Perry Rhodan Neo 142: Hort der Flüsternden Haut  - Rainer Schorm - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 142: Hort der Flüsternden Haut E-Book und Hörbuch

Rainer Schorm

4,0

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Beschreibung

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. In der Folge beginnt für die Erde ein neues Zeitalter – zuletzt allerdings unterbrochen von der Invasion geheimnisvoller Fremdwesen. Ende Juni 2051 beginnt der Wiederaufbau der Erde, die von Zerstörung und Tod heimgesucht worden ist. In dieser Situation werden Perry Rhodan, Atlan und Tuire Sitareh von einer unbekannten Macht entführt. Vor den Augen ihrer Freunde verschwinden sie im Nichts. Perry Rhodan findet sich auf einem fremden Planeten wieder und erfährt dort, dass ihn das Geisteswesen ES entführt hat. ES beauftragt Rhodan, in der Zwerggalaxis Sagittarius nach METEORA zu suchen. Auch Tuire Sitareh wird auf eine ferne Welt versetzt. Schnell entdeckt er, dass nur ein Ort die Rückkehr ins All verheißt – der geheimnisumwitterte HORT DER FLÜSTERNDEN HAUT ...

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Zeit:6 Std. 14 min

Sprecher:Axel Gottschick

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Band 142

Hort der Flüsternden Haut

Rainer Schorm

Cover

Vorspann

Teil I – Durch Sand und Staub

1. Tuire Sitareh: Spuren im Sand

2. Merroq: Überbringer schlechter Nachrichten

3. Tuire Sitareh: Ein philosophisches Gespräch mit einer Sandscheide

4. Merroq: Was ich sah ...

5. Tuire Sitareh: Die Karawane zieht weiter ...

6. Merroq: Von Liebe und Hass

7. Tuire Sitareh: Ein nicht philosophisches Gespräch mit dem Sheto

8. Merroq: Die Gewalt im Innern des Sturms

9. Tuire Sitareh: Das stille Zelt der Klage

Teil II – Das Alamut

10. Tuire Sitareh: Die dunklen Wege Alamettas

11. Duria: Der Verlust der Hoffnung

12. Tuire Sitareh: Das Alamut

13. Duria: Attentat und Attentäter

14. Tuire Sitareh: Erste Hilfe

15. Duria: Augenöffner

16. Tuire Sitareh: In wessen Haut ...?

17. Duria: Aussichtslos

18. Tuire Sitareh: Der König ist tot ... es lebe der Neue!

19. Merroq: Spiel, Satz ... und aus!

20. Tuire Sitareh: Ausweg

21. Merroq und Duria: Erinnerung

Teil III – Pfade, Wege, Pforten

22. Tuire Sitareh: Wrack

23. Tuire Sitareh: Chancen – genutzt oder vertan?

24. Tuire Sitareh: Kreidezeitliche Verwirrung

25. Tuire Sitareh: Streitwagen, geparkt

26. Tuire Sitareh: Ein Streitwagen in Fahrt

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. In der Folge beginnt für die Erde ein neues Zeitalter – zuletzt allerdings unterbrochen von der Invasion geheimnisvoller Fremdwesen.

Ende Juni 2051 beginnt der Wiederaufbau der Erde, die von Zerstörung und Tod heimgesucht worden ist. In dieser Situation werden Perry Rhodan, Atlan und Tuire Sitareh von einer unbekannten Macht entführt. Vor den Augen ihrer Freunde verschwinden sie im Nichts.

Perry Rhodan findet sich auf einem fremden Planeten wieder und erfährt dort, dass ihn das Geisteswesen ES entführt hat. ES beauftragt Rhodan, in der Zwerggalaxis Sagittarius nach METEORA zu suchen.

Auch Tuire Sitareh wird auf eine ferne Welt versetzt. Schnell entdeckt er, dass nur ein Ort die Rückkehr ins All verheißt – der geheimnisumwitterte HORT DER FLÜSTERNDEN HAUT ...

Teil I – Durch Sand und Staub

1.

Tuire Sitareh:

Spuren im Sand

Das Licht war überall.

Genau genommen gab es nichts anderes. Die Eigenwahrnehmung, die etwas von Tuire Sitareh hätte zeigen müssen, wurde überstrahlt wie eine Kerze von der Sonne.

