Perry Rhodan 2218: Die Epha-Matrix - Ernst Vlcek - E-Book

Perry Rhodan 2218: Die Epha-Matrix E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Motana und ihre neue Bestimmung - die Verfemten Gesänge erwachen neu Wir schreiben November des Jahres 1331 Neuer Galaktischer Zeit. Die Lage in der Milchstraße ist aufs Äußerste gespannt. Ausgerechnet in dieser brisanten Situation gelten Perry Rhodan und Atlan als verschwunden. Tatsächlich sind sie im Sektor Hayok in einen bislang nicht sichtbaren Sternhaufen geraten, der von seinen Bewohnern "Sternenozean Jamondi" genannt wird. Auf sich allein gestellt und auf dem Planeten Baikhal Cain gestrandet, laufen Perry Rhodan und Atlan den Kybb-Cranar in die Hände und werden von diesen als Arbeitssklaven im so genannten Heiligen Berg missbraucht. Sie können fliehen und sich zum Volk der menschenähnlichen Motana retten. Hier findet Atlan in Gestalt Zephydas eine neue Liebe. Doch die Kybb-Cranar fallen über die friedlichen Motana her. In letzter Sekunde erscheint der mysteriöse Nomade Rorkhete auf dem Plan. Mit Hilfe der "Ozeanischen Orakeln" rettet er Perry Rhodan, Atlan und Zephyda vor dem Zugriff des Feindes. Für die überlebenden Motana auf dem Planeten Baikhal Cain geht der Kampf ums Überleben allerdings weiter. Sie entdecken DIE EPHA-MATRIX...

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Nr. 2218

Die Epha-Matrix

Motana und ihre neue Bestimmung – die Verfemten Gesänge erwachen neu

Ernst Vlcek

Wir schreiben November des Jahres 1331 Neuer Galaktischer Zeit. Die Lage in der Milchstraße ist aufs Äußerste gespannt. Ausgerechnet in dieser brisanten Situation gelten Perry Rhodan und Atlan als verschwunden. Tatsächlich sind sie im Sektor Hayok in einen bislang nicht sichtbaren Sternhaufen geraten, der von seinen Bewohnern »Sternenozean Jamondi« genannt wird.

Auf sich allein gestellt und auf dem Planeten Baikhal Cain gestrandet, laufen Perry Rhodan und Atlan den Kybb-Cranar in die Hände und werden von diesen als Arbeitssklaven im so genannten Heiligen Berg missbraucht. Sie können fliehen und sich zum Volk der menschenähnlichen Motana retten. Hier findet Atlan in Gestalt Zephydas eine neue Liebe.

Doch die Kybb-Cranar fallen über die friedlichen Motana her. In letzter Sekunde erscheint der mysteriöse Nomade Rorkhete auf dem Plan. Mit Hilfe der »Ozeanischen Orakel« rettet er Perry Rhodan, Atlan und Zephyda vor dem Zugriff des Feindes.

Für die überlebenden Motana auf dem Planeten Baikhal Cain geht der Kampf ums Überleben allerdings weiter. Sie entdecken DIE EPHA-MATRIX ...

Die Hauptpersonen des Romans

Aicha – Die junge Motana entdeckt die Kraft der Epha-Matrix.

Raphid-Kybb-Karter – Der Gouverneur von Baikhal Cain sucht einen Weg, wieder ins All vorstoßen zu können.

Careve – Die Motana-Sängerin rivalisiert lieber, als zu kooperieren.

Gorlin

Prolog

Rings um Raphid-Kybb-Karter brach alles zusammen. Und der Gouverneur von Baikhal Cain konnte nichts dagegen tun. Hilflos musste er mit ansehen, wie die Hochleistungstechnik versagte.

Seit dem Vortag gab es keine Verbindung mehr zum Kybernetischen Kommando. Der Hyperfunkverkehr war zusammengebrochen. Die letzte Meldung, die Raphid-Kybb-Karter vom Kybernetischen Kommando erreicht hatte, war der Befehl, die Quote für den Abbau des Schaumopals noch einmal drastisch zu erhöhen.

Aber diese Anordnung hatte er einfach ignoriert. Wozu den Schaumopal verstärkt abbauen, wenn es keine Möglichkeit gab, ihn an die Bestimmungsorte zu transportieren?

In einem der letzten Hyperfunksprüche hatte das Kybernetische Kommando versprochen, die Probleme mit dem Hyperraum in nächster Zukunft zu beheben. Und nun? Funkstille. Es deutete alles darauf hin, dass dies ein leeres Versprechen gewesen war. Raphid-Kybb-Karter war auf sich selbst angewiesen.

