Perry Rhodan 2276: Tanz auf dem Vulkan - Uwe Anton - E-Book

Perry Rhodan 2276: Tanz auf dem Vulkan E-Book

Uwe Anton

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Beschreibung

Alarm in Merkur-Alpha - Myles Kantor und der Sonnentaucher Nachdem im gesamten bekannten Universum der " Hyperphysikalische Widerstand " erhöht wurde, kam es auch auf der Erde und auf allen Planeten der bewohnten Milchstraße zu verheerenden Auswirkungen. Die Zivilisation wurde technisch um mehrere Jahrhunderte zurückgeworfen. Auch fast zwei Jahre nach dem so genannten Hyperimpedanz-Schock sind noch immer nicht alle Konsequenzen bekannt. Für die Bevölkerung der Milchstraße verschiebt sich zudem ein ganzes Weltbild: Auf einmal tauchen am Himmel neue Sternbilder auf. Dabei handelt es sich um " Hyperkokons ", in denen Sternhaufen stecken, die seit Jahrmillionen der Galaxis entrückt waren. Zu ihnen zählen der Sternenozean von Jamondi und der Arphonie-Sternhaufen. Darüber hinaus greift aus der Großen Magellanschen Wolke der mysteriöse "Gott" Gon-Orbhon nach der Macht: Sein Kult hat auf der Erde immer mehr Zulauf. In dieser Zeit entdecken Wissenschaftler auf Terra, dass Gon-Orbhon eine "innige Beziehung" zur Sonne besitzt. Der Multiwissenschaftler Myles Kantor will dieses Phänomen untersuchen. Seine Arbeit ähnelt in mehrfacher Hinsicht einem TANZ AUF DEM VULKAN...

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Nr. 2276

Tanz auf dem Vulkan

Alarm in Merkur-Alpha – Myles Kantor und der Sonnentaucher

Uwe Anton

Nachdem im gesamten bekannten Universum der »Hyperphysikalische Widerstand« erhöht wurde, kam es auch auf der Erde und auf allen Planeten der bewohnten Milchstraße zu verheerenden Auswirkungen. Die Zivilisation wurde technisch um mehrere Jahrhunderte zurückgeworfen. Auch fast zwei Jahre nach dem so genannten Hyperimpedanz-Schock sind noch immer nicht alle Konsequenzen bekannt.

Für die Bevölkerung der Milchstraße verschiebt sich zudem ein ganzes Weltbild: Auf einmal tauchen am Himmel neue Sternbilder auf. Dabei handelt es sich um »Hyperkokons«, in denen Sternhaufen stecken, die seit Jahrmillionen der Galaxis entrückt waren. Zu ihnen zählen der Sternenozean von Jamondi und der Arphonie-Sternhaufen.

Darüber hinaus greift aus der Großen Magellanschen Wolke der mysteriöse »Gott« Gon-Orbhon nach der Macht: Sein Kult hat auf der Erde immer mehr Zulauf. In dieser Zeit entdecken Wissenschaftler auf Terra, dass Gon-Orbhon eine »innige Beziehung« zur Sonne besitzt.

Der Multiwissenschaftler Myles Kantor will dieses Phänomen untersuchen. Seine Arbeit ähnelt in mehrfacher Hinsicht einem TANZ AUF DEM VULKAN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Myles Kantor – Der Chefwissenschaftler legt für das Phänomen ARCHETIM oberste Priorität fest.

Wool Garden – Der Chefmediker von Merkur setzt sich mit dem Takvorianismus auseinander.

Attaca Meganon – Myles Kantors rechte Hand sorgt sich um die Pläne seines Chefs.

Inshanin – Eine Koryphäe stößt zu Kantors Team – und bringt Myles Kantor in Verwirrung.

Orren Snaussenid

1.

Merkur

12. Februar 1333 NGZ

»Nous dansons sur un volcan.« (»Wir tanzen auf einem Vulkan.«)

Comte Narcisse Achille de Salvandy (1795–1865), französischer Gesandter, im Jahre 1830 anlässlich eines Fests, das Bürgerkönig Louis Philippe für den König von Neapel gab.

