Perry Rhodan Neo Paket 28 - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 28 E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Das Jahr 2107: Die Erde und der Mond kreisen um eine ferne Sonne. Zur gleichen Zeit werden die menschlichen Kolonien im Sonnensystem und auf fernen Welten von den Überschweren beherrscht. Ihr Anführer Leticron und seine Söldner setzen die Menschheit für ihre Kriegswirtschaft ein. Widerstand regt sich nur im Verborgenen, die Risiken sind zu groß. Perry Rhodans Vision einer geeinten Erde, die mit den Nachbarn zwischen den Sternen in Frieden und Kooperation zusammenlebt, scheint zerstört. Doch zusammen mit seinen Begleitern nimmt er den Kampf gegen die Diktatur der Überschweren auf ...

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Das Jahr 2107: Die Erde und der Mond kreisen um eine ferne Sonne. Zur gleichen Zeit werden die menschlichen Kolonien im Sonnensystem und auf fernen Welten von den Überschweren beherrscht.

Ihr Anführer Leticron und seine Söldner setzen die Menschheit für ihre Kriegswirtschaft ein. Widerstand regt sich nur im Verborgenen, die Risiken sind zu groß.

Perry Rhodans Vision einer geeinten Erde, die mit den Nachbarn zwischen den Sternen in Frieden und Kooperation zusammenlebt, scheint zerstört. Doch zusammen mit seinen Begleitern nimmt er den Kampf gegen die Diktatur der Überschweren auf ...

Cover

Vorspann

Band 270 – Retter unter falscher Flagge

Vorspann

Prolog

1. Der Krake

2. In der SPEICHERSTADT

3. Der Sünder

4. Auf der Römerstraße

5. Mister Louisiana

6. Pluto

7. Nachtlabyrinth

8. Ceres

9. Desert Zone

10. Väter

11. Phoenix Orbital

12. Söhne

13. Dreizehn Minuten

14. Töchter

15. Phoenicis Lacus

16. CLUTTER QUEEN

17. Der Erlöste

18. Pallas

Band 271 – Undercover auf Olymp

Vorspann

1.

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21.

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23.

Band 272 – Die Hölle der Wega

Vorspann

1. Wie ein Fisch

2. Abgetrieben

3. Der Stein in der Schleuder

4. Ein Hilfskomitee für die Topsider

5. Ein fliegender Schrotthaufen

6. Wrack

7. Erkundung

8. Sturmwarnung

9. Sandmühle

10. Unerwarteter Besuch

11. Der Kristallgarten

12. Durch den Sturm

13. Aus dem Sand erhoben

14. Wie gewonnen ...

15. Der Nebel

16. Am Ziel?

17. Kampf der Giganten

18. Töpfe und Deckel

Band 273 – Der Mahlstrom

Vorspann

Vergangenheit

1. Der Puls: 1. Mai 2102

2. Auris von Las-Toór: Ein Wrack und dessen Ende

Gegenwart

3. Sofgart: Der Antritt einer weiten Reise

4. Sofgart: Perforation im großen Stil

5. Sofgart: Das Stopfen von Löchern

6. Kammatock: Ein Gespräch und ein Auftrag

7. Sofgart: Ein Weg aus der Mausefalle

8. Kammatock: Unter Konkurrenten

9. Sofgart: Versuch einer Ablenkung

10. Kammatock: Das Aufnehmen der Fährte

11. Leibnitz: Scherben im Brunnen

12. Auris von Las-Toór: Neuer Pulsschlag

13. Sofgart: Das Ziel in greifbarer Nähe

14. Leibnitz: Neu geboren

15. Auris von Las-Toór: Die Pfütze als Übel

16. Sofgart: Gestellt

17. Laura Bull-Legacy: Frisch verstorben

18. Auris von Las-Toór: Eskorte

19. Kammatock: Vor dem Wall

20. Sofgart: Nicht in Sicherheit

21. Kammatock: Der Durchbruch und das Ende

22. Sofgart: Auf in den Abgrund

23. Gorrum Sedlak: Sprung in den Schlund

24. Sofgart: Katharsis und Kathexis

25. Sofgart: Nachtgedanken

Band 274 – Alaskas Odyssee

Vorspann

1. Rold Skov

2. Storkat

3. Warten auf den Tod

4. Gerettet

5. Ankunft

6. Abschied und Suche

7. Zwischenspiel auf Tuglan

8. Flucht ins Glück

9. Goldene Jahre

10. Jäger und Gejagte

11. Sturz in den Abgrund

12. Schicksalhaftes Wiedersehen

13. Metamorphose

14. Nebenwirkungen

15. Der Mann mit der Maske

16. Begegnung auf Aequestra

17. Vor dem großen Schlaf

18. Über Jahrtausende

Band 275 – Kriechende Kälte

Vorspann

1. Die Kälte des Weltraums

2. Der Geist einer Legende

3. Der Eiskönig

4. Die Bulle

5. Der Bastler

6. Ein falscher Freund

7. Versuchung

8. Das Versteckspiel

9. Diener des Herrn

10. Das Aerarium

11. Das Doppelspiel des Naats

12. Ein Fabergé-Ei

13. Und ... Start!

Band 276 – Die Cybora-Etappe

Vorspann

1. Icho Tolot

2. Mentro Kosum

3. Mentro Kosum

4. Icho Tolot

5. Mentro Kosum

6. Mentro Kosum

7. Sorgator

8. Mentro Kosum

9. Mentro Kosum

10. Mentro Kosum

11. Sorgator

12. Mentro Kosum

13. Sorgator

14. Mentro Kosum

15. Sorgator

16. Mentro Kosum

17. Tro Khon

18. Mentro Kosum

19. Mentro Kosum

20. Mentro Kosum

21. Icho Tolot

Band 277 – Die schlafende Göttin

Vorspann

1. Vorhofflimmern

2. Die Nachricht

3. Atlan erinnert sich ...

4. Etwas Persönliches

5. Geheimnisse

6. Die Meinung einer Mutter

7. Kurz zuvor: Gelöste Fesseln

8. Das trojanische Pferd

9. Bradbury Central

10. Getarnt

11. Sandschwimmen

12. Paranoia

13. Die Marsianerin

14. In der Wüste

15. Der Tartaros

16. Der Angriff

17. Geschrei

18. Der Sandkrake

19. Der Garten der Ewigkeit

20. Das Erwachen

21. Das Verwehen der Sandrose

22. Unterdrückte Rache

23. Der Naat

24. Rhudhinda

Band 278 – Makkos finsteres Herz

Vorspann

1. Mentro Kosum – Erstschlag

2. Sorgator – Die Suche

3. Die luziferischen Kommentare I

4. Mentro Kosum – Spurt

5. Mentro Kosum – Der Abgrund

6. Sorgator – Ein einsamer Jäger

7. Mentro Kosum – SERT-Zwang

8. Sorgator – Hindernislauf

9. Mentro Kosum – Die DOLAN im Kopf

10. Sorgator – Ausstieg

11. Mentro Kosum – Allergen

12. Die luziferischen Kommentare II

13. Sorgator – Patientenstatus

14. Mentro Kosum – Herz aus Stahl

15. Sorgator – Der Schlüssel

16. Die luziferischen Kommentare III

17. Mentro Kosum – Schutzlos

18. Sorgator – Die 3-Sphäre

19. Mentro Kosum – Zeit zu sterben?

20. Sorgator – Zeit zu sterben!

21. Tro Khon – Der neue Igétis

22. Die luziferischen Kommentare IV

23. Mentro Kosum – Warnung

24. Mentro Kosum – Endspurt

Band 279 – Leticrons Fall

Vorspann

1. Alaska Saedelaere

Zwischenspiel: Reginald Bull

2. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Icho Tolot

3. Alaska Saedelaere

Zwischenspiel: Gabrielle Montoya

4. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Atlan da Gonozal

5. Alaska Saedelaere

Zwischenspiel: Ronald Tekener

6. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Jessica Tekener

7. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Sofgart

8. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Gucky

9. Thomas Rhodan da Zoltral

Zwischenspiel: Laura Bull-Legacy

10. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Sud

11. Thomas Rhodan da Zoltral

Zwischenspiel: Harkon von Bass-Teth

12. Alaska Saedelaere

Zwischenspiel: Geoffry Abel Waringer

13. Perry Rhodan

Zwischenspiel: Stella Michelsen

Zwischenspiel: Bjo Breiskoll

14. Thora Rhodan da Zoltral

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 270

Retter unter falscher Flagge

Oliver Plaschka

Vor sieben Jahrzehnten ist der Astronaut Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen. Seither ist die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen und hat andere Sonnensysteme besiedelt.

Dann aber werden Anfang des 22. Jahrhunderts die Erde und der Mond in den fernen Kugelsternhaufen M 3 versetzt. Rhodan will diesen Vorgang rückgängig machen, strandet mit dem Großraumschiff SOL jedoch 10.000 Jahre in der Vergangenheit, in eine Zeit der Kriege.

Nach ihrer Rückkehr finden sich die Menschen an Bord in einer völlig veränderten Welt wieder. Die sogenannten Überschweren haben mit ihrem Anführer Leticron das Solsystem, die gesamte Solare Union und sogar das Imperium der Arkoniden erobert.

Als Rhodan versucht, sich in der neuen Situation zurechtzufinden, trifft er auf alte Freunde, die sich dem Kampf gegen die brutalen Unterdrücker verschrieben haben. Gemeinsam stoßen sie zum Mars vor – und Perry Rhodan wird zum RETTER UNTER FALSCHER FLAGGE ...

Prolog

Die SOL raste auf den feuerroten Ring des Transmitterfelds zu.

Umhüllt von riesigen, blau irisierenden Prallfeldern, glich der Hantelraumer dem Kolben einer großen Blume mit vielen Tausend Kilometer großen Blütenblättern. Unter ihr, in der Tiefe, schwebte die Elysische Welt auf ihrer einsamen, von höheren Mächten initiierten Wanderschaft durch das All. Und irgendwo auf diesem künstlich halbierten Planeten verbarg sich der Zeitbrunnen, jenes uralte, geheimnisumwitterte Artefakt, das Perry Rhodan und seinen Gefährten die Rückkehr in ihre Heimatgegenwart ermöglichen sollte, mit einem Zeitsprung über zehntausend Jahre in die Zukunft.