Im Orbit des Planeten Baikhal Cain parkten 4500 Raumschiffe, der größte Flottenverband des gesamten Sternenozeans von Jamondi. Und Raphid-Kybb-Karter war sein Befehlshaber. Aber er hätte genauso gut 4500 Attrappen befehligen können, der Effekt wäre derselbe gewesen. Alle Versuche, die Überlichttriebwerke in Gang zu setzen, scheiterten. Die größte Flotte des Sternenozeans saß im Orbit von Baikhal Cain fest.

Es schien, als hätte Raphid-Kybb-Karter seinen Machtkampf umsonst geführt. Es war ein Meisterstreich gewesen, seinen Vorgänger Famah-Kybb-Cepra zu stürzen. Nun durfte er sich als einer der mächtigsten Kybb-Cranar des Sternenozeans von Jamondi fühlen. Aber es war, als liege ein Fluch über ihm. Kaum als Gouverneur des Ash-Systems an der Macht, jagte eine Hiobsbotschaft die nächste. Die Hochleistungsrechner fielen der Reihe nach aus, Hyperfunkverkehr war nicht mehr möglich. Ebenso wenig eine ausreichende Hyperzapfung, um die Raumschiffe mit der für den Hyperflug benötigten Energie zu versorgen.

Seine Techniker und Wissenschaftler waren außerstande, etwas gegen diese verheerenden Phänomene zu unternehmen. Ja, sie erkannten nicht einmal die Ursachen für diese dramatischen Veränderungen. Sie sprachen von einer »Schwächung« des Hyperraums, von »Strukturveränderungen«, von »hyperdimensionalen Verzerrungen« und ähnlichem Unsinn – Ausdruck ihres Unvermögens, die wahren Ursachen zu finden.

Und jetzt verschärfte sich die Lage noch einmal dramatisch.

Die Raumschiffskommandanten meldeten, dass die Energien aus den Speichern ihrer Einheiten unkontrollierbar abflossen. Es war ihnen unmöglich, die Speicher durch Hyperzapfung neu zu speisen, und sie konnten das Entströmen nicht stoppen.

Raphid-Kybb-Karter handelte rasch. Wenn er nicht riskieren wollte, dass die Mannschaften der Raumschiffe erfroren, weil die Energien zu knapp wurden, oder dass sie mangels Lufterneuerung erstickten oder dass die Schiffe durch die Anziehungskraft des Planeten abstürzten – wenn er das alles verhindern wollte, musste er augenblicklich die Landung der gesamten Flotte anordnen.

Und das tat er.

Sein Befehl kam gerade noch rechtzeitig. Die meisten der Raumschiffe landeten unversehrt in weitem Umkreis um Baikhalis, der Hauptstadt von Baikhal Cain. Nur einige wenige bauten Bruchlandungen, weil ihnen die Energien für Bremsmanöver ausgingen. Es gab einige hundert Tote und vergleichsweise geringe Materialschäden.

Damit konnte Raphid-Kybb-Karter leben. Aber er verfügte nun über eine Riesenflotte, die auf Baikhal Cain festsaß, weil sie nicht mehr flugfähig war.

1.

Über Nacht war in den Minen des Heiligen Berges alles ganz anders geworden.

»Es ist, als seien mit Atlan und Rhodan auch unsere Abwehrkräfte und unser Lebensmut gegangen«, sagte Gorlin zu seiner Zwillingsschwester. Es war am dritten Tag nach dem Verschwinden der beiden Männer von den fremden Sternen.

Aicha wusste, was er meinte. Seit Atlan und Rhodan zusammen mit dem Motana Jadyel aus dem Heiligen Berg geflohen waren, hatte niemand mehr Lust zum Singen verspürt. Die Minenarbeiter warteten vergeblich darauf, dass jemand Geschichten erzählte, wenn sie todmüde von ihrer Schicht in den Schlafraum kamen.

»Sie werden nicht mehr zurückkommen«, sagte Aicha. »Sie sind tot. Alle drei.«

»Spürst du das, Schwester?«

Aicha schüttelte den Kopf, und ihre Finger spielten dabei mit ihrem Halsring. »Ich habe keinerlei Empfinden. Aber sie müssen tot sein. Ihre Krin Varidh haben sie getötet.«

»Das will ich nicht glauben«, sagte Gorlin. »Atlan und Rhodan sind stark. Sie haben gezeigt, dass sie allen Gefahren widerstehen können. Selbst Raphid-Kybb-Karter.«

Als Gorlin den Namen des Herrn über den Heiligen Berg nannte, zuckte Aicha leicht zusammen. Sie hatte miterlebt, wie Raphid-Kybb-Karters Neuropeitsche Atlan getroffen hatte, wie dann aber alle Schmerzen den Mann nicht in die Knie hatten zwingen können. Atlan hatte diese Qualen in aufrechter Haltung hingenommen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Aicha hatte damals geglaubt, dass keine Macht der Welt diesen Mann mit den rötlichen Augen und dem weißen Bart beugen konnte. Aber nach drei Schichten ohne Lebenszeichen der Flüchtigen glaubte sie nicht mehr daran.

