Perry Rhodan 126: Lockruf aus M 3 (Silberband) - Kurt Mahr - E-Book

Perry Rhodan 126: Lockruf aus M 3 (Silberband) E-Book

Kurt Mahr

0,0

Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 425 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Perry Rhodan und die Menschheit sind tief in Auseinandersetzungen kosmischen Ausmaßes verstrickt. Eine fremde Macht namens Seth-Apophis bedroht die Milchstraße. Um den Angriff abwehren zu können, hofft Rhodan auf die Unterstützung eines einstmals mächtigen Volkes. Seine Angehörigen haben sich vor sehr langer Zeit in den Kugelsternhaufen M 3 zurückgezogen.   Unter großen Schwierigkeiten erreicht er sein Ziel - und trifft auf die letzten Porleyter, die einstmals die Vorläufer der Ritter der Tiefe waren. Die Zeit im Exil scheint die Überlebenden verändert zu haben. Perry Rhodan wollte Freunde finden, aber er wird mit Gegnern konfrontiert, die eine Aura des Schreckens verbreiten ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 629

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nr. 126

SB 126 – Lockruf aus M 3

Wir schreiben das Jahr 425 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Perry Rhodan und die Menschheit sind tief in Auseinandersetzungen kosmischen Ausmaßes verstrickt. Eine fremde Macht namens Seth-Apophis bedroht die Milchstraße. Um den Angriff abwehren zu können, hofft Rhodan auf die Unterstützung eines einstmals mächtigen Volkes. Seine Angehörigen haben sich vor sehr langer Zeit in den Kugelsternhaufen M 3 zurückgezogen.

Unter großen Schwierigkeiten erreicht er sein Ziel – und trifft auf die letzten Porleyter, die einstmals die Vorläufer der Ritter der Tiefe waren. Die Zeit im Exil scheint die Überlebenden verändert zu haben. Perry Rhodan wollte Freunde finden, aber er wird mit Gegnern konfrontiert, die eine Aura des Schreckens verbreiten ...

1.

Sie stand an der Glassitscheibe und starrte hinaus in die düstere Landschaft, die sich in einen Sumpf verwandelt hatte. Nach einer Stunde Dauerregen ertranken die seltsam geformten Felsen im flüssigen Ammoniak. Der Orkan peitschte tief hängende Wolkenbänke vor sich her. Hin und wieder aufreißende Lücken erlaubten einen kurzen Blick auf die fahle rote Sonne; jeweils für wenige Sekunden herrschte dann ein gespenstisches Zwielicht.

Blitze wühlten die ohnehin tobende Atmosphäre weiter auf. Ein Gewitter auf EMschen war, als reiße die Hölle auf, um alles zu verschlingen.

Nikki Frickel schauderte bei dem Gedanken daran, dass diese Hölle kein Fegefeuer kannte – über dem Sumpf herrschten extreme Minustemperaturen, aber im Innern der Kuppel war es einigermaßen warm. Nikki hatte sogar den Helm ihrer Schutzmontur geöffnet und zurückgeklappt.

Der provisorische Arbeitsraum durchmaß acht Meter, zwei hohe Röhrengänge mündeten ein. Wände und Boden der Kuppel waren bislang kahl, die Roboter hatten erst angefangen, einen kleinen Transmitter zu installieren. Das primitive Sitzgestell auf der anderen Seite war Narktors Werk. Wenn es schon nichts zu tun gab, hatte der Springer lauthals verkündet, wolle er es wenigstens bequem haben.

Nikki musterte den finster dreinblickenden Rotbart.

Unwillig verzog er das Gesicht. »Ich frage mich, was wir hier sollen. Die Roboter brauchen keine Aufpasser.«

Nikki Frickel hatte ein lebhaftes, ausdrucksstarkes Gesicht und große Augen, die oft zu rege in die Welt blickten. Sie und Narktor gehörten zu den Galaktikern, die vor wenigen Stunden zum zweiten Mal auf der Höllenwelt EMschen gelandet waren. Sie waren hier, weil Perry Rhodan die Geheimnisse des Planeten lösen wollte.

Aus dem Augenwinkel nahm Nikki eine Bewegung wahr und fuhr herum.

Wenige Meter vor der Kuppel erhob sich ein mehrfach mannshoher Fels aus dem Sumpf. Im Widerschein der Blitze wagte sich aus einer Nische im oberen Bereich ein kleines, tellerförmiges Geschöpf hervor. Feine Haartentakel umgaben den Körper.

Dieses Wesen schob sich vorwärts, kollerte über die steile Flanke des Felsens und stürzte in den dünnflüssigen Morast. Schlagartig schien der Sumpf auszutrocknen, und die eben noch kleine Kreatur blähte sich wie ein Ballon auf. Sie wuchs, bis sie fast die Höhe des Felsens erreichte.

Nikki Frickel wich vom Fenster zurück. Es gab einen dumpfen Laut, und die Kuppel bebte leicht, als der riesenhaft angewachsene Kriechschwamm gegen die Stahlwand prallte. Nikki lachte nervös.

Neben dem Felsen erschien eine zweite Kreatur. Dieser Schwamm durchmaß gut eineinhalb Meter, wohingegen sein Artgenosse anfangs kaum größer als ein menschlicher Handteller gewesen war. Der größere Schwamm rollte auf den prallen Ballon zu und traktierte ihn mit seinen Haartentakeln. Augenblicke später schrumpfte das aufgeblähte Wesen, weil es alle aufgenommene Flüssigkeit wieder absonderte.

Dann erst geschah das wahrhaft Unglaubliche. Der Rollschwamm neigte sich zur Seite und hob den Kleinen mithilfe seiner vielen dünnen Tentakel auf; er setzte sich in Bewegung, rollte am Felsen vorbei und verschwand.

Erst jetzt bemerkte Nikki Frickel, dass der Springer neben ihr ans Fenster getreten war. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Narktor.

Sie antwortete nicht sofort. Die Rollschwämme lebten in Symbiose mit kleinen Amöben. Offenbar waren diese Amöben intelligent.

Der Kriechschwamm war seinem Instinkt gefolgt, als er sich in den Morast fallen ließ. In aufgeblähter Form hatte er die Kuppel angegriffen, aber der Rollschwamm hatte ihn daran gehindert. Warum? Vor wenigen Wochen war die DAN PICOT von Rollschwämmen, die ihre kleineren Artgenossen als Soldaten einsetzten, vertrieben worden. Hatten die Amöben ihre Einstellung geändert? Standen sie den Eindringlingen nicht länger feindlich gegenüber?

Nikki dachte darüber nach, als der Rollschwamm erneut auftauchte. Er schob sich ein Stück weit hinter dem Felsen hervor, und obwohl sein Körper keine erkennbaren Sinnesorgane aufwies, hatte Nikki den Eindruck, dass er die Kuppel beobachtete. Seine Körperbehaarung war von jenem undefinierbaren Graubraun, das sich dem Gelände anpasste. Lediglich am Rand des Körpers verlief ein hellerer Streif. Wie die erste graue Strähne im Haar eines alternden Menschen, dachte Nikki.

Sie fühlte ein eigenartiges Fluidum, das von dem fremden Geschöpf auszugehen schien. Einen Atemzug lang war ihr, als versuche der Schwamm, sich mit ihr zu verständigen. Doch jäh setzte sich die Kreatur wieder in Bewegung, rollte um den Fuß des Felsens herum und verschwand.

Nikki war verwirrt. Sie wich Narktors fragendem Blick aus und war dankbar dafür, dass aus einem der Röhrengänge Schritte erklangen. Eine hochgewachsene, dürre Gestalt kam. Der Mann klappte den Helm seines Schutzpanzers zurück.

»Wir sind so weit«, sagte Wido Helfrich. »Das Basislager steht!«

Der Gang wurde von Leuchtsträngen erhellt, die integrale Bestandteile seiner polymeren Struktur waren. Die anfängliche Zwischenschleuse war entfernt worden; frische Sauerstoffatmosphäre unter gewohntem Druck erfüllte die vierhundert Meter lange Strecke bis zum Fuß des Monolithen. Gravitonleiter, aus der TRAGER mit Energie versorgt, reduzierten die planetare Schwerkraft in dem Bereich auf weniger als ein Gravo.

Spezialroboter hatten die Materie des Talbodens zu Metallplast verarbeitetet und die Station im energiefeldgestützten Formverfahren erstellt. Während Wände, Boden und Decke entstanden waren, hatten die Roboter alle Versorgungsleitungen eingebettet. Insgesamt ein Vorgang von wenigen Stunden, denn Zeit war bei diesem Unternehmen von kritischer Bedeutung. Die wichtigsten Mitglieder des Expeditionskorps – Aktivatorträger und Mutanten – hatten nur wenige Tage, bis der schon bekannte geheimnisvolle Einfluss sie in den Bann lähmender Müdigkeit schlug oder ihre Zellaktivatoren erneut störte.

Der Gang endete in einem weiten Hohlraum. Der Einmündung gegenüber schimmerte pechschwarzer Fels. Die Verbindung mit dem Monolithen war hermetisch-flexibel ausgeführt, stabil genug, den Widernissen des Planeten zu trotzen.

Zwei Schritte vor der Wand blieb Nikki Frickel stehen. Eine Mischung aus Ehrfurcht, Staunen und Neugier zwang sie zur Zurückhaltung. Der Fels war eines der beiden Geheimnisse von EMschen. In der Mitte des Tales ragte er 150 Meter hoch auf. Offenbar hatte der Monolith als Einziger von vielen zwei Millionen Jahre überdauert.

Die Antwort nach dem Warum mochte zum Greifen nahe sein.

»Haben wir wirklich vor, den Felsen anzukratzen?«, fragte Nikki. »Wir wissen, dass er sich gegen Verletzungen sträubt. Was geschieht, falls er sich massiv zur Wehr setzt?«

»Das werden wir herausfinden«, sagte Helfrich. »Hat der Monolith Kräfte, über die andere Felsen nicht verfügen?«

Mein Gott, dachte Nikki Frickel. Wir setzen diesen Stein schon mit einem lebenden Wesen gleich.

