Perry Rhodan Neo 194: Abgründe der Zeit - Rainer Schorm - E-Book

Perry Rhodan Neo 194: Abgründe der Zeit E-Book

Rainer Schorm

0,0

Beschreibung

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – der Menschheit werden kosmische Wunder offenbart, sie gerät aber auch häufig in höchste Gefahr. 2058 sind die Menschen nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt, wobei sie immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammenfinden. Nur vereint können sie den Bedrohungen aus den Tiefen des Alls trotzen. Nachdem Rhodan einen Angriff der sogenannten Bestien abgewehrt hat, haben diese sich zurückgezogen. Noch hat ihr Befehlshaber ANDROS nicht aufgegeben. Er will im Solsystem einen Durchgang in eine Fremddimension schaffen. Um dies ein für alle Mal zu verhindern, begibt sich Perry Rhodan auf eine gefahrvolle Reise. Währenddessen setzen seine Gefährten daheim alles auf eine Karte: Die Hyperwelle soll ANDROS zurückschlagen. Ein Scheitern hätte katastrophale Folgen für alle Menschen – das enthüllt der Blick in die ABGRÜNDE DER ZEIT ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 212

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Band 194

Abgründe der Zeit

Rainer Schorm

Cover

Vorspann

1. Weit entfernt: Epsilon Lyrae

2. MAGELLAN – Crosscheck

3. MAGELLAN – Entführung

4. Irgendwo – Wo sind wir?

5. MAGELLAN – Suche

6. DOLAN – Trinarration I: Natalis

7. MAGELLAN – Suchstruktur

8. DOLAN – Trinarration II: Bestiensturm

9. MAGELLAN – Ausschwärmen!

10. DOLAN – Trinarration III: Metamorphose

11. MAGELLAN – Wahre Größe

12. DOLAN – Trinarration IV: Jagdgesellschaft

13. MAGELLAN – Gekonntes Anschleichen

14. DOLAN – Trinarration V: Reifeprozess

15. MAGELLAN – Parlamentär

16. DOLAN – Trinarration VI: Sklavendienste

17. DOLAN – Das Auslösen von Wut

18. DOLAN – Trinarration VII: Brennpunkte und ihre Wirkung

19. DOLAN – Bombenstimmung

20. DOLAN – Trinarration VIII: In der Zuflucht

21. DOLAN – Aufprall

22. Weit entfernt: Passiv/Aktiv

Impressum

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – der Menschheit werden kosmische Wunder offenbart, sie gerät aber auch häufig in höchste Gefahr.

2058 sind die Menschen nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt, wobei sie immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammenfinden. Nur vereint können sie den Bedrohungen aus den Tiefen des Alls trotzen.

Nachdem Rhodan einen Angriff der sogenannten Bestien abgewehrt hat, haben diese sich zurückgezogen. Noch hat ihr Befehlshaber ANDROS nicht aufgegeben. Er will im Solsystem einen Durchgang in eine Fremddimension schaffen.

Um dies ein für alle Mal zu verhindern, begibt sich Perry Rhodan auf eine gefahrvolle Reise. Währenddessen setzen seine Gefährten daheim alles auf eine Karte: Die Hyperwelle soll ANDROS zurückschlagen. Ein Scheitern hätte katastrophale Folgen für alle Menschen – das enthüllt der Blick in die ABGRÜNDE DER ZEIT ...

1.

Weit entfernt:

Epsilon Lyrae

Die Kraft der beiden Sterne zerriss den Weltraum. Die glühenden Oberflächen schleuderten mächtige Protuberanzen in die Umgebung.

Perry Rhodan nahm die Bilder, die ihm das Situativ zur Verfügung stellte, nur verschwommen wahr.

Wir sind zu schnell! Der Gedanke schien nicht richtig zu ihm zu gehören, fühlte sich fremd an. In der positronisch aufbereiteten Darstellung des Außenbeobachtungsholos sah er, wie das kleine Raumschiff aus der glosenden Rematerialisierungszone herausschoss, als habe ein mythologisches Ungeheuer es ausgespuckt.

Unwillkürlich wartete Rhodan auf einen Sinneseindruck, der die Geschwindigkeit für ihn fühlbar machen würde. Aber die Amme, die Künstliche Intelligenz des Situativs, hatte ihren einzigen Passagier vollständig abgeschirmt.

Ein Pochen durchzog Rhodans Körper. Kräftig und rhythmisch; er fühlte es in jeder Zelle.

Zwei Herzen ... meine zwei Herzen, dachte er benommen. Eins in mir, eins außerhalb. Geht das?