»Atlan und seine Gefährten werden längst den Wald von Pardahn erreicht haben und bei Jadyels Stamm in Sicherheit sein«, sagte Gorlin mit Wehmut in der Stimme. »Spürst du denn nicht, Schwester, dass ihre Kraft ungebrochen ist? Dass sie durch den Wald von Pardahn streifen und in der Freiheit neue Kräfte schöpfen, um ihr Vorhaben wahr zu machen? Atlan und Rhodan werden den Kybb-Cranar ein Raumschiff stehlen und zu ihren Heimatsternen zurückkehren. Sag, dass du daran glaubst, Aicha.«

»Ich hätte es ihnen zugetraut«, sagte Aicha, um dem Bruder seine Illusionen nicht zu rauben.

Der Glaube daran schien ihn aufrecht zu halten. Ihr Gefühl war aber ein anderes. Sie trauerte um Atlan. Sie hatte unter den Motana noch keinen Mann wie ihn kennen gelernt. Sie hatte Rhodan als mindestens ebenso starken Charakter erkannt, aber Atlan hatte sie viel stärker angesprochen. Und nun waren sie beide tot, es konnte nicht anders sein.

Gorlin legte sich schlafen. Aicha hörte, wie jemand den Choral an den Schutzherrn anzustimmen versuchte, bevor sie den Schlafsaal verließ, um sich zu ihrer Unterkunft bei den Vorsteherinnen zurückzuziehen. Sie vernahm nicht mehr, ob jemand in den Gesang des verloren klingenden Sängers eingefallen war. Aber sie war sicher, dass dieses Mal kein Chor zustande kam.

Aicha legte sich hin, fand aber keinen Schlaf. Sie hatte seltsame Wachträume, in denen sich die Schrecken der Wirklichkeit mit ihren Hoffnungen auf eine bessere Zukunft vermischten. Es kam eine erschreckende Mischung aus unwirklichen Szenerien zustande, denn immer wieder tauchte die Erscheinung des Kybb-Cranar Raphid-Kybb-Karter auf. Er war der bestimmende Faktor, der mit seiner Neuropeitsche ihre Sehnsüchte zerstörte. Irgendwann kam der erlösende Weckruf.

*

Als Aicha nach der Ruhepause ihren Arbeitstrupp in die Tiefen des Bergwerks begleitete, war ihr, als führe sie einen Haufen Sterbender an. Und sie war eine der Todgeweihten. Sie spürte am eigenen Leib, wie jeder Tag im Heiligen Berg an ihrer Substanz zehrte. Der rapide Verfall ihrer Kräfte machte ihr Angst.

Nur Gorlin schien aus einer geheimnisvollen Quelle Kraft zu beziehen. Das sprang aber nicht auf sie über. Sie konnte nicht von seinem Kraftfluss zehren.

Früher war das einmal anders gewesen. So weit sie zurückdenken konnte, war sie immer mit Gorlin zusammen gewesen. Sie hatten sich nie weiter als einen halben Tagesmarsch voneinander entfernt. Bis zu dieser Distanz bestand ein unsichtbares Band zwischen ihnen, das sie zusammenkettete. Einer konnte nicht ohne den anderen sein. Sie waren miteinander verschmolzen. Die Freuden des einen sprangen auf den anderen über, ebenso aber spürte der eine den Schmerz des anderen. Sie trug – zusammen mit weiteren persönlichen Habseligkeiten – immer einen Stein bei sich, den ihr Gorlin als Kind geschenkt hatte. Er behauptete damals, der Stein sei vom Himmel gefallen und sei Teil eines nahen Sterns.

Aicha hatte Gorlin ihrerseits eine Locke ihres schwarzen Haares geschenkt. Sie hatte später beobachtet, wie er im Schlaf damit spielte, wie er sie sich immer wieder um den Finger wickelte, als wolle er sich an sie fesseln.

Im Heiligen Berg waren diese Bande nicht mehr so stark. Aicha glaubte zu spüren, dass sie sich einander allmählich entfremdeten. Aber noch bestand die unsichtbare Verbindung zwischen den Zwillingen.