Der Plan war riskant und an Wagemut kaum zu überbieten. Die Prallfeldkollektoren regten den Zeitbrunnen zur Projektion des übergroßen Transmitterfelds an. Der unfassbare Energiebedarf hierfür, den nicht mal das Schwarze Loch des Schiffsreaktors zu decken vermochte, wurde von den neun Atorakten gestillt, die einer ähnlichen, vielleicht derselben uralten Technologie wie der Zeitbrunnen entstammten. Die Feinjustierung der chronometrischen Feldstruktur übernahmen SENECA, die Künstliche Intelligenz der SOL, sowie die Wissenschaftler um Geoffry Abel Waringer und Eric Leyden. Schon kleinste Fehler konnten hierbei katastrophale Auswirkungen zeitigen.

Es war von vornherein ein großes Wagnis gewesen. Die Besatzung der SOL hatte sich dennoch darauf eingelassen – eine Abstimmung hierüber hatte den Vorschlag mit überwältigender Mehrheit befürwortet –, weil den Menschen kaum eine andere Wahl blieb, wollten sie je in ihre angestammte Zeit zurückkehren.

Natürlich verlief nichts nach Plan.

»Zweihundert Walzen!« So viele feindliche Raumschiffe hatte SENECA laut Ortungs- und Funkchefin Mai Tai Tanaka gezählt. Damit hatte ein tödlicher Countdown begonnen, aus dem ohnehin schon riskanten Experiment war in jeder Hinsicht ein Wettlauf gegen die Zeit geworden.

Um SENECA zu entlasten, hatte die Schiffsführung eine Korvette ausgeschleust. Der Techniker Alaska Saedelaere sollte mit diesem Beiboot, das für die Sondermission eigens auf den Namen LEVER getauft worden war, als eine Art externer Hebel fungieren. Er würde einen wichtigen Teil der Prallfeldsteuerung übernehmen, damit das Positroniknetz der SOL Kapazitäten für die weitaus komplexere Berechnung der Temporalvariablen frei hatte. Zumindest hatte das Leyden so erklärt.

»Maschinenraum, wie geht es voran?«, fragte Rhodan.

»Prallfelder stabil, energetischer Regelfluss optimal«, antwortete Breckcrown Hayes. »SENECA hat die Justierung des Transmitterfelds so gut wie abgeschlossen. Wir aktivieren nun das automatische Rückholprogramm für die LEVER.«

»Sehr gut.« Saedelaere war ein menschlich unsicheres, aber fachlich äußerst kompetentes Besatzungsmitglied, und er hatte bei diesem Einsatz bereits großen Mut bewiesen. »Holen Sie die Korvette wieder rein!«, ordnete Rhodan an. Nun galt es.

»Wir erreichen das Transportfeld in exakt fünfundfünfzig Sekunden«, verkündete Mentro Kosum, der Pilot der SOL.

»Zehn Walzen!«, schrie Tanaka, gleichzeitig sahen es alle im Außenbeobachtungshologramm selbst: Eine kleine Streitmacht der schwarzen Kampfschiffe war vorgerückt und versperrte der SOL den Weg zum Transmitterfeld.

Kaum eine Sekunde später eröffneten die Gegner das Feuer.

»Unser Libraschirm hält«, meldete Vidonia Rocha, die Waffenchefin.

»Können wir das Feuer erwidern?«, rief Thora Rhodan da Zoltral. »Hayes?«

»Leyden kriegt Schnappatmung«, antwortete der Technokommandant. »Waringer sagt, wir dürfen nicht riskieren, den Justiervorgang aus der Balance zu bringen. Jede Veränderung im Energiefluss kann sich auf die externen Prallfelder und bordinterne Systeme übertragen.«

»Ach, und wenn wir diese Schiffe rammen, soll das besser sein?«, entgegnete Thora.

Dann überstürzten sich die Ereignisse.

»Wir brauchen mehr Energie für den Schutzschirm«, forderte Chart Deccon. »Und zwar schnell!« Der schwergewichtige Kommandant der SOL gab hastig eine Reihe von Befehlen in die holografischen Bedienfelder seines Positronikpults ein, um die benötigten Änderungen persönlich einzuleiten.

Die Erste Offizierin Rebecca Montgomery, die sich neben Deccons Kommandosessel aufhielt, aktivierte einige weitere Daten- und Steuerholos der Konsole, um Deccon zu unterstützen.

»Wir kriegen die Fluktuationen nicht unter Kontrolle«, warnte Hayes. »Möglicherweise kommt es sogar innerhalb der SOL zu hyperenergetischen Zwischenfällen.«

»Die LEVER wurde schwer getroffen!«, rief Tanaka. »Die Rückholprozedur ist gescheitert.«

»Was ist mit den Traktorstrahlen?«, fragte Rhodan. »Können wir Saedelaere trotzdem reinholen?«

»Keine klare Erfassung möglich«, verneinte Rocha. »Da draußen herrscht das reinste Chaos.«

Ein Gewitter aus Thermo- und Impulsstrahlen ließ den Libraschirm der SOL erglühen, außerdem traten die gigantischen Kollektorprallfelder in Interaktion mit dem Transmitterring, der stürmische Protuberanzen aussandte. Ein viele Tausend Kilometer großes Meer aus Licht hüllte das Hantelraumschiff ein.

Um die Schaltkonsole, an der Deccon und Montgomery konzentriert arbeiteten, entstand ein erratische Blitze versprühendes, grelles Gleißen. Mit einem Aufschrei brach der Kommandant zusammen, auch die Erste Offizierin stürzte zu Boden.

»SENECA! Medizinischer Notfall in der Zentrale! Zwei Schwerverletzte!«, rief Thora, an die Bordpositronik gerichtet. »Ich übernehme das Kommando!«

Rhodan sprang auf und eilte zu Deccon und Montgomery.

»Die Walzenraumschiffe rufen uns!«, meldete Tanaka.

Eine vertraute, grollende Stimme erklang in der Zentrale. »Hier spricht Leticron! Habt ihr etwa geglaubt, dass ihr mir entkommen könnt? Jetzt werdet ihr für das bezahlen, was ihr angerichtet habt ...«

Leticron! – Er kann nicht ahnen, was wir vorhaben, beschied Rhodan in Gedanken. Dem Überschweren geht es bloß um seine Rache.

Er sah nach der Ersten Offizierin. Montgomery war offensichtlich ohnmächtig, wirkte äußerlich aber weniger verletzt als Deccon. Brust und Hals des dickleibigen Manns waren stark versengt, er war jedoch noch bei Bewusstsein. Ihre Blicke trafen sich, und Rhodan wusste, dass Deccon dasselbe dachte wie er: Sie konnten nicht abbrechen. Niemand wusste, ob die Atorakte und der Zeitbrunnen diesen Wahnsinn ein zweites Mal mitmachen würden. Wenn sie nun umkehrten, blieben sie womöglich für immer in der Vergangenheit gestrandet – und sahen sich zweihundert von Leticrons Kriegsschiffen gegenüber.

»Feuer erwidern!«, befahl Thora kalt. Sie musste zu demselben Ergebnis gekommen sein.

»Kommandantin!«, protestierte Hayes. »Leyden und Waringer ...«

»Schießen Sie uns den Weg frei!«, beharrte Thora barsch.

»Die Waffenringe sind aktiviert«, bestätigte Ozias Gruber, der Rocha als Zweiter Waffenoffizier unterstützte. »Wir erwidern das Feuer.«

Eine gewaltige Explosion brandete gegen den Libraschirm, als eins der gegnerischen Walzenschiffe unter dem Beschuss des Hantelraumers verging.

»Mahoe an Zentrale«, meldete sich die Kommandantin der Beibootflottille. »Eine Korvette schleust aus.«

»Wie bitte?«, rief Thora. »Wer hat das autorisiert?«

»Laut den Hangarprotokollen ... Versorgungsoffizier Rog Fanther.«

»Wer?«

Das war eine Katastrophe. Etwas, das niemals hätte eintreten dürfen. Doch ihnen blieb buchstäblich keine Zeit, die Sache zu verhindern.

Rhodan lief zurück zu seinem Sessel, als zwei Medoroboter kamen, um die verletzten Deccon und Montgomery zu versorgen.

»Wir erreichen die Transmissionszone des Transmitterrings in fünf Sekunden!«, rief er die Zentralebesatzung zur Ordnung und aktivierte die schützenden Fesselfelder seines Sessels.

Weiße Blitze zuckten von dem Transportfeld auf die SOL zu wie Spinnenbeine, die das Expeditionsraumschiff in einen tiefen Schlund zogen, der nun in allen Farben des Regenbogens brodelte.

Rhodan wandte den Kopf zu seiner Frau. Thora erwiderte den Blick.

Das Letzte, was er sah, waren ihre Augen.

Dann verging alles in gleißendem Licht.

Eine Stunde später saß Perry Rhodan erschöpft am Arbeitstisch im Büro seiner Suite, die in einem Wohnturm des Habitatdecks drei der SOL lag. Dort las er konzentriert die Meldungen der einzelnen Schiffsabteilungen.

Sie waren zurück – beinahe zumindest.

Genau genommen waren sie erneut im Nebelsektor herausgekommen, jenem Raumgebiet nahe des Röntgendoppelsternsystems Cygnus X-1, wo sich die SOL bereits nach der Versetzung in die Vergangenheit wiedergefunden hatte.

Diverse Bordsysteme waren kurzzeitig ausgefallen, aber im Großen und Ganzen hatte die SOL den Zeitsprung zurück in die Zukunft unbeschadet überstanden.

Im Großen und Ganzen, dachte Rhodan bitter, während er das nächste Textholo aufrief. »Einhundertdreiundvierzig Verletzte, siebzehn Schwerverletzte«, las er.

Zu den Letzteren zählten auch der Kommandant Chart Deccon und die Erste Offizierin Rebecca Montgomery. Sie waren bis auf Weiteres nicht diensttauglich und wurden in der Medostation behandelt. Wenigstens war der Zustand der beiden stabil. Mit dem Einverständnis von Perry Rhodan als Expeditionsleiter hatte bis zu deren Genesung weiterhin die Arkonidin Thora die Befehlsgewalt an Bord inne. Niemand von der Besatzung zog ihre Qualifikation hierfür in Zweifel.

