Perry Rhodan 1842: Ein kleiner Freund - Hubert Haensel - E-Book

Perry Rhodan 1842: Ein kleiner Freund E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

Er ist ein Fremder - ein Wesen, das man lieben muss Während Perry Rhodan und Reginald Bull sich in der fremden Galaxis Plantagoo behaupten müssen und Alaska Saedelaere in Tolkandir grauenvolle Erkenntnisse erlangt, geht die unheimliche Invasion in der Menschheitsgalaxis weiter. Im Frühjahr 1289 Neuer Galaktischer Zeitrechnung haben sich über 200.000 Raumschiffe der sogenannten Tolkander in der Milchstraße angesammelt. Die Besatzungen dieser Raumschiffe - die Neezer, Gazkar, Alazar und Eloundar - eroberten rund 300 Planeten und riegelten sie von der restlichen Galaxis ab. Die Bewohner dieser Welten - auch Brutplaneten genannt - werden von den Tolkandern als "Bund" bezeichnet, wurden offenbar für einen geheimnisvollen Zweck benötigt, den bislang noch kein Galaktiker richtig herausfinden konnte. Chaeroder und Physander erschienen als weitere Völker der Tolkander und boten Friedensgespräche an. Im Verlauf dieser Gespräche wurden die galaktischen Delegationen nahezu komplett ermordet. Und dann erfolgt die grauenvolle Todeswelle auf 52 der Brutplaneten: Millionen und Abermillionen Menschen aller galaktischen Völker sowie der Tolkander sterben. Nach Abschluss dieser merkwürdigen Vorgänge ziehen sich die Tolkander in den Kugelsternhaufen 47 Tucani am Rand der Galaxis zurück. Und auf Olymp manifestiert sich EIN KLEINER FREUND …

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Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Nr. 1842

Ein kleiner Freund

Er ist ein Fremder – ein Wesen, das man lieben muss

von Hubert Haensel

Während Perry Rhodan und Reginald Bull sich in der fremden Galaxis Plantagoo behaupten müssen und Alaska Saedelaere in Tolkandir grauenvolle Erkenntnisse erlangt, geht die unheimliche Invasion in der Menschheitsgalaxis weiter. Im Frühjahr 1289 Neuer Galaktischer Zeitrechnung haben sich über 200.000 Raumschiffe der sogenannten Tolkander in der Milchstraße angesammelt.

Die Besatzungen dieser Raumschiffe – die Neezer, Gazkar, Alazar und Eloundar – eroberten rund 300 Planeten und riegelten sie von der restlichen Galaxis ab. Die Bewohner dieser Welten – auch Brutplaneten genannt – werden von den Tolkandern als »Bund« bezeichnet, wurden offenbar für einen geheimnisvollen Zweck benötigt, den bislang noch kein Galaktiker richtig herausfinden konnte.

Chaeroder und Physander erschienen als weitere Völker der Tolkander und boten Friedensgespräche an. Im Verlauf dieser Gespräche wurden die galaktischen Delegationen nahezu komplett ermordet.

Und dann erfolgt die grauenvolle Todeswelle auf 52 der Brutplaneten: Millionen und Abermillionen Menschen aller galaktischen Völker sowie der Tolkander sterben. Nach Abschluss dieser merkwürdigen Vorgänge ziehen sich die Tolkander in den Kugelsternhaufen 47 Tucani am Rand der Galaxis zurück. Und auf Olymp manifestiert sich EIN KLEINER FREUND …

Die Hauptpersonen des Romans

Ilara Clandor – Ein Mädchen von Olymp trifft einen geheimnisvollen Unbekannten.

Dindra und Ronald Clandor – Zwei Eltern verstehen die Welt im »Tower« von Olymp nicht mehr.

Atlan – Der Arkonide erwartet den nächsten Schlag der Tolkander.

Ansgur-Egmo – Der »starke Mann« von Topsid erhält unverhofften Besuch von Terra und Camelot.