Sie trat vollends an die Felswand heran und strich mit der Hand behutsam über das glatte, schwarze Gestein. Durch den Handschuh hindurch glaubte sie, ein sanftes Prickeln zu spüren. Das konnte nur Einbildung sein. Die Vorstellung eines lebenden Felsblocks war zu extrem.

Mh-Kleinenführer lag im Schutz des großen Steinbrockens, der Regen trommelte dennoch auf seinen Wirtskörper. Die primitiven Wahrnehmungsorgane des großen Schwamms trugen ihm Informationen zu, die detaillierter waren, als der Schwamm selbst sie jemals hätte verarbeiten können. Vertraute Eindrücke mischten sich mit fremden. Vertraut waren der Regen, das Gestein, die schnell treibenden Wolken und das unaufhörliche Zucken der Blitze. Fremd und hässlich war der Wurm, der sich mit beeindruckendem Tempo über den Talboden geschoben hatte.

Mh-Kleinenführers anfängliche Verwirrung hatte sich gelegt. Als ihm Pn vom ersten Besuch der Fremden berichtete, der mittlerweile über eine Generation zurücklag, da hatte er sich skeptisch gefragt, ob Pn an den Folgen einer Überdosis Moosmaische litt.

»Die Fremden sind gefährlich«, hatte Pn getastet. »Ihren Kräften haben wir nichts entgegenzusetzen. Unsere einzige Hoffnung liegt in der Schläue, nur so konnten wir sie vertreiben. Denk daran, falls sie zurückkehren!«

Bald darauf war Pn gestorben. Mh hatte das Amt des Kleinenführers übernommen, wie es der Brauch erforderte. Er war der Mittlere der drei Jüngeren, die Pn-Kleinenführer der Nachwelt hinterlassen hatte, und der Erste, der ihn erreichte, nachdem sein Sterberuf erklungen war.

Er hatte nie gewusst, ob er Pns Worte akzeptieren solle – bis jetzt. Die Fremden waren zurück.

Zuerst hatte er geglaubt, es nur mit einem kugelförmigen Gebilde zu tun zu haben. Aber sie war die Behausung der Fremden, denn aus ihr waren kurz darauf die zwei Würmer hervorgedrungen – einer nach Norden, auf den Fuß des Guten zu, ein zweiter nach Südwesten, in Richtung des Großen. In frevelhafter Begierde interessierten sie sich für die beiden Göttlichen, denen die Verehrung aller galt, die im Tal und in dessen Umgebung lebten.

Mh hatte rasch erkannt, dass die Würmer hohl waren und nichts anderes als eine weitere jener Kräfte, deren sich die Fremden bedienten. Der nach Norden führende Wurm sollte ihnen ermöglichen, von der Kugel bis zum Fuß des Guten zu gelangen, ohne dass sie sich der Witterung aussetzen mussten, die ihnen offenbar abträglich war. Ohne Zögern hatte Mh die Kleinen seiner Sorgegruppe zusammengetrommelt und sie entlang dieses Wurms postiert. Das Gebilde musste beseitigt werden, es stellte eine Bedrohung des Guten dar. Zur selben Zeit hatte sich Ai-Maischesucher als Botengänger zur Grauhöhle begeben und den dortigen Kleinenführer über die neue Entwicklung aufgeklärt. Mh zweifelte nicht daran, dass mittlerweile die Kleinen von Grauhöhle entlang des südwestlichen Wurms aufgestellt waren.

Auf die Kleinen war nicht immer Verlass. Sie hatten keinen Verstand und stellten mitunter Unsinn an. So wie der Kleine, der sich aus seinem Versteck auf dem Steinklotz in den Sumpf gestürzt hatte. Mh hatte ihn schleunigst vertrieben, denn er wollte nicht, dass die Fremden von seinem Aufmarsch erfuhren. Doch er war trotz seiner Eile zu spät gekommen. Er hatte das Fremde gesehen, das hinter einem durchsichtigen Teil der Kugelwand stand, und das Fremde hatte ihn gesehen. Er konnte nur hoffen, dass es die Bedeutung des Vorgangs nicht erkannte.

Mh fragte sich, welche Laune der Natur es gewesen sein mochte, Wesen zu erschaffen, die zur Wahrung ihres Gleichgewichts und zur Fortbewegung auf zwei lange, dünne Stützen angewiesen waren. Eine Fehlentwicklung. Die Fremden waren vermutlich den größten Teil der Zeit über damit beschäftigt, die Balance zu wahren.

Der Anblick hatte Mh nicht unberührt gelassen. Deshalb hatte er versucht, einen zweiten Blick zu erhaschen. Dabei hatte er den Umriss eines zweiten Fremden erblickt und war unsicher geworden. Was, wenn sie nicht wissen, dass der Gute ein göttliches Wesen ist?, hatte er sich gefragt. Warum konnten sich die Einen nicht mit den Fremden verständigen? Dann wäre es einfacher gewesen, ihnen klarzumachen, dass sie nicht erwünscht waren.

Mh bewegte ein Büschel Haartentakel seines Wirtskörpers und ließ sie in Richtung der westlichen Berge züngeln. Von den Tentakeln gingen winzige Ströme aus, die in seinem Bewusstsein das Bild der fernen Sonne entstehen ließen. Sie sank bereits auf die Berge herab.

Sobald die Nacht anbrach, würde Mh die Kleinen nachforschen lassen, an welchen Orten der hässliche Wurm verwundbar war.

Der neuerliche Vorstoß in den Kugelsternhaufen war auf vier Tage angesetzt. In dieser knapp bemessenen Spanne hoffte Perry Rhodan, dem Planeten EMschen seine Geheimnisse zu entreißen.

Vier Tage ... Danach würden sich Müdigkeit und Erschöpfung rasch wieder bemerkbar machen und die Mutanten lähmen. Außerdem würden die einsetzenden Fehlfunktionen der Zellaktivatoren neue Todesängste schüren.

Irgendwann während des Anflugs auf den Planetenriesen hatte die Frist begonnen. Das lag Stunden zurück. Seit der Schwere Kreuzer TRAGER niedergegangen war, arbeiteten Spezialmaschinen am Aufbau der Station. Sie wuchs zwischen dem schwarzen Monolithen und dem See.

Alles verlief zufriedenstellend – bis Tan Liau-Ten den näher kommenden Reflex bemerkte: ein Objekt von nur geringer Größe. Über die Taster bekam er die Massedaten und sehr schnell auch ein Abbild des unbekannten Objekts. Die Umrisse, zunächst verschwommen, stabilisierten sich zur vertrauten Kontur eines Dreimann-Jägers.

Warum meldete sich das Beiboot nicht? Kam ein Bote des Flottenkommandanten?

Liau-Ten aktivierte den Hyperkom. »TRAGER ruft den anfliegenden Dreimann-Jäger! Was ist vorgefallen?«

Keine Antwort. Nichts verriet, dass der Kontaktversuch überhaupt gehört worden war. Der Cheffunker wiederholte den Anruf.

Mit irrwitziger Geschwindigkeit drang der Jäger in die obere Atmosphäre ein, als habe der Pilot die Kontrolle verloren.

Distanzalarm wurde ausgelöst.

Der Orterreflex blähte sich auf. Im Tasterbild schien der Jäger für einen Sekundenbruchteil in eine grelle energetische Aura gehüllt.

Ein dumpfes Dröhnen und eine schwere Erschütterung durchliefen die TRAGER.

Der Jäger fing den Sturz ab und raste nun nahezu horizontal dahin. Erneut leuchtete der Reflex grell auf, wieder wurde die TRAGER schwer erschüttert.

»Der Kerl feuert auf uns!« Mausbiber Gucky war neben Liau-Ten materialisiert. »Wo ist der Jäger?«

Der Cheffunker setzte zu einer Antwort an, doch sie war nicht nötig. Gucky hatte bereits in seinen Gedanken gelesen.

»Alles klar, Tan, ich übernehme das. Keine Panik!«

Der Mausbiber verschwand fast lautlos, wie er erschienen war.

Gucky rematerialisierte in der Enge eines Maschinenraums. Er empfing fremde, für ihn unverständliche Gedankenimpulse. Der Jäger wurde also nicht von Menschen gesteuert. Die Gedanken, die er esperte, hatten trotzdem etwas Bekanntes an sich.

Nur kurz erwog Gucky, in die Pilotenkanzel zu springen. Aber vielleicht war es besser, damit zu warten. Wer immer den Angriff auf die TRAGER flog, würde ihm nicht mehr entkommen.

Telekinetisch tastete er nach den Triebwerkskontrollen, griff in die Tiefe der positronischen Impulsfeldleiter hinab, erfasste eine strukturierte Impulsfolge und wartete, bis sie sich wiederholte. Dann griff er vollends zu und blockierte den Impulspfad.

Der Jäger hatte die südliche Umrandung des Talkessels hinter sich und drehte zurück zum Landeplatz der TRAGER.

Gucky wartete wenige Sekunden, bis die schlanke Maschine auf Nordkurs erneut die Bergkette übersprang, erst dann leitete er das Bremsmanöver ein. Sofort empfing er aufgewühlte Gedanken, weil das Fahrzeug den Piloten nicht länger gehorchte.

Er konzentrierte sich auf den Rücksprung. Das Letzte, was er sah, war die Markierung auf der Ummantelung eines Feldverteilers. DAN PICOT stand dort in leuchtenden Buchstaben, daneben ein standardisierter Ausrüstungskode.