Die Ursache der Lichterscheinung, die sich um den Kommandantensessel gebildet und den zwei höchsten Offizieren der Schiffsführung schwere Verbrennungen zugefügt hatte, war mittlerweile identifiziert worden. Es war tatsächlich, wie Hayes kurz zuvor noch befürchtet hatte, eine von den Atorakten erzeugte Hyperenergiemanifestation gewesen. Der fünfdimensionale Impuls war als exotische Rückkopplung jenen Positronikschaltungen zurückgefolgt, mit denen die beiden die Energieversorgung des Libraschirms der SOL hatten stabilisieren wollen. Ähnliche Phänomene hatten sich an etlichen anderen Stellen auf der SOL ereignet, sie waren aber meist ohne Personenschaden geblieben.

Achtundzwanzig Männer und Frauen, darunter Rog Fanther, waren spurlos verschwunden – sie mussten sich an Bord jener Korvette befunden haben, die in letzter Sekunde ausgeschleust hatte. Mit welcher Absicht? Eine erste Inventur der Bereiche, auf die der Versorgungsoffizier zuletzt Zugriff gehabt hatte, ergab, dass zehn Stasiskapseln entwendet worden waren. Zehn kryotechnische Tiefschlafeinheiten – für achtundzwanzig Deserteure. Wenn das Fanthers Plan gewesen war, war er gründlich gescheitert.

Schmerzhafter als diese Wahnsinnstat traf Rhodan der Verlust von Alaska Saedelaere. Sie hatten den Techniker nicht mehr retten können. Selbst wenn er in seinem havarierten Raumboot überlebt hatte, war er nun längst tot – seit zehntausend Jahren.

Rhodan wechselte weiter zum Bericht von Hayes, Waringer und Leyden. Der Angriff durch Leticron und seine Kampfschiffe hatte die sensiblen Abläufe des Zeitübergangs gestört. Noch wussten die Experten nicht mit Sicherheit wie sehr.

Quellmeister Pankha-Skrin war spurlos verschwunden ... ebenso einer der neun Atorakte. Bestand da ein Zusammenhang? Auch das war unbekannt.

Breckcrown Hayes berichtete von ein paar merkwürdigen Statusanzeigen bei einer Reihe von wichtigen Hyperkristallkonglomeraten an Bord. Diese Messwerte mussten aber erst noch näher analysiert werden ...

Rhodan desaktivierte die Holos und versuchte einen Moment lang, die Augen zu schließen.

Thora meldete sich über das Bordkommunikationsnetz. »Wir haben endlich die Auswertung der Astrometrie und einiger Hyperfunkdaten«, sagte sie ohne Umschweife. »Wir wissen nun exakt, wann wir sind.«

Rhodan richtete sich auf und massierte seine Schläfen. Etwas an ihrer Stimme gefiel ihm nicht. »Lass hören.«

»Auf der Erde ist es der fünfte Oktober«, verkündete seine Frau. »Einundzwanzig sieben.«

Rhodan erstarrte. Zweitausendeinhundertsieben! Das hieß, es waren fast fünfeinhalb Jahre seit ihrer Reise in die Zeit der Methankriege verstrichen! Dabei waren für die Menschen der SOL subjektiv nur einige Wochen vergangen.

»Das ...« Ihm fehlten die Worte. So viel Zeit, einfach verloren! Was war mit der Erde? Dem Solsystem? Wie sah die Welt inzwischen aus?

»Ich weiß«, sagte Thora. »Und ich kann dir keine Antwort auf deine Fragen geben. Der Zeitsprung wurde gestört. Ich bin schuld daran.«

»Nein«, entgegnete Rhodan. »Hättest du nicht das Feuer erwidert, hätten wir noch mehr Treffer kassiert. Womöglich hätten die Überschweren uns sogar gerammt.«

Thora schwieg.

»Wir müssen nach Hause!«, entschied Rhodan.

»Nach Hause? Damit meinst du ...?«

»Ins Solsystem.« Thoras Frage war mehr als berechtigt, unterstrich jedoch die Dringlichkeit, Informationen zu sammeln. Waren Erde und Mond immer noch im Blauen System? Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln – und zuletzt war die Lage dort halbwegs stabil gewesen. Wie es den zurückgelassenen Freunden und Gefährten wohl ging?

Sol aber lag näher als Akon und mochte dringender auf Hilfe angewiesen sein. Der Verlust der Erde musste den Mars und die Reste der Terranischen Union in eine tiefe Krise gestürzt haben. Wahrscheinlich nahm man an, dass die Erde zerstört war und Milliarden von Menschen ihr Leben verloren hatten.

So schwer es ihm fiel – sie mussten zuerst zurück ins Solsystem.

»Wir haben keine Ahnung, wie es dort gegenwärtig aussieht«, warnte Thora. »Die Erde ist vor mehr als fünf Jahren verschwunden. Vermutlich halten Reg und alle anderen uns für tot.«

»Umso wichtiger, dass wir schnell ...«

»Was, wenn die Wahrheit über das Projekt Laurin herauskam?«, wandte sie ein. »Oder wenn man Lügen darüber verbreitet hat? Wenn du Pech hast, gibt es keine Terranische oder Solare Union mehr, Mars und Kolonien sind unabhängig und a Hainu und seine Freunde nicht sehr gut auf dich zu sprechen.«

Rhodan verstummte. Ihre Worte schmerzten, aber sie hatte recht.

»Lass uns zuerst Olymp anfliegen«, schlug sie vor. »Wenn man irgendwo die Krise heil überstanden hat, dann dort. So können wir Informationen sammeln, ohne dass wir gleich in ein Wespennest stechen. Und wenn alles in Ordnung ist, melden wir uns offiziell zurück und fliegen weiter.«

»In Ordnung«, sagte Rhodan. »Du hast recht. Ich komme in die Zentrale.«

Der Flug nach Olymp verlief ohne Probleme – bis kurz vor ihrem Ziel.

Die SOL hatte gerade für einen letzten Zwischenstopp rund hundert Lichtjahre vom Castorsystem entfernt haltgemacht und setzte zur letzten Transition an, als die Ortungsspezialistin Tanaka einen Laut der Überraschung ausstieß. »Da draußen tut sich was!« Die Finger der Japanerin flogen durch die Holos, während sie mit starrem Blick die Meldungen der Ortungssysteme auswertete. »Mehrere Schiffe sind aus dem Hyperraum materialisiert. Walzenraumer. Sie gehen in Angriffsformation!«

»Wie viele und wo?«, fragte Thora vom wieder reparierten Kommandantensessel aus.

»Fünf, etwa zwanzig Lichtminuten entfernt.«

»Haben sie uns entdeckt?«

»Unwahrscheinlich«, urteilte Tanaka. »Wir waren zuerst hier und beschleunigen nur ruhig geradeaus.«

»Und wen greifen sie an?« Rhodan trat neben seine Frau.

»Auswertung läuft ... drei Kugelschiffe. Langsame Fahrt. Ihre Energiesignaturen sind größtenteils typisch für terranische Raumfahrzeuge.«

»Vermutlich ebenfalls auf dem Weg nach Olymp«, meinte Thora. Zufallsbegegnungen im Weltraum kamen angesichts der gigantischen Weiten eher selten vor, aber viele Kommandanten unterteilten ihren Flug in gleiche Etappen und nutzten feste Orientierungspunkte entlang der Standardflugrouten. Daher stieg die Wahrscheinlichkeit im Umkreis wichtiger Handelswelten wie Olymp stark an.

»Was haben Walzenschiffe hier zu suchen?«, murmelte Rhodan. Es könnten Mehandor sein, überlegte er. Aber warum sollten sie Terraner angreifen? Mehandor sind normalerweise Händler, keine Piraten. Oder ... Ein unangenehmer Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Nein, unmöglich! Überschwere gibt es in unserer Zeit nicht mehr. Höchstens ... Sind uns die Gon-Mekara irgendwie durch das Zeitportal gefolgt?

»Fünf gegen drei sind jedenfalls fünf Walzen zu viel für meinen Geschmack«, beschloss Thora, die sich ähnliche Fragen gestellt haben musste. »Bringen Sie uns hin«, wies sie Kosum an. »Zügig, wenn's geht.«

»Ihr Wunsch ist mir Befehl.« Der Emotionaut schloss die Augen und leitete die Speicherenergien des Hantelraumers in die Strukturfeldprojektoren des Überlichtantriebs. Die Überwindung solch kurzer Distanzen erforderte, da die SOL bereits das notwendige Mindesttempo erreicht hatte, nur eine minimale Vorlaufzeit. Die Alternative wäre ein Flug mit Unterlichtgeschwindigkeit gewesen, der sie mehr als eine halbe Stunde kosten würde. Zu lange, wenn sie beim Ausgang des bevorstehenden Raumgefechts noch ein Wörtchen mitreden wollten.

Nur Sekunden später schlug der Cyboraner seine Augen wieder auf, und vor ihnen im zentralen Außenbeobachtungshologramm entspann sich eine dramatische Szene. Fünf zylindrische Raumfahrzeuge von je tausend Metern Länge setzten wie gemeldet drei anderen, eher kugelförmigen Raumschiffen zu.

Kein Zweifel – das sind tatsächlich Gon-Mekara!, erkannte Rhodan beim Anblick der schwarzen, waffenstarrenden Walzen. Abermals drängte sich ihm der Gedanke auf: Sind wir irgendwie dafür verantwortlich, dass sich Kampfraumer der Überschweren im Hier und Jetzt befinden?

Es war eigentlich extrem unwahrscheinlich, dass Einheiten aus Leticrons Flotte der SOL bei ihrem stürmischen Ritt in die Gegenwart unbemerkt gefolgt waren, sie sogar überholt hatten und sich nun ausgerechnet entlang der Route nach Olymp eine Schlacht mit anderen Schiffen lieferten. Aber war es vielleicht denkbar, dass die Gon-Mekara vor der SOL angekommen waren? Oder hatten die Handlungen von Rhodan und seinen Leuten in der Vergangenheit doch zu einer Veränderung der Zeitlinie geführt? Was, wenn deshalb die Überschweren in dieser Gegenwart an der Macht waren? Oder war alles nur ein absurder Zufall?