Sein Zellaktivator arbeitete mit aller Kraft, um die Schäden des Transmittersprungs zu begrenzen und zu heilen. Rhodans Gedanken klärten sich. Wie der Sonnentransmitter im Capellasystem, von wo aus er aufgebrochen war, gehörte auch der Empfangstransmitter zu jenem kosmischen Transportnetz, das die Meister der Insel als die Alten Straßen bezeichneten. Diffus erinnerte sich Rhodan daran, dass Mirona Thetin dessen Knotenpunkte als die ältesten Sonnentransmitter überhaupt bezeichnet hatte. Sie stellten die ersten Gehversuche der Memeter mit dieser Technologie dar und waren noch weit entfernt von der Perfektion der späteren Installationen, die Rhodan aus der Milchstraße sowie Andromeda kannte.

Mit Alten Straßen assoziierte er Schlaglöcher und wildes Geschüttel. Das entsprach der Realität ziemlich genau. Die Transmitterdurchgänge waren sehr viel ruppiger als sonst üblich und zehrten an der Substanz der Passagiere. Ob das daran lag, dass die Memeter beim Bau dieser Sonnentransmitter nicht immer gleichartige Sterne verwendet hatten?

Er versuchte sich aufzurichten, scheiterte aber. Sanft drückten ihn Fesselfelder zurück in den Kokon, den die Amme aufgebaut hatte: ein dichtes Gespinst aus hochentwickelter Medotechnik und bioaktivem Gewebe. Wie viel Energie des Transmitterschocks der Kokon von Rhodan ferngehalten hatte, wollte er in diesem Augenblick nicht wissen. Er fühlte sich ohnehin schon elend genug.

Wie ein untrainierter Mensch, den man gezwungen hat, einen »Ironman« zu absolvieren. Er stutzte. Was ist ein »Ironman« überhaupt? Ein Roboter?

»Du solltest Ruhe bewahren und die Beendigung der Biorefraktur abwarten!«, mahnte die Amme mit leiser, aber sehr entschiedener Stimme.

Alles in Rhodan sträubte sich gegen diese Art von Bemutterung. Sie kam einer Entmündigung gleich.

»Ich bin kein Kind mehr«, murmelte er trotzig.

»Dann solltest du dich nicht wie eines verhalten«, sagte die Amme. »Ich habe dir ein Informationspaket zusammengestellt, da mit einer solchen psychischen Reaktion zu rechnen war. Dein psychologisches Profil ist beeindruckend komplex; aber in dieser Hinsicht ist dein Verhalten gut prognostizierbar.«

»Du solltest ein medopsychisches Training absolvieren«, klagte Rhodan. »Dein Umgang mit Patienten ist stark verbesserungsfähig.«

»Nicht alle meine Passagiere sind so eigenwillig wie du!«, konterte die Amme sanft.

»Also schön, zeig mir, was du hast«, sagte Rhodan resigniert.

Eine Holowolke baute sich über ihm auf. Astronomische und physikalische Daten tanzten vor seinen müden Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er verstand, was er sah.

»Wir befinden uns im Epsilon-Lyrae-System«, informierte die Amme mit derselben geduldigen Stimme, mit der Eltern ihren Kindern Geschichten vorlasen. »Es ist ein Vierfachstern, der aus zwei Paaren besteht. Alle vier Sonnen gehören der Spektralklasse A an.«

Was Rhodan sah, war cremeweißes bis gelbliches Licht. »Ich kenne Epsilon Lyrae«, sagte er mit kratziger Stimme. Er räusperte sich, aber das Gefühl, Sand geschluckt zu haben, verschwand nicht. »Die Wega steht grob in derselben Richtung, ist der Erde aber deutlich näher. Epsilon Lyrae ist etwa einhundertsechzig Lichtjahre entfernt.«

»Du erinnerst dich?« Die Stimme der Amme klang erleichtert.

Rhodan gefiel das Gefühl, das er dabei empfand, überhaupt nicht. »Natürlich erinnere ich mich«, begehrte er wütend auf. »Ich bin nicht infantil, das hatten wir geklärt, oder? Senil bin ich ebenfalls nicht, falls du das andeuten wolltest.«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte die Amme. »Aber der Zustand deines Gedächtnisses sollte deine Hauptsorge sein. Ich habe dir die Gefahr ausreichend geschildert.«

»Hast du«, gab Rhodan zu. Er konzentrierte sich wieder auf eine grafische Darstellung des Epsilon-Lyrae-Systems. Die alte Faszination hatte ihn gepackt; wie damals, als er zum ersten Mal Bilder des Hubble-Teleskops gesehen hatte.