Die Wolken hatten sich gelichtet. Im fahlen Licht der fernen Sonne lag der Jäger erneut auf Angriffskurs. Höchstens zwanzig Meter über dem Talgrund raste das schwer armierte Raumfahrzeug dahin – dann kam es von einer Sekunde zur nächsten zum Stillstand. Ohne die Absorber wäre es von den Beharrungskräften zerrissen worden, so aber fiel es wie ein Stein in den Schlamm, der in Fontänen aufspritzte.

In der Hauptzentrale der TRAGER hatten viele den Atem angehalten. Zögernde Erleichterung machte sich breit.

»Da war ein Spezialist am Werk«, stellte Perry Rhodan fest.

»Wird Zeit, dass du das einsiehst!«, erklang Guckys Stimme. »Lass das gleich in meiner Personalakte vermerken.«

Der Ilt grinste breit.

»Du warst an Bord des Jägers?«

»Höchstpersönlich, Perry. Mach dich auf eine Überraschung gefasst!«

Die Bergungsmannschaft bestand aus Robotern, zwei Besatzungsmitgliedern der TRAGER, Perry Rhodan und dem Ilt. Die Roboter trugen große Behälter mit Diaspongin – jener Chemikalie, die zur Abwehr der Schwammwesen entwickelt worden war.

Der abstürzende Jäger hatte eine tiefe Furche in den Morast gerissen, war aber nur geringfügig beschädigt. Die Roboter schnitten die verklemmte Druckschleuse auf und sicherten sie mit Energiefeldern.

Rhodan drang als Erster ein. Er reagierte keineswegs überrascht, als er die Kennung des Jägers sah.

»Ist das die Überraschung?«, wollte er von Gucky wissen. »Das Fahrzeug gehörte also zum Bestand der DAN PICOT.«

Die DAN PICOT, ein Schwerer Kreuzer wie die TRAGER, lag als zerschossenes Wrack auf dem Planeten der Flößer. Die Mannschaft hatte, nachdem sie mit den Beibooten zur Expeditionsflotte zurückgekehrt war, die TRAGER als Ersatz übernommen. Der Jäger gehörte also zu den Einheiten, die beim Untergang der DAN PICOT beschädigt wurden und nicht mehr einsatzfähig waren.

Rhodan wandte sich wieder dem Mausbiber zu. »Wenn du länger schweigst ...«

»Ja, was dann?«

»Du weißt, was hier vorgeht?«

»Ich ahne es zumindest.«

Sie drangen in die Kanzel vor. Zwei unförmig anmutende Gestalten hingen in den Magnetgurten der Pilotensessel.

Rhodan kannte sie. In den für Menschen konstruierten Kontursesseln wirkten beide grotesk: lang, krabbenähnlich, mit zwei Beinpaaren von unterschiedlicher Länge und einem blassgrauen Rückenpanzer. Aus dem stark verjüngten Vorderleib ragten zwei Arme, die Hände waren scherenartig. Der wuchtige Schädel mit seinen acht Augen und dem breiten Mund saß halslos auf dem Leib.

Auf Impuls II waren diese Wesen als Schiffbrüchige an Bord der DAN PICOT genommen worden.

Für Perry Rhodan hatte vom ersten Moment an festgestanden, dass die Erschaffer der Krabbenwesen nur die Porleyter gewesen sein konnten.

Die Androiden waren also hinter ihm und seiner Mannschaft her. Rhodan fragte sich, wie es ihnen gelungen sein konnte, den Jäger wieder flugfähig zu machen und vor allem, woher sie wissen konnten, dass er sich auf EMschen aufhielt – er oder überhaupt jemand seiner Expedition.

»Leben sie noch?«, fragte er den Ilt.

»Ich erkenne keine Gedanken. Aber du weißt, was davon zu halten ist. Sie können jederzeit wieder zu sich kommen.«

Alles vorsichtige Vorgehen war unnötig gewesen. Durch Risse im Rumpf drang zunehmend Wasserstoff mit Beimengungen von Helium, Ammoniak und organischen Gasen in den Jäger ein. Der Druck betrug bereits mehrere Atmosphären. Die Temperatur war weit abgesunken, die Kanzel vereiste.

Rhodan musterte die beiden Androidenkörper. Sie zeigten keine erkennbare Veränderung. Möglicherweise waren sie dazu geschaffen, die Umweltbedingungen von Gasplaneten zu ertragen.

Ein Narkosegeschütz der TRAGER war bereits auf den Jäger ausgerichtet. Über Helmfunk gab Rhodan den Befehl, beim geringsten Anzeichen eines unerklärlichen Vorfalls im Umkreis von zehn Kilometern sofort zu feuern.

»Es ergibt keinen Sinn«, sagte Perry Rhodan. »Was wollen sie von uns? Woher wissen sie, dass wir auf EMschen sind? Wer schickt sie?« Nachdenklich drehte er seinen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand und nippte daran.

»Die erste Frage ist einfach zu beantworten«, antwortete Geoffry Abel Waringer in dozierendem Tonfall. »Sie sind gekommen, um uns an weiteren Nachforschungen zu hindern, und beinahe hätten sie Erfolg gehabt. Ohne Guckys schnelles Eingreifen hätten sie womöglich weitere Treffer anbringen können, und dann stünde uns das Wasser bis zum Hals. Der Schaden ist ohnehin beträchtlich: acht Verletzte, davon einer in kritischem Zustand. Materialausfälle mit geschätzter Reparaturzeit von zwanzig Stunden.«

»Dabei war es nur ein kleiner Jäger!«, sagte Fellmer Lloyd.

Waringer nickte zögernd. »Bedenklich ist, wie rasch sie die Maschine einsetzen konnten. Sie haben eine Technik repariert, die ihnen völlig fremd sein muss.«

Rhodan spreizte die Finger und betrachtete sie angelegentlich. »Rekapitulieren wir«, schlug er vor. »Es gibt auf gewissen Welten des Sternhaufens subplanetare Anlagen, in denen Androidenkörper aufbewahrt werden. Die Körper sind zweifellos ein Erzeugnis der Porleyter – womöglich das einzig Greifbare, was die Vorgänger der Ritter der Tiefe uns hinterlassen haben. Sie sind im Normalzustand leblose Hüllen, bis etwas von ihnen Besitz ergreift. Nach den jüngsten Ereignissen wäre ich nicht abgeneigt, dieses Etwas für den Teufel höchstpersönlich zu halten. Jener fremde Geist will offenbar verhindern, dass wir die Hinterlassenschaft der Porleyter finden. Ihm stehen Mittel zur Verfügung, die wir nicht einmal abschätzen können ...«

»Unbegrenzt sind diese Mittel keinesfalls«, unterbrach Waringer. »Glaubst du, wir wären noch hier, wenn unser Gegner, sagen wir, fünfzig Androiden gegen uns eingesetzt hätte?«

Rhodan stutzte. »Du hast recht. Es waren immer nur zwei! Gucky, Fellmer, haben wir es möglicherweise immer mit denselben Androiden zu tun?«

»Die Frage ist nicht richtig gestellt«, entgegnete der Mausbiber. »Wahrscheinlich sind die beiden Gestalten im Wrack des Jägers jene, von denen wir annahmen, sie seien in der DAN PICOT verschmort. Ebenso gut könnten wir es mit zweien der sieben Körper zu tun haben, die wir in der subplanetaren Anlage fanden. Was wir wissen wollen: Sind es immer dieselben zwei Geister, die in diese Androidenkörper fahren?«

»Und?«, drängte Perry Rhodan nach einer ungewöhnlich langen Pause.

Gucky hob die Schultern. »Ich war nur ein paar Sekunden an Bord des Jägers und konnte mich nicht intensiv auf ihre Gedanken konzentrieren. Schwache, undeutliche Denkmuster ...« Er gab sich einen Ruck. »Ich bin meiner Sache nicht sicher, Perry. Wenn ich zu wetten hätte, würde ich allerdings sagen: Ja, es sind dieselben.«

Wieder war es still.

»Also bleibt die Vermutung, dass es sich bei den beiden Geistern um Bewusstseine von Porleytern handelt«, sagte Rhodan.

»Warum Porleyter?« Waringers Frage klang wie ein Protest.

»Ich nehme an, sie haben Androiden erschaffen, die nur von ihnen selbst als Wirtskörper verwendet werden können. Weshalb hätten sie künstliche Körper erzeugen sollen, die jeder Beliebige übernehmen kann?«

Carfesch hatte sich bislang nicht geäußert. Es knisterte leise, als der Sorgore heftig einatmete. Seine großen Augen blickten starr auf Rhodan. »Die Porleyter standen im Auftrag der ordnenden Mächte«, sagte er sanft. »Derselben Mächte, die uns die Spur nach M 3 gewiesen haben. Warum also sollten Porleyter uns daran hindern, nach ihnen zu suchen?«

2.

Nikki Frickel saß in der Kuppel, vierhundert Meter vom Fuß des Felsens entfernt. Verdrossen blickte sie auf die große Bildfläche, die Roboter bei der Arbeit zeigte. Vor einer Stunde, als die Arbeiten begannen, hatte sie sich angespannt gefragt, wie der Fels reagieren würde, sobald die Maschinen an seiner Substanz kratzten. Inzwischen hatten die Roboter eine weite Höhlung in die Basis des schwarzen Monolithen gegraben.

Dass der Fels sich nicht zur Wehr setzte, mochte an der Arbeitsweise der Roboter liegen. Sie schürften und bohrten mit mechanischem Werkzeuge. Der Einsatz chemischer oder gar nuklearer Mittel war untersagt. Doch ob der Fels unterscheiden konnte, mit was für Instrumenten an ihm herumgekratzt wurde?

Eines der Geräte, die Nikki überwachte, war ein Psychometer, das psionische Kräfte nachweisen sollte. Waringer hatte versucht, ein Instrument zur quantitativen Messung am kurzwelligen Ende des hyperenergetischen Spektrums zu entwickeln.

