Perry Rhodan 154: Kodexfieber (Silberband) - Kurt Mahr - E-Book

Perry Rhodan 154: Kodexfieber (Silberband) E-Book

Kurt Mahr

0,0

Beschreibung

Das Jahr 429 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Die Menschen sind in weit voneinander entfernten Regionen des Kosmos in Kämpfe verwickelt, die ihren Horizont eigentlich überschreiten. Zwischen den Kosmokraten und den Chaotarchen drohen sie zerrieben zu werden. Als Perry Rhodan den Konflikt mit den "Hohen Mächten" riskiert, trifft ihn ihr Bann. Der Terraner wird gezwungen, die heimatliche Milchstraße zu verlassen. Sein Weg führt in die Mächtigkeitsballung Estartu. Diese besteht aus zwölf Galaxien – eigentlich sind sie voller Wunder, doch ihre Bewohner stehen in einem permanenten Konflikt, den die Ewigen Krieger ständig anheizen. In den fernen Sterneninseln sind bereits Bewohner der Milchstraße unterwegs, die sogenannten Vironauten. Unter ihnen ist Reginald Bull, der älteste Freund Perry Rhodans. Er muss sich dem Kodexfieber stellen, das unter anderem die Vironauten auf unheimliche Weise verändert …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 510

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nr. 154

Kodexfieber

Cover

Klappentext

Kapitel 1-10

1. Geburt einer Sonne

2. Demission

3. Eine andere Wirklichkeit

4. Wieder daheim

5. Julian Tifflor

6. Die erste Stufe

7. Transmitterprobleme

8. Ausbildung zum Shad

9. Kodexmoleküle

10. Quarantäne

Kapitel 11-20

11. Kralsh

12. Ursache und Wirkung

13. Erinnerungen

14. Cappins

15. Tod eines Ganjos

16. Ovarons Erbe

17. Kynovaron

18. Jenseits von Raum und Zeit

19. Siralia

20. Die Allianz

Kapitel 21-26

21. Der Elfahder

22. Die List des Schiedsrichters

23. Die Welt des Architekten

24. Die Gilde der Spielmacher

25. Der verlorene Kampf

26. Vor dem Spiel des Lebens

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Das Jahr 429 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Die Menschen sind in weit voneinander entfernten Regionen des Kosmos in Kämpfe verwickelt, die ihren Horizont eigentlich überschreiten. Zwischen den Kosmokraten und den Chaotarchen drohen sie zerrieben zu werden. Als Perry Rhodan den Konflikt mit den »Hohen Mächten« riskiert, trifft ihn ihr Bann.

Der Terraner wird gezwungen, die heimatliche Milchstraße zu verlassen. Sein Weg führt in die Mächtigkeitsballung Estartu. Diese besteht aus zwölf Galaxien – eigentlich sind sie voller Wunder, doch ihre Bewohner stehen in einem permanenten Konflikt, den die Ewigen Krieger ständig anheizen.

1. Geburt einer Sonne

»Hier spricht das Neutrum«, hallte eine unbekannte Stimme durch die Kommandozentrale der BASIS. »Jeder ist aufgefordert, die Gefahrenzone Taknu sofort zu verlassen – die Bildung einer Megasonne steht bevor.«

Es folgte eine Fülle fremder Koordinaten.

Waylon Javier, der Kommandant des terranischen Fernraumschiffs, warf nur einen raschen Blick auf die eingeblendeten Datenkolonnen. »Können die Angaben in unser System umgedeutet werden?«, fragte er die Hamiller-Tube.

»Die Umrechnung erfolgt bereits, Sir.« Die Positronik, sie war vor mehr als 400 Jahren von dem genialen Wissenschaftler Payne Hamiller installiert worden, antwortete förmlich wie immer. »Das bezeichnete Gebiet hat Kugelform, Radius acht Lichtmonate.«

»Wir verlassen die Gefahrenzone auf dem kürzesten Kurs!«, entschied Javier.

»Verstanden, Sir.«

»Weiter, Hamiller. Was war das überhaupt für eine Stimme, die da eben sprach?«

»Die Stimme des Neutrums, Sir.«

Waylon Javier kniff die Brauen zusammen. »Ich präzisiere meine Frage: Was ist das Neutrum?«

»Sie verleiten mich zum Spekulieren«, sagte die Hamiller-Tube geziert. »Das Neutrum ist vermutlich eine der rätselhaften Komponenten der Tiefe.«

»Wie kam der Empfang zustande?«

»Normaler Hyperfunk, Sir. Die Sprache war Armadaslang. Ich stelle fest, dass sich die Schiffe der Endlosen Armada schon in Bewegung setzen.«

Javiers Blick suchte das Ortungsbild, doch war dort herzlich wenig zu sehen. Vor einigen Tagen hatte er angeordnet, alle Reflexe der Armada auszublenden. Die Abermillionen von Raumschiffen hatten die Szenerie verschleiert, die er eigentlich zu sehen wünschte: die gigantische Ansammlung riesiger Fragmente, die bis vor Kurzem das Tiefenland gewesen waren. Sie bewegten sich in unmittelbarer Nähe des verwaschenen Echos, das von einem halb materiellen, halb energetischen Gebilde ausging. Dieses undefinierbare Gebilde war die Grube, die einzige Verbindung zwischen dem Standarduniversum und dem fremddimensionalen Bereich der Tiefe. Durch die Grube war vor etlichen Tagen der Frostrubin, das Kosmonukleotid TRIICLE-9, in die Tiefe diffundiert.

Die BASIS hatte fünf Lichtstunden abseits Position bezogen. Doch selbst über die große Entfernung hinweg war der Schwerkrafteinfluss der Fragmente deutlich wahrzunehmen.

»Hamiller, ist eine Megasonne das, was ich mir darunter vorstelle?«, drängte Waylon Javier.

»Wenn Sie mich fragen, Sir, der Begriff ist eindeutig: ein gigantischer Feuerball, der entsteht, sobald die gesamte Materie hier in den Zustand des progressiven Kollapses übergeht. Wir haben es mit dem Äquivalent von mindestens hundert Millionen Sonnenmassen zu tun. Wenn das alles in sich zusammenstürzt ... Sie wissen, was dann geschieht?«

Waylon Javier nickte stumm.

Schweigen herrschte in der von sanftem, goldfarbenem Licht erfüllten Halle.

Der Einsame kauerte im Zentrum des weitläufigen Areals. Sein Körper hatte schon vor Jahrtausenden begonnen, sich zu verwandeln, und mittlerweile durchzogen dicke dunkelrote Adern einer metallischen Substanz die blaue Körpermaterie. Diesem Schicksal hatte sich keiner seiner Vorgänger entziehen können. Die Einsamen der Tiefe, die Hüter des Neutrums, beendeten ihre Karriere stets als erstarrte Metallblöcke.

In dieser Zustandsform wurde ihnen jedoch die höchste Ehre zuteil, die einem Jaschemen widerfahren konnte: Sie wurden als Statue am Transmittereingang aufgestellt, um dort für alle Zeit über die Sicherheit des Neutrums zu wachen.

In seiner Passivgestalt war er fast fünf Meter groß. Einem Terraner, der ihn so zu sehen bekommen hätte, wäre wohl der Vergleich mit einem Monolithen aus dunkelblauem Gestein in den Sinn gekommen.

In die Aktivgestalt überzuwechseln, fiel ihm wegen der metallischen Einschlüsse immer schwerer. Andererseits gab es für ihn keinen zwingenden Grund, sich zu bewegen. Die Aufgaben, die dem Einsamen der Tiefe oblagen, konnte er von jedem beliebigen Ort aus wahrnehmen. Das Neutrum war ein technisches Meisterwerk, geboren aus der Genialität der Raum-Zeit-Ingenieure, geschaffen mit dem allumfassenden Wissen der Jaschemen.

Er fühlte inneren Frieden. Ihm war es vergönnt gewesen, mehr und Größeres zu leisten als alle seine Vorgänger zusammen, mit Ausnahme womöglich des ersten Einsamen der Tiefe. Er selbst hatte nicht nur treu das Tiefenland mit Energie und Schutz versorgt – er hatte zudem den Vorsitz über die Auflösung des Tiefenlands geführt, als sich das Unvermeidliche nicht länger hinausschieben ließ. Billionen intelligenter Wesen verdankten ihm ihr Leben. Er hatte sie auf den 150.000 Überlebensinseln zusammengeführt und verhindert, dass sie mit den zerbrechenden Fragmenten des Tiefenlands ins Nichts stürzten. Gewiss, ihm war dabei Unterstützung zuteilgeworden. Der Plan an sich war den Gehirnen der fünf letzten Raum-Zeit-Ingenieure entsprungen. Aber hätten sie ihn ohne den Einsamen der Tiefe verwirklichen können? Niemals! Die Jaschemen hatten es verstanden, das Neutrum so zu konstruieren, dass nur einer der Ihren das Instrumentarium bedienen konnte.

Er war zufrieden. Er hätte nun, Jahrtausende vor dem natürlichen Ende seines Lebenslaufs, vollends zu Metall erstarren können. Aber er wollte nicht schon abtreten. Er war derjenige, der den Völkern des Tiefenlands eine neue Existenz bescherte. Er wollte wenigstens ein paar Jahrhunderte lang beobachten, wie sie sich damit zurechtfanden.

Es gab zudem einiges zu tun. Das Neutrum stand unmittelbar davor, durch die Grube in das Kontinuum vorzudringen, das die Besucher von außerhalb als Standarduniversum bezeichnet hatten. Jener Raum würde das Ende der Grube einleiten, zugleich mit der Geburt der neuen Sonne. Taknu hatten die Raum-Zeit-Ingenieure sie genannt. Der Inbegriff des Schönen bedeutete das Wort in ihrer Sprache. Ein mächtiges Gebilde würde es sein, an Leuchtkraft mit den gewaltigsten Supernovae wetteifernd. Allerdings würde es nicht wie Supernovae binnen weniger Monate verglühen. Taknu war für die Ewigkeit gedacht.

