Philoktet - Heiner Müller - E-Book

Philoktet E-Book

Heiner Müller

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Philoktet, geschrieben 1958/1964 und uraufgeführt 1968 am Münchner Residenztheater, ist eines der bekanntesten und wichtigsten Stücke des Autors. Diese Ausgabe gestattet den Vergleich mit der ›Vorlage‹, auf die Heiner Müller (1929–1995) antwortete: Sophokles' Philoktet, uraufgeführt 409 vor Christus in Athen.

»Die griechische wie die deutsche Version des tragischen Lebens von Philoktet zeigen deutlich, daß die Sprache der Partner des Todes ist. Man hört ihn als ein dunkles musikalisches Branden im Epos, aus dem das Ensemble der großen griechischen Tragödien hervorgeht. Man hört ihn auch, nicht nur in seinem Philoktet, im Ensemble der Stücke von Müller. Wenn es sich nicht um eine Komödie handelt, ist das Theater ein Akt des Tötens – wie der Stierkampf. Das Instrument, das Werkzeug dieser Tötung ist das Wort. Diese Macht zeigt sich nirgends so radikal, so klinisch wie in diesen beiden Werken.« Etel Adnan

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 144

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heiner Müller Philoktet

Sophokles Philoktet

Aus dem Griechischen von Wolfgang Schadewaldt

Nachwort von Wolfgang Storch

Suhrkamp Verlag

Heiner Müller Philoktet

Personen

NEOPTOLEMOS

ODYSSEUS

PHILOKTET

Prolog

Darsteller des Philoktet, in Clownmaske.

Damen und Herren, aus der heutigen Zeit

Führt unser Spiel in die Vergangenheit

Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war

Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr.

Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal

Was wir hier zeigen, hat keine Moral

Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen.

Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.

Saaltüren fliegen auf.

Sie sind gewarnt.

Saaltüren zu. Der Clown demaskiert sich: sein Kopf ist ein Totenkopf.

Sie haben nichts zu lachen

Bei dem, was wir jetzt miteinander machen.

Küste.

Odysseus. Neoptolemos.

ODYSSEUS

Das ist der Platz, Lemnos. Hier, Sohn Achills

Hab ich den Mann aus Melos ausgesetzt

Den Philoktet, in unserm Dienst verwundet

Uns nicht mehr dienlich seit dem, Eiter drang

Aus seiner Wunde stinkend, sein Gebrüll

Kürzte den Schlaf und gellte mißlich in

Das vorgeschriebne Schweigen bei den Opfern.

Der Berg ist sein Quartier, sein Grab nicht, hoff ich

Ein Loch, vom Wasser in den Fels gewaschen

In langer Arbeit, als der Fisch bewohnte

Was wir mit trockner Sohle jetzt begehn.

Ein Quell davor. Wenn zehn Jahre einen Quell nicht

Austrocknen. Such mir seine Wohnung. Dann

Hör meinen Plan und was dabei dir zufällt.

NEOPTOLEMOS

Dein Auftrag führt nicht weit.

ODYSSEUS

Leer?

NEOPTOLEMOS

Eine Laubstreu.

Aus rohem Holz ein Trinknapf. Feuersteine.

Lumpen, zum Trocknen an den Wind gehängt

Mit schwarzem Blut.

ODYSSEUS

Die Wunde immer noch.

Er kann nicht weit gehn mit dem alten Schaden

Sucht Nahrung oder Grünzeug das den Schmerz dämpft.

Sorg daß er uns nicht anfällt, lieber ja

Als irgendeinem gibt er mir den Tod.

NEOPTOLEMOS

Mit Grund. Du warst das Eisen das ihn abschnitt.

ODYSSEUS

Sei du das Netz, mit dem ich ihn zurückfang.

NEOPTOLEMOS

Dein Wort hat weite Maschen. Was verlangst du?

ODYSSEUS

Daß du in unsrer Sache dich nicht schonst.

NEOPTOLEMOS

Das Leben zu behalten leb ich nicht.

ODYSSEUS

Noch andres das dir mehr sein mag als Leben.

Schwatz ihm den Bogen aus der Hand, mit Pfeilen

Schickt er mein Wort zurück in meinen Mund

Du hattest keine Hand in seinem Unglück

Nicht dein Gesicht auf unsern Schiffen sah er

Leicht mit gespaltner Zunge fängst du ihn

Leicht schleppen wir aufs Schiff den Waffenlosen.

