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Olymp im Griff einer fremden Macht - Galaktiker suchen nach dem Glück Während sich Perry Rhodan und Reginald Bull in der fremden Galaxis Plantagoo behaupten müssen und Alaska Saedelaere in Tolkandir grauenvolle Erkenntnisse erlangt, wird die Lage in der Menschheitsgalaxis im Frühjahr 1289 Neuer Galaktischer Zeitrechnung noch unübersichtlicher. Nachdem die Völker der Tolkander, wie man sie in Ermangelung eines besseren Ausdrucks nennt, rund 300 Planeten erobert und von der restlichen Galaxis abgeriegelt hatten, kam es auf 52 besiedelten Welten zu einem mysteriösen Massensterben. Danach zogen sich die Tolkander mit Hunderttausenden von Raumschiffen an den Rand der Galaxis zurück, wo sie im Sektor 47 Tucani eine Operationsbasis schufen. Die großen Machtblöcke in der Galaxis belauern sich trotz der großen Gefahr weiterhin, als sei nichts geschehen. Die Versuche Atlans, die galaktischen Völker gegen die Gefahr zu einigen, blieben bisher weitgehend erfolglos - nicht zuletzt deshalb, weil es bei einer geplanten Friedenskonferenz in einem Raumschiff der Chaeroder zu einem Massaker an den Delegationen kam. Es scheint, als hielten alle die Luft an. Auf einigen Welten bahnen sich merkwürdige Ereignisse an - ein seltsames Wesen zieht anscheinend seine KREISE …
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Veröffentlichungsjahr: 2014
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Nr. 1846
Kreise
Olymp im Griff einer fremden Macht – Galaktiker suchen nach dem Glück
von Hubert Haensel
Während sich Perry Rhodan und Reginald Bull in der fremden Galaxis Plantagoo behaupten müssen und Alaska Saedelaere in Tolkandir grauenvolle Erkenntnisse erlangt, wird die Lage in der Menschheitsgalaxis im Frühjahr 1289 Neuer Galaktischer Zeitrechnung noch unübersichtlicher.
Nachdem die Völker der Tolkander, wie man sie in Ermangelung eines besseren Ausdrucks nennt, rund 300 Planeten erobert und von der restlichen Galaxis abgeriegelt hatten, kam es auf 52 besiedelten Welten zu einem mysteriösen Massensterben. Danach zogen sich die Tolkander mit Hunderttausenden von Raumschiffen an den Rand der Galaxis zurück, wo sie im Sektor 47 Tucani eine Operationsbasis schufen.
Die großen Machtblöcke in der Galaxis belauern sich trotz der großen Gefahr weiterhin, als sei nichts geschehen. Die Versuche Atlans, die galaktischen Völker gegen die Gefahr zu einigen, blieben bisher weitgehend erfolglos – nicht zuletzt deshalb, weil es bei einer geplanten Friedenskonferenz in einem Raumschiff der Chaeroder zu einem Massaker an den Delegationen kam.
Es scheint, als hielten alle die Luft an. Auf einigen Welten bahnen sich merkwürdige Ereignisse an – ein seltsames Wesen zieht anscheinend seine KREISE …
Ilara Clandor – Ein Mädchen von Olymp gerät in eine merkwürdige Unruhe.
Dindra Clandor – Eine Mutter sucht nach einem neuen Sinn.
Ronald Clandor – Ein Vater vernachlässigt seine Pflichten am Arbeitsplatz.
Atlan – Der Arkonide registriert merkwürdige Vorkommnisse in der Galaxis.
Jack
Vierzig Tage währte seine Existenz inzwischen in der Zeitrechnung dieser Galaxis, die von einem Teil ihrer intelligenten Bewohner »Milchstraße« genannt wurde.
Vierzig Tage hatte er benötigt, seine anfängliche Hilflosigkeit in ein Gefühl der Stärke zu verwandeln. Der Name Jack, den ein kleines Mädchen ihm gegeben hatte, gefiel ihm. Er klang kurz und prägnant, vermittelte Stärke und Entschlossenheit. Alles Eigenschaften, die er im Laufe seines erst kurzen Lebens herausgebildet hatte.