Hell! Das war der einzige Gedanke, die einzige Empfindung. Es war nicht schmerzlich, aber überwältigend. Nach einer Zeitspanne, die ähnlich unstrukturiert war wie die Helligkeit, in der er schwamm, erlosch das Licht. Sitareh spürte sofort, dass er fiel; im wahrsten Sinne des Wortes. Die Umgebung war materiell, sie war wieder so normal, wie er das kannte, aber sie erschloss sich ihm nicht. Es war beinahe, als seien alle seine Sinne vom Licht geblendet, so unmöglich das auch klang. Erste Eindrücke kämpften sich durch den Wall, den die Helligkeit in ihm aufgeschüttet hatte.

Sand? Ist das Sand?

Er fiel, nein, er rutschte! Er rollte einen Abhang hinab wie ein Fass; unkontrolliert und wahrscheinlich wirkte es genauso unbeholfen. Er glaubte, ein Krächzen zu hören. Er versuchte den Kopf zu schütteln. Alles, was dabei herauskam, war, dass ihm der Sand in den Mund drang: jede Menge davon. Der Aulore spuckte, während er weiter nach unten stürzte. Erste Bilder formten sich in seinem Kopf, ohne Konturen und sehr wirr.

Das liegt daran, dass du eine verdammte Düne hinunterkollerst, du Schwachkopf!

Die Stimme war unangenehm, krächzend und viel zu laut.

Gut, dann kannst du mich nicht so ohne Weiteres ignorieren!

Sitareh war nicht in der Lage, zu antworten. Der Sand in seinem Mund hielt ihn sehr effektiv davon ab.

Aber denken kannst du noch? Nicht, dass du dabei jemals ein Meister gewesen wärst ...

Der Aulore prallte mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Ein Stein? Thaynar ..., dachte er. Es war nur ein Name, aber die Bedeutung, die er trug, war gewaltig.

Schau an, du erkennst mich. Leichte Schläge auf den Kopf erhöhen das Denkvermögen offenbar wirklich. Solltest du häufiger tun. Es folgte ein lautes, krächzendes Lachen voll boshafter Schadenfreude.

Das war der Augenblick, als der Aulore den Tiefpunkt erreichte. Sein Sturz endete in einem schmerzhaften Aufprall. Er spürte, dass sich Sandmassen auf ihn legten. Er war nicht nur einen Hang hinuntergestürzt, er hatte eine Lawine ausgelöst. Nach wie vor war alles weiß vor seinen Augen. Schnee?

Es muss eine Düne sein!, dachte er. Für Schnee ist das alles nicht kalt genug! Die Temperaturempfindung kehrte langsam zurück. Der Sand war warm, sehr warm. Die Erkenntnis brachte ihm zunächst wenig; obwohl er die Augen öffnete, erkannte er so gut wie nichts. Der Sand brannte und schmerzte. Er hoffte, dass die Menge, die auf ihm lastete, gering genug war, damit er sich freigraben konnte. Egal ob Sand oder Schnee – er hatte keine Lust, hier zu sterben. Die kleinen Quarzkörner waren nun überall: in Mund, Nase, Augen, Ohren.

Erinnerungsfetzen zogen durch seinen Kopf. Er erinnerte sich an die anderen an Bord der LESLY POUNDER, besonders Rhodan und Atlan. Das Licht kam und schloss ihn ein, genau wie sie. Einen kurzen Augenblick lang hatte er den irritierenden Eindruck gehabt, als sei der Lichtschein um den Arkoniden anders gewesen; dunkler. Das Licht jedoch überlagerte gleich darauf alles andere. Sogar die Erinnerung daran war unangenehm.

So unangenehm wie die Last auf ihm. Ich muss raus aus dieser Mausefalle!, dachte er.

Schön, dass du von allein drauf kommst. Ich hatte schon die Befürchtung, ich müsste dich dran erinnern!

Das war Thaynar, sein Quälgeist. Du bist keine Hilfe!, dachte er vorwurfsvoll, während er begann, sich nach oben zu arbeiten.

Das bin ich durchaus!, war die boshafte Antwort. Du begreifst es nur nicht. Und du weißt es nicht zu schätzen. Du bist ein hoffnungsloser Fall!

Sitareh hielt unverändert den Atem an, aber nun gewann der Instinkt die Oberhand. Er grub weiter und versuchte, ruhig zu bleiben. Panik war das Letzte, was er brauchte. Noch mehr Sand war das Ergebnis. Er hustete und spuckte und rang nach Atem. Zu seinem Glück war die Sanddecke nicht sehr dick. Seine Hände griffen ins Leere, schließlich schob er sich aus einem kleinen Hügel ins Freie.