»Es mag sein, dass wir von diesem Gerät die einzige Warnung erhalten, bevor der Fels zuschlägt«, hatte der Wissenschaftler erklärt. »Ich gehe davon aus, dass jede Abwehrreaktion des Felsens mit einer nachweisbaren Abgabe psionischer Leistung verbunden sein wird. Die Telepathen nehmen jedenfalls eine mentale Aura wahr, die der Monolith abgibt. Sie ist nicht intensiv genug, dass wir sie mit dem Psychometer nachweisen könnten. Aber falls der Fels sich zur Wehr setzt, könnten wir rechtzeitig gewarnt werden.«

Seitdem widmete Nikki Frickel dem Psychometer mehr Aufmerksamkeit als irgendeinem der anderen Instrumente.

Der Radiokom schaltete sich ein. Wido Helfrichs kantiges Gesicht erschien in der Wiedergabe.

»Wie geht's der Gesteinsforscherin?« Helfrich grinste breit.

»Noch eine Stunde, dann hab ich die Langeweile überstanden.«

»Dann bin ich an der Reihe.« Helfrich seufzte. »Nichts Aufregendes?«

»Keine Spur, der Fels rührt sich nicht. Was macht die Untersuchung der Gesteinsproben?«

»Keine Sensationen. Bisher nur basaltähnliche Substanzen.«

Nikki Frickel hörte schon nicht mehr zu. Sie starrte in den Stollenabschnitt, der zu dem Felsen führte.

»Ist was?«, fragte Helfrich.

»Mir war, als hätte ich ein eigenartiges Geräusch gehört.« Nikki war plötzlich ernst. »Ich sehe lieber nach. Ruf dich anschließend zurück, Wido.«

Aus Gewohnheit überprüfte sie den Helm und ihre Waffen, bevor sie den Stollen betrat.

Mh-Kleinenführer lag unweit der Stelle, an der das Licht durch die durchsichtige Hülle des Wurms auf den Boden fiel. Die Sonne war längst untergegangen und die Nacht hatte begonnen. Ringsum suchten die Kleinen nach Stellen, an denen der Wurm angegriffen werden konnte.

Von Zeit zu Zeit sah Mh den Fremden aufstehen und innen an die durchsichtige Wand herantreten. Dieses Wesen blickte offenbar in die Dunkelheit heraus, und manchmal fürchtete Mh, es könne ihn sehen. Oder riechen. Oder ahnen – was immer den Fremden an Mitteln der Wahrnehmung zur Verfügung stand. Dabei ließ die hohe Gestalt nicht erkennen, dass sie überhaupt Eindrücke aufnahm. Mit der Zeit gewöhnte Mh sich daran, ruhig liegen zu bleiben, obgleich er den Blick des Fremden auf seinen Tentakeln zu fühlen glaubte.

Von Zeit zu Zeit näherte sich ihm einer der Kleinen und berichtete ihm mit tastenden Tentakeln von seinen Funden. Das Vokabular der Kleinen war beschränkt; sie kannten nur die Begriffe, die ihnen die Einen beigebracht hatten, und Mh war nicht sicher, dass sie verstanden, was sich dahinter verbarg. Die meisten Mitteilungen waren wertlos und bezogen sich auf Dinge, die er nicht näher ansehen musste. Nur zweimal hatte er bislang seinen Standort verlassen, um eine Entdeckung zu inspizieren.

Dass etwas Wichtiges im Gange war, erfasste er instinktiv, als einer der kleinen Schwämme mit allen Zeichen der Hast auf ihn zukam. Die Botschaft, die seine Tentakelhaare trommelten, war kurz und inhaltsschwer: »Wunde – unter dem Wurm!«

Mh berührte den Kleinen und gab ihm damit den Befehl, ihn zu führen. Der Kleine kroch voran. Mh hätte sich aufrichten und vom Wind treiben lassen können, doch dann wäre er zu schnell für seinen Begleiter gewesen. Also rollte er nur langsam hinter ihm her.

Sie erreichten eine Stelle, die von der Verdickung im Leib des Wurms etwa ein Viertel der Distanz bis zum Fuß des Guten entfernt war. Dort gab es ein ausgedehntes Geröllfeld. Der Wurm hatte sich einfach darübergeschoben. An einigen Stellen wirkten die Steine wie Pfeiler, auf denen der Wurm ruhte, an anderen gab es schmale Hohlräume.

Mh war zu groß, er konnte nicht unter den Wurm kriechen. Deshalb streckte er einige Tentakel aus und betastete die glatte Fläche. Die »Wunde« fand er rasch. Der Wurm hatte sich über ein kantiges Steinstück geschoben, der Stein war unter dem Gewicht zerbrochen und hatte ein Loch in der Unterseite hinterlassen. Die Hülle war nicht vollständig aufgerissen, das hätten die Fremden wohl längst bemerkt. Aber der Schaden gab Mh den Anhaltspunkt, nach dem er suchte.

In aller Eile erteilte er dem Kleinen Anweisungen, danach inspizierte Mh den Wurm. Die nächsten durchsichtigen Stellen waren weit entfernt, sodass er keine Entdeckung fürchten musste. Mit den Vorbereitungen freilich würde er es nicht leicht haben. Er brauchte einen Geländeabschnitt mit ausreichendem Gefälle, und der einzige Bereich, der diese Forderung erfüllte, lag unweit einer der transparenten Flächen. Mh prüfte den Boden. Der Regen des Tages hatte sich längst verlaufen, die nötige Flüssigkeit musste also von einer der Felskuppen herabgebracht werden, wo sie sich länger hielt. Er würde den Graben an der durchsichtigen Stelle vorbeiführen müssen.

Mh-Kleinenführer war zuversichtlich. Bald würde der Frevel, den die Fremden am Guten begingen, gerächt werden.

Die Leuchtstränge verbreiteten ein kaltes, grelles Licht. Am fernen Ende des leeren Stollens war schattenhafte Bewegung; das mussten die Roboter sein, die an der Felswand arbeiteten.

Nikki Frickel musterte Decke und Wände, die Leere des Stollens war ihr mit einem Mal unheimlich. Sie wollte sich einreden, das Geräusch, das sie aufgeschreckt hatte, sei nur ein Produkt ihrer überreizten Phantasie gewesen. Als sie gut fünfzig Schritte weit gegangen war, hörte sie es von Neuem. Es klang wie ein gedämpftes Knarren, und es schien, als hätte der Boden zugleich ein wenig gezittert.

Keine Ursache war zu sehen. Nikki ging zu einer der Fensterflächen und sah hinaus. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie bemerkte eine Furche, die sich durchs Gelände zog. Irritiert versuchte sie, sich zu entsinnen, ob der Aufriss während ihrer letzten Inspektion schon da gewesen war. Ein Kriechschwamm fiel ihr auf, der sich in der Furche zu schaffen machte. Er schob ein faustgroßes Steinstück vor sich her und bugsierte es hinauf auf das freie Gelände. Da sie nun wusste, worauf sie achten musste, entdeckte sie nacheinander ein Dutzend der kleinen Geschöpfe, die damit beschäftigt waren, Unebenheiten aus der Furche zu entfernen. Die Kriechschwämme hatten die Furche also angelegt; sie führte eine sanfte Steigung hinauf und verschwand hinter einer Felsenplatte. Diesseits führte sie direkt auf den Stollengang zu und schien sogar darunter hindurchzuführen. Von den größeren Rollschwämmen war keiner in der Nähe.

Nikki zog sich den Helm locker über den Kopf und schaltete den Sender ein. »Hört ihr mich da drüben?«

»Laut und deutlich, Nikki«, antwortete der Wachhabende an Bord der TRAGER.

»Hier stimmt etwas nicht. Die Kriechschwämme haben einen Graben gebaut.«

»Kannst du erkennen, was sie damit vorhaben?«

»Nicht von meiner Warte aus. Ich schlage vor, ihr schickt ein paar Roboter ...« Das Wort blieb ihr im Hals stecken.

»Nikki, was ist los?«, rief der Wachhabende.

Sie hatte nur noch Augen für die Flüssigkeit, die schäumend die Furche herabkam. Ausgangspunkt war die Felsplatte, wo sich die Nässe während des Gewitters angestaut hatte. Eine fürchterliche Ahnung überkam Nikki.

Sie griff zum Helmverschluss und betätigte ihn. Auf dem Stollenboden, einige Dutzend Meter entfernt, war eine Wölbung entstanden. Sie blähte sich auf, und erneut war das merkwürdige Knarren zu hören, nicht mehr gedämpft wie zuvor, sondern durchdringend laut.

Nikki zog die Waffe.

»Hört zu!«, rief sie hastig. »Es sieht aus, als wäre einer der Schwämme unter den Stollen gekrochen und saugt sich jetzt mit Flüssigkeit voll ...«

Weiter kam sie nicht. Ein berstender Knall übertönte alles andere.

Der Boden und die rechte Wand des Stollens waren aufgerissen. Eiskalter Wasserstoff raste durch den Gang und füllte die Luft mit dem glitzernden Reif sublimierter Flüssigkeit. Die Druckwelle schleuderte Nikki Frickel rückwärts. Das Gravo-Pak ihrer Schutzmontur aktivierte sich selbsttätig und bewahrte sie vor dem Sturz. Sie sah, wie die Wand des Stollens sich nahe der Einbruchstelle aufrollte – ein gespenstischer Vorgang. Der Überdruck der planetaren Atmosphäre brach sich Bahn.

Durch das Rauschen und Fauchen drang ein lautes Rumoren, als sich im Hintergrund des Stollens die Schotte schlossen. Nikki tastete nach den Vektorkontrollen ihres Gravo-Paks und glitt langsam auf das Leck zu.

Das Tosen der aufgewühlten Atmosphäre beruhigte sich. Der Druckausgleich war hergestellt, die sublimierte Feuchtigkeit wie Schnee zu Boden gesunken. Nikki näherte sich dem Riss, der sich mittlerweile in der rechten Stollenwand fortsetzte, als kratzende Geräusche laut wurden. Aus dem Loch im Boden drängten unzählige kleine Schwämme herein und breiteten sich aus.