Er wischte die Gedanken beiseite, als ihm zwei weitere Dinge auffielen: Zum einen wiesen die drei angegriffenen Schiffe eine Rhodan unbekannte Bauart auf. Sie waren nur entfernt kugelförmig; glichen eher dicken Tropfen, die von vier massiven Auslegern flankiert wurden. Rhodan hatte solche Raumfahrzeuge noch nie gesehen. Jedes hatte in etwa die Dimensionen eines terranischen Schlachtkreuzers und wirkte damit zwar kleiner, aber auch deutlich bauchiger und massiver als die länglichen Gegner.

Zum anderen war er sich auf einmal nicht mehr sicher, wer die Angreifer und wer die Angegriffenen waren.

»Da ist noch ein sechstes Walzenschiff«, stellte gleichzeitig auch Tanaka fest. »Es ist kleiner, treibt antriebslos durchs All und strahlt nur schwache Energieemissionen ab. Deshalb haben wir es bei der ersten Ortung nicht bemerkt.«

»Mehr Details!«, verlangte Thora.

Tanaka vergrößerte den betreffenden Bildausschnitt und unterteilte ihn in mehrere große Holos mit normaloptischen und taktischen Darstellungen sowie zahlreichen ergänzenden Datenfenstern, die ausführliche Auswertungen der Ortungsdaten lieferten.

Das in den Fokus gerückte Walzenschiff verschwand mit seinem dunklen Anstrich fast vor der Schwärze des Alls. Seine Triebwerke waren erloschen, und nur die Ahnung einer schwachen Notbeleuchtung glomm düster aus den weit geöffneten Außenschleusen und -luken. Davon abgesehen wies es jedoch keine erkennbaren Schäden auf. Mehrere kleine Raumfahrzeuge lösten sich gerade von dem leblosen Zylinder und flohen in den Schutz ihrer Mutterschiffe.

»Das sind Space-Disks«, sagte Thora. »Was hatten die an Bord der Walze verloren? Tanaka: Nehmen Sie eine Massenbestimmung der Diskusboote vor!«

Die Ortungsspezialistin bearbeitete die Bedienholos ihres Positronikpults mit der Präzision einer Künstlerin. »Voll beladen.« Sie überprüfte eine weitere Anzeige und schürzte kritisch die Lippen. »Triebwerksleistung außerhalb normaler Flottenparameter.«

»Sie haben das Walzenschiff geplündert«, schlussfolgerte Thora.

Rhodan musterte abermals die tropfenförmigen Schiffe. Die vier großen, mit wuchtigen, v-förmigen Auslegern an das Heck montierten Gondeln, welche die Kugelzelle wie die Arme eines Kerzenleuchters umgaben, schienen nicht Teil des Antriebs zu sein. Dafür befand sich hinter dem Heck ein auffälliger Reaktorblock. »Was können Sie uns über Bewaffnung und Antrieb dieser sonderbaren Schiffe sagen?«

»Polgeschütze mit Impulskanone, Thermostrahlern und weiteren Systemen«, erläuterte Tanaka die mit rasender Geschwindigkeit durchs Holo huschenden Datenströme. »Die Ausstattung der Gondeln ist unbekannt. Unsere Ortungssensoren messen Posbisignaturen an. Das am Heck ist ein Black-Hole-Protonenreaktor.«

»Posbitechnologie?«, staunte Rhodan. Das hieß, diese Raumfahrzeuge waren trotz ihrer geringeren Größe mit einem vergleichbaren Antrieb ausgestattet wie die SOL!

»Die Walzen greifen an!«, rief Tanaka mehr verärgert als erschrocken. Schon entspann sich ein heftiger Schlagabtausch mit Impulsgeschützen zwischen den Zylinder- und den Gondelraumern. »Die Walzen rufen die anderen Schiffe«, fuhr sie fort. »Sie fordern ihre Gegner auf, sich zu ergeben – im Namen der Exemplarischen Instanz und des Ersten Hetran der Milchstraße.«

Rhodans Sorge nahm weiter zu. Die Exemplarische Instanz? Was sollte das sein? Er wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, aber offensichtlich gab es einen neuen Machtfaktor im galaktischen Kräftespiel.

»Keine Antwort?«, vergewisserte sich Thora.

Tanaka verneinte. »Wahrscheinlich hat man sich alles gesagt, was es zu sagen gab.«

Im Schutz seiner aufglühenden Energieschirme schleuste der letzte Gondelraumer seine Beiboote ein, während die anderen ihm Feuerschutz gaben. Noch hatte keine Seite einen direkten Treffer erzielt.

»Wir gehen rein!«, entschied Thora kühl. »Vielleicht überlegen sie es sich dann noch einmal.« Rhodan sah, wie ihre Finger unmerklich die Lehnen ihres Sessels umklammerten und eine Sehne an ihrem Hals hervortrat. Er war sich aber auch sicher, dass er der Einzige in der Zentrale war, der diese Angespanntheit seiner Frau bemerkte.

Die Raumfahrzeuge in den Segmenten der Holosphäre wurden größer, während Kosum die SOL ins Kampfgeschehen steuerte. Der viertausend Meter lange Hantelraumer war ein mehr als beeindruckendes Schiff und mit Sicherheit das einzige dieser Art, das die anderen Kommandanten je gesehen hatten. Mit etwas Glück brachen die Walzen ihren Angriff unter diesen Bedingungen ab, ohne dass die SOL einen Schuss abgeben musste. Und solange die Schiffsführung der SOL nicht sicher war, wem diese Gondelraumer gehörten und worum es da draußen eigentlich ging, war es vielleicht nicht weise, Partei zu ergreifen ...

Ein Alarm gellte los.

»Sie nehmen uns ins Visier.« Tanakas weiß geschminktes Gesicht schien vor Fassungslosigkeit und Zorn noch bleicher zu werden. »Sie schießen auf uns!«

»Feuer erwidern!«, rief Thora.

Vidonia Rocha befolgte diese Anweisung, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

Rhodan eilte zu seiner dem Expeditionsleiter vorbehaltenen Arbeitsstation, während die Zustandsmeldungen schon über die Holos huschten und die Zentraleoffiziere einander Befehle zuriefen. Das vorderste Walzenschiff hatte eine Salve auf die SOL abgefeuert, die jedoch im starken Libraschirm des Hantelraumers verpufft war. Für den Moment waren die Menschen an Bord noch sicher ...

»Da tut sich was.« Tanakas Augen wurden noch größer, ihre Finger flogen geschickt über die Holos. »Sie leiten Energie in ein weiteres Waffensystem. Die Emissionen entsprechen ... Das ist eine Transformkanone!«

Wie war das möglich? Auf einen Schlag schwebten sie in höchster Gefahr. Transformkanonen versetzten ihre Geschosse in einen aluiden Zustand, wodurch diese sogar höchstwertige Schutzschirme durchdringen und ihr Zerstörungswerk direkt im gegnerischen Ziel anrichten konnten. Die Konstruktionsunterlagen dieser übermächtigen Waffe galten seit der Zerstörung von Archetz als vernichtet. Nur die Posbis kannten die Herstellungsgeheimnisse der Transformkanone, und die Menschheit verfügte lediglich über ein einziges Exemplar an Bord der FERNAO, dem Hauptbeiboot der MAGELLAN.

»Punktbeschuss!«, ordnete Thora an. »Mit allen Waffenringen. Module abkoppeln und synchronisieren. Impulsstrahler auf die Schirme, dann Desintegratoren auf die gegnerischen Waffensysteme und Energiereaktoren. SENECA, du übernimmst die Feinkoordination unserer Geschützplattformen! Kosum, bringen Sie uns näher ran. Na los, alle Energie auf die Waffen. Schirme auf Minimalleistung, und alles, was wir gerade nicht brauchen, schalten Sie ab!«

Die Arkonidin starrte mit einem entschlossenen Blick ihrer roten Augen ihren Feinden entgegen. Sie hatte verstanden, dass ihnen nur zwei Optionen blieben: sofortige Flucht mit einer Nottransition oder ein vernichtender Schlag, ehe die Walze ihrer Transformkanone die nötige Energie zuführen konnte. Die FERNAO brauchte dazu zwei Minuten, wenn ihr genug Energiereserven zur Verfügung standen. Niemand wusste, wie schnell die mutmaßlichen Überschweren waren.

Mentro Kosum richtete den Hantelraumer frontal auf den Gegner aus, damit sämtliche Waffenringe ein optimales Schussfeld hatten. Die Feuerleitoffizierin Rocha übergab die Kontrolle der Waffensysteme an SENECA. Die KI löste die Geschützmodule der hinteren drei Ringe aus ihren Andockbuchten, lenkte sie in bestmögliche Feuerpositionen und taktete ihre Salven so, dass alle Waffenstrahlen gebündelt und möglichst effizient ihr Ziel trafen. Ein solches Gefecht, in dem es um jeden Treffer und jede Sekunde ging, überstieg die Reaktionsfähigkeiten eines Menschen.

Gebannt verfolgten Rhodan und die anderen Mitglieder der Zentralebesatzung das gleißende Plasmagewitter, das zweiundsiebzig schwere Impulsgeschütze gleichzeitig über den Schirm ihres Gegners ausschütteten. Das Walzenschiff setzte sich zur Wehr, war der mächtigen und vierfach größeren SOL jedoch hoffnungslos unterlegen. Schon nach wenigen Augenblicken brach der Schutzschirm des Zylinderraumers zusammen. Rhodan hielt den Atem an, wartete auf ein Zeichen, dass die Überschweren abdrehten oder kapitulierten, doch sie beschleunigten sogar noch auf die SOL zu und luden weiter ihre Waffen.

Sie hatten ihre Chance gehabt und verspielt.

Thora zerstörte sie ohne ein Wimpernzucken.

Die Holosphäre dämpfte die Helligkeit der Explosion. Trümmer des Walzenschiffs verglühten im Libraschirm der SOL wie Sternschnuppen. Sobald die Zentraleoffiziere wieder etwas erkennen konnten, sahen sie die vier anderen Walzen auf sich zukommen – und auch die drei Gondelraumer, die zur Unterstützung der SOL heraneilten.