Die beiden Doppelsterne standen etwa eineinhalb Lichtjahre auseinander. Die Paare umkreisten einander in einem 340.000 Jahre dauernden Zyklus.

»Epsilon-Eins-Lyrae und Epsilon-Zwei-Lyrae«, murmelte Rhodan. »Irgendwo in der Nähe muss es eine dritte Komponente geben.«

Das Bild eines weiteren Sterns sprang auf ihn zu.

»Epsilon-Drei-Lyrae«, sagte die Amme. »Der Stern ist etwa hundertsechzig Lichtjahre vom Hauptsystem entfernt und von der Schwerkraft nur schwach daran gebunden.«

Rhodan holte Atem. Er merkte, dass seine Muskeln zitterten. Teufel noch mal, dachte er. Ich bin wirklich in mieser Verfassung.

»Wir befinden uns im Anflug auf die Steuerwelt Ka'Gassh«, teilte ihm die Amme mit. »Ich nutze die Freiheiten, die das Refraktionsprogramm mir lässt. Ich nehme an, du willst keinen weiteren Ruhezyklus?«

»Nein.« Rhodan krächzte. »Ich ersticke in dieser verdammten Zwangsjacke.«

Er erinnerte sich daran, wie er das Situativ an Bord der MAGELLAN betreten hatte. Sofort war die Klaustrophobie wieder da. Dabei war Rhodan Enge gewohnt. Was auch immer nostalgische Verklärung aus der STARDUST machen mochte: Viel Freiraum hatte er bei dem legendären Flug zum Mond ebenfalls nicht gehabt.

Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er atmete langsam und tief.

»Ich aktiviere den Halbraumkanal«, sagte die Amme. »Bist du sicher, dass du dich nicht zuerst etwas erholen willst? Ich bin verpflichtet, dich dazu aufzufordern.«

Rhodan graute es vor dem Transport durch einen Situationstransmitter. Es war eine Tortur, von der er wusste, dass sie Lebewesen ohne Zellaktivator oder Zelldusche kaum überleben konnten – wenn man nicht gerade ein Haluter war.

»Ich bin sicher«, beharrte er trotzdem. »Bring uns zur Steuerwelt.«

Ansatzlos überflutete rotes, blutiges Licht den Innenraum des Situativs. Rhodan wusste, dass draußen im All nun ein feuriger Ring waberte, in den das Situativ hineinflog. Er wurde ohnmächtig.

Als er wieder erwachte, war das rote Glühen verschwunden – dafür brannte jede Muskelfaser. Der Zellaktivator pochte wild. Rhodan stöhnte. Anschließend übergab er sich. Ein sofort projiziertes Saugfeld verhinderte eine Verschmutzung des Innenraums.

Rhodan keuchte und bereute bereits, auf dem sofortigen Weiterflug bestanden zu haben. Langsam klärte sich seine Sicht. Die Passage durch den Halbraumkanal war nur kurz gewesen, deshalb hielten sich die Ausfallerscheinungen in erträglichen Grenzen.

Erträglich, dachte Rhodan düster. Klingt nicht so schlimm, wie's sich anfühlt.

»Ich sehe, du ...«, hörte er, dann brach die Amme ab.

Ein Stoß traf das kleine Raumfahrzeug. Aus der Tatsache, dass Rhodan das überhaupt spüren konnte und die Andruckabsorber des Situativs Impulsspitzen durchgelassen hatten, schloss er auf die Stärke der ursprünglichen Kraft. Die war beängstigend. Ein Situativ hatte eine einzige Primäraufgabe: den Passagier zu schützen. Die Panzerung war beeindruckend und die Defensiveinrichtungen waren es ebenfalls. In diesem Moment war Rhodan froh, dass ihn die Fesselfelder sanft, aber unnachgiebig festhielten. Unschöne Erinnerungen an das, was Sud über ihre Reise in einem Situativ berichtet hatte, stiegen in ihm auf.

»Was ... war das?«, fragte er keuchend.

Das Rütteln hörte auf. Dennoch dauerte es beunruhigend lange, bis die Amme antwortete.

»Eine Strukturerschütterung«, sagte sie. »Der Sonnentransmitter hat sich rekalibriert und einen neuen Transportvorgang eingeleitet.«

Rhodan war verwirrt. »Wir fliegen weiter? Das ist nur eine Zwischenstation?«

»Du missverstehst das«, erwiderte die Amme. »Natürlich ist Epsilon Lyrae nicht das Ende deiner Reise. Aber die Rekalibrierung gilt nicht uns, und ich habe sie nicht initiiert.«

»Eine weitere Ankunft!«

»Das ist richtig«, bestätigte die Amme.