Er spuckte erneut, bis Mund und Nase zumindest einigermaßen frei waren. Anschließend holte er tief Atem. Die Luft war sonderbar. Warm und sehr trocken. Es lag ein eigenartiger Geruch in ihr, den er nicht einordnen konnte. Er war nicht im engeren Sinne unangenehm, aber ziemlich penetrant. Der Sauerstoff dagegen war ihm willkommen. Zwar besaß er ein zweites Atmungssystem, doch in dieser Umgebung nutzte ihm das wenig.

Der Aulore schüttelte sich. Auf bedrückende Weise fühlte es sich an, als tauche er aus tiefem Wasser auf. »Es ist wie Erwachen!«, murmelte er irritiert. »Aber ich weiß nicht, ob ich mich an den Traum erinnern möchte!« Ganz bestimmt kein Traum waren die Bilder seiner Erinnerung. Was an Bord der LESLY POUNDER geschehen war, war Realität. Daran zweifelte er nicht. Alles danach ... da war er sich nicht annähernd so sicher.

Wann hättest du jemals deiner Wahrnehmung vertraut?, ließ sich Thaynar vernehmen. Sein Zweitbewusstsein machte aus seiner Verachtung keinen Hehl. Du traust dir selbst nicht. Aus gutem Grund. Du bist ein Versager, und irgendwann wirst du dir das eingestehen müssen! Ich freue mich schon drauf!

Du bist ich, hast du das vergessen? Was mir zustößt, das stößt dir ebenfalls zu. Freu dich also nicht allzu sehr auf meine Niederlagen.

Was bleibt mir anderes? Man nimmt, was man kriegen kann ... und Schadenfreude ist nicht das Schlechteste.

Sitareh reinigte sich vom Sand, so gut es ging. Na, wenn du meinst ...! Er fühlte sich miserabel. Wie ein untrainierter Mensch nach einem Langstreckenlauf. Alle Muskeln schmerzten, er registrierte Verspannungen, die unerklärlich stark waren. Er konzentrierte sich auf das Aggnar Rabbash, eine Entspannungsübung des Wegs der Schwingen. Sie war nicht annähernd so wirksam, wie er das erwartet hatte. Die Leichtigkeit stellte sich nicht ein. Zudem blieb sein Verstand träge; er litt unter Kopfschmerzen, als habe er tagelang schlecht oder gar nicht geschlafen. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren – kein Wunder also, dass die Übung fehlschlug.

Sein Pulsschwinger arbeitete heftig. Sitareh spürte die Energie, die in ihn floss, aber die Wirkung blieb aus. Die belebenden Impulse schienen im Nichts zu versickern.

Amrydon ... Das Wort stand unvermittelt in seinem Kopf; begleitet von einer Welle des Schmerzes. Ein Druck, der sich über die Schläfen nach vorne zog und sich hinter seine Stirn pflanzte wie eine sich hartnäckig ins Gestein bohrende Wurzel. Er hatte den Eindruck, als spräche jemand den Begriff laut aus; ein sonderbares Gefühl. Ganz anders als die spitzen, gehässigen Kommentare, die er von Thaynar kannte. Er brauchte Ruhe. Mehrfach drehte er sich im Kreis. Er war unfähig, sich zu orientieren. Das lag keinesfalls an seiner Umgebung, wie er zugeben musste.

Ich muss mich fokussieren. Ruhe!, dachte er. Ich brauchte Ruhe!

Er setzte sich auf die Spitze des Hügels, aus dem er sich gerade befreit hatte, und sah sich um. Langsam, viel zu langsam klärte sich seine Wahrnehmung, dann sein Verstand.

Es war offenbar früher Morgen. Im Osten schob sich gerade eben die Sonne über den Horizont und flutete alles mit rotem Licht.

»Es ist eine Sauerstoffwelt wie die Erde!« Die Worte halfen ihm, zu sich zu finden. Ironisch registrierte er, dass er Selbstgespräche führte. Unterhaltungen mit Thaynar waren meist wenig hilfreich ... allzu oft! »Sauerstoff, Stickstoff«, überlegte er. »Die Anteile sind wohl in etwa mit der Erdatmosphäre vergleichbar! Aber etwas stimmt nicht mit den Farben ...«

Auf den ersten Blick lag es nicht am Licht. Nach allem, was er am Himmel beobachtete, handelte es sich um eine Sonne vom Sol-Typ. Weiß, von der Größe her wahrscheinlich ebenfalls vergleichbar, soweit man das ohne astrometrische Daten beurteilen konnte. Durch die Brechung des Lichts beim Sonnenaufgang kam es ohnehin zu Farbverschiebungen. Er würde warten müssen. Auf jeden Fall umkreiste diese Welt ihre Sonne in der habitablen Zone – wo immer diese genau zu finden war.

