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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum. Atlan begleitet derweil ein anderes Fragment zurück in die Milchstraße. Dabei geschieht DER ZEITSALTO ...
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3258
Der Zeitsalto
Atlan in der Weltraumstation – die Mrynjade greift ein
Uwe Anton
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: VORSICHTERBARMEN
1. VORSICHTERBARMEN
2. VORSICHTERBARMEN
3. VORSICHTERBARMEN
4. Insel Avgoma
5. Insel Avgoma
6. Insel Avgoma
7. Insel Avgoma
8. Insel Avgoma
9. Insel Avgoma
10. VORSICHTERBARMEN
Epilog: VORSICHTERBARMEN
Stellaris 96
Vorwort
»Freundinnen« von Thorsten Schweikard
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum. Atlan begleitet derweil ein anderes Fragment zurück in die Milchstraße. Dabei geschieht DER ZEITSALTO ...
Atlan da Gonozal – Der Arkonide muss Vertrauen erlernen.
Trochod – Die Mrynjade muss Vertrauen erwerben.
Sichu Dorksteiger – Die Ator weiß, wem sie vertrauen kann.
Damar Feyerlant
Prolog
VORSICHTERBARMEN
20. August 2097 NGZ
Sichu Dorksteiger wirbelte um die eigene Achse, holte aus und trat mit dem rechten Bein nach mir.
Aber das war nur eine Finte. Ich hatte damit gerechnet und drehte mich zur Seite.
Der Tritt ging ins Leere, aber gleichzeitig stieß sie den linken Arm vor. Die ausgestreckten Finger zielten nicht auf meinen Hals, sondern auf meine Schulter. Hätte die Ator getroffen, hätte ich eine schmerzhafte Verletzung davongetragen, die mich einige Tage stark behindert hätte.
Aber das lag garantiert nicht in ihrer Absicht. Solch eine Prellung wäre äußerst kontraproduktiv gewesen, hätte uns vielleicht sogar tatsächlich in Gefahr gebracht, obwohl die Lage derzeit ruhig war. Die Wissenschaftlerin, die ursprünglich aus der Galaxis Anthuresta stammte, ging von vornherein davon aus, dass ich dem Hieb ausweichen würde, und sie behielt recht.
Ich warf mich zur Seite.
Die Ator ließ es nicht dabei bewenden. Sie machte einen Satz auf mich zu, wollte mich anspringen. Die Chancen standen gut, dass es ihr gelingen würde. Sichu war hochgewachsen, ihr Körper schlank und äußerst durchtrainiert. Und sah immer wieder verdammt gut aus, sodass er eine zusätzliche Ablenkung bildete: Ihre hellgrüne Haut wurde von goldfarbenen Linien durchzogen, die zum Teil komplexe geometrische Muster formten.
Im letzten Augenblick wich ich zurück und duckte mich, aber nicht tief genug. Sie bekam mich an der Schulter zu fassen und riss mich zu Boden.
»Na, alter Mann?«, sagte sie. »Gibst du auf?«
»Alter Mann?«, sagte ich, während ich geschmeidig abrollte und sofort wieder auf die Füße kam. Ich spreizte die Hände und nahm eine Abwehrhaltung ein.
Sichu lächelte schwach. Die grünen Sprenkel in ihren bernsteinfarbenen Augen schienen sich aus eigener Kraft zu bewegen. »So habe ich mal einen anderen Atlan genannt, gegen den ich im Dagorkampf antrat. In einem anderen Universum.«
»Und wie ging dieser Kampf aus?«
»Das verrate ich dir nicht. Ich will dich nicht entmutigen.«
Ich verzog das Gesicht zu jenem fast wölfischen Grinsen, für das ich einmal berüchtigt gewesen war. »Das wird dir auch nicht gelingen. Dafür sind wir schon zu lange unterwegs.«
»Zu lange?«, höhnte Sichu. »Wir haben unsere Reise doch kaum angetreten!«
Sie wollte mich damit nicht verunsichern. Zu meinem Leidwesen musste ich mir eingestehen, dass ihre Bemerkung zutraf.
Seit dem 15. August war unsere Armada aus 164 Blaugoldraumern mit dem aus Morschaztas geborgenen ES-Fragment unterwegs. Genauer gesagt: mit einem Teil des zersplitterten Fragments.