Im Holo verschwand das Bild der Steuerwelt, die beiden Sonnen von Epsilon-2-Lyrae wanderten ins Blickfeld. Die Korona des näher liegenden Sterns schien zu kochen. Die Protuberanzen griffen wie gierige Tentakel weit in den Raum hinaus. Dann wurde die Transmitterzone sichtbar. Blutrote Glut waberte auf halbem Weg zwischen den beiden Sonnen. Gleich darauf schoss ein kleiner Punkt daraus hervor.

Rhodan wusste, dass er dieses Bild der positronischen Aufbereitung verdankte. Das ankommende Raumschiff war im Verhältnis viel zu klein, als dass man es im grellen Licht zweier aktiver Transmittersonnen hätte sehen können.

»Wir nähern uns Ka'Gassh«, sagte die Amme. »In einigen Minuten werden wir in den Orbit eintreten.«

Rhodan fühlte sich absurd erleichtert. Ein Bild in seinem Kopf brachte ihn zum Grübeln: ein eher hagerer Mann mit stoppeligem Bart und einer Narbe am Hals. Er wirkte streng.

»Wenn mir nur dein Name einfiele ...«, murmelte Rhodan. »Du warst ... bist Kommandant. Aber welches Schiff?«

Sein Gedächtnis war deutlich schlechter geworden. Namen waren das Erste, was ihm entglitt. Gesichter waren kein Problem, zumindest bisher nicht. Und Dinge, die ihn in seiner Kindheit oder Jugend geprägt hatten, waren ebenfalls erstaunlich stabil.

Das wird wohl kaum so bleiben, befürchtete er.

Er schüttelte den Kopf, aber eine leichte Taubheit blieb. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Mit brennenden Augen starrte er auf das Bild des flammenden Transmitterduos und auf den kleinen, schwarzen Punkt des frisch angekommenen Raumfahrzeugs.

»Kannst du mir etwas darüber sagen?«, fragte er.

Die Amme sagte nichts, aber der schwarze Punkt wurde größer und größer. Rhodan erkannte nun, was da im Epsilon-Lyrae-System angekommen war. Die Form war typisch, und es gab nicht viele solcher Schiffe.

»Ein Schaltschiff«, entfuhr es ihm. Es war aber unverkennbar nicht die GARTAVOUR. Die Meister der Insel hatten den Kurs gewechselt – sie befolgten die Anweisungen von ANDROS nicht mehr. Es gab daher nur einen, der Rhodan als Pilot einfiel und der ein Motiv hatte, ihn zu behindern.

»Hak Gekkoor!«, raunte er. »Er könnte es sein. Er hasst mich, und ihm wäre das zuzutrauen. Die Mittel hat er – nach dem Mord an Faktor Zwei.«

Die Amme schwieg weiterhin.

Hak Gekkoor, der bösartige Etrinone, hasste Rhodan bis aufs Blut, seit er die MAGELLAN mit seinem mörderischen Hetzgeschwader durch Andromeda gejagt hatte. Nun hatte Gekkoor offenbar eine neue Aufgabe übernommen: Rhodan an der Aktivierung der Transmitterstrecke zu hindern. Da Gekkoor Mirona Thetins Sinneswandel laut deren eigenen Worten nicht mitgemacht hatte, schien Rhodan dies naheliegend. Gekkoor als Handlanger von ANDROS: Das passte.

Rhodan wusste nur zu gut, dass er Gekkoor nicht unterschätzen durfte. Die Erlebnisse auf der Zweisonnenwelt, auf die es ihn von Aklur aus verschlagen hatte, waren ihm noch klar in Erinnerung – im Gegensatz zu vielen anderen Dingen.

Wie hatte die Prophezeiung des Weisen von Hua gelautet? »Sie werden sie wiedersehen. Manche eher symbolisch, manche als Person.«

Er erinnerte sich nicht mehr an den exakten Wortlaut, aber der Sinngehalt war eindeutig. Rhodans Verdacht erhärtete sich: Gekkoor folgte ihm.

»Wir landen!«, sagte die Amme in diesem Augenblick.

Ein Bild des Steuerplaneten erschien. Rhodans erster Eindruck war der einer massiven Ansammlung von Gelb- und Ockertönen, dazwischen grüne und bläuliche Flecken.

Er verfolgte den Landeanflug gespannt. Diese Welt war fremdartig. Rhodan rechnete nicht damit, erdähnliche Verhältnisse vorzufinden. Er sah Flächen, die wie Seen wirkten, aber die Farbigkeit irritierte ihn.