Der Vorgang der Sonnenschöpfung verlief nahezu selbsttätig. Eine derart gewaltige Masse wie die Überreste des Tiefenlands konnte nicht auf engstem Raum existieren, ohne dass es zu einem apokalyptischen Kollaps kam. Die Natur hätte jedoch Jahrzehnte gebraucht, um den Prozess in Gang zu setzen. Nach dem Willen des Einsamen hingegen sollte alles innerhalb weniger Tage abgeschlossen sein. Auch das Endprodukt des natürlichen Vorgangs wäre ein anderes gewesen, als es dem Hüter des Neutrums vorschwebte. Die Natur hätte ein Black Hole erzeugt. Er hingegen wollte eine stabile Sonne, mit einem Hohlraum im Zentrum, der das Neutrum aufnehmen würde.

Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Die benötigte Energie lieferten die Trümmer des Tiefenlands selbst. 30 Prozent der Gesamtmasse mussten für die Beschleunigung der Sonnenbildung sowie für die Erzielung eines stabilen nichtsingulären Endprodukts aufgewendet werden. Weitere 20 Prozent musste der Einsame für den Schutz des Neutrums und als Reserve abzweigen. Die Substanz der Sonne Taknu würde letztlich also nur die Hälfte der Masse des Tiefenlands ausmachen. Die 150.000 Überlebensinseln spielten in dieser Rechnung so gut wie keine Rolle; sie waren lediglich mit ein paar Millionstel Prozent an der Gesamtmasse des Tiefenlands beteiligt. Taknu würde die gewaltigste Sonne sein, die das Universum je geboren hatte.

»Gebt mir ein Bild!«, verlangte er.

Die psionischen Sensoren reagierten prompt. Dunkelheit umfing Gnarrader Blek, den Einsamen der Tiefe. In weiter Ferne gewahrte er einen verwaschenen Lichtfleck.

»Schneller!«, drängte er, und der Lichtfleck wuchs.

Der Einsame erkannte, dass nicht mehr viel Zeit bleiben würde, bis das Neutrum durch die Grube hinaus in das ihm fremde Kontinuum schwebte, in dem die Sonne Taknu entstehen sollte. Es war unerlässlich, dass er eine Warnung ausgab. Alle, die sich dort draußen in der Nähe befanden, mussten sich zurückziehen; sonst würde die Glut der neuen Sonne sie auffressen.

Gnarrader Blek wartete, bis die Sensoren einen Kommunikationskanal einrichteten, der die Grube durchdrang. Dann sendete er seine Warnung.

Fasziniert betrachtete Waylon Javier den gigantischen Glutball. Die Oberflächentemperatur des neuen Sterns lag weit über 100.000 Grad Celsius. Ein Monstrum war entstanden, wenngleich der Prozess der Sonnenbildung noch nicht zu Ende war.

Das Bild wirkte ruhig, es verriet nichts von den angemessenen starken hyperenergetischen Schwankungen. Javier versuchte sich vorzustellen, wie jene, die Taknu erschaffen hatten, letzte Hand anlegten, um die Stabilität ihrer Schöpfung zu garantieren. Er schaffte es nicht, sich da hineinzudenken.

Die Beleuchtung in der Kommandozentrale der BASIS war gedämpft. In der Mitte des Raumes schwebte die dreidimensionale Darstellung des Weltraums rings um die Grube. Das Holo wurde aus den überlichtschnellen Ortungsergebnissen errechnet und zeigte nahezu Unbegreifliches. Die Fragmente des Tiefenlands hatten sich zu einem massiven Klumpen zusammengeballt und strahlten bereits in sattem Blau. Der glühende Ball schien sich aufzublähen, seine Leuchtkraft wurde mit jeder Sekunde intensiver.

Unmittelbar außerhalb des grellen Bereichs gab es Scharen glitzernder Reflexe – die während der letzten Stunden in Schwärmen aus dem Nichts materialisierten Überlebensinseln. Die beiden Kosmokraten Vishna und Taurec hatten das Erscheinen der Inseln vorhergesagt. Dort war die Bevölkerung des ehemaligen Tiefenlands zusammengepfercht. Die scheibenförmigen Gebilde, jedes nur einen Kilometer dick, aber 300.000 Kilometer durchmessend, würden die Planetenfamilie der neuen Sonne bilden. Rund 150.000 waren es, eine mehr als stattliche Anzahl.

»Sie sind dem Zentrum des Geschehens wesentlich näher als wir«, kommentierte Waylon Javier. »Was schützt die Inseln vor der extremen Strahlung?«

»Es gibt starke Schirmfelder, wie wir sie nicht einmal mit dem gesamten Ausstoß unserer Generatorenanlagen erzeugen könnten«, antwortete die Hamiller-Tube. »Die größte Gefahr, die in unmittelbarer Nähe der neuen Sonne droht, sind die Gravitationsschocks. Die Schirme der Überlebensinseln absorbieren sie mühelos. Aber noch etwas anderes ist bemerkenswert: Die Ergebnisse der hyperbarischen Sondierung weisen aus, dass sich im Zentrum der neuen Sonne ein Hohlraum befindet!«

Das überraschte Javier nicht. Damit wurde nur etwas mehr Unbegreifliches auf ohnehin schon Unglaubliches gehäuft. Eigentlich hätte Taknu binnen weniger Stunden den größten Teil ihrer Substanz in einer gigantischen Explosion rundum davonblasen und aus dem Rest ein Schwarzes Loch in nie zuvor beobachteter Massivität bilden müssen. Dass dies nicht geschah, bewies eindeutig, dass Kräfte am Werk waren, die sich einer unvorstellbar weit entwickelten Technik bedienten. Warum sollten sie nicht einen Hohlraum im Innern des Höllenofens schaffen? Wahrscheinlich lenkten jene Kräfte sogar von dort aus die Entwicklung der Sonne.

Waylon Javier lachte hell auf. Nur lag keine Freude in diesem Lachen, sondern Hilflosigkeit.

»Aus dem Innern der Sonne kommt ein Fahrzeug hervor, Sir!«, meldete Hamiller.

Javiers Lachen erstarb jäh. »Aus der Sonne?«, fragte er.

»Aus der Sonne, Sir!«, bestätigte Hamiller. »Und das Fahrzeug nimmt Kurs auf die BASIS.«

Das Neutrum hatte die Grube durchdrungen. Der Raum in diesem Bereich war erfüllt mit den Überresten des Tiefenlands. Gnarrader Blek sah die Fragmente heranschießen: riesige Gebilde, jedes zig Millionen Kubikkilometer groß. Aus seiner Perspektive gesehen wirkten sie dennoch nur wie Kieselsteine, die durch die Leere des Weltraums taumelten und dabei einander rasch näher kamen. Blek sah sie aufeinanderprallen und glaubte schier zu fühlen, wie ihre kinetische Energie sich in Wärme umwandelte.

Sehr schnell umschloss eine mächtige Wand aus Feuer das Neutrum, das alle Energie der Grube in sich aufgesogen hatte. Die Grube existierte nicht mehr, aber die Sonne Taknu entstand. Der Eingang zur Tiefe war damit verschlossen.

Gnarrader Blek ließ sich andere Bilder vorführen. Er blickte über den gigantischen Feuerball hinaus und sah wieder die Überlebensinseln. Die Feldschirme zumindest der sonnennächsten Inseln reflektierten das grelle Licht der neuen Sonne schon. Allen, die in den Überlebensbereichen Zuflucht vor dem Untergang des Tiefenlands gesucht hatten, erwuchs aus der Geburt der Sonne keine Bedrohung. Ein neues Sternenreich war im Entstehen begriffen: eine Sonne mit 150.000 bizarren Planeten.

Es war Zeit, Abschied zu nehmen.

Gnarrader Blek rief die Letzten der Raum-Zeit-Ingenieure zu sich, und sie kamen sofort. Er sah sie an und redete wie seine Vorfahren, ohne das Pronomen der ersten Person Singular.

»Ein Band der Freundschaft ist zwischen euch und Gnarrader Blek entstanden«, sagte er. »Die Freunde haben gemeinsam Dinge vollbracht, die das Universum auf lange Zeit in Staunen versetzen werden. Eine neue Sonne entsteht und wird den Ruhm dieser Freundschaft verkünden. Dennoch müssen die Freunde jeder seinen eigenen Weg gehen – nur Gnarrader Blek bleibt als Hüter der Sonne zurück.«

Fast liebevoll streifte der Blick seiner wenigen Sehorgane, die die Materie des verhärtenden Körpers gebildet hatte, über die fünf Raum-Zeit-Ingenieure hinweg.

»Myzelhinn, Gurdengan, Boornhaal«, bedeutungsvoll sprach der Jascheme ihre Namen aus, »Joilinn und Neusenyon – ihr werdet zurückkehren wollen zu den Euren. Die Zeit des Graulebens ist vorüber. Die Grauen Lords sind wieder die Raum-Zeit-Ingenieure, die sie früher waren. Euer Fahrzeug wartet. Ihr werdet die Sonne unbeschadet durchqueren können.«

»Wir kehren zu unserem Volk zurück«, bestätigte Myzelhinn. »Das heißt: meine vier Gefährten. Ich selbst werde vorher einen Abstecher machen, denn ich muss mit jemandem reden.«

»Du willst den Kosmokraten Fragen stellen?«

»So ist es«, bestätigte Myzelhinn. »Zwei von ihnen weilen in der Nähe, an Bord eines der Raumschiffe, deren Besatzungen du aufgefordert hast, sich in sichere Entfernung zurückzuziehen.«

»Er weiß es«, sagte Gnarrader Blek. »Und er empfiehlt dir, mit jenen beiden dort zu gehen.«

Sein Blick richtete sich auf Tengri Lethos-Terakdschan, der ihm von Anfang an Rätsel aufgegeben hatte. Lethos-Terakdschan war ein eigenartiges Wesen, er wirkte materiell und schien dennoch nur eine Projektion zu sein.

Neben Lethos schwebte ein unscheinbarer schwarzen Kasten, das Tabernakel von Holt. Es war nicht immer ein sympathischer Zeitgenosse, doch es zeigte mitunter eine Weisheit, wie sie nur ein langes Leben vermittelte.