»Blau!«, entfuhr es ihm. »Die Wüste ist blau!«

Es war kein strahlendes Kobaltblau oder Aquamarin, eher ein intensives Blaugrau. Die ungewohnte Farbgebung erklärte die Farbabweichungen beim Sonnenaufgang. Er griff in den Sand und betrachtete die kleinen Quarzkörner.

Blauquarz!, dachte er verblüfft. Riesige Mengen an Blauquarz. So viel, dass die Wüste blau wirkt. So etwas habe ich nie zuvor gesehen! Feinste Krokydolith-Einlagerungen streuen das Licht. Der Tyndall-Effekt. Ich erinnere mich, dass Belle McGraw darüber bei einer Gelegenheit referiert hat. Vielleicht mit Beimischungen von Azurit, Sodalith oder sogar Lapislazuli. Es sieht ... beeindruckend aus! Ich wette, der Horizont ist kaum zu sehen ...

Die Sonne stieg, deutlich schneller als auf der Erde. Der Tag würde kürzer sein – die Schwerkraft entsprach dem irdischen Wert allerdings recht genau. Die Umgebung wirkte ansonsten armselig. Die Vegetation war es ebenso. Hartgewächse, einige Pflanzen, die ihn stark an Kakteen erinnerten, meist sehr klein und in wirren Konglomeraten angeordnet. Nein, Kakteen, die man mit Pilzen gekreuzt hat ...!, schoss es ihm durch den Kopf. Die Flora war fremdartig; auf dieser Welt war er nie gewesen; auch Erzählungen darüber hatte er nie gehört.

Wie die meisten sichtbaren Teile der Flora, die die Fotosynthese leisteten, waren diese Kakteen rötlich. Das reichlich vorhandene blaue Streulicht lieferte offenbar genügend Energie – das rötliche, energieschwache und langwellige Licht wurde nicht benötigt. Vielleicht war der Blauanteil im Spektrum größer als auf der Erde. Sand und Helligkeit passten dazu.

Es muss so sein. Trotz der Helligkeit sind die Farben kalt und allesamt blaustichig. Wäre es nicht so verdammt heiß, man könnte frösteln! Die Eindrücke seiner Wahrnehmung waren derart widersprüchlich, dass es Sitarehs Körpergefühl durcheinanderbrachte. Die optische Welt schrie »Kälte«, die Temperatursensorik sagte eindeutig »Hitze!«

Erneut fiel sein Blick auf die Kakteenballungen. Die Stacheln wirkten überdimensioniert. Sofort war er alarmiert. Wenn sich derart kräftige Abwehrstrukturen herausgebildet hatten, gab es einen Grund. Der hieß: Feinde! Ob sie auch dem Auloren gefährlich waren, war zunächst bedeutungslos. Die Möglichkeit bestand, und der Weg der Schwingen stellte Wachsamkeit und Abwehrbereitschaft in den Vordergrund.

War das eine Bewegung? Sitareh war sich im Klaren, dass seine Wahrnehmung momentan nicht die beste war. Ein zweiter Blick offenbarte ihm nicht mehr. Eine blaue Wüste, ein blauer Himmel, die dem Auge kaum Kontraste boten, mit denen es arbeiten konnte.

Er kontrollierte die Anzeigen seines Multifunktionsarmbands. »Ein deutlich ausgeprägtes Magnetfeld!«, murmelte er. »Angenehm zur Orientierung. Außerdem werde ich nicht von kosmischer Strahlung gegrillt. Das wird immer besser!«

Im Westen erstreckten sich Sandbänke, die zu beeindruckenden Dünen anwuchsen. Das Rot der Pflanzen im Osten zeigte zumindest das Vorhandensein von Wasser an. Eine Oase oder ein Flusslauf, dachte er. Für ein Meer oder eine größere Wasserfläche ist die Luft zu trocken, bei dieser Windrichtung ... Die Wolkenbildung ist nicht der Rede wert. Also hauptsächlich Trockentundra und Wüste. Zumindest im näheren Umfeld.

Was ihm sehr viel mehr missfiel, war das völlige Fehlen von Funkwellen. Das Frequenzspektrum zeigte nicht die mindeste Aktivität. Entweder gab es überhaupt kein intelligentes Leben auf dieser Welt oder es war nicht technisch orientiert. »Oder zu primitiv!«, murrte Sitareh wütend. »Da wäre überhaupt kein intelligentes Leben unter Umständen vorzuziehen!«

Warum denn?, ätzte Thaynar. Du könntest dich als Gott verehren lassen. Aber da du ein Versager bist, werden sie das früher oder später mitkriegen. Du weißt, was Primitive mit falschen Göttern tun ...

