Perry Rhodan 855: Spektrum des Geistes - Ernst Vlcek - E-Book

Perry Rhodan 855: Spektrum des Geistes E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Er ist der Erbe einer vergangenen Kultur - sein Ziel ist die Macht Während die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL nach wie vor mit Verbissenheit und Ausdauer die Suche nach Perry Rhodan, ihrem Kommandanten, betreiben, der inzwischen das Zentrum von BARDIOCS Macht erreicht hat, geschieht im Jahr 3585 in der Milchstraße folgendes: Alle Völker der Milchstraße haben Grund zu Freude und Triumph, denn die Macht des Konzils der Sieben existiert längst nicht mehr. Die Laren, die Unterdrücker der Galaxis, haben die Überschweren, ihre Verbündeten, notgedrungen verraten und die Galaxis verlassen - mit Ausnahme von Hotrenor-Taak selbst, der in den Dienst derer getreten ist, die ihn bekämpft haben. Die in der Galaxis verbliebene Menschheit befindet sich gegenwärtig im Aufbruch. Terra, die Urheimat der Menschen, ist zusammen mit Luna nach langem Aufenthalt in den unendlichen Weiten des Kosmos wieder an den angestammten Platz im System des Muttergestirns Sol zurückgekehrt - und das Unternehmen "Pilgervater" läuft bereits an, um die in allen Regionen der Milchstraße verstreuten Terraner auf die praktisch menschenleere Erde zurückzuführen. Sammlerschiffe steuern viele Planeten der Galaxis an, um alle Menschen, die rückkehrwillig sind, aufzunehmen und auf Terra eine neue Existenz zu ermöglichen. Dass eine solche Großaktion nicht ohne Pannen und Rückschläge vor sich gehen kann, leuchtet ein. Hinzu kommen jedoch noch die Schwierigkeiten mit Boyt Margor, der Macht im Dunkel. Boyt Margor beherrscht ein weites SPEKTRUM DES GEISTES ...

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Veröffentlichungsjahr: 2011

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Nr. 855

Spektrum des Geistes

Er ist Erbe einer vergangenen Kultur – sein Ziel ist die Macht

von ERNST VLCEK

Während die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL nach wie vor mit Verbissenheit und Ausdauer die Suche nach Perry Rhodan, ihrem Kommandanten, betreiben, der inzwischen das Zentrum von BARDIOCS Macht erreicht hat, geschieht im Jahr 3585 in der Milchstraße folgendes:

Alle Völker der Milchstraße haben Grund zu Freude und Triumph, denn die Macht des Konzils der Sieben existiert längst nicht mehr. Die Laren, die Unterdrücker der Galaxis, haben die Überschweren, ihre Verbündeten, notgedrungen verraten und die Galaxis verlassen – mit Ausnahme von Hotrenor-Taak selbst, der in den Dienst derer getreten ist, die ihn bekämpft haben.

Die in der Galaxis verbliebene Menschheit befindet sich gegenwärtig im Aufbruch. Terra, die Urheimat der Menschen, ist zusammen mit Luna nach langem Aufenthalt in den unendlichen Weiten des Kosmos wieder an den angestammten Platz im System des Muttergestirns Sol zurückgekehrt – und das Unternehmen »Pilgervater« läuft bereits an, um die in allen Regionen der Milchstraße verstreuten Terraner auf die praktisch menschenleere Erde zurückzuführen.

Sammlerschiffe steuern viele Planeten der Galaxis an, um alle Menschen, die rückkehrwillig sind, aufzunehmen und auf Terra eine neue Existenz zu ermöglichen.

Die Hauptpersonen des Romans

Boyt Margor – Ein neuer Mutant wird zur Bedrohung.

Virna Marloy und Harzel-Kold – Boyt Margors Eltern.

Vic Lombard, Jorge und Cloen Bellon und Cilla – Einige von Boyt Margors Opfern.