*

»Eindeutig«, sagte Attaca Meganon. »Die sechsdimensionale Strahlung hat sich soeben sprunghaft erhöht. Sol strahlt im ultrahochfrequenten hyperenergetischen Bereich weiterhin wie ein Christbaum.«

Myles Kantor wunderte sich ein wenig, woher der USO-Major mit den Spezialgebieten Hyperphysik und Kybernetik diesen Ausdruck noch kannte, der vor zwei, drei Jahrtausenden erfunden worden sein mochte, vielleicht sogar vor noch längerer Zeit. Längst war er nicht mehr gebräuchlich. Andererseits war Meganon mit seinen 115 Jahren nicht einmal 60 Jahre jünger als er, und auch Myles kannte ihn: Seine Mutter Enza hatte die alten terranischen christlichen Bräuche gepflegt. Als Zellaktivatorträger hielt man Normalsterbliche mitunter für viel jünger – und unwissender –, als sie tatsächlich waren.

Geboren am ersten Dezember 1147 NGZ, dachte Kantor. Ich bin rein formal 185 Jahre alt, fühle mich aber wie 172 – schließlich habe ich dank eines Zeitsprungs mit der SOL 13 Jahre »verloren«. Ein Unsterblicher, der das Ende seiner natürlichen Lebensspanne vielleicht noch nicht erreicht hat.

Im Jahre 1174 NGZ hatte er von ES den Zellaktivator bekommen. Mit nicht einmal 30 Jahren war sein natürlicher Alterungsprozess aufgehalten worden. Er hatte den Körper eines jungen Mannes, aber die Erfahrung eines fast Zweihundertjährigen. Damit hatte er die durchschnittliche Lebensdauer eines Terraners beinahe erreicht – doch ihm stand die Ewigkeit offen, zumindest theoretisch.

Seit geraumer Zeit erforschte er mit seinem Team vom Merkur aus mit Hochdruck die teils sechsdimensionalen Ausstrahlungen, die von der Sonne abgegeben wurden. Er hatte sich zwangsläufig für den ersten Planeten des Sonnensystems als Basis entschieden: Das Forschungszentrum Merkur-Alpha, dem Volcan-Center angeschlossen war, verfügte über das derzeit einzige einsatzbereite Exemplar einer Ultra-Giraffe im Solsystem, des speziellen Ortergeräts UHF-N-2 von den Ausmaßen eines Einfamilienhauses, das ultrahohe Frequenzbereiche des hyperenergetischen Spektrums anmessen konnte. Sein Spitzname hatte eine ganz lapidare Erklärung – schließlich erreichte die irdische Giraffe in ihrer Ökosphäre ebenfalls besonders hohe Bereiche der Futterbäume.

»Ich messe schon wieder ein sechsdimensionales Energiepaket an!«, riss Meganon ihn aus seinen Gedanken. »Wir können ...«

Myles fragte sich, wieso er sich plötzlich nicht mehr konzentrieren konnte, seine Gedanken abschweiften, obwohl die Zeit drängte und von seiner Arbeit vielleicht das Überleben der Menschheit abhing. Er spürte eine seltsame Spannung in sich, ein absolut fremdartiges und doch vertrautes Gefühl, das er schon früher niemandem genau hatte erklären können.

Der USO-Major fuhr fort, doch Myles verstand ihn von einem Augenblick zum anderen nicht mehr. Seine Stimme hatte sich verändert, war höher geworden, klang zirpend, piepsig, schien bis in den Ultraschallbereich verzerrt worden zu sein.

Myles öffnete den Mund – und schloss ihn sofort wieder. Er sah, dass Meganon noch immer sprach und dabei hektisch gestikulierte, doch seine Bewegungen wirkten abgehackt, verschwommen. Kantor hatte den Eindruck, ihnen nicht mehr folgen zu können, so schnell waren sie geworden.

