Perry Rhodan Neo Paket 1: Vision Terrania - Frank Borsch - E-Book
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Perry Rhodan Neo Paket 1: Vision Terrania E-Book

Frank Borsch

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Beschreibung

Das Jahr 2036: Die Menschheit steckt in der Krise. Überbevölkerung, Klimawandel und Terrorismus lassen die Kriegsgefahr weltweit steigen. In dieser Lage wird der amerikanische Astronaut Perry Rhodan mit drei Kameraden zum Mond geschickt - dort scheint etwas Unheimliches vorzugehen. Mit einer uralten Rakete starten die vier Astronauten; auf dem Mond treffen sie auf Außerirdische. Diese bezeichnen sich selbst als Arkoniden und halten die Menschen für primitive Wesen. Doch Rhodan findet ihre Schwäche heraus - er schlägt den Aliens einen gewagten Handel vor. Sein Ziel ist dabei klar: Mithilfe der weit überlegenen Technik der Fremden will er die Menschheit einigen, um damit alle Kriege für immer zu beseitigen ...

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Cover

Band 1 – Sternenstaub

Klappentext

Vorwort von Klaus N. Frick

1.

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Epilog

Band 2 – Utopie Terrania

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Zwischenspiel

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Epilog

Band 3 – Der Teleporter

Klappentext

Prolog:

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Epilog:

Band 4 – Ellerts Visionen

Klappentext

Der energetische Pilger

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Vierter Teil

Fünfter Teil

Band 5 – Schule der Mutanten

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Band 6 – Die dunklen Zwillinge

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Band 7 – Flucht aus Terrania

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Band 8 – Die Terraner

Klappentext

Prolog

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Zwischenspiel

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Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 1

Sternenstaub

von Frank Borsch

Das Jahr 2036: Überbevölkerung, Klimawandel und Terrorismus – die Menschheit steht kurz vor dem Untergang. Zudem steigen die Spannungen zwischen den Machtblöcken.

In dieser Lage startet der amerikanische Astronaut Perry Rhodan mit drei Kameraden zum Mond - denn dort geschieht Unheimliches. Mit einer uralten Rakete brechen die vier Astronauten ins Abenteuer ihres Lebens auf. Auf dem Mond treffen sie auf die menschenähnlichen Arkoniden. Rhodan erkennt die Schwäche der Aliens – und er schlägt ihnen einen gewagten Handel vor.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Traum von den Sternen, das große Abenteuer Zukunft – schon immer haben solche Themen die Menschen fasziniert.

Mit PERRY RHODAN NEO startet die erfolgreichste Science-Fiction-Serie der Welt zum zweiten Mal in die Zukunft. Stellen wir uns vor, wie es im Jahr 2036 aussehen könnte, wenn die bisherige Entwicklung unserer Welt so weitergeht: Nehmen Konflikte und Naturkatastrophen zu, wird die Welt weiterhin von Finanzkrisen und dem Terrorismus erschüttert?

Und was wäre, wenn in einer Zeit der Krise und eines drohenden neuen Krieges ein Mann auf Außerirdische treffen würde? Wenn er es schaffen würde, mit diesen fremden Wesen von einem weit entfernten Planeten eine Kooperation einzugehen – und wenn aus dieser Kooperation langfristig eine geeinte Menschheit und ein gemeinsamer Vorstoß ins All werden könnte ...

Seit der erste PERRY RHODAN-Roman im September 1961 erschienen ist, erzählt die Serie eine Geschichte der Menschheit, die mit der Mondlandung und mit dem Kontakt zu den Außerirdischen beginnt. Perry Rhodan ist der erste Mensch, der auf die Außerirdischen trifft – und diese Geschichte erzählt jetzt ein Team von Schriftstellern noch einmal komplett neu.

Millionen von Lesern haben sich mit Perry Rhodan und seinen Gefährten auf die Reise in die Unendlichkeit begeben. Sie haben an seiner Seite das Licht ferner Galaxien gesehen und fremdartige Welten besucht. Mit PERRY RHODAN NEO gibt es diese Chance ein zweites Mal: in einer neuen, noch nicht bekannten Weise, mit frischen Helden und in einer Zukunft, die auch die unsere ist.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit diesem Roman – lassen Sie sich auf die Welt von PERRY RHODAN NEO ein, auf einen neuen Start in ein gigantisches Science-Fiction-Universum!

Denn: Die Zukunft beginnt jetzt von vorn ...

Klaus N. Frick

1.

Lächeln Sie! Verdammt, lächeln Sie!, hatte Pounder befohlen.

Also lächelte Perry Rhodan, als er am frühen Morgen des 19. Juni 2036 mit seiner Crew die endlose Betonwüste des Startareals von Nevada Fields überquerte. Er lächelte, als zerrte der schwere Raumanzug nicht wie ein Bleigewicht an ihm, das ihn mit aller Gewalt auf der Erde zurückhalten wollte. Er lächelte, als bade er nicht in Schweiß. Er lächelte, als ginge es nur um sein eigenes und das Leben seiner Crew. Er lächelte, damit keiner der Millionen Zuschauer, die weltweit und von den Tribünen am Rand des Startfelds aus ihren Marsch verfolgten, auf den Gedanken kam, dass hinter seinem Lächeln weit mehr stecken könnte: nämlich, dass das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel stand.

Hinter ihnen blieb das Kontrollcenter des Raumhafens zurück. In dem Labyrinth von Gebäuden arbeiteten Hundertschaften von Spezialisten fieberhaft an den letzten Startvorbereitungen. Unterstützt wurden sie dabei von Zehntausenden weiteren, über Nordamerika und den Globus verteilt, die ihre Arbeit ergänzten, überwachten und gegebenenfalls korrigierten.

Vor ihnen ragte der Startturm auf, so hoch, dass Rhodan der Verschlussring des Raumanzugs schmerzhaft in den Nacken schnitt, wenn er den Kopf nach hinten legte, um das wuchtige Gebilde in seiner Gesamtheit zu überblicken.

Am Startturm, dessen überwältigende Präsenz Rhodan in diesem Augenblick an die monumentalen Kathedralen des europäischen Mittelalters erinnerte, stand, dampfend und zischend, durch zahllose Kabel und Leitungen mit den Systemen des Turms verbunden, die Rakete, die ihn und seine Männer aus dem Griff der Erde katapultieren würde. Und auf ihrer Spitze ruhte ihr Raumschiff, die STARDUST. Stummelflügel zeigten an, dass das Schiff für den atmosphärischen Flug und mithin für eine Rückkehr zur Erde ausgelegt war.

Bull, der an Rhodans Seite ging, schnaubte. »Wenn ich Pounder in die Finger kriege! Will uns zum Mond schießen – und lässt uns die letzte Meile zu Fuß marschieren! Was denkt er sich nur?« Dem stämmigen Systemadministrator und Copiloten lief der Schweiß in Strömen über die Stirn und den Nacken hinunter in den Raumanzug, der für eine Vielzahl von Extremsituationen konstruiert war, nur nicht für Spaziergänge auf der Erde.

»Pounder hat seine Gründe«, sagte Rhodan, der seinen Freund kannte. Ihn und Bull verband seit ihren Tagen als Testpiloten der US Air Force eine Vertrautheit, die weit über die hinausging, die selbst enge Freunde miteinander verband. Eine Kleinigkeit zu finden und sich an ihr festzuhalten, komme, was wolle, war Bulls bevorzugte Strategie, mit Druck umzugehen. Sie funktionierte bestens. Bull war beileibe kein Mann ohne Furcht. Doch er handelte wie einer, wenn es darauf ankam – und er hatte den unschätzbaren Vorteil, von anderen unterschätzt zu werden.

»Pounder hat immer seine Gründe.« Bull ließ nicht locker. Er hätte seinen Worten mit beiden Händen Nachdruck verliehen, hätte ihn nicht der Helm gehindert, den er unter den rechten Arm geklemmt hatte. Pounder hatte auf die Helme bestanden. »Aber wieso muss der grausame alte Mann sie ausgerechnet an uns ausleben!«

»Vielleicht, weil wir uns freiwillig gemeldet haben?«

Rhodans Einwurf warf Bull nur einen Augenblick lang aus der Bahn. »Freiwillig? Er hat uns breitgeschlagen! Pounder ist ...«

Die Stimme Pounders, die aus den Ohrhörern der Crew drang, schnitt Bull das Wort ab.

»... danke Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen. Um ehrlich zu sein, hatten wir nicht mit einem solchen Interesse an unserer Mission gerechnet. Wir müssen deshalb etwas zusammenrücken. Darf ich die anwesenden Herren bitten, den Damen Ihre Stühle anzubieten? Ich danke Ihnen.«

Die Pressekonferenz. Anberaumt für die letzten Minuten des Countdowns, widerwillig, wie es der Öffentlichkeit scheinen musste, tatsächlich von Pounder vom ersten Moment an fest eingeplant. Pounder sorgte dafür, dass seine Männer sie zumindest mithörten.

»In den folgenden Minuten gebe ich Ihnen einen kurzen Überblick über die Mission der STARDUST. Ich darf Sie bitten, mich nicht zu unterbrechen. Sie werden später noch ausgiebig Gelegenheit erhalten, Fragen zu stellen.«

Rhodan hörte ein Surren, das von der überforderten Klimaanlage stammen musste. Rhodan malte sich aus, wie sich die Journalisten in den – natürlich von Pounder persönlich ausgesuchten – viel zu kleinen Raum quetschten und artig seiner Regie folgten. Pounder war ein korrekter Mann, zu Unrecht von seinen – zahlreichen – Gegnern als rücksichtslos beschimpft. Er zog nur stur seine Linie durch. Widerstand war zwecklos. Das wusste Rhodan, das wusste die Crew der STARDUST, das wussten die versammelten Journalisten.