Mit vereinten Kräften hatten sie leichtes Spiel mit den Überschweren. Zwei weitere schwarze Kampfschiffe vergingen im konzentrierten Beschuss. Eine der beiden verbliebenen Walzen versuchte, auf Abstand zu gehen, wahrscheinlich um ihre Transformkanone einzusetzen. Da geschah etwas Eigenartiges: Ein Gondelraumer nahm Kurs auf sie und aktivierte die Gerätschaften in seinen Auslegern. Ein vierfacher Energiestrahl traf die Walze und ließ ihren Schutzschirm kollabieren – offenbar verursachte der Treffer einen bordweiten Energieverlust beim Gegner, denn auch seine Waffensysteme wurden nicht länger geladen.

Der Gondelraumer raste weiter auf sein Opfer zu und schoss eine zweite Salve auf die Walze ab. Diesmal gingen drüben buchstäblich alle Lichter aus. Antriebslos und dunkel trieb das Zylinderschiff durchs All.

Genau wie das kleinere sechste Raumfahrzeug, dachte Rhodan. Was ist das für eine Waffe? Plündern sie so ihre Gegner?

»Die letzte Überschwerenwalze ergreift die Flucht«, meldete Tanaka.

»Was ist mit dem antriebslosen Schiff?«, fragte Thora »Können wir das bergen, ehe unsere neuen Freunde es sich schnappen?«

»Ich orte Lebenszeichen von drüben, aber keine sonstige Aktivität«, informierte Tanaka sie. »Wir könnten versuchen, sie mit Traktorstrahlen ...«

»Probieren Sie's!«, entschied Thora.

Kaum hatten die Traktorstrahlen der SOL das schwarze Raumfahrzeug erfasst, zerbarst es in einem Feuerball.

»Was war das?«, rief Thora zornig.

Tanaka richtete sich verdutzt die Frisur. »Anscheinend hatten sie noch genug Energie zur Selbstzerstörung für einen Fall wie diesen. Oder es war ein automatisches System.«

Rhodan fluchte leise. Er hasste es, wenn Kommandanten leichtfertig das Leben ihrer Crew wegwarfen, nur damit ihr Schiff und dessen Waffen nicht in feindliche Hände fielen.

Es war vorbei. Das geflohene Schiff verschwand in den Hyperraum, und nur die geplünderte Walze und die drei Gondelraumer blieben.

»Sie rufen uns«, verkündete Mai Tai Tanaka.

»Stellen Sie durch.« Thora hob erwartungsvoll das Kinn. »Ich bin gespannt, wem wir gerade das Leben gerettet haben.«

»Hier Vitalierraumer GÖDEKE MICHELS«, meldete sich eine launige Stimme über Funk. »Es spricht Kapitän Meynster. Schönes Schiff, das Sie da haben. Ulkige Form, aber gute Kanonen! Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Rhodan versuchte fieberhaft, das Gehörte zu verarbeiten.

Wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört? Vitalier – so wie die Vitalienbrüder des Mittelalters? Meynster ... Meynster!

»Thora Rhodan da Zoltral, Kommandantin der SOL«, antwortete Rhodans Frau sachlich. »Was hielten Sie davon, wenn Sie ...«

»Na, wenn das mal kein Zufall ist!«, unterbrach die fröhliche Stimme. »Calamity, bring doch mal unsere beiden Landratten an Deck!«

»Wir stehen direkt hinter Ihnen«, mischte sich eine höfliche Stimme aus dem Hintergrund ein, bei der es Rhodan den Atem verschlug. »Und ›Landratten‹? Ich muss doch sehr bitten. Ihre Phantasie geht wieder mal mit Ihnen durch, Kapitän.«

Auch Thora hatte sich erhoben und schaute mit weiten Augen zu dem anderen Schiff hinüber. »Thomas?«

»Hallo, Mom«, antwortete Thomas Rhodan da Zoltral. »Schön, dich zu hören. Ist Dad auch an Bord?«

»Ich bin hier, Tom« Rhodan gab sich Mühe, dass man seiner Stimme nicht anhörte, wie sein Herz gerade Freudensprünge machte. »Wie geht es dir?«

»Gut«, sagte Thomas. Perry Rhodan hörte das verschmitzte Lächeln aus der Stimme seines Sohns. Wahrscheinlich ruhten auch an Bord des Vitalierschiffs gerade alle Augen auf Tom, und er wollte sich keine Blöße geben. »Was sagst du – warum kommen wir nicht zu euch an Bord und bereden alles? Jessica ist auch bei mir.«

»Jessica Tekener?«

»Ja klar. Wir haben ... hm, viel zu erzählen. Wäre das gut?«

Rhodan tauschte einen Blick mit Thora und sah die Tränen der Überraschung in den Augen seiner Frau.

»Das wäre wunderbar.«, bejahte er und wandte sich ab, bevor ihm selbst die Tränen in die Augen stiegen. »Ich empfange euch an der Schleuse! Rhodan aus.«

»Es ist wunderschön«, sagte Thomas. »Einfach atemberaubend.«

Sie spazierten auf einem Hang entlang der hohen Wohntürme, die sich mit ihren vielfältig gestalteten, durch Fahrstühle verbundenen Etagen wie Perlenketten zur hundert Meter hohen Decke spannten. Die Außenwände und Balkone waren begrünt, wie fast alle freien Bereiche rings um die Gebäude. Breite Gehwege schlängelten sich im Tal von Turm zu Turm durch Wälder und an kleinen Seen vorüber. In Wahrheit durchmaß das kreisrunde Areal bloß tausend Meter, doch Holoprojektoren schufen die Illusion von Bergen und Wolken in der Ferne. Sie hätten sich am Rand irgendeines europäischen Mittelgebirges aufhalten können. Vögel zwitscherten und Insekten surrten, manche davon waren sogar echt. In den Cafés am Fuß der Wohntürme lachten die Menschen. Nur aus Richtung der Zentrale, die wie ein großes Amphitheater in die Parklandschaft eingebettet war, drangen leise technische Geräusche, die verrieten, dass sie sich auf einem Raumschiff befanden – einem Raumschiff, das in seinem Innern ganze Welten barg.

»Und das alles hat NATHAN gebaut?«, fragte Tom.

Sie nahmen auf zwei Bänken an einem Aussichtspunkt Platz, der das flache Tal überblickte. Nur gelegentlich kamen andere Spaziergänger vorüber – Besatzungsmitglieder, die ihre Freizeit genossen. Doch die meiste Zeit waren Perry Rhodan, Thora, Thomas und Jessica ungestört.

»Ursprünglich als Generationenschiff«, bestätigte Rhodan. »Für den Fall, dass wir es brauchen.«

»Das tun wir aber nicht, oder?«, vergewisserte sich Jessica.

»Noch nicht«, sagte Rhodan, war sich der unausgesprochenen Frage aber durchaus bewusst: Was trieb NATHAN dazu, ein solches Projekt anzustoßen? Was wusste die Hyperinpotronik, das sie den Menschen nicht enthüllte? »Hoffentlich nie.«

Sie hatten Thomas und seiner Lebensgefährtin bereits in groben Zügen geschildert, was sie seit dem Aufbruch der SOL alles erlebt hatten: den Vorstoß zur Quantenquelle im Zentrum von M 3, die Versetzung in die ferne Vergangenheit, die Konflikte im Großen Imperium vor zehntausend Jahren und die Rückkehr in die Gegenwart mithilfe des Zeitbrunnens der Elysischen Welt.

Im Gegenzug hatte Thomas seinen Eltern berichtet, wie er und seine Partnerin vor fünf Jahren nach Jessicas Befreiung untergetaucht waren; wie sie sich bald darauf den Vitaliern angeschlossen – und an Bord der GÖDEKE MICHELS geheiratet hatten.

»Wie legal verbindlich Letzteres war, wusste niemand so genau«, ergänzte er mit einem Augenzwinkern. »Die Rechtslage in der Union ist zurzeit sehr unklar. Aber Meynster war gerührt, uns zeremoniell trauen zu dürfen.«

Rhodan und Thora schlossen ihren Sohn und ihre Schwiegertochter in die Arme.

Tom hatte auch ihre Sorgen um die Erde zerstreut, die nach wie vor unversehrt um die Sonne Akon kreiste. Zugleich hatte er den schrecklichen Verdacht bestätigt, der Rhodan seit dem Kampf mit den schwarzen Walzen geplagt hatte: dass ausgerechnet die Überschweren zur dominierenden Macht in der Lokalen Blase sowie dem arkonidischen Imperium geworden waren.

»Und Leticron ist nach wie vor ihr Anführer?«

»Er nennt sich jetzt Erster Hetran, ja.«

Rhodan war von dieser Nachricht entsetzt. Wie konnte das sein? Er weigerte sich zu glauben, dass das alles ein Zufall war, verstand die Hintergründe aber nicht. Hatten ihre Taten in der Vergangenheit zu dieser neuen Gegenwart geführt? War dies eine weitere mögliche Wirklichkeit, eine Chronophase, die sich nie hätte verwirklichen dürfen? Oder hatte die Quantenquelle sie in die Vergangenheit versetzt, weil oder damit sich diese Wirklichkeit ereignete? Waren sie Teil eines Plans oder schon lange gescheitert? Gab es eine andere Erklärung, die er nur nicht durchschaute, weil ihm noch nicht genug Fakten bekannt waren? Etwas oder jemand hatte Leticron in ihre Gegenwart geführt ...

»Wie schlimm ist es?«, fragte er seinen Sohn. »Erzähl mir von daheim.«

»Meinem Daheim oder deinem Daheim?«, scherzte Thomas und ließ den Blick über die umgebende Landschaft schweifen. »Meine Güte, ist das lange her, dass ich unter freiem Himmel saß!«

Rhodan wies ihn nicht abermals darauf hin, dass sie sich nach wie vor im Innern eines Raumschiffs befanden. Er kannte die Macht der von NATHAN geschaffenen Illusion, und er kannte den Tribut, den zu viele Jahre zwischen stählernen Wänden und Decken Menschen abverlangten. Er vermisste die unbeschwerten Zeiten in seinem Haus auf einer Insel des Goshunsees.

»Es tut gut zu hören, dass wenigstens die Erde in Sicherheit ist«, sagte Rhodan.