Plötzlich standen zwei andere Wissenschaftler neben dem USO-Major. Myles hatte nicht gesehen, wie sie neben ihn getreten waren, sie waren mit einem Mal plötzlich da und starrten ihn ebenfalls an.

»Was ...?«, brachte er hervor und verstummte sofort wieder.

Das Labor hatte sich auf unheimliche Weise verändert. Die Anzeigen der Messgeräte und Positronikpulte flackerten so hektisch, dass die einzelnen Angaben ineinander übergingen, die Darstellungen der Holoprojektionen liefen rasend schnell ab. Schemen huschten durch den großen Raum und zogen Farbschlieren hinter sich her, nur um dann abrupt wieder zu verharren, ja fast zu gefrieren. Doch wenn sie sich dann erneut bewegten, geschah es so schnell, dass Myles ihnen mit Blicken nicht folgen konnte.

Ihm wurde schwarz vor Augen. »Nein«, flüsterte er, »das ist doch schon längst vorbei ...«

Er spürte, wie der Zellaktivator unter seinem linken Schlüsselbein heftig zu pulsieren begann. Das Gerät reagierte auf die körperlichen Veränderungen, die ihn erfassten und mitzureißen drohten. Myles hatte das Gefühl, von einer rasenden Sturmflut weggespült zu werden.

Die Schwärze breitete sich aus. Hatte sie zuerst nur die Randbereiche seines Sehfelds erfasst, sickerte sie nun auch ins Zentrum, bildete Ausstülpungen, die sich verformten, dann konkrete Gestalt annahmen ...

Die Gestalt einer Uhr.

*

Es war eine eiserne Wanduhr, ein blaues Gehäuse mit einem großen Zifferblatt aus Bronze und fein ziselierten Verzierungen darüber, die das Geh- und die Schlagwerke zum Teil verdeckten. Myles fielen sofort die zwölf dunkelblauen Kartuschen und die fein gearbeitete Eisenzeiger auf.

Auf dem Gehäuse war das Gehwerk mit Spindelgang in der Mitte angebracht, links das Viertelstundenschlagwerk und rechts das Stundenschlagwerk. Die Schnurtrommeln waren – und das war sehr selten – ebenfalls aus Eisen gefertigt. Die geöffneten Seitentürchen boten einen Blick in das Gehäuse.

Myles kannte das kleine Kunstwerk. Es war eine Morez-Wanduhr mit Viertelstundenschlag aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, wohl aus den dreißiger Jahren, signiert mit J. Mayet à Morbier. Das war Jean Baptiste Mayet, ein berühmter Uhrmacher seiner Zeit.

Es gab verschiedene Legenden über die Familie Mayet. Der Begründer des Hauses, Ignace, lebte im 17. Jahrhundert in der französischen Ortschaft Morbier. Er hatte für ein lokales Kloster die Kopie einer Turmuhr aus Holz hergestellt. Um die neue Turmuhr dauerhafter zu machen – und auf Grund seiner Ausbildung als Schmied –, verwendete er als Material Eisen.

Nach diesem ersten Erfolg baute er mehrere Turmuhren und später nach der Einführung des Pendels ebenfalls erste Zimmeruhren aus demselben Material.

Die Erfolge mit Zimmeruhren veranlassten die Mayets, in der gesamten Region eine Arbeitsteilung zu organisieren. Es gab schließlich Gießer für Glocken und Räder, Räderhersteller, Zifferringhersteller und dann die Uhrmacher, die aus den Einzelteilen funktionsfähige Uhren zusammenbauten und justierten. Die Mayets galten als Begründer des Uhrmachergewerbes mit professioneller Arbeitsteilung.

Myles kannte die Uhr, weil sie Bestandteil seiner Sammlung war – oder zumindest gewesen war. Es war eins seiner wertvollsten Stücke, mehr als nur eine Uhr, ein Kunstwerk, entstanden im Jahr 1733.