»Nehmt den Raum-Zeit-Ingenieur mit, ihr zwei«, bat Gnarrader Blek. »Er weiß, dass ihr zu jenem Schiff namens BASIS wollt. Myzelhinn soll die Kosmokraten erkennen lassen, dass die Tiefe ihnen wenig Dank schuldet.« Er bildete einen kurzen Tentakel aus und deutete mit ihm auf die Projektionen der feurig spiegelnden Überlebensinseln. »Geht!«, sagte er. »Bald wird sich die Krümmung schließen, bis dahin müsst ihr Taknu verlassen haben.«

Die Raum-Zeit-Ingenieure wandten sich wortlos ab und verließen die Halle. Lethos-Terakdschan und das Tabernakel gingen mit ihnen. Gnarrader Blek war ihnen dankbar, dass sie auf eine unnütze Diskussion verzichteten. Es hätte ohnehin nichts mehr zu sagen gegeben.

Über die Servos sah er, dass die RZI ihre Fahrzeuge erreichten. Die schimmernden Hüllen aus reiner Energie würden alle vor der tosenden Glut der jungen Sonne schützen.

Blek war zufrieden, als beide Fahrzeuge vor sich einen Tunnel ausbildeten, der das Sonnenfeuer auf Distanz hielt. Er verfolgte den Flug, soweit es ihm der Erfassungsbereich der Module erlaubte.

Schließlich sank Gnarrader Blek in seine Passivgestalt zurück. Für kurze Zeit hatte die Gesellschaft der Raum-Zeit-Ingenieure ihn wieder inspiriert und ihm neue Kraft gegeben. Doch mit einem Mal fürchtete er sich vor der Einsamkeit, die ihn erwartete. Blek wischte die Überlegung beiseite. Ausgerechnet er, der Einsame der Tiefe, sollte Angst vor der Einsamkeit haben? Das war lächerlich.

»Wir müssen die Krümmung schließen!«, forderte er die Servos auf.

»Das Programm ist bereits aktiv«, antwortete die Maschinerie des Neutrums.

»Ein weiteres Fahrzeug, eine eher konventionelle Konstruktion!«, meldete die Hamiller-Tube. »Es nähert sich von einer der Überlebensinseln.«

Waylon Javier hörte das Hauptschott aufgleiten. Zugleich erlosch das Holo, das ihm das ankommende Fahrzeug zeigen sollte, ohne dass er eine entsprechende Anweisung erteilt hatte. Ahnungsvoll wandte Javier sich um und blickte zum Eingang der Zentrale.

Unter dem offenen Schott standen Taurec und Vishna. Die Gesichter der beiden Kosmokraten waren unbewegt. Nichts verriet, dass sie in die Projektion eingegriffen hatten, dennoch zweifelte Javier nicht daran, dass einer von beiden das Holo abgeschaltet hatte.

»Zwei Fahrzeuge nähern sich der BASIS«, sagte Taurec. »Zweifellos bringen sie wichtige Gäste.«

»Ich nehme an, du hast recht«, entgegnete Javier. »Eines davon kam unmittelbar aus der neuen Sonne. Ich glaube nicht, dass jemand ohne wichtigen Anlass einen solchen Flug unternimmt. Trotzdem wäre es mir angenehm, wenn du mir als dem Kommandanten der BASIS wenigstens etwas Respekt entgegenbringen würdest. Ich erinnere mich nicht, dass ich die Löschung der Projektion angeordnet hätte.«

»Ich bedaure, der Eifer ist mit mir durchgegangen.« Taurecs Stimme klang hart, aber ehrlich. »Einer der Passagiere an Bord könnte Perry Rhodan sein.«

»Ich wollte, es wäre so.« Javier nickte knapp.

»Das erste Fahrzeug setzt zur Landung an – nein, es hat sich in dem Moment aufgelöst!«, teilte Hamiller mit. »Zwei Personen und ein ... Gegenstand. Bemerkenswert! Das Fahrzeug muss aus reiner Energie bestanden haben.«

»Ist es erforderlich, dass wir sie an Bord nehmen?«, fragte Javier.

»Nicht nötig«, erklang es fast gleichzeitig hinter ihm. »Wir haben unser eigenes Transportmittel mitgebracht.«

Der Kommandant fuhr herum. Er hatte schon von Taurec erfahren, dass sich der Hathor im Bereich der Tiefe aufhielt. Tengri Lethos war an Bord der SYZZEL erschienen, um Perry Rhodan Bericht zu erstatten, bevor dieser in die Grube ging, um die Feinjustierung des Moralischen Codes vorzunehmen.

Trotzdem wurden Javiers Züge starr, kaum dass er den Hüter des Domes Kesdschan sah. Von Lethos-Terakdschans Anwesenheit zu hören oder ihm unvermittelt gegenüberzustehen, das war ein enormer Unterschied. Nachdenklich musterte der Kommandant der BASIS die hochgewachsene Gestalt in der smaragdgrünen Montur. Nur beiläufig beachtete er das etwa zwei Handspannen lange Kästchen, das neben dem Hathor in der Luft hing. Das musste der Gegenstand sein, den Hamiller erwähnt hatte.

Der Fremde, der sich ebenfalls in Lethos' Nähe hielt und mit dem Hathor langsam zum Kommandopodest kam, fesselte Javiers Aufmerksamkeit hingegen sofort. Dieses Wesen war ein Zwerg mit dünnen Ärmchen und schmächtigem Körper. Die kurzen Beine mit den übergroßen Füßen passten nicht recht dazu. Noch auffallender war jedoch der große haarlose Kopf mit den runden, braunen Augen, die ungläubig staunend alles aufzunehmen schienen, was sie sahen.

Der Blick der großen Augen ruht auf Javier. Spontan empfand er tiefe Zuneigung für den Kleinen.

»Waylon Javier«, sagte Tengri Lethos und blieb vor dem Kommandopodest stehen. »Ich erkenne dich. Es tut mir gut, dich zu sehen.«

Javier hatte sich bereits aus seinem Sessel erhoben. »Willkommen an Bord der BASIS, Hüter des Domes. Was weißt du über Perry Rhodan?«

Der Hathor lächelte. »Mach dir keine Sorge. Rhodan wird erscheinen, sobald es an der Zeit ist.«

Die beiden Kosmokraten hatten ebenfalls den Kommandostand erreicht.

»Was weißt du über den Terraner?«, fragte Taurec ungewöhnlich laut.

In das Lächeln des Hathors mischten sich Bitterkeit und ein Hauch von Spott. Ohne sich zu dem Kosmokraten umzudrehen, antwortete er: »Höre ich da das ungehobelte Geschöpf, das Gäste aus seinem Fahrzeug wirft, weil sie unbequeme Dinge zur Sprache gebracht haben?«

Nur langsam wandte Tengri Lethos-Terakdschan sich Taurec zu. Sein Lächeln verschwand. »Den Informationsströmen im Neutrum war zu entnehmen, dass Perry Rhodan sein Ziel erreicht hat. Es bleibt ihm genug Mentalsubstanz ...«

»Das Ziel ist erreicht?«, fragte Vishna dazwischen. »Rhodan kennt die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage?«

»Es bleibt ihm genug Mentalsubstanz, dass er aus eigener Kraft zur BASIS zurückkehren kann«, fuhr Lethos unbeirrbar fort. »Was deine Frage anbelangt: TRIICLE-9 liegt fest am Berg der Schöpfung, die Feinjustierung des Moralischen Codes ist erfolgreich abgeschlossen. Das, dachte, ich, war Perry Rhodans Ziel. Über die Ultimate Frage und ihre Beantwortung weiß ich nichts.«

»Die Informationsströme enthielten nichts darüber?«, fasste Taurec nach.

»Ich würde es dir nicht verschweigen, trotz deiner vorbildlichen Manieren«, sagte der Hathor. »Es gab keine Information in dieser Hinsicht.«

Taurec war anzusehen, dass er sich Mühe gab, verbindlich zu bleiben. »Du glaubst, unfreundlich behandelt worden zu sein, das ist mir klar«, begann er, wurde aber von der Hamiller-Tube unterbrochen:

»Zweites Fahrzeug legt an! Die Transmitterverbindung ist bereit.«

Das zwergenhafte Wesen hatte bislang keinen Laut von sich gegeben. Es ließ nicht einmal erkennen, ob es den verbalen Schlagabtausch zwischen Lethos und den Kosmokraten überhaupt zur Kenntnis genommen hatte. Seine großen Augen waren starr auf Javier gerichtet.

Der Kommandant wurde abgelenkt, denn eine bunte Schar materialisierte im Transmitter. Den Anfang machten Atlan und Jen Salik, die beiden Ritter der Tiefe. Hinter ihnen folgte ein blassblaues, birnenförmiges Geschöpf, das an die dreieinhalb Meter maß. Es bewegte sich auf zahllosen kleinen Stummelbeinen, die an der wuchtigen unteren Rundung des Birnenkörpers saßen. Diesem Wesen folgte eines, das einem terranischen Hamster ähnelte, jedoch die Größe eines Pferdes hatte und sich auf sechs Beinen bewegte. Ein viertes Gliedmaßenpaar mit Greifhänden entsprang nahe des Schädels. Dichter weißer Pelz bedeckte den Körper.

Im Anschluss kamen zwei wandelnde Felsblöcke. Jedenfalls wirkte die Körpersubstanz der zwischen vier und fünf Meter großen Wesen wie hartes Gestein, besaß jedoch allem Anschein nach einen hohen Grad von Plastizität. Die Art ihrer Fortbewegung war nicht klar zu erkennen; sie schienen auf der Unterfläche des Körpers zu rutschen.

Hinter den beiden folgte eine Gestalt, die jedem Terraner wie eine Mischung aus einem Hammerhai und einem Vogel erscheinen musste. Hüpfend und flatternd bewegte sich dieses Wesen vorwärts.

Den Abschluss bildete ein Haluter.

Atlan gab der exotischen Gruppe das Zeichen zum Anhalten. Interessiert blickte der Arkonide in die Runde.

»Zwei Ritter der Tiefe samt Begleitung melden ihre Rückkehr aus dem Tiefenland!«, verkündete er.