Zum Glück war es in Morschaztas, einem von etwa 700 Kugelsternhaufen im Umfeld der Galaxis Gruelfin, und in Gruelfin selbst nicht zum Schlimmstmöglichen gekommen. Wir waren davon ausgegangen, dass die Panjasen, die Hegemonialmacht dieser Galaxis, alles tun würden, was ihnen nur möglich war, um eine Rückführung des ES-Fragments zu verhindern, denn das würde ihrer Vormachtstellung massiven Schaden zufügen.
Wir hatten befürchtet, dass es vielleicht sogar zu Rebellionen kommen könnte, zu Aufständen und Kriegen. Dass Gruelfin im Chaos versinken könnte, falls das ES-Fragment entfernt würde. Doch das hatten wir glücklicherweise verhindern können. Denn sowohl Gruelfin als auch die Milchstraße verfügten über den gleichen Fürsprecher in ihrer Sache: den Galaktischen Kastellan Alschoran. Ihm fiel die schwere Aufgabe zu, Gruelfin in die Zukunft zu führen.
Wir hofften nun, das Fragment unbeschadet in die Milchstraße bringen und dort einsetzen zu können, um die Superintelligenz letzten Endes wieder zusammenzufügen. Perry Rhodan und ich sahen in der kosmischen Wesenheit einen alten Freund der Menschheit, dem wir diesen Dienst einfach schuldig waren.
Und insgeheim versprachen wir uns vielleicht gewisse Vorteile aus dieser Hilfeleistung und der Wiederherstellung von ES.
Sichu, Damar Feyerlant und ich flogen an Bord des Blaugoldraumers VORSICHTERBARMEN, der den Konvoi anführte. Bis auf die SCHÖNHEITGNADE, die mit der Mrynjade Trochod die Nachhut bildete, waren die anderen Schiffe unbemannt. Sie wurden lediglich von den Anqha-Gehirnen gesteuert, wie es grundlegend auch so vorgesehen war. In den Blaugoldraumern gab es keine lebende Besatzung im eigentlichen Sinn.
Die avisierte Ankunftszeit der Armada in der Milchstraße war der August 2098 NGZ, wir redeten also von einer etwa einjährigen Reise.
Ich verdrängte den Gedanken, spreizte die Hände und nahm eine andere klassische Abwehrhaltung ein. Dabei blieb ich ständig in Bewegung und tänzelte leichtfüßig vor und zurück, um Sichu möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten – oder besser gesagt möglichst wenig Gelegenheit, mich erneut zu packen und zu Boden zu reißen.
Sie machte einen Ausfallschritt und wollte zu einem Hieb mit dem rechten Arm ausholen, doch diesmal war ich vorbereitet. Ich stieß den Arm vor und bekam ihr Handgelenk zu fassen.
Kraft war beim Dagorkampf nicht der entscheidende Faktor, doch sie konnte ganz nützlich sein. Ich zerrte an dem Gelenk, und Sichu verlor kurz Gleichgewicht und Halt.
Dadurch wurde es mir möglich, auf klassische Techniken zurückzugreifen, denen sie sonst mit spielerischer Leichtigkeit – und einer spöttischen Bemerkung – begegnet wäre. Ich täuschte einen Siebten Schlag vor, den sie abwehren wollte, indem sie das rechte Knie anwinkelte, um zu einem Tritt auszuholen, setzte dann aber zum Vierten Zug an.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Überrascht grunzend stieß sie ein »Uffz!« aus, ein leises, gutturales Geräusch, das ihr ganz und gar nicht entsprach und klang, als würde ein Schwein gegen eine Wand laufen, und ging zu Boden.
Aber die Einheit zwischen Körper und Geist war bei ihr fast genauso stark ausgeprägt wie bei mir. In Ermangelung einer anderen Alternative trat sie mit dem rechten Bein zu. Ich hatte die Aktion antizipiert – was hätte sie auch alternativ tun sollen? – und sprang hoch. Als meine Füße wieder den Boden berührten, hatte sie sich schon herumgerollt.
Ich wusste, dass sie clever und schnell war, doch das hatte ich nicht erwartet.
Sie setzte zu einer Beinschere an und traf mich hart am Knie. Ich ging ebenfalls zu Boden. Zwar wollte ich blitzschnell abrollen, doch diesmal antizipierte sie.
Sichu nutzte meinen Schwung aus, zerrte mich nach vorne und beförderte mich so wieder bäuchlings auf den Boden.
Wir rangen wieder kurz miteinander, doch nun war der Vorteil auf ihrer Seite. Sie stieß meine Hände zurück, mit denen ich sie an den Schultern fassen wollte.