»Ich bin ein Philosoph!«
Er wusste endlich, was er zu tun hatte. Seine Bestimmung war es, seine eigenen Kräfte mit denen der Millionen und Abermillionen Resonanzkörper dieser Welt zu verstärken. Um das zu erreichen, musste er seine Kreise über den gesamten Planeten erstrecken.
Das erste Territorium kontrollierte er mittlerweile.
In einem riesigen künstlichen Pferch hatte er begonnen; heute beherrschte er die Stadt. Doch er musste die Welt und ihre Bewohner besser in den Griff bekommen. Sie waren eigensinnig und nicht leicht zu lenken.
»Trotzdem sind sie begeisterungsfähig.«
»Illie!«
Der Ruf kam von weit her, beinahe aus einer anderen Welt. Trotzdem bewirkte er nicht mehr als das unwillige Zucken zweier kleiner Mundwinkel. Ein kaum hörbares Seufzen folgte der Bewegung, danach war alles wieder genauso wie zuvor.
»Hast du vergessen, dass wir eingeladen sind?«
Zwei Kinderaugen starrten blicklos auf die gegenüberliegende Wand, schienen die Begrenzung gar nicht wahrzunehmen. Der Blick verlor sich in einer Unendlichkeit, die anderen Personen wohl nie zugänglich sein würde.
Sie waren weit aufgerissen, diese ohnehin schon großen Augen. Ihr wässeriges Blau verschwamm in dem blassen, runden Gesicht, in dem die kecke Stupsnase das einzige war, was momentan noch einen Hauch von Leben zeigte. Weil ebendieses Näschen sich in unregelmäßigen Abständen zu einem vernehmlichen Schniefen zusammenzog.
Die Lippen waren fest aufeinandergepresst, ein verkrampfter, blutleerer Strich. Und hin und wieder zuckte eine zitternde Hand in die Höhe und schob eine der wirr in die Stirn hängenden braunen Locken zur Seite.
»Ilaaraa!«
Die Stimme aus scheinbarer Unendlichkeit nahm einen gereizten Klang an. Sie war auch plötzlich gar nicht mehr so fern: höchstens sechs oder sieben Meter.
»Mach bitte einmal wirklich das, was man von dir verlangt!«
Ein Lidschlag benetzte die Augen mit neuer Tränenflüssigkeit. Gleichzeitig rann eine dicke Perle an der Nase abwärts. Ein neues Schniefen erklang, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen; Ilara Clandors einzige Reaktion.
Stocksteif saß sie auf ihrer Bettliege – und starrte durch die Wand. Oder auch durch das S-förmig geschwungene große Regal, auf dem ihr Spielzeug gestapelt war. Die Arme hatte sie auf den Oberschenkeln aufliegen, die Finger um die zerfledderten Überreste einer Puppe verkrampft. Nur hin und wieder, wenn ein Schluchzen sie durchfuhr, zerrte die Sechsjährige erneut an der malträtierten Figur.
»Ilara, bei allem Wohlwollen, es reicht!« Ihre Mutter riss die Tür auf und funkelte sie zornig an. »Ich warte nur noch auf dich.«
Keine Reaktion. Auch nicht, als Dindra Clandor sich unmittelbar vor ihrer Tochter aufbaute. Illie schien sie einfach nicht wahrzunehmen.
Dindra griff zu, wollte das Mädchen am Arm hochziehen. Aber die Kleine machte sich schwer wie ein Stein, schüttelte die Hand ihrer Mutter mit einer jähen Bewegung ab.
»Lass mich!«, stieß sie dumpf hervor.
Dindra schüttelte den Kopf.
»Ich habe gesagt, dass wir beide kommen, und genau das werden wir tun. Perikles ist ein netter Junge in deinem Alter, er …«
»Perikles ist blöd, bäh! Ich mag ihn nicht sehen.«
Illie warf sich herum, wälzte sich bäuchlings auf die Liege und auf die zerfledderte Puppe, die sie nach wie vor mit beiden Händen umklammerte.
»Ich habe endgültig genug von deinen Macken. – Vergiss ihn!« Dindra hatte ihre schlichte Not, das Mädchen herumzuziehen. Aber irgendwie schaffte sie es, und sie brachte sogar das Kunststück fertig, Ilara die Puppe zu entwinden. Besonders gut fühlte sie sich nicht dabei, schon gar nicht angesichts des verweinten Gesichts ihrer Tochter, doch es gab Wichtigeres, als einer kurzen Episode nachzutrauern.