NEOPTOLEMOS

Zum Helfer bin ich hier, zum Lügner nicht.

ODYSSEUS

Doch braucht es einen Helfer hier der lügt.

NEOPTOLEMOS

Vielleicht kann Wahrheit mehr.

ODYSSEUS

Bei dem nicht unsre.

NEOPTOLEMOS

Was kann er gegen zwei auf einem Fuß?

ODYSSEUS

Solang er seinen Bogen hat, zu viel.

NEOPTOLEMOS

Laß uns mit Pfeilen kreuzen seinen Pfeil.

ODYSSEUS

Wer folgt dem toten Feldherrn in die Schlacht?

NEOPTOLEMOS

Der Pfeil auf unsrer Sehne hält vielleicht

Im Köcher seinen Pfeil.

ODYSSEUS

Mehr als sein Leben

Gilt unser Tod ihm, und kein Leben ist

Auf Lemnos, das der Krieg nicht braucht vor Troja.

NEOPTOLEMOSwirft seinen Speer weg.

Mit nackten Händen zieh ich ihn aufs Schiff.

ODYSSEUSnimmt den Speer auf.

Sei wo du willst kühn, klug brauch ich dich hier

Und wenig nütz ist mir des Toten Schläue.

Lern das von mir eh dich sein Pfeil belehrt.

Dein letzter Gang wärs, Narr, ließ ich dich gehn.

NEOPTOLEMOS

Laß mir den Gang, so laß ich dir die Furcht.

ODYSSEUS

Wenn du noch einen Schritt gehst nagl ich dich

Mit deinem eignen Speer an diese Insel.

Und Herakles erscheint dir nicht wie dem

Den der beraubte Gott an sein Gebirg schlug

Zu dauernder Gesellschaft seinen Vögeln

Nicht von der Art die nachwächst ist dein Fleisch

Dich werden ganz vom Stein die Geier pflücken.

NEOPTOLEMOS

Viel hohen Mut dem Waffenlosen zeigst du.

ODYSSEUS

Ich zeig dir, was der Waffenlose kann.

NEOPTOLEMOS

Mit meinem Speer. Und nicht zum erstenmal

Seh ich in deinen Händen meins, geschickt

Zum Diebstahl, und an mir besonders, sind die

Mit Recht nicht trägst du, was mein Vater trug

Als er noch Hände hatte, sie zu brauchen

Das viel beschriene Erz, die narbige Stierhaut.

Gib mir von meinen Speeren einen wieder

Ich zeig dir, was ich kann mit einem Speer.

ODYSSEUS

Zeig mirs zu andrer Zeit am andern Ort.

Auch hab ich deinen Speer schon rot gesehn

Und zweifle nicht an deiner Kunst im Schlachten.

Ich brauch dich lebend und noch brauchst du mich so.

Mit tausend Speeren ist mein Speer begabt

Vom Zufall der Geburt, mit tausend deiner

Und tausend Speere sind mit dem behalten

Oder verloren, wenn du mir versagst.

Das wars warum ich dich nach Troja schleppte

Von Skyros weg, eh du das Leben schmecktest

Nach deines Vaters uns zu zeitigem Tod

Als seine Mannschaft weigerte die Schlacht

Auf seinem Hügel saufend seinen Wein

Und seine Weiber teilend, lang entbehrt

Das eine wie das andre überm Schlachten

Für seinen Ruhm und Mehrung seiner Beute.

Wer hat ihm Hektor auf den Speer gesteckt?

Wir brauchten dich, sie in die Schlacht zu haun

Wie wir den brauchen jetzt für seine Mannschaft.

Nicht deinen Arm, zum Schlachten ungeschickt

Nicht seinen Arm, allein uns wenig brauchbar

Denn williger geht der Mann in seinem Blut

Unter dem Fuß der kommt im heimischen Leder.

Dein Erbe trag ich nicht zu meinem Ruhm

Sondern im Kampf um deines Vaters Leichnam

Sterbend für Totes, ging das meiste Blut

Aus meiner Mannschaft, und die Narben brannten.

Und brennen nicht mehr, seit sie mich behängt sehn

Mit deinem Erz zum Lohn für ihre Wunden.