»Wenn das Wasser sein sollte, möchte ich es nicht trinken!«, sagte er leise.

»Das wäre eindeutig gesundheitsschädlich«, bestätigte die Amme. »Ich kann nur davon abraten. Es hat einen pH-Wert von unter eins. Zudem beträgt die Temperatur gute siebzig Grad Celsius.«

»Ein wahres Sanatorium«, spottete Rhodan. »Und dort soll ich aussteigen? Ich dachte, es ist deine Aufgabe, meine Gesundheit zu wahren?«

»Das werde ich tun, soweit es in meinen Kräften steht«, sagte die Amme. »Du wirst natürlich spezielle Schutzkleidung tragen. Die Atmosphäre besteht hauptsächlich aus Vulkangasen, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Stickoxiden, Phosphor und Schwefelverbindungen. Der Druck allerdings ist dem der Erde ähnlich. Eine Atemvorrichtung reicht also aus.«

»Du sprachst von Schutzkleidung?«, fragte Rhodan nach.

»Tatsächlich sind nicht nur die Gewässer sauer – die Atmosphäre ist es ebenfalls. Der pH-Wert ist höher als jener der Seen, aber empfindliches Gewebe würde angegriffen werden.«

Rhodan sah sich nackt durch eine gelb-weiß-rote Wüste taumeln. »Ich merke schon: Das wird lustig werden!«, sagte er leise.

Der Atmosphäreneintritt war spektakulär. Die ionisierten Luftmassen bildeten eine glühende Schale um das eintauchende Raumboot und raubten Rhodan zeitweilig die Sicht. Kurz darauf flog das Situativ in geringer Höhe über die Oberfläche. Rhodan sah Geysire in Tätigkeit. Das mit Mineralien gesättigte Wasser erschuf bizarre Formen. Farbige Ablagerungen erinnerten Rhodan an Korallenbänke oder Hornitos. Die schlotähnlichen Gebilde waren mit bis zu 200 Metern Höhe sehr groß. Gelb, Ockertöne, Weiß und Rot dominierten. Der Himmel hingegen wirkte eigenartig grünlich und dunkler, als Rhodan das erwartet hatte.

»Schwefelverbindungen«, murmelte er. »Sie verschlucken Teile des Sonnenlichts. Eine wunderschöne Welt, aber sehr, sehr tödlich. Werden wir hier ebenfalls eine Steuerpyramide finden?«

Zur Antwort projizierte die Amme ein Hologramm. Zwei Pyramidenpaare waren zu erkennen. Sie standen auf einer alten Erhebung, die einmal ein längst erloschener Geysir geformt hatte. Die Erosion, darunter die hochaggressive Atmosphäre, hatte den aufgesinterten Hügel abgeschliffen.

»Zwei Paare«, sagte Rhodan. »Das bedeutet wohl, dass beide Doppelkomponenten von Epsilon Lyrae Transmitter sind – stimmt das?«

»Das ist richtig«, bejahte die Amme, während sich das Situativ den vier Pyramiden näherte. »Wie im Capellasystem gehören diese Konstruktionen zu den ältesten Sonnentransmittern überhaupt. Die Meister der Insel vermuteten, dass dies die allerersten Versuche waren, die Kraft der Sonnen für Transportzwecke zu nutzen. Sie bilden die Alten Straßen, und viele davon haben ... nun ja: Kinderkrankheiten. Sie sind mehrheitlich nicht ständig oder nur in bestimmtem Rhythmus nutzbar. Dir ist sicher bereits aufgefallen, wie viele von ihnen ganz in der Nähe des alten Soltsystems liegen.«

»Hauptsache, wir kommen wieder von hier weg.« Rhodan starrte fasziniert auf die Pyramidenanordnung. Eigenartigerweise wirkte sie nicht wie ein Fremdkörper. Harmonisch fügten sich die roten Bauwerke in die Umgebung ein. Er registrierte, dass ihre Oberflächen matt glänzten. Das war bei der Doppelpyramide auf dem Steuerplaneten des Capellasystems nicht anders gewesen. Weitere Ähnlichkeiten zwischen Aklur und Ka'Gassh erkannte er nicht.

»Wir landen«, kündigte die Amme an.

Rhodan spürte, dass die Schutz- und Prallfelder, die ihn hielten, sich abbauten. Am liebsten hätte er sich ausgiebig gereckt und gestreckt. Aber die Enge des Situativs verhinderte das.

Man nennt das Ding nicht umsonst »Uterus«, dachte er mürrisch. Auslauf gibt es keinen. Ich werde den Spaziergang hinüber zu den Pyramiden genießen!