Obwohl Myles wusste, dass er die Uhr eigentlich gar nicht sah, sich nur einbildete, sie zu erblicken, oder sich zufällig an sie erinnerte, während er in Ohnmacht fiel, erfüllte ihr Anblick ihn mit Begeisterung. Schon früh hatte sich seine Faszination für das Phänomen der Zeit in seinem Hobby ausgedrückt, dem Sammeln von Uhren. Doch seit wie vielen Jahren hatte er sich nicht mehr um seine Sammlung gekümmert, sie sträflich vernachlässigt? Praktisch von dem Tag an, da ES ihm den Zellaktivatorchip verliehen hatte, der ihn potenziell unsterblich machte. Und ihm auf seinem linken Oberarm ein rätselhaftes, handtellergroßes Mal in Form einer Spiralgalaxis verliehen hatte, dessen Bedeutung ihm bis heute verborgen geblieben war.

Eines Tages werde ich auch dieses Geheimnis lüften, dachte er, aber jetzt hat anderes Vorrang. Wie so oft schon.

Seit er in den Kreis der »Unsterblichen« aufgestiegen war, hatte er praktisch unermüdlich für das Wohl der Menschheit gearbeitet und dabei viel von sich aufgegeben. Kein Wunder, dass man ihn manchmal als blass bezeichnete, nicht nur wegen seiner auffälligen wächsernen Gesichtsfarbe. Die anderen sprachen nur verstohlen darüber, niemals in seiner Gegenwart, um seine Gefühle nicht zu verletzen, doch er verstand sich schon längst darauf, gewisse Zwischentöne herauszuhören. Auch wenn sie es niemals offen sagen würden, er wusste, was sie dachten.

Er hatte sein Leben geopfert, alles aufgegeben, was ihn früher einmal ausgezeichnet hatte, sich einzig und allein der Wissenschaft verschrieben.

Und nun ...

Nun sah er Mayets antike Uhr, die fein gearbeiteten Eisenzeiger drehten sich immer schneller über die zwölf dunkelblauen Kartuschen, immer schneller, bis sie schließlich genauso rasten wie die Gestalten in dem großen Raum, der nun vollends von der Schwärze vereinnahmt worden war, und Myles sah nichts mehr außer dieser Schwärze ...

»Jetzt sehe ich gar nichts mehr«, sagte er entrückt, als sei er ein unbeteiligter Zeuge, der seelenruhig beobachten konnte, was hier geschah, der in keinerlei Hinsicht persönlich betroffen war, nicht gefährdet ...

Jetzt sehe ich gar nichts mehr ...

Typische letzte Worte. Lapidar und unbedeutend. Belanglos.

Myles Kantor spürte, wie seine innere Spannung sich in einem leisen Seufzen entlud. Zu einem lauten Schrei hatte er keine Kraft mehr.

Dann schlug er die Augen auf.

*

Der Medorob wich zurück, als hätte ihn die plötzliche Bewegung der Lider erschreckt. Er machte Platz für ein grobporiges Gesicht, das sich zu Myles herabbeugte. Im ersten Moment wusste der Unsterbliche es nicht einzuordnen.

Der Mund öffnete sich, und wie aus weiter Ferne drangen Töne an Myles' Ohren. Erleichtert stellte er fest, dass sie verständlich und die Bewegungen des Mundes nicht beschleunigt waren.

»Wie fühlst du dich?«, verstand er.

»Besser. Es ist vorbei.«

»Was du wahrscheinlich hauptsächlich deinem Zellaktivator zu verdanken hast, der dein körperliches Gleichgewicht wiederhergestellt hat. Damit hat er auch zu deiner psychischen Stabilität beigetragen ...«

»Wer bist du?«, fragte Myles.

»Wool Garden.« Das Gesicht wich zurück. Myles sah nun die kurzen, silbergrauen Haare, die den Kopf bedeckten, und die normal breiten Schultern des Mannes. »Der Chefmediker von Merkur-Alpha.«

Natürlich, dachte Myles. Wenn ein Unsterblicher zusammenbricht, kümmert sich mindestens der Chefmediker um ihn. Wenn man nicht sogar einen Spezialisten von Aralon einfliegen lässt. Aber ... einen Spezialisten wofür?