Jack

Prolog

Wie ein Funke inmitten ewiger Finsternis entstand ein einziger Gedanke:

»Ich!«

In dem Moment begann das Leben. Mit dem Erkennen der eigenen Existenz. Der Gedanke wuchs, wurde umfassender und alles beherrschend.

»Ich bin …«

Mit einem Aufschrei der Gefühle tauchte er ein in die atemberaubende Vielfalt des Seins. Ringsum pulsierte üppiges Leben.

Ein Schwall von Wissen explodierte in seinen Gedanken, ein wahres Furioso aus Erinnerungen und Erfahrungen. Gierig sog er alles in sich auf. Die Fülle der Informationen drohte ihn zu ersticken, sie erzeugte Furcht – ein neues und wenig schönes Gefühl.

Seine Anspannung entlud sich in einem gequälten Aufbäumen. Er reagierte instinktiv, und was er eben noch wahrzunehmen geglaubt hatte, war jäh wie weggewischt. Die Umgebung hatte sich gedankenschnell verändert.

Dies war nicht der Ort seiner Geburt. Aus der Furcht wurde Unbehagen, und die Erkenntnis, diesmal wirklich allein zu sein, ließ neue Furcht wachsen.

»Wo bin ich?«

Ein Reflex hatte ihn dazu gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Hier war alles fremd und schwer verständlich, hier gab es niemanden, der ihn erwartete und ihn lehrte, wie das Leben war.

Oder doch?

1.

»… und wenn der Roboter nicht verrostet ist, funktioniert er noch heute.« Schrill unterbrach Ilara Clandor die Syntronstimme, die aus unsichtbaren Akustikfeldern erklang. »Diese Märchen sind blöd. Ich will andere Geschichten hören. Von Menschen und Blues und Gurrads.«

Sie starrte hinüber zu dem s-förmig geschwungenen Wandregal, auf dem, sauber aufgereiht, gut zwei Dutzend Puppen desaktiviert warteten. Die Löwenmähnigen hatten es ihr angetan, ebenso die zerbrechlich wirkenden Perlians. In ihren Träumen wurden diese Puppen lebendig und redeten mit ihr, wie die Erwachsenen es nie taten.

»Anson Argyris hat wirklich existiert«, fuhr der Servo unbeeindruckt fort. »Er war ein treuer Freund der Menschheit und …«

»Märchen!« Ilara schlug sich die Hände vors Gesicht. Sie wollte die holografische Darstellung nicht mehr sehen, diese Maschine in Menschenmaske, mit schwarz gekräuseltem, zu zwei Zöpfen geflochtenem Bart. Seit sie sechs Jahre alt geworden war – ihr Geburtstag vor einer Woche war das schönste Fest seit langem gewesen –, sehnte sie sich nach Aufregenderem. Mit sechs war sie groß genug und brauchte nicht mehr auf alle Verbote der Erwachsenen zu hören.

Vorsichtig blinzelte sie zwischen zwei Fingern hindurch. Er war noch da, der bärtige Roboter, und er blickte sie unverwandt an.

Ilara stampfte mit dem Fuß auf. Die Erschütterung nahm der Servo als Zeichen, mit dem Programm fortzufahren.

»Was soll ich dir erzählen, Ilara? Die Geschichte von Michael Rhodan, der als Roi Danton die Freihändler …?«

»Nein!«, stieß das Mädchen hervor. »Das ist langweilig.«

Die zwei Meter große, breitschultrige Gestalt beugte sich zu ihr herab.

»Womit kann ich dir eine Freude machen, kleine Ilara? Was willst du hören?«

»Ich bin nicht mehr klein!«, stieß sie trotzig hervor. »Ich bin schon sechs.«

»Natürlich, mein Mädchen …«

»Ich bin auch nicht dein Mädchen. – Erzähl mir vom Sternengeist.«

Manchmal bereitete es ihr unsagbares Vergnügen, allem zu widersprechen. Einfach nur so, grundlos. Dann fühlte sie sich stark. So wie jetzt.

»Der Sternengeist ist ein Trividprogramm«, erklärte der Servo. »Aus rechtlichen Gründen verfüge ich über keine solche Speicherung.«

Ilara seufzte betont.