»Deine Schutzkleidung«, sagte die Amme.

Ein kleines Paket schob sich aus einer Klappe in Kopfhöhe. Rhodan sah etwas, was wie eine schmale Atemmaske aussah und einen Klumpen leicht ölig glänzenden Materials.

»Soll ich das Zeug etwa schlucken?«, fragte er.

Die Amme gab etwas von sich, das ein wenig einem Kichern ähnelte. Bisher hatte Rhodan geglaubt, Humor oder Ironie seien der KI unzugänglich. Amüsierte sie sich tatsächlich über die Unwissenheit ihres Patienten?

»Wir haben Kontakt«, teilte ihm die Amme in diesem Augenblick mit.

Rhodan war verblüfft. Er hatte nicht mit Leben oder gar einer Besatzung gerechnet. »Wer ...?«

»Ich schalte frei«, sagte die Amme nur.

Ein leises Rauschen war mit einem Mal zu hören. Wind? Atem? Dann klang eine Stimme auf. Sie war tief, sonor und kräftig. »Willkommen auf Ka'Gassh, ehrenwerter Reisender. Ich heiße Sie willkommen.«

Rhodan zögerte kurz. Etwas in dieser Stimme beunruhigte ihn. Da war Druck zu hören. Wer auch immer da mit ihm sprach, etwas machte ihm zu schaffen.

»Mit wem spreche ich?«, erkundigte sich Rhodan vorsichtig.

»Mein Name war Klautos Mur. Vor langer, langer Zeit«, sagte die Stimme traurig. »Vielleicht ist er es heute noch ... Ich bin mir da nicht sicher.«

»Und wie kommen Sie darauf, dass meine Absichten ehrenhaft sind?«, wollte Rhodan wissen.

Ein leises Lachen klang auf. »Sie sind ein Zeitträger, das ist unverkennbar. Vielleicht sind Sie derjenige, der uns helfen kann. Bitte kommen Sie. Wir warten schon so lange ...«

Die Verbindung erlosch.

Rhodan war perplex. Dass der Unbekannte seine Sprache beherrschte, war nicht der Punkt. Aber als Zeitträger erkannt zu werden, verblüffte Rhodan. Hatte es vor ihm andere Zeitträger gegeben? Antworten würde er nur in der Pyramide erhalten. Zudem musste er die Aktivierungsprozedur absolvieren, obwohl ihm davor graute.

»Also?«, fragte er und griff nach dem öligen Klumpen.

»Press ihn gegen deine Kleidung!«, sagte die Amme.

Rhodan tat das und riss die Augen auf. Das Material verwandelte sich in ein Fluid und kroch über seine Kleidung, bis er komplett mit einem dünnen Film bedeckt war.

»Nicht schlecht«, sagte er. »Erinnert ein bisschen an Tuires Darojib. Der Memeteranzug schert sich ebenfalls nicht um Konfektionsgrößen. Ich hoffe, dieses Kleidungsstück ist ein bisschen weniger ... aufdringlich!«

Er legte die Atemmaske an. Sie war federleicht, er spürte sie kaum. Er registrierte, dass das Schutzfluid bis an die Maske herankroch und sich damit verband.

Damit sind Hautverätzungen kein Thema mehr, dachte er belustigt. Ein Ganzkörperkondom in Perfektion. Er hustete.

»Du kannst ganz normal sprechen«, sagte die Amme. »Und jetzt solltest du gehen. Denk an deinen Verfolger. Wenn deine Vermutung stimmt, wird er länger als du brauchen, um sich zu erholen. Eine Zelldusche ist kein Zellaktivator. Seine Biorefraktion wird mehr als dreimal so lange dauern wie deine. Aber du hast dennoch wenig Zeit.«

Der Durchgang, durch den er an Bord der MAGELLAN das Situativ betreten hatte, öffnete sich, und Rhodan quetschte sich durch die enge Passage nach draußen.

Helligkeit flutete ihm entgegen. Nach dem diesigen Dämmerlicht im Innern des Situativs war das beinahe ein Schock. Rhodan kniff die Augen zusammen, obwohl die Schutzbrille, die in die Atemmaske integriert war, einiges ausfilterte. Der Planetenboden bestand aus den Mineralien, die überall zu sehen waren; allerdings war er im Bereich der Pyramiden glatt poliert und glänzte.

Bunter Marmor, dachte Rhodan beeindruckt. Das Vielfarbenspiel hatte etwas Heiteres und verdeckte die Gefährlichkeit dieser Umgebung.