»Ich will ehrlich zu Ihnen sein«, fuhr Pounder fort. »Wir haben ein Problem. Der Funkkontakt zu Armstrong Base, unserem Forschungsstützpunkt auf der erdzugewandten Seite des Mondes, ist seit 27 Tagen unterbrochen. Wir haben deshalb beschlossen, nachzusehen, was dort los ist.«

Ein Raunen. Die Journalisten fühlten sich bestätigt. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen. Etwas ging vor. Und endlich würde ihnen Pounder persönlich, Flight Director der NASA und Übervater der bemannten Raumfahrt, Auskunft geben.

»Um haltlosen Spekulationen Einhalt zu gebieten, will ich klarstellen, dass kein Anlass für übertriebene Besorgnis besteht. Zugegeben, der Mond ist ein Ort von äußerster Lebensfeindlichkeit. Er besitzt keine Atmosphäre, die Temperaturen schwanken zwischen 130 Grad plus und 160 Grad minus. Material und Menschen sind extremen Belastungen ausgesetzt. Aber vergessen Sie nicht: Armstrong Base wurde für diese Bedingungen entworfen.«

Er gab ihnen »den Pounder«, wie Bull es nannte. Rhodan kannte keinen anderen Menschen, der Fakten – und nichts anderes benutzte Pounder, jede einzelne seiner Aussagen würde der kritischen Prüfung der Journalisten standhalten – mit derselben Zielsicherheit zu beliebigen Gebilden von zwingender Logik arrangierte. Pounder war ein Genie darin, die Dinge immer genau so hinzubiegen, wie es ihm genehm war.

»Ein Ausfall der Funkgeräte stellt deshalb kein ungewöhnliches Geschehnis dar. Für die Mannschaft von Armstrong Base muss das wenig bedeuten. Der Stützpunkt ist darauf ausgelegt, bis zu sechs Monate autark zu operieren.«

Ein Genie und ein Gönner. Pounder hatte Rhodan zur NASA geholt. Pounder hatte in dem Hexenkessel der Intrigen und Eifersüchteleien, die die in sich abgeschlossene Welt der Weltraumagentur darstellte, seine schützende Hand über ihn gehalten, um ihn schließlich zum Kommandanten der STARDUST zu bestimmen. Rhodan hatte Pounder viel zu verdanken. Und er hatte gelernt, der Magie des alten Mannes zu widerstehen. Man musste nur genau zuhören. Dann, mit etwas Glück, erwischte man den Augenblick, an dem Pounder das Reich der objektiven Fakten verließ. Pounders Ausführungen über die Bedingungen auf dem Mond, die Beschaffenheit der Mondstation – sie waren korrekt und bildeten doch nur die Vorbereitung für seinen Sprung in das Reich der Täuschung.

»Dennoch haben wir uns entschlossen, auf dem Mond nach dem Rechten zu sehen. Die Tradition der NASA gebietet uns, dem Leben unserer Astronauten bedingungslosen Vorrang einzuräumen. Und trotz der einschneidenden Budgetbeschränkungen, die uns der Kongress kurzsichtigerweise auferlegt hat, sind wir dieser Tradition verpflichtet.«

Der Sprung. So unmerklich, dass keiner der Journalisten Verdacht schöpfen würde. Natürlich, die NASA gab notfalls Millionen aus, um das Leben eines einzelnen Astronauten zu retten. Aber die Mission der STARDUST kostete ein Vielfaches dessen – und auf dem Spiel stand weit mehr als das Leben der 14-köpfigen Besatzung der Mondstation.

»Die STARDUST wird um 7.10 Uhr Pacific Standard Time zu einer Erkundungsmission aufbrechen. Bei der STARDUST handelt es sich um den Prototyp des Lunar Shuttles, kurz LS, das die Versorgung von Armstrong Base erheblich vereinfachen und den Weg zu einer permanenten Kolonie auf dem Mond ebnen wird. Der Flug zum Mond wird gleichzeitig der Jungfernflug des Shuttles. Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle, die seit Jahren an diesem Projekt arbeiten, ebenso aufgeregt und erfreut sind wie Sie, dass dieser Augenblick gekommen ist.«

Schöne – und wahre – Worte zur STARDUST. Keines zu dem stündlich erwarteten Ausbruch das Mount St. Helens in Oregon, der den Start unmöglich gemacht hätte. Keines zu der Trägerrakete, die die STARDUST in den Himmel tragen würde. Die STARDUST hatte drei Jahre auf ihren Jungfernflug gewartet, während Prototyp um Prototyp der neuen NOVA-Serie den Wüstenmäusen Nevadas ein Feuerwerk nach dem anderen beschert hatte. Ohne die NOVA-Raketen hatte die NASA keine Möglichkeit besessen, die STARDUST in einen Orbit um den Mond zu bringen.

»Für den Erfolg der Mission garantiert die hochkarätige Crew der STARDUST. Ich will Ihnen ihre Mitglieder kurz vorstellen. Ausführliches audiovisuelles Material zu den Männern, dem Lunar Shuttle und allen übrigen damit verbundenen Themenkomplexen finden Sie im Anschluss an diese Konferenz auf Ihren Journalisten-Web-Accounts.«

Rhodan erreichte den Startturm. Bodenpersonal in Einsatzanzügen reichte ihnen Flaschen mit Elektrolytmischungen. Sie gewährleisteten einen optimalen Flüssigkeitshaushalt der Astronauten, während gleichzeitig der enthaltene Süßstoff ihren leeren Mägen die Illusion von Nahrung vortäuschte. Rhodan und seine Männer hatten seit 24 Stunden nichts mehr gegessen. Eine Vorkehrung, um das Risiko zu minimieren, an Erbrochenem zu ersticken.

Die Tür des Lifts glitt zur Seite. Rhodan trat in die Kabine, die Übrigen folgten. Die Tür schloss sich, und die vier Männer fanden sich in einer stickigen Enge wieder, die diejenige vorwegnahm, in der sie die nächsten Tage und Wochen verbringen sollten.

Ruckelnd fuhr der Lift an.

»Kommandant und Pilot der Mission ist Major Perry Rhodan. Major Rhodan ist 37 Jahre alt, ledig, Absolvent der University of California in Berkeley und einer unserer besten Testpiloten. Und bevor Sie jetzt ungezogen sind und mich gegen meinen ausdrücklichen Wunsch mit Zwischenfragen drangsalieren: Ja, es handelt sich bei ihm um denselben Rhodan, der durch seine schnelle Reaktion im März 2032 einen frühen Prototyp des LS vor dem Absturz bewahrte. Seit dieser Zeit wird er von seinen Kameraden als der ›Sofortumschalter‹ bezeichnet – auch wenn diese Bezeichnung, wie ich Ihnen versichern kann, ihm äußerstes Unbehagen bereitet.«

Letzteres war wenigstens eine Aussage, der Rhodan zustimmte. Der Prototyp hatte nicht mehr auf die Steuerung reagiert. Rhodan hatte einfach das Naheliegende getan: den Bordcomputer heruntergefahren und den Prototyp gelandet, der eigentlich nur durch die Hunderten von chirurgisch feinen Korrekturen flugfähig war, die der Bordcomputer in jeder Minute vornahm. Neben die Piste, aber immerhin hatte er den Prototyp, sich selbst und die Besatzung in einem Stück heruntergebracht.

»Systemadministrator und Copilot ist Captain Reginald Bull. Captain Bull ist 36 Jahre alt, ledig und blickt auf 24 erfolgreiche absolvierte Weltraummissionen zurück, unter anderem eine Mondumkreisung. Der Flug der STARDUST wird ein Jubiläum für ihn sein – die NASA gratuliert ihm von ganzem Herzen.«

»Danke schön, Pounder!« Bull strich sich mit der Hand so heftig durch das rote Bürstenhaar, dass Schweißtropfen durch die Liftkabine spritzten. »Ich hätte mir kein schöneres Geschenk als dieses Himmelfahrtskommando vorstellen können!«

»Als Bordastronom und Nutzlastspezialist fungiert Captain Clark G. Flipper. Captain Flipper ist 32 Jahre alt, somit der Junior der Crew, aber das sollte niemand über seine Qualifikation hinwegtäuschen. Und an dieser Stelle gestatten Sie mir bitte eine persönliche Bemerkung: Die meisten von Ihnen werden von den im Netz kursierenden Gerüchten gehört haben. Das ist eine unangenehme, aber unvermeidliche Begleiterscheinung unseres modernen Daseins. Mit Captain Flippers Einverständnis teile ich ihnen mit, dass diese Gerüchte nicht ohne Grundlage sind. Captain Flipper hat in der Tat einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für seine Entscheidung bedanken, sich dennoch an der Mission der STARDUST zu beteiligen. Wir alle stehen in seiner Schuld.«

Rhodan versuchte vergeblich Blickkontakt mit Flipper aufzunehmen. Der Astronaut starrte auf den Boden. Rhodan fragte sich, was in dem Kameraden vorgehen mochte. Er kannte die Antwort, die Bull gegeben hätte: nichts. Flipper war ein Frauenheld, der jede Woche mit einer anderen kam. Was machte es schon, dass eine von ihnen jetzt verschollen war? Im Gipfelbereich des Annapurna-Massivs, in der Todeszone über 6000 Meter, die es an Lebensfeindlichkeit mit der Oberfläche des Mondes aufnehmen konnte? Der letzte Funkkontakt mit Beths Gruppe lag über 36 Stunden zurück; nach menschlichem Ermessen musste sie längst tot sein.