»Noch einmal«, wiederholte Dr. Garden. »Wie fühlst du dich?«

»Gut«, sagte Myles. Dass er den Chefmediker nicht persönlich kannte, wenn überhaupt nur ein paarmal auf Konferenzen gesehen hatte, lag in erster Linie an seinem Zellaktivator. Träger dieser Geräte erkrankten so gut wie nie. Sie fühlten sich erst dann krank, wenn andere längst tot gewesen wären.

»Ich habe deine Krankenberichte aufgerufen.« Dr. Garden stand auf und ging zu einem Holoprojektor. »Du leidest unter einem Phänomen, das man ...«

»... Takvorianismus nennt«, unterbrach Myles den Arzt. »Benannt nach dem mit dem Ganjasen und Cappin-Herrscher Ovaron befreundeten Zentauren, einem Produkt genetischer Zuchtexperimente, die von einer Gruppe Takerer rund 200.000 Jahre vor unserer Zeit auf der Erde durchgeführt wurden. Takvorian war ein echter Mutant, ein Movator. Er konnte mit dem willentlich gesteuerten Parasektor seines Gehirns in die Bewegungsabläufe des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums eingreifen. Es war ihm möglich, im Sichtbereich ablaufende Bewegungen bis zum Faktor fünfzig zu beschleunigen oder zu verzögern. Ich kenne meine Krankengeschichte genau, Wool.«

Myles verschwieg, was ihm tatsächlich Sorgen bereitete. Dieser Takvorianismus – jedes Kind musste einen Namen bekommen! – war bei ihm zum ersten Mal im Jahr 1166 NGZ aufgetreten, kurz vor seinem 18. Geburtstag. Phasenweise hatten sich seine Lebensäußerungen um das Viereinhalbfache verlangsamt. Dabei hatte er in einem Zustand geistiger Abwesenheit von einer Uhr gesprochen, die bald ablaufen werde.

Genau, wie er an diesem Tag solch eine Uhr gesehen hatte.

Aber seit Jahrzehnten – ach was, seitdem er den Zellaktivator erhalten hatte! – war er von diesem Phänomen verschont geblieben. Damals, 1166, war ihm allerdings bewusst geworden, dass hinter seiner Sehnsucht, ohne Behinderung durch den Kosmos zu reisen, der Wunsch nach einer körperlosen Existenz stand.

Zumindest hatte er das damals geglaubt.

Seine mittlerweile verstorbenen Eltern Enza Mansoor und Notkus Kantor hatten NATHAN zurate gezogen und den Metalysator entwickelt, eine Maschine, die Körper und Bewusstsein trennen konnte. Aber ihr Experiment hatte sich letzten Endes als Fehlschlag erwiesen. Er hatte seinen Geist nicht endgültig vom Körper lösen können, und eben dieser Körper war – welche Ironie! – mittlerweile relativ unsterblich.

Den Wunsch nach einer körperlosen Existenz hatte er schon so lange nicht mehr verspürt, dass er ihn fast vergessen hatte. Scheinbar fesselte ihn der Zellaktivator in vielerlei Hinsicht ans Leben.

»Genau.« Dr. Garden schaute auf ein Datenholo. »Was ist mit dir passiert?«

»Die Zeit hat sich für mich subjektiv beschleunigt. Anders ausgedrückt: Meine Eigenzeit schien sich zu verlangsamen.«

»Also genau wie damals, als der Takvorianismus zum ersten Mal auftrat.« Der Mediker blickte von dem Holo auf. »Damals hat dein Körper Symptome einer Infektion gezeigt. Meine Untersuchungen ergeben, dass dies auch diesmal der Fall war. Allerdings schien sie sofort unterdrückt zu werden. Sämtliche Körperwerte sind wieder normal.«

»Der Zellaktivator.« Myles wollte sich aufrichten, doch ein strenger Blick des Arztes hielt ihn davon ab.