Waylon Javier atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Von den Kosmokraten hatte er erfahren, dass Atlan und Jen Salik sich in Sicherheit befanden – anders als Perry Rhodan es in seiner Vision gesehen hatte. Mit einem bizarren Auftritt wie diesem hatte er indes nicht rechnen können. Wer waren die exotischen Gestalten in Atlans und Saliks Begleitung? Und wie, zum Teufel, kam ein Haluter in diese gottverlassene Gegend am Ende des Universums?

Atlan stellte seine Begleiter vor und gab sich dabei fast schon wie ein Marktschreier. Die blumige Ausdrucksweise des Arkoniden war nicht gerade geeignet, Javiers Verwirrung wegzuwischen.

»... seht ihr, Männer und Frauen der BASIS: Clio, die Spielzeugmacherin. Wer kann ihrer Schönheit widerstehen? Wer möchte nicht ihre vollen, roten Lippen küssen?«

Aus dem Mund des birnenförmigen Wesens kamen helle, gluckernde Geräusche. Es schien sich von den Worten des Arkoniden geschmeichelt zu fühlen.

»Lasst euch von Clios anmutiger Gestalt und ihren betörenden Augen nicht verwirren. Sie ist eine hervorragende Technikerin und versteht es, aus ihrer eigenen Körpersubstanz Dinge zu erschaffen, von denen ihr nicht einmal zu träumen wagt.«

In einer schwunghaften Bewegung wandte Atlan sich zur Seite und wies auf den weißhaarigen Goldhamster: »Das ist mein Freund Chulch. Er ist treu und stark. Binnen kürzester Zeit wuchs er vom Status eines armen Plünderers zu den höchsten Ebenen der Intellektualität. Keinen besseren und zuverlässigeren Verbündeten könnt ihr euch im Augenblick der Gefahr wünschen als Chulch.«

Die folgende Geste galt den beiden dunkelblauen Felsgestalten. »Sie sind Jaschemen, Wissenschaftler und Techniker von Anfang an. Gäbe es ihr Volk nicht, wäre das Tiefenland längst im Chaos versunken. Ihr seht Caglamas Vlot, den Leiter der einstigen Schwerkraftfabrik, und Fordergrin Calt, den Generaldirektor der Atmosphärefabrik.«

Die beiden Felsblöcke hatten lange Stiele ausgebildet, an deren Enden Sehorgane wuchsen. Die Stiele schwankten wie Tentakel hin und her.

Atlan wies mit ausgestreckten Armen auf den Hammerhaivogel. »Das, meine Freunde, ist Wöleböl aus dem Volk der Meykatender. Der Tradition seiner Vorfahren folgend, ist er ein Meister der gestaltenden Künste, außerdem ein tapferer und verlässlicher Gefährte.«

Der Arkonide drehte sich weit um und sah zu dem Haluter auf. »Er bedarf wohl keiner Erläuterung zu seiner Herkunft; jeder von euch kennt unsere Freunde, die Haluter. Domo Sokrat heißt er ...«

Taurec war während der weitschweifigen Ausführungen unruhig geworden. Jäh trat er auf Atlan zu und unterbrach ihn mit einer heftigen Armbewegung.

»Genug mit dem Theater!«, verlangte der Kosmokrat. »Dein Auftritt ist nichts als ein Hinhalten. Wo ist Perry Rhodan?«

Atlan machte ein verblüfftes Gesicht, als nähme er den Kosmokraten erst in dem Moment wahr.

»Ist das die Begrüßung, die ich verdiene?«, fragte er. »Nachdem ich im Auftrag der Kosmokraten monatelang durch das Land in der Tiefe irrte, immer wieder mein Leben riskierte und zum Schluss beinahe eines unrühmlichen Todes gestorben wäre, weil die Herren hinter den Materiequellen es nicht für nötig hielten, die Bewohner des Tiefenlands gegen das Chaos der Auflösung zu schützen?«

»Der Dank wird dir in anderer Form zuteil«, sagte Taurec düster. »Hier und jetzt gibt es Wichtigeres. Ich muss wissen, ob Rhodan seinen Auftrag erfüllt hat.«

»Du musst?«, erkundigte sich der Arkonide ironisch. »Ich nehme an, Perry Rhodan muss dir zuliebe sofort hier materialisieren oder sich von dir zur Rechenschaft ziehen lassen, falls er es nicht tut?«

Taurec versteifte sich. »Ich bin Kosmokrat!«, sagte er.

Von jeder denkbaren Antwort, die ihm eine Laune des Zufalls hätte auf die Zunge legen können, war diese die schlechteste. So viel Hybris lag in Taurecs Feststellung, dass alle in der Kommandozentrale vor Empörung den Atem anzuhalten schienen.

Unerwartet erklang eine klare, helle Stimme. Sie kam aus dem Kästchen, das nach wie vor neben Lethos-Terakdschan schwebte. Es war eigentlich keine reale Stimme, denn sie erklang nicht akustisch, sondern entstand im Bewusstsein aller in der Zentrale.

»Das ist eine unverschämte Lüge, Mann mit dem raschelnden Gewand«, hörte Waylon Javier die Stimme sagen. »Du bist hier kein Kosmokrat. Du magst einer sein, wenn du in die Region jenseits der Materiequellen zurückkehrst. Im Moment bist du weiter nichts als die Projektion eines Kosmokraten, behaftet mit allen Mängeln des Transformsyndroms. Zugegeben, du verfügst über technische Mittel, mit denen du die Bewohner der Niederungen in Angst und Schrecken versetzen kannst. Was jedoch deine Umsicht und Weisheit anbelangt, bist du nicht besser als einer von denen, deren Gestalt du angenommen hast: ein Mensch.«

»Ein ziemlich unsympathischer obendrein«, fügte Jen Salik sarkastisch hinzu.

Taurec musterte das Kästchen. »Wer spricht da?«, fragte er.

»Ich, das Tabernakel von Holt.«

Waylon Javier kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zumal nur wenige Meter von den beiden Rittern der Tiefe entfernt, aus dem Nichts heraus, eine Leuchterscheinung entstand. Binnen Sekunden formten sich darin die Umrisse einer menschlichen Gestalt.

Aus weit aufgerissenen Augen starrte Javier auf den Mann, der aus der leuchtenden Blase hervortrat. Die fast schon gleißend gewordene Helligkeit erlosch in derselben Sekunde.

»Perry ...!«, stieß Javier hervor.

Der Neuankömmling hob grüßend die Hand. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er die Freunde der Reihe nach anblickte.

»Es tut gut, wieder hier an Bord zu sein«, sagte Perry Rhodan. Das war seine Begrüßung, knapp und bündig, und sie drückte eine Fülle von Empfindungen aus.

Nur Taurec ließ sich nicht einen Augenblick aus dem Gleichgewicht bringen. Mit schnellen Schritten ging er auf den Terraner zu.

»Hast du die Antwort?«, fragte er fast schon heftig.

Rhodan musterte den Kosmokraten mit einem Blick, der verriet, wie abgespannt und erschöpft er tatsächlich war. Seine Stimme besaß aber noch die alte, mitreißende Kraft.

2. Demission

Lähmende Stille herrschte.

»Du hast die Antwort nicht«, wiederholte Taurec schließlich, und seine Stimme klirrte vor Kälte. Nun war es keine Frage mehr, sondern eine Feststellung.

»Du hast sie nicht gesucht?«, rief Vishna. »Nicht gefunden? Oder sie wurde dir nicht offenbart? Sprich endlich!«

»Ich hätte sie haben können«, antwortete Perry Rhodan, und jeder in der Zentrale der BASIS hörte die Müdigkeit in seinen Worten. »Allerdings wies ich sie zurück. Ich hätte die Offenbarung nicht mit gesundem Verstand überlebt.«

»Bist du sicher?«

Ein spöttisches Grinsen huschte über Rhodans Gesicht. »Was heißt sicher? Ich sah eine Wahrscheinlichkeit von über fünfzig Prozent, dass mir die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage das Gehirn zerrütten würde. So Gott will, habe ich noch ein längeres Leben vor mir. Wollt ihr mir absprechen, die Zukunft bei gesundem Verstand zu erleben?«

»Du hast versagt!«, warf Vishna ihm vor.

Rhodan hob die Schultern und verzog ein wenig den Mund.

»Vielleicht ist es so«, gab er zu. »Dann hättet ihr einen anderen schicken sollen, jemanden mit kräftigerem Geist. Eigentlich hätte die Situation erfordert, dass mindestens einer von euch beiden diesen Weg gegangen wäre.«

»Du weißt, dass wir die Möglichkeit nicht hatten«, zischte Vishna.

»Ich weiß?« Rhodan zog die Brauen hoch. In seinen grauen Augen glomm ein ärgerliches Feuer. »O nein, ich weiß nichts. Seit ihr zu uns gekommen seid, gefallt ihr euch in der Rolle der Geheimnisvollen. Wann immer ich um genauere Informationen bat, wurde mir erwidert, das brauche ich nicht zu wissen oder das könne man mir nicht erklären. Ich bin in die Tiefe gegangen und habe den Berg der Schöpfung gefunden. Ich habe gesehen, wie der Frostrubin seine Position einnahm. Ich habe meinen Vorrat an Mentalsubstanz hergegeben, um die Feinjustierung des Moralischen Codes zu bewirken. Meine Aufgabe ist damit erfüllt.«

Er holte tief Luft, als habe das Sprechen ihm Mühe bereitet.

»Und nun bin ich müde«, sagte er. »Ich sehne mich nach etwas Ruhe!«

Rhodan wandte sich um und ging zum Transmitter. Gleich darauf war er verschwunden.

Er fühlte sich hilflos und verloren. Sein Apartment an Bord des Fernraumschiffs erschien ihm mit einem Mal fremd und kalt. Perry Rhodan dachte an Gesil, die viele Monate mit ihm in diesen Räumen gewohnt hatte. Er sehnte sich nach der Frau, die er liebte, wollte ausgerechnet jetzt nicht allein sein.

Er streifte den SERUN ab und ließ den Anzug achtlos liegen. Über kurz oder lang würde ein Roboter Ordnung schaffen und aufräumen.

