es waren menschliche Hände, denen man höchste Sensibilität anmerkte. Damit hielt sie das eiförmige Gerät, das Salik an einer Metallkette trug, behutsam wie ein rohes Ei.
»Er ist schön«, sagte sie mit ihrer sinnlichen Stimme, die ihr ungewohntes Aussehen vergessen ließ, »fast so schön wie ich. Er erinnert mich überaus stark an eines der ersten Spielzeuge, das man von mir verlangte. Aber nein, es handelte sich nicht um ein Spielzeug, sondern um ein Gerät von ungeheurer Wichtigkeit. Ja, ein bedeutungsvolles, lebensnotweniges Gerät. Damals, in einer weit zurückliegenden Jugend, verlangte man von uns Chylinen nicht nur solchen Kinderkram wie heute. Wir gaben echte Lebenshilfe. Die Emsch-Dirlusker haben sich daran erinnert ...«
Clios Stimme wurde leiser, bis sie verstummte. Atlan nutzte diese Pause, um zu fragen:
»Und hast du damals, in einer weit zurückliegenden Jugend, solche Unsterblichkeit verleihenden Zellaktivatoren erschaffen?«
Atlan blickte zu Jen Salik, der neben der Dreieinhalbmeterriesin noch unscheinbarer wirkte, und beide sahen sie zu Lethos-Terakdschan. Sie dachten alle drei an ein und dasselbe.
Die 25 Zellaktivatoren, die ES in der Milchstraße verstreut hatte, waren zwar von ES selbst erschaffen worden, aber es gab zwei Zellaktivatoren, die ES von den Kosmokraten erhalten hatte – und zwar jene beiden, für die schließlich Atlan und Perry Rhodan als Träger auserkoren worden waren, die quasi für die bestimmt gewesen waren. Von wem hatten die Kosmokraten diese beiden Spezialanfertigungen? Von den Chylinen?
Die Frage drängte sich förmlich auf, aber als Clio nach kurzem Zögern wieder sprach, blieb sie die Antwort darauf schuldig.
»So lange liegt das gar nicht zurück«, meinte sie versonnen, ohne ihre Blicke von Saliks Aktivator zu nehmen. »Es war erst vor kurzem, kurz vor der einsetzenden Völkerwanderung, dass ein Bittsteller kam und mich um ein Hilfsmittel gegen den Graueinfluss bat. Es ehrte mich ungemein, dass jemand etwas Sinnvolles von mir verlangte. Also ging ich in mich – und erschuf einen solchen miniaturenen Vitalenergiespeicher. Ein genaues Duplikat von diesem hier.«
»Erkennst du den Zellaktivator als ein Produkt von dir?«, erkundigte sich Jen Salik. »Hast du mehrere von dieser Größe erschaffen?«
»Zuletzt nur den einen, von dem ich erzählte«, sagte Clio mit entrückter Stimme. Ihre drei Mandelaugen schienen den Zellaktivator durchdringen und in sein Innerstes blicken zu wollen. Etwas wie eine Zunge erschien in ihrem geradezu menschlichen Mund und strich über die vollen, wie mit blutrotem Lippenstift bemalten Lippen.
»Und früher?«, fragte Salik. »Was war früher? Du wolltest dich erinnern, bevor wir nach hier aufbrachen.«
»Nicht dass ich wollte, ich konnte nicht anders«, sagte Clio wieder mit deutlicherer Stimme, aber ihre Augen schienen immer noch in die Tiefe des Zellaktivators zu blicken. »Genauso erging es mir mit dem Bittsteller. Aber bevor mich damals die Erinnerung überkommen konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Ich bin sehr alt, müsst ihr wissen, so alt, dass mein Gedächtnis nur noch sehr lückenhaft arbeitet. Ja, man sieht es mir nicht an, weil ich eine Chyline von jugendlicher Schönheit bin, aber meine letzte Jugend liegt schon sehr weit zurück. Aber plötzlich kann ich mich wieder daran erinnern, so, als sei alles erst gestern gewesen und nicht vor ein paar tausend Tiefenjahren.
Ich könnte direkt neidisch auf mich selbst werden, wenn ich sehe, wie vital ich damals war, voll jugendlicher Frische, unbeschwert, voller Elan. Aber das kommt wieder, ich bin zwar eine alte Dame, aber ich stehe knapp vor meiner nächsten Jugend ...«
»Denke nicht an das Kommende, Clio«, flüsterte Salik ihr ein. »Du sollst zurückdenken, weit zurück, in eine Zeit, in der du das Vagenda kanntest und die Völkerwanderungen verstandest. Der Zellaktivator hilft dir dabei.«
»Ja ...« Es klang wie ein befreiender Seufzer. »Es ist wahr. Ich kann den umgekehrten Weg gehen und von einer Jugend in die nächstfernere und von dort in eine noch weiter zurückliegende Jugend springen. Und ich gehe noch weiter zurück ... es ist, als vollziehe ich tausendundzehn Leben nach, das Alter ist keine Barriere mehr, die Schranke des Vergessens, die der Alterungsprozess mit sich bringt, ist durchbrochen ... Ich eile, ich fliege zurück ... Aber so weit ich die Kette meiner vielen Leben auch zurückwandere, das Vagenda bleibt immer in weite Ferne gerückt, und das Verständnis für die Völkerwanderungen, zum Greifen nahe, ist unerreichbar.
Es scheint fast, als hätte ich schon immer im bunten Land Vanhirdekin gelebt. Auf dieser Insel der Seligen, wohin nie der Graueinfluss gelangte, wo man unbeschwert in den Tag hineinleben konnte, ohne sich um das Morgen zu kümmern. In diesem Land der Regenbogen und der Spiegelseen, wo nie Bedarf an Wichtigem bestand, sondern nur Nonsens verlangt wurde. Clio, mach dies oder das, aber egal was, es hat was Unsinniges zu sein, Kinderkram für harmlose Gemüter. Hier ein Zeitkreisel, der die Tiefenjahre misst, da eine Wünschelrute, die essbare Pflanzen anzeigt.