In der Basis der äußersten Pyramide schob sich ein Tor zur Seite. Rhodan schätzte die Höhe des Bauwerks auf etwa 150 Meter. Er hatte mehrmals vor der Cheopspyramide in Giseh gestanden. Diese schien ihm vergleichbar.

»Wie hoch ist die Steuerstation?«, fragte er.

Die Antwort der Amme überraschte ihn nicht. »Exakt einhundertvierzig Meter.«

Rhodan legte die Strecke bis zum Tor so schnell zurück, wie er konnte. Die unvollendete Biorefraktur zeigte ihre Auswirkungen. Er fühlte sich erschöpft, die Muskeln der Beine waren müde. Sein Zellaktivator pochte intensiv.

Das matte, beinahe etwas fettige Glänzen des roten, kristallinen Pyramidenmaterials faszinierte ihn. Er berührte die Oberfläche. Sie fühlte sich kühl an; zumindest vermittelte ihm seine Montur diesen Eindruck. Zudem hatte sie etwas Seifiges.

»Kannst du mir etwas über das Material sagen?«, erkundigte er sich. Prüfend fuhr er mit der Hand über die glatte Schrägwand.

»Es handelt sich um die Schwefel-Arsen-Verbindung Realgar, Rubinschwefel oder Rauschrot. Ein monoklines, nichtmetallartiges Sulfid. Die Strukturformel lautet: As4S4. Es ist dasselbe Mineral wie im Capellasystem.«

»Rauschrot«, murmelte Rhodan verblüfft. »Belle ... Verdammt, wie hieß sie denn nur? Sie hat ein-, zweimal davon gesprochen. Sie besitzt übrigens eine wirklich beeindruckende Sammlung von Mineralien. Ich weiß, dass ich sie mir gern angeschaut habe. Das Zeug ist nicht stabil, glaube ich. Unter Lichteinwirkung müsste es sich zersetzen ... das ist kein Material für die Ewigkeit!«

Das rubinrote Mineral war wunderschön. Das Gegenlicht der zweiten Sonne brach sich darin und erzeugte in den Randbereichen ein intensives Glühen.

»Riechprobe!«, verlangte er.

Sofort war ein Geruch nach faulen Eiern in seiner Nase. Das waren die normalen Schwefelverbindungen der Atmosphäre. Schwefelwasserstoff unter anderem. In dieser grundsätzlich sehr sauren Umgebung war das normal. Was er allerdings nicht roch, war Knoblauch. Bei der Reaktion mit Säure hatte er die Bildung von Arsenwasserstoff erwartet, der stark nach Knoblauch roch. Typisch für Realgar. Auch dieses Detail hatte er behalten.

»Das Zeug ist tatsächlich stabil?«, wunderte er sich. »In einer solchen Umgebung? Etwas muss das Mineral konservieren ... und den ganzen Bau.«

Die Amme fühlte sich offenbar angesprochen. »Ich messe ein schwaches Energiefeld an, direkt an der Oberfläche der Steuerstation.«

»Ja, aber warum macht man sich solche Mühe?«, fragte Perry Rhodan. »Es gibt sehr viel geeignetere Mineralien. Hier vor Ort ganz bestimmt. Und Metalle hätte man ebenfalls verwenden können. Die Memeter litten wohl kaum unter Ressourcenknappheit. Nicht, was solche Dinge anging.«

»Ich habe keine Antwort«, sagte die Amme nur.

Nachdenklich betrat Perry Rhodan die Pyramide, das Tor schloss sich. Er drehte sich um. Dieses Bauwerk konnte schnell zur Falle werden. Auf der anderen Seite musste sein Verfolger den richtigen Zugang erst einmal finden. Es gab vier Pyramiden, und da das Tor geschlossen war, gab es kaum Hinweise.

»Klautos Mur ...«, murmelte Rhodan. »Ich wette, das warst du.«

Eine Antwort erhielt er nicht. Dafür verriet ein leises Rauschen und Zischen einen Gaszufluss. Eine Atmosphäre wurde aufgebaut.

Wohl kaum dieselbe, die draußen herumwabert, dachte Rhodan. Da er über kein Kontrollgerät verfügte, wollte er nichts riskieren. Die Montur nahm ihm die Entscheidung ab. Das Fluid zog die Atemmaske zur Seite und fixierte sie links an seinem Hals.

Reflexartig hielt Rhodan die Luft an. Dann überwand er sich, zog prüfend die Atmosphäre ein. Sie war recht kühl, aber er roch nichts Unangenehmes. Sein Zellaktivator, der stets sofort mit seiner Arbeit begann, wenn Gift ins Spiel kam, reagierte nicht.