Nikki hob die Waffe. Wie viel von der Flüssigkeit aus der Höhe der Felsplatte mochte zur Sprengung des Stollens verbraucht worden sein? Wer gab ihr die Gewissheit, dass sich nicht schon in der nächsten Sekunde einer der Schwämme aufblähen und sie gegen die Wand der Notschleuse pressen würde?

Sie schoss. Der Thermostrahl verbrannte zwei der Kriechschwämme zu Asche. Nikki wollte den nächsten Schuss abgeben, da bemerkte sie rechts von ihr eine Bewegung. Ein großer Rollschwamm zwängte sich durch den Riss in der Wand. Die Kriechschwämme eilten ihm entgegen. Tentakelbüschel des Rollschwamms glitten mit sanften Bewegungen über die kleineren Kreaturen, als wolle er sie streicheln.

Kommunikation, erkannte Nikki Frickel. Auf diese Weise verständigen sie sich.

Mit bemerkenswerter Eile krochen die Schwämme auf den Riss in der Wand zu und verschwanden in der Nacht. Der Rollschwamm ließ keine Ruhe erkennen, bis er auch den letzten seiner kleinen Artgenossen erreicht und mit den Tentakeln berührt hatte. Es war unverkennbar, dass ihm daran lag, die Kriechschwämme in Sicherheit zu bringen.

Nikkis Zorn war verraucht. Der Rollschwamm hatte draußen auf der Lauer gelegen, ihren Schuss gehört und die beiden kleinen Geschöpfe verbrennen sehen. Er war hereingekommen, um weitere Verluste zu verhindern. Die Kriechschwämme konnten die Gefahr nicht ermessen, die ihnen drohte; er war gekommen, um sie nach draußen zu treiben – obwohl er damit rechnen musste, selbst ins Feuer zu geraten.

Nikki schob den Strahler in den Gürtel zurück. Die letzten Kriechschwämme verschwanden soeben. Nur der große Rollschwamm blieb zurück. Hoch aufgerichtet verharrte er neben dem Wandaufriss. Er war mutig, das hatte er durch sein Vorgehen bewiesen, trotzdem wollte er kein unnötiges Risiko eingehen. Er bewegte sich nicht, und gerade deshalb hatte Nikki das Gefühl, er starre sie unablässig an. Sie wurde einer eindringlichen Musterung unterzogen – und starrte zurück.

Da sah sie den hellen Streif gebleichter Haartentakel, der sich an der Kante des tellerförmigen Körpers entlangzog. Es war also derselbe Schwamm, den sie am Nachmittag beobachtet hatte. Zufall? Oder handelte das Wesen besonders zielstrebig? Erkannte es sie?

Von draußen drang ein helles Summen herein. Der Rollschwamm geriet in Bewegung. Blitzschnell zwängte er sich durch den klaffenden Spalt und war Sekunden später verschwunden. Nikki reagierte enttäuscht. Sie hörte die schweren Gleiter draußen aufsetzen. Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn die Rettungsmannschaft ein paar Minuten länger gebraucht hätte.

Ob es ihr gelungen wäre, sich mit dem Rollschwamm zu verständigen?

Mh-Kleinenführer reagierte verwirrt, obwohl der Angriff planmäßig verlaufen war. Er hatte die zwei Kleinen opfern müssen, die sich voll Feuchtigkeit sogen und den Wurm aufsprengten. Sie hatten zu viel Flüssigkeit in sich aufgenommen, ihr Wachstum war so gewaltig und explosiv gewesen, dass es ihre Körper zerrissen hatte. Solche Opfer ließen sich nicht vermeiden.

Eine Schar von Kleinen war in den Wurm eingedrungen, um das Zerstörungswerk fortzusetzen. Immer noch rann die aufgestaute Flüssigkeit des nachmittäglichen Regens von der Felsplatte herab – genug, um den Wurm bis zu der Verdickung aufzureißen, in der Mh die Fremden gesehen hatte. Er würde keine weiteren Kleinen opfern müssen.

Aber dann hatte er gesehen, wie zwei seiner Kämpfer zu brennenden Fackeln wurden. Er hatte sofort gewusst, dass der feurige Tod nur von einer der geheimnisvollen Kräfte der Fremden kommen konnte. Um den Kleinen neue Anweisungen zu erteilen, war er selbst in den Wurm eingedrungen und hatte das Fremde erblickt, das mitten im Wurm schwebte. Mit einer der oberen Extremitäten hielt es den Gegenstand, der die beiden Kleinen getötet hatte. Anscheinend wirkte die Kraft nicht mehr, denn obwohl das Fremde sich bedroht sah, unternahm es keinen weiteren Versuch, sich zu wehren.

In dem Moment war der Mut von ihm gewichen. Mh dachte nicht länger an den Guten und den Großen und an den Frevel, der bestraft werden musste. Er sah nur noch das Fremde, dessen Verhalten er sich nicht erklären konnte, und die Schar der Kleinen, die gerettet werden mussten. Sie gehörten zu den Schlauesten, über die Sorgegruppe Weichsenke verfügte. Wenn er sie verlor, war er ein halbes Leben lang handlungsunfähig. Er forderte sie auf, sich rasch zurückziehen.

Aber warum hatte er so gehandelt? Warum hatte er nicht stattdessen angegriffen? Von Pn-Kleinenführer wusste er, dass die Fremden besiegt werden konnten. Er hätte im Innern des abscheulichen Wurms einen entscheidenden Sieg erringen können. Trotzdem hatte er den Rückzug befohlen.

Er lag in einem sicheren Versteck, während er nachdachte, und beobachtete die kastenförmigen Gebilde, die durch die Luft gekommen waren und nun neben dem Wurm standen. Während sein Wirtskörper mit zitternden Fühlern das bizarre Bild aufnahm und ihm weiterleitete, gewahrte er wieder das Fremde, dem er im Wurm begegnet war. Es bewegte sich durch den Riss in der Flanke, glitt auf einen der Kästen zu und verschwand dort.

Mit einem Mal wusste Mh-Kleinenführer, warum er sich derart seltsam verhalten hatte. Das Fremde war daran schuld! Ihm kam in den Sinn, wie er sich am Nachmittag gefragt hatte, ob es eine Möglichkeit der Verständigung mit den Eindringlingen gebe. Nun hatte er gesehen, dass das Fremde weder hässlich noch sonst verabscheuungswürdig war, und ihm war die Idee gekommen, dass er womöglich gewaltlos mit diesem Wesen und seinen Artgenossen auskommen könne.

Dieses war Mhs erste Begegnung mit anderen Intelligenzen. Die Gedanken, die ihn beschäftigten, entstanden spontan, ein Ausdruck, dass er intuitiv Gewaltlosigkeit über den blutigen Weg des Kämpfens stellte.

Er war schwach geworden, daran lag es! Als er sich im Innern des Wurms dem Fremden gegenübersah, war der Drang zu kämpfen den Gedanken an Friedfertigkeit gewichen. Mh verstand es nicht, deshalb war er verwirrt.

Er empfand diese Verwirrung sogar als angenehm.

Perry Rhodan lächelte jenes für ihn charakteristische Lächeln, von dem kaum jemand wusste, ob es Spott oder einfach gute Laune zum Ausdruck bringen sollte. »Du meinst, du hättest dich mit ihm verständigen können?«, fragte er.

Nikki Frickel hatte Respekt vor dem Mann, der ein gutes Stück terranischer Geschichte geformt hatte, aber mittlerweile fiel es ihr leichter als anfangs, ungezwungen mit ihm zu sprechen.

»Eine Sekunde lang hatte ich das Gefühl«, antwortete sie. »Wahrscheinlich war es nur ein intensiver Wunsch. Wo Mutanten und Psychophysiker versagt haben, da kann ich bestimmt nicht ...«

Rhodan unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Keine übertriebene Bescheidenheit«, mahnte er. »Wir wenden die Methoden an, die uns bisher zum Erfolg verholfen haben. Das heißt nicht, dass es keine anderen gibt. Das Gebiet der Empathie ist bislang unzureichend erforscht; durchaus möglich, dass du in dieser Hinsicht eine kräftige Begabung entwickelt hast.«

Nikki schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es das ist. Ich wollte mich mit ihm verständigen, also redete ich mir ein, es müsse möglich sein. Die wahre Bedeutung des Vorfalls liegt an ganz anderer Stelle.«

»Nämlich wo?«

»Der Rollschwamm befehligt eine Armee von Kriechschwämmen. Warum schickte er sie durch den Riss? Um möglichst viel Schaden anzurichten. Mit der Regenflüssigkeit hätten sich Dutzende von Kriechschwämmen vollsaugen und sich aufblähen können, bis von unserem Stollen außer Fetzen nichts übrig gewesen wäre. Ich allein hätte sie nicht aufhalten können. Warum gab er plötzlich auf und ordnete den Rückzug an?«

»Ich weiß es nicht«, gab Rhodan zu. »Warum?«

»Weil er ähnlich empfand wie ich.« Nikki sagte das mit Nachdruck. »Zwei seiner Soldaten, oder wie wir sie auch nennen sollen, habe ich getötet. Er wollte keine weiteren Opfer. Wie ich muss er sich gewünscht haben, dass wir uns verständigen könnten.«

Rhodan sah nachdenklich vor sich hin. »Es wäre schön, wenn deine Deutung zuträfe, wenn es überall im Universum einen grundlegenden Drang zur Friedfertigkeit gäbe.« Für eine oder zwei Sekunden wirkte er wie unter dem Eindruck einer begeisternden Vision. »Dein Rollschwamm wollte den Stollen zerstören, weil er zum Felsen führt, der für die Eingeborenen ein bedeutendes Objekt ist. Wir werden den Nordstollen also aufgeben und lassen den Monolithen in Ruhe.«

»Das ist großzügig!«, rief Nikki begeistert.