»Terrania, der Pazifik, die Pyramiden – alles noch an seinem Platz.« Tom lächelte schwach. »Bloß die Erde selbst leider nicht.«

Er und Jessica Tekener gehörten zu den wenigen Menschen, die von der Versetzung der Erde samt ihrem Mond ins Blaue System der Akonen wussten. Dieses Wissen, das war Rhodan völlig klar, war ein Privileg – wenn die Gon-Mekara davon erfuhren, brächte dies Drorah wie die Erde in fürchterliche Gefahr. Rhodan war dankbar um dieses Geheimnis. Die Erde in Freiheit zu wissen, spendete Kraft. Er fragte sich, was die Ungewissheit über das Schicksal der Hauptmenschheit mit den im Solsystem Zurückgelassenen angerichtet hatte.

»Fünf Jahre sind eine lange Zeit«, sagte Thomas und sah ihn an. »Lange genug, dass viele Menschen den Mut verlieren.«

»Aber nicht du«, stellte Thora fest und drückte Tom an sich. »Nicht du.« Die Arkonidin strich ihrem Sohn übers Haar.

Rhodan schluckte, und ein scharfer Schmerz stach durch seine Kehle. Fünf Jahre mochten im zweiundzwanzigsten Jahrhundert keine lange Zeit im Leben eines Menschen mehr sein. Schon gar nicht für einen relativ Unsterblichen. Für Rhodan aber war es eine Ewigkeit – genau die fünf Jahre, die bewirkten, dass er sich nicht länger etwas vormachen konnte.

Thomas war mittlerweile biologisch älter als Thora oder Rhodan. Sein Sohn war sechsundsechzig Jahre alt. Rhodans Alterung war mit zweiundfünfzig durch einen Zellaktivator gestoppt worden, Thoras mit sechsundfünfzig. Es war seltsam genug gewesen, etwa gleich alt wie ihre Kinder zu wirken; in Rhodans Vorstellung war Tom stets jünger als er selbst. Ihn nach nur einigen Wochen schlagartig um fünf Jahre gealtert zu sehen, zerstörte diese Illusion. Er hatte bereits einen Sohn verloren – und er würde eines Tages noch einen zweiten verlieren.

Thomas löste sich von seiner Mutter und griff nach Jessicas Hand. Seine Ehefrau war noch einmal acht Jahre älter als Tom. Und obgleich die Jahre und die erlittenen Traumata ihrer Schönheit nichts hatten anhaben können, waren Jessica und Thomas nun beide in einem Alter, in dem die meisten Menschen sich nicht mehr an Kindern versuchten. Vielleicht, dachte Rhodan bitter, war es leichter ohne Enkel.

»Nein, wir haben die Hoffnung nicht verloren«, versicherte Thomas. »Aber es fällt von Jahr zu Jahr schwerer. Leticron hat seine Herrschaft gefestigt – der Interimsrat der Terranischen Union ist nur sein Sprachrohr. An ein echtes ›Interim‹ glaubt ohnehin niemand mehr. Das gesamte Solsystem ist Besatzungszone. In den außersolaren Kolonien ist es etwas besser, aber nicht viel. Und im Wegasystem ist es schlimmer ... genau wie auf Arkon, wenn die Gerüchte stimmen.«

Thora kniff die Lippen zusammen. »Diese dreckigen, ehrlosen ...« Sie schüttelte den Kopf, denn sie wusste selbst, dass der Hass auf die ehemaligen Vasallen des Imperiums sie nicht weiterbrachte. »Wie kann es sein, dass Arkon von Jahrzehnt zu Jahrzehnt tiefer in den Abgrund stürzt? Man sollte meinen, wir hätten genug für unsere Fehler gezahlt!«

»Mit wie vielen Gegnern haben wir es zu tun?«, fragte Rhodan.

»Mindestens zehntausend Kampfschiffe – plus eine unbekannte Anzahl, die sie in den vergangenen fünf Jahren noch gebaut haben«, antwortete Thomas. »Die größeren Modelle sind mit Transformkanonen ausgerüstet.«

»Deren Produktionsstätten wurden doch alle bei der Vernichtung von Archetz zerstört?«, wunderte sich Thora.

»Anscheinend doch nicht«, sagte Jessica, die den Untergang der Zentralwelt der Mehandor aus nächster Nähe erlebt hatte. »Es muss anderswo weitere Fertigungsanlagen gegeben haben. Aber das sind nur Mutmaßungen.«

»Elende, ehrlose, verlogene ...«, murmelte Thora.

»Es tut mir leid«, sagte Rhodan. »Es tut mir leid, dass ich nicht da war. Es war töricht, was wir getan haben. Das Projekt Laurin entstand, weil wir unsere eigenen Kolonien für die größte uns drohende Gefahr hielten. Dann ging alles schief – und wir haben euch in dieser furchtbaren Lage alleingelassen. Wir sind schuld daran, dass unzählige Menschen fünf Jahre lang leiden mussten.«

»Vielleicht war es besser so«, entgegnete Thomas.

Rhodan stutzte. »Wie meinst du das?«

»Vielleicht wäre alles noch schlimmer gekommen, wenn du da gewesen wärst. Dass die Erde verschwunden ist, hat nicht nur die Kolonisten, sondern auch die Invasoren überrascht. Leticron hat mehrfach betont, dass ihm vor allem an der Erde gelegen ist – und an dir. Er sucht seit mehr als fünf Jahren nach dir, Dad.«

Rhodan schüttelte fassungslos den Kopf. Was wollte dieser Despot von ihm? Und wie nur hatten der Überschwere und seine Kriegsflotte den Abgrund der Jahrtausende überbrückt? Hatte er ebenfalls Hilfe auf seinem Weg gehabt? War dies ein neues Ringen, ein Machtkampf zwischen kosmischen Kräften?

»Wenn die Überschweren die Erde erobert hätten, wäre alles noch viel schlimmer«, stimmte Jessica ihrem Mann zu. »Wir glauben, dass Leticron das Solsystem auch deshalb schont, weil er weiß, dass du dorthin zurückkehren wirst.«

»Die meisten Menschen halten dich inzwischen für tot«, sagte Thomas bitter. »Leticron aber hat die Hoffnung nie aufgegeben.« Dann wurden seine Züge weicher. »So wie ich.«

Rhodan schloss seinen Sohn in die Arme. Dass Tom mehr als fünf Jahre mit der Hoffnung hatte ringen müssen, brach ihm das Herz. Rhodan wusste, wie es war, wenn ein geliebter Mensch auf einmal spurlos verschwand. Er hatte es erlebt, als seine Tochter Nathalie in jungen Jahren verschollen gewesen war. Eine Erfahrung, die auch ihren Bruder geprägt hatte.

Das Gleiche hat Jessica mit ihrem Bruder durchgemacht. Und Thomas wiederum mit ihr. Wird diese Familie nur von Leid verbunden ...?

»Wie geht es Reg?«, fragte Rhodan schließlich.

»Nicht gut«, antwortete Thomas. »Er ist nicht wieder abgestürzt, falls du das befürchtet hast«, schob er schnell nach. »Nach außen hin erfüllt er seine Pflicht, und er schafft es irgendwie, den Mars und die Kolonien vor noch größerem Leid zu bewahren. Aber letztlich muss er tun, was Leticron ihm befiehlt – und er zerbricht daran. Das Einzige, was ihn aufrecht hält, sind die unregelmäßigen Neuigkeiten, die Gabrielle Montoya ihm mit geheimen Kurierschiffen aus dem Blauen System übermittelt. Von ihr wissen wir, dass die Erde noch existiert und die Menschheit in Sicherheit ist. Und dass wir in den Akonen tatsächlich Freunde gefunden haben.«

Rhodan hatte keinen Zweifel daran, dass sich Reginald Bull in einer furchtbaren Lage befand. Fünf Jahre in einer machtlosen Regierung unter der Herrschaft der Überschweren – fünf Jahre der Besatzung. So etwas ging an niemandem spurlos vorüber.

»Ich muss ihn sehen!«, beschloss Rhodan. »Ich muss Reg sagen, dass ich zurück bin.«

»Wir sollten behutsam vorgehen«, mahnte Thomas. »Solche Kontaktaufnahmen sind außerordentlich riskant, und ich weiß auch nicht, ob es klug ist, Onkel Reg noch mehr Wissen aufzubürden, mit dem er im Moment nichts anfangen kann. Je mehr er weiß, desto größer die Gefahr, in der er schwebt ... und das Unheil, das er über uns bringen kann.«

»Das klingt, als ob du Zweifel an ihm hegst«, bemerkte Rhodan ernst.

»So will ich das nicht sagen«, wehrte Tom ab. »Ich habe bloß sehr lange nicht mehr mit ihm gesprochen, und bei meinem letzten Versuch, ihn zu kontaktieren, hat er die Verbindung verweigert ...«

Fünf Jahre, erinnerte sich Rhodan abermals. Für ihn mochte es nur einige Wochen her sein, dass er mit seinem Freund das verhängnisvolle Projekt Laurin diskutiert hatte. Doch für Reg waren fünf endlose Jahre der Niederlagen und Demütigung ins Land gegangen.

»Thomas hat recht«, pflichtete Thora ihrem Sohn bei. »Wir sollten ins Blaue System fliegen und uns mit den dortigen Vertretern der Terranischen Union beraten.«

»Das dauert zu lange«, widersprach Rhodan entschieden. Natürlich war es lästig, dass es keine Hyperfunkverbindung nach M 3 gab – aber dass ausgerechnet Thora mit ihrer legendären Hitzköpfigkeit ihn zu Beratungen mahnte, überraschte ihn. »Verstehst du nicht, dass ich Reg nicht länger hängen lassen kann? Außerdem brauchen wir aktuelle Informationen – direkt von der Quelle. Was bringen uns Beratungen, wenn niemand aus erster Hand weiß, wie es im Solsystem aussieht? Es kann doch nicht so schwer sein, ein kleines Team dort reinzuschmuggeln!«

Thora schwieg, aber das nervöse Zucken eines Mundwinkels und die Andeutung eines Augenrollens verrieten ihm, was seine Frau von diesem Vorschlag hielt.

»Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit«, sagte Jessica Tekener bedächtig.

Als sich alle Blicke auf sie richteten, sah sie aus, als bereue sie ihre Worte.