»Also gut«, sagte Rhodan. »Dann suche ich erst mal nach meinem Gastgeber.«

Große Auswahl hatte er nicht. Der Gang führte sanft nach oben und geradeaus. Es dauerte eine ganze Weile, dann betrat Rhodan eine große Halle, die wie alles andere aus glänzendem Rubinschwefel bestand – zumindest ihre Wände. Was er allerdings am Boden liegen sah, verschlug ihm den Atem.

Es war entsetzlich.

Verstreut über die gesamte Fläche, erblickte die Leichen von schätzungsweise vierzig Halutern. Genau konnte er das nicht beurteilen, denn sie waren zerschmettert. Eine furchtbare Kraft hatte die strukturverhärteten Körper zerrissen. Große Bruchstücke, Scherben und kleine Splitter aus einem glasig wirkenden, kristallinen Material waren alles, was von den gewaltigen Lebewesen übrig war.

»Nein, keine Haluter«, flüsterte Rhodan entsetzt. »Bestien. Bestien des alten Typs!«

Die Größe der ursprünglichen Körper gab ihm recht. Haluter waren in aller Regel kleiner als Bestien, obwohl auch bei diesen Spezies große individuelle Unterschiede vorkamen.

»Was ist das?« Rhodan näherte sich den Überresten nur zögernd. Sein Respekt vor den Bestien hatte gute Gründe. Wenn etwas sogar diese übermächtigen Kampfmaschinen derart zerreißen konnte, hatte ein schwacher Mensch keine Chance.

Er ging in die Hocke. Das Bruchstück vor ihm war ein Teil des halbkugeligen Kopfs. Der hintere Teil, und im Nacken saß etwas, was eine eindeutig andere Struktur hatte. Es wirkte schwammig, ja porös und sah beinahe aus wie eine verdorrte Morchel. Die Farbe passte zu diesem Vergleich, aber Rhodan wusste, worum es sich handelte.

»Ein Symboflexpartner!«

Ein synthetisches Kontrollorgan, ein Symboflexpartner, das er zum ersten Mal auf Modul gesehen hatte; bei einer im Kreell eingeschlossenen Bestie. Der Symbiont hatte seine ursprünglich weiße Farbe verloren, sah so aus, als sei er zur Hälfte im Nacken seines Trägers verschwunden.

»Ein fehlerhafter Symbiont?« Rhodan sprach zu sich selbst. Die eigene Stimme zu hören, beruhigte ihn in dieser von Schmerz und Tod geprägten Umgebung. »Also hat man sie getötet. Entsorgt wie Abfall.«

Er wusste, was die Bestien waren; dennoch hasste er einen solchen Umgang mit Leben.

»Ja ... wie Abfall!«, hörte er eine tiefe, sonore Stimme sagen.

Rhodan stand auf. »Klautos Mur. Sind Sie das?«

»Sie finden mich im Nebenraum, Zeitträger«, sagte Mur. »Mit einigen anderen.«

Schaudernd wandte sich Rhodan von den grausigen Überresten ab. Es gab nur einen Durchgang, er wusste also, wohin er sich wenden musste.

Der Raum dahinter war dunkel. Alles, was Rhodan wahrnahm, waren ein paar Schatten, die noch dunkler waren.

»Willkommen, Zeitträger«, klang Klautos Murs Stimme erneut auf. Sie war direkt zu hören, drang nicht aus Rhodans Akustikfeldern.

»Wo sind Sie?«, fragte Rhodan. Er blieb stehen.

Rötliches Licht glomm auf. Schwach zunächst, dann immer kräftiger. Eine riesige Struktur im Zentrum des hohen Raums schälte sich aus der Dunkelheit. Sie sah für Rhodan zunächst aus wie ein monströser Tannenzapfen.

Als er erkannte, worum es sich tatsächlich handelte, trat er einen Schritt zurück. Es war ein riesiges, massiges Gestell aus schwarzem, grob geformtem Metall.

Silber schwärzt sich auf diese Weise, schoss es Rhodan durch den Sinn. Ob allerdings Silber für eine solche Konstruktion tauglich war, bezweifelte er. Silber hat die höchste natürliche elektrische Leitfähigkeit. Ob das eine Rolle spielt?

Tatsächlich bemerkte er ab und an ein leichtes Flackern: kleine und kleinste elektrostatische Entladungen.

Rhodan kniff die Augen zusammen. Er konnte kaum glauben, was er sah. Verteilt über das gesamte Gestell hingen eiförmige Gebilde, die er gut kannte.

»Tarkanchare!«