Bran Howatzer, Dun Vapido und Eawy ter Gedan – Boyt Margors unerbittliche Gegner.

Prolog: Januar 3586

Der Mann gleicht einem gehetzten Tier, wie er hereinstürzt und die Tür hinter sich zuschlägt. Seine blasse Haut hat den Farbton von Asche angenommen, er scheint am Ende seiner Kraft angelangt, denn er lässt sich schlaff gegen die Wand neben der Eingangstür fallen und gleitet langsam daran hinunter.

Er scheint die Frau nicht zu bemerken, die, durch die Geräusche aus dem Schlaf gerissen, im langen Flur auftaucht, der ihre Praxis mit den Privaträumen verbindet, und die sich im Laufen den weißen Mantel überwirft. Aber selbst wenn er sie unterbewusst wahrnimmt, hat er für ihre Reize nichts übrig, die sich in bronzefarbener Haut darbieten.

Er ist ein Hilfesuchender, der Asyl gefunden hat.

Sie stockt, als sie den Mann da kauern sieht, eilt dann zu ihm, kniet nieder neben ihm, der klägliche Geräusche von sich gibt. Es ist ein kindliches Wimmern, vermischt mit einem Schnappen nach Luft. Er macht ein schmollendes Gesicht wie ein Kind, das sich seiner Ohnmacht bewusst ist, eine Situation nicht meistern zu können.

Die Frau wartet, bis er sich soweit gesammelt hat, dass er sprechen kann. Sie ist Ambientepsychologin mit der Aufgabe, Menschen, die von fremden Welten zur Erde kommen, an die neue Umgebung zu gewöhnen, diese großteils verwirrten und verstörten Geschöpfe von ihren Neurosen und Phobien zu heilen. Dieser Mann ist einer dieser Umgesiedelten, aber er gehört in eine eigene Kategorie.

Endlich ist er soweit, dass er sprechen kann.

»Sie waren hinter mir her. Irgendwie haben sie es geschafft, mich in eine Falle zu locken. Ich weiß nicht einmal, wie es ihnen gelang, mich aufzuspüren. Aber sie haben mich gefunden und mich gejagt, und sie wollen mich töten. Zum Glück gelang es meinen Paratendern, sie auf eine falsche Fährte zu locken. Jetzt bin ich hier. Keine Angst, Cilla, sie können nicht wissen, wo ich bin.«

Er sieht sie aus seinen großen, verträumt wirkenden Augen an, und sie hat unwillkürlich das Bedürfnis, ihn schützend in die Arme zu schließen. »Du brauchst Ruhe. Komm.«

Er lässt sich widerstandslos in ihre Privaträume führen, wehrt sich nicht, als sie ihn auf das weiche Lager bettet, das noch die Wärme ihres Körpers ausstrahlt. »Ich habe mich bald wieder erholt, Cilla, das geht bei mir rasch«, sagt er. »In deiner Gegenwart kann ich mich schnell aufladen.«

Sie will sich zurückziehen. Aber er hält sie sanft fest.

»Du siehst ihr ähnlich. Tatsächlich fällt es mir jetzt erst auf, dass du in vielen Dingen wie sie bist.«

»Von wem sprichst du?«

»Habe ich dir noch nicht von ihr erzählt?«

Er runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf wie über eine unerklärliche Nachlässigkeit. Dann beginnt er mit seiner angenehmen, sonoren Stimme zu sprechen.

Er versteht es, seine Zuhörerin zu fesseln, obwohl er seine Geschichte leidenschaftslos erzählt.

3491: Virna Marloy

1.

Die GLUSMETH war hoffnungslos überbelegt. Virna Marloy musste sich förmlich einen Weg durch die Flüchtlinge bahnen. Die Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien und Sippen, füllten den Leichten Kreuzer bis zum letzten Winkel.