Ich hörte das Geräusch ihres Atems, der nun etwas schneller zu gehen schien, roch ihren Schweiß und fühlte die Wärme ihrer Haut. Ich schmeckte salzige Flüssigkeit auf meiner Zunge – vielleicht die Tränen meiner Erregung – und sah die grünen Sprenkel in Sichus Augen.
Körper und Geist sind eins!, rief ich mir die Philosophie des Dagorkampfs ins Gedächtnis – eine Lehre, die sowohl im Allgemeinen als auch auf meine Lage im Besonderen zutraf.
Sichus Schläge ließen die Knochen meiner Unterarme geradezu vibrieren, doch dieser Gedanke gab mir die nötige Kraft und verdrängte jeden Schmerz. Mir wurde klar, dass die Ator sich von dem Kampf mitreißen ließ und ich hart durchgreifen musste, damit diese Sache nicht völlig außer Kontrolle geriet.
Körper und Geist sind eins!
Als Sichu erneut zuschlug, blockte ich ihre Arme ab. Ich ignorierte den Schmerz, als die Ator mir das Knie in die Seite rammte, bekam nun endlich ihre Handgelenke zu fassen und zog ihren Oberkörper zu mir herab. Einen Moment lang lag sie auf mir und schien die Situation auszukosten, dann hatte sie sich wieder im Griff. Sie krümmte sich und rollte sich von mir herunter.
Es war erstaunlich, wie geschmeidig ihr großer, schlanker Körper war. Flink wie ein Hubakkel sprang sie auf, um mir einen Tritt in die Seite zu versetzen.
Doch ich war auch nicht gerade langsam, stand im selben Augenblick wie sie wieder auf den Füßen.
Nun zeigte Sichu ein leichtes Lächeln.
Ein siegessicheres Lächeln. Sie hatte mich einmal auf dem Boden gehabt, und sie würde mich auch ein zweites Mal auf den Boden bekommen.
Glaubte sie.
Hoffte sie.
Irrte sie.
Wir umkreisten uns wieder. Ganz langsam nur, immer darauf bedacht, eine Schwachstelle beim Gegner auszumachen und dann blitzschnell zuzuschlagen, ihm den vielleicht entscheidenden Hieb oder Tritt zu versetzen.
Aber das war nicht gerade Erfolg versprechend. Wir waren beide viel zu erfahrene Kämpfer, und überdies kannten wir uns mittlerweile viel zu gut, wussten, wie der oder die andere reagieren würde. Das war nicht unser erster Trainingskampf während dieses Fluges.
Wir belauerten einander, fanden aber keine Schwachstelle beim jeweils anderen.
Täuschte ich mich, oder ging Sichus Atem mittlerweile tatsächlich schwerer? Waren ihre Bewegungen etwas langsamer geworden, etwas träger?
Nein!, konstatierte der Extrasinn. Da ist der Wunsch der Vater des Gedanken!
Meine bessere Hälfte hatte natürlich recht. Ich hoffte lediglich darauf, bei der Ator erste Anzeichen von Ermüdung zu sehen, die mir einen Vorteil verschaffen würden. Aber diese Hoffnung war vergebens: Sichu bewegte sich genauso leichtfüßig wie zu Beginn der Einheit.
Ich war der Spielereien und Strategien überdrüssig, hatte keine Lust mehr, das Umkreisen bis in alle Ewigkeit fortzusetzen, warum auch? Wir waren zu einem Testkampf angetreten, der uns einerseits die Zeit vertreiben und andererseits fit halten sollte. Und nicht zu einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod, sonst hätten wir gleich mit scharfen Klingen aufeinander losgehen können.
Illustration: Swen Papenbrock
Unvermittelt ging ich zum Angriff über. Das war allerdings zunächst eine Finte, daher führte ich den Schlag nicht zu Ende, sondern machte stattdessen aus der Bewegung heraus drei schnelle Schritte und stand nun seitlich von ihr. Ich holte aus, um ihr die Hand in den Rücken zu stoßen, doch sie reagierte schneller, als ich erwartet hatte, und wich aus. Der Hieb ging ins Leere.
»Das kannst du besser, alter Mann!«, spöttelte sie.
Ich konnte mir nicht erklären, wieso ich darauf ansprach, doch es gelang ihr tatsächlich, mich mit der Bezeichnung »alten Mann« zu reizen. Vielleicht lag es auch nur an unserer allgemeinen Lage. Nicht nur ich, auch meine beiden Begleiter aus der Milchstraße fühlten sich zur Untätigkeit verdammt.