Die Liege im Wohnbereich übte eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn aus. Rhodan setzte sich und ließ sich schon im nächsten Moment zurücksinken. Er wollte die Hände unter dem Kopf verschränken, aber bereits in der Bewegung übermannte ihn die Müdigkeit. Er schlief vor Erschöpfung ein, trotz der belebenden Impulse des Zellaktivators.

Perry Rhodan träumte ...

... von einer konturlosen Weite, in der trübes, graues Halbdunkel herrschte. Er sah sich um und entdeckte einen fernen Lichtfleck. Die Helligkeit kam näher.

»Freund, es ist an der Zeit!«, ertönte eine Stimme aus dem Licht.

Sie kam ihm bekannt vor. Er hatte sie schon einmal gehört, als er im Funkenregen der entkörperlichten Bewusstseine auf ES zutrieb, nachdem er sich von dem sterbenden V'Aupertir gelöst hatte. Schon damals hatte er sie als etwas Vertrautes empfunden. Dennoch war es ihm nicht gelungen, und es gelang ihm nun auch nicht, der Stimme ein Gesicht, geschweige denn einen Namen zuzuordnen.

»Du nennst mich Freund«, sagte er. »Wer bist du? Und wofür ist es an der Zeit?«

»Wer ich bin, musst du selbst herausfinden«, antwortete die Stimme. »Sonst verlöre mein Ruf seine Wirkung.«

Es war nur ein Traum, wenngleich sehr real. Perry Rhodan erinnerte sich später an jede Einzelheit. Und nie würde er die Bitterkeit vergessen, die er bei dieser Antwort empfunden hatte.

»Ein Rätselhafter mehr«, seufzte er. »Einer, der meint, mir nichts sagen zu dürfen. Mit zu vielen hatte ich schon zu tun, die nur in Rätseln sprachen und trotzdem erwarteten, dass ich sie stets verstand. Weißt du was? Scher dich zum Teufel!«

Einen Moment herrschte Stille. Dann meldete sich die Stimme wieder.

»Ich verstehe, was dich bewegt«, sagte sie traurig. »Ich schere mich nicht zum Teufel, aber ich ziehe mich zurück. Lass dir trotzdem eine Mahnung mit auf den Weg geben.«

»Ich kann dich nicht daran hindern«, entgegnete Rhodan bitter.

»Du gehst schweren Zeiten entgegen. Die, auf die du bisher gebaut hast, sind nicht mehr deine Freunde. Deswegen sagte ich, es sei an der Zeit. Dafür, dass du deinen eigenen Weg findest. Es wird nicht leicht sein. Wenn du Hilfe brauchst, wende dich an mich.«

»An wen, in drei Teufels Namen?«, schrie Perry Rhodan unbeherrscht.

Der Gefühlsausbruch zerriss den Traum. Er erwachte schweißgebadet. Die Müdigkeit hielt ihn nach wie vor umschlungen. Sekundenlang starrte er in die Dunkelheit und meinte, den Duft noch zu riechen, den Gesil in der kleinen Wohnung hinterlassen hatte. Dann sank er wieder auf den Rücken. Diesmal umfing ihn der Schlaf fest und traumlos. Er schlief sechs Stunden, in denen die Kosmokraten ungeduldig warteten.

»Ich stand auf dem Gipfel des Berges«, berichtete Rhodan. »Über mir schwebte wie eine silberne Wolke der Frostrubin, und ich hatte den gesamten Kosmos vor mir, durchzogen von der Doppelhelix des Moralischen Codes. Ich sah Messenger an den Kosmonukleotiden anlegen, Informationen übernehmen und sich wieder entfernen. Dabei erkannte ich, wie der Prozess der kosmischen Entwicklung abläuft. Ich sah die Gesetzmäßigkeit und hielt es sogar für möglich, dass ich das GESETZ verstehen könne.«

Er unterbrach sich, von der Erinnerung gepackt, und starrte vor sich ins Leere. Seine Zuhörer warteten atemlos, wortlos.

»Die Antwort kam auf mich zu«, fuhr er fort. »Sie wurde zu einer gigantischen Woge, die mich mitzureißen drohte. Auf der Woge ...«

Er verstummte im Satz. Über Furaha, den Zwerg, der sich früher Kitisho genannt hatte, brauchten sie nichts zu erfahren. Keiner, Taurec und Vishna ausgenommen, würde verstehen, was es mit den Parallelwirklichkeiten auf sich hatte. Nur die beiden Kosmokraten wussten, wie parallele Realitäten zustande kamen.

»Auf der Woge bildete sich eine Schaumkrone«, redete Rhodan weiter. »Sie war überaus bedrohlich. Ich verstand plötzlich, dass ich den Ansturm der Informationsflut nicht bei klarem Verstand überleben würde, und erkannte meine Grenzen. Da kam Wissen auf mich zu, das nicht für mich bestimmt war. Ich hätte es aufnehmen können, aber ich wäre danach nicht mehr in der Lage gewesen, euch darüber zu berichten. Die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage war verloren, so oder so. Wer hat das GESETZ initiiert, und was besagt es? Ich würde es nicht erfahren.«

Er schwieg.

Eine Minute verstrich.

»Was geschah danach?«, fragte Taurec.

»Ich schrie«, sagte Rhodan. »Schrie der Woge zu, sie solle anhalten. Und mein Ruf wurde gehört: Die Woge prallte gegen ein unsichtbares Hindernis und zerspritzte in Milliarden Schaumflocken. Ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich weit unten am Berg der Schöpfung, schaute zum Gipfel hoch und sah, dass die silberne Wolke sich zusammengezogen hatte. Da wusste ich, dass die Feinjustierung des Moralischen Codes erfolgt war. Mein Auftrag war erfüllt. Ich nahm mir ein wenig Zeit, neue Kraft zu sammeln. Es war ein Quantum Mentalenergie übrig, das mich zurück ins Standarduniversum befördern würde. Also konzentrierte ich mich auf die Kommandozentrale der BASIS. Wie ich den Sprung ausgelöst habe, weiß ich nicht, doch mit einem Mal befand ich mich hier an Bord.«

»Du weißt, was für die Mächte der Ordnung von der Beantwortung der Dritten Frage abhängt«, sagte Taurec schwer.

»Mir wurde des Öfteren gesagt, dass es ungeheuer wichtig sei, die Antwort zu finden«, entgegnete Rhodan kühl. »Einzelheiten kenne ich nicht. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, mich darüber aufzuklären.«

»Die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage zu kennen, bedeutet für die Kräfte der Ordnung den entscheidenden Vorteil über die Mächte des Chaos«, sagte Vishna. »Du hättest die Situation aus einem übergeordneten Blickwinkel sehen müssen.«

»Das heißt, ich hätte das Risiko auf mich nehmen sollen. Wäre mein Versuch misslungen, hätte sich am Ergebnis für euch nichts geändert: Die Dritte Frage hätte ihr Geheimnis gewahrt. Aber für mich hätte sich die drastischste Änderung überhaupt ergeben: Ich hätte den Verstand verloren.«

»Eines Tages wirst du verstehen, warum das für die Kosmokraten keine Rolle spielt«, entgegnete Taurec.

»Oh, er versteht es heute schon!«, rief Myzelhinn hell und durchdringend. »Schließlich kennt er die Geschichte des Tiefenlands. Weil TRIICLE-9 unbedingt und mit größter Eile an seinen ursprünglichen Standort zurückbefördert werden sollte, hätte man Billionen intelligenter Wesen bedenkenlos geopfert. Wesen, deren Vorfahren vor Jahrmillionen auf Geheiß der Kosmokraten in die Tiefe kamen!«

»Darüber haben wir bereits gesprochen«, wies Taurec den Vorwurf zurück. »Aus Kosmokratensicht ist das Universum, in dem wir uns gegenwärtig befinden, das Gefilde der Niederungen. Wenn es um Ereignisse und Entwicklungen von kosmischer Bedeutung geht, spielen die Wesen in den Niederungen nur eine untergeordnete Rolle.«

»Du erinnerst dich an die Geschichte mit den Ameisen«, sagte Tengri Lethos bitter und spielte damit auf einen Streit an, den er mit Taurec an Bord der SYZZEL gehabt hatte.

Taurec warf in typisch menschlicher Verzweiflung die Arme in die Höhe. »Ich verfluche den Tag, an dem ich diesen Auftrag erhielt«, brach es aus ihm hervor. »Ich weiß, wie sich das alles für euch anhört. Es gibt eine Macht jenseits der Materiequellen, die sich für euer Dasein nur beiläufig interessiert. Ihr seid für sie nur Figuren in einem Spiel, die beliebig hin und her geschoben werden. Man kann euch opfern. Ohnehin gibt es ungezählte Trillionen von eurer Sorte. Was spielt es da, sobald es um wichtige Dinge geht, für eine Rolle, ob das eine oder andere Volk seine Existenz beendet? Die Entwicklung des Kosmos steht auf dem Spiel. Die Auseinandersetzung mit den Chaosmächten muss siegreich bestanden werden, andernfalls wird es eine Katastrophe geben, die das gesamte Universum auslöscht.«

Schweiß perlte auf Taurecs Stirn. Seine gelben Augen glühten vor Ärger, doch zugleich schien sein Blick um Verständnis zu bitten. Nie war der Kosmokrat Taurec menschlicher gewesen als in diesem Moment.