»Nein, nicht!«, kreischte Illie. »Gib ihn mir zurück! Mum, ich …«
»Endgültig Schluss«, beharrte Dindra. »Ich werfe ihn in den Müllschlucker, und hoffentlich wirst du danach wieder normal.«
Illies Stimme überschlug sich schier. »Das ist Jack!«
Und wennschon. Dindra zuckte nur mit den Achseln. »Der richtige Jack ist fort, Illie, damit musst du dich abfinden. Niemand hat ihn in den letzten beiden Tagen gesehen, keiner hat mehr etwas von ihm gehört. Er ist so spurlos verschwunden, wie er kam. Wahrscheinlich hat er Olymp längst verlassen.«
Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf. Das Lockenhaar peitschte von einer Seite zur anderen.
»Ich weiß, dass er noch da ist, Mum. Ich fühle es. Jack braucht mich.« Heftig schluchzend ließ Illie sich zur Seite sinken.
Dindra beugte sich über sie, strich ihr sanft übers Haar und dann mit dem Handrücken über die Wangen. Es tat ihr schon wieder leid, dass sie so schroff gewesen war.
»Dad hat versprochen, dass wir gemeinsam nach Jack suchen werden«, brachte Illie stockend hervor. »Er hat sein Wort nicht gehalten. Jack hätte Wort gehalten, ich weiß es.«
Die Anklage war bitter. Wie ein Stich zwischen ihre Rippen, dort, wo das Herz saß. In dem Moment hätte Dindra Clandor viel dafür gegeben, wäre es ihr irgendwie möglich gewesen, den kleinen Freund ihrer Tochter zurückzuholen. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie nichts über ihn wusste – und seltsam, sie fragte noch immer nicht danach, wer dieser hilfsbedürftige Junge wirklich gewesen war, den sie zwei Wochen lang wie ihr eigenes Kind und Ilaras Bruder behandelt hatte. Sie hatte ihm einfach helfen müssen, ohne ihn zu kennen, und er war rasch gewachsen.
Vergeblich versuchte sie, sich zu erinnern. Zwei Tage nur, aber schon hatte sie Jacks Aussehen vergessen.
Es war nicht weiter wichtig.
Sie sagte Illie, dass ihr Vater momentan sehr viel Zeit in der Transmitterstation verbringen musste. Immer noch waren die Medien voll von Berichten und Spekulationen über das in der Zeit versetzte Solsystem. Obwohl die Situation sich langsam wieder zu normalisieren schien: In den ersten Tagen nach dem Verschwinden Terras hatten sich Tausende von Containern angesammelt, die Transmitterverbindungen von Olymp waren dem Zusammenbruch nahe gewesen.
»… Ron wird mit dir sehr viel unternehmen, sobald er nicht mehr den ganzen Tag zu arbeiten hat. Das verspreche ich dir, Illie, wirklich.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Du bist doch sonst vernünftig«, fuhr Dindra fort.
»Ich – will – Jack!«
»Quälgeist!« Dindra legte ihrer Tochter die zerfledderte Puppe ans Gesicht. Na gut, mit sehr viel Phantasie konnte man wirklich annehmen, dass die Puppe Jacks Züge besessen hatte.
Wie ein Blitz fuhr Ilara herum, so schnell, dass ihre Mutter förmlich zusammenzuckte. Die Puppe flog in hohem Bogen hinüber zum Abfallvernichter, verfehlte ihn lediglich um wenige Zentimeter. Mit halb abgerissenem Kopf, zerfleddertem Leib und abstehenden Gliedmaßen klatschte sie auf den Boden.
»Das ist nicht Jack!«, keuchte Illie. »Ich will mein Brüderchen wiederhaben! – Ich will … ich will … ich will …«
Mit Armen und Beinen begann sie um sich zu schlagen, beruhigte sich jedoch ebenso schnell wieder und rollte sich in ihre Lieblingshaltung ein. Die Knie an den Leib gezogen und mit beiden Armen umschlungen, reagierte sie einfach nicht mehr. Ganz egal, was Dindra sagte.