Setz ich den Fuß aufs Festland ohne den

Kehrt seine Mannschaft unserm Krieg den Rücken

Der Troer wäscht sich weiß mit unserm Blut

Mästet mit unserm Fleisch die heimischen Geier.

Zum Dieb und Lügner bist du schlecht begabt

Ich weiß es. Süß aber, Sohn Achills, ist der Sieg.

Drum einen Tag lang, länger brauchts nicht, schwärz

Die Zunge, dann in Tugend wie du willst

Solang sie dauert, leb du deine Zeit.

Ins Schwarze gehn wir alle, weigerst dus.

NEOPTOLEMOS

Aus faulem Grund wächst wohl ein Gutes nicht.

ODYSSEUS

Eins ist der Grund, ein andres ist der Baum.

NEOPTOLEMOS

Den Baum nach seiner Wurzel fragt der Sturm.

ODYSSEUS

Den Wald nicht fragt er.

NEOPTOLEMOS

Den das Feuer frißt.

ODYSSEUS

Oder, den Grund umgrabend ganz, die Flut.

Am dritten stirbt das andre, was kommt geht

Und weitres reden wir auf Trojas Trümmern.

NEOPTOLEMOS

Hätt ich kein Ohr für dich und keine Sprache.

Sag mir die Lügen, die ich sagen muß.

ODYSSEUS

Dein Speer. In allem brauchst du nicht zu lügen.

Sei der du bist, Achills Sohn, ersten Schwerts

Vor Troja, bis in sein zu kühnes Fleisch

Der Weiberdieb den Pfeil gepflanzt hat, Paris.

Dann lüg: Heim fährst du, deine Segel füllt

Haß gegen uns, Haß gegen mich besonders

Wir riefen dich nach Troja in den Ruhm

Als deines Vaters Asche noch nicht kalt war

Weil die vieljährige Belagerung stockte

Durch die zu tiefe Trauer seiner Truppen

Du kamst und in die Schande wars, dein Erbe

Achills, des laut beweinten, Schild, Schwert, Speer

Weigerten wir deinem gerechten Anspruch

Ich wars, der dich beschwatzte, Falsches redend

Ich bins, der dir die Waffen stahl, das Erbe.

NEOPTOLEMOS

Schweig, wenn du Troja wiedersehn willst, davon.

ODYSSEUS

Ritz deinen Arm, wenn dich der Blutdurst plagt

Den du aus deiner Mutter Brüsten trankst

Sonst schlag ich dich zurück in unser Bündnis

Narr, mit dem Holz von deines Vaters Speer.

NEOPTOLEMOS

Mein Haß gehört dem Feind, so wills die Pflicht

Bis Troja aufhört. Für mein Recht dann tauch ich

In andres Blut den Speer. Kürz deine Zeit nicht

Mit Worten die mich rot sehn machen vorher.

ODYSSEUS

Spar deine Galle jetzt für deinen Auftrag.

Häuf Schlamm nach deiner Lust auf meinen Namen

Mich kränkt nicht, was dir hilft in unsrer Sache

Das Auge trübst du ihm für deinen Anschlag

Arglos den tödlichen, den Bogen, gibt er

In deine Hand, wenn du ihn glauben machst

Die wär so lüstern auf mein Blut wie seine

Und weil du nicht zu lügen brauchst in dem

Wählt ich zum Helfer dich für meinen Plan

Denn glaublich wirst du lügen mit der Wahrheit

Und mit dem Feind geht mir der Feind ins Netz.

Wenn Scham dich rot färbt, wird er glauben, Wut ists

Sie ists vielleicht und selber weißt du nicht

Was schneller in die Schläfe treibt dein Blut

Scham, weil du lügst oder Wut, weil du nicht lügst

Und glaublicher wird deine Wahrheit ihm

Je dunkler dir die Lüge das Gesicht schminkt.

NEOPTOLEMOS

Sei du dein eigner Helfer in der Sache.

ODYSSEUS

In diesem Handel bist du nicht der erste

Der was er nicht will tut. Wir tatens vor dir.

Dein Vater, der in Weiberkleider kroch

Ich wars der ihm die auszog mit der Maske

Des Kaufmanns, handelnd Web- und Mordgerät.

Ausstellt ich beides vor den Weibern im

Palast, von denen eins ein Mann war, er

Dem Blick nicht kenntlich, und so war er kenntlich

An seiner Furcht vor Werkzeug, Lust auf Waffen.