Freu dich schon mal drauf. Du darfst in der ersten Reihe mit dabei sein. Ich bin sicher, das gefällt dir, Sturmkrähe!

Kann schon sein. Wenn du Zeit hast, schau mal nach rechts. Das solltest du dir anschauen. Es sei denn, du hast was Besseres vor ...

Sitareh hatte es ebenfalls registriert. Ein dunkler Strich, der sich von West nach Ost zog, also auf die wasserführende Region zu. »Eine Fährte ...«, murmelte er. »Ziemlich deutlich und ziemlich groß.« Vorsichtig verließ er seinen kleinen Hügel und ging auf die Spur zu. Der Sand war an dieser Stelle recht tief. Die Geräusche beim Gehen waren das Normalste in dieser eigenartigen Umgebung.

Die Abdrücke erinnerten ihn an keine Tierart, die er kannte. Es waren längliche, seitlich tief eingekerbte Trittspuren. Wie viele Gliedmaßen die Lebensform besaß, ging daraus nicht hervor, mehr als vier waren es allemal. Was ihn beunruhigte, waren kurze, spitz zulaufende Vertiefungen. »Wenn das Klauen sind, habe ich ein Problem«, schlussfolgerte er. »Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist schwer. Und schnell ist es ...«

Die Spur war verwischt. Das Tier hatte sich mit enormer Kraft über den Sand bewegt, mit Stößen, die beängstigend waren. Sitareh musterte Umgebung und Fährte. Wollte er Richtung Wasser gehen, würde er dem Tier wahrscheinlich begegnen. Er war nicht in der Lage, seine Chancen abzuschätzen. Dem Lebewesen auszuweichen, schien ihm sinnvoller zu sein. Trotzdem brauchte er Wasser; wenn nicht sofort, so doch später. Über eine Ausrüstung verfügte er nicht. Er trug die Standard-Bordkombination der LESLY POUNDER, und seine technische Ausstattung beschränkte sich auf das Kombi-Armband. »Nichts, was ein wildes Tier beeindrucken würde«, sagte er leise. »Ein hungriges erst recht nicht!«

Er stapfte los. Er würde der Spur zunächst in umgekehrter Richtung folgen und später einen weiten Bogen auf das Grünland zu schlagen.

Grünland ist gut!, krächzte Thaynar böse. Wenn das grün ist, ist eine Wand ohne Dach ein Haus. Alles ist blau oder rot. Rot ist eine Alarmfarbe ... das passt!

Sitareh ignorierte den boshaften Kommentator in seinem Kopf. Langsam und vorsichtig näherte er sich einem Hügel, vor dem die Spur abbog. Er bemerkte einen abgebrochenen Ast am Boden, bückte sich und hob ihn auf. Das Holz war ausgesprochen hart. Es stammte wohl von einem der seltenen Büsche, die einer sonderbaren Mischung aus Laubgesträuch und Pilzen ähnelten. Die Blätter sahen aus wie große, dünne Pilzhüte, und sie drehten sich der Sonne zu. Er prüfte den dicken Ast. Da er keine andere Waffe zur Verfügung hatte, begnügte er sich damit. Ein leises, an- und abschwellendes Geräusch zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein merkwürdig strukturiertes Winseln. Er ging in die Knie und begutachtete die Umgebung. Das Geräusch kam ihm frontal entgegen. Es drang offenbar aus einer Öffnung des Hügels vor ihm. Der Höhlenzugang war schwer zu erkennen. Sitarehs Muskeln spannten sich. Jungtiere! Verdammt! Auch das noch ...

Genau in diesem Augenblick traf ihn ein heftiger Schlag und warf ihn um. Der Ast zerbrach, er hatte die größte Wucht des Hiebs abbekommen. Zu seinem Glück. Ein Blick auf die zersplitterte Bruchstelle machte Sitareh klar, wie seine Armknochen im Fall eines Treffers aussehen würden.