»Eine Frage musst du mir beantworten«, sagte Myzelhinn. »Nur deshalb bin ich hier. Es steht mittlerweile fest, dass die Völker des Tiefenlands nicht geopfert zu werden brauchten. Es gab eine Möglichkeit, sie zu retten.« Er wies auf das Holo, das die neue Sonne und die Orterreflexe der 150.000 Überlebensinseln zeigte. »Warum haben die Kosmokraten sich diese Möglichkeit nicht zu eigen gemacht?«

Taurec ließ die Schultern sinken. Der Ärger verschwand aus seinem Blick. »Ich werde es wissen, wenn ich in den Bereich jenseits der Materiequellen zurückkehre«, antwortete er. »Hier bin ich von den Informationen der Kosmokraten abgeschnitten. Ich bin, bis auf die Ausrüstung, über die ich verfüge, ein Geschöpf der Niederungen. Ich kenne die Antwort auf deine Frage nicht.«

»Ich glaube, ich verstehe dich sogar«, bemerkte Myzelhinn nach kurzem Zögern. »Du bist in dieser Gestalt weder Kosmokrat noch ein Wesen der Niederungen. Du bist ein Zwitter, und unglücklich obendrein. Die Entscheidungen, die bezüglich des Tiefenlands zu treffen waren, wurden gefällt, als du dich schon bei uns Niedrigen aufhieltest. Jedenfalls hattest du keinen Anteil daran. Das entschuldigt dich.« Der Raum-Zeit-Ingenieur klang nun sanfter als zuvor. »Um eines bitte ich dich allerdings: Sobald du wieder jenseits der Materiequellen weilst und falls du dich dann an die Gefühle erinnerst, die wir Niederen empfinden, stell den anderen Kosmokraten die Frage, die ich dir eben vorgelegt habe. Es ist weder recht noch gut, wenn aus Sorge um das große kosmische Geschehen das Wohl der kleinen kosmischen Bürger außer Acht gelassen wird. Macht ist kein Freibrief für Willkür. Im Gegenteil, Macht verpflichtet den Mächtigen, für den Schutz des Schwachen zu sorgen.«

Taurec wich dem Blick des Raum-Zeit-Ingenieurs nicht aus. Eine Weile sagte er nichts. Als er endlich reagierte, tat er es hörbar schwer.

»Ich werde die anderen fragen, Myzelhinn«, versprach er.

Es gab kaum einen, dem der Dialog zwischen dem Kosmokraten und dem Raum-Zeit-Ingenieur nicht nahegegangen wäre. Nur einem behagte das Feierlich-Versöhnliche des Augenblicks nicht. Zorn schwang in Atlans Stimme mit, als er sich an Taurec wandte.

»Wenn wir schon am Bitten sind«, sagte der Arkonide rau, »dann hör dir an, was ich verlange. Als ich seinerzeit die Würde eines Ritters der Tiefe annahm, da machte ich deutlich, dass ich nur bis auf Widerruf ein Ritter sein würde. Meine Arbeit ist getan. Ich widerrufe hiermit. Ich will nicht länger Ritter der Tiefe sein.«

Das Anliegen war gerechtfertigt. Dennoch wünschte sich Perry Rhodan, der Freund hätte es nicht ausgerechnet in diesem Moment vorgetragen. Wenigstens einen Augenblick lang hatte es so ausgesehen, als gäbe es noch eine Chance auf eine friedvolle Übereinkunft mit den Kosmokraten. Nun war die Gelegenheit vertan.

Taurec reagierte nicht auf Atlans Verlangen. Er überließ es Vishna, dem Arkoniden zu antworten. Sie tat es mit einer Härte und Unduldsamkeit, als sei sie weiterhin die Abtrünnige, die Terra mit ihren Plagen überzog.

»Die Kosmokraten erkennen keine Bedingungen an«, sagte sie. »Die Würde eines Ritters der Tiefe ist kein Hemd, das jeder nach Belieben anzieht und wieder abstreift.«

»Nicht nach Belieben«, widersprach Atlan. »Ich habe dieses ›Hemd‹ für einen bestimmten Zweck angezogen, nun lege ich es wieder ab. Meine Aufgabe ist getan.«

»Du bleibst ein Ritter der Tiefe!«, beharrte Vishna. »Die Würde wird auf Lebenszeit vergeben. Du bist Mitglied einer Organisation im Dienst der Ordnungsmächte. Folglich wirst du die Aufträge ausführen, die dir erteilt werden.«

Atlan streckte sich, er trat auf die Kosmokratin zu. Seine Schultern waren leicht nach vorn gereckt, die Arme angewinkelt und die Hände geöffnet, als wolle er nach etwas greifen.

»Niemand sagt mir, was ich zu tun habe«, grollte er. »Und schon gar nicht führe ich weitere Aufträge aus. Ich weise die Würde eines Ritters der Tiefe von mir, jetzt und für alle Zeit.«

Vishna ereiferte sich nicht, wie sie es bei früheren Gelegenheiten getan hatte. Sie blieb beherrscht und äußerlich ruhig. Ein geringschätziges Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Du bist ein Narr«, stellte sie fest. »Glaubst du tatsächlich, du könntest dich den Kosmokraten widersetzen? Meinst du, sie hätten nicht die Macht, deinen Egoismus zu brechen?«

»Ich zweifle nicht an der Macht der Kosmokraten«, sagte Atlan. »Ich rechne mit ihrem Verständnis und mit ihrer Güte.«

»Verständnis? Für ein einzelnes Individuum der Niederungen? Wo bleibt dein Verständnis? Es gibt wichtigere Dinge als dein persönliches Wohlbehagen, Arkonide. Es geht um die Ordnung des Universums. Du hast weder logisch noch moralisch das Recht, die Ritterwürde zurückzuweisen.«

»Genug geredet!«, brauste Taurec auf. »Es gibt Sinnvolleres zu tun, als sophistische Streitgespräche zu führen. Wir brauchen neue Instruktionen.« Wen er mit wir meinte, wurde offenbar, als er Vishna anblickte. »TRIICLE-9 ist verankert, die Integrität des Moralischen Codes wiederhergestellt. Die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage wurde nicht gefunden. Daraus ergibt sich eine neue Konstellation.« Er wandte sich an den Rest der Gruppe. »Wir verlassen euch. Das ist jedoch kein Abschied für immer. Zumindest einer von uns wird zurückkehren. Wann, das kann ich nicht sagen. Es liegt mir fern, euch Vorschriften zu machen, trotzdem sage ich euch eines: Es wird für alle Beteiligten besser sein, wenn der Zurückkehrende euch hier, in diesem Raumsektor, vorfindet.«

Taurec wandte sich brüsk ab und schritt auf den Ausgang zu. Vishna folgte ihm, ohne die Umstehenden auch nur eines letzten Blickes zu würdigen. Das Schott öffnete sich und glitt hinter ihnen wieder zu.

Kaum zwei Minuten später kam die Meldung, dass die SYZZEL des Kosmokraten ihren Hangar verlassen habe und kurz nach dem Start entmaterialisiert sei.

»Der Bruch ist perfekt!« Es war Atlan, der diese Feststellung traf und Perry Rhodans ärgerlichen Blick ungerührt hinnahm. »Ich weiß, was dir durch den Sinn geht, Terraner. Die Wogen waren fast schon geglättet, da muss der Arkonide neuen Sturm heraufbeschwören. Dann lass dir sagen, dass es einen Grad der Überheblichkeit gibt, den ich nicht ertrage. Außerdem glaubst du selbst nicht, dass sich der Friede auf Dauer hätte künstlich bewahren lassen. Sobald wir ihnen unsere Absichten erklärt hätten, wäre der Zwist ohnehin von Neuem ausgebrochen.«

Rhodan schwieg. Ihm war bewusst, dass der Freund recht hatte. Die Gegensätze waren schwer zu überbrücken. Die Kosmokraten ließen nicht wieder los, was sie einmal unter ihrer Kontrolle hatten. Die Ritter der Tiefe dagegen waren nicht gewillt, den Mächten jenseits der Materiequellen weiterhin auf Abruf zur Verfügung zu stehen.

Unvermittelt wurden alle Gedanken in eine andere Richtung gelenkt. Das Tabernakel von Holt war spurlos verschwunden. Da es die Fähigkeit der Teleportation besaß, konnte man nur darüber spekulieren, wohin es sich gewandt hatte.

Die BASIS stand etwa 8000 Kilometer über der Überlebensinsel, die vom einstigen Kyberland geblieben war. Die Jaschemen und einige andere Völker hatten dort Zuflucht gefunden, als das Tiefenland zerbrach.

Der Zeitpunkt des Abschieds war gekommen. Myzelhinn hatte die Absicht geäußert, er wolle sich auf der Kyberinsel niederlassen. Caglamas Vlot und Fordergrin Calt würden ihn begleiten. Auch Chulch hatte das Kyberland zum Ziel. Er kannte sein Volk nicht.

Wöleböl hatte es besser getroffen. Durch Abhören zahlloser Kommunikationskanäle hatte er erfahren, auf welche Überlebensinsel die Meykatender verschlagen worden waren. Myzelhinn hatte Wöleböl versprochen, er werde ihn auf dem schnellsten Weg zu den Seinen befördern.

Clio, die Spielzeugmacherin, hielt es ebenso wenig an Bord der BASIS. Sie wusste nicht, ob das Land der Spielzeugmacher gerettet worden war. Bislang gab es keine einigermaßen vollständige Übersicht aller Überlebensinseln.

»Mich zieht es zum purpurnen Wasser«, sagte Clio. »Ich werde danach suchen, solange ich die Kraft dazu habe. Wenn ich es nicht finde, werde ich mir mein eigenes Purpurwasser schaffen.«

Sie standen in dem Hangar, in dem das jaschemische Fahrzeug gedockt hatte, mit dem Atlan und seine Begleiter gekommen waren. Seiner Freunde wegen hatte Myzelhinn sich entschlossen, die Fahrt zum Kyberland ebenfalls auf konventionelle Weise zu bewältigen, obwohl ihm andere Methoden der Fortbewegung zur Verfügung standen.

»Dort draußen leuchtet eine neue Sonne«, sagte der Raum-Zeit-Ingenieur. »Sie steht für einen neuen Tag und eine neue Zeit. Die seit Jahrmillionen andauernde Schlacht ist geschlagen. Die Ordnungsmächte haben gesiegt, die Kräfte des Chaos eine empfindliche Niederlage erlitten. Auf die Rolle, die wir alle dabei innehatten, dürfen wir stolz sein.

Wir sind Freunde geworden, haben unser Wissen und unsere Erfahrungen ausgetauscht und voneinander gelernt. Eben deswegen fällt der Abschied schwer. Die Hoffnung scheint weit hergeholt, dass sich unsere Wege in der Zukunft noch einmal kreuzen werden – dennoch spreche ich sie aus. Lebt wohl. In Gedanken wird jeder von uns bei den anderen sein.«

Sie gingen an Bord der Fähre. Myzelhinn war der Letzte, aber er wandte sich nicht mehr um. Das Fahrzeug hob lautlos ab und glitt davon.