»Mach dir keinen Kopf. Flipper wird darüber wegkommen. Nächste Woche hat er drei neue«, hatte Bull versichert, als Rhodan seine Bedenken mit ihm geteilt hatte, und damit war für seinen Freund das Thema erledigt gewesen.

Nicht für Rhodan. Beth war eine unter tausend, ja. Aber sie war die eine, zu der Flipper immer wieder zurückgekehrt war, sein Anker. Und jetzt war sie so gut wie tot, und Flipper, der große Junge mit den verträumten Augen, starrte nur noch zu Boden.

»Dr. Eric Manoli wird die Mission der STARDUST als Bordarzt und Materialforscher begleiten. Dr. Manoli ist 46 Jahre alt, ein Veteran zahlreicher Orbitalmissionen und dürfte Ihnen ein Begriff für seine Forschungsarbeiten auf dem Gebiet zellulärer Veränderungen sein. Es ist uns eine Ehre, dass Dr. Manoli sich entschlossen hat, an der Mission der STARDUST teilzunehmen.«

Manoli war eine der Bedingungen, die Rhodan gestellt hatte. Er war ein Fels in der Brandung, ein Mann von unerschütterlicher Ruhe und damit genau das, was Rhodan an Bord der STARDUST als Ausgleich für den impulsiven Bull und den – unter normalen Umständen – quirligen Flipper brauchte.

»Meine Damen und Herren, Sie sehen mich verblüfft und geschmeichelt von Ihrem Interesse. Ich wünschte, wir könnten für unsere übrige Arbeit mit einem vergleichbaren Interesse Ihres Standes rechnen. Gerade in diesem Augenblick dringt eine unserer unbemannten Sonden in das bislang nahezu unerforschte Ringsystem des Jupiters – ja, Sie haben richtig gehört, Jupiter! – ein. Unsere Wissenschaftler erwarten wertvolle neue Erkenntnisse zur Entstehung des Jupiters, ja zur Entstehung unseres Sonnensystems insgesamt. Sie werden eine Auswahl der besten Aufnahmen in Ihren Datencaches finden. Ich bitte um Beachtung!«

Der Lift hielt an, die Tür gab den Weg frei. Rhodan trat heraus und fand sich beinahe zweihundert Meter über dem Talgrund von Nevada Fields wieder. Die Luft war trocken und kühl. Ein Spezialist stand an der Luke der STARDUST und hielt den Astronauten die geöffnete Hand hin. Rhodan zog die Sonde ab, die er an der linken Seite des Halses getragen und die ihre medizinischen Daten an das Kontrollcenter gefunkt hatte. Seine Kameraden taten es ihm gleich.

»Viel Glück!«, wünschte ihnen der Spezialist.

»Danke, wir werden es gebrauchen können!«, schnaubte Bull, dann zwängten sich die vier Astronauten in das Schiff.

Ein letztes Mal hörte Rhodan die Stimme Pounders:

»Meine Damen und Herren, ich sehe, dass die Crew der STARDUST das Schiff betreten hat. Ich bitte Sie, die letzten Augenblicke vor dem Start mit mir in würdigem Schweigen zu begleiten.«

Und ohne bohrende Fragen zu stellen!, fügte Rhodan wortlos hinzu, aber es war nur ein flüchtiger Gedanke, zu sehr nahm ihn die Aufgabe ein, die vor ihnen lag.

Er wuchtete sich auf die Konturliege und setzte den Helm des Raumanzugs auf. Die Liege zitterte. Es waren Vibrationen, die sich von der Trägerrakete auf die STARDUST übertrugen. Rhodan hörte ein Knistern. Es stammte von dem Hörer, der in seinem linken Ohr steckte.

Bull kletterte in die Liege neben ihm und setzte ebenfalls den Helm auf. Er drehte den Kopf in Rhodans Richtung und sagte: »Übrigens, nur noch eins, bevor uns dieser Riesenknallfrosch unter unserem Hintern um die Ohren fliegt: Es war mir ein Vergnügen, dein Freund gewesen zu sein.«

»Halt den Mund! Du verdammter ...«

Rhodans Worte gingen in dem Aufbrüllen unter, mit dem die Triebwerke der Trägerrakete anliefen. Sie gehörten zu der knapp 150 Meter hohen NOVA, der letzten Hoffnung der Weltraumagentur, Armstrong Base dauerhaft halten zu können. Die Ingenieure und Techniker hatten die Rakete aufgrund ihrer Neigung, kurz nach dem Start in gewaltigen Explosionen zu zerbersten, bis vor Kurzem ironisch als »Supernova« bezeichnet – bis Lesly Pounder den Start der STARDUST angeordnet hatte. Seitdem wagte sich niemand mehr an den Scherz.

Rhodan hatte nicht glauben wollen, dass Pounder einen solchen Wahnsinn anordnen könnte.

Aber dann hatte der Flight Director Rhodan in sein Haus eingeladen und ihm bestätigt, dass in diesem Augenblick die Trägerrakete startklar gemacht würde, um die STARDUST zum Mond zu tragen.

Auf Rhodans entgeisterte Frage, was ihn zu diesem Wahnsinn bewege, hatte Pounder die Zange, mit der er auf dem Grill seines Gartens ein Steak wendete, zur Seite gelegt, in die Hosentasche gegriffen und ihm ein Foto hingehalten.

Es war das letzte Bild gewesen, das die Mondstation übermittelt hatte, aufgenommen von der Kamera einer autonomen Sonde auf der erdabgewandten Seite des Mondes.

Es zeigte einen Krater. Er war groß, durchmaß knapp drei Kilometer. Und im Ring, hoch wie das Gebirge, ein gewaltiger, runder Umriss. Zu symmetrisch, zu gleichmäßig, um natürlichen Ursprungs zu sein.

Nicht von dieser Welt.

Das Ende der Welt, wie die Menschheit sie kannte.

Rhodans Ziel. Die Haupttriebwerke setzten ein und trugen die STARDUST und ihre Crew in den Himmel.

2.

»Da sind sie!«, rief Sid.

Der Junge ließ John Marshall stehen. Er rannte los und drängte sich durch die Menschenmenge zu dem Drahtzaun, der die Zuschauertribüne vom Startfeld von Nevada Fields abgrenzte. Dort angekommen, hakte Sid die Finger in die Maschen ein und drückte das Gesicht fest gegen den Draht.

Marshall folgte ihm und entschuldigte sich nach allen Seiten für das rücksichtslose Benehmen des Jungen. Ihm war flau im Magen. Marshall mied Menschenansammlungen nach Möglichkeit. Sie machten ihn nervös. Dazu steckten ihm die neununddreißig Stunden Busfahrt in den Knochen, die Houston von der Wüste Nevadas trennten. Erhebliche Strapazen, um einem Ereignis beizuwohnen, das für John Marshall keines war.

Im Licht der Morgensonne mühten sich vier dunkle Punkte, ein rissiges Betonfeld zu überqueren, das bessere Tage gesehen hatte. Sie erinnerten Marshall an Ausrufezeichen. Der Mensch bildete den Punkt, der lange Schatten den Strich des Zeichens.

»Was meinst du, John?«, fragte Sid, als Marshall sich neben ihn stellte. »Sind das Rhodan und Bull, die vorne sind?« Der Junge keuchte vor Aufregung und Anstrengung.

»Kann sein. Rhodan ist der Kommandant, nicht?«

»Ja!« Sid zog den Kopf etwas zurück und nickte heftig. Es machte ihm nichts aus, dass Marshall ihn etwas fragte, das er selbst ihm schon mindestens hundertmal erzählt hatte. »Und Bull ist der Copilot der STARDUST. Die beiden sind bestimmt dicke Freunde. Was meinst du?«

»Bestimmt.«

Sid angelte seinen verbeulten Pod aus der Tasche und richtete ihn auf das Startfeld. Ein Modell aus den späten Zwanzigern, aber der ganze Stolz des Jungen. Sid hatte es eigenhändig in der Werkstatt des Shelters repariert, hatte von irgendwoher die Ersatzteile aufgetrieben, die es eigentlich längst nicht mehr gab. Der Junge rief die Teleskopfunktion auf, zoomte die Astronauten heran.

Die Punkte wurden größer, aber pixeliger. Nichts zu erkennen, fand Marshall. Sid schien es nicht zu kümmern. Er filmte die Punkte und murmelte dabei leise vor sich hin.

Marshall hatte den Jungen noch nie so aufgeregt gesehen. Sid González war ein stilles Kind. Ein Außenseiter in der Bande von Außenseitern, denen John Marshall versuchte, mit dem Pain Shelter ein Zuhause zu geben. Ein Eigenbrötler, der sich dieser Welt versagte und die meiste Zeit allein in seinem Zimmer verbrachte, umgeben von Weltraumpostern und Raumschiffmodellen.

Kurz: Sid González war John Marshalls Sorgenkind.

Er hatte ihn auf der Straße aufgelesen, wie alle seine Schützlinge. Ein dürres Kind, das den Kopf immer gesenkt hielt, weil es nicht vermochte, einem anderen Menschen in die Augen zu sehen, und unentwegt in der panischen Angst lebte, dass »er ihn holte«. Ohne dass Sid jemals ein Wort darüber zu entlocken gewesen wäre, wer angeblich hinter ihm her war. Marshall vermutete, dass »er« nicht existierte. Sid hatte auf der Straße viel durchgemacht und musste die Summe seiner schlechten Erfahrungen in einer imaginären Person konzentrieren.

Drei Jahre waren vergangen, seit Marshall Sid aufgenommen hatte. Aus dem dürren Kind war ein dicker Teenager mit fettigem Haar und Hasenzähnen geworden. Den Kopf hielt Sid nicht mehr gesenkt. Seitdem er auf dem Raumfahrttrip war, reckte er sein Haupt nach oben, den Sternen entgegen. Doch einem Menschen ins Auge zu blicken, war ihm immer noch fast unmöglich.