Es war während der vierten Schicht nach Atlans Verschwinden, dass Aicha von heftigen Krämpfen geschüttelt wurde. Sie wusste sofort, dass ihrem Bruder Gorlin etwas widerfahren war. Die Bande zwischen ihnen waren auf einmal wieder stark. Sie spürte, wie Gorlin litt. Sie rannte wie blind los und kam an eine Unglücksstelle.

»Was ist passiert?«, rief sie außer sich. »Wo ist Gorlin?«

Quarein, ein junger Motana, der erst vor zehn Schichten in den Heiligen Berg gekommen war, deutete auf das große Loch vor ihm, aus dem eine Staubwolke aufstieg. Aicha befahl den umstehenden Motana, ihr zu folgen, und stieg in das Loch hinab. Sie mussten nicht lange graben, bis sie auf die Verschütteten stießen. Zwei Motana konnten sie nur noch tot bergen; Gorlin und fünf weitere schwer verletzt.

Sie trugen die Überlebenden in den Schlafsaal; die beiden Toten brachten sie in Nischen unter, damit die Veronis sie sich holen konnten, falls ihnen danach war. Aicha begab sich an Gorlins Lager und ließ ihre Finger mit geschlossenen Augen über seinen Körper wandern. Seine Glieder waren nicht gebrochen, obwohl Arme und Beine blutige Abschürfungen aufwiesen. Als sie seine Brust abtastete, zuckte er zusammen, und sie spürte auf ihren Fingerspitzen ein Brennen. Hier irgendwo musste der Herd seiner inneren Verletzungen liegen. Dazu hatte Gorlin am Hinterkopf eine Wunde, und sein Haar war von getrocknetem Blut verfilzt. Er wimmerte, als sie ihn dort berührte.

Aber Aicha ließ ihre Hände so lange darauf ruhen, bis er eingeschlafen war und ruhig atmete. Sie hoffte, dass Gorlin keine bleibenden Schäden davontragen würde. Aber sie bangte um sein Leben. An einen Einsatz im Bergwerk war natürlich nicht zu denken. Von den fünf anderen Verwundeten würden zwei diesen Tag nicht überleben.

Sie musste verhindern, dass auch Gorlin den Weg in die ewige Nacht ging. Sie wollte nichts unversucht lassen, ihn zu retten. Sie schreckte selbst davor nicht zurück, sich der Macht der Verfemten Gesänge zu bedienen. Sie wollte alle Möglichkeiten nutzen, um Gorlin nicht zu verlieren. Denn ohne ihn war ihr Leben nichts wert. Sie wäre nur noch die Hälfte eines Ganzen.

Aicha stimmte den Choral an die Macht der Liebe an. Es benötigte nur eine kurze Anlaufzeit, bis sich ihr weitere Stimmen anschlossen. Schließlich beteiligte sich der gesamte Schlafsaal an diesem Gesang und ließ einen mächtigen Choral aufbranden. Aicha spürte beim Singen, wie etwas in ihr sich regte. Es war eine verborgene Kraft, die gelegentlich erwacht und aus den Tiefen ihres Ichs zutage getreten war. Zuletzt war das geschehen während sie sich dem Choral an den Schutzherrn hingegeben hatte. Damals war sie nahe daran gewesen, eine Schwelle zu überschreiten und in die Verfemten Gesänge zu verfallen – wenn nicht irgendwer ihr Einhalt geboten hätte.

Diesmal war sie entschlossen, sich durch nichts daran hindern zu lassen, ihre inneren Kräfte zu wecken und bis zum Äußersten zu gehen.

Sie hatte schon seit früher Kindheit gespürt, dass etwas Geheimnisvolles in ihr schlummerte. Das war schon ihrer Mutter nicht entgangen, und diese hatte sie immer wieder ermahnt, sich im Choral nicht gehen zu lassen. Ihre Mutter hatte sie auch gelehrt, Bilder in sich entstehen zu lassen, um sich von schädlichen Einflüssen abzulenken. Dies zu ihrem Eigenschutz und dem anderer.

»Du neigst dazu, den Verfemten Gesängen zu verfallen«, hatte ihre Mutter gesagt. »Hüte dich davor. Du könntest damit großen Schaden anrichten.«

Aichas Mutter hatte ihr die Geschichte über eine Jogaga erzählt, die sich mit ihrem wahnsinnigen Gesang selbst verbrannt hatte. Wenn Aicha später unartig war, pflegte ihre Mutter sie mit den Worten zu rügen: »Sei keine Jogaga.« Dieser Name hatte in Aicha das Bild eines alten Weibes mit irren Augen und weißen, kranzförmig abstehenden Haaren erweckt. Die Jogaga hatte sie in ihren Träumen verfolgt und sie fast zur Bettnässerin gemacht. Sie wollte keine Jogaga werden. Nein, nein, nur das nicht.