»Komm, Pluto! Fuß!«

Sie strafte das Hologramm mit Nichtachtung und verließ den Wohnraum. Pluto folgte ihr schwanzwedelnd. Illie hatte den Hund von Ron zum Geburtstag bekommen – ein kleiner weißer Pudel, der von einem richtigen Hund kaum zu unterscheiden war.

»Öffnen!«, befahl sie.

»Es ist jetzt zwölf Minuten nach zweiundzwanzig Uhr«, sagte der Servo. »Du darfst morgen die Wohnung verlassen, Ilara, heute nicht mehr.«

Pluto begann mit beiden Vorderpfoten an der Tür zu kratzen.

»Ich gehe mit dem Hund nach draußen«, protestierte Ilara. »Er muss mal. Außerdem bin ich gar nicht müde.«

Der Servo schwieg.

»Hast du nicht gehört? Pluto muss zu seinem Lieblingsbaum.«

»Geh bitte schlafen, Ilara.«

Trotzig drückte sie ihre Hand auf die Kontaktfläche des Türöffners. Aber nichts geschah. Lediglich Pluto bellte leise. Er schien zu spüren, dass sie eingesperrt waren.

»Still!«

Er gehorchte aufs Wort. Illie kraulte ihm dafür das Nackenfell. Wie weich er sich doch anfühlte, wie warm, gar nicht wie ein Robotspielzeug.

»Du versäumst nichts, Ilara.«

Erwachsenengeschwätz! Natürlich verpasste sie viel. Eine Nacht konnte endlos lang sein. Und nachts kamen die Geister, die zwischen den Sternen lebten, und nur Kinder konnten sie sehen und mit ihnen reden. Diese Geister verstanden es, sich unsichtbar zu machen. Illie bewunderte das feuerrote Haar der kleinen Wesen – erst vor zwei Stunden war im Trivideo die neueste Folge gezeigt worden.

An ihrem Geburtstag hatte sie das Kodewort aufgeschnappt, mit dem Ron den Servo abschaltete. Sie sprach es wie ein Zauberwort aus.

Diesmal reagierte der Öffnungskontakt. Augenblicke später stand das Mädchen draußen auf dem breiten Korridor. Hier oben, in fast sechshundert Meter Höhe, herrschte eine ungewohnte Ruhe. Niemand war zu sehen. Die Leuchtplatten in der Decke verbreiteten nur ein fahles Dämmerlicht.

»Wohin gehen wir, Pluto? Was meinst du?«

Der Robothund rieb seinen Kopf an ihren Beinen.

»Ich weiß. Wir besuchen Anne. Einverstanden?«

Anne war eine ihrer Freundinnen aus dem Hort, und Anne war vor fünf Standardmonaten sechs geworden. Ilara beneidete sie deshalb. Auch weil Anne schon viel von den Sternen gesehen hatte. Oft erzählte sie, dass sie auf Terra geboren, aber bald darauf auf eine neu erschlossene Siedlungswelt umgezogen war. Dort hatte nicht einmal eine richtige Stadt existiert. Ihr Vater war Transmittertechniker wie Ron. Wohnten auf Olymp überhaupt Menschen mit einem anderen Beruf?

Der Korridor mündete in die Hauptstraße, die von den Anwohnern ihres Charakters wegen so genannt wurde. Tatsächlich handelte es sich um einen überaus breiten, von Büschen, Bäumen und blühenden Pflanzen bewachsenen Korridor. Für Verkehrsmittel war er nicht zugelassen. Lediglich zwei Transportbänder in gegenläufige Richtungen ermöglichten es, doppelte Schrittgeschwindigkeit zu erreichen.

»Hopp, Pluto! Stell dich nicht so dumm an.«

Der Hund hatte Probleme, auf das Band aufzuspringen. Wiederholt blieb er mit zwei Pfoten auf dem festen Boden zurück, bis er winselnd umkippte und Ilara ihn auf den Arm nahm.