»… hörst du mir überhaupt noch zu?«
Es war sinnlos, Ilara in diesem Zustand zu irgend etwas bewegen zu wollen. Sie hatte schon immer ihren besonderen Dickkopf besessen, schon als Baby.
*
Es war sonst nicht Dindra Clandors Art, getroffene Verabredungen kurzfristig abzusagen, es hätte schon um Leben und Tod gehen müssen, aber diesmal konnte sie nicht anders. Sie machte sich ernste Sorgen um ihre Tochter – und allein lassen wollte sie Illie nicht. Perikles und seine Mutter hingegen konnten warten, sie gehörten nicht einmal zur Clandor Family, weil sie außerhalb des Silos wohnten, waren einfach nur Bekannte aus früheren Jahren.
Dinnie gestand sich ein, dass sie das Mädchen vernachlässigt hatte. Andernfalls hätte Illie bestimmt nicht den fremden Jungen angeschleppt … Seltsam, sein Schicksal berührte sie kaum noch, obwohl sie sich entsann, dass sie vor zwei Wochen Gott und die Welt zusammengetrommelt hätte, um ihm zu helfen. Er war hilflos gewesen, jetzt war er es nicht mehr. Punktum. Die Erinnerung an ihn verwehte wie Nebel in der Morgensonne. Dindra ertappte sich bei der völlig belanglosen Frage, ob Jacks Haar schwarz oder blond gewesen war. Sein Haar hatte kurz und glatt, beinahe fettig am Kopf angelegen. Nein! Seine Locken hatten Illies sogar noch übertroffen.
Unwichtig! Wer immer der Junge gewesen war, wer seine Eltern gewesen sein mochten, er bedurfte keiner Hilfe mehr. Olymp war einer der bedeutenden Planeten in der Milchstraße, eine Drehscheibe des intergalaktischen Handels. Die Zahl der hier landenden Raumschiffe war Legion, und vermutlich hatte Jack sich an Bord eines dieser Schiffe geschlichen.
Er ist wieder irgendwo zwischen den Sternen, dachte sie, und dort ist er bestimmt glücklicher als bei uns im Silo.
Seltsamerweise verblasste sein Abbild vor ihrem inneren Auge immer mehr. Je intensiver sie versuchte, sich zu erinnern, desto fahler wurde sein Konterfei. Ron und sie hatten versäumt, eine Speicheraufnahme zu machen. Von Illie existierte für jeden Tag eine Fünf-Minuten-Sequenz, angefangen mit dem Moment ihrer Geburt und ihrem ersten heiseren Schrei.
Ruckartig hob sie den Kopf. Es war ruhig, fast schon zu ruhig, kein Laut drang aus dem Kinderzimmer.
Dindra hatte bewusst darauf verzichtet, eine Optiksonde zur Raumüberwachung zu installieren. Sie selbst hätte sich einen solchen Eingriff in die Privatsphäre verbeten, und Kinder sollten im Gefühl von Freiheit aufwachsen, nicht unter stetem Druck.
Leise öffnete sie die Tür einen Spalt weit. Der Servo hatte den Raum abgedunkelt, das Fensterholo spiegelte einen Ausschnitt des Milchstraßenbandes wider. Erst allmählich erkannte Dindra, dass ihre Tochter inzwischen lang ausgestreckt auf dem Bett lag. Illie schlief, und das war gut so. Zweifellos hatte sie sich, bis sie aufwachte, wieder beruhigt.
Ebenso sanft zog Dindra die Tür wieder ins Schloss.
Sie hatte plötzlich Zeit für sich selbst. Bis Ronald vom Transmitterzentrum zurückkam, würden noch gut drei Stunden vergehen. Andererseits war ihr auch jetzt nicht danach, Illie allein zu lassen. Deshalb forderte sie den Servo auf, einen der Trivid-Nachrichtenkanäle zu aktivieren.
Die Medien überschlugen sich zwar nicht mehr, weil jedes noch so brisante Thema nach eineinhalb Wochen ausgelutscht war, allerdings bildete die Berichterstattung über Terras Verschwinden immer noch ein Diskussionsthema. Eine angebliche Expertengruppe malte soeben ein Horrorszenario, wie es erschreckender kaum sein konnte. Die Handlungsweise der Terraner wurde in Grund und Boden verdammt.