»Nicht so sehr, wie du denkst. Wir haben zwei Tonnen Gestein entfernt, trotzdem hat die Analyse nichts Außergewöhnliches enthüllt. Der Fels besteht aus genau dem basaltähnlichen Material, das auf einer Welt wie dieser zu erwarten ist. Die Telepathen spüren nach wie vor eine merkwürdige Mentalstrahlung, aber auf herkömmliche Weise lässt sich das Geheimnis des Felsens offenbar nicht enträtseln. Wir geben also nicht allzu viel auf, wenn wir auf weitere Untersuchungen in dieser Richtung verzichten. Wir konzentrieren unsere Aufmerksamkeit ab sofort auf den See und das subplanetarische Höhlensystem.«

»Und wenn die Schwämme den Südstollen angreifen?«

»Wir wissen inzwischen, wie der Angriff ablief. Es gab im Boden des Stollens eine Unebenheit, dort brachen die Kriechschwämme durch. Der Südstollen wurde bereits analysiert. Er ist frei von Verspannungen, Einbrüchen und Kratzern, die den Schwämmen als Angriffspunkt dienen könnten.«

»Ich bin froh«, sagte Nikki. »Und ich hoffe, Senior weiß das zu schätzen.«

»Senior?«

»So habe ich ihn genannt. Er hat einen hellen Haarkranz entlang der Körperkante. Beinahe wie ein Mensch, dessen Haare grau werden.«

Die erste Kuppel des nach Südwesten führenden Stollens lag einen halben Kilometer vom Landeplatz der TRAGER entfernt. Ihre Ausstattung entsprach der jenes Aufenthaltsraums, in dem Nikki Frickel Dienst getan hatte. Hier war jedoch der Kuppelboden zum Schleuseneingang umfunktioniert worden. Ein drei Meter durchmessendes Segment konnte gekippt werden und gab den Eingang zu einem sechzig Meter tiefen Schacht frei, der in der eigentlichen Schleusenkammer endete.

Über dem Tal lag der düster rote Schein der Morgensonne, als Perry Rhodan sich mit einer stattlichen Schar von Begleitern auf den Abstieg vorbereitete. Von den Mutanten nahmen Ras Tschubai, Gucky und Fellmer Lloyd an der Expedition in die Tiefe EMschens teil. Ihr Befinden hatte sich in den zwölf Stunden seit der Landung nicht nennenswert verschlechtert. Anhaltende Müdigkeit machte sie schlapp, aber noch arbeiteten die Zellaktivatoren einwandfrei. Zu Rhodans Gruppe gehörten außerdem mehrere Besatzungsmitglieder der TRAGER, darunter die Beibootkommandanten Narktor und Wido Helfrich, ferner auf unterschiedliche Aufgaben spezialisierte Roboter.

Rhodan sprang als Erster in den Schacht. Unter dem Einfluss eines künstlichen Schwerkraftfelds sank er langsam in die Tiefe. Er trug eine mittelschwere Überlebensmontur mit Gravo-Pak und war mit einem Kombistrahler bewaffnet. Als alle auf der Schachtsohle standen, schloss er die Abdeckplatte der Schleusenkammer und leitete den Atmosphäretausch ein.

Die Helmlampen beleuchteten eine abenteuerliche Höhlenlandschaft. Bizarre Tropfsteingebilde erweckten den Eindruck eines von Säulen getragenen flachen Gewölbes. Der Boden verlief von Südost nach Nordwest leicht abschüssig. Nordwest war die Marschrichtung. Die Messungen während des ersten Besuchs auf EMschen wiesen darauf hin, dass dort die am weitesten ausgedehnten Bereiche des Höhlensystems lagen.

Die Expedition war keine hundert Meter weit vorgedrungen, als Perry Rhodan die erste Entdeckung machte. Er umrundete die ausladende Basis eines glitzernden Stalagmiten, da bemerkte er ein tellerförmiges, schräg angelehntes Gebilde.

»Rollschwämme!«

Die Warnung erwies sich als unnötig. Der Schwamm war ohne Leben, und offensichtlich hatte er schon vor geraumer Zeit den Tod gefunden. Das umliegende Gelände wurde durchsucht, aber der tote Schwamm musste ein Einzelgänger gewesen sein, der sich in die Höhle verirrt hatte.

»Ich frage mich, wo er eingedrungen ist.«

»Gewiss gibt es natürliche Zugänge«, antwortete Lloyd. »Interessanter dürfte wohl sein, was er hier unten wollte.«

Einer der Roboter transportierte den toten Rollschwamm ab, zum Schacht zurück und von dort nach oben, damit sich die Exobiologen der TRAGER mit ihm befassen konnten.

Je weiter sie vordrangen, desto deutlicher wurde, dass das ausgedehnte Höhlensystem in nicht allzu ferner Vergangenheit von einem kräftigen Beben erschüttert worden sein musste. Entlang einer Linie, die fast genau nach Nordwesten führte, war der Boden eingebrochen und bildete eine zwanzig Meter breite Schlucht. Auf dem Grund lagen zerborstene Stalaktiten, die von der Decke herabgestürzt waren. Junger Stalagmitenwuchs war unbedeutend. Helfrich, der sich mit Exomineralogie befasste, schätzte den zeitlichen Abstand der Katastrophe auf vier- bis sechstausend Standardjahre.

Die Gruppe schwebte am Schluchtrand entlang weiter. Auf beiden Seiten glich die Höhle einem Märchenwald feuriger, in allen Farben des Spektrums leuchtender Säulen.

Schon nach einiger Zeit wurde die Höhle niedriger. Sie glich einer Kerbe, die ein mächtiger Keil ins Gestein geschlagen hatte, und schließlich endete sie.

Nur die Schlucht bot ein Weiterkommen. Sie war zu einem Kanal mit dreieckigem Querschnitt geworden, der beständig an Tiefe gewann. Narktor und Helfrich machten gemeinsam die Vorhut. Es dauerte nicht lange, dann war auch dieser Weg zu Ende.

»Weiter geht's nicht!«, murrte der Springer. »Hier ist die Welt mit Brettern vernagelt.«

Die mit narbigen Aufwerfungen übersäte graue Wand war künstlichen Ursprungs. Perry Rhodan glitt an ihr aufwärts, und mit jeder Sekunde reagierte er angespannter. Er kannte dieses Material aus der Gruft unter dem Dom Kesdschan und aus den Höhlen des Planeten der Flößer. Was er hier vor sich sah, war eine von den Porleytern geschaffene Struktur. Seine Messungen zeigten einen ausgedehnten Hohlraum, der sich an das natürliche Höhlensystem anschloss. Was konnte es anders sein als eine Station der Porleyter?

Einer der Roboter war mit einem schweren Desintegrator ausgerüstet. Er konnte versuchen, einen Weg durch das Hindernis zu öffnen. Aber die Porleyter hatten ihre Station ohne Zweifel mit Sicherheitsmechanismen ausgestattet. Waren sie noch funktionsfähig, brachte ein gewaltsames Vorgehen die gesamte Expedition in Gefahr.

Vor über zwei Millionen Jahren hatten die Porleyter als Vorläufer der Ritter der Tiefe ihre Aufgabe versehen. Annähernd ebenso alt musste die Station sein.

Rhodan sah sich ausgiebig um. Der Lichtkegel seines Helmscheinwerfers glitt an der Kante eines quaderförmigen Steins entlang und traf auf die Wand. Was war das? Eine Kratzspur? Rhodan versuchte, die Position des Steins zu verändern, doch der kleine Block musste eine Masse von annähernd einer halben Tonne haben. Schon nach dem ersten vergeblichen Versuch trat Rhodan meterweit zurück und schaltete den Kombistrahler auf Desintegratormodus. Mit zwei Schüssen verwandelte er den Quader in eine Wolke aus träge davontreibendem Feinstaub.

Er hatte sich nicht getäuscht. Wo das Felsstück gegen die Wand gestoßen war, begann ein Riss. Er verlief senkrecht abwärts, verlor sich aber schon nach wenigen Zentimetern unter dem Geröll des Schluchtbodens. Er schien nach unten hin breiter zu werden. Rhodan räumte kleinere Steinbrocken beiseite und schob vorsichtig die Hand in die Öffnung. Er fand keinen Widerstand. An dieser Stelle war die Wand geborsten.

»Roboter hierher! Wir müssen einige Tonnen Gestein wegräumen.«

Nach vierzig Minuten stand fest, dass Perry Rhodan sich nicht getäuscht hatte. Die Roboter hatten drei Meter des Schluchtbodens fortgeräumt. Gesteinsdämpfe wogten wie dichter Nebel über die Felshänge und setzten sich als mehliger Staub wieder ab. Drei Meter betrug auch die Länge des Spaltes, den das Beben in die Wand der Porleyter-Station gerissen hatte; an der breitesten Stelle klafften seine Ränder über einen Meter weit auseinander. Gut zwei Meter tief reichte der Riss, die Wand war knapp doppelt so dick.

Rhodan zögerte. Sollte er einen der Teleporter auf die andere Seite schicken? Er sah Gucky und Tschubai an, dass sie auf eine solche Anweisung warteten, bemerkte indes auch ihre Müdigkeit.

Er versuchte, das Risiko eines Desintegratoreinsatzes gegen die Wand abzuschätzen. Zweifellos hatten die Porleyter Schutzvorkehrungen getroffen. Die Frage war, ob sie bis heute funktionierten. Hier wie in den Gewölben von Khrat und auf der Welt der Flößer hatten offenbar nicht nur äußere Kräfte, sondern zudem der Mangel an Wartung zum Zerfall der Station beigetragen. Wenn fehlende Wartung ausschlaggebend war, dann brauchte er die Sicherheitsmechanismen nicht zu fürchten.