Nur einer war nicht dabei.

»Ich bleibe bei euch – falls ihr die Absicht habt, in die Milchstraße zurückzukehren«, hatte der Haluter Domo Sokrat zu Perry Rhodan gesagt. »Ich will die Welt meines Elters sehen.«

»Wir kehren in die Milchstraße zurück«, hatte der Terraner bestätigt. »Du bist uns willkommen.«

Letztlich blieb nur die Frage, was aus dem Tabernakel von Holt geworden war. Es war nicht einmal klar, ob es sich überhaupt noch an Bord der BASIS befand.

Die neue Sonne bot einen majestätischen Anblick. Viele ihrer Charakteristiken schienen den Naturgesetzen Hohn zu sprechen. Ein solches Gebilde hätte eigentlich nicht existieren dürfen. Es war klar, dass die Sonne von übergeordneten Einflüssen stabilisiert wurde, und diese Kräfte gingen von jenem winzigen Hohlraum in ihrem Zentrum aus.

Taknu strahlte in tiefem Blau. Die Oberflächentemperatur hatte sich bei 89.000 Grad Celsius stabilisiert. Der riesige Sonnenball durchmaß 500 Millionen Kilometer; die Strahlungsmenge übertraf die des terranischen Zentralgestirns Sol um mehr als das Sechsmilliardenfache.

Die Überlebensinseln hatten ihre Umlaufbahnen mittlerweile den extremen Strahlungsverhältnissen angepasst. Sie bewegten sich in einer mittleren Sonnenentfernung von zwei Billionen Kilometern. Das Taknusystem durchmaß nahezu ein halbes Lichtjahr, und vom äußeren Rand aus erschien die Sonne nur als kleine Scheibe, wenn auch von fast unerträglicher Helligkeit. Die Lichtverhältnisse auf den Kunstwelten und ebenso die Temperaturen wären einem Terraner verträglich erschienen. Da aber der überwiegende Strahlungsanteil des neuen Gestirns im ultravioletten Spektrum und im Röntgenbereich lag, hatten die Feldschirme aufrechterhalten werden müssen.

Die Überlebensinseln waren in Rotation versetzt worden, sodass sich ein nahezu natürlich anmutender Wechsel von Tag und Nacht ergab. So enorm war die Masse Taknus – und damit die Gravitation –, dass die Inseln trotz ihrer fernen Orbits mit mindestens 180 Kilometern in der Sekunde bewegt werden mussten, damit sie eine stabile Umlaufbahn einhalten konnten. Trotz dieser ungewöhnlich hohen Bahngeschwindigkeit würden sie 220 Standardjahre für eine Umrundung des Zentralgestirns benötigen.

Das Taknusystem sprengte alle herkömmlichen Vorstellungen. Alles daran war gigantisch. Der Einsame der Tiefe und die Raum-Zeit-Ingenieure hatten sich damit ein würdiges Denkmal gesetzt.

Seit der Auseinandersetzung mit den beiden Kosmokraten war eine Woche vergangen. An Bord der BASIS liefen die Vorbereitungen für die Heimkehr in die Milchstraße auf Hochtouren. Perry Rhodan war die treibende Kraft. Er bemühte sich nicht einmal, seine Ungeduld zu kaschieren. Die Ungewissheit über Gesils Schicksal und das ihres gemeinsamen Kindes trieb ihn an. Sein Ton wurde zunehmend schroffer. Er trug dem Rechnung, indem er nicht zwingend nötigen Kontakten mit der Besatzung nach Möglichkeit aus dem Weg ging. Viele seiner Anweisungen ließ er Hamiller übermitteln, weil er die meiste Zeit allein in seiner Unterkunft verbrachte.

Die BASIS stand nach wie vor über der Kyberinsel. Aus dem Technotorium kamen stetig Informationen und Daten über die Entwicklung des gewaltigen Sonnensystems. Als Koordinatoren fungierten die Raum-Zeit-Ingenieure, von denen jeder für seine eigene Insel – bis auf Weiteres wenigstens – die zentrale Autorität bildete. Die Verständigung mit der Endlosen Armada war bereits abgeschlossen. Das Aufgebot, das TRIICLE-9 von nun an bewachte, war mehr als gewaltig: eine gigantische Sonne im Mittelpunkt, 150.000 Kunstplaneten mit jeweils 700 Millionen Quadratkilometern bewohnbarer Fläche und einer Gesamtbevölkerung von mehreren Billionen, dazwischen etwa eine Milliarde Raumschiffe der Endlosen Armada mit wiederum einigen Billionen Besatzungsmitgliedern.

Nachor von dem Loolandre hatte sich entschlossen, dem Wächteramt treu zu bleiben, das Ordoban ihm hinterlassen hatte. Die Einheiten der Armada patrouillierten zwischen den Überlebensinseln. Die Inseln und die Endlose Armada würden sich beizeiten zu einem symbiotischen Organismus entwickeln, in dem jede der beiden Komponenten dazu beitrug, die Sicherheit des Frostrubins zu gewährleisten.

Das alles verfolgte Perry Rhodan von seinem Quartier aus. Er schlief extrem wenig in diesen Tagen. Manchmal fielen ihm über den Aufgaben, mit denen er sich beschäftigte, für kurze Zeit die Augen zu. Sobald der nächste Statusbericht eintraf, war er jedoch sofort hellwach, sortierte die wichtigen von den weniger brisanten Informationen und traf seine Entscheidungen.

Mitunter versank er in den Anblick der Sonne Taknu und ihrer Satelliten. Dann sinnierte er darüber, was mit der Bergung des Frostrubins und der Feinjustierung des Moralischen Codes tatsächlich vollbracht worden war. Würde es für die Menschen mit ihrer begrenzten Lebensspanne jemals eine Rolle spielen, dass das Kosmonukleotid wieder am Berg der Schöpfung festlag? Was, wenn die Kosmokraten aus unbekannten Gründen die Sache mit dem Moralischen Code einfach erfunden und der universellen Öffentlichkeit ein gewaltiges Theater vorgespielt hatten? Wer würde es ihnen je nachweisen können – und selbst wenn ein Nachweis gelang, was würde er die Kosmokraten kümmern?

Rhodan schüttelte nachdenklich den Kopf. Den Moralischen Code gab es wirklich. Er selbst hatte die Gesamtheit der kosmischen Evolution gesehen – während jener Minuten, als er auf dem Berg der Schöpfung stand. Er hatte die Messenger beobachtet, wie sie an den Kosmonukleotiden anlegten, Informationen kopierten und wieder in die Weite des Universums verschwanden. Er war gewiss keiner Halluzination zum Opfer gefallen, sondern hatte miterlebt, wie der Moralische Code arbeitete. Er hatte gesehen, wie die Auflösung der Negasphäre begann, und wusste, dass die Mächte des Chaos damit eine schwere Niederlage erlitten hatten. Der Moralische Code erfüllte seine fest umrissene Aufgabe, auch wenn Normalsterbliche kaum jemals etwas davon zu spüren bekamen.

Die Ereignisse waren real gewesen, so mystisch sie Perry Rhodan im Nachhinein auch erscheinen mochten. Zugegeben, eine eigenartige Realität. Wie war er zum Berg der Schöpfung gelangt? Indem er Si kitu, die Macht des Nichts, herausforderte. Niemand hatte je von Si kitu gehört; aber sie gehörte ohne Zweifel zu den kosmischen Mächten. Sie hatte ihn in seinem Vorhaben behindern wollen. Si kitu war jedoch nicht selbst in Erscheinung getreten, sondern hatte einen Handlanger geschickt, einen Zwerg in bunter Kleidung, der sich erst Kitisho, später Furaha nannte. Beide Namen waren fiktiv und entstammten einer altterranischen Sprache. Kitisho bedeutete Bedrohung, Furaha stand für Freude. Namen und ihre Bedeutungen spielten bei Si kitus Aktivitäten offenbar eine wichtige Rolle. Die Mächtige selbst besaß einen zweiten Namen, dessen Nennung sie in Zorn versetzte: Kahaba, die Hure. Perry Rhodan wusste nicht, aus welchem Grund die Macht des Nichts so genannt wurde; er hatte den Namen jedoch mit Erfolg benutzt, um Si kitus Ärger zu provozieren. Tatsächlich hatte sie ihn daraufhin zum Berg der Schöpfung befördert, damit dort die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden könne.

Si kitus Widerstand richtete sich indes keineswegs gegen die Rückführung des Frostrubins, wie Rhodan zunächst vermutet hatte, sondern dagegen, dass die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage bekannt wurde. Si kitu hatte dafür ihren Handlanger nicht mehr einzusetzen brauchen, denn Rhodan hatte aus eigenem Antrieb auf die Antwort verzichtet. Danach war Furaha noch einmal erschienen und hatte sich von ihm verabschiedet. »Ich habe das Gefühl, wir werden einander nochmals begegnen ...« Die Worte des Zwerges klangen in Rhodans Überlegungen nach.

Das Geschehen hatte sich auf unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen abgespielt. Rhodan kannte die Theorie der Parallelrealitäten. Er wusste aber nur das, was Sato Ambush ihm erzählt hatte, und das war nicht viel, weil er dem Pararealisten bis zuletzt mit Misstrauen begegnet war. Das musste sich ändern. Nach seinen jüngsten Erlebnissen konnte er nicht länger an der Zuverlässigkeit der neuen Wissenschaft zweifeln. Sato Ambush hatte ihn vor dem sicheren Tod im Transmitterdom von Ni bewahrt. Also schuldete er dem Pararealisten nicht nur Vertrauen, sondern zugleich Dank.

Konnte es sein, dass Sato Ambush sogar die Gedanken eines Mentalstabilisierten zu lesen verstand? Perry Rhodan hatte sich kaum entschlossen, den Pararealisten um ein Gespräch zu bitten, da meldete sich der Syntron seines Apartments.

»Ein Besucher wünscht dich zu sprechen«, sagte die wohlmodulierte Kunststimme.