»Ron muss dein Programm verbessern.« Sie kraulte das Fell. »Ich will, dass du Kunststücke lernst.« So wie Annes Chiuwaha, ein exotischer, armlanger Fünfzigfüßer, der es mittlerweile schaffte, ohne zu stolpern rückwärts zu gehen oder nur auf einem Teil seiner vielgelenkigen Beine.

Eine Gruppe Umweltangepasster kam ihr auf der anderen Straßenseite entgegen. Ihr dröhnendes Gelächter war weithin zu vernehmen. Die Kerle mit den sichelförmigen Haarkämmen machten Ilara angst, doch sie beachteten sie nicht einmal. Erst nach einer Weile wandte das Mädchen sich nach ihnen um. Ertruser erschienen ihr wie die bösen Riesen aus den uralten Sagengeschichten. Was wollten sie hier oben auf der Wohnetage? Neue Nachbarn?

Pluto begann in ihren Armen zu strampeln, sie setzte ihn wieder ab. Vor ihr weitete sich die Straße zu einer ausgedehnten Parkanlage. Die Wohnungen hier verfügten über große Balkons, die zum Teil schon fast von den weit ausladenden Baumkronen berührt wurden. Sieben Etagen lagen übereinander, und den Abschluss bildete eine gewölbte Kuppel, die den Himmel über Olymp erkennen ließ. Für einen Moment suchte Ilara nach vertrauten Sternbildern, aber das Streulicht über Trade City ließ nur einige besonders helle Sterne erkennen.

Zwei Stockwerke nach oben. Illie war zu bequem, die Rampe zu benutzen, sie ließ sich von dem für größere Lasten vorgesehenen Antigravfeld in die Höhe tragen. Ein Schwarm Vögel flatterte auf. Die Erbauer des Silos hatten Wert auf ein möglichst natürliches Umfeld für die Bewohner des Wohnturms gelegt. Zwanzigtausend Wohnungen – Ilara Clandor konnte mit der Zahl noch nichts anfangen, assoziierte sie aber immerhin mit »wahnsinnig viel«.

Annes Eltern waren wohlhabend, das ergab sich schon aus der Lage ihrer Wohnung, von der Größe ganz zu schweigen. Nicht, dass Ilara unzufrieden gewesen wäre, ganz und gar nicht, aber sie kam gerne hierher, weil der Ringkorridor zu einer der gläsernen Außenfronten führte, von denen aus Trade City weit zu überblicken war. Ilara stand oft nur da und drückte sich staunend die Nase platt.

Auch diesmal konnte sie nicht widerstehen. Trade City in der beginnenden Nacht war ein überwältigender Anblick. Boscyks Stern war bereits hinter dem Horizont versunken, nur noch verwehende Schleier des Abendrots geisterten über den Himmel. Ein tiefes Purpur und – dem Zenit entgegen – die Schwärze der Nacht bestimmten das Bild.

Die Stadt selbst hüllte sich in ein gleißendes Lichtermeer, das im Norden an den Gebirgshängen emporschwappte. Oft verschleierten Wolken die Sicht, doch heute war der Himmel klar. Ilara konnte in die Straßenschluchten hinabblicken, in denen das Leben auf vielen Ebenen pulsierte. Gleiter zogen mit blinkenden Positionslichtern gemächlich dahin, Laserstrahlen zeichneten Werbespots ans Firmament. Pluto begann zu knurren, als nur wenige Kilometer entfernt ein riesiger weißer Pudel entstand. Mühsam entzifferte Ilara die Werbeschrift – bewegte Bilder hatten sie schon immer mehr gereizt als stumpfsinnige Buchstaben.

»Schenkt eurem Kind Freude! Ein Robothund bringt den Umgang mit Tieren spielerisch nahe.«

Ein Stern fiel herab, gleich darauf ein zweiter, ein dritter … große Kugelraumer, Frachtschiffe, die aus der Milchstraße kamen. Ilara atmete hastiger, und ihr Atem beschlug die Scheibe. Mit beiden Händen drückte sie gegen das Glas. Wie Sternschnuppen zogen die Schiffe über Trade City hinweg, sie senkten sich dem Raumhafen entgegen.