Er rappelte sich auf. Das giftige Fauchen war laut und wütend. Endlich sah er den Gegner. Er umkreiste den Auloren lauernd, dabei gab er stoßweise grelle, beinahe schrille Laute von sich. Das Lebewesen hatte acht Gliedmaßen, ähnelte einer Spinne aber ansonsten kein bisschen. Keinem Arachniden jedenfalls, den er kannte. Die Beine bestanden offenbar nur aus Muskeln und Sehnen, waren hochelastisch und so kräftig, dass jede Berührung ein Loch im Sand hinterließ. Die Haut war grob strukturiert, geädert und sie war bläulich – eine hervorragende Tarnung in dieser Umgebung. Ein Beutetier würde den Achtbeiner erst dann sehen können, wenn sich der Räuber bereits in Angriffsreichweite befand. Die Enden der Extremitäten formten sich länglich aus und präsentierten eine gekrümmte, lange Kralle. Hart, im Gegensatz zum Rest des Beins – vielleicht aus Horn und ganz gewiss höllisch scharf. Ein Treffer würde den Körper des Opfers aufschlitzen, wahrscheinlich bis auf die Knochen.

»Kein Herbivore!«, sagte Sitareh leise. »Na wunderbar! Der Ausflug hat wohl kein Futter gebracht ... bis auf mich!«

Das Tier richtete sich vorne auf und schrie ihn an. Gellend, bedrohlich, in kurzen Intervallen. Die Aggressivität, die es ausstrahlte, war unglaublich. Einen keilartigen Fortsatz hielt Sitareh für den Kopf. Es gab einige grobe Ähnlichkeiten zu den Spinnen der Erde. Acht Augen zogen sich um den Keil. Sie waren schwarz und ziemlich klein, dennoch musste das Sichtfeld beeindruckend sein. Das Ding fauchte und schleuderte mit zwei Beinen eine Sandfontäne in Sitarehs Richtung. Der Keil klappte auf und präsentierte zweierlei: erstens eine mit Raspelzähnen besetzte, flexible Zunge und eine dreireihige Anordnung von unangenehm spitzen Reißzähnen. Sie standen in unterschiedlichen Winkeln aus dem kräftigen Kiefer. Sie schimmerten ebenfalls bläulich.

Mit dieser Zunge kann er dir das Fleisch von den Knochen fräsen, schoss es ihm durch den Kopf. Das ist ein Schredder! Die Zahnreihen würden jedes Opfer gnadenlos festhalten. Ein furchtbarer Tod. Sitareh ging nicht davon aus, dass der Räuber Gift einsetzte. Die Zähne versprachen nur eins: Was sie hielten, kam nicht mehr frei, egal wie wild und verzweifelt die Gegenwehr sein mochte.

Leben und sterben lassen ...!, krähte Thaynar ausgesprochen unmelodisch.

Die Kreatur fuhr fort, Sitareh zu umkreisen. Der Aulore konzentrierte sich. Unverändert litt er unter den Nachwirkungen des Transports. Vorsichtig beugte er sich nach unten, behielt die Bestie aber im Blick. Er packte die beiden Bruchstücke seines Asts. Sie waren lang genug, um als Waffe zu dienen. Neben den Augen barg der Keilschädel zusätzliche Vertiefungen, die auf weitere Sinnesorgane hinwiesen. Damit war der Kopf das primäre Ziel, wenn er einen Treffer landen wollte.

Das Tier sprang. Der Aulore ebenfalls. Die Linksdrehende Feder brachte ihn in Position. Er wollte die Kreatur nicht töten. Seine Situation auf dieser Welt war derart unklar, dass er Risiken vermeiden wollte. Er wusste viel zu wenig. Das Wesen mochte ein wichtiger Faktor in einer biologischen Kette sein. Und ein Muttertier zu töten, widersprach Sitarehs Ethos. Vielleicht würde der Tod des Achtbeiners zudem andere Tiere herbeirufen, womöglich ein ganzes Rudel?

Als sich das Tier unter ihm befand, schmetterte der Aulore die beiden Asthälften von links und rechts gleichzeitig gegen den Schädel. Für einen Beobachter wären die Bewegungen kaum zu sehen gewesen, sie waren schnell, hart und kompromisslos. Es krachte trocken. Das Tier miaute und fiel zu Boden.

Gar nicht so schlecht für einen Versager!, kommentierte Thaynar.

Unter normalen Umständen war Tuire Sitareh ein Musterbeispiel für Kraft und Eleganz. Der Weg der Schwingen brachte beides mit sich. Derzeit aber genügte diese simple Kampfeinlage, um ihn zum Aufstöhnen zu bringen. Die schmerzenden Muskeln meldeten sich. Kurz wurde ihm weiß vor Augen.