Virna hatte es besonders schwer, denn sie trug den Dress einer Flüchtlingshelferin. Sie wurde von allen Seiten mit Fragen bombardiert, Arme reckten sich nach ihr, zogen sie heran.

Sind wir am Ziel? Wann endlich können wir Gäa, die neue Heimat betreten? Wie lange müssen wir noch wie die Tiere hausen? Ist mein Sohn, meine Frau, mein Mann, der oder der unter den Flüchtlingen? Wissen Sie etwas von ihm oder ihr? Wo sind wir? Sind wir vor den Laren sicher?

»Achten Sie auf die Durchsagen des Kommandanten«, pflegte Virna Marloy zu antworten. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir in die Dunkelwolke einfliegen.«

Wie heißt die Dunkelwolke? Wo liegt sie, in der Eastside der Galaxis oder am anderen Ende – oder im Zentrum?

Fragen über Fragen, die Virna nicht beantworten durfte. Solange sie nicht in die Dunkelwolke eingeflogen waren, musste sie Details geheim halten. Das war ein ehernes Gesetz.

Manche der Geretteten nahmen es leicht. Sie hatten auf Pankrator eine Menge durchgemacht. Von den Überschweren zu harter Zwangsarbeit getrieben. Dann der Kampf gegen die Unterdrücker, tagelange Belagerung, eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen – und dann endlich Aufatmen. Die GLUSMETH brachte die kaum mehr erwartete Rettung.

Für die Flüchtlinge war es jedoch eine Reise ins Ungewisse, und je länger die Reise dauerte, desto öfter wurden unzufriedene Stimmen laut. Virna versuchte, so gut es ging, die Pioniere zu beruhigen. Manche ihrer Freunde sagten jedoch, dass sie dabei zuviel des Guten tat. In ihrer Aufopferungsbereitschaft verzehrte sie sich selbst.

Irgendwie schaffte sie es, den innersten Ringkorridor zu erreichen. In der Menschenmenge entstand eine Mauer. Ein Mann, von zwei Robotern eskortiert, tauchte auf. Virna erkannte in ihm Vic Lombard, den Ersten Offizier, und ließ sich erschöpft in seine Arme sinken.

»Platz da!«, erhob Vic seine Stimme über das Stimmengewirr. »Geben Sie den Weg frei. Ich überlasse Sie jetzt der Obhut der Roboter. Wenden Sie sich in allen Belangen an sie.«

Vic ignorierte die Rufe der Flüchtlinge. Virna verstand einige der Fragen. Die Leute wollten wissen, ob der Flug durch die Dunkelwolke tatsächlich gefährlich war und ob man sich auf die Lotsen verlassen könne. Sie hätte gerne geantwortet, um die Leute nicht in Ungewissheit zurückzulassen, doch Vic drängte sie weiter und bugsierte sie durch das Schott in die Kommandozentrale. Verglichen mit dem Hexenkessel auf dem Korridor herrschte hier eine geradezu heilige Stille.

»Du übernimmst dich, Virna«, sagte Vic, ohne den Arm von ihrer Hüfte zu nehmen. »Du machst dich noch selbst kaputt, wenn du glaubst, dich am Schicksal eines jeden einzelnen Flüchtlings beteiligen zu müssen.«

»Es geht gleich wieder«, sagte sie. »Ich brauche nur eine kurze Pause, dann gehe ich wieder an meine Arbeit.«

»Kommt nicht in Frage«, sagte Vic entschieden. Er war ein großer, kräftiger Gäaner von 32 Jahren. Eine wahre Kämpfernatur – seinem heldenhaften Einsatz war es zu verdanken, dass während der Schlussoffensive der Überschweren auf Pankrator nicht noch mehr Unschuldige ihr Leben lassen mussten. »Ich überlasse dich nicht wieder dieser Meute. Du bleibst in der Kommandozentrale.«

»Aber ...« Sie verstummte, als sie seinem zwingenden Blick begegnete.