Perry Rhodan ließ die Gruppe fünfzig Meter weit in die Schlucht zurückweichen. Auf seinen Befehl hin eröffneten die Roboter das Desintegratorfeuer auf die Ränder des Risses. Atomisiertes Gestein trieb in brodelnden Schwaden davon. Minutenlang waberten Dämpfe in allen Grünschattierungen, dann stach plötzlich ein grelles Licht durch den Nebel.

»Durchbruch hergestellt!«, meldete einer der Roboter.

Aus dem Spalt war ein kantiger Tunnel durch die Wand geworden. Die grelle Helligkeit kam von der anderen Seite. Rhodan sah einen weitläufigen, kuppelförmigen Hohlraum, der von zwei Kunstsonnen erleuchtet wurde.

Die Anlage glich jener unter dem Dom Kesdschan. Ihre Ausdehnung mochte geringer sein, und die Spuren der Zerstörung und des Zerfalls waren hier andere als auf Khrat, trotzdem drängte sich Rhodan das Gefühl auf, er sei schon einmal hier gewesen.

Unmittelbar vor ihm, nur siebzig Meter tiefer, lag der blaue Sektor. Mit andersfarbigen Abschnitten, braun, orange und türkis, bildete er die Peripherie der Anlage. Dreißig Meter tiefer und näher zum Zentrum der Station erstreckte sich ein weiterer Kreis von Sektoren, und abermals tiefer lag der in grellem Gelb gehaltene Zentralsektor.

Das, wonach Perry Rhodan suchte, konnte sich nur im innersten Bereich befinden.

Aus der Nähe waren die Spuren der Zerstörung deutlicher zu erkennen. Das Beben, das die Unterwelt von EMschen erschüttert hatte, musste von enormer Stärke gewesen sein. Eingestürzte Gebäude, zertrümmerte Ausstellungsboxen und Risse in den Straßen bewiesen es. Unter der Kuppel herrschten Druck und Atmosphäre der Außenwelt. Daran, dass durchgehende Risse in der Kuppel entstanden waren, glaubte Rhodan nicht. Schon weil es andernfalls unweigerlich zu verheerenden Knallgasexplosion gekommen wäre. Die Porleyter hatten wohl von Anfang mit einem Gasgemisch gearbeitet, das in Druck und Zusammensetzung der Atmosphäre des Planeten glich.

Die Straßen, die Perry Rhodan mit seinen Begleitern entlangschritt, waren wie in den Gewölben von Khrat mit Ausstellungsboxen gesäumt, in denen Produkte einer exotischen Technologie ausgestellt waren. Nur waren hier die Nischen nicht mehr gegen den Zugriff Unbefugter geschützt, und ihr Inhalt reagierte in keiner Weise. Die beiden Kunstsonnen unter dem Kuppelzenit erzeugten bizarre Schatten. In der Anlage auf Khrat hatte eine alles durchdringende, schattenlose Helligkeit geherrscht. Rhodan fragte sich, warum die Porleyter hier nur zwei Sonnen installiert hatten.

Er fand die Antwort, als sie den Rand des gelben Bezirks erreichten. Umringt von hohen, brandgeschwärzten Türmen lag ein kreisrunder Platz, auf dem einst zahlreiche niedrige Gebäude gestanden haben mochten. Wenig war noch davon zu sehen, zusammengebackener Schutt bedeckte den Platz. Es bedurfte keiner ausschweifenden Phantasie, sich vorzustellen, was geschehen war. Die ungeheure Hitze, die die Fassaden der Türme geschwärzt, die kleineren Gebäude vernichtet und ihre Trümmer wie erstarrte Lava zurückgelassen hatte, verriet den Absturz mindestens einer Kunstsonne.

Narktor sammelte Proben der geschmolzenen Substanz. Damit würde sich der Zeitpunkt der Zerstörung gut eingrenzen lassen.

Rhodan ging weiter auf das Zentrum zu. Die Zerstörungen ließen nicht einmal mehr das ursprüngliche Straßengefüge erkennen. Die breitesten Straßen liefen offenbar radial dem Mittelpunkt der Station zu; sie wurden durch schmale Nebenstraßen, die wie Ringe gestaffelt waren, untereinander verbunden.

Die Trümmer eines eingestürzten Gebäudes, das gigantisch gewesen sein musste, lagen bis zu hundert Meter hoch. Rhodan schwebte an der Flanke des gewaltigen Schuttbergs in die Höhe. Er dachte zurück an Khrat. Im Zentrum des gelben Bereichs war er auf die Steinerne Charta von Moragan-Pordh gestoßen, eine einmalige Einrichtung. Trotzdem blieb im Hintergrund seines Bewusstseins eine winzige alogische Hoffnung, dass ihm ein ähnlicher Fund gelingen könne – dass er auf einen zweiten Ort stoßen werde, an dem die Porleyter Informationen über ihren Verbleib hinterlassen hatten.

Aus der Höhe des Trümmerbergs blickte er hinunter auf den Platz, und er spürte seine wachsende Enttäuschung. Drunten stand lediglich ein kleiner Kubus aus Metall. Dieses Bauwerk schien viel zu winzig und unbedeutend, als dass es einen Platz im Mittelpunkt des gelben Bezirks beanspruchen durfte.

Er glitt über die Schutthalde wieder abwärts. Die Gefährten folgten ihm schweigend. Trotz allem interessiert, musterte er das metallene Gebäude. Eine der Wände war fugenlos, in einer anderen glaubte er, kreisförmige Umrisse zu erkennen. Sie wirkten wie geschlossene Luken. Urplötzlich wusste er, dass er doch einen wichtigen Fund gemacht hatte.

Der Spezialroboter brauchte nur Minuten, bis er die Verriegelung entschlüsselt hatte und die Luken auffuhren.

Der Blick wurde frei auf vier gleißende zylindrische Röhren, die das Bauwerk zur Hälfte durchdrangen. In jeder Röhre steckte eine Bahre, auf der ein Körper lag, dessen Aussehen den Terranern im Lauf der letzten Wochen vertraut geworden waren.

Jäh setzten sich die Bahren in Bewegung. Sie glitten bis zum vorderen Ende der Röhren, in denen sie wer weiß wie viel Jahrhunderttausende verbracht hatten, und kamen dort zum Stillstand. Der Vorgang schien eine Aufforderung zu sein: Hier sind wir – nehmt uns!

Synthetische Krabbenkörper ... Wie jene im Wrack des Jägers, der die TRAGER angegriffen hatte. Androide Geschöpfe der Porleyter, erschaffen für einen Zweck, den niemand kannte oder erraten konnte. Sie wirkten frisch und unverbraucht, als wären sie erst produziert worden.

Rhodan musterte den blassgrauen Rückenpanzer, den bleichen Vorderkörper mit dem in Scherenfingern endenden Armpaar, den dicken Schädel mit starr und leblos wirkenden acht Augen.

»Keine Bewusstseinstätigkeit!«, meldeten Fellmer Lloyd und Gucky wie aus einem Mund.

Rhodan überlegte, ob es geraten sei, einen der vier Körper mitzunehmen und an Bord der TRAGER zerlegen zu lassen. Vielleicht ließen sich auf diese Weise wichtige Informationen gewinnen. Aber was, wenn die Porleyter die synthetischen Krabbenkörper nicht nur für einen bestimmten Zweck, sondern auch in bestimmter Zahl hinterlassen hatten? Was, wenn sie wider Erwarten plötzlich erschienen und ihnen einer der sorgfältig präparierten Körper fehlte? Er wusste nicht, wie er auf diese Idee kam, doch sie gab den Ausschlag. Er würde die Ruhe der synthetischen Körper nicht stören; sie mochten bleiben, wo sie waren.

»Sieh zu, dass du die Bahren wieder einschleusen und die Luke schließen kannst!«, befahl er dem Spezialroboter.

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da erklang ein leises Summen. Alle vier Bahren glitten in ihre Röhren zurück; die Lukendeckel schwangen einwärts und schlossen sich mit dumpf schmatzendem Laut.

»Warst du das?«, fragte Rhodan den Roboter erstaunt.

»So schnell konnte ich auf deine Anweisung nicht reagieren.«

Die Krabbenkörper hatten sich offenbar von selbst zurückgezogen. Gab es einen Mechanismus, der dafür sorgte, dass sie schon nach einer kurzen Zeitspanne wieder in ihren Röhren verschwanden? Rhodan versuchte, die Logik zu erkennen, die sich hinter dieser Vorrichtung verbarg. Der Zusammenhang wurde ihm nicht klar.

»Wir kehren um«, entschied er. »Das Wichtigste in dieser Station haben wir gefunden, für den Rest haben wir keine Zeit.«

Sie schwebten an einer der vielen Schutthalden empor, als in den Helmempfängern ein schriller Warnschrei erklang: »Wir werden angegriffen!«

Rhodan schaltete sein Gravo-Pak auf maximalen Auftrieb und schoss in die Höhe. Nahezu zeitgleich verschwand vor ihm einer der Roboter in einer Feuerlohe. Der Explosionsdonner dröhnte durch die Kuppelhalle. Einer der Männer von der TRAGER, der sich unmittelbar hinter dem Roboter befunden hatte, wurde zur Seite geschleudert. Sein Gravosystem setzte aus, er stürzte auf die Halde und rutschte in einer Staubwolke den Hang hinab.

Aus seiner Höhe überblickte Rhodan das Gelände bis hin zu dem zentralen Trümmerberg. Er wusste, wer für die Zerstörung des Roboters verantwortlich war, trotzdem wollte er seiner Sache sicher sein. Mit hoher Beschleunigung flog er sich in Richtung des Platzes, den sie vor kaum einer halben Stunde verlassen hatten. Im Helmempfang war mittlerweile ein Stimmengewirr. Der Mann, der sich hinter dem Roboter bewegt hatte, war verletzt, aber seine Schutzmontur hatte standgehalten. Der Gegner zögerte mit einem weiteren Anschlag.