Ob Trochod das ähnlich empfand, wusste allerdings keiner von uns zu sagen.
Dabei lag Sichu mit der Anrede nicht einmal falsch. Ich war ein Mann und dank des Zellaktivators wesentlich älter als sie, unermesslich älter sogar, das ließ sich nicht leugnen. Aber mich als alt zu bezeichnen, grenzte an eine Frechheit. Denn rein biologisch betrachtet, war sie wesentlich älter als ich.
Wenn du das so genau weißt, sollte es dir auch gelingen, Sichu Dorksteiger gleichermaßen aus dem Konzept zu bringen!, warf der Extrasinn mit ätzender Schärfe ein. Danach sieht es allerdings nicht aus! Warum ist dem so?
Eine gute Frage. Ich hatte keine Antwort darauf.
Ein Jahr!, dachte ich.
Ein Jahr des Wartens, ein Jahr des Hoffens und Bangens, ein Jahr der Ungewissheit.
Würde der Flug reibungslos vonstattengehen, oder würde es zu Zwischenfällen kommen, die uns in Gefahr bringen würden? Wir durchquerten Niemandsland, Leerraum zwischen Galaxien, im Verlauf der Reise vielleicht auch die eine oder andere Sterneninsel selbst, obwohl wir das nach Möglichkeit vermeiden wollten.
Aber auch im Großen Nichts zwischen den Welteninseln konnten Gefahren lauern, von denen wir uns nicht die geringste Vorstellung machten. Die Schöpfung war unendlich vielfältig und jedes Geschöpf konnte sich eigenen Werten zuwenden in ungezählten Kombinationen. Es gab kein simples Gut und Böse im Kosmos, nicht einmal nur die Dichotomie zwischen Ordnung und Chaos, das Universum war nicht bloß bipolar.
Müßige Spekulationen!, tadelte mich der Extrasinn. Falls du nicht irgendwie gelernt haben solltest, in die Zukunft zu sehen, bringen sie dich nicht weiter. Im Gegenteil, sie verwirren dich nur und steigern deine Pein. Konzentrier dich lieber auf die Trainingseinheit! Sichu meint es ernst und will dir zeigen, was eine Harke ist!
Ich lachte heiser auf und konzentrierte mich wieder auf meine grünhäutige, wunderschöne Gegenspielerin.
Aber die kurze, selbst verschuldete Ablenkung hatte genügt. Sichu täuschte einen Ausfall an. Ich erkannte zwar ihre Absicht, doch ich reagierte zu spät, wehrte den Schlag mit dem Unterarm ab und musste dafür den Tritt gegen meine Hüfte hinnehmen.
Ich stürzte. Geschmeidig rollte ich mich ab, kam sofort wieder auf die Füße, doch Sichu war schon heran, deckte mich mit Schlägen gegen meinen Brustkorb ein – zu viele, als dass ich alle abwehren konnte. Sie nutzte ihren Vorteil gnadenlos aus, drang weiter auf mich ein, trieb mich zurück.
»Na, alter Mann?«, keuchte sie erneut. »Gibst du auf?«
Ich musste einsehen, dass ich mich auf der Verliererstraße befand und diesen Kampf nicht mehr gewinnen konnte.
Aber einfach aufgeben? Das entsprach nicht meiner Natur. Ein einziger Glückstreffer konnte dem Kampf eine Wende geben.
Sichu wusste das so gut wie ich. Sie blieb wachsam und konzentriert, wehrte die meisten meiner Schläge problemlos ab, und die wenigen Treffer, die ich landen konnte, fügten ihr keinen großen Schaden zu.
Gib auf!, forderte mich nun der Logiksektor auf. Du bist lernfähig. Bei der nächsten Runde wirst du keinen unnützen Gedanken nachhängen und kannst ihr zeigen, wer der wahre Meister ist!
Ich suchte verzweifelt nach einer Rettung aus der Bredouille, doch es zeichnete sich keine ab. Ich würde meinen Stolz runterschlucken und meine Niederlage eingestehen müssen.
Doch die Rettung kam, wenn auch von einer völlig unerwarteten Seite.
Damar Feyerlant stürmte in den Saal, in dem wir unsere Übungseinheit abhielten.
»Trochod antwortet nicht!«, sagte er wütend.
1.
VORSICHTERBARMEN
20. August 2097 NGZ
Ich ließ die Hände sinken, auch Sichu Dorksteiger hatte sich in der Gewalt. Für einen Moment hatte es den Anschein, als wäre sie nicht gewillt oder imstande, den Kampf einfach so aufzugeben, doch dann obsiegte ihre Vernunft, und sie entspannte sich.