»Virna, warum verzettelst du dich? Warum konzentrierst du deine Gefühle nicht auf einen einzelnen Menschen? Dadurch würdest du viel mehr Wirkung erreichen, und du selbst hättest auch mehr davon.«

Sie zuckte nur die Schultern.

»Nach diesem anstrengenden Flug solltest du eine Weile ausspannen«, fuhr er fort. »Ich werde dafür sorgen, dass du Urlaub bekommst. Was hältst du davon, ihn gemeinsam mit mir zu verbringen?«

»Ich werde es mir überlegen, Vic.« Sie entwand sich ihm. »Aber zuerst müssen wir sehen, dass die GLUSMETH in Sicherheit gebracht wird.«

»Willst du das Schiff auch selbst navigieren?«, fragte er anzüglich und brachte sie zum Lachen. Ernster fügte er hinzu: »Wir sind auf Einflugposition gegangen und haben bereits einen Vaku-Lotsen angefordert. Aber du weißt ja, wie die Vincraner sind, sie lassen sich gerne bitten.«

Virna hatte in den zwei Jahren, der sie der Flüchtlingshilfe angehörte, bereits zwei Dutzend Einsatzflüge mitgemacht, vier davon auf der GLUSMETH. Bei den Durchflügen durch die Dunkelwolke hatte sie natürlich auch Kontakt zu den Vaku-Lotsen gehabt, aber es wäre übertrieben zu sagen, dass sie die Vincraner deshalb kennengelernt hatte. Einige Male hatte sie versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei hatte sie jedoch nur die Erkenntnis gewonnen, dass Vaku-Lotsen in jedem Fall auf Distanz blieben.

Wie das System funktionierte, nach dem Vaku-Lotsen für den Flug aus der Dunkelwolke oder in diese zurück angeheuert wurden, darüber hatte sie sich nie den Kopf zerbrochen. Es genügte ihr zu wissen, dass immer ein Vincraner zur Stelle war, wenn man einen brauchte, um ein Raumschiff durch den mörderischen Staubmantel zu lotsen.

Diesmal war es nicht anders. Nach geraumer Wartezeit meldete der Funker, dass er Kontakt mit einem Vaku-Lotsen habe, der bereit sei, die GLUSMETH in die Provcon-Faust zu bringen. Als Vic Lombard seinen Namen hörte, geriet er etwas aus der Fassung.

»Ausgerechnet Harzel-Kold«, sagte er missmutig. »Leider können wir uns die Vaku-Lotsen nicht aussuchen, sonst würden uns die Vincraner boykottieren.«

»Ist dieser Harzel-Kold etwa nicht verlässlich?«, fragte Virna.

»Davon kann keine Rede sein. Der Mann ist eine lebende Legende. Über keinen anderen Vincraner haben wir so viele Informationen und wissen dennoch so wenig über ihn. Er ist Eremit und Kosmopolit in einem. Manche sagen, er sei nicht auf Vincran geboren, sondern irgendwo im tosenden Staubmantel der Provcon-Faust.«

»Das klingt recht geheimnisvoll«, meinte Virna. »Nur sagt es nichts darüber aus, warum du ihn trotz seiner Fähigkeiten nicht schätzt.«

»Er ist mir unheimlich«, sagte Vic zu ihrer Überraschung. »Ich habe mal mit ihm zu tun gehabt. Von ihm ging etwas aus, das ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Rückerinnernd kann ich nur sagen, dass seine Nähe allein mich schaudern ließ. Ich habe später erfahren, dass er sich insgeheim mit der Magie und der Kunst eines untergegangenen Volkes der Provcon-Faust beschäftigen soll. Aber du kannst dir selbst ein Bild von ihm machen. Er muss jeden Augenblick in der Kommandozentrale eintreffen.«

*

Als er die Kommandozentrale betrat, galt sein erster Blick ihr. Dabei war sein Blick aber irgendwie nichtssagend. Und dann änderte er seine Richtung und kam auf sie zu.

