Perry Rhodan Neo Paket 3: Das galaktische Rätsel - Frank Borsch - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 3: Das galaktische Rätsel E-Book

Frank Borsch

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Beschreibung

Im Spätsommer 2036 steht die Menschheit vor einer neuen Ära ihrer Geschichte: Nachdem Perry Rhodan den Kontakt zu Außerirdischen hergestellt hat, steht nun die Einigung der zerstrittenen Menschheit an. Terrania City wird die Hauptstadt der Terranischen Union werden, ein Administrator soll künftig den Weg in die Zukunft weisen. Dann aber stoßen Perry Rhodan und seine Gefährten auf eine Reihe von Hinweisen, die auf die mysteriöse Welt des Ewigen Lebens deuten. Sie werden in ein galaktisches Rätsel verwickelt, das sich über mehrere Planeten erstreckt - an seinem Ende steht die Unsterblichkeit für einen unter ihnen ...

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Cover

Band 17 – Der Administrator

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Band 18 – Der erste Thort

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Band 19 – Unter zwei Monden

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Prolog

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Epilog

Band 20 – Die schwimmende Stadt

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Band 21 – Der Weltenspalter

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Band 22 – Zisternen der Zeit

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Band 23 – Zuflucht Atlantis

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Früher: Das Zeichen der Sterne

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Später: Wüst und leer

Band 24 – Welt der Ewigkeit

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Impressum

Band 17

Der Administrator

von Frank Borsch

Im Spätsommer 2036 steht die Menschheit vor einer neuen Ära ihrer Geschichte: Nachdem Perry Rhodan den Kontakt zu Außerirdischen hergestellt hat, steht nun die Einigung der zerstrittenen Menschheit an. Terrania City soll die Hauptstadt der Terranischen Union werden – danach können die Menschen gemeinsam weiter ins All vorstoßen.

Viele von Rhodans Weggefährten sind überzeugt: Der neue Staat benötigt einen Visionär an der Spitze der Regierung. Das kann nur Perry Rhodan selbst sein – er soll zum ersten Administrator werden, der die Menschheit in die Zukunft führt. Wird Rhodan sich dieser Herausforderung stellen?

1.

Perry Rhodan

Im Wega-System, 13. September 2036

Die TOSOMA blieb hinter den beiden Menschen und dem Ferronen zurück.

Das Schiff war ein Gigant, eine stählerne Kugel mit einem Durchmesser von rund achthundert Metern. Ein technisches Wunderwerk, das bis vor wenigen Wochen jenseits von absurden Wunschträumen unvorstellbar gewesen war. Jetzt war die TOSOMA das Flaggschiff der Menschheit – und vorerst das einzige Schiff von der Erde, das in der Lage war, die unvorstellbaren Entfernungen zwischen den Sternen zurückzulegen.

Die TOSOMA, erleuchtet von einer Vielzahl von Positionslichtern, wurde zusehends kleiner, verwandelte sich schließlich zu einem Stern unter unzähligen. Mit dem Schiff blieb ihre Heimat zurück, blieb Lesly K. Pounder zurück, der als Flight Director der NASA Perry Rhodan und drei Kameraden auf eine wahnwitzige Mission zum Mond geschickt hatte. Derselbe Lesly K. Pounder, der jetzt das Wunderwerk des arkonidischen Schiffs befehligte und Rhodans Absicht in seiner gewohnt direkten Art kommentiert hatte. »Lassen Sie den Mist, Rhodan! Auf der Erde wartet man auf Sie!«

Rhodan hatte nicht auf seinen ehemaligen Mentor gehört. Er hielt nichts davon, anderen zu befehlen, was er selbst nicht zu wagen bereit war.

Perry Rhodan streckte den Arm aus, berührte den Touchscreen, der seinem Platz zugeordnet war, und löschte das Bild des gewaltigen Kugelraumers von den Schirmen.

Perry Rhodan konzentrierte sich ganz auf das Hier und Jetzt.

Die Luft in der engen Kabine der ferronischen Fähre war stickig, unterlegt mit einem Hauch kühlen Metalls und der herben Note, die die Raumfahrer der Wega hinterlassen hatten. Sie erinnerte Rhodan in ihrer Enge an die Kabine der STARDUST, die ihn und seine Gefährten zum Mond getragen hatte. Nur, dass dort der scharfe Geruch von Schweiß in der Luft gehangen hatte. An Bord der PANERC fehlte er. Ferronen kannten keinen Schweiß.

Zu seiner Linken war Reginald Bull, Rhodans bester Freund, in den aufwendig gepolsterten Sitz geschnallt und checkte die Systeme der Fähre durch. Sie hatten ihn zum Bordingenieur des Flugs bestimmt. Bull trug einen arkonidischen Kampfanzug, den Helm eingeklappt. Der Mann mit den roten Stoppelhaaren bemerkte Rhodans forschenden Blick nicht. Er hatte die Lider zusammengekniffen, versuchte die Kolonnen ferronischer Schriftzeichen zu deuten, die über die Schirme der Diagnoseanzeigen huschten.

Zu seiner Rechten war Chaktor, der Raumfahrer aus dem Wega-System. Wie die meisten Ferronen war er kleiner und kompakter als ein Mensch, angepasst an die deutlich höhere Schwerkraft seiner Heimatwelt. Seine Haut war blau, sein Haar war kupferrot. Die Augen lagen in tiefen Höhlen, geschützt von einer weit vorspringenden Stirn, und waren dadurch kaum zu erkennen.

Chaktor trug ebenfalls einen arkonidischen Kampfanzug. Das Material hatte sich als flexibel genug erwiesen, um sich dem Körper eines Humanoiden anzupassen, der es nur auf ein Meter sechzig Größe, aber eine unpassend erscheinende Breite brachte. In den Gürtel eingeklinkt waren zwei schwere Strahler. Die größten für den Ferronen noch tragbaren Waffen, die sie in den Arsenalen der TOSOMA hatten auftreiben können. Die Waffen waren Chaktors Bedingung gewesen, um die beiden Menschen auf ihrer Wahnsinnsmission zu begleiten.

Rhodan betrachtete das eigene Gesicht einen Augenblick lang im Spiegelbild eines der Displays: Wache graublaue Augen erwiderten seinen Blick. Rhodan hatte kurzes blondes Haar und ein Gesicht, das zuweilen als schmal, zuweilen als hager, zuweilen als energisch bezeichnet wurde. Sah man genau hin, erkannte man auf dem rechten Nasenflügel eine kleine Narbe.

Es war das Gesicht eines Menschen.

Chaktor hielt es für das Antlitz des Lichtbringers, der sein Volk gerettet hatte. Nur, um den Lichtbringer zu beschützen, hatte sich der Ferrone zu diesem Flug bereitgefunden. Nur dank des Lichtbringers, glaubte Chaktor, blieb ihnen wenigstens eine geringe Chance zu überleben, was vor ihnen lag.

Rhodan holte es auf das große Frontdisplay.

Eine verwaschene Scheibe hing in der Schwärze des Raumes. Sie erinnerte den erfahrenen Astronauten an den aus dem irdischen Sonnensystem vertrauten Jupiter, einen so genannten Gasriesen.

Doch die Welt, der sie sich mit stetig zunehmender Fahrt näherten, hieß Gol. Er war der vierzehnte von zweiundvierzig Planeten der Wega, und im Vergleich zu Gol mutete Jupiter wie ein heimeliger, kuscheliger Ort an.

Gol durchmaß beinahe 200.000 Kilometer. Hauptbestandteil seiner Atmosphäre war Wasserstoff, gefolgt von Helium, Methan und Ammoniak. Seine Schwerkraft betrug nahezu das Zwanzigfache der irdischen, und statt einem roten Punkt zierten Hunderte von Flecken, die an Rorschach-Kleckse erinnerten, seine Atmosphäre. Die Stürme, die auf Gol tobten, hielten die Flecken in Bewegung, zerstieben sie, formten unentwegt neue. Im Lauf der Jahrtausende hatten die Ferronen festgestellt, dass sich gewisse Muster immer wieder bildeten.

Chaktor, der erfahrene, unerschütterliche Raumfahrer, japste beim Anblick des Planeten. Er fasste nach dem metallenen Ei, das er an seinem persönlichen Display angebracht hatte, und drückte es gegen den Leib. Wenn der Ferrone daran rieb, entfaltete sich ein dreidimensionales Bild. Es zeigte seine Familie: drei Frauen und zwei Dutzend Kinder. Seit einigen Wochen beschwor Chaktor das Bild nur noch selten herauf. Es schmerzte ihn zu sehr. Nach dem Abzug der Topsider aus dem Wega-System hatte sich herausgestellt, dass nur zwei seiner Frauen und siebzehn seiner Kinder die Invasion der Echsenwesen überlebt hatten.

»Unser Kurs ist korrekt?«, fragte Rhodan, um den Ferronen abzulenken.

Chaktor ruckte hoch und rief auf seinem persönlichen Display Datensätze und Ausschnittsvergrößerungen auf. Er war der Navigator des Teams. Kurz darauf entstanden Linien auf dem Frontdisplay und verbanden die roten Flecken auf der Oberfläche Gols.

Sie erinnerten Rhodan an irdische Sternbilder. Nicht ganz zu Unrecht, wie sich rasch erwies.

»Ja«, antwortete der ferronische Raumfahrer. »Sehen Sie hier ...« Eines der »Sternbilder« leuchtete auf. »Wir befinden uns über dem ›Wächter der Hölle‹. Behalten wir den Vektor bei, tauchen wir über dem ›Nest der Raubschlangen‹ in die Atmosphäre ein.«

»Reizende Aussichten!«, brummte Bull. »Hoffentlich springt uns keine an ...«

»Alle Systeme einsatzbereit?« Rhodan ignorierte den Kommentar des Gefährten.