Langsam drehte sie sich zu dem Mutanten um.
»Wundert dich das?«, fragte sie. »Wann meldet sie sich überhaupt einmal auf unsere Anrufe?«
Es war schon eine Krux mit der Mrynjade Trochod. Ich stand ihr sehr skeptisch gegenüber. Sie hatte sich weitgehend zurückgezogen. Aber hatte sie das wirklich, oder war es nur ein Lippenbekenntnis gewesen, um größere Schwierigkeiten zu vermeiden?
Die Vizeadmiralin der Anqhas-Armada in Vaarnvellt – das war der Name Gruelfins vor der Eroberung der Galaxis durch die Cappins gewesen – hatte sich mir vielleicht nicht ganz freiwillig untergeordnet.
Sie war an Bord der SCHÖNHEITGNADE geblieben und meldete sich nicht mehr. Sie reagierte nicht auf unsere Anfragen, ignorierte Damar, Sichu und mich völlig. Anfangs hatte ich es für einen großen Vorteil gehalten, dass die Schiffe der Armada auch im Überlichtmodus Funkkontakt miteinander hatten, doch mittlerweile ließ Trochods Verhalten die Schwertnarbe auf meiner linken Wange pulsieren.
»Es ist, wie es ist«, sagte Sichu. »Wir müssen versuchen, ohne sie auszukommen. Richten wir unsere Gedanken auf die Zukunft. Oder zumindest auf die Aspekte der Gegenwart, die wir beeinflussen können.«
Ich sagte nichts dazu, schüttelte nur den Kopf. Typisch Sichu, dachte ich. Immer das Positive sehen, immer an konkreten Lösungen arbeiten ...
»Wie verläuft die Kommunikation mit den Gehirnen der Blaugoldraumer?«, fragte ich Feyerlant .
Der Konnektor lachte heiser auf. Er war 1,60 Meter groß, zierlich gebaut, dunkelhäutig und braunäugig. Sein krauses, erdbraunes Haar mit rötlichen Einsprengseln wuchs ihm tief in die Stirn. Auf dem langen, kräftigen Hals saß ein ausgeprägter Charakterkopf mit breiter Nase und markanten Grübchen an Kinn und Wangen. »Kommunikation ... Das ist gut. Es hat sich nichts geändert. Sie ist minimal und wenig ergiebig.«
»Immerhin läuft sie vollständig über dich«, sagte ich. »Die Blaugoldraumer akzeptieren dich.«
Feyerlant kniff die Augen zusammen. »Wie ich einen Goldfisch in seinem Aquarium akzeptiere«, hielt er dagegen. »Das heißt nicht, dass es tatsächlich zu so etwas wie einer echten Kommunikation kommt.«
Ich schwieg. Ich wollte Feyerlant keine Vorwürfe machen, denn ich wusste, dass er alles versuchte, was in seiner Macht stand.
»Die Gehirne blocken also ab und erweisen sich als unkooperativ?«
»So ist es.«
»Gibt es neue Erkenntnisse zum Antrieb der Blaugoldraumer?«, lenkte Sichu das Gespräch auf ein anderes Thema. »Die Gehirne der Schiffe haben prognostiziert, dass wir für den Heimweg in die Milchstraße etwa ein Jahr benötigen werden. Das heißt, dass wir mit einem Überlichtfaktor von etwa fünfunddreißig Millionen fliegen.«
»Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Gehirne der Blaugoldraumer ihre Schiffe mittels der Daten, die sie von uns bekommen haben, nahezu perfekt an die erhöhte Hyperimpedanz anpassen konnten«, sagte ich. »Wie auch immer sie das bewerkstelligt haben.«
»Aber stimmt das auch?«, hakte die Wissenschaftlerin nach. »Im Grunde fliegen wir mit unbekannter Technologie.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Was, wenn Probleme auftreten sollten?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Dann sind wir aufgeschmissen. Die einhundertvierundsechzig Raumschiffe erreichen eine hohe Geschwindigkeit, aber ...«
»Wir haben nicht die geringste Ahnung, mit welchem Antrieb sie sich im intergalaktischen Raum bewegen!«, bekräftigte Sichu.