Aicha hatte im Laufe der Zeit erkannt, dass der starke Bezug zu ihrem Zwillingsbruder derselben Quelle entsprang, aus der auch ihre Neigung zu den Verfemten Gesängen kam. Darum wollte sie nie wahrhaben, dass dies schlecht und verwerflich sein sollte. Aber die Ermahnungen ihrer Mutter und die Verbote ihres Volkes hatten ihr Angst gemacht. Diese Angst lebte bis heute in ihr.

Jetzt sang sie zum Wohl ihres Bruders, daran konnte nichts Schlimmes sein. Sie hielt Gorlins Hand, und obwohl er schlief, spürte sie, wie er im Gleichklang mit dem Gesang vibrierte. Das Timbre der unzähligen Stimmen erfüllte seinen ganzen Körper, und sie hoffte, dass sie auch seine Träume ausfüllten.

Träum dich gesund, Bruderherz, dachte sie, während sie gleichzeitig Jopahaim lobpries und den Schutzherrn ihrer Liebe und Zuneigung versicherte, wie auch sie sich seiner Gnade versichern wollte.

Gorlins Körper kam allmählich zur Ruhe, sein Atem wurde flach, wie der eines Schlafenden. Ganz gewiss war er nun von seinen Schmerzen befreit.

Aicha steigerte sich weiter in ihrem Gesang, erklomm mit ihrer Stimme schwindelnde Höhen. Sie merkte, wie sie die anderen Motana mitriss. Es war, als würden sie ihre geschundenen Körper nicht mehr spüren. Aller Schmerz, den ihnen das verletzliche Fleisch bescherte, schien vergessen. Sie folgten Aicha auf ihrem Weg, ob sie wollten oder nicht, sie riss sie einfach mit sich. Hundert Motana und mehr waren die Quellen, aus der sie unerschöpfliche Kraft schöpfte. Aicha wuchs über ihren Körper hinaus und erfüllte mit ihrem Geist den gesamten Schlafsaal.

Sie nahm nicht mehr wahr, was um sie geschah. Die Wirklichkeit rückte ab, verschwand in weiter Ferne. In ihr waren plötzlich fremdartige Bilder. Bildfetzen eigentlich. Ein vielfach zerrissenes Ganzes, das sie zusammenfügen musste. Aus ihrem Mund sprudelten Silben ohne erkennbaren Sinn. Aber auf Sinn oder Unsinn kam es nicht an. Es waren die Lautgebung und der Rhythmus, die es in ihrer Gesamtheit ausmachten. Und die Silben hatten Steuerfunktion.

Aicha formte die Bildteile zu einem Ganzen. Sie sah ein Tor. Es war verschlossen. Und sie besaß nicht den Schlüssel, um es aufzusperren. Sie musste das Bild zerreißen und es neu zusammenfügen, so dass es einen anderen Sinn bekam.

2.

Als Aicha zu sich kam, lag ihr Kopf auf der Brust ihres Bruders. Gorlin schlief friedlich.

Es war still im Schlafsaal, als herrsche allgemeine Erschöpfung. Aicha schlich sich auf leisen Sohlen davon. Sie fühlte sich ausgebrannt und schwach. Ihr war klar, dass sie vorhin eine Schwelle überschritten und sich einem der Verfemten Gesänge hingegeben hatte. Das hätte sie töten können.

Das darf mir nicht noch einmal passieren. Dieses Tor darf ich nie wieder aufstoßen.

Sie hatte Kräfte freigesetzt, die sie nicht mehr beherrschen konnte. Es durfte nie wieder passieren!

In ihrer Unterkunft angekommen, fand sie keinen Schlaf. Sie war aufgewühlt, wie aufgedreht, trotz der körperlichen Schwäche, die sie zittern ließ.

Was nagte in ihr, dass sie keinen Schlaf mehr fand? Was war das, was sie nicht zur Ruhe kommen ließ? Natürlich die Sorge um Gorlin. Aber das konnte nicht die ganze Antwort sein, denn sie war auch schon vor dem Unfall von einer unerklärlichen Unrast erfüllt gewesen. War der Heilige Berg schuld an ihrer Schlaflosigkeit? Würde sie so lange im Wachzustand verbringen, bis sie vor Erschöpfung starb?