Bull rührte keinen Finger, um die Touchscreens vor ihm zu bedienen. »So bereit, wie sie jemals sein werden.« Es klang beinahe beleidigt. Seit ihrer Begegnung mit den Arkoniden auf dem irdischen Mond verbrachte Bull jede freie Minute damit, mit nicht irdischer Technik herumzuspielen. Sei es die der Arkoniden, der Fantan, der Topsider oder der Ferronen. Wenn es so etwas wie einen Experten in Sachen außerirdischer Technologie gab, dann Reginald Bull.

»Gut«, antwortete Rhodan. »Ich starte den Reaktor.«

Die Polster unter Rhodan begannen zu vibrieren. Ein hohes Summen erfüllte die Kabine, senkte sich allmählich zu einem tiefen, durchdringenden Brummen. Rhodan wurde nach unten gezogen, als die Antigravneutralisatoren ihre Arbeit aufnahmen und die Schwerelosigkeit des Alls aufhoben.

Die PANERC hatte bis zur Invasion der Topsider als Zubringerfähre auf einem der Monde der äußeren Planeten gedient. Sie hatte Arbeiter und Versorgungsmaterialien aus dem Orbit zur Oberfläche gebracht und Arbeiter und Mineralien zurück in den Orbit. Die PANERC war ein hässliches Gefährt, ein gedrungener Zylinder, an dessen Heck man eine Handvoll Landestützen geflanscht hatte. Ein Zweckfahrzeug, bei dessen Konstruktion man auf den atmosphärelosen Monden überflüssigen Luxus der Aerodynamik verzichtet hatte. Ein Arbeitspferd, dazu geschaffen, übelste Schläge ohne Murren einzustecken. Ein Gefährt, dessen Verlust die Menschheit im Gegensatz zu dem der TOSOMA würde verkraften können.

Mit anderen Worten: genau die Art von Gefährt, die sie für ihren Vorstoß benötigten.

Sie hatten noch einen draufgesetzt. Die Topsider hatten erhebliche Mengen Kriegsschrott bei ihrem Abzug aus dem Wega-System zurückgelassen. Ausgebrannte, verkohlte Wracks, nicht einmal für die unersättlichen Fantan von Interesse. Doch von Zeit zu Zeit trog der Schein, fanden sich in den Trümmern Komponenten, die wie durch ein Wunder funktionstüchtig geblieben waren.

Die PANERC hatte einen topsidischen Fusionsreaktor erhalten, dazu Andruckneutralisatoren, schubstarke Unterlichttriebwerke und einen Schutzschirmgenerator. Jede einzelne Komponente war rettungslos überdimensioniert – und, so hofften sie, damit ausreichend für ihren Abstieg in die Hölle der Ferronen.

»Helme schließen!«, ordnete Rhodan an. »Ich leite den Abstieg zur Oberfläche ein.«

Knisternd entfalteten sich die Helme der Kampfanzüge, schlossen die beiden Menschen und Ferronen in ihre perfekten, autarken Umgebungen ein. Rhodan gab für mehrere Sekunden Schub. Die topsidischen Triebwerke reagierten augenblicklich und exakt.

»Ich aktiviere den Schirm!«

Das Brummen des Reaktors wurde lauter, als der fünfdimensionale Schild entstand. Eine halbtransparente, leuchtende Glocke legte sich um die PANERC. Das Leuchten stammte von den Gasen, die im Schirm vergingen. Rhodan registrierte aus dem Augenwinkel die Belastung des Schirms: zwischen neun und elf Prozent. Ihnen blieb noch viel Spielraum.

Chaktor begann zu murmeln. Rhodans Anzugtranslator übersetzte die Worte nicht, aber er glaubte, eine Art Gebet zu hören, eine Beschwörung. Der Ferrone presste das metallene Ei fest gegen den Bauch. Es musste die Entsprechung zur menschlichen Geste des an die Brust Pressens sein.

Bull sagte laut: »Siehst du schon die ersten Gespenster, Chaktor?«

Es war eine unverzeihlich respektlose Bemerkung. Die Art von Bemerkung, auf die nur Reg kam – und mit der nur der Freund durchkam.

»Keines, das nur annähernd so schrecklich wie du wäre, rothaariger Mensch!«, entgegnete Chaktor im selben bissigen Tonfall.

Bull lachte auf. »Na also! Dann kann ja nichts schiefgehen ...«

»Du sagst es!«, pflichtete der Ferrone bei.

Rhodan lauschte dem Wortwechsel verblüfft. Zwischen Bull und Chaktor hatte sich rasch eine ruppige Männerfreundschaft entwickelt. Der Mensch und der Ferrone schienen sich einander als Gleichwertige zu sehen – während Chaktor im Umgang mit ihm selbst immer noch Ehrfurcht an den Tag legte. Rhodan hatte den Ferronen das Licht zurückgebracht. Es garantierte ihm bedingungslosen Respekt. Doch die Kehrseite war eine gewisse, unüberbrückbare Distanz.

»Wenn ihr mich fragt ...«, sagte Bull. »Ich kann hier keine Geister sehen. Nur Giftgas und Stürme. Allerdings von der ganz fiesen Sorte.«

»Wenn du sie so einfach sehen könntest, wären es keine Geister«, wandte der Ferrone ein.

Bull schwieg einen Augenblick, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Chaktor, du bist Raumfahrer. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du an diese abwegigen Legenden über Gol glaubst.«

»Nicht abwegiger als die Legenden über die Lichtbringer. Und doch seid ihr gekommen!«

»Klar. Und jetzt guck dir mal an, welche Überwesen du dir eingehandelt hast! Den lausigsten Baseballspieler, den Columbus High je gesehen hat. Frag meinen alten Sportlehrer!«

»Ihr habt uns Ferronen gerettet, das steht fest.« Chaktor hatte offensichtlich weder mit »Baseballspieler« noch mit »Columbus High« etwas anfangen können. »Über den Rest sehe ich großzügig hinweg.«

»Edel von dir. Du ... was?«

Ein Ruck schnitt Bull das Wort ab.

»Kein Grund zur Beunruhigung«, schaltete sich Rhodan ein. »Die Andruckabsorber arbeiten nicht komplett synchron. Ein Jetstream der oberen Atmosphäre hat uns erfasst. Schätzungsweise fünfhundert Kilometer die Stunde schnell, relativ zur Oberfläche.«

»›Schätzungsweise‹!«, machte Bull. »Du bist mir ein schöner Astronaut. Hast du das nicht exakt?«

»Leider nicht.« Rhodan wandte sich nach rechts. »Chaktor?«

Der Ferrone ließ die Finger geschickt über die Touchscreens huschen, lehnte sich schließlich zurück. »Nichts. Weder Infrarot noch Radar, noch Mikrowellenortung bringen uns weiter. Ich habe es doch gesagt.«

Chaktor war im Vorfeld ihres Aufbruchs der größte Mahner gewesen. Gol war ein Rätsel. Die Ferronen beherrschten seit Jahrtausenden die Raumfahrt innerhalb ihres Systems. Aber noch nie war eines ihrer Fahrzeuge, bemannt oder unbemannt, in die unteren Schichten der Atmosphäre eingetaucht und wieder zurückgekehrt. Angesichts der physikalischen Daten gab es keinen Mangel an wissenschaftlichen Erklärungen für dieses Scheitern, doch Chaktor, der ansonsten stocknüchterne Raumfahrer, wollte sie nicht gelten lassen. Für den Ferronen gab es nur eine Erklärung: die Geister von Gol.

Schlechte Menschen fuhren nach dem Tod zur Hölle oder dem Äquivalent, das ihr jeweiliger Glauben diktierte. Die Seelen schlechter Ferronen wurden auf Gol eingesperrt.

Daran glaubte Chaktor felsenfest, daran glaubten alle Ferronen. Eine bemerkenswerte Tatsache, fand Rhodan, der die kulturelle Zersplitterung der Wega-Bewohner am eigenen Leib erlebt hatte. Es gab offenbar nur drei Dinge, die die Ferronen einte: ihre bedingungslose Verehrung des Thort, ihre Sprache – und der Glaube an die Geister von Gol.

Es war ein Aberglaube. Anachronistisch, aber erklärbar. Rhodan hielt ihn für das Produkt der langen Bruderkriege der Ferronen, des Dunklen Zeitalters. Unzählige Verbrechen waren damals begangen worden. Verbrechen, von denen nur ein Bruchteil gesühnt worden war. Die Legende von den Seelen der Bösen, die auf Gol eingesperrt waren, verschaffte wenigstens den Anschein einer höheren Gerechtigkeit.

Bull ruckte plötzlich hoch, wurde von den Gurten zurückgehalten. Er musterte ungläubig das Display vor ihm. »Was ist da los?« Er hieb mit der flachen Hand gegen das Display, als habe das Gerät einen störrischen Willen, den es zu brechen galt. Als es nicht fruchtete, besann er sich und rief die Diagnosefunktionen auf.

Nach einigen Sekunden sank er zurück in die Lehne, die Augen geweitet. »Wir ... wir haben die Verbindung zur TOSOMA verloren! Aber wie kann das sein? Pounder ist uns oberhalb der Atmosphäre gefolgt. Uns trennen keine zehntausend Kilometer ...«

»Die Geister«, flüsterte Chaktor leise. »Sie mögen keine Eindringlinge.«

»Es hat nichts zu bedeuten«, schaltete sich Rhodan ein. »Auf Gol herrschen extreme physikalische Verhältnisse, das ist bekannt. Sonst wäre es den Ferronen in den letzten Jahrtausenden gelungen, mehr über den Planeten herauszufinden.« Er wandte sich an Bull. »Reg, alle Systeme einwandfrei?«

»Ja ... ich glaube schon.« Der Freund sah ihn nicht an. Er arbeitete sich durch die Tiefen der ferronischen Bordsoftware.