»Da habe ich nachgefragt«, sagte Damar. »Aber die Antwort war so schwammig, dass ich ihr nicht die geringste Bedeutung zumesse. Die Gehirne haben angemerkt, dass sich die Geschwindigkeit wohl bis zu einem Faktor von fünfzig, vielleicht sogar sechzig Millionen steigern lasse. Aber über die Natur des Antriebs haben sie nicht das Geringste verraten.«
»Immerhin«, sagte ich. »Das ist doch schon mal eine Aussage. Das hättest du uns direkt mitteilen sollen, Damar.«
»Das hätte ich schon noch getan«, erwiderte der Mutant pikiert.
»Ach ja?«
»Aber euer Interesse galt vordringlich der Mrynjade, und da wollte ich erst einmal eure Neugier befriedigen.«
Ich stieß ein leises Knurren aus.
»Wie dem auch sei«, machte Sichu Dorksteiger einen Rückzieher. »Bleiben wir optimistisch. Es wird schon nichts schiefgehen.«
»Und womit untermauerst du deinen Optimismus, Sichu?«
Die Ator schaute mich unergründlich an, und die goldenen Linien und Punkte, die ihre Gesichtshaut überzogen, schienen sich leicht zu bewegen.
28. September 2097 NGZ
»Die Anqha-Gehirne empfinden Stress«, sagte Damar Feyerlant.
Ich runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»So, wie ich es sage«, antwortete der Konnektor. »Ich vernehme die eindeutige Sorge des Gehirnnetzwerks. Und ich kann sie durchaus nachvollziehen. Sie ist begründet.«
»Stress«, echote ich. »Wie äußert sich dieser Stress? Beschleunigt sich ihre Atmung? Zitternd ihre Hände? Stellen sich Kreislaufattacken bei ihnen ein?«
»Nein.« Feyerlant schüttelte den Kopf. »Es ist eher ein Stress so wie der, den wir beim Gleiterfliegen empfinden, wenn wir auf den Autopiloten verzichten. Je schneller wir fliegen, desto angespannter sind wir. Bei den Gehirnen ist es nicht anders. Je höher das Tempo ist, mit dem sie fliegen, desto größer ist ihr Stress.«
Ich schluckte. Sah Feyerlant das richtig? Oder übertrug er schlichtweg menschliche Verhaltensmuster auf eine völlig fremdartige Spezies?
»Bist du dir sicher? Die Gehirne sind nicht besonders kommunikativ, äußern sich weiterhin ausweichend und schwammig, geben keine Auskunft zu wichtigen Fragen. Aber sie teilen dir bereitwillig mit, dass sie Stress empfinden?«
»Ich bin mir sicher.« Der Mutant nickte. »Mehr noch. Ich nehme diesen Stress über sie ebenfalls wahr.«
»Hmm. Natürlich.« Ich hatte kurz an den Worten des Mutanten gezweifelt, nahm sie nun aber als Tatsache hin. Feyerlant wusste, was Sache war. Falls überhaupt jemand zu einer auch nur rudimentären Kommunikation mit den Gehirnen imstande war, dann er.
»Wird das Auswirkungen auf den Flug haben?«, fragte ich.
»Das kann ich nicht sagen. Und die Gehirne verraten mir nicht, ob es den Flug beeinträchtigen wird oder nicht.«
»Können oder wollen?«
Der Konnektor zuckte mit den Achseln.
Ich hielt kurz inne und ließ den Blick durch den Raum schweifen, den ich für die Dauer des Flugs mein Zuhause nannte. Er war sparsam, fast spartanisch eingerichtet und Teil eines kleinen Trakts; Sichu und Feyerlant hatten die angrenzenden Bereiche bezogen.
Die vergangenen sechs Wochen waren mehr oder weniger ereignislos verstrichen, ebenso wie der Flug der Blaugoldraumer. Trochod wich uns weiterhin aus, die Gehirne trieben ihre Spielchen mit uns, und der Begriff Untätigkeit hatte für uns eine ganz neue Bedeutung bekommen. Auch Dagorübungskämpfe verloren mit der Zeit ihren Reiz.
»Ist das nur auf unserem Schiff der Fall, oder gilt es für alle Einheiten der Armada?«, fragte die Ator.
»Auch darüber geben die Gehirne mir keine Auskunft«, antwortete Damar. »Aber ich bin mir sicher, dass es auf den anderen Blaugoldraumern nicht anders ist.«
Ich nickte nachdenklich, während ich mir Gedanken über unser weiteres Vorgehen machte. Der Extrasinn blieb stumm; er schien keine Einwände zu haben, unterstützte mich aber auch nicht. Vielleicht hatte das ereignislose Warten ihn schläfrig werden lassen.
»Die Mrynjade hat sich mir untergeordnet«, sagte ich schließlich.