»Ich bin ein Wrack!«, keuchte er. »Noch so ein Angriff, und ich bin nicht einmal mehr das!« Er sank neben dem Tier zu Boden. Sein Kopf dröhnte, und für einen Moment war ihm schwindlig. Ein Gefühl, das er kaum kannte. Ein Erinnerungsschub? Diesmal war das Phänomen anders. Für den Bruchteil einer Sekunde war er desorientiert; die Umgebung verdunkelte sich, als zögen Sturmwolken vor die Sonne. Aber die Erinnerungen blieben aus, sogar die Verfinsterung war eher ein müder Abklatsch. Eine Empfindung machte sich in ihm breit, ein Gedanke: ... das Licht des Transports überstrahlt alles ...!

Sogar Thaynars Krächzen klang mitgenommen: Was bitte soll das eine mit dem anderen zu tun haben?

»Keine ... Ahnung!«, ächzte der Aulore. Der Anfall verschlechterte seinen Zustand, seine ohnehin brüchige Konzentration ließ weiter nach. Wieder glaubte er, das Wort zu hören: Amrydon ...

Ein echtes Geräusch gesellte sich dazu. Blaue Sandkörner tanzten plötzlich. Die Erde vibrierte. Er schaffte es gerade noch, aufzuspringen. Direkt neben ihm bewegte sich der Sand großflächig. Ein Strudel bildete sich, und etwas schob sich aus dem Boden. Eine aulorengroße, dickwandige Röhre, rot-blau fleckig und mit speckigem Glanz. Das Ding beugte sich in seine Richtung, als wolle es ihn betrachten, obwohl er keine Sinnesorgane erkannte. Dafür entstand eine Stimme in seinem Kopf. Eine andere Stimme. Es war nicht die von Thaynar – diese hier hatte er nie zuvor gehört.

2.

Merroq:

Überbringer schlechter Nachrichten

Vor ihm tauchten die ersten rötlich schimmernden Kriechbüsche auf. Die pilzhutförmigen Blätter flüsterten, aber Merroq hörte zusätzlich etwas anderes darin: ein bisschen Häme und eine Drohung! Die Stämme und Äste der Sträucher gehörten ebenfalls zu den vielfältigen Myzelien im Sandboden. Das Pilzholz dieser Büsche brannte ausgezeichnet, wurde jedoch, sobald man es vom Geflecht trennte, hart wie Stein. Viele Nomadenstämme fertigten daraus ihre Krommorgkeulen.

»Der Sheto wird außer sich sein!«, murmelte Merroq. Er näherte sich mit jedem weiteren Augenblick und jedem zurückgelegten Meter einer empfindlichen Strafe.

Sheto Muchlabim, Herr und Meister der Oase Biaden, war bereits unter normalen Umständen hitzig und neigte zu Jähzorn. Wenn man allerdings seine Aufträge nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte, steigerten sich Bestrafungen regelmäßig zu wahren Exzessen. Nicht wenige Arrar Mulak trugen die Spuren der Züchtigungen auf der Haut, im Extremfall mitten im Gesicht: eine Warnung für alle, die dem Sheto Anlass zum Zorn gaben.

Merroq war ein junger, kräftiger Mann. Bisher war er mit dem Sheto nicht aneinandergeraten. Doch nun hatte er das Zeremoniell des Gaschun hinter sich. Er war ein Mann, ein vollwertiger Mann – und damit schützte ihn die Jugend nicht mehr. Vor keinem Auftrag, vor keiner Gefahr und ganz gewiss nicht vor dem Zorn des Sheto. Das Gaschun fand nach Vollendung des zwanzigsten Lebensjahrs statt, und nun trug Merroq die wilde Kriegerlocke im roten Haar. Ob und wie lange er das kunstvolle Geflecht am linken Hinterkopf behalten würde ... Das fragte er sich, seit er auf dem Weg zurück war. Der feine Blausand knirschte unter seinen Sohlen.

In einiger Entfernung tauchte eine Kleinkarawane auf, die von Sifos aus nach Biaden aufgebrochen war. Wahrscheinlich hatte sie Sklaven im Angebot, und Merroq wünschte sich in diesem Moment, einem von ihnen die undankbare Aufgabe auf die Schultern laden zu können. Überbrachte ein Sklave üble Kunde, überlebte er das selten – aber damit war dem Zorn des Empfängers meist Genüge getan. Stattdessen würde Merroq das alles selbst aushalten müssen. Selbstverständlich kam es nur sehr selten zu Todesfällen, wenn der Bote ein Arrar Mulak war, aber ausgeschlossen war nichts.