»Wenn ich groß bin, fliege ich mit einem solchen Schiff«, flüsterte Illie. Pluto legte den Kopf schräg und schien ihren Worten zu lauschen. »Ich will die Sterne sehen, sie sind schön.«

Viel zu schnell verschwanden die Kugelraumer aus ihrem Blickfeld. Ilara suchte den Himmel nach weiteren Schiffen ab; sie reagierte enttäuscht, als sie keine fand. Trade City war auf einmal nicht mehr interessant.

»Komm!« Sie stieß sich ab und hastete vor Pluto her. Hinter ihr verwischten die fettigen Fingerabdrücke auf der selbstreinigenden Beschichtung der Scheibe.

Keinen Gedanken verschwendete Ilara an die Uhrzeit, als sie den Türmelder der Moltransschen Wohnung betätigte. Wie gewöhnlich presste sie ihre Handfläche mehrmals hintereinander auf den Sensor.

Endlich verriet die aufleuchtende Kontrollleiste, dass jemand zu Hause war. Der kleine Bildschirm blieb allerdings dunkel. »Illie«, erklang die Stimme von Annes Mutter. »Bist du allein?«

»Pluto ist bei mir. Wir wollen mit Anne spielen.«

Ein kurzes Zögern. Dann: »Weißt du, wie spät es ist?«

»Zehn, glaube ich.«

»Elf Uhr durch. Anne schläft längst.«

»Entschuldigung«, murmelte Ilara.

»Dass deine Eltern dich so spät noch gehen lassen. Wissen sie, wo du bist?«

»'türlich«, murmelte das Mädchen und biss sich auf die Unterlippe.

»Warte!«, erklang es aus dem Akustikfeld. »Ich lasse dich gleich herein, und dann rufen wir Ron und Dindra an, dass sie dich abholen sollen.«

Ilara schluckte schwer. Mit einemmal wurde ihr klar, dass ihr Ärger bevorstand. Das mindeste war, dass sie Trivideo-Verbot erhielt.

Sie warf sich herum und begann zu laufen. Pluto blieb hinter ihr. Mit weit ausgreifenden Schritten hastete sie diesmal die Rampe hinunter.

»Illie!«, hörte sie hinter sich rufen. »Wo bist du, Illie? Sei vernünftig!«

Sybil Moltrans würde sie nicht mehr einholen. Ilara stolperte über die eigenen Füße. Das enge Rund machte sie benommen, sie torkelte und stürzte, versuchte vergeblich, sich noch abzufangen. Einen heiseren Aufschrei ausstoßend, rutschte sie dem Rand der Rampe entgegen, dahinter ging es mindestens zehn Meter in die Tiefe. Der Schreck lähmte sie, aber dann, ganz sanft, wurde sie von einer unsichtbaren Hand aufgefangen und blieb unmittelbar vor dem Abgrund hängen. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Tiefe.

Natürlich gab es Schutzvorrichtungen wie Prallfelder, damit kein Bewohner des Silos zu Schaden kam. Sie hatte nur einen Moment lang nicht daran gedacht.

Mit rauer Zunge leckte Pluto über ihr Gesicht. Illie schob den Robothund mit dem Unterarm zur Seite.

»Nicht, Pluto, pfui! – Lass das, wir müssen weiter!«

Mitternacht war nahe. Wenn ihre Eltern ausgingen, kamen sie nie vor drei Uhr nachts zurück. Und warum sollte das ausgerechnet heute anders sein? Ihr blieb also genügend Zeit, sich umzusehen.

*

Die Leute im Expresslift schauten sie forschend an. Ilara bemühte sich, die Blicke zu ignorieren; trotzdem war ihr unbehaglich zumute. Mindestens vierzig Personen hielten sich in der Kabine auf, die rasend schnell in die Tiefe glitt.

»Wohin so spät, kleines Mädchen?«, fragte ein bärtiger, kahlköpfiger Mann. Sein Lachen entblößte zwei Reihen stählerner Zähne.

Illie schob trotzig die Unterlippe nach vorne.