Rhodan nickte. »Ich hatte nichts anderes erwartet. Wir setzen unseren Flug fort.« Er schob den Steuerstick von sich weg und drückte die PANERC nach unten. Die Atmosphäre verdichtete sich zusehends. Doch die Instrumente der Fähre mühten sich vergeblich, den Nebel zu durchdringen. Die Oberfläche Gols blieb ihnen verborgen.

Die beiden Menschen und der Ferrone schwiegen. Das Brummen des Fusionsreaktors nahm zu, als die Schirme zunehmend höhere Leistung erforderten. Die Werte pendelten sich bei knapp fünfundzwanzig Prozent Auslastung ein.

»Wir müssen den Kurs ändern«, brach Chaktor nach einigen Minuten das Schweigen.

»Wieso?«

»Eine Wirbelzone liegt zwischen uns und unserem Ziel«, erklärte der Ferrone. »Zwei Sturmfronten treffen dort aufeinander.«

»Wir besitzen einen Schutzschirm«, wandte Bull ein.

»Die Geschwindigkeit der Fronten liegt bei jeweils über achthundert Stundenkilometern«, hielt Chaktor dagegen. »Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.«

»Chaktor hat recht«, stimmte Rhodan zu. »Ausweichkurs?« Der Ferrone spielte dem ehemaligen Astronauten einen Vorschlag auf das persönliche Display.

Rhodan folgte ihm, führte die PANERC in weitem Bogen um die Wirbelzone; dennoch wurde die Fähre in unregelmäßigen Abständen von Böen erfasst. Der erfahrene ehemalige Testpilot fing sie mit Unterstützung des Bordcomputers ab, brachte die PANERC erneut auf Zielkurs.

»Perry?« flüsterte Bull.

»Ja?«

»Du weißt ja, ich bin ein wohlerzogener und rücksichtsvoller Mensch und eigentlich ist es nicht meine Art, andere bei der Arbeit zu unterbrechen, aber ...«

»Aber was?«

»Aber ich empfehle dir dringend, nicht nur auf deine Instrumentendisplays zu glotzen und stattdessen den Blick nach Backbord zu wenden. Du wirst es nicht bereuen, ich verspreche es dir.«

Rhodan erfasste die Statuswerte, registrierte, dass die PANERC sich im stabilen Sinkflug befand, und folgte der Aufforderung des Freundes.

Er blickte in die Wirbelzone. Sie leuchtete von innen heraus, als brenne in ihr ein Feuer. Ein wütendes, vielfarbiges Feuer, das sich stellenweise aufblähte, wieder zusammenfiel – und dabei Formen bildete, die dem Verstand Figuren vorspiegelten.

Menschen sahen darin Schemen, die einen wilden Tanz aufführten.

Ferronen sahen darin gemarterte Seelen.

»Die Geister von Gol!«, brüllte Chaktor. »Wir müssen ...«

Der Ferrone kam nicht weiter. Sprunghaft stieg die Schwerkraft in der Fähre an. Rhodan fühlte sich von einer unsichtbaren Faust in den Sitz gepresst. Sie drückte auf seine Brust, machte es ihm unmöglich zu atmen. Ein Schleier legte sich über seinen Blick. Rhodan kniff die Augen zusammen, las die Werte der Instrumentendisplays ab und erkannte, dass sie keinen Sinn ergaben.

Der Sinkflug der PANERC verwandelte sich in einen taumelnden, unkontrollierten Fall.

Die Triebwerke brüllten auf, als der Bordrechner reagierte. Das Taumeln ging in zunehmend schnelle Rotation über, der Sturz der PANERC hielt an. Etwas knirschte. Überbeanspruchter Stahl riss kreischend.

»Die Werte!« Bull schrie keuchend. »Sie sind falsch! Der Rechner ...« Die Triebwerke setzten einen Augenblick lang aus und in einem anderen Vektor wieder ein. Der Schub raubte dem Freund den Atem.

Der Rechner! Rhodan winkelte den Arm ab, versuchte die Notabschaltung zu erreichen. Es gelang ihm nicht, obwohl sie nur einen Armbreit vor ihm angebracht war. Ein Mensch war nicht stark genug, um ... ein Gedanke kam Rhodan. »Chaktor!«, brüllte er. »Der Bordrechner. Schalten Sie ihn ...«

Der Ferrone verstand. Zentimeter um Zentimeter kroch seine Hand auf die Notabschaltung zu. Rhodan sah, wie die Muskeln seiner Arme hervortraten. Die Heimatwelt Chaktors wies beinahe die anderthalbfache Schwerkraft der Erde auf. Ferronen waren stärker als Menschen, Chaktor konnte gelingen, was einem Menschen unmöglich war.

Chaktor spannte die Muskeln an, stöhnte auf – und seine Hand überwand die letzten Zentimeter, die sie von der Notabschaltung trennten.

Die Triebwerke setzten schlagartig aus.

Rhodan umklammerte den Steuerstick. Er schloss die Augen, ignorierte die absurden Werte der Instrumentendisplays. Mit der linken Hand schaltete er die Hilfssysteme der PANERC aus. Die Proteste Bulls – »Perry, hast du jetzt komplett den Verstand verloren?« – ignorierte er.

Perry Rhodan dachte zurück an den 14. März 2032. Den Tag, an dem er eigentlich hätte sterben sollen. Unweit der Landebahn von Nevada Fields, als der Prototyp des Interplanetary Shuttles ins Trudeln geraten war. Rhodan hatte die Instrumente der Fähre ignoriert, die gut gemeinten Anweisungen des Kontrollzentrums, die Befehle Pounders. Er hatte in sich hineingelauscht. Er hatte gefühlt, was zu tun war. Mit geschlossenen Augen hatte er das Shuttle abgefangen und auf die Landebahn gezwungen. Eine Bruchlandung, mehr nicht. Aber eine Sensation, die Pounder endgültig zu seinem Mentor gemacht hatte und schließlich dazu führte, dass Pounder ihn mit der STARDUST zum Mond gesandt hatte, wo er auf die Arkoniden getroffen war ...

... um jetzt hier zu sterben?

Nein.

Rhodan gab Schub auf die Steuerdüsen, die um den Rumpf der PANERC liefen. Die Fähre reagierte augenblicklich, als hätte sie nur darauf gewartet, die richtigen Anweisungen zu bekommen. Weitere Schubstöße stoppten das Taumeln, richteten die PANERC wieder auf.

Rhodan öffnete die Augen. Die Gasnebel Gols wallten vor den Scheiben der Kanzel. Sie leuchteten von innen. Und plötzlich blieben sie zurück und gaben den Blick frei auf eine Hügellandschaft.

»Die Oberfläche!«, brüllte Bull.

Rhodan hatte bereits reagiert. Er gab Vollschub auf die topsidischen Triebwerke. Die PANERC schüttelte sich und ächzte, aber sie hielt, obwohl die Verzögerungswerte weit über die Belastungen gingen, für die ihre Konstrukteure sie ausgerichtet hatten.

Zweihundert Meter über der Oberfläche war die Fahrt der PANERC aufgezehrt. Rhodan fuhr die Triebwerksleistung herunter, hielt die Fähre in der Schwebe.

Bull prustete laut. »Das war knapp. Verdammt knapp.« Während er es sagte, ging er über die Werte seiner Displays. Er erstarrte. Und fluchte. »Mist! Wir müssen hier weg, Perry! Schnell!«

»Wieso? Der Rumpf hat gehalten.«

»Ja. Aber nicht der Reaktor. Er verliert an Leistung. Lass uns verschwinden, solange wir noch können!«

»Nein!«, sagte Chaktor laut und bestimmt.

»Was?« Bull sah verdutzt zu dem Ferronen. »Eben noch konntest du nicht schnell genug deinen Geisterplaneten hinter dir lassen. Und jetzt plötzlich ...«

»... jetzt sehe ich klar«, brachte Chaktor den Satz zu Ende und zeigte durch die Panzerfenster der Kanzel nach Steuerbord.

Rhodan und Bull blickten in die Richtung, die der Ferrone angab.

Ein lang gestrecktes Tal. In der Mitte ein sich windendes, ausgetrocknetes Flussbett, das von anderen Flüssigkeiten als von Wasser geschaffen worden sein musste. Geröll und Felsen. Und ein langer, glatter Zylinder, der sich in der Mitte zu einer Kugel verdickte.

Ein topsidisches Raumschiff.

Der Köder, der sie in die Hölle der Ferronen gelockt hatte.

2.

Crest da Zoltral

Vor den Azoren, 13. September 2036

Es war Nacht in der stählernen Kuppel am Grund des Atlantiks.

Zumindest das, was die Menschen mit diesem Begriff bezeichneten. Mehrere Hundertschaften von ihnen hatten die von Arkoniden errichtete Kuppel zu ihrer Heimat gemacht. Es waren Wissenschaftler aller Sparten. Sie versuchten, der Kuppel ihre Geheimnisse zu entreißen.

Sie brannten vor Eifer. Sie arbeiteten sechzehn, ja achtzehn Stunden ohne Pausen, um dann ausgelaugt auf ihre Betten zu sinken. Die Menschen hofften, mithilfe von Medikamenten ihren Bedarf an Schlaf zu senken. Doch es gelang ihnen nicht. Sank ihre Schlafzeit unter sechs Stunden, sank ihre Leistungsfähigkeit drastisch.

Die Menschen brauchten ihren Schlaf. Ungestörten, tiefen Schlaf.

Ungestörter, tiefer Schlaf war ein Luxus, der einem alten Arkoniden nur selten vergönnt war. Ein Luxus, auf den Crest da Zoltral verzichten konnte. Drei oder vier Stunden genügten ihm.

Damit standen ihm zwei Stunden zur Verfügung, in denen er ungestört von den Menschen war.

Crest da Zoltral blieb vor dem schweren Schott stehen. Lautlos glitt es zur Seite. Der Arkonide trat in den Raum. Licht flammte auf, enthüllte, dass die Zentrale der Kuppel verlassen war. Crest trat in den runden Raum, befahl der Kuppelpositronik mit einer Handbewegung, das Licht zu löschen.