»Die LFT wird in Bälde zerfallen«, prophezeite ein Blue. »Die Anzeichen dafür sind längst unverkennbar.«
Der einzige teilnehmende Topsider fügte scharf hinzu: »Terraner haben schon immer das Maul besonders weit aufgerissen, aber den Schwanz eingerollt, sobald mehr gefragt war als ein schöner Schein.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte ein kleiner, unscheinbarer Umweltangepasster. Gegen Springer, Unither und die anderen machte er von vornherein ein denkbar schlechtes Bild. »Die Hauptwelt der Liga Freier Terraner …«
»… hat euer Bündnis verlassen. Das ist Fakt.«
Die Atmosphäre war gereizt. Die Regie tat ein übriges, das Bild der Menschheit in einem denkbar ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Immerhin war der menschliche Vertreter alles andere als eine Leuchte, Dindra Clandor registrierte das schon nach seinen ersten Sätzen. Unwichtig! Sie schaltete um.
Aufzeichnung vom 1. Mai 1289 NGZ, verkündete eine Einblendung in die Wiedergabe eines Farmplaneten. Reife Getreidefelder, so weit das Auge reichte, ein wogendes Meer goldgelber Ähren vor einem fast purpurfarbenen Himmel.
Ein Bild des Friedens und der Entspannung. Der Aufnahmeroboter überflog wie mit dem Lineal gezogene Bewässerungsgräben. Schwärme kopfgroßer, mit Zebramuster versehener Schmetterlinge stoben auf und bildeten sekundenlang ein psychedelisches Gewimmel.
In der Ferne erschien die Silhouette einer kleinen Stadt im Gegenlicht. Sie rückte rasch näher.
Ein Aufnahmeschwenk zoomte eine Herde sechsbeiniger, rinderähnlicher Tiere. Friedlich grasten sie in einem energetisch abgegrenzten Areal. Immer noch hatte Dindra keine Ahnung, in welcher Art von Sendung sie gelandet war. Höchstwahrscheinlich eine Dokumentation über Zulieferer von Agrarwelten.
Ein zweiter Zoom-Schritt entlarvte die vermeintliche Idylle.
Mehrere Tiere waren bereits verendet, ihre Bäuche unnatürlich aufgequollen, die Euter schier zum Platzen. Ein anderes stürzte soeben, wurde von starken Zuckungen geschüttelt. Vergeblich sein Bemühen, wenigstens auf vier der sechs kräftigen Läufe wieder in die Höhe zu kommen. Der Schaum vor dem Maul wurde blutig.
Ins Riesige vergrößert erschienen die Augen der gequälten Kreatur auf der Holowand.
Keine dramatischer werdende Musik an dieser Stelle, kein Kommentar. Nur die Einblendung eines Planetennamens sowie galaktischer Koordinaten, die Dindra Clandor nichts sagten. Sie verzichtete darauf, den Servo um eine Erläuterung zu bitten. Irgendwie faszinierte sie die Wiedergabe.
Die Häuser im Hintergrund waren klein und schmuck, von viel Grün umgeben. Eine Märchenstadt, in der es sich zu leben lohnte. Dindra träumte seit Jahren davon, den Lebensabend auf einer solchen Welt zu verbringen. Sicher, im Silo war alles angenehm und leicht, aber auf Dauer sah sie nicht ihre Erfüllung darin. Vielleicht in sechzig, siebzig Jahren …
Ein blauer Fleck auf der Straße.
Dahinter ein zweiter.
Mannsgroße Käfer lagen da. Regungslos. Ihre Flügeldecken schimmerten in unterschiedlichen Mustern, die sechs Gliedmaßen waren abgespreizt.
Eine Woge des Glücks durchflutete Dindra beim Anblick der Käfer. Es war eigenartig – sie fühlte sich leicht und glücklich, obwohl sie irgendwo in ihrer Erinnerung …
Die Aufnahmeoptik glitt weiter. Einige Meter entfernt stob ein Schwarm armlanger, geflügelter Schlangenwesen auf. Sie attackierten den Störenfried. Deutlich waren in der Wiedergabe blutverschmierte Mäuler mit einer Vielzahl winziger nadelspitzer Zähne zu sehen. Die Tiere waren Aasfresser, gegen moderne Technik konnten sie sich nicht durchsetzen.