Marshalls Sorgenkind ... und sein Liebling. Wieso, war ihm ein Rätsel. Sid hatte wenig Liebenswertes an sich. Und doch ertappte sich Marshall, der den ehernen Grundsatz hatte, alle seine Schützlinge gleich zu behandeln, wie er für Sid Ausnahmen machte.

Ausnahmen, die sich nicht rechtfertigen ließen.

Wie etwa den Shelter vier Tage lang sich selbst zu überlassen, mit Sid González einen Greyhound-Bus zu besteigen, dreitausend Kilometer über bröckelnde Highways zu holpern, eingepfercht in eine Kabine, die enger und stickiger war als die eines Raumschiffs, um einem Ereignis beizuwohnen, das ihn bestenfalls als ein absurder Anachronismus aus dem vorigen Jahrtausend anmutete. Die Träume, die sich einst an die Raumfahrt geknüpft hatten, waren längst ausgeträumt.

»Rhodan und Bull!«, rief Sid. »Habe ich es nicht gleich gesagt?«

Rechts neben der Tribüne war ein großes LED-Display zum Leben erwacht. Es zeigte die vier Astronauten in Nahaufnahme. Sie trugen Raumanzüge, hatten die Helme unter die Arme geklemmt. Schweiß stand den Männern in Perlen auf der Stirn. Die Sonne war erst vor einer knappen Stunde aufgegangen, aber in der Wüste Nevadas entfaltete sie im Juni eine überwältigende Kraft.

Marshall fragte sich, wieso man die Astronauten auf diese Weise quälte. Wieso fuhr man sie nicht einfach zu der wartenden Rakete? Dieser Marsch war sinnlos.

Sinnlos wie dieser Flug, der sich hochtrabend »Mission« nannte.

Lautsprecher knackten, und eine Stimme hallte blechern über die Tribüne. Sid erkannte sie sofort.

»Lesly Pounder!«, rief er. »Der Flight Director der NASA. Das mit der NOVA-Rakete war seine Idee!«

Pounder gab eine Pressekonferenz, erklärte Journalisten das Wie und Warum der Mission. Seine Stimme wurde aus einem Saal übertragen, der sich irgendwo in dem Gewirr von Zweckbauten befinden musste, das sich am jenseitigen Ende des Startfelds anschloss. Vielleicht in der spitzen Nadel des vierzigstöckigen Kontrollturms, der aus dem Gewirr herausstach?

John Marshall behagte die Stimme nicht. In seinem früheren Leben, bevor er den Shelter gegründet hatte, war er Investmentbanker gewesen. Er hatte seine Tage damit verbracht, vor Displays zu kauern und Gelder hin- und herzuschieben, abstrakt erscheinende Zahlenkolonnen, die tatsächlich Menschenschicksale bedeuteten. Die übrige Zeit hatte er in Konferenzen verbracht, in denen man ihm von todsicheren Investments erzählt hatte, die sich zumeist als Spekulationsblasen entpuppt hatten.

Dieser Pounder log. Er verschwieg den eigentlichen Kern des Flugs. Marshall war sich sicher. Er hatte von jeher ein unheimlich anmutendes Gespür für Lügen gehabt.

Pounder stellte die Mannschaft der STARDUST vor, begann mit dem Kommandanten.

»Perry Rhodan, der Sofortumschalter!«, japste Sid. »Weißt du, wieso man ihn so nennt?«

Natürlich wusste Marshall es nach der langen Fahrt. Aber er spielte für Sid den Unwissenden. Es tat gut, zu erleben, wie der Junge aus sich herausging. »Nein, wieso?«, fragte er.

»Er hat das Lunar Shuttle gerettet! Vor ein paar Jahren. Alle Systeme hatten ausgesetzt und ...« Sid fuchtelte mit den Armen, spielte das atemberaubende Manöver nach, mit dem Rhodan das Fahrzeug und sein eigenes Leben gerettet hatte. Der verbeulte Pod diente dem Jungen dabei als Shuttle. »Rhodan ist ein Held!«, schloss er schließlich, nachdem der Pod sanft auf einer Zuschauerbank aufgekommen war. »Niemand sonst hätte das Shuttle retten können!«

Ein Held ...?

Marshall sah zu dem Display, musterte die vier Astronauten. Sie lächelten. Es war ein aufgesetztes Lächeln, wirkte gezwungen. Doch da war noch mehr. In den Gesichtern las Marshall Entschlossenheit, Anspannung, aber auch Abenteuerlust. Helden? Marshall zweifelte nicht daran, dass sie nur die besten Absichten verfolgten, dass sie in ihrem Feld die Besten der Besten waren.

Und genau das wollte sich Marshall nicht erschließen.

Wieso gaben sich Menschen von diesem Format mit einem offensichtlich sinnlosen Unternehmen wie der Raumfahrt ab?

Zugegeben, es brauchte gehörigen Mut, in ein Raumschiff zu steigen, das an die Spitze einer Rakete montiert war, die im Grunde genommen nichts anderes als einen riesigen Treibstofftank darstellte, der beim kleinsten Defekt zu explodieren drohte – und diese Drohung wahrzumachen pflegte. Deutlich mehr Mut, gestand sich Marshall unumwunden ein, als er selbst aufgebracht hätte.

Doch wozu taugte dieser Mut?

»... stell dir vor, John, was es bedeutet, wenn die Rettungsmission gelingt?«, fragte in diesem Moment Sid, als hätte er seine Gedanken erraten. »Alle Welt wird die Heldentat der STARDUST bewundern. Der Kongress wird endlich wieder ausreichend Mittel für die Raumfahrt freigeben. Die NASA kann ihre Pläne verwirklichen. Menschen können zu unseren Lebzeiten zum Mars fliegen – und noch weiter!«

Der Junge redete, als wäre er in der Marketingabteilung der Weltraumbehörde angestellt. John erwiderte nichts. Möglich, dass Menschen bald zum Mars flogen. John bezweifelte es. Und selbst wenn es geschehen würde, blieb die Frage: wozu?

Dort draußen gab es nur Vakuum, totes Gestein und – auf manchen Planeten – tödliche Gase. Der Mensch war nicht für den Weltraum geschaffen. Die Erde war die Heimat der Menschheit, würde es immer bleiben. Und es war ihre Pflicht, nach ihrer Heimat zu sehen. Sie mussten es. Oder die Menschheit würde nicht überleben.

Marshall musterte die Gesichter der Astronauten, konzentrierte sich auf Perry Rhodan. Was mochte in diesem Mann vorgehen? Musste er nicht Zweifel an ihrer Mission hegen?

Die STARDUST sollte zum Mond fliegen und nach Armstrong Base sehen. Der Funkkontakt zu der Basis war abgebrochen. Das Schicksal von 18 Männern und Frauen stand auf dem Spiel. Möglicherweise waren sie längst tot, mit Sicherheit in Not. Sie zu retten war ein Unterfangen, das »das Gute im Menschen bewies«, wie Pounders knarrende Stimme in diesem Moment verkündete.

Das mochte zutreffen. Aber bewies es auch die Intelligenz des Menschen?

Sid hatte ihm im Bus die winzigste Einzelheit der bevorstehenden Mission mitgeteilt. Zahlen, Maße, Superlative. Marshall hatte sie beinahe im selben Moment vergessen, in dem er sie gehört hatte. Bis auf eine: 3,5 Milliarden Dollar. So hoch waren die geschätzten Kosten für den Flug der STARDUST. Knapp 200 Millionen Dollar pro Leben, das ihre Mission im besten Falle retten würde.

Wie viele Leben hätte man auf der Erde mit dieser Summe retten können?

Der Shelter, den Marshall begründet hatte, gab einunddreißig Kindern eine Heimat. Für mehr reichten die Dividenden der Stiftung nicht, die er von seinen Boni als Investmentbanker gegründet hatte. Einunddreißig von mehreren Tausend, die sich elternlos auf den Straßen von Greater Houston durchschlugen. Überließ man die Straßenkinder sich selbst, war ihre Existenz kurz und hässlich.

Half man den Kindern, gab man ihnen nur die faire Chance, die jeder Mensch verdiente, konnten sie Wunder wirken. Marshall glaubte fest daran.

Die Astronauten erreichten den Startturm. Stählerne Greifer wuchsen in regelmäßigen Abständen aus dem Gerüst, stützten die Rakete, in deren Spitze Rhodan und seine Kameraden in den Himmel reiten wollten. Die Rakete war eine NOVA. Sid hatte ihm alles darüber erzählt. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, das auf Konzepten aus den Sechzigern des letzten Jahrhunderts beruhte. Einer Ära, in der die Reise zu den Planeten des Sonnensystems nur eine Frage der Zeit erschienen war. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass die NOVA das Budget der NASA auffraß und in sieben von zehn Fällen explodierte, bevor sie den Weltraum erreichte.

Marshall mutete sie wie ein rauchendes, fauchendes Monstrum aus ferner Vergangenheit an.

Die Astronauten bestiegen den Lift des Startturms. Langsam kroch die Kabine den Turm hinauf.

»John, gleich geht es los! Sieh nur, es geht los! Gleich ist der Start!«

Sid hüpfte vor Aufregung. Die Sonne spielte auf den Chromstreifen, die der Junge an seiner Jacke befestigt hatte, damit sie mehr nach Astronaut aussah. Ein Notbehelf. Sid hatte sich im Shelter einen kompletten Raumanzug geschneidert und hatte ihn mit nach Nevada Fields nehmen wollen. Marshall hatte es ihm verboten. Die ganze Angelegenheit war lächerlich genug ohne Raumanzugkostüm.