Als Perry Rhodan erkannte, was sich auf dem vor dem Trümmerberg Platz getan hatte, bremste er ab und näherte sich langsam dem würfelförmigen Gebäude.

Die beiden oberen Luken standen offen, die Bahren hingen so weit aus den Röhren, dass sie abzustürzen drohten. Die Androidenkörper hatten die dicken Schädel erhoben und bewegten sie pendelnd hin und her – wie Schlangen, die ihren Gegner zu identifizieren suchten.

Rhodan landete auf dem Dach. Er verstand zu wenig von der Vorgehensweise der Androiden, um zu erkennen, ob er sich in Gefahr befand. Bisher hatten sie ihre Zerstörungswut an Maschinen ausgetobt. Er zog den Kombistrahler und schaltete ihn auf Schockmodus. In dem Moment materialisierte der Ilt neben ihm.

»Vorerst besteht keine Gefahr!«, stieß Gucky hervor. »Ihre Bewusstseine sind nur minimal aktiv. Wahrscheinlich suchen sie nach einem neuen Ziel.«

Rhodan hob die Waffe, der Mausbiber wehrte ab. »Lass mir einige Sekunden Zeit, ihre Denkmuster zu sortieren. Ich warne dich, wenn ...«

»Sind es dieselben?«, unterbrach Rhodan.

»Eindeutig. Dieselben Bewusstseine wie an Bord der DAN PICOT und im Jäger.«

Gewiss hatten die reglosen Androidenkörper das Wrack des Jägers nicht verlassen und waren in die Höhle gekommen, um sich in den Röhren des metallenen Würfels zu verbergen. Nur die Bewusstseine, die sie beseelt hatten, waren in die Unterwelt vorgedrungen und hatten neue Wirtskörper gefunden. Bewusstseinstransfer! Wie sollte man sich gegen Wesen schützen, die ihr Bewusstsein von einem Körper in den nächsten versetzen konnten?

»Vorsicht!«, warnte Gucky. »Sie haben etwas gefunden.«

Die pendelnde Bewegung der Androidenschädel hörte auf. Beide Krabbenwesen hatten sich auf den Armen in die Höhe gestemmt und verharrten nun. Sie schienen in die Ferne zu blicken.

»Jetzt!«, sagte der Ilt.

Rhodan schoss. Die Androidenkörper sackten in sich zusammen. Nur Sekunden vergingen, dann glitten die Bahren in die Röhren zurück. Die Luken schlossen sich.

»Nichts mehr«, sagte Gucky nach einer Weile. »Ihre Bewusstseine sind wie leergebrannt. Das war seltsam.«

»Was war seltsam?«

»Ich möchte wetten, dass sie den Geist aufgaben, bevor der Schockstrahl sie traf. Vielleicht eine Hundertstelsekunde früher. Sie haben die ganze Zeit über gewusst, dass wir hier standen, und sich zurückgezogen, bevor du sie lähmen konntest.«

Der Rückweg blieb ohne weiteren Zwischenfall. Perry Rhodan rief die TRAGER an und befahl, im Wrack des Jägers nachzusehen, ob sich die Androidenkörper noch dort befanden. Die Antwort kam, als er mit seinen Begleitern den Riss in der Kuppelwand erreichte. Die beiden Androiden hatten sich nicht von der Stelle gerührt.

Zurück an Bord des Schweren Kreuzers, wurde der Verwundete den Medospezialisten übergeben. Rhodan suchte das physikalische Labor auf, in dem Waringer arbeitete.

»Ich habe von deinem Erfolg schon gehört«, eröffnete der Wissenschaftler. »Eine Station der Porleyter. Gute Arbeit!«

»Was für ein Erfolg? Ein Roboter steht auf der Verlustliste, einer meiner Leute liegt in der Medostation. Im Übrigen sind wir so schlau wie zuvor.«

»Wir wissen, dass die Porleyter hier waren«, widersprach Waringer. »Das gibt dem Monolithen und dem Ammoniaksee ein gewisses Maß an zusätzlicher Bedeutung.«

»Geoffry, das ist nicht das Problem. Ich bin angewiesen, das Versteck der Porleyter zu finden. Nur die Porleyter können die Frage nach dem Frostrubin beantworten. Ich werde mich sogar mit der Hinterlassenschaft der Porleyter zufriedengeben, falls ich keine Überlebenden finden kann. Aber was geschieht? Ich folge Spuren, die hierhin und dorthin führen und keinen Sinn ergeben. Meine Mutanten schlafen, die Zellaktivatoren arbeiten fehlerhaft. Und als ob das nicht genug wäre, spuken zwei Geister herum. Ich bin gezwungen, sie für überlebende Porleyter-Bewusstseine zu halten. Die Wesen, zu denen ich geschickt wurde, haben nichts Wichtigeres zu tun, als mich mit allen Mitteln von ihnen fernzuhalten. Und ihre Mittel sind alles andere als bescheiden.«

»Bist du sicher, dass es sich um Porleyter handelt?«

Rhodan machte eine ärgerliche Geste. »Gib mir eine andere Erklärung und ich bin bereit, sie in Erwägung zu ziehen.«

Der Wissenschaftler schwieg.

»Wir haben knapp zwei Tage Zeit, Geoffry«, sagte Rhodan. »Gucky und Fellmer könnten schon jetzt im Stehen schlafen. In spätestens zwanzig Stunden werden die ersten Fehlfunktionen der Aktivatoren einsetzen. Was geschieht, wenn ich weder die Porleyter noch ihre Hinterlassenschaft finde?«

»Du hast zwei Stationen entdeckt. Lass sie untersuchen! Vielleicht bergen sie die Informationen, die du brauchst.«

3.

Der Wind wehte aus Südost, und Mh-Kleinenführer war gezwungen, mühsam zu kreuzen, während er sich auf den Wurm zubewegte, der von dem kugelförmigen, auf dünnen Beinen stehenden Fahrzeug der Fremden zu den Ufern des Großen führte. Mh hatte die Tentakel so aufgestellt, dass sich der Wind darin fing; doch er musste scharf auf den Anstellwinkel der Haarbüschel achten, sonst trieb ihn der Wind dorthin zurück, von wo er gekommen war.

Eine Nacht und den folgenden Tag hatte er mit seinen Kleinen an der Seite des nördlichen Wurms zugebracht. Die Fremden hatten sich nicht wieder sehen lassen, auch nicht jene, die am Fuß des Guten großen Schaden angerichtet hatten. Mh hatte das Loch, das im Körper des Göttlichen entstanden war, mit den Fühlern seines Wirtskörpers betrachtet.

Allem Anschein nach war sein Unternehmen erfolgreich gewesen. Er hatte den Wurm schwer beschädigt und die Fremden wussten nun, dass sie nicht ungestraft gegen den Guten freveln konnten, und hielten sich endlich von ihm fern. Und das, obwohl er sich vorgenommen hatte, den gesamten nördlichen Wurm zu zerstören. Mh war davor zurückgeschreckt – aus Gründen, die er bislang nicht verstand, obwohl sich sein Bewusstsein einen halben Tag lang damit beschäftigt hatte. Da er somit zum Nachlässigen geworden war, erschien es ihm umso wichtiger, festzustellen, dass er sein Ziel trotzdem erreicht hatte.

Auf der Oberfläche seines Amöbenkörpers entstand das Bild des südwestlichen Wurms, der über dem Felswirrwarr vor ihm sichtbar wurde. Kurze Zeit später stieß Mh auf eine Gruppe von Kleinen. Sie gehörten nicht zu den Seinigen, die hatte er zur Weichsenke zurückgeschickt. Er betastete sie und erfuhr aus ihren schwach artikulierten Antworten, dass sie der Sorgegruppe Grauhöhle angehörten. Sie bezeichneten ihm ungefähr die Gegend, in der er nach Gp-Kleinenführer, seinem Konterpart vor Grauhöhle, zu suchen hatte.

Er fand Gp in einer Mulde, von der aus der Wurm kaum zu sehen war. Gp streckte ihm seine Tentakel entgegen und tastete: »Ich habe von deinem Erfolg gehört. Er wird sich hier kaum wiederholen lassen. Wir haben keine einzige Unebenheit im Leib des Wurms gefunden.«

»Außerdem ist der letzte Regen längst versickert, und es steht dir keine Flüssigkeit zur Verfügung«, antwortete Mh.

»Es sei denn, wir holen sie vom Großen.« Die Grauhöhle war weit vom Ufer des Großen entfernt. Gp kannte die Eigenarten des Großen nicht, das ging aus seiner Bemerkung hervor.

»Er wird es nicht zulassen«, tastete Mh-Kleinenführer.

»Ja, ich habe davon gehört, dass er nichts an sein Ufer heranlässt«, klagte Gp. »Er ist göttlich, aber er duldet unsere Verehrung nicht wie der Gute.« Gp ließ sich zu einer kühnen Schlussfolgerung verleiten: »Wenn er uns nicht duldet, warum sollen wir ihn dann vor den Fremden beschützen?«

Mh antwortete nicht sofort.

»Das Leben ist kurz und voller Mühe«, fuhr Gp fort. »Es ist nicht mehr wie in den Zeiten, als unsere Vorfahren in warmen Meeren lebten und sich ihrer Vervollkommnung widmeten. Wir haben so viel allein mit der Nahrungsbeschaffung zu tun, dass wir nicht an unseren Geist denken können. Warum sollen wir uns das Leben noch schwerer machen, indem wir einen Göttlichen verteidigen, der sich nicht um uns kümmert?«

Das Leben ist kurz ... »Was du sagst, klingt nicht unvernünftig«, tastete Mh. »Die Entscheidung ist die deine. Ich bin nur gekommen, um dich wissen zu lassen, dass die Fremden den nördlichen Wurm nicht mehr benützen. Sie haben sich wohl entschlossen, den Guten in Frieden zu lassen.«

Auf dem Weg zur Weichsenke dachte er über Gps Bemerkung nach. Das Leben ist kurz.