Eine Holo entstand. Es zeigte den kleinen Mann mit dem großen Schädel. Sato Ambush stand draußen im Korridor und wartete darauf, dass er eingelassen wurde.

»Sato, ich habe eben erst an dich gedacht.« Perry Rhodan reichte seinem Besucher die Hand. »Haben meine Gedanken dich gerufen?«

Der Pararealist schüttelte den Kopf. »Nicht deine, sondern meine Gedanken bringen mich her. Ich kann zwar versuchen, deine Überlegungen zu erraten, aber ich kann sie nicht lesen wie ein Telepath. Ich dachte mir, dass der Zeitpunkt gekommen sein müsste, an dem du ein wenig mehr über die parallelen Wirklichkeiten erfahren willst.«

»Richtig gedacht.« Rhodan lachte. Es geschah nicht alle Tage, dass er so dezent auf seine Begriffsstutzigkeit hingewiesen wurde. »Wenn mich fremde Mächte schon zwischen den Realitäten hin und her schieben, möchte ich wenigstens das Prinzip kennen.«

»Zumal vorläufig kein Ende dieser Schachzüge abzusehen ist«, sagte Ambush.

»Was willst du damit andeuten?«, fragte Rhodan bestürzt. »Eine neue Hiobsbotschaft?«

»Setzen wir uns«, schlug der Pararealist vor. Er war es gewohnt, sich zu behaupten.

Ohne auf eine Einladung zu warten, ließ Ambush sich in einem der bequemen Sessel des Wohnraums nieder. Als wäre er der Hausherr, deutete er auf den zweiten Sessel ihm gegenüber und sagte: »Setz dich ebenfalls. Die Haltung des Meditierenden, die für unsere Aussprache am günstigsten wäre, kann ich dir nicht zumuten. Mach es dir also auf deine Weise so bequem wie möglich.«

Rhodan folgte der Aufforderung schweigend.

»Ich nehme an, du weißt, dass Taurec zurückkehren wird«, begann Ambush dann übergangslos.

»Ich weiß, dass einer von beiden zurückkehren wird, entweder Taurec oder Vishna«, antwortete Rhodan. »Aber woher weißt du davon? Wir haben über die Besprechung mit ihnen keine Informationen ausgegeben.«

Der Pararealist winkte ab. »Der Abflug der Kosmokraten geschah so überstürzt, dass jeder sich das an den Fingern abzählen kann: Sie gehen, um sich neue Anweisungen zu holen. Und wozu wären Anweisungen gut, wenn sie diese nicht weitergeben könnten? Also muss einer von beiden zurückkommen. Vishna wird es nicht sein, an ihr haftet weiterhin der Makel der Abtrünnigkeit. Bleibt Taurec.«

Perry Rhodan schürzte die Lippen. »Gesetzt den Fall, du hast recht – was hat das mit den verschobenen Wirklichkeiten zu tun?«

»Das ist einfach. Die Ritter der Tiefe wollen den Kosmokraten den Dienst aufkündigen. Einst gab es einen mächtigen Ritterorden. Heute sind es nur mehr vier, die Aufträge der Kosmokraten erfüllen. Wie wichtig müssen diese vier den Mächtigen jenseits der Materiequellen sein? Taurec wird dir klarmachen wollen, was die Folge sein wird, falls die Ritter den Dienst quittieren. Es gibt keine eindrucksvollere Möglichkeit, jemandem die Konsequenzen seines Handelns klarzumachen, als indem man sie ihm in einer Parallelrealität vorführt. Das, meine ich, hat Taurec im Sinn.«

Sato Ambush setzte sich erwartungsvoll zurecht. Soweit menschliches Vorstellungsvermögen die Lage überschauen und deuten konnte, würden sich die Dinge so entwickeln, wie er sie vorhersagte. Taurec würde die drastischsten Mittel anwenden, um die Ritter der Tiefe von ihrem Vorhaben abzuhalten.

»Parallele Realitäten ... Sato, sag mir, was sich dahinter verbirgt!«, bat Perry Rhodan. »Es geht um verschiedene Universen, nicht wahr?«

Ambush nickte. Sein kahler Schädel spiegelte das Licht der Deckenbeleuchtung.

»Was sonst?«, antwortete er. »Was wir als unterschiedliche Wirklichkeitsebenen empfinden, sind Ausschnitte von Paralleluniversen. Der Vorgang des Wechselns von einer Realitätsebene zur anderen ist nicht wesentlich verschieden von deinen Erlebnissen mit der HYODPON und der MARCO POLO, als das Nugas-Schwarzschild-Prinzip getestet wurde. Die Methoden des Übergangs lassen sich etwas verfeinern ...«

»Welche Methoden, Sato?«

Ein geheimnisvolles Lächeln huschte über Ambushs orientalisch geprägte Gesichtszüge und war im Nu wieder verschwunden.

»Schon in grauer Vergangenheit war die Rede davon, dass die Gravitation, obwohl von den vier Fundamentalkräften der Natur die schwächste, diejenige sei, die den Kosmos zusammenhält. Längst ist zudem die Psi-Kraft entdeckt. Wir nennen sie die Kraft des Geistes, obwohl sie auch anderen Quellen als dem belebten Bewusstsein entspringen kann. Gemessen mit den Maßen der klassischen Physik ist sie spezifisch weit schwächer als die Gravitation, dennoch durchdringt sie den Kosmos in viel stärkerem Maß. Die Gravitation bindet Planeten, Sonnen und Galaxien aneinander und sorgt auf mechanische, gedankenlose Weise für Ordnung. Die Psi-Kraft verleiht der Ordnung Sinn. Wo die Psi-Kraft fehlt, versagt die Gravitation. Die Psi-Kraft hat zudem den Vorteil, dass es zu ihrer Erzeugung keiner gigantischen Generatoren bedarf – obwohl sie durchaus auch so produziert werden kann. Dabei trägt jedes denkende Wesen genug von dieser eigenartigen Kraft in sich, um ohne Mühe dasselbe Ergebnis zu erzielen, das damals nur durch die Detonation des NSR-Kraftwerks an Bord der HYODPON erreicht wurde. Allerdings muss es die Kraft zu beherrschen wissen. Es muss sie steuern und kontrollieren können.«

»Du kannst das?«

»Ich bemühe mich, die Fähigkeit zu erlangen«, antwortete Sato Ambush bescheiden. »Ich mache sogar Fortschritte.«

»Das habe ich zu spüren bekommen«, sagte Rhodan. »Als der Transmitterdom im Land Ni sich aufzulösen drohte, kamst du, um mich zu retten. Ich verdanke dir mein Leben.«

»Es kann sein, dass du erneut in Gefahr gerätst.« Von Dank wollte Sato Ambush offenbar nichts wissen. »Nicht körperlich, sondern geistig. Ich glaube nicht, dass Taurec dir physischen Schaden zufügen will. Er wird nur nichts unversucht lassen, deinen Entschluss ins Wanken zu bringen.«

Perry Rhodan blickte den Pararealisten aufmerksam an. Ihm war keineswegs schon klar, worauf Ambush hinauswollte. Er versuchte, in der Miene seines Gegenübers zu lesen, doch Ambushs Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.

»Wie fest ist dein Wille?«, fragte Ambush. »Bist du – und sind deine Freunde – absolut entschlossen, in Zukunft nicht länger Handlanger der Kosmokraten zu sein?«

»Sehr fest. Es gibt nichts, was uns davon abbringen könnte.«

»Aaaaah – gerade das ist die Frage!« Sato Ambush zog die Augenbrauen hoch. »Was, wenn Taurec dir den ganzen Jammer dieses Universums vorführt und dir einzureden versucht, all das werde von den Rittern der Tiefe verursacht, die sich den Kosmokraten verweigerten? Wirst du standhaft bleiben wollen?«

»Wollen auf jeden Fall.« Plötzlich wusste Perry Rhodan, was Ambush im Sinn hatte. »Ob ich standhaft bleiben kann, ist eine andere Frage. Bist du in der Lage, mir zu helfen? Mir und den anderen, falls Taurec uns alle beeinflussen will?«

»Ich weiß nicht, wie viel ich tun kann«, antwortete der Pararealist. »Aber ich könnte zumindest versuchen, dir zu helfen.«

»Dann bitte ich um deine Hilfe, Sato«, sagte Rhodan.

»Deine Bitte ist angenommen.«

»Eigentlich stand ich deiner Wissenschaft bislang zweifelnd und sogar misstrauisch gegenüber«, fuhr Perry Rhodan fort. »Ich sperrte mich gegen die Erkenntnisse, denen ich letzten Endes mein Leben verdanke. Ich schulde dir dafür Abbitte ...«

Sato Ambush hob abwehrend eine Hand. »Sprich nicht von Abbitte. Wenn ich dich überzeugen konnte, ist mir das mehr als Genugtuung. Ich muss mich nun auf meine neue Aufgabe vorbereiten. Es wird nicht leicht sein, einem Kosmokraten ins Handwerk zu pfuschen.«

Er stand auf und wandte sich zum Gehen.

»Beantworte mir noch eine Frage!«, bat Rhodan.

Ambush blieb stehen. Perry Rhodan schilderte ihm den Traum, den er gehabt hatte, als er sich von den Strapazen seines Ausflugs zum Berg der Schöpfung erholte.

»Was war das?«, fragte Rhodan schließlich. »Ein Übergang auf eine andere Wirklichkeitsebene? Kannst du mir helfen, den zu finden, der zu mir gesprochen hat?«

Der Pararealist schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein«, antwortete er. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder war es dein eigener Traum, von deinem Unterbewusstsein erzeugt. Dann könnte man eine Traumdeutung versuchen. Oder es hat tatsächlich jemand aus der Ferne zu dir gesprochen. Auf psionischem Weg, versteht sich. Er mag durch verschiedene Realitätsebenen hindurchgegriffen haben, um dich zu erreichen. Auf dem Weg über meine Theorie ist er nicht zu erreichen.«

»Schade«, sagte Rhodan.

»Ich an deiner Stelle würde mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.« Die Stimme des Pararealisten klang besänftigend, Zuversicht einflößend. »Wenn da einer ist, der dir in der Not helfen will, wird er sich beizeiten melden und sich zu erkennen geben.«