Der Computer gehorchte.

Dunkelheit senkte sich über den Raum, durchbrochen nur vom sanften Glimmen der Bereitschaftsanzeigen. Es genügte Crest, um den Weg in die Mitte der Zentrale zu finden. Er ließ sich in den Kontursessel des Kommandanten sinken. Das Material war weich und warm, erinnerte an die Haut eines Tieres und passte sich dem Körper des Arkoniden automatisch an.

Virtuelle Konsolen flammten auf, boten Crest ihre Dienste an.

Der Arkonide verscheuchte sie mit einer Geste.

Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und horchte. Tiefes, vielfältiges Summen erfüllte die Kuppel, verriet die Vielzahl der Aggregate, die in Bereitschaft auf die Anweisungen des Arkoniden warteten. Sie erinnerten Crest an die AETRON, das Schiff, mit dem er in das System der Menschen gekommen war. Oft hatte er im Bett seiner Kabine gelegen, hatte den Schiffsgeräuschen gelauscht und sich gefragt, was wohl vor ihm liegen mochte. Die Ausgeburten seiner Phantasie waren verwegen gewesen – und doch hatte keine von ihnen auch nur im Ansatz dem geähnelt, was tatsächlich geschehen war.

Crest da Zoltral hatte Arkon nur widerstrebend verlassen. Man hatte ihn dort verehrt, manche hatten ihm sogar als Gelehrten gehuldigt, der beispiellos in der langen Geschichte der Arkoniden war. Andere wieder hatten ihn verhöhnt und verachtet. Der Regent wiederum hatte den alten Mann mit dem scharfen Geist argwöhnisch beobachtet. Zu Recht hatte er befürchtet, dass Crest seiner Herrschaft hätte gefährlich werden können, dass der Gelehrte das brüchige weltanschauliche Fundament, auf dem seine Macht ruhte, vernichten könnte.

Anfangs hatte der Regent sich gegen die Expedition der AETRON gewandt. Aus Prinzip, glaubte Crest im Nachhinein, weil ihm alles verdächtig erschien, was der Gelehrte unternahm. Schließlich hatte er ihn und Thora ziehen lassen, im Glauben, den intellektuellen Plagegeist ein für alle Mal los zu sein.

Eine wohlfundierte Prognose. Wie vom Regenten nicht anders zu erwarten. Crest missfielen Mittel und Ziele des Herrschers, sein von Paranoia geplagtes Weltbild. Aber der alte Arkonide war zu klug, als dass er seinen Gegner als unfähig abgetan hätte.

Der Regent war außergewöhnlich intelligent, außergewöhnlich kompetent – und genau das war das Übel für Arkon.

Crest öffnete die Augen, stellte sich für einen Augenblick vor, er schwebe allein im Weltraum und bei den Bereitschaftslichtern handele es sich um Sterne.

Arkon, der Kampf gegen den Regenten hatten ihm alles bedeutet – und nun schien die Heimat unendlich weit entfernt. Ja, unwichtig.

Er, der große Gelehrte des Großen Imperiums, war unter Barbaren gestrandet. An der Peripherie des Imperiums, das seit langer Zeit nur noch dem Namen nach unter der Herrschaft Arkons stand. Die Barbaren hatten ihn misshandelt, ihn vor Gericht gestellt und gedroht, ihn umzubringen. Doch andere Barbaren hatten ihn gerettet. Sie hatten die Immunschwäche geheilt, die ihn mit jedem Tag hatte schwächer werden lassen und ihm innerhalb kürzester Zeit das Leben gekostet hätte.

Die Krankheit, die arkonidische Ärzte nicht hatten heilen können. Oder es aus Furcht vor dem Zorn des Regenten nicht gewagt hatten?

Crest hatte diese Barbaren, die Menschen, zu schätzen, ja zu lieben gelernt. Sie rührten etwas in ihm an, was er nicht in sich vermutet hätte.

War es ihr Tatendrang? Ihre Begeisterung? Ihr Optimismus? In einem Wort: ihre Jugend?

Konnte eine intelligente Art überhaupt jung oder alt sein?

War diese Art von Kategorisierung nicht hanebüchener Unsinn? Eine fahrlässig grobe Verallgemeinerung, die mehr über seine eigenen Sehnsüchte verriet als über diese Menschen?

Crest wog den Gedanken ab. Früher hätte er diese Fragen nicht auf sich selbst gestellt erörtern müssen. Sein unsichtbarer Gedankenfreund wäre an seiner Seite gewesen, hätte ihn mit seinen erbarmungslos ungeschminkten Beobachtungen daran gehindert, unsaubere Schlüsse zu ziehen. Doch der Extrasinn, Zeichen seines privilegierten Standes, war verstummt.

Hatte ihm die Wendung von Crests Schicksal die Sprache verschlagen? Oder hatte ihn die Behandlung der Menschen, die ihm, Crest, das Leben gerettet hatte, umgebracht?

Oder hatte der Extrasinn es einfach aufgegeben, auf den alten Narren einzureden, an den seine Existenz unentrinnbar gekettet war?

Der Extrasinn hatte vehement gegen die Expedition der AETRON argumentiert. Er hatte Crest verspottet, hatte den Flug als intellektuelle Fehlleistung eines alten Arkoniden bezeichnet, der mit seiner Angst vor dem Tod nicht zurechtkam. Eine Flucht aus der Verantwortung. Er hatte Crest einen ebenso elenden wie unvermeidlichen Tod prophezeit.

Zu Recht?

Crest lebte. Und er war in dem abgelegenen System der Menschen auf Dinge gestoßen, die er nicht für möglich gehalten hatte. Wie diese stählerne Kuppel, die dreitausend Meter unter der Meeresoberfläche lag, von seinen Artgenossen vor etwa zehntausend Erdjahren errichtet. Oder die Zuflucht auf der Venus. Oder die TOSOMA, das Schlachtschiff, das sie nur wenige Kilometer von der Kuppel entfernt gefunden hatten, halb im Meeresboden versunken.

Wer mochte vor ihm auf dem Platz des Kommandanten gesessen haben?

Was mochte in ihm – oder ihr? – vorgegangen sein?

Vor zehntausend Jahren hatte das Große Imperium einen mörderischen Krieg gegen die Methans ausgefochten. Er hatte die Arkoniden an den Rand des Untergangs gebracht.

Unzählige Geschichten berichteten von den Heldentaten der damaligen Arkoniden. Sie schienen überlebensgroß, aus einem anderen Holz geschnitzt als gegenwärtige Generationen. Crest und seine Zeitgenossen schienen nur ein Abklatsch.

Traf das zu?

Ein Gedanke kam Crest. Auch die Menschen kannten diese Art von Überlieferung. Crest verbrachte täglich mehrere Stunden damit, in der Literatur und den Mythen der Menschen zu lesen. Vor einigen Tagen war er auf Hesiod gestoßen. Ein Grieche, der vor über zweieinhalbtausend Jahren gelebt hatte. Ein Ackerbauer, der sich zugleich als Dichter betätigt hatte. Hesiod hatte an die Abfolge von Weltzeitaltern geglaubt. Am Anfang hatte das Goldene Zeitalter gestanden, der perfekte Urzustand der Menschheit. Ihm war das Silberne Zeitalter gefolgt, die Ära der Heroen. Ihm schließlich hatte sich das Eiserne Zeitalter angeschlossen – das Jammertal menschlichen Elends, in dem sich Hesiod selbst gesehen hatte.

Ließen sich die Weltzeitalter Hesiods auf seine eigene Art übertragen? War das Eiserne Zeitalter der Arkoniden angebrochen? Und wenn dem der Fall sein sollte – was würde als Nächstes folgen? Der Untergang der Arkoniden?

Crest streckte sich, wollte die düsteren Gedanken abschütteln. Wie konnte er nur die Legende ernst nehmen, die ein primitiver Ackerbauer vor vielen Jahrtausenden gesponnen hatte?

Es war absurd – und zugleich musste sich Crest eingestehen, dass genau das ihn zur Erde geführt hatte: eine Legende.

Eine Legende, der er auf den Grund gehen würde.

»Positronik?«

»Zu deinen Diensten.« Die Stimme war nicht zu verorten. Sie stand einfach im Raum.

»Du erkennst an, dass ich Kommandogewalt über dich besitze?«, sagte Crest.

»Ja.«

»Uneingeschränkt?«

»Ich diene dir, soweit es in meinen Möglichkeiten steht.«

Eine Floskel? Oder ein Fingerzeig darauf, dass seine Gewalt begrenzt war?

»Wer hat dich erbaut, Positronik?«, fragte er.

»Arkoniden.«

Eine korrekte Antwort auf eine Frage, die längst beantwortet war.

»Wer hat den Befehl zu dem Bau gegeben?«, präzisierte Crest.

»Der Kommandant.«

»Wer war der Kommandant?«

Die Antwort des Rechners kam ohne Zögern: »Der Oberbefehlshaber der Schutzflotte der arkonidischen Kolonie auf Larsaf III.«

»Larsaf III« war die arkonidische Bezeichnung für die Erde. Der Planet war nicht als wichtig genug erachtet worden, um ihm einen eigenständigen Namen zu geben.

»Wie hieß der Kommandant?«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

»Man hat deine Erinnerung gelöscht?«

»Das ist möglich. Ich kann mich nicht erinnern.«

Die Aussage war folgerichtig. Angenommen, der Kommandant wollte seine Spuren verwischen – dann war es nur konsequent, auch das Verwischen der Spuren selbst zu verwischen.

»Zu welchem Zweck wurde die Kuppel erbaut?«, setzte Crest die Befragung fort.