Die Sonne funkelte auf den Chromstreifen und ...

... und neben Sid. Als stieben Funken aus ihm heraus.

Marshall ruckte herum, musterte den Jungen. Sid bemerkte es nicht, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Lift. Da waren keine Funken. Unsinn!, sagte er sich. Pure Einbildung! Du bist müde und überreizt und am letzten Ort, wo du es aushältst: unter Tausenden von Menschen!

»Spark« nannten die anderen Kinder Sid: »Funke«. Um ihn aufzuziehen, weil er so dick und langsam und ungeschickt, so anders war, hatte Marshall lange geglaubt. Bis ihm Sue eines Tages gesagt hatte, was wirklich hinter dem Spitznamen steckte: Sid schlug Funken, hatte Sue behauptet, nur manchmal, nur einen Moment lang. Man musste ihn richtig ärgern, ihn richtig wütend machen, dann geschah es.

Marshall hatte es abgetan, auch wenn es von Sue gekommen war, die in ihren Einschätzungen selten danebenlag. Aber Funken? Die Kinder im Shelter waren traumatisiert, ohne Ausnahme. Ihr Verhältnis zur Wahrheit war – nach herkömmlichen Begriffen – entspannt.

»Der Startturm ist so weit weg!«, sagte Sid, zum ersten Mal seit Tagen leicht verstimmt. »Man kann ja kaum etwas erkennen!«

»Dafür ist das Display da. Ist es dir nicht groß genug?«

»Schon. Aber es ist nicht ... echt!«

»Das ist auch gut so. Die Triebwerke verursachen eine glühend heiße Druckwelle. Das hast du mir selbst gesagt.«

»Aber nicht in alle Richtungen! Und die Tribüne ist viel weiter weg als nötig!«

»Tut mir leid, das kann ich nicht ändern«, entgegnete Marshall und ärgerte sich über sich selbst. Wieso musste er sich immer für alles verantwortlich fühlen? Wieso konnte er es so schwer aushalten, wenn andere Menschen litten? »Die Hauptsache ist doch, dass wir hier sind.«

»Ja, klar. Das ist die Hauptsache«, stimmte der Junge zu. Aber er sagte es in einem Tonfall, der seine Enttäuschung verriet.

Marshalls Finger kribbelten. Als hätte er bei einem seiner langen Winterspaziergänge in Houston die Handschuhe vergessen und wäre zurück in der ungewohnten Wärme des Shelters. Aber das hier war die Wüste Nevadas, mitten im Juni.

Es war nicht die Kälte, die seine Finger kribbeln ließ, die ihn mit einer Unruhe erfüllte, die es ihm schwer machte stillzustehen.

Es waren die Menschen. Die Tribüne war – Gott sei Dank! – nur zur Hälfte gefüllt. Dennoch waren mehrere Tausend Menschen zusammengekommen. Weltraumverrückte wie Sid, für die der Start der STARDUST einen erhabenen Moment darstellte. Die dem Start entgegenfieberten, deren Aufregung jetzt, wenige Sekunden vor dem Ende des Countdowns, auf den Höhepunkt zuging.

Ihre Erregung riss Marshall mit. Es war, als stülpten die Menschen ihm ihren Willen über. Mit einer Macht, der er nichts entgegenzusetzen hatte.

Es ist gleich vorbei!, ermahnte er sich in Gedanken, während seine Finger sich in die Maschen des Zauns einhakten, sich um die Drähte mit einer Kraft schlossen, dass es ihm das Blut abschnitt, ihn der Schmerz um ein Haar hätte stöhnen lassen. In ein paar Minuten ist die STARDUST gestartet. Im Bus kannst du versuchen zu schlafen und ...

Die Menge, Sid, Marshall selbst schrie auf, als der Lift die oberste Plattform des Startturms erreichte und die Astronauten zum Vorschein kamen. Einer von ihnen, Bull, winkte leutselig in die Kamera, dann verschwanden sie in der STARDUST.

Die Emotionen der Menge rissen Marshall mit. Aber da war noch mehr. Eine verborgene, unterseeische Strömung in dem Meer der überkochenden Gefühle.

Sorge. Ja Furcht. Aber nicht wegen des Flugs an der Spitze der zweifelhaften Rakete, nicht wegen des Schicksals der Mondstation. Nein, da war etwas anderes. Größeres. Wichtigeres.

Er versuchte, die Furcht zu greifen. Die Emotion entwand sich ihm. Es war, als sehe man zum Nachthimmel hinauf, konzentrierte sich auf einen Stern, einen verwaschenen Lichtfleck unter Tausenden. Je mehr man sich mühte, desto geschickter entwand sich der Punkt dem Auge.

Die Triebwerke der NOVA zündeten. Glühende Gase rasten aus den riesigen Trichtern. Um einen Augenblick verspätet erreichte der Schall die Tribüne, überzog ohrenbetäubendes Donnern das weite Tal. Der Boden erbebte.

Unmöglich langsam hob die Rakete ab, reckte sich Zentimeter um Zentimeter den Sternen entgegen.

»Sie hebt ab!«, brüllte Sid. »John, sie startet!«

Marshall sah zu dem Jungen – und sah Funken. Gleißendes Licht hüllte Sid ein. Ein Schwall heißer Luft traf Marshall.

»Sid!«, rief er. »Was ist los? Was ...«

Marshall brach ab, als sein Ruf ins Leere ging. Sid war fort. Die Stelle, an der der Junge eben noch gestanden hatte, war verlassen. Als hätte sich Marshall seinen Begleiter nur eingebildet.

»Sid! Du ...«

Der Schlag, der Marshall traf, war unsichtbar. Die verborgene Strömung der Furcht trat mit der Wucht eines explodierenden Geysirs zutage.

Die Tribüne, die startende Rakete, Nevada Fields – alles verschwand. Unversehens fand Marshall sich am Rand einer Schlucht wieder. Felsen und Staub. Eine Sonne, die ihn blendete. Sie ließ den Fels bleich wie Knochen erscheinen. Kein Mensch, kein Tier, kein Strauch, kein Grashalm. Nur toter Fels. Und am Grund der Schlucht eine glitzernde Kugel. Zu groß, zu regelmäßig, zu anders, um natürlichen Ursprungs zu sein.

Marshall stockte der Atem. Er beugte sich vor, um Einzelheiten zu erkennen. Um sich sagen zu können, dass er einer irrsinnigen Täuschung aufsaß. Einer Täuschung ohne Bedeutung.

Und dann stürzte John Marshall in die Täuschung.

3.

Der Start verlief reibungslos.

Das Fluchen der Techniker im Kontrollzentrum über den Knallkörper, den sie nicht mehr Knallkörper nennen durften – die NOVA, auf der die STARDUST in den Himmel ritt –, konnte darüber nicht hinwegtäuschen. Ihre Stimmen, die sich stattdessen in sarkastischen Spekulationen über mögliche Katastrophen überboten, drangen aus den Ohrhörern Rhodans und übertönten das Dröhnen der mit Volllast arbeitenden Triebwerke.

Rhodan störte es nicht. Der ruppige Umgangston sagte ihm, dass alles in Ordnung war. Er klammerte sich an die Stimmen, machte sie zu seiner Nabelschnur zur Erde, während der Andruck von über sechs Gravos sich anschickte, ihm das Fleisch von den Wangen zu schaben.

Die Techniker waren gute Leute, Männer und Frauen, die führenden Experten in ihren Disziplinen. Sie hätten für ein mehrfaches ihrer bescheidenen NASA-Gehälter in der freien Wirtschaft oder für das Militär arbeiten können, aber sie hatten sich dagegen entschieden. Der Traum von den Sternen bedeutete ihnen zu viel.

Jetzt, da mit dem Scheitern der Mondstation ihr Traum vor dem Aus stand, waren sie nervös. Sie überspielten ihre Aufregung mit Galgenhumor, verbargen voreinander ihre Sorge. Die NOVA war ihnen unheimlich. Sie war ein mechanisches und elektronisches Wunderwerk, über dessen Befindlichkeit in jeder Sekunde Hundertschaften von Fühlern und Sonden Auskunft gaben – und das dennoch seinen eigenen, unergründlichen Willen zu besitzen schien.

Aber solange die Techniker ihre Witze rissen, mussten sich Rhodan und seine Kameraden keine Sorgen machen. Zumindest versuchte Rhodan sich das einzureden.

Es gab einen Ruck. Mit einem Knall sprengte sich die ausgebrannte erste Stufe der NOVA ab. Der Andruck, der Rhodan die Augen in die Höhlen und die Luft aus den Lungen gepresst hatte, verschwand übergangslos. Rhodan schnappte nach Luft. Er wand sich in den Gurten wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gerissen hatte. Er hörte, wie seine Kameraden ebenfalls um Luft rangen.

»Alle Systeme arbeiten einwandfrei«, sagte eine Stimme in seinem Ohr, ruhig und beherrscht. Sie gehörte Pounder. »Ihr habt dreiunddreißig Sekunden zur Erholung, Jungs!«

Bull stöhnte auf, aber dabei blieb es. Im fehlte die Luft für die bissige Bemerkung, die ihm auf der Zunge liegen musste.

Rhodan legte den Kopf zur Seite, sah zu seinem Kameraden. Sein Kopf war beinahe so rot wie seine Haare, als sein Herz sich bemühte, die unterversorgten Regionen seines Körper zu durchbluten. Jenseits von Bulls Kopf war ein Bullauge, zur Erde gewandt. Rhodan versuchte durch es zu sehen, probierte einen Blick auf ihre Heimatwelt zu erhaschen, die knapp 60 Kilometer unter ihnen liegen musste. Es gelang ihm nicht. Seine Augen gehorchten ihm nicht, stellten nicht scharf.