Vermutlich würde sich die kleine Karawane in Biaden des Schutzes einer Eskorte versichern: Der Weg nach Alametta war gefährlich – nicht nur der Sandlagerer, sondern besonders der Lordaugs wegen. Merroq sah einige längliche Ballen an den gekerbten Panzerhäuten der Krommorgs hängen: Shremwurzeln. Wohlschmeckend, aber heimtückisch – und gerade deshalb sehr gefragt. Der Sheto würde einige Streicheleinheiten verlangen – und bekommen! Das Streifengeld würde seinen Geldtruhen schmeicheln.

Merroq seufzte. Eine andere Karawane würde Ursache seiner Schande und seiner Bestrafung sein. Der Zug der ungeliebten Arrar Gemmin hatte einen Bogen um die Oase geschlagen und etwas abseits der Karawanenstraße gelagert. Das taten die Gemmin seit der Wasserfehde um Jaromasch. Es war etwa sieben Jahre her, aber nicht vergessen.

Merroq war damit beauftragt gewesen, das Zelt des Shetos der Arrar Gemmin ausfindig zu machen und den Aderlass daraus zu entwenden, der beim Besuch Alamettas fällig werden würde. Den Hautzoll erhob die Gilde, sobald man die Grenzen Alamettas überschritt. Eine Abgabe, die sich gewaschen hatte. Immerhin befand sich in Alametta, der einzigen großen Stadt auf Padu, der Hort der Flüsternden Haut, das Alamut.

Die Gilde bewachte die geheimnisumwitterte Haut nicht nur, sie kontrollierte den Zugang zu ihr, ebenso wie zu ganz Alametta. Niemand widersetzte sich der Gilde – man bezahlte sie. Wo und wie oft sie es forderte. Der Hautzoll war lediglich die erste, allerdings größte, Abgabe von allen. Ein solches Bündel Streifengeld war schwer zu verstecken. Je nach Leistungsfähigkeit wurden häufig mehrere Tücher fällig. Die Gilde war daran interessiert, den Handel und damit den Besuch Alamettas anzukurbeln. Der Hautzoll war schmerzhaft für jeden, aber am Ruin der Besucher war die Gilde nicht interessiert. Merroq hatte von Hautzöllen gehört, die lediglich aus einigen Streifen oder Batzen bestanden hatten, wenn der Betreffende weniger begütert war. Bei reichen Karawanen forderte der Zöllner gern mehrere Tücher des gewebten Geldes. Es wurde in Alametta hergestellt und galt auf ganz Padu. Das Muster des hochkomplexen Gewebes erlaubte die Trennung in kleinere Beträge: in Shants, fingerlange Abschnitte, von denen zwanzig einen Streifen bildeten. Zwanzig Streifen waren ein Batzen, und zwanzig Batzen waren ein Tuch.

Das System war einfach, aber effektiv. Niemand war in der Lage, Geldtuch zu fälschen, obwohl es immer wieder Versuche gab. Erwischte die Gilde einen Fälscher, war dessen Schicksal besiegelt und unschön. Er wurde auf einer Krommorg-Rippe gepfählt. Wenn er Glück hatte, starb er während der Pfählung; wenn nicht, lebte er unter Umständen einen ganzen Tag lang, oder mehrere. Davon hatte Merroq gehört, und ihm brach jedes Mal der Angstschweiß aus, wenn er daran dachte. Kein Arrar Mulak war zart besaitet, aber die Grausamkeit und die Qualen, die diese Strafe verhieß, waren furchtbar. Immerhin hielten sich die Versuche, Tuch- oder Streifengeld zu fälschen, in Grenzen. Merroq schüttelte sich vor Entsetzen. Ein derartiges Schicksal drohte ihm nicht, egal wie wütend Sheto Muchlabim werden würde.

Er betrat die Straße, die ins Zentrum der Oase führte. Biaden war ein gewaltiges Oval inmitten von trockener Tundra und Wüste. In der Mitte entsprang eine Quelle, die Biadena-Nisch, der Ursprung nicht nur klaren Wassers, sondern in gleichem Maße des Wohlstands der Arrar Mulak. Geldstreifen waren gut, Tücher waren besser, aber ohne Wasser war alles Geld nichts wert. Rechts von ihm lagen die Wehenhäuser. Der Sheto hatte sie vor einigen Jahren errichten lassen, um die zahlreichen Kinder, die er in die Welt setzte, aufs Beste versorgen zu lassen – und die Mütter zumindest so lange, bis sie ihre Pflicht getan hatten. Wie alle Shetos war der Herrscher der Oase Biaden darauf bedacht, durch vorteilhafte Heirat, andere Klans und Stämme, ob Nomaden oder sesshaft, zu Verbündeten zu machen. Das geschah traditionell durch die Vermählung der Kinder.