»Als Zuflucht für die Kolonisten.«

»Welche Kolonisten? Die Menschen haben keine Spuren einer arkonidischen Kolonie auf ihrer Welt gefunden.«

»Die Menschen sind in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Seit meinem Bau ist viel Zeit vergangen.«

»Wie viel?«

»In der Zeitrechnung von Larsaf III etwa zehntausend Jahre.«

Zehntausend Jahre. Es war die Zeit des großen Kriegs gegen die Methans gewesen. Die Angabe erklärte den Zweck einer Zuflucht. Und sie stimmte mit den Aussagen des Arkoniden Kerlon überein, den Perry Rhodan auf dem Mond Lannol im Wega-System getroffen hatte – einem Greis, der mithilfe von Tiefschlafeinrichtungen die Jahrtausende überdauert hatte. Doch zu einem hohen Preis: Kerlon war dem Wahnsinn verfallen.

»Kennst du den Namen Kerlon?«, fragte er einer Eingebung folgend.

»Ja.«

»Ja? Was weißt du über ihn?«

»Ein unter Arkoniden üblicher Name. Er ...«

»Nein!«, unterbrach er den Rechner. »Ich meine eine bestimmte Person. Einen Offizier der Schutzflotte. Du musst von ihm wissen!«

»Ich erinnere mich nicht«, antwortete die Positronik.

Eine Ausflucht? Möglich, aber der alte Arkonide besaß keine Möglichkeit, Druck auf die Positronik auszuüben. Er musste auf andere Weise versuchen, mehr über die Vergangenheit herauszufinden.

»Du bist als Zuflucht konzipiert, sagst du«, fuhr er fort. »Wieso existiert dann eine weitere Zuflucht auf Larsaf II?« Er benutzte die arkonidische Bezeichnung für die Venus.

»Ich erinnere mich an keine weitere Zuflucht. Aber ihre Existenz wäre sinnvoll. Larsaf II ist lebensfeindlich für Arkoniden, ein gutes Versteck vor den Methans. Und es wäre folgerichtig, dass ich nichts von der Existenz einer zweiten Zuflucht weiß. Auf diese Weise kann ich sie nicht verraten.«

»Die Zuflucht auf der Venus war verlassen«, stellte Crest fest. Mit einer Ausnahme, aber auf sie würde er gleich zu sprechen kommen. »Auch in dieser Kuppel fanden wir keine Arkoniden. Wo sind sie?«

»Ich weiß es nicht. Ich nehme an, dass sie tot sind. Es ist viel Zeit vergangen.«

»Das ist kein Argument! In der Kuppel existieren Kälteschlafanlagen.«

»Das ist richtig.«

»Weshalb? Sie wurden nicht gebraucht! Ein Vorstoß der Methans hätte Tage oder maximal Wochen gedauert. Die Methans pflegten nicht zu verweilen.«

»Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist das richtig«, pflichtete die Positronik ihm zu.

»Wieso wurden die Anlagen dann installiert?«

»Auf Befehl des Kommandanten.«

Natürlich. Er hätte selbst auf die Antwort kommen können. Aber es erklärte nicht den Zweck. Wozu aufwendige Anlagen installieren, mit deren Hilfe man Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende überdauern konnte für einen Notfall, der allenfalls Monate anhalten würde?

»Wieso wurden sie mit einer Ausnahme nicht benutzt?«, fragte der Arkonide weiter.

»Sie wurden nicht benötigt.«

»Das ist falsch. Die Kolonie wurde angegriffen und vernichtet.« Es war die naheliegende Erklärung – und sie passte zu dem, was Kerlon berichtet hatte. »Der Kommandant muss andere Pläne gehabt haben. Oder handelte es sich um eine Frau?«

Die Positronik war kein organisches Wesen. Sie fiel nicht auf Crests durchsichtigen Vorstoß herein. »Ich erinnere mich nicht.«

»Das solltest du aber. Er lebt.«

»Der Kommandant lebt? Wie kommst du darauf?« War da ein unmerkliches Zögern? Oder hatte er es sich nur eingebildet?

»Wir haben DNS-Spuren von mehreren Arkoniden gefunden.«

»Das ist nicht anders zu erwarten. Wieso sollte das von besonderer Bedeutung sein?«

»Weil die Spuren eines Arkoniden eigenartig sind. Die Telomere der Chromosomen sind nicht verkürzt.«

»Das ist eine aufschlussreiche Information«, entgegnete die Positronik. »Was bedeutet sie?«

»Telomere sind die Enden der Chromosomen. Sie gewährleisten die Stabilität der Chromosomen. Aber bei jeder Zellteilung werden sie etwas kürzer. Unterschreitet die Telomerlänge ein kritisches Minimum, kann sich die Zelle nicht mehr weiter teilen. Der Organismus stirbt. Doch bleibt die Verkürzung der Telomere aus, bleibt der Tod aus. Der Organismus ist unsterblich.«

Sollte Crests kühne Behauptung die Positronik verblüffen, war dem Rechner nichts anzumerken. »Was du sagst, ist unmöglich«, beschied die Positronik dem alten Arkoniden. »Unsterblichkeit ist für organische Wesen nicht zu erlangen. Sie ist eine Legende.«

Ist sie das wirklich?, dachte Crest. Gibt es überhaupt »unmöglich«?

»Dein Erinnerungsvermögen scheint mir, was die fernere Vergangenheit angeht, eingeschränkt«, sagte er laut. »Kehren wir in die unmittelbare Vergangenheit zurück. Du hast einem Roboter und seiner Begleiterin, einer Halbarkonidin, Einlass gewährt.«

»Das ist richtig. Er war befugt.«

»Rico kam von der Venuszuflucht.« Zusammen mit Thora. Aber das war im Augenblick nicht von Belang. Von Belang war, dass der Roboter bei der Befreiung Crests aus der Gewalt des Mutanten Clifford Monterny zerstört worden war. Zumindest hatte es den Anschein gehabt. Tatsächlich hatten sich die Trümmer Ricos regeneriert. Er hatte die Menschen zur Kuppel vor den Azoren geführt – und in seiner Begleitung war Quiniu Soptor gewesen, eine Halbarkonidin, die zur Besatzung der AETRON gehört hatte.

»Das ist möglich«, räumte die Positronik ein. »Für mich war entscheidend, dass er autorisiert war.«

»Wie das? Wer hat ihn autorisiert? Der Kommandant?«

Der Rechner gab die Antwort, die Crest erwartet hatte: »Ich erinnere mich nicht.«

»Rico und seine Begleiterin befinden sich nicht mehr in der Kuppel?«

»Nein.«

»Auf welchem Weg haben die beiden die Kuppel verlassen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich schon. Sie haben einen Transmitter benutzt.«

»Du meinst damit ein Gerät, das in der Lage ist, Materie in Nullzeit durch den Hyperraum an einen zweiten Transmitter an einem anderen Ort zu versetzen?«, fragte die Positronik.

»Ja.«

»Ihre Existenz ist lediglich eine Legende.«

Wie die Unsterblichkeit, dachte Crest. Und Transmitter existieren!

»In der Kuppel existiert ein Transmitter«, stellte Crest fest. Und durch dieses Gerät waren Rico und Quiniu Soptor vor den Menschen geflohen. Wieso? Über Rico wusste Crest so wenig, dass es nicht einmal für Spekulationen genügte.

Aber er kannte Quiniu Soptor. Sie hatte zur AETRON gehört. Wieso war sie durch den Transmitter gegangen? Soptor musste erfahren haben, dass er selbst und Thora sich mit den Menschen verbündet hatten. Weshalb also diese Flucht? Crest fiel nur eine Erklärung ein: dass Soptor glaubte, an einem anderen Ort etwas zu finden, was das Risiko wert war. Und was, außer der Unsterblichkeit, hätte das sein können?

»Ich weiß nichts von einem Transmitter in mir«, antwortete die Positronik. »Und ich weiß von allem, was in mir vorgeht.«

»Außer natürlich, du hast es vergessen.« Crest konnte sich den bissigen Kommentar nicht verkneifen. »Zeig mir einen Plan der Kuppel!«

Augenblicklich leuchtete ein Hologramm vor Crest auf. Crest zoomte es heran, dirigierte es mit beiden Händen in die gewünschte Position. Dann deutete er mit dem Finger auf einen kleineren, unscheinbaren Raum. »Wozu dient dieser Raum?«, fragte er.

»Lagerung von Ersatzteilen.«

»Ursprünglich war das der Fall. Zeige mir den Raum.« Ein weiteres Holo entstand. Es bildete den Raum in Großaufnahme ab – und den Transmitter.

»Was ist das für ein Gerät in der Mitte des Raums?«, drängte er.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, antwortete die Positronik.

»Lüg mich nicht an!« Zorn wallte in Crest wider besseres Wissen auf. Positroniken war nichts unmöglich. Bis auf eines: Sie vermochten nicht zu lügen.

»Du weißt, dass ich dazu nicht in der Lage bin«, wies ihn der Rechner auf das hin, was ihm eigentlich bewusst war.

»Wieso siehst du dann nicht das, was ich sehe? Was du mir gerade zeigst? Wieso ...«

»Störe ich?« Die Stimme kam von jemand hinter Crests Rücken. Sie sprach englisch.

Der Arkonide wirbelte im Sessel herum. Ein Mensch war unbemerkt in die Zentrale getreten. Er war mittleren Alters, trug eine Cargo-Hose mit weit ausgebeulten Taschen, eine lederne Weste und eine Kopfbedeckung mit breiter Krempe, die die Menschen »Cowboyhut« nannten.

»Mister Aescunnar? Was machen Sie hier mitten in der Nacht?«

»Ich konnte nicht schlafen.« Der Mensch lächelte. »Ich schätze, mir schwirren zu viele Fragen im Kopf herum. Ich dachte, vielleicht hilft ein Spaziergang.«

Cyr Aescunnar war seit zwei Wochen in der Kuppel. Homer G. Adams hatte sich für ihn eingesetzt. Aescunnar bezeichnete sich als Historiker, auch wenn er keinen der Abschlüsse vorweisen konnte, auf die die Menschen so großen Wert legten. Crest konnte nicht beurteilen, ob das seine Qualifikation schmälerte. Fest stand für ihn dagegen, dass Aescunnar ein außergewöhnlich heller Kopf war – und hartnäckig.