Das Ungewöhnliche der Situation wurde ihr gar nicht sofort bewusst, erst später überlegte sie sich, dass es eigentlich üblich war, zuerst den Kommandanten zu begrüßen.

Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn genauer zu betrachten. Dabei kamen ihr Vics Worte in den Sinn. Sie verspürte jedoch keine Ausstrahlung des Unheimlichen, sie wurde durch die Nähe des Vincraners nur seltsam aufgewühlt.

Er war ein etwa zwei Meter großer, gutaussehender Mann, schlank und feingliedrig wie alle Vincraner und mit dem typischen Albinoweiß der Haut. Das ebenmäßige Gesicht war nicht so ausdruckslos, wie es geschienen hatte. Bei genauerem Hinsehen empfand sie einen Hauch von Melancholie. Sie fühlte sofort, dass dieser Mann einsam war.

Er blieb vor ihr stehen und sagte mit leiser, doch deutlicher Stimme »Ich bin Harzel-Kold, der Vaku-Lotse, der dieses Schiff sicher in die Provcon-Faust bringen wird. Wollen Sie meinen Mantel tragen? Dann fliege ich die GLUSMETH nur für Sie.«

Sie nickte, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Sie hatte noch nie davon gehört, dass ein Vaku-Lotse jemals einer Gäanerin oder sonst einem Passagier eine solche Ehre hatte zuteil werden lassen.

Harzel-Kold nahm den seltsam gemusterten Umhang ab und legte ihn ihr behutsam um die schmalen Schultern. Der Mantel war über und über mit fremdartigen Zeichen und Symbolen verziert. Darunter trug Harzel-Kold ein loses, wallendes Gewand, das der vincranischen Tracht entsprach.

Der Vaku-Lotse verneigte sich abschließend vor ihr und begab sich zum Kommandopult, wo Kapitän Nercon bereits ungeduldig wartete.

Neben ihr sagte Vic Lombard gepresst »Das gefällt mir gar nicht. Möchte wissen, was der Bursche mit dieser Schau bezweckt. Du solltest seinen Mantel nicht tragen, Virna.«

Virna wurde einer Antwort enthoben, denn der Kommandant rief Vic auf seinen Posten. Harzel-Kold bestand auf einem sofortigen Start, weil seiner Aussage nach die Gelegenheit gerade günstig war.

Die Provcon-Faust besaß einen Durchmesser von fast fünf Lichtjahren. Allerdings war sie im Innern hohl und besaß nur eine kugelförmige Hülle aus stark hyperenergetisch strahlender kosmischer Materie. Dieser Staubmantel hatte es allerdings in sich. Er besaß nicht nur eine extrem hohe Dichte, die zudem ständig variierte, sondern er war auch in ständiger Bewegung. Die Rotation der Staubmassen war von Schicht zu Schicht unterschiedlich schnell, was zu unberechenbaren Turbulenzen und zu unkontrollierbaren hyperenergetischen Entladungen führte. Diesen tobenden Gewalten waren nicht einmal die stärksten HÜ-Schirme gewachsen.

So undurchdringlich wie sie schien, war die Dunkelwolke jedoch nicht. Es bildeten sich immer wieder fast staubfreie Zonen, winkeligen Gassen gleich, die sich durch das mörderische Chaos aus Partikeln und Kraftfeldern schlängelten. Doch auch diese waren veränderlich, dehnten sich aus und verengten sich oder schlossen sich urplötzlich.

Nur die vincranischen Lotsen hatten die Fähigkeit, die plötzlichen Veränderungen erahnen oder voraussehen zu können. Auf sie allein war Verlass, wenn die modernsten technischen Geräte versagten.