»Meinst du eure neuen Freunde?« Rhodan gestattete sich ein Schmunzeln. »Mein Sohn mag sich sorgen, dass ich ihn schlecht aussehen lasse. Aber ich hätte nichts dagegen, auf einem Piratenschiff anzuheuern.«

»Wir sind keine Piraten!«, brauste Tom auf.

Rhodan hob eine Braue. »Erzähl mir mehr darüber. Was für euch gut genug ist, soll mir ebenfalls recht sein.«

»Die Vitalier verstehen sich in erster Linie als Helfer in Zeiten der Unterdrückung«, erläuterte Thomas. »Wir unterstützen das Freiheitsstreben in den Kolonien und sind den Besatzern ein Stachel im Fleisch – aber einen offenen Konflikt können wir uns nicht leisten.«

»Ihr habt euch gut geschlagen«, sagte Rhodan. »Ich brenne darauf, zu erfahren, wie ihr diese Walzen ausgeschaltet habt – und was es mit euren Raumschiffen auf sich hat. Das sind Posbiwaffen, nicht wahr?«

Jessica tauschte einen Blick mit Thomas. »Aber wir haben nicht annähernd genug Schiffe, um es mit der Flotte der Überschweren aufzunehmen.«

Sie sind sich nicht sicher, wie viel sie mir sagen sollen. Rhodan konnte es ihnen nicht verübeln. Fünf Jahre Überlebenskampf hätten ihn ebenfalls vorsichtig werden lassen. Schließlich waren Thomas und Jessica nicht bloß der Familie, sondern auch ihrem Kapitän und ihren Kameradinnen verpflichtet.

»Wie also könnt ihr helfen?«, fragte Rhodan rundheraus.

»Die Vitalier verfügen im Prinzip tatsächlich über Möglichkeiten, ein kleines Team unbemerkt ins Solsystem zu schleusen«, gab Tom zu. »Das Hauptproblem sind die dortigen Ortungsinstallationen. Die Überschweren haben unsere Anlagen auf dem Pluto übernommen. Sogar uns fällt es sehr schwer, uns unterhalb ihres Radars zu bewegen. Bildlich gesprochen, wenn du verstehst.«

»Wir könnten euch dabei unterstützen, die Orter außer Gefecht zu setzen«, bot Rhodan an. »Oder dafür sorgen, dass sie in die falsche Richtung schauen.« Ein Plan reifte in ihm. »Gesetzt den Fall, wir schaffen es bis ins Innere des Systems – wie ginge es dann weiter?«

»Wir kennen eine Handvoll Leute im Asteroidengürtel«, sagte Jessica Tekener. »Natürlich ist nicht allen zu trauen ...«

»Um bis zum Mars zu kommen und dort unbemerkt ein Treffen mit Onkel Reg zu arrangieren, braucht es mehr«, warnte Thomas. »Kontakte, Ressourcen und Leute vor Ort. Es gibt nur eine Fraktion, die über diese Möglichkeiten verfügt – und ich weiß nicht genau, wie sie auf unser Anliegen reagieren wird.«

»Von wem redest du?«, fragte Perry Rhodan.

Thomas Rhodan da Zoltral holte tief Luft. »Vom Widerstand«, sagte er. »Dem neuen Widerstand. Sein Name ist Condos Vasac.«

1.

Der Krake

Die Lage in den Kolonien ist weiter kritisch. Die Strafaktion auf Ertrus, die Arbeitsniederlegungen auf Siga und die Versorgungsengpässe auf Plophos haben zu einer humanitären und wirtschaftlichen Notlage geführt, deren Auswirkungen die gesamte Solare Union betreffen. Die Exemplarische Instanz hat Hilfe zugesichert, doch einzelne Stimmen des Mars Councils melden Zweifel an. Die Instanz sei Teil des Problems, nicht der Lösung, so ein Ratsmitglied, das nicht namentlich genannt werden möchte und auf die übervollen Straflager und die prekäre Lage der ferronischen Zwangsarbeiter verwies. Ein Sprecher von Kaiser i Bakama bot derweil rasche und unbürokratische Hilfe an.

Meysenhart Galactic News, 5. Oktober 2107

Der Krake glitt durch das Gedränge vor dem abgesperrten Landeplatz. Die große Terrasse bot eine eindrucksvolle Aussicht auf den Canyon und die Stadt; erst beim Blick in die Tiefe wurde einem bewusst, wie groß Leticrons Festung tatsächlich war. Jeder Durchgang, jede Tür, jede Treppe war für zwei Meter große und anderthalb Meter breite Hünen in Kampfanzügen dimensioniert. Aber auch für sich genommen war die an eine altertümliche Granitburg gemahnende Festung ein beeindruckendes Bauwerk. Nur wenige Wolkenkratzer in Bradbury Central überragten sie.

Der Krake wurde der Krake genannt, weil er, wie schon die alte Redewendung sagte, seine Arme überall hatte: in der Wirtschaft, den Behörden, der Polizei, den Dienstleistern und auf der Straße. Der Krake ertastete Neuigkeiten, steuerte Ströme, handelte mit Gefälligkeiten, spielte auf der Klaviatur von Angebot, Nachfrage und Macht. Dennoch wusste er genauso wenig wie die anderen Gäste, weshalb genau er eigentlich hatte herkommen sollen. Teils war dies sein Grund: herauszufinden, wozu er an diesem Ort war und – wichtiger noch – weshalb er den Anlass nicht kannte. Geheimnisse dieser Art erregten sein Interesse, und der Krake hasste Überraschungen.

Man musste es den Überschweren lassen. Ihre Geheimhaltung funktionierte in der Regel bestens. Leticrons Untergebene hielten dicht. Bekannt war diesmal lediglich, dass Nauconar, sein Berater für Infrastruktur, den neuen Projektleiter der Großbaustelle am Cassini City Square vorstellen wollte. Nach fünf Jahren der Hörigkeit und der Abhängigkeit von der Gunst der Besatzer schien das genug, um Presse und Schaulustige anzulocken.

Manchmal nutzte Leticrons innerer Kreis solche Gelegenheiten, besonders verdienten Vasallen eine Bühne zu bieten – als Ansporn für die Menschen, damit sie sahen, dass Gehorsam belohnt wurde. Vielleicht war es auch schlicht der ordinäre Reiz, einen Fuß in die Festung der übermächtigen Herren zu setzen. Die Terrasse war einer der wenigen Bereiche, die zu solchen Anlässen für Besucher geöffnet wurden – nur Geladene mit der richtigen Sicherheitseinstufung natürlich.

Der Krake sah viele bekannte Gesichter unter den Gästen. Vertreter der marsianischen Schwer- und Rüstungsindustrie, für die jedes neue Infrastrukturprojekt der Gon-Mekara eine Überarbeitung ihrer Quartalsplanung erforderlich machte. Junge Startup-Gründer, die auf einen Auftrag hofften – manche hatten ihre ganze Volljährigkeit unter der Herrschaft der Exemplarischen Instanz verbracht und kannten es gar nicht anders, als dass eine machtlose Terranische Union und ein fremdgesteuerter Mars Council die Wünsche ihrer Herren befolgten. Reporter von Meysenhart und ein paar lokalen Medienunternehmen, die ihrer Pflicht zur Hofberichterstattung nachkamen. Das Wort der Gon-Mekara war Gesetz; ihre Nachrichten waren die einzigen, die es wert waren, berichtet zu werden.

Der Krake schloss die obersten Knöpfe seines Mantels. Ein kühler Wind fuhr durch die dünne, trockene Marsluft und blies eine einzelne, durchscheinende Wolke über den blassen Himmel. Bradbury Central war einer der wenigen Orte des Planeten, an dem Atmosphäre und Schwerkraft Erdbedingungen sehr nahe kamen, sagten die Menschen, und der Krake musste es ihnen glauben. Andere sagten, es sei wie ein ewiger Spätherbst, bloß ohne den Regen. Der Krake hörte aus diesen Worten, wie sehr die Menschen, besonders die Erdgeborenen, ihre Heimat vermissten. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Auch der Krake vermisste seine Heimat.

Die Heimat des Kraken war der Planet Drorah im vierunddreißigtausend Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen M 3. Der Name, den der Krake dort und in den ersten Jahren auf dem Mars getragen hatte, war Harkon von Bass-Teth. Er kannte nach wie vor nicht die Umstände, die vor mehr als fünf Jahren dazu geführt hatten, dass er unvermittelt ins Solsystem ortsversetzt worden war. Das Projekt Laurin, dem die Erde und ihr Mond sowie der Planet Na-Thir mit seinem Mond Na-Thona im Akonsystem zum Opfer gefallen waren, musste noch weitere, unbekannte Auswirkungen gehabt haben. Wenigstens hatten Terra und Luna ihren Transfer in einem Stück überstanden. Es stand zu hoffen, dass auch die Akonen auf Na-Thir und Na-Thona wohlauf waren – wo auch immer sie sich seither befinden mochten.

Harkons Ankunft in seinem neuen Leben war ... holprig gewesen. Die Überschweren hatten ihn in eins ihrer Überzeugungsparadiese gesperrt, und erst die Widerstandsorganisation Ares hatte ihn daraus befreit. Inzwischen waren ihm die Menschen und ihr tragisches Schicksal ans Herz gewachsen. Und er fand, das Mindeste, was er für sie tun konnte, war, die Arbeit des aufgelösten Widerstands fortzusetzen. Damit schützte er nicht nur die Menschen, sondern auch seine eigene Heimat.

Ares hatte seine Tätigkeit nach dem vorgetäuschten Tod von Thomas Rhodan und seinen Gefährten einstellen müssen. Die Gefahr für Reginald Bull und weitere wertvolle Führungspersönlichkeiten war einfach zu groß geworden. Also hatte Harkon eine neue, noch geheimere Organisation gegründet: Condos Vasac – Erneuerung durch Wandel. Sie verfolgte einen subtileren Ansatz als Ares. Neues konnte nur entstehen, wenn sich das Bestehende permanent veränderte und anpasste. Ein gewaltsamer Umsturz war zurzeit schlicht nicht möglich. Es gab zwei Dinge, die es um jeden Preis zu verhindern galt: Vergeltungsaktionen der Überschweren und eine Entdeckung der Erde, was den sofortigen Überfall auf Drorah zur Folge hätte.