»Mir ging es ähnlich«, sagte Crest.

»Die Positronik ist störrisch?« Aescunnar zeigte auf die Holos.

»Störrischer als ein irdisches Maultier«, entgegnete der Arkonide. Aescunnar hatte ihm einmal von den bockigen Lasttieren erzählt, die seine Expeditionen des Öfteren aufgehalten hatten.

Der Historiker lachte. »Vielleicht ist es dann Zeit, sich einem lebenden Wesen zuzuwenden?« Er zwinkerte dem Arkoniden zu.

»Wie zum Beispiel einem unersättlich neugierigen Menschen wie Ihnen?«

3.

Perry Rhodan

Gol, im Wega-System

»Antwort?«, fragte Perry Rhodan, ohne den Blick von dem havarierten Topsiderraumer abzuwenden. Der Rumpf schien zum Greifen nahe. Rhodan hatte die PANERC keine zehn Meter vom Bug des Schiffs entfernt zu Boden gebracht.

»Keine Reaktion«, entgegnete Reginald Bull. »Ich habe sowohl die Frequenzen durchgespielt, die das ferronische Militär ermittelt, als auch die, die uns der Weise Trker-Hon mitgeteilt hat.«

Giftgasnebel wallten auf, nahmen Rhodan die Sicht auf den Rumpf. Eine Erinnerung daran, wo sie sich befanden – und dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. In dem Tal herrschte beinahe Windstille, aber das konnte sich jederzeit ändern.

»Chaktor, was haben Sie herausgefunden?«

»Die Infrarotspürer messen Temperaturen zwischen neun und zweiundzwanzig Grad in den meisten Sektionen des Schiffs an. Ausnahme ist die zentrale Kugel, dort liegen sie höher, bis zum vierstelligen Bereich.« Die Augen des Ferronen, die ohnehin tief in den Höhlen lagen, hatten sich so weit verengt, dass Rhodan ihren Ausdruck nicht deuten konnte.

»Das bedeutet zwei Dinge«, stellte er fest. »Der Rumpf ist allenfalls stellenweise geborsten. Und zumindest ein Reaktor ist weiter aktiv und versorgt die Lebenserhaltungssysteme.«

»Der Schluss liegt nahe«, stimmte der Ferrone zu.

»Konnten Sie Geräusche lokalisieren?«, fragte Rhodan. Es hatte sich herausgestellt, dass die Ferronen über eine hochstehende Horchtechnologie verfügten.

»Sie meinen Geräusche, die von Besatzungsmitgliedern stammen? Nein.«

Rhodan sah fragend erst zu Bull, dann zu Chaktor. Der Freund nickte. Der Ferrone machte eine zustimmende Geste, wenn auch zaghaft.

»In Ordnung, wir sehen uns das Schiff an.«

Eine grell orangefarbene Gangway entfaltete sich, arbeitete sich ringelnd über den Boden, als handele es sich um eine Schlange, und saugte sich am Rumpf des Topsiderraumers fest.

Sie gehörte zur Grundausstattung der PANERC und diente dazu, druckdichte Verbindungen zwischen Fahrzeugen im Vakuum herzustellen. Eine gewisse Reißfestigkeit war dafür unentbehrlich, aber Rhodan hegte keinen Zweifel, dass eine einzige Böe auf Gol den Schlauch in Fetzen reißen würde. Dennoch ließ er Chaktor gewähren. Für den Ferronen war die Gangway von höchstem psychologischen Wert: Sie bewahrte Chaktor davor, den Fuß auf die Welt der Geister setzen zu müssen.

Der Ferrone hatte beide Strahler gezogen, drehte sich unablässig im Gehen, während sie die kurze Distanz überbrückten. Gasschwaden trieben träge über sie hinweg, zeichneten Schemen auf das unter dem hohen Druck steinharte Material. Chaktor folgte ihren Bahnen, um sie zu zerstrahlen, sollten sie sich als Geister erweisen.

Die Gangway mündete an einem Schott. Bull machte sich an einem Handrad zu schaffen, das in den Rumpf eingelassen war. Vergeblich.

Rhodan räusperte sich und zischte einen langen Satz auf Topsidisch. Er hatte ihn von dem Weisen Trker-Hon gelernt, der instrumental bei der Beilegung des topsidisch-ferronischen Krieges gewesen war. Es handelte sich dabei um eine Ermahnung, die der Weise in einer Schlitzohrigkeit, die Rhodan einem Echsenwesen niemals zugetraut hätte, als den zwölften Satz der elf Sätze der sozialen Weisung seiner Art bezeichnet hatte: »Erkenne die Not. Handle. Öffne Geist, Herz und Tor dem, der in Not ist!«

Dieser Satz, hatte ihm der alte Topsider mit der Augenklappe versichert, würde ihnen Zutritt zu jedem beliebigen Topsiderschiff verschaffen. Es fiel Rhodan schwer zu glauben, dass dieselben Wesen, die die Ferronen überfallen, ihre Planeten verwüstet und Zehn- vielleicht Hunderttausende ermordet hatten, zu selbstlosen Regungen fähig waren. Aber er wusste auch, dass er Trker-Hon vertrauen konnte. Der Weise war ein außergewöhnliches Wesen.

Eine Automatik erwachte summend zum Leben. Das Schott glitt zur Seite, gab eine Schleusenkammer frei, die genug Platz für die beiden Menschen und Ferronen bot. Sie traten ein. Rhodan und Bull zogen ihre Waffen. Zischend strömte Luft in die Kammer, das innere Schott öffnete sich und gab den Blick auf einen Vorraum frei. An den Wänden hingen Raumanzüge und andere Ausrüstungsgegenstände in Verankerungen.

Der Raum war verlassen.

Bull sah sich suchend um und fand in der Wand einen Knotenpunkt des Bordnetzes. Er zog ein Multiwerkzeug aus der Oberschenkeltasche seines Kampfanzugs, ging in die Knie und machte sich daran, die Verkleidung zu lösen. Chaktor wirbelte derweil ruckartig auf dem Absatz herum, als fürchte er, ein Geist von Gol fiele ihn an, wenn er auch nur eine Sekunde zu lang auf der Stelle verharrte.

»Kreuzverflucht, Chaktor!«, schnauzte Bull den Ferronen an. »Hör auf mit dem Gefuchtel und hilf mir!« Chaktor drehte sich in Richtung des Freundes, als wolle er auf ihn losgehen. Dann ging ihm auf, dass der Mensch ihm lediglich helfen wollte, seine Angst zu bewältigen. Er ging zu Bull, legte die beiden Waffen ab und zog an der Verkleidung.

»Atmosphäre ist atembar«, meldete sich die Anzugpositronik Rhodans. »Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch mit geringfügiger Beimengung von Edelgasen, wie von Topsidern bevorzugt. Temperatur 12,3 Grad. Künstliche Schwerkraft auf Topsid-Niveau von 1,3 Gravos. Ich empfehle, die Helme zu öffnen, um Atemluft zu sparen.«

»Empfehlung abgelehnt«, entgegnete Rhodan. Sie hatten nicht vor, viel Zeit auf Gol zu verbringen. Und auch wenn Rhodan nicht an die Geister der Ferronen glaubte, vergaß er nicht, dass sie sich in einer mörderischen Umgebung aufhielten. Die Stabilität an Bord des notgelandeten Topsiderraumers war brüchig. Die gewaltige Schwerkraft Gols, gepaart mit dem hohen atmosphärischen Druck, konnte sie jederzeit zunichtemachen.

Knisternd sprühten Funken, als Bull der Verkleidung mit einem gezielten Energiestrahl zu Leibe rückte. Rhodan nahm es aus dem Augenwinkel wahr, während er versuchte, das aufzunehmen, was die Instrumente seines Kampfanzugs nicht vermochten: die Stimmung an Bord des notgelandeten Schiffs. Sie behagte ihm nicht. Aber wieso?

Die Verkleidung polterte zu Boden. Bull fasste sich an die Hüfte, zog ein Kabel aus einer Tasche und steckte es in die rauchende Öffnung in der Wand. Kaum war die Spitze des Kabels darin verschwunden, ringelte es sich wie eine Schlange. Das Kabel suchte Kontakt.

Die Sensoren des Kampfanzugs registrierten den Rauch, leiteten den Duft an Rhodan weiter. Er war ihm überraschend vertraut, erinnerte ihn an die langen Samstagnachmittage, die er als Kind bei seinem Onkel Karl verbracht hatte. Der Onkel hatte in seiner Garage unter einem aufgebockten Auto gelegen und den Unterboden geschweißt.

»Bingo!«, murmelte Bull. »Kontakt hergestellt!«

Später am Abend hatten er und Karl zusammen Filme gesehen. Filme über den Zweiten Weltkrieg, für die sein Onkel ein unerklärliches Faible besessen hatte ... Rhodan ruckte unwillkürlich hoch, als er verstand, was ihm nicht behagte. Er hatte erwartet, dass der Topsiderraumer ihn an ein havariertes U-Boot aus einem der Filme seines Onkels erinnern würde. Ein Rumpf, der unter der Belastung des hohen Drucks und der mörderischen Schwerkraft ächzte. Schummrige Notbeleuchtung. Schimmelduft in der abgestandenen, verbrauchten Luft. Eine Besatzung, die einem langsamen Erstickungstod ausgeliefert war.

Nichts davon traf zu. Was ...?

»Habe ich es mir doch gedacht!«, rief Bull aus.

»Was ist?« Rhodan wandte sich an den Freund.