Der Mann ging vor ihr in die Hocke. »Ich mag kleine Kinder«, sagte er. »Vor allem um diese Zeit.«

Illie wollte zurückweichen, aber hinter ihr war die Kabinenwand.

»Ich bin nicht klein«, stieß sie trotzig hervor. »Und ich habe keine Angst. Vor niemandem.«

»Auch nicht vor mir? Wirklich?«

»Bist du ein Geist?«

Die Leute lachten. Auch der mit den künstlichen Zähnen stieß eine Reihe glucksender Laute aus.

»Nein, mein Kind, ich bin kein Geist. Nur ein Handelsreisender, der in den letzten Jahren die halbe Galaxis gesehen hat. Meine Tochter ist inzwischen ungefähr so alt wie du – ich habe sie seit zwei Standardjahren nicht mehr gesehen.«

»He!«, rief jemand von der anderen Seite der Kabine. »Ich kenne dich doch. Du bist die kleine Clandor, nicht wahr?«

Ilara seufzte bedrückt. Was ihr sonst Freude bereitete, gefiel ihr heute gar nicht. Manchmal war es schwer, bekannt zu sein wie ein karierter Mausbiber. Sie war oft im Silo unterwegs, eigentlich jeden Tag. Längst hatte sie die oberen hundert Etagen erforscht und jede Menge Bekanntschaften geschlossen.

»Ilara Clandor«, fuhr die Stimme aus dem Hintergrund fort. »Du warst letzte Woche mit deinem Vater beim Haupttransmitter und hast dir von mir alles erklären lassen. Erinnerst du dich nicht an mich? Mich wundert, dass Ron dich um Mitternacht noch allein umherziehen lässt. Wie alt bist du eigentlich?«

Der Lift stoppte.

»Etage dreißig«, verkündete eine helle Syntronstimme. »Einkaufspassage Nostalgie-Basar.«

Illie spurtete los, bog in die nächste Gasse ein und ging hinter einem Stapel leerer Transportbehälter in Deckung. Niemand folgte ihr, und das war gut so, denn sie hatte keine Lust, neugierige Fragen zu beantworten. Ausgerechnet heute nicht.

Seit der Trividsendung wusste sie, dass sie heute wirklich einen Geist sehen würde. Aber wo? Bestimmt nicht in den oberen Bereichen des Wohnturms, dort kannte sie jeden Winkel. Neu waren ihr nur die tiefen Stockwerke, die Etagen, die weit unter die Erde reichten. In den dunklen Winkeln fühlten Geister sich wohl. Dorthin wollte sie.

In der Einkaufspassage herrschte rege Betriebsamkeit. Es war leicht, einen Tag oder zwei auf dieser Etage zu verbringen und dennoch immer wieder Neues zu entdecken. Billiger Tand wurde ebenso angeboten wie sündhaft teure Gaumenfreuden, Erzeugnisse vom anderen Ende der Milchstraße. Die Geschäfte erinnerten an Paläste aus Glas und Licht, aber es gab auch Straßenzüge, die Dindra als »billige Basare« bezeichnete. Vor einigen Wochen waren sie erst hier gewesen – Illie kratzten jetzt noch die unterschiedlichen Aromen von Gewürzen und Früchten in der Nase, eine Mischung, die ihr teils Übelkeit bereitet, ihr aber auch das Wasser hatte im Mund zusammenlaufen lassen.

Jetzt roch sie ihn wieder, diesen »Duft der Sterne«, der selbst den perfekten Klimaanlagen trotzte. Für einen Moment blieb sie stehen und schloss die Augen. Ihre kindliche Phantasie versetzte sie auf ferne Planeten.

Sie wurde angerempelt, sanft weitergeschoben und tauchte ein in das Gewimmel des Basars. Einfache Verkaufsstände, die sich unter der Last der aufgetürmten Früchte bogen. An anderer Stelle wurden die Waren auf Antigravplattformen angeboten. Illie verstand nicht, warum das so war, doch ihr gefiel der Trubel besser als die sterile Umgebung in den Geschäften, in denen sie so gut wie nichts berühren durfte.