Mich selber vorher fingen so die Fürsten

In ihren Krieg: als ich den Narren spielte

Salz streuend in die Furchen, hinterm Pflug

Im Joch die Ochsen meine Feldherrn nannte

Und die bekannten nicht zu kennen vorgab

Rissen sie von den Brüsten meines Weibs

Den Sohn und warfen den mir vor den Pflug

Kaum hielt ich das Gespann, zweimal vier Hufe

Das schwer zu haltende, einmal bewegt

Eh mir das teure Blut den Boden düngte

Den ich mit Salz verdarb, mich zu behalten

So war ich überführt heilen Verstandes

Und hatte keinen Weg mehr aus der Pflicht.

So viel davon. Wie willst dus? Auf den Knien?

Kniet.

NEOPTOLEMOS

Wär ich ein Troer, süß wär meine Pflicht.

Gewohnt den Staub zu küssen ist dein Knie

Mein Vater sah dich so und sah die Feldherrn

Mit so verkürzten Beinen vor ihm stehn

Als euern Krieg sein langer Zorn aufhielt

Weil ihr nach seiner ersten Schlacht euch schmücktet

Mit seinem Sieg und kürztet seinen Ruhm.

ODYSSEUS

Mehr kränkte ihn, daß wir die Beute teilten

Und klüger war dein Vater als sein Sohn

Er wußte gut, daß wir, den Blick im Staub

Die Steine zählten, unsern Tod für ihn

Wenn er dem Zorn sich ließ, sein Erz, dem Tau.

Dein Leben ists, um das ich auf den Knien geh.

Steht auf.

Dein Fisch kommt, Netz. Ungleich sein Schritt noch immer.

Sieh nicht auf mich. Mit mir gesehn stirbst du

Eh du den Durst gestillt hast auf mein Blut.

NEOPTOLEMOS

Mehr einem Tier als einem Menschen gleicht er

Schwarz eine Wolke über ihm von Geiern.

ODYSSEUS

Solang der sein ist, fürchte seinen Bogen.

Bis er uns folgt, in Stricken oder frei

Nach Troja, wo Asklepios ihm den Fuß heilt

Damit er uns hilft von der größern Wunde

Aus der zu lang schon zweier Völker Blut geht

Der Stinkende uns vom Gestank der Schlacht

Fürchte sein Elend mehr als seinen Bogen.

Nur blind für seine Wunde heilst du die

Nur taub für seinen Jammer stillst du den

Allein in deiner Hand liegt jetzt das ganze

Denn was ich dabei kann ist beten um

Ein wenig Schläue mehr für dich zum schlauen

Hermes, Athene auch helf dir zum Sieg

Die Göttin, die der Gott sich aus dem Kopf schnitt.

Ab. Auftritt Philoktet.

PHILOKTET

Ein Lebendes auf meinem toten Strand.

Ein Ding, das aufrecht geht wie vordem ich

Auf anderm Boden mit zwei heilen Beinen.

Wer bist du, Zweibein? Mensch, Tier oder Grieche?

Und wenn du der bist, hörst du auf zu sein.

Neoptolemos läuft weg.

Und hättest du tausend Beine für die Flucht

Mein Pfeil läuft schneller.

Neoptolemos bleibt stehn.

Wirf dein Eisen weg.

Neoptolemos tut es.

Mit welcher Sprache, Hund, lerntest du lügen

Mensch, welche Hündin warf dich in die Welt

Welch guter oder schlimmer Wind dein Schiff

Auf meinen Steinstrand, den die Schiffe meiden

Seit ich das Meer nach nahenden Schiffen abweid

Mit ältern Augen immer ohne Glück

Auf meinem Fels allein mit meinen Geiern

Beschwingter Wolke zwischen Aug und Himmel

Geduldig wartend mein vergehndes Fleisch

Oder nach einem Rest von einem Schiff

Mich Schwimmenden zu halten aus dem Bauch

Der Fische oder einen Rest von mir.

Das Kleid des Griechen trägst du, das ich trug.

Im Kleid des Griechen mag ein Grieche stehn.

Oder erschlugst du einen Griechen, Freund?

Denn Freund nenn ich dich, wenn von deiner Hand

Ein Grieche starb und frag nach deinem Grund nicht

Es war ein Grieche, keinen Grund brauchts weiter.

Wenn du mich selber zu den Schatten schickst

Ich bin ein Grieche, weiter keinen Grund brauchts.