Also war der einst schüchterne Positronikspezialist zum Kraken geworden. Er hielt sich im Hintergrund und war zugleich überall. Er sammelte Informationen, zapfte offizielle wie inoffizielle Quellen an. Und er nutzte sie zu beider Welten Vorteil. Das Schicksal von Menschen und Akonen war untrennbar miteinander verknüpft.

Tage wie dieser, an denen er sich unter Leute mischte, waren nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit. Manche Dinge ließen sich nun mal am besten aus erster Hand in Erfahrung bringen. Für solche Gelegenheiten verfügte er über mehrere Tarnidentitäten – als Reporter, als Verwaltungsbeamter, als Sicherheitsdienstleister –, die ihm sogar zu Leticrons Festung Zugang verschafften.

Stimmen ertönten und lenkten seine Aufmerksamkeit in die Höhe. Nauconars Gleiter tauchte am klaren Marshimmel auf und setzte zur Landung an. Die Kameras der Nachrichtenleute folgten den Blicken.

»Jetzt bin ich aber gespannt«, murmelte ein Reporter zu einem Kollegen. »Was für ein Auftritt ...«

»Sei dankbar«, gab der andere zurück. »Jede Nachricht ist eine gute Nachricht.«

Der Krake glitt weiter.

»... nur um die Raumhafenerweiterung. Das hätte er auch wirklich ...«

»... dass er Leticron beeindrucken will. Die jüngsten Zahlen aus seinem ...«

Der Krake erreichte den äußeren Rand der Menge, wo ein paar betont geschäftige Frauen und Männer an ihren Koms hingen.

»... egal, was er angekündigt hat. Sagen Sie ihnen ...«

»... wir diesen Zuschlag nicht kriegen, ist das die geringste unserer ...«

Da erhellte ein Lichtblitz die nach oben gewandten Gesichter. Rauch schoss aus der Unterseite des Gleiters. Das Flugfahrzeug drehte ab und versuchte, seinen Anflug zu stabilisieren, kam dabei jedoch immer tiefer. Schon war der Gleiter nur noch dreißig Meter über der Menge. Die Zuschauer drängten erschrocken vom Landeplatz zurück. Einige stürzten und stießen Schreie aus.

Dann zerriss eine gewaltige Explosion das komplette Heck, der Gleiter barst entzwei und stürzte donnernd auf die Terrasse.

Der Krake brachte sich mit einem Sprung hinter ein breites Treppengeländer in Sicherheit. Was war geschehen? Ein Angriff, in Leticrons Festung? Alarmsirenen gellten los. Flüchtende stürzten panisch zu den Treppen und Fahrstühlen, stießen mit schwer bewaffneten und gepanzerten Gon-Mekara zusammen, die zur Unglücksstelle drängten. Ein Energieschirm baute sich über der Absturzstelle auf, und eingeleitete Gase erstickten die Flammen.

Hustend kämpfte sich der Krake aus der Deckung und den nächstgelegenen Weg von der Terrasse hinab. Vor einer mit Sicherheitspersonal bewachten Kontrollstelle hatte sich bereits eine Schlange gebildet, doch der Krake verlor nicht die Nerven. Seine Tarnidentität war solide und an diesem Tag nicht zum ersten Mal überprüft worden. Also wartete er geduldig, bis er an der Reihe war und die Sirenen oben in der Festung wieder verstummten. Ein Krankentransporter landete und hob kurz darauf wieder ab. Soldaten der Überschweren bildeten einen Gürtel um das gesamte Gelände. Die großen Holos an den Wolkenkratzern von Bradbury Central schalteten von Werbung auf Nachrichten um. Die Menschen in der Schlange vor der Personenkontrolle redeten aufgeregt durcheinander.

»... kein Unglück! Das muss ein Terroranschlag ...«

»... doch nicht hier. Halt einfach den ...«

»... ein Attentat ausgerechnet auf Nauconar?«

»... denn nicht? Er unterscheidet sich nicht wesentlich von ...«

»... Condos Vasac.«

Der Krake biss die Zähne zusammen. Das hatte er befürchtet – früher oder später würde jemand dem Widerstand die Schuld in die Schuhe schieben.

»... wirklich? Das sieht ihnen nicht ...«

»... du das denn wissen?«

»... viele Verletzte es gegeben hat?«

Der Gon-Mekara an dem Durchlass speicherte die Identitätsdaten des Kraken und ließ ihn passieren. Schnellen Schritts eilte er nach unten, passierte eine Durchleuchtungsschleuse sowie eine weitere Kontrolle und durfte dann endgültig die Festung verlassen, um mit einem Großraumtaxi zurück nach Bradbury Central zu fliegen. Bis sie die äußere Ringstraße erreichten, war ihm innerlich kalt vor Wut.

Konnten wirklich Teile der Condos Vasac für den Anschlag verantwortlich sein? Die Organisation war in streng separate Zellen und nicht hierarchisch organisiert. Der Krake saß zwar in der Mitte – aber nicht an der Spitze. So gesehen, war es rein theoretisch zwar denkbar, dass jemand ohne seine Zustimmung so etwas plante.

Aber der Krake konnte es nicht glauben. Er wollte nicht glauben, dass jemand so fahrlässig war ...

Und auch nicht, dass er nichts von dem Vorhaben gewusst hatte. Worum ging es also?

Mit der Röhrenbahn fuhr er tiefer in die Stadt. Die Condos Vasac hatte kein zentrales Hauptquartier, der Krake keinen festen Wohnsitz. Er wechselte vielmehr ständig zwischen verschiedenen Leitstellen, ebenso wie er die Wohnungen und Identitäten wechselte, glitt von einem Ort und einem Leben zum nächsten.

Die Lokalität, die er nun aufsuchte, entbehrte nicht einer gewissen, vielleicht schon plumpen Ironie, war aber tatsächlich einer seiner Lieblingsorte.

Das Schiaparelli Ozeanarium in der Nähe des gleichnamigen City Centers – gewidmet einem alten Astronomen, der geglaubt hatte, Meere auf dem Mars entdeckt zu haben – war das einzige Ozeanarium auf dem Mars sowie die einzige Möglichkeit, Rochen, Haie, und ja, auch Kraken zu bewundern. Noch entscheidender jedoch: Seit dem Verschwinden der Erde war es der einzige Ort im Solsystem, wo man überhaupt ein bisschen Ozean und Meeresbewohner erleben konnte, abgesehen von den privaten Aquarien einiger Superreicher. Ähnlich verhielt es sich mit dem Zoo und den botanischen Gärten. Sogar Raumschiffe wurden inzwischen mit Parks und Habitaten aufgewertet, damit die Besatzung nicht monatelang in einer sterilen, künstlichen Umgebung ausharren musste.

Das Solsystem war vor fünf Jahren zu einem trostlosen Ort verkommen. Zwar war der Mars längst nicht mehr die leblose Wüste, für die man ihn weit mehr als ein Jahrhundert nach Schiaparelli noch gehalten hatte – dafür hatten die zahlreichen genetischen und planetaren Manipulationen von Liduuri, Arkoniden und Menschen gesorgt. Aber die wenigen Lebensformen, die sich erfolgreich auf dieser Welt angesiedelt hatten und seither zäh ans Leben klammerten, konnten nicht über den Verlust der unendlichen Vielfalt irdischer Spezies hinwegtäuschen. Für diejenigen Menschen, die nicht die Wahrheit über den Verbleib der Erde kannten – also die meisten –, war es die Zeit nach dem Jüngsten Gericht, ein Leben in der Postapokalypse. So predigten es die zahlreichen Priester und selbst ernannten Propheten, die man in den ärmeren Vierteln von Bradbury Central an jeder Straßenecke fand.

Im Schutz einer staunenden Schulklasse glitt der Krake in das Ozeanarium und verweilte einen Moment vor dem Tank mit den Rochen. Er teilte den Schmerz der Menschen, denn er vermisste die Meere von Drorah. Die ruhigen Flügelschläge der Rochen waren faszinierend; sie erinnerten den Kraken an Xisrapen.

Dann betrat er in einem unbeobachteten Moment den kleinen Abstellraum, in dem Netze und Reinigungsmittel verwahrt wurden, schloss die Tür hinter sich, schob einen Schrank beiseite und gab eine Ziffernfolge in ein kaum sichtbares Tastenfeld in der massiven Stahlwand dahinter ein. Die schmale Kammerbegrenzung rotierte mitsamt ihrem Passagier um die vertikale Mittelachse, das Licht auf der anderen Seite ging an, und der Krake huschte eine kurze Wendeltreppe in seinen Unterschlupf hinab, wo ein Sessel vor einem Tisch stand. Darauf ruhte eine komplexe Positronikkonsole, die ihm einen umfassenden Zugriff auf die Daten- und Kommunikationsnetze des Mars sowie über Hyperfunkrelais sogar von anderen Regionen der Solaren Union ermöglichte.

Im vertrauten Licht der Hologramme dieser Apparatur durchforstete der Krake die Foren und Nachrichtenströme des Meshs, die anonymen Botschaften und Hinweise, die ihn während der zurückliegenden Stunde erreicht hatten. In der Decke über ihm rauschte und blubberte das Wasser der Aquarien. Es war ein beruhigender Klang, der ihm half, sich zu konzentrieren.

Noch hatte niemand eine Antwort auf die Frage, wer oder was für den Absturz des Gleiters verantwortlich war. Es gab auch keine offizielle Stellungnahme der Gon-Mekara zu den Opfern. Von den Zuschauern waren zwei Männer und eine Frau mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Der Krake schrieb einige kurze Antworten, führte ein Gespräch mit einem befreundeten Reporter sowie einer Hehlerin und einem Sozialarbeiter, die beide stets ein Ohr auf der Straße hatten. Keine Gewissheiten, viele Gerüchte: ein Triebwerksunfall, Sabotage, ein tödlicher Streit zwischen Gon-Mekara. Und natürlich: Condos Vasac. Der Krake aktivierte einige Analyseprogramme. Suchanfragen zum Widerstand bestimmten die Aktivität im Mesh. Die Zahl der aktuellen Verhaftungen lag schon über dem Durchschnitt. Es kam zu ersten Hamsterkäufen. Eine Sekte blockierte mit ihrem Protestzug den Platz vor dem Dienstgebäude des Mars Councils. Die Menschen fürchteten sich vor verschärften Kontrollen und einer Vergeltung der Besatzer.