»Noch fünf Sekunden bis zur Zündung der zweiten Stufe«, sagte Pounder. »Vier, drei, zwei, eins.«

Der Andruck kehrte zurück, stärker noch als zuvor. Das Siebenfache ihres Körpergewichts drückte auf die Astronauten, drohte ihnen jeden Knochen zu zerbrechen, ihre Eingeweide zu zerquetschen. Rhodan wollte aufschreien, aber der Andruck reduzierte seinen Schrei zu einem Gurgeln, das im Tosen des Triebwerks der zweiten Stufe spurlos unterging.

Rhodan, den Kopf vom Andruck in seitlicher Stellung fixiert, sah zu Bull und erkannte, dass sein Gefühl ihn nicht trog: Es sah tatsächlich so aus, als bemühten sich unsichtbare Finger, seinem Kameraden das Fleisch vom Gesicht zu ziehen.

Nach einer Zeit, die dem Bordcomputer der STARDUST zufolge gerade sechs Minuten maß, dem Gefühl Rhodans nach aber eine mittlere Ewigkeit, war die zweite Stufe ausgebrannt.

Mit einem Knall und einem Ruck wurde sie abgesprengt und die unwirklich anmutende Leichtigkeit der Schwerelosigkeit brach über die Männer herein.

»Durchhalten, Jungs!«, sagte Pounder. »Das Schlimmste habt ihr hinter euch!«

Hatte so etwas wie Mitgefühl in der Stimme des Alten mitgeschwungen? Rhodan musste sich geirrt haben. Der Andruck hatte den Blutgefäßen in seinem Gehirn zugesetzt.

Doch in der Sache hatte Pounder recht. Die Trägerrakete der STARDUST hatte wider Erwarten zuverlässig ihren Dienst verrichtet. Übrig war von ihr lediglich noch die dritte und kleinste Stufe, die sie mit moderater Beschleunigung in Richtung Mond tragen würde. Aber davon würde Rhodan nichts bemerken ...

»Wow, seht euch das an!« Es war Bull. Auf dem Papier war er der Angehörige der Crew, der den Andruck am schlechtesten wegsteckte. In der Praxis war das Gegenteil der Fall. Rhodan wusste, wieso: Die Versuchsanordnungen der Mediziner mochten in der Lage sein, die Physiologie Bulls exakt zu messen – aber das Wesen des Manns, der sich niemals unterkriegen ließ, blieb ihnen verborgen.

Bull zeigte mit der behandschuhten Hand auf das Bullauge.

Ein Ausschnitt der Erde zeichnete sich auf der Scheibe ab. Der südliche Pazifik, im Westen von den beiden grünen Inseln Neuseelands begrenzt, im Süden vom Eis der Antarktis. Sonnenlicht glitzerte auf der riesigen Wasserfläche.

»Ist die Erde nicht wunderschön?«, fragte Bull mit entwaffnender Rührung. »Ich könnte sie tausend Mal sehen, ohne ihres Anblicks je müd...«

Ein Stöhnen, das in ein Gurgeln überging, schnitt ihm das Wort ab. Rhodan wandte den Kopf. Die Gurte hielten ihn fest, verhinderten, dass in der Schwerelosigkeit sein ganzer Körper der Bewegung folgte. Das Gurgeln kam von Flipper. Dunkle Tropfen schwebten in seinem Helm, versperrten den Blick auf sein Gesicht, verklebten die Innenscheibe.

»Ruhig, Flipper!« Es war Manoli. Der Arzt löste die Gurte und glitt mit einer zielstrebigen Eleganz von der Konturliege, als hätte er sein ganzes Leben in der Schwerelosigkeit verbracht. »Halt für einen Moment die Luft an! Ich bin sofort bei dir.«

Im nächsten Moment hatte Manoli Flipper erreicht. Mit beiden Händen umfasste er die Notöffnung seines Helms. Das Visier glitt auf. Perlen der dunklen Flüssigkeit strömten aus der Öffnung und verteilten sich in der Kabine. Es war Blut.

»Ganz ruhig«, flüsterte Manoli. »Das haben wir gleich.« Aus einer Tasche seines Anzugs holte Manoli eine kleine Pumpe hervor. Surrend sog sie die Blutstropfen ein, gab den Blick auf Flippers Gesicht frei. Der Astronaut war bleich und gleichzeitig, so schien es Rhodan, rot angelaufen vor Scham. Sein Blick war unstet, wich denen seiner Kameraden aus.

»Den Mund auf bitte«, flüsterte Manoli. Flipper folgte der Aufforderung. »Wie ich es mir gedacht habe: die Zunge«, stellte der Arzt fest. Er zog einen weiteren Gegenstand aus einer Tasche. Er erinnerte an eine geschrumpfte Spraydose, und das war er auch, in gewissem Sinne: Rhodan hörte leises Zischen.

»Sprühplasma«, erklärte der Arzt. »Bis wir auf dem Mond sind, ist deine Zunge besser als neu, Clark.« Er klopfte dem Kameraden aufmunternd auf die Schulter, stieß sich ab und schnallte sich wieder auf seiner Liege fest.

Clark Flipper holte tief Luft und suchte tapfer Blickkontakt mit Rhodan. »Ein Anfängerfehler«, flüsterte er mit Tränen in den Augen. »Ein bescheuerter Anfängerfehler! Es tut mir leid, Perry. Es wird nicht mehr vorkommen. Ich verspreche es.«

Rhodan winkte ab. »Mach dir keine Gedanken, Clark. Es hätte jedem von uns passieren können.«

»Aber ich ...«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du ...«

»Was ist bei Ihnen da oben los, Rhodan?«, unterbrach ihn die Stimme Pounders. »Meine Medizinmänner berichten mir, dass Sie und ihre Männer über die festgelegten Parameter aufgeregt sind. Ihr Puls und Blutdruck liegen weit über dem Soll.«

Rhodan winkte dem in seiner Liege vor Scham zusammengesunkenen Flipper beruhigend zu, dann sagte er: »Nichts Ungewöhnliches, Pounder, wir sind eben aufgeregt.«

»Und wie – das sehe ich! Ich will wissen, was bei Ihnen da oben los ist!«

»Nichts. Wir sind außergewöhnlich aufgeregt, weil wir uns auf einer außergewöhnlichen Mission befinden. Was ist daran außergewöhnlich?«

Rhodan hörte, wie Pounder 200 Kilometer tiefer im Kontrollcenter von Nevada Fields scharf die Luft einsog. Pounder war Widerspruch nicht gewohnt. Er setzte an: »Sie ...« Er unterbrach sich und fuhr fort: »Sie haben recht, Rhodan.«

»Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, Sir. Wir fahren wie geplant fort? Tiefschlaf?«

»Natürlich!«

»Ihr habt Pounder gehört«, wandte sich Rhodan an seine Crew. »Flipper, Manoli und ich gehen in den Tiefschlaf. Bull sorgt dafür, dass die STARDUST den Mond nicht verfehlt. Ich werde ihn beizeiten ablösen, klar?«

Er bekam keine Antwort. »Gut, dann los!«

Flipper wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte wieder den Helm auf. Dann warf er Rhodan einen dankbaren Blick zu und löste die Injektion aus. Einen Augenblick später erschlaffte er, gefangen in einem komaähnlichen Schlaf, aus dem er erst kurz vor ihrer Ankunft auf dem Mond erwachen würde. Manoli folgte ihm.

Dann war Rhodan an der Reihe. »Keine Sorge, Perry. Ich werde unser Baby schon schaukeln«, versicherte ihm Bull, als er die Injektion auslöste. Ein Blinzeln später stürzte Rhodan in die traumlose Nacht des Tiefschlafs.

Stimmen weckten Rhodan.

Es waren weder die seiner Crew noch die Pounders, noch gehörten sie den Technikern, dennoch waren sie Rhodan vertraut.

»... ist mit einer weiteren Eskalation des Konflikts zu rechnen«, sagte eine Stimme. Sie gehörte einer Frau. »Wie aus dem iranischen Außenministerium verlautete, sei die Geduld der Republik Iran erschöpft. Die jüngsten Aufstände kurdischer und sunnitischer Minderheiten seien von außen, von Bagdad, gesteuert. Man sei nicht mehr länger bereit, sie hinzunehmen ...«

»... Taiwan gehört unteilbar zur Volksrepublik China«, sagte eine Männerstimme. »Wie lange sollen wir noch zusehen, wie der heilige Boden unserer Nation von Usurpatoren, die nicht mehr sind als die Marionetten eines im Größenwahn gescheiterten kapitalistischen Imperiums, beschmutzt wird? Wie lange noch sollen wir in Schande leben? Wie lange ...«

»... verkündeten heute die Atommächte Brasilien, Indien und Pakistan einen nuklearen Nichtangriffspakt«, erklärte eine dritte Stimme. »Die atomaren Streitkräfte der drei unterzeichnenden Nationen unterstehen ab sofort einem gemeinsamen Oberkommando. Die Führer des ›globalen Pakts für Frieden und Stabilität‹ riefen weitere Nationen dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Die internationalen Finanzmärkte reagierten auf die Erklärung mit einer kurzfristigen Erholung ...«

Rhodan öffnete die Augen. Er war im Cockpit der STARDUST. Schwerelosigkeit herrschte, nur die Gurte sorgten dafür, dass er auf der Konturliege blieb. Und dann sah er, woher die Stimmen kamen: Die Frontdisplays der STARDUST waren in ein halbes Dutzend Fenster unterteilt. In jedem war ein anderer Sprecher/Kommentator/Korrespondent zu sehen.