Gazkar! Wie Schuppen fiel es Dindra Clandor von den Augen. Die toten Käfer waren Gazkar, sie gehörten zu den Fremden, die wie eine Heimsuchung über die Milchstraße hereingebrochen waren.
Unbarmherzig erfasste die Optik die fast schon skelettierten Überreste eines menschlichen Körpers. Gierig schlugen zwei der Flügelschlangen ihre Zähne ins Fleisch.
Weitere Tote. Fünf, zehn, zwanzig … Sie lagen dicht beieinander, als hätten sie sich hier aus irgendeinem Grund versammelt. Und zwischen ihnen Gazkar und knorrige, baumähnliche Kreaturen. Im ersten Erschrecken hätte Dindra sie wirklich fast für kleine Bäume gehalten, doch das ergab keinen Sinn. Auch vor diesen Fremden machten die Aasfresser nicht halt.
Hunderte von Toten, und es sah aus, als hätte keiner sich gegen den Tod gewehrt. Nicht einer, der versucht hätte, davonzulaufen oder sich zur Wehr zu setzen.
Sich wehren? Wogegen?
Dinnie schüttelte entschieden den Kopf. Eine quälende Übelkeit begann sich in ihren Eingeweiden breitzumachen, ein Gefühl, als müsse sie sich im nächsten Moment übergeben. Trotzdem fiel es ihr schwer, den Blick von der Wiedergabe zu lösen.
Raumsoldaten in SERUNS bewegten sich jetzt zwischen den Toten, nahmen Messungen vor. Sie töteten die Rinder, die mit aufgedunsenen Leibern Qualen litten. Drei, vier Tage mochten die Tiere nicht versorgt worden sein, schätzte Dindra.
»Holo aus!«, bestimmte sie mit vibrierender Stimme.
Sie hatte genug gesehen – obwohl ihr die Bilder an die Nieren gingen, interessierten sie sie nicht. Das alles erschien ihr wie eine drittklassige Unterhaltungsproduktion, nichts, was man im Gedächtnis behalten musste. Obwohl tief in ihrem Unterbewusstsein die Erkenntnis saß, dass sie eben Bilder von einer der entvölkerten Brutwelten gesehen hatte.
Für sie gab es Sinnvolleres zu tun, als sich damit zu befassen.
»Befehl nicht ausführbar«, schnarrte der Servo. »Lediglich Alternativvorschläge sind möglich.«
»Nein!«
»Um deinem Wunsch entsprechen zu können, Dindra, müssten bauliche Veränderungen vorgenommen werden.«
»Dann veranlasse sie!«
Schwer atmend, die Hände in die Taille gestemmt, stand Dindra Clandor im Mittelpunkt des Wohnraumes und drehte sich langsam um sich selbst. Seit einer Stunde war sie im Begriff, die Möbel umzustellen. Weil nach achteinhalb Monaten endlich wieder frischer Wind nötig war. Die alte Aufteilung hatte sie erdrückt, hatte ihr das Gefühl vermittelt, ersticken zu müssen. Die Zusammenstellung war grässlich gewesen, einfach unausstehlich. Dort die Wand mit dem Trivideo, gegenüber das Kombi-Verwandlungsregal, davor die Sitzecke mit den integrierten Annehmlichkeiten des dreizehnten Jahrhunderts NGZ und seitlich der Fensterableger des Trivids, ein scheinbar ungehinderter Blick über Trade City. Die Lichtvorhänge passten überhaupt nicht mehr in das Muster, aber sie in regenbogenfarbene Kaskaden zu verwandeln, die vom Boden zur Decke flossen und sich dort stufenförmig ausbreiteten, war nur eine Frage der Programmierung gewesen.
Kopfschüttelnd betrachtete Dindra die Veränderungen. Sie war nicht zufrieden damit. Ganz und gar nicht. Tief in ihrem Innern wusste sie, wie es sein sollte, wie die Formen zueinander passen mussten, damit sie glücklich sein konnte – doch es fiel ihr schwer, genau das umzusetzen.
»Die Anschlüsse müssen verlegt werden«, sagte sie noch einmal mit Nachdruck. »Ich erwarte, dass meine Wünsche ausgeführt werden.«
»Drei Nachbarwohnungen wären ebenfalls davon betroffen.«