»Das war auch meine Vermutung. Wenn der Takvorianismus im Zusammenhang mit der Infektion steht oder sogar von ihr ausgelöst wurde, hat der Aktivator das Phänomen vielleicht unterdrückt oder sogar beendet.«

»Die Frage ist nur«, sagte Myles nachdenklich, »wieso tritt dieses Phänomen ausgerechnet jetzt wieder auf?«

Der Mediker schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was diesen Rückfall ausgelöst hat, aber es gibt im Moment keinerlei Anzeichen dafür, dass du so etwas noch mal erleben wirst. Der Zellaktivator hat deine Körperfunktionen normalisiert. Dennoch werden wir der Sache auf den Grund gehen. Ich werde dich noch ein paar Tage unter Beobachtung halten und gründlich auf den Kopf stellen, wie man so schön sagt ...«

»Vergiss es.« Diesmal schwang Myles endgültig die Beine vom Medo-Bett. »Dafür habe ich wirklich keine Zeit.«

»Willst du das Risiko eingehen, dass das Phänomen noch einmal auftritt und du dann für längere Zeit ausfällst?«

Myles zögerte. Er hatte andere Probleme als seine Gesundheit, die im Prinzip vom Zellaktivatorchip garantiert wurde. Die Lage spitzte sich rasant zu.

Sie wussten, dass in der Sonne eine tote Superintelligenz namens ARCHETIM – oder zumindest ihr Körper, ihre Essenz – verborgen war. Dass ARCHETIM Urheber des sechsdimensional strahlenden Juwels war, das vor Urzeiten schon ES auf die Sonne aufmerksam gemacht hatte. Dass die Wesenheit Gon-Orbhon, die derzeit von einem Teil der Menschheit als Gott verehrt wurde, ebenfalls von ARCHETIM angelockt wurde. Dass ein sechsdimensionaler Jetstrahl von Sol in Richtung Große Magellansche Wolke ausging.

Mit Hilfe der Ultra-Giraffe hatte er festgestellt, dass dieser Jetstrahl keineswegs schwächer geworden war, sondern seit vier Tagen, seit dem 8. Februar 1333 NGZ, um 100- bis 1000-mal mehr sechsdimensionale Energiepakete transportierte als zuvor!

Warum? Was hatte den Jetstrahl zu dieser Reaktion veranlasst? Was trieb Gon-Orbhon?

»Du verlässt meine Station nur auf eigene Verantwortung«, sagte der Mediker.

»Meinetwegen.« Myles nickte müde. »Eine gründliche Untersuchung, aber dann muss ich wieder an die Arbeit.«

Es sieht nicht so aus, dachte er düster, als hätten Bull, Gucky, Tolot und Daellian in der Großen Magellanschen Wolke mit ihrer Mission Erfolg gehabt.

Aber das war nur einer der Schauplätze, die im Auge zu behalten waren. Die Nachrichten, die vom Sternenarchipel Hayok das Solsystem erreicht hatten, klangen alles andere als erheiternd.

Seit der kompletten Materialisation von Jamondi am 8. September 1332 NGZ war ein halbes Jahr vergangen. Rhodan und Atlan hatten sich demnach tatsächlich lange Zeit im Sternenozean von Jamondi aufgehalten. Nun aber waren sie verschollen ... mit unbekanntem Ziel!

Immer mehr wurde offenbar, dass eine noch nicht sonderlich erforschte Macht namens Kybb den Sternenozean beherrschte. Ihr gegenüber standen die so genannten Motana, deren Verbündete sich als Schildwachen bezeichneten. Jene sechs unsterblichen Einzelpersonen waren mittlerweile auch auf Terra namentlich bekannt.

Selbstverständlich war Myles per Funk-Relaisbrücke jederzeit über die Vorgänge bei Jamondi und Hayok informiert. Durch ein – allerdings noch sehr loses – Netz von Funk- und Ortungssatelliten war der Sternenozean von Jamondi mittlerweile einigermaßen stellarkartografisch erschlossen.

Nach seiner Auffassung stellte das gesamte Gebiet ein einziges Pulverfass dar.