»Na los, Perry!«, hörte er Bull neben sich sagen. »Nenn mich schon einen unheilbar kranken Nachrichtenjunkie! Ich bekenne mich schuldig. Ich bin ein Trottel. Das hier liegt über 100.000 Kilometer hinter uns zurück. Und vor uns ... ich sollte weiß Gott andere Sachen im Kopf haben.«

Rhodan wandte den Kopf und schaute seinem Freund ins Gesicht. Bull sah nicht gut aus. Die Haut unter seinen Augen war gerötet, als hätte er lange geweint und sich die Tränen mit den Händen abgerieben. Es war keine leichte Aufgabe, als einziger Wachender in einem Raumschiff zu sitzen, zum Mond zu rasen und sich zu fragen, ob es eine Rückkehr geben würde.

»Schon gut«, sagte Rhodan. »Wir sind alle nur Menschen.« Er zeigte auf Manoli und Flipper, die beide noch im Tiefschlaf lagen. »Alles in Ordnung mit den beiden?«

Bull nickte.

»Die STARDUST?«

»Schnurrt wie ein Kätzchen auf großer Fahrt, gekuschelt an ein Wärmekissen. Die dritte Stufe der NOVA hat sich wie geplant vor drei Stunden abgesprengt. Hast du den Ruck nicht gespürt?«

Rhodan ging nicht auf den Versuch eines Scherzes ein. »Sonst?«

»Nichts weiter. Die Techniker lassen sich ständig neue schlechte Witze einfallen. Sind abgespeichert. Kannst sie dir anhören, wenn ich weggetreten bin.«

»Das werde ich. Schlaf gut.«

»Danke!« Bull streckte sich aus, suchte eine bequeme Haltung. Der Zeigefinger und der Daumen der rechten Hand legten sich um den Auslöser der Tiefschlafinjektion, aber sie betätigten ihn nicht.

»Alles klar?«, fragte Rhodan leise.

»Ja, natürlich!«, versetzte Bull. Und einige Augenblicke später: »Nein. Eigentlich nicht ... überhaupt nicht.«

»Angst?«

Bull setzte ein Grinsen auf. »Ich bin Testpilot und Astronaut, schon vergessen? Ich weiß nicht, was Angst ist.«

»Sorgen?«

»Sagen wir ›berechtigte Bedenken‹, in Ordnung?«

»In Ordnung. Also, was liegt dir auf dem Herzen?«

»Das da.« Bull holte ein neues Bild auf das Display, löschte die Nachrichtenkanäle aus. Es war das Foto, das Pounder ihnen gezeigt hatte. Das letzte Bild, das die Mondstation übertragen hatte.

Es zeigte den Krater, in seiner Mitte, in entnervend groben Pixeln das riesige, runde Objekt.

»Was ist damit?«, fragte Rhodan.

»Lass es mich so sagen, Perry: Das Ganze könnte ein Bluff sein. Ein Trick unserer großrussischen oder chinesischen Freunde. Ein Ballon mit einer hauchdünnen Haut. Ich habe es durchgerechnet. Im Vakuum würde die Sauerstoffflasche eines Raumanzugs genügen, ihn auf diese Größe zu bringen. Es wäre möglich.«

»Aber du glaubst nicht daran?«

»Nein.« Bull schüttelte den Kopf. »Dafür haben unsere Freunde in Großrussland und China nicht genug Humor, bei allem Respekt, denen ich ihnen als Astronauten zolle. Nein, das ist kein Menschenwerk, Perry. Du weißt es. Das da ist das Werk von Außerirdischen, von Fremden.«

»Um es in deinen Worten auszudrücken: Lass es mich so sagen. Mir fällt keine bessere Antwort ein. Und ebenso wenig Pounder.«

Grimmige Zufriedenheit blitzte in Bulls Augen auf. »Mir auch nicht. Also sind es Außerirdische.«

»Und das schmeckt dir nicht?«

»Besser als Russen oder Chinesen oder irgendwelche andere Menschen.«

»Aber?«

»Ich frage mich, verdammt noch mal, was wir hier draußen mit der STARDUST treiben.«

»Wir sehen nach, was auf dem Mond los ist.«

Bull prustete laut los. »Schwachsinn. Das könnte eine unbemannte Sonde besser. Aber wir haben keine mehr. Sie sind auf unerklärliche Weise ausgefallen, ohne Ausnahme. Genauso wie unsere Mondstation. Und von den Stationen der Russen und Chinesen hat man auch nichts mehr gehört.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Rhodan, obwohl er die Antwort längst kannte.

»Ganz einfach: Wieso schickt uns Pounder zum Mond? Er ist ein harter Knochen, ja, und ich habe ihn mehr als einmal, sagen wir, unschöne Dinge genannt. Aber Pounder ist weder dumm, noch ist er ein Mörder. Wenn er uns losschickt, dann nur, weil er sich eine Chance ausrechnet. Weil er etwas weiß, was wir nicht wissen ... nur: was?«

Rhodan antwortete nicht gleich. Er hatte eine Ahnung. Nicht deutlich genug, um sie auszusprechen, aber stark genug, um ihm Hoffnung zu geben, um auf diesem Irrsinnsflug sein Leben zu riskieren, der sich hochtrabend »Mission« nannte.

Rhodan zuckte die Achseln. »Wir werden es herausfinden, alter Freund. Und jetzt schlaf! Ich würde es mir nie verzeihen, wenn du den entscheidenden Moment verpassen würdest, weil du unausgeschlafen bist ...«

Bull musterte seinen Kameraden schweigend. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, ließ es aber sein. Er kannte Rhodan. Er würde nichts mehr aus ihm herausquetschen.

Bull löste die Injektion aus.

Rhodan sah seinen Freund noch einige Momente nachdenklich an, dann schaltete er Frontdisplay und Kabinenbeleuchtung aus.

4.

Lesly Pounder betrat sein Büro kurz vor der Morgendämmerung, eine Stunde bevor die STARDUST in die Umlaufbahn des Mondes einschwenken würde. Der Flight Director der NASA wusste nicht, ob ihre Mission gelingen konnte. Er wusste nur, dass er mit Rhodan seinen besten Mann hinausgeschickt hatte – und, was immer geschah, ihm selbst auf lange Zeit keine Ruhe mehr vergönnt sein würde. Vielleicht niemals wieder.

Er verzichtete darauf, das Licht einzuschalten, und trat an das große, umlaufende Fenster. Sein Büro saß auf der Spitze des Kontrollturms von Nevada Fields, einem vierzigstöckigen Gebäude, dessen Form eine Rakete nachahmte. Sein Bau hätte ihm damals, vor fast zwanzig Jahren, beinahe den Kopf gekostet. Der steigende Meeresspiegel hatte die NASA gezwungen, das Kennedy Space Center in Florida aufzugeben. Aber statt die Aktivitäten der NASA komplett in das Johnson Space Center nach Houston zu verlagern, hatte Pounder den Bau von Nevada Fields erzwungen. Eine Entscheidung von bemerkenswerter Weitsicht, wie sich mittlerweile herausgestellt hatte.

Doch damals hatte man Pounder Verschwendung vorgeworfen, Größenwahn. Pounder hatte es nicht gekümmert. Ebenso wenig wie die heftige Kritik daran, zehn Prozent des ohnehin zu knapp bemessenen Budgets für Projekte zu verwenden, die jenseits konventioneller Vorstellungen angesiedelt waren.

Lesly Pounders Lebenswerk war, den Vorstoß der Menschheit ins All voranzutreiben. Pounder war zu alt, um selbst zu den Sternen zu fliegen. Seine Knochen würden der wechselnden Belastung von Andruck und Schwerelosigkeit nicht standhalten. Er war gezwungen, anderen den Vortritt zu lassen. Aber er würde alles tun, um diesen anderen den Flug zu ermöglichen – und er würde verflucht sein, wenn er es tagaus, tagein wie eine Höhlenmaus aus der stickigen Enge eines Kommandobunkers tat.

Pounder war nur deswegen Flight Director der NASA geblieben, weil sich niemand anderes gefunden hatte, der die Führung der finanzschwachen Weltraumagentur hätte übernehmen wollen.

Im Osten hellte sich der Himmel auf. Nevada Fields lag in einem der zahlreichen Hochtäler, die den Staat von Nord nach Süd durchzogen. Am Boden waren sie flach und knochentrocken, beinahe schon eine Mondlandschaft, wären da nicht die hartnäckigen Josuapalmen gewesen, die der Kargheit trotzten. Stieg man die Hänge hinauf – und Pounder tat es oft, er war der Erde verbunden, auch wenn sein Sehnen den Sternen galt –, lösten knorrige Kiefern die Josuapalmen ab, und erreichte man schließlich, schwitzend und keuchend, einen Gipfel, reichte der Blick in der klaren Luft weit in die Ferne. Oder, legte man den Kopf in den Nacken, in das Universum, das am Himmel in unwirklich anmutender Pracht funkelte.

Dort oben, zwischen den Sternen, absolvierte die STARDUST in diesen Augenblicken ihren Bremsanflug auf den Mond. Pounder fragte sich, was Rhodan und seinen Männern in diesem Moment wohl durch den Kopf ging. Was ...?

»Tatsächlich, eine beeindruckende Aussicht«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Sie sind zu beneiden, Pounder.«

Lesly Pounder wartete einen Moment, bevor er sich langsam umdrehte. Er war nicht erschrocken. Er war es nicht mehr, seit der Wagen mit seiner Frau und seinen Kindern vor langer Zeit in Florida von einer Straße abgekommen war. Der Sumpf hatte sie verschluckt und erst nach zwei Jahren wieder freigegeben. Seitdem gab es nichts mehr, was Pounder hätte erschrecken können.