Virna hatte sich einmal das Routendiagramm des Flugschreibers angesehen, und ihr war beim Betrachten des Liniengewirrs fast schwindlig geworden. Darauf gab es kaum eine Gerade, und wenn doch, dann war sie zu einer Zickzack-Linie gebrochen. Das Diagramm hatte ausgesehen wie das Gekritzel eines Kleinkinds, mit Spiralen und Schlangenlinien, die sich kreuzten und überlagerten.

Die Lotsen bedienten sich auch unterschiedlicher Arbeitsweisen. Die meisten begnügten sich damit, mündliche Kursanweisungen zu geben, andere wieder hatten sich an die menschliche Technik gewöhnt und leiteten ihre Kurskorrekturen computergesteuert weiter.

Harzel-Kold gehörte zu keiner der beiden Gruppen. Er besaß ein eigenes Anzeigegerät, flach und handtellergroß und mit einer Tastatur versehen, das er an die Positronik anschloss. Darauf spielte er wie ein Virtuose.

Die GLUSMETH nahm Fahrt auf. Auf dem Panoramabildschirm war deutlich zu sehen, dass sie an einer relativ staubfreien Lücke in die Dunkelwolke einflogen. Auf den anderen Monitoren begannen die hinter ihnen zurückbleibenden Sterne zu verblassen. Immer dichtere Staubmassen schoben sich zwischen den freien Weltraum und das Schiff, schluckten das Streulicht, bis die GLUSMETH in absolute Dunkelheit gehüllt war. Einige Zeit konnten sich die Männer in der Kommandozentrale noch an den Daten der Ortung orientieren, aber dann gerieten sie in eine hyperenergetische Turbulenz, und die Geräte fielen aus.

Jetzt kam Harzel-Kolds Zeit.

Virna beobachtete ihn. Er saß aufrecht im Kontursessel, die Anzeigenlichter spiegelten sich auf seinem blanken Schädel. Den Oberkörper hielt er steif, nur die Arme bewegten sich, und die Finger wirbelten förmlich über die Tasten des Anzeigegeräts.

Die Augen hatte er die meiste Zeit über geschlossen. Nur einmal wandte er den Kopf und blickte sie an, während seine Finger wie von selbst über die Tastatur tanzten.

Sie erwiderte seinen Blick, konnte ihm jedoch nicht lange standhalten. Aus den Augen des Vincraners sprach etwas, das sie aufwühlte und ihr bisher unbekannte Ängste weckte. Wovor fürchtete sie sich? Sie lauschte in sich hinein und fühlte, dass eine innere Stimme sie zur Vorsicht gemahnte.

Unsinn, sagte sie sich.

Bald nach diesem Zwischenspiel ließ Harzel-Kold die Arme sinken und lehnte sich entspannt zurück.

»Was ist?«, fragte Kapitän Nercon ungehalten. »Warum haben Sie unseren Flug stoppen lassen, Harzel-Kold?«

»Jetzt ist Endstation«, antwortete der Vincraner. »Wir sind in eine Sackgasse geraten. Im Augenblick geht es nicht weiter.«

»Und wie lange sitzen wir hier fest?«

»Bestimmt zwei Stunden Ihrer Zeitrechnung.«

Damit war für den Vincraner das Thema abgeschlossen. Er wandte sich ab und kam zu Virna.

»Ich nehme an, Sie wollen Ihren Mantel zurückhaben«, sagte sie hoffnungsvoll. Der Umhang lastete schon schwer auf ihrer Schulter.

Harzel-Kold hob abwehrend die Hände.

»Nicht jeder kann diesen Mantel tragen«, sagte er. »Sie haben die Probe bestanden. Deshalb frage ich Sie, ob Sie ihn nicht für länger tragen wollen?«

»Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie unsicher.

»Ich bitte Sie, mit mir zu kommen – als meine Gefährtin.«

»Nach Vincran?«

»Nein, ich lebe schon lange nicht mehr auf Vincran. Sie sollen mich nach Zwottertracht begleiten.«