»Der Bordrechner ist tot, ebenso wie alle Redundanzsysteme.« Das Gesicht des Freundes war nicht zu erkennen. Reg hatte sich die Daten, die die Anzugpositronik aus der Verbindung generierte, auf die Innenseite des Helms gespielt. »Nur noch die Basisfunktionen sind intakt.«

»Wie kann das sein?«, warf Chaktor ein. Er war aufgestanden, hatte eine der Waffen wieder aufgenommen. »Wenn der Schaden so groß ist, sollten sie ebenfalls ausgefallen sein.«

»Eigentlich ja«, räumte Bull ein. »Aber sie sind es nicht. Ich schätze, das ist eine der Stärken des topsidischen Designs. Trker-Hon hat mir davon erzählt. Man muss das analog zum Hirnaufbau der meisten intelligenten Lebewesen sehen. Es gibt mehrere Schichten, die unterste ist das Stammhirn. Robust und kaum totzukriegen, wie bei der NESBITT-BRECK.«

»Bei der was?«

»NESBITT-BRECK. So heißt das Schiff. ›Funkelnder Stern‹.« Bull verzog das Gesicht. »Hätte unseren Echsenfreunden gar nicht so viel Poesie zugetraut.«

»Hast du eine Erklärung für den Zustand?«, schaltete sich Rhodan ein.

»Noch nicht. Aber ich liefere sie nach, wenn wir uns den Kahn in seiner Gänze angesehen haben. In Ordnung?«

»In Ordnung.«

Sie machten sich auf den Weg. Die Schleuse, durch die sie das Schiff betreten hatten, lag nahe des Bugs. Sie wandten sich in Richtung der zentralen Kugel des Raumers. Rhodans Kampfanzug sandte sowohl akustisch als auch auf den bekannten Frequenzen der topsidischen Flotte einen fortwährenden Friedensgruß aus: »Wir sind Freunde! Wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen!«

Chaktor setzte sich an die Spitze, die beiden Waffen erhoben, bis Rhodan den Ferronen zurechtwies. »Chaktor, stecken Sie die Waffen weg! Wir sind nicht hier, um einen Kampf zu provozieren!«

Der Ferrone zögerte.

Rhodan setzte nach: »Und glauben Sie im Ernst, Ihre Geister würden sich von gewöhnlichen Strahlern beeindrucken lassen?«

Chaktor steckte die Waffen widerwillig in die Holster an den Oberschenkeln. Der Ferrone hatte Angst. Nur der Respekt vor Rhodan, dem Lichtbringer, brachten ihn dazu, der Aufforderung zu folgen.

Ein kerzengerader Gang führte zu der zentralen Kugel. Er war von Türen gesäumt. Sie standen offen. Die beiden Menschen und der Ferrone untersuchten jeden der Räume. Es waren in der Mehrzahl Mannschaftsquartiere, allesamt verlassen. Habseligkeiten lagen über den Boden verstreut, mussten beim Aufprall des Schiffs von ihren Plätzen gerissen worden sein. Rhodan konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als kehrten die Bewohner der Quartiere jeden Augenblick zurück.

Unmittelbar vor der zentralen Kugel lag ein Hangar. Er war leer. Farbige Markierungen auf dem Boden zeigten an, dass er Platz für drei Beiboote bot.

»Das erklärt einiges«, sagte Bull. Der Freund ging in die Knie und strich mit den Fingern über die langen Rillen im Stahl, die von den Kufen der Boote herrühren mussten. Als handele es sich bei Bull um einen Jäger, der die Spur seiner Beute prüfte. »Die Besatzung hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht.«

»Wahrscheinlich«, stimmte Rhodan zu. »Oder sie hat sich in die Zentrale zurückgezogen. Die Topsider haben während der Bodenkämpfe von vielen Schiffen die Beiboote abgezogen, um den Widerstand der Ferronen zu brechen.«

Bull verzog das Gesicht. »Reizende Vorstellung, in einem abstürzenden Schiff festzusitzen, weil dir das Oberkommando die Beiboote weggenommen hat.«

»Ich glaube, die Menschen haben dafür einen Ausdruck.« Chaktor machte ein zischendes Geräusch. »›Ausgleichende Gerechtigkeit‹!« Der Ferrone wandte sich ab. »Gehen wir weiter!«

Die zentrale Kugel schien anfangs unversehrt. In ihrem gepanzerten Innern lag die Zentrale des Schiffs. Wie bei arkonidischen Schiffen war sie als Zuflucht für die Besatzung gedacht. In ihr hatte die Mannschaft eine Chance, die Vernichtung des Schiffs zu überleben. Um die Zentrale spannte sich die Hohlkugel des Transitionstriebwerks, die praktisch das gesamte restliche Volumen dieses Segments einnahm. Gänge, die der Wartung dienten, führten durch die Außenbereiche. Sie folgten einem von ihnen – und stießen auf den Grund des Absturzes der NESBITT-BRECK.

Der Schuss aus einem Strahlengeschütz hatte den Rumpf auf einer Fläche von mehr als zehn auf zehn Metern – die Kampfanzüge ermittelten den Wert – aufgerissen. Der Einschlag lag genau auf der Nahtstelle zwischen Kugel und Heckteil. Die NESBITT-BRECK war auf ihm zu liegen gekommen, weshalb sie den Treffer aus der Fähre nicht hatten feststellen können.

An dem Leck war gearbeitet worden. Es war notdürftig abgedeckt. Stählerne Streben stützten die Stabilität des Rumpfes.

»Bitter«, sagte Bull. »Keine Beiboote – und dann noch einen Treffer von den eigenen Leuten einstecken.«

»Das nennt sich Krieg«, antwortete Rhodan. Er wandte sich um, musterte die Wand, die das Transitionstriebwerk abschirmte. »Aber wenigstens ist der Schuss nicht bis zum Überlichttriebwerk vorgedrungen.«

»Zum Glück. Sonst hätten wir unseren Trip in die Hölle umsonst unternommen.«

»Die Geister! Es sind die Geister!« Chaktor schnappte nach Luft. Es ähnelte dem Hecheln, das Ferronen in Ermangelung von Schweißdrüsen praktizierten, um sich zu kühlen. Aber Chaktor war nicht zu heiß. Die Angst trieb seinen Puls nach oben.

»Unsinn!«, widersprach Bull. Er ging an eine der Streben und klopfte auf die unsaubere Schweißnaht. »Das hier ist die Arbeit von Überlebenden, die fieberhaft zu retten versuchen, was zu retten ist.«

»Ja? Wieso ist dann der Bordrechner tot?« Chaktors Gesicht schien noch bleicher als beim Anflug auf Gol. »Ein Leck im Rumpf erklärt das nicht! Und wieso reagiert die Besatzung auf unsere Funkanrufe nicht? Und wieso haben wir noch keinen einzigen Topsider gefunden?«

»Ein Teil der thermischen Energien wird sich als Schockwelle ausgebreitet, durch die Verkabelung des Schiffs fortgesetzt und den Bordrechner gekostet haben.« Bull ging auf den Ferronen zu, wollte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter legen, aber er ließ es, als Chaktor sich versteifte. Ruhig fuhr er fort: »Wir haben noch längst nicht das ganze Schiff durchsucht. Die Zentrale ist der sicherste Raum an Bord, dort ...«

»Nirgends ist es sicher vor den Geistern!«

»Ich habe noch keinen gesehen.«

»Du ...«

»Aufhören!«, ging Rhodan dazwischen. Bull und Chaktor waren einander vertraut, so etwas wie Kameraden geworden. Doch auch Kameraden gerieten sich in die Haare. »Das sind wilde Spekulationen. Wir stoßen zur Zentrale vor, dann sehen wir weiter. Klar?«

Er bekam keine Antwort, aber auch keinen Widerspruch. Rhodan setzte sich in Bewegung, Bull und Chaktor folgten schweigend. Sie gingen die Wartungskorridore ab, ohne auf weitere Beschädigungen zu stoßen. Schließlich erreichten sie das Schott, das sie von der Zentrale trennte.

Bull fand an der Wand einen weiteren Knotenpunkt und machte sich daran zu schaffen. Er sah auffordernd zu Chaktor, aber der Ferrone ignorierte ihn. Er stand breitbeinig vor dem Schott, beide Waffen entsichert und in Hüfthöhe auf die Öffnung gerichtet. Ein Flimmern legte sich um die gedrungene Gestalt. Der Ferrone hatte den Schutzschirm aktiviert.

Chaktor handelte aus Furcht. Und vernünftig zugleich.

Rhodan zog die Waffe, aktivierte den Schirm. Wer bis jetzt ihre Friedensbotschaften nicht gehört hatte, würde kaum auf sie ansprechen.

»Okay!«, rief Bull. »Ich habe den Mechanismus.«

Quälend langsam glitt das Schott zur Seite. Chaktor stieß einen Schrei aus und zwängte sich durch den größer werdenden Schlitz. Rhodan folgte ihm. Der Ferrone wirbelte durch die Zentrale, bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegte.

Chaktor fand kein Ziel.

4.

Wuriu Sengu

Vor den Azoren

»Muss das sein?«

Ariane Colas machte keine Anstalten, von dem Bett ihrer Kabine in der Unterwasserkuppel aufzustehen. Sie hatte sich ein Kissen unter den Kopf geklemmt. Ihre langen braunen Haare fielen über den Stoff. Ihre Lippen waren neongrün angemalt, in ihre Wimpern waren LEDs eingewebt, die pulsierend die Farbe wechselten. Von Rot auf Blau, auf Gelb und wieder auf Rot.

»Es muss«, sagte Wuriu Sengu, der im Türrahmen stehen geblieben war. In der Kabine duftete es nach allem, was die moderne Kosmetikindustrie an Essenzen aufzubieten hatte. Oder war es Ariane, die ihre Gabe spielen ließ? Egal, der Japaner musste ein Husten unterdrücken.