Ein Mann saß an seinem Schreibtisch, hatte es sich lässig auf dem Drehstuhl bequem gemacht. Er war klein, beinahe ein Zwerg. Er war alt, mindestens so alt wie Pounder. Seine Haare genügten nur noch für einen weißen Haarkranz, und trotzdem hatte sein Gesicht eine jugendliche Straffheit, die unerklärlich war. Sie wirkte natürlich, hatte nichts von der künstlichen Steifheit eines Liftings, wie sie bei vielen Menschen zu beobachten war.

»Setzen Sie sich doch, Pounder!«, forderte der Mann ihn auf und zeigte gönnerhaft auf den Besucherstuhl, als gehöre das Büro ihm, als sei nicht er der Eindringling, sondern Lesly Pounder.

»Ich sollte die Militärpolizei rufen und Sie in hohem Bogen aus dem Fenster werfen lassen, Mercant«, sagte Pounder. »Ich bin gespannt, ob Sie dann auch noch lächeln.«

»Ein interessantes Experiment«, entgegnete Mercant. »Vorausgesetzt, die Militärpolizei folgt Ihren Befehlen, Pounder.« Er deutete auf das Telefon, das am Rand der Tischplatte lag. »Wollen Sie einen Versuch wagen?«

Pounder überlegte. Allan Mercant war ihm ein Rätsel. Seit einem knappen Jahr schnüffelte er in Nevada Fields herum. Er hielt jedem, der es wollte, und allen Übrigen seinen Ausweis unter die Nase: Homeland Security. Es genügte, um seinem Gegenüber, wenn nicht Angst, so wenigstens Respekt einzuflößen.

Ansonsten tat Mercant ... nichts. Er war einfach vor Ort, tauchte an den unmöglichsten Stellen von Nevada Fields auf und gab sich für gewöhnlich als liebenswürdiger älterer Mann mit unbegrenzter Kapazität und Zeit für ein Schwätzchen.

Was war seine Funktion? Pounder konnte es nur vermuten. Mercant musste ein Aufpasser sein. Oder er diente als Täuschung, zog mit seinem auffälligen Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich, während die eigentlichen Agenten von Homeland Security ungestört und unerkannt ihrer Arbeit nachgingen. Pounder hatte sich schon mehr als einmal gefragt, ob sie nicht einem Betrüger aufgesessen waren. Ein Verrückter, der sie mit Andeutungen und einem perfekt gefälschten Homeland-Security-Ausweis zum Narren hielt und sich aufspielte. Aber das konnte nicht sein: Pounders Versuche, mehr über Mercant herauszufinden, waren gescheitert. Soweit es das Netz anging, existierte Mercant nicht. Und das konnte nur eines bedeuten: Mercant arbeitete tatsächlich für das mächtigste Ministerium der Vereinigten Staaten.

Und jetzt, kurz bevor die STARDUST den Mond in einer Mission erreichte, die womöglich über das Schicksal der Menschheit entschied, hatte sich dieser Mann in seinem Büro breitgemacht.

Pounder schöpfte tief Atem, ging zur Tür und schloss sie. Er war ein stolzer Mann. Doch in seiner Natur lag eine zweite Eigenschaft, die noch stärker war als sein Stolz: Neugierde. Pounder ließ sich im Besucherstuhl nieder. »Was wollen Sie von mir, Mercant?«

»Mit Ihnen sprechen.«

»Weshalb?«

»Weil mir die gegenwärtige Lage Sorgen macht.«

Pounder konnte ein Auflachen nicht unterdrücken. »Überlassen Sie das mir. Es sind meine Männer da oben.«

Mercant schwieg für einen Augenblick. Er sah Pounder mit einer Ernsthaftigkeit an, die nicht zu seinem jovialen Gesicht passen wollte. Dann sagte er: »Es sind auch meine.«

»Was bilden Sie sich ein?« Pounder beugte sich vor. »Nur weil Homeland Security glaubt, es sei nicht an Recht und Gesetze gebu...«

»Ich spreche weder im Namen noch im Auftrag von Homeland Security«, schnitt ihm Mercant das Wort ab. »Ich bin zu Ihnen als Mensch gekommen. In der STARDUST fliegen Menschen dem Ungewissen entgegen.«

Pounder zögerte. Mercant klang ehrlich. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Rhodan ist mein bester Mann. Die Crew der STARDUST ist so sicher, wie es nur menschenmöglich ist.«

»Was das angeht, würde ich mich an Ihrer Stelle vor vorschnellen Schlüssen hüten.« Mercant blinzelte. »Aber dazu später mehr. Meine Sorgen gelten nicht nur den vier Menschen in der STARDUST, sie gelten der gesamten Menschheit.« Mercant beugte sich vor. »Pounder, wir stehen am Abgrund.«

Pounder musterte sein Gegenüber. Was wollte Mercant von ihm? War er verrückt geworden? Oder war er es schon immer gewesen, und die Aura des Geheimnisvollen, mit der Mercant sich umgab, hatte ihn getäuscht? »Sie vergeuden Ihre Energien, Mercant«, sagte er. »Die Menschheit hat von ihrem Anbeginn am Rande des Abgrunds gelebt. Und wie Sie sehen, leben wir immer noch.«

»Ja. Aber ich fürchte, wir stehen in diesem Augenblick derart nahe am Abgrund, dass ein kleiner Schubs genügt, um uns unwiderruflich stürzen zu lassen. Der geringste Auslöser genügt.«

Pounder verstand. Zumindest glaubte er es. »Sie spielen auf die Mission der STARDUST an? Ich versichere Ihnen, Sie ...«

Mercant schüttelte den Kopf. »Nicht die STARDUST. Ich rede von hier. Der Erde.« Er tippte mit dem Knöchel auf den Schreibtisch. »Pounder, ich weiß, dass Sie mich nicht ausstehen können. Und Sie haben gute Gründe dafür. Niemand mag Geheimdienstleute. Man kann ihnen nicht trauen. Aber, ich bitte Sie, Pounder, versuchen Sie, die Dinge für einen Augenblick anders zu sehen. Sehen Sie mich an. Ich bin ein Veteran wie Sie. Ich bin seit Jahrzehnten in meinem Fach. Ich habe vieles mitgemacht, ich habe vieles gemacht. Einiges davon hätte ich besser gelassen und für so manches werde ich eines Tages in der Hölle braten müssen, sollte es eine geben. Aber was immer ich tat, ich habe viel gelernt, viele Menschen kennengelernt. Man redet miteinander. Vertrautheit entsteht, manchmal entwickeln sich Freundschaften, manchmal bleibt es bei Zweckbündnissen. Ein Netz webt sich, das nicht greifbar ist und doch real. Man erfährt Dinge, die nirgends niedergeschrieben oder gespeichert sind.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Pounder. Mercants Worte behagten ihm nicht. Und das umso mehr, da er spürte, dass sie zutrafen: Er und Mercant waren sich ähnlicher, als er es sich eingestehen wollte.

»Die mit Großrussland assoziierte Volksrepublik Iran steht im Begriff, eine neue Offensive gegen den Irak zu eröffnen.«

Pounder runzelte die Stirn. »Das ist alles, was Sie mir mitzuteilen haben? Die wievielte ist es? Die fünfzehnte? Die zwanzigste? Wen interessiert das schon?«

»Die dreiundzwanzigste«, antwortete Mercant. »Aber es wird die letzte sein. Der Iran plant den Einsatz von taktischen Atomwaffen. Zufällig kenne ich die Pläne des irakischen Generalstabs. Sie sehen für diesen Fall einen Gegenschlag vor: die Auslöschung Teherans mit strategischen Atomwaffen.« Als Pounder nichts entgegnete, fuhr Mercant fort: »Wissen Sie, was das bedeutet? Die Überschreitung einer Schwelle, von der es kein Zurück gibt. Aus dem Stellvertreterkrieg wird ein heißer zwischen Großrussland und den USA werden. Beide Seiten verfügen über mehrere zehntausend Atomsprengköpfe.«

Mercants Stimme besaß einen Tonfall von erzwungener Beiläufigkeit, die Pounder davon überzeugte, dass der Geheimdienstmann die Wahrheit sprach. Aber wieso erzählte er das ihm, dem Zivilisten, dem Träumer von den Sternen? Und wieso ausgerechnet in diesem Augenblick?

»Das ist noch nicht alles«, sagte Mercant. »Meine Kontakte beim chinesischen Geheimdienst berichten mir, dass die Regierung für den Fall einer atomaren Auseinandersetzung zwischen den USA und Großrussland die Rückholung Taiwans zum chinesischen Mutterland plant. Die USA werden zu beschäftigt sein, um Taiwan zu schützen. Nur: Die Invasion kann nicht gelingen. Taiwan hat im Geheimen eigene nukleare Kapazitäten entwickelt. Greift die Volksrepublik an, kommt es unweigerlich zu einem weiteren atomaren Krieg.«

»Das sind beunruhigende Informationen ... sollten sie zutreffen«, sagte Pounder vorsichtig. »Aber wieso teilen Sie das ausgerechnet mir mit? Ich bin lediglich Leiter einer heruntergekommenen, von Budgetkürzungen halb erdrosselten zivilen Raumfahrtbehörde, die sich aus irdischen Scherereien heraushält, so gut es geht.«

»Eben. Und ich bin ein alter, der Führung suspekter Geheimdienstler, den man der Einfachheit halber auf einen Posten abgeschoben hat, der ungefähr die Wichtigkeit des US-Botschafters in San Marino hat. Niemand erwartet von uns beiden weltbewegende Dinge – und genau deshalb können wir beide es schaffen, die Welt zu ändern. Wenn wir zusammenhalten.«

»Ich verstehe nicht, was Sie mir damit ...«