Clio, bau mir einen Handschutz, damit ich die Beeren auch pflücken kann. Aber gewiss doch, mein Kleines! Vielleicht auch ein Gezeitensegler gefällig, der ein Schweben am Nullpunkt der Tiefenkonstante erlaubt, oder eine unsinkbare Paddelboje? Darf's auch praktisches Spielzeug sein? Ein Schuh-Nasen-Rüssel-Nagel-Kamin- oder Kufenputzer? Oder gar ein Wind-Höhen-Temperatur-Gefühls-Licht- oder Luftdruckmesser?
Alles Tand, Kinderkram. Nichts darunter, was in der Tiefe wirklich nützlich wäre. Es ist ein geruhsames Leben in Vanhirdekin, aber ohne Sinn.
Es ist das Zeitalter des langen Wartens, des nutzlosen Ausharrens, die Zeit des Hoffens auf das Einlösen des Versprechens, das Vagenda gab: Wenn ihr für die Große Rekonstruktion gebraucht werdet, dann ergeht der Ruf an euch, Chylinen!
Aber der Ruf ergeht nicht, und zurück bleibt nur die vage Erinnerung an die Große Rekonstruktion; sie wird immer vager, bis nur noch das nackte Wort ohne jegliche Bedeutung steht: Große Rekonstruktion – was ist das?
Früher, bevor die Chylinen nach Vanhirdekin abgeschoben worden waren, da hatte dieser Begriff Gewicht.
DIE GROSSE REKONSTRUKTION stand für ... Ja, für was denn?
Geh weiter zurück, Clio, in jene Zeit, die vor den Tausendundzehn Leben des Zeitalters des Wartens war, als das Volk der Chylinen noch nicht zur Bedeutungslosigkeit von Spielzeugmachern herabgesunken war.
Denk zurück, Clio, erinnere dich an deine Zeit im Vagenda. Damals genügte es nicht, nur schön und hilfsbereit zu sein, es ging ... es wurde ...
Die Große Rekonstruktion war gefährdet!
Und die Chylinen wurden als Retter eingesetzt.
Genau so war es. Ich hab's! Ich erinnere mich wieder lückenlos. Es ist, als sei ich in diese Zeit zurückgekehrt, die noch weit vor den Völkerwanderungen und dem Erlass der Tiefengesetze liegt. Es begann bald nachdem die Alai in Starsen das Rätsel des Tiefeneinflusses gelöst hatten und das Vagenda erschaffen wurde.
Bald darauf schlug die Geburtsstunde der Chylinen, und ich war die erste.
Überwältigend ... Was für ein Gefühl! Die Erinnerung durchflutet mich. Die Erinnerung tut weh – aber sie macht auch schön ...«
Jen Salik sagte mit rauer Stimme: »Ja, Clio, ich erkenne deine Schönheit.«
Aber die Spielzeugmacherin, deren Ausstrahlung nur auf den schmächtigen Terraner zu wirken schien, an dessen Zellaktivator sie sich fast liebevoll klammerte, hörte seine Worte bestimmt nicht mehr.
Sie war in eine seltsame Starre verfallen, wirkte wie versteinert. Nur noch ihre Hände schienen zu leben, die Saliks Zellaktivator kosten.
Ich war von einem Augenblick zum anderen da. Und ich war mir meiner Existenz vollauf bewusst, obwohl sonst eine eigentümliche Leere in meinem Geist herrschte. Aber ich konnte denken, jeder geformte Gedanke erhielt sofort seinen Platz in meinem Bewusstsein und blieb dort verankert. Mein so gewonnener Erfahrungsschatz wuchs rasch.
Der Lernprozess wurde mir dadurch erleichtert, dass alles, was auf mich einströmte, von mir sofort verstanden wurde. Ich hatte das Gefühl, dass in mir großes Wissen gespeichert war und dieses durch äußere Einwirkungen geweckt, abberufen wurde.
Die Summe dieses praktischen Wissens nannte ich mein ICH, und ich ging daran, es kennenzulernen.
In mir war aber noch etwas anderes, ein weiterer Wissenspool, dessen Vorhandensein ich spürte, der für mich aber nicht zu fassen war. Damit will ich sagen, dass die Umwelteinflüsse dieses andere Wissen nicht aktivieren konnten. Es schien keinen praktischen Nutzen zu haben, denn es ließ sich von mir nicht abberufen und nicht bewusst einsetzen. Und obwohl es dominant war, mich auf eine eigene Art völlig beherrschte, war es mir gleichzeitig auch fremd.
Darum nannte ich dieses unbewusste Wissen mein DU.
Mein erster Eindruck, und daran erinnere ich mich genau, war der eines Geschöpfes, das mich aus drei Sehorganen anzustarren schien, wenn ich es betrachtete. Wanderten meine Augen über seinen Körper, so tat dieses Geschöpf es mir gleich. Es betrachtete mich ebenso unverschämt und neugierig wie ich es tat.
Es hatte einen rundlichen Unterkörper, der doppelt so hoch war wie der vergleichsweise schmale und sich nach oben verjüngende Oberkörper. Im Übergangsbereich zwischen Ober- und Unterkörper saßen drei übereinanderliegende Sehorgane von ellipsoider Form. Darunter befand sich das Sprechorgan. Zu der Farbe dieses doppelwulstigen Sprechschlitzes fiel mir der Begriff »rot« ein: ein roter Mund.