»Wieso? Du bist bestimmt hundertmal in den letzten Wochen durch die bescheuerte Kuppel gelatscht.« Ariane sah ihn nicht an. Ihr Pod lag auf dem Bauch. Das Gerät projizierte eine Galerie von Fotos und Videos an die Wand. Makellose, leere Gesichter, grell geschminkt – Männer wie Frauen. Ihre »Entourage«, wie Ariane sie nannte.

Dem Japaner fiel spontan eine bessere Bezeichnung für sie ein: »Bagage«.

»Das bin ich«, sagte Sengu. »Aber noch nicht im mentalen Block mit dir. Deshalb will ich, dass du mitkommst.«

Und weil mich Crest da Zoltral inständig darum gebeten hat, setzte er in Gedanken hinzu. Nur deshalb, du Zicke!

Ariane dreht den Kopf, musterte ihn abschätzig, als handele es sich bei ihm um ein unappetitliches Insekt. »Ein mentaler Block?« In die unsichtbare Duftwolke, die in der Kabine hing, mischte sich ein säuerlicher Unterton. »Dann kommen wir zwei uns näher ... Glaubst du, dass du damit umgehen kannst?«

Wuriu Sengu ballte die Hände, dachte an Crest und schwieg.

Ariane nahm es zum Anlass, noch einen draufzusetzen. »Ich weiß nicht so recht. Was ist, wenn uns jemand beim Händchenhalten sieht? Dein Armeechic ist unterirdisch, Junge.« Wuriu Sengu trug eine ausgemusterte Uniform der chinesischen Volksbefreiungsarmee, von der alle Insignien entfernt waren. In den ersten Tagen Terranias hatten die Menschen keine andere Wahl gehabt, als sich bei den Beständen der ehemaligen Belagerungsarmee zu bedienen. Aus der Notwendigkeit war ein Modestil entstanden, dem Sengu aus Überzeugung folgte. Sie erschufen eine neue, bessere Welt, in der Äußerlichkeiten keine Bedeutung mehr besaßen.

»Er ist praktisch«, entgegnete er.

»Klar. Wie deine Frisur.« Ariane verdrehte die Augen. Ihre LED-Wimpern verfärbten sich zu einem schockierten Mausgrau.

»Gelstacheln. Das ist so ... so ...«, die Neunzehnjährige rang um Worte, »... so letztes Jahrtausend. Willst du damit die Kaninchen aufspießen, die du mit deiner Keule erschlägst, wenn du allein durch die Gobi spazieren gehst?«

Sengus Puls schlug bis zum Hals. Woher wusste sie von seinen einsamen Wanderungen? »Äußerlichkeiten«, brachte er hervor. »Das ist alles, was du siehst, was?«

»Natürlich, großer Held der Wega. Ich bin ja im Gegensatz zu dir nur ein gewöhnlicher Mensch. Ich habe die Erde nie verlassen. Ich kann nicht hinter die Kulissen sehen wie du ...«

Der Japaner holte tief Luft, wünschte sich zurück auf die Wega. Es mit einer Kompanie topsidischer Raumlandesoldaten aufzunehmen, schien ihm ein Klacks gegen diesen oberflächlichen Teenager. Aber er würde nicht aufgeben. Er hatte den Topsidern getrotzt, er würde nicht vor diesem verwöhnten Mädchen einknicken.

»Gut, damit wären die Fronten geklärt. Begleitest du mich? Nur eine Stunde, Ariane. Bitte!«

»Na also, du hast doch Manieren, wenn du nur willst!« Arianes LED-Wimpern leuchteten freudig auf. Sie löste sich mit einer Geschmeidigkeit, die Sengu ihr nicht zugetraut hätte, von dem Bett. Im Raum stand plötzlich frische Seeluft. »Eine Stunde. Und keine Minute länger. Klar?«

»Klar«, antwortete der Japaner. Und dachte: Sonst gehe ich ohne Kampfanzug durch eine Schleuse!

»Der Aufbau der Station ist recht simpel.« Sengu hatte Ariane Colas an den höchsten Punkt der Anlage geführt, unmittelbar unter der Kuppel. Sie bestand an dieser Stelle aus einem transparenten Material, das Crest »Glassit« nannte – eines der vielen arkonidischen Wunder, hielt dieses Glassit doch dem Druck stand, den beinahe dreitausend Meter Wasser auf es ausübten.

»Die Kuppel, die aus dem Meeresgrund hinausragt, misst etwa einhundertzwanzig Meter. Daran schließt sich ein einhundertsechzig Meter tiefer Zylinder an.«

Ariane sah weder ihn an, noch schenkte sie der von starken Scheinwerfern erleuchteten unterseeischen Landschaft einen Blick. Sie spielte demonstrativ mit ihrem Pod.

Sengu ignorierte es ebenso demonstrativ und mit einer gewissen Schadenfreude. Ariane saß in der unterseeischen Kuppel im übertragenen Sinn auf dem Trockenen. Ihr Pod war abgeschnitten vom Netz und das Mädchen damit von ihrer Entourage. Sie konnte sich die Porträts ihrer virtuellen Clique ansehen, mehr nicht. Kein Chat, keine Live-Feeds, nichts, was das Leben für den Teenager ausmachte.

»Wir beide werden die Station systematisch von oben nach unten durchsuchen«, sagte der Japaner.

Ariane fingerte an ihrem Pod herum, als hätte er nichts gesagt.

Sengu legte die flache Hand über den Pod. »Hast du mich gehört?«

Sie sah auf, ihre LED-Wimpern funkelten ihn wütend an. »Ich bin ja nicht taub.« Widerwillig klinkte sie den Pod an den Gürtel. »Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Da haben diese Arkoniden eine Kuppel aus Stahl auf den Meeresboden gesetzt. Was geht uns das an?«

Der Japaner beäugte den Teenager argwöhnisch. Spielte sie ihm etwas vor? Konnte ein Mensch des Jahres 2036 so ignorant sein wie sie? »Das ist doch offensichtlich ...«, begann er. Sengu wusste genau, was er sagen wollte: Es änderte alles. Die Menschheit war nicht mehr länger die Krone der Schöpfung. Sie war nicht allein im Universum. Und wenn es ihr gelang, die Technologie der Arkoniden zu meistern, stand ihr das Universum offen. Glasklar in seinen Gedanken – aber es vor diesem eingebildeten Teenager in Worte zu fassen? Unmöglich.

»Ja, ich höre.« Ariane erwiderte seinen Blick trotzig.

Wieso tat er sich das nur an? »Später«, sagte er. »Bringen wir das hier hinter uns, okay?«

»Okay. Aber danach will ich raus aus diesem Knast. Klar? Ich bin morgen Abend auf Partys in Shenzen, Nairobi und Midfield, Ohio, eingeladen.« Sie klimperte vermeintlich unschuldig mit den LED-Wimpern. »Was meinst du als erfahrener Partysoldat? Auf welche Fete würdest du gehen?«

»Mir völlig gleich.«

Ariane stemmte die Arme in die Hüften. »Sag mal, lebst du noch, oder bist du mit vierundzwanzig schon fossilisiert?«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein kompliziertes Wort kennst!«, versetzte er. »Und jetzt reicht es.« Er hielt ihr die Hand hin.

Zu seiner Überraschung nahm Ariane sie ohne eine weitere bissige Bemerkung.

Sengu schloss die Augen. Er konzentrierte sich. Der Japaner und die übrigen Mutanten hatten in den letzten Wochen in der Abgeschiedenheit des Lakeside Institute unermüdlich an ihren Paragaben gearbeitet.

Sengu hatte Fortschritte gemacht, die ihn selbst überraschten. Er ermüdete weniger rasch, die Reichweite seiner Gabe hatte sich stark erhöht – und nicht zuletzt ihre Genauigkeit.

Neben zahllosen Experimenten, die den Geheimnissen der Paragaben auf die Spur kommen sollten, verbrachten die Mutanten viel Zeit damit, mentale Blöcke zu bilden. Auf diese Weise vermochten sie ihre Kräfte zu bündeln, und was dabei entstand, ging weit über die Summe seiner Teile hinaus. Zwei Mutanten genügten bereits, um einen einfachen mentalen Block zu bilden. Dabei hatte es sich erwiesen, dass die spezielle Ausprägung der Paragabe unwichtig war. Wieso das der Fall war, konnten die Wissenschaftler noch nicht beschreiben.

Ebenso wenig wie es Wuriu Sengu vermochte, die Erfahrung in Worte zu fassen.

Einen mentalen Block zu bilden hieß, eine Verbindung mit einem anderen Menschen einzugehen, mit seinem Geist, seiner Seele. Es war eine Verbindung, für die es kein Beispiel gab, keine Analogie, aus der man hätte schöpfen können. Ein mentaler Block ermöglichte keine Telepathie. Die Gedanken des anderen Mutanten blieben verborgen. Aber dennoch verstand man den anderen in einer Vollkommenheit, die Menschen für gewöhnlich verschlossen blieb.

Im mentalen Block gab es keine Geheimnisse.

Wuriu Sengu stählte sich für die Verachtung, die Ariane Colas ihm entgegenbrachte. Zu seiner Verblüffung fand er Verachtung vor – aber keine, die gegen ihn gerichtet war.

Ariane Colas verachtete sich selbst.

Die Erkenntnis erschütterte den Japaner so sehr, dass der mentale Block um ein Haar auseinandergebrochen wäre. Er musste sich irren. Diese gedankenlose, oberflächliche Modepuppe hasste sich selbst? Das war absurd.

»Die Zeit läuft«, sagte Ariane. »Worauf wartest du?«

»N... nichts.«

Hand in Hand begannen die Mutanten ihre Suche. Sie gingen die Hangars ab, die Zentrale, die Quartiere der Besatzung, die um die Zentrale gruppiert waren, erreichten schließlich die Lagerräume, die in dem Zylinder lagen, der tief in den Meeresboden reichte.