Und selber bin ichs, der den Tod austeilt

Wenn du bist was dein Kleid anzeigt, ein Grieche

Denn Griechen warfen auf den Stein im Salz

Mich so Verwundeten in ihrem Dienst

Und nicht mehr Dienlichen mit solcher Wunde

Und Griechen sahns und rührten keine Hand.

Das blieb vom Kleid im Wetter der Verbannung

Mit Augen siehst du was vom Griechen blieb

Ein Leichnam, der sich nährt von seinem Grab.

Mein Grab hat Raum für mehr als meinen Leichnam.

Eh ich an deinem letzten Laut dich kenn

Gefragt von meinem Pfeil, bist du ein Grieche?

Dein Schweigen sagt, du bists und spannt den Bogen.

So stirb und nähr die Geier, meine Nahrung

Ein Vorgeschmack den Schnäbeln auf mein Fleisch.

NEOPTOLEMOS

Mit rauher Zunge redest du den Gast an

Zu rauher Mahlzeit mit gespanntem Bogen

Den Hungrigen nach langer Meerfahrt lädst du

Ein kurzes Gastbett ist der Bauch der Geier.

Wußt ich, daß man mit Pfeilen hier den Gast

Bewirtet und mit seinem Fleisch die Vögel

Ich kehrte ungesehn von solchem Wirt

Den Bug aufs Salzmeer, gastlicher als du

Ließ deine Insel dir, dich deiner Insel.

PHILOKTET

Laut, der mir lieb war. Sprache, lang entbehrt.

Mit der das erste Wort aus meinem Mund ging

Mit der ich antrieb meine tausend Rudrer

Die tausend Speere lenkte in der Schlacht.

So lang gehaßt wie auch entbehrt. Und länger.

Lang hört ich die aus meinem Mund allein

Wenn Schmerz mir aus den Zähnen grub den Schrei.

Fühllos die Felsen gaben ihn zurück

Mit meiner Stimme vielfach an mein Ohr.

Mein Ohr hat Lust auf eine andre Stimme.

So lebe, weil du eine Stimme hast.

Red, Grieche. Red von mir das schlimmste, red

Von meinen Feinden Gutes. Was du willst.

Lüg, Grieche. Allzu lang hört ich nicht lügen.

Wo liegt dein Schiff? Woher die Fahrt? Wohin?

Mit welchem Auftrag? Hast du einen Auftrag?

Weißt du, was vor dir steht, sich selber fremd

Auf einem Fuß, ganz faules Fleisch der andre?

Ich sah dich unter meinen Feinden nicht

Auch trägst du bartlos deine Waffen wohl

Noch nicht so lang wie ich den schwarzen Fuß trag

Doch weiß ich, ihre Zungen sind geschickt

Den Schatten meines Schattens noch zu schwärzen

Bei Ungebornen und bei Toten auch.

Sag, welche Lügen trugen sie dir auf

Zu welcher Untat leihst du deine Hand

Wird meinen Mördern meine Zeit zu lang

Gehst du als Bluthund auf der roten Spur

Ganz abzutun das viel geschundne Wild

Eh es die Gurgel aufreißt seinen Hunden?

Ich will dir Atem lassen für die Wahrheit.

Drei Worte länger sei dein Leben. Sag sie.

NEOPTOLEMOS

Fremd bist du mir, dein Unglück unbekannt.

Schuldlos den Geiern gäb mich dein Geschoß.

PHILOKTET

Schweig, Grieche, eh ich dir die Stimme ausreiß.

Kann sein, du weißt nicht, wo der Sturm dich antrieb.

Die Insel kennend kennst du mich wohl auch.

Mit einem Atem nennt man unsre Namen

Und jeder Stein hat Atem auszuschrein die

Ganz ihr Beherrscher bin ich und ihr Knecht

An sie gekettet mit der unzerreißbarn

Kette der Salzflut, die uns blau umringt

Mich, Philoktet, und Lemnos, meine Insel.

NEOPTOLEMOS

Von Lemnos hört ich reden, nie von dir.

Und lügen ist auf Skyros nicht der Brauch.

PHILOKTET

Doch hat ein Herdendieb vielleicht und Lügner

Aus Ithaka, der deines Vaters Vieh stahl

Auf gastlichem Bett bewirtend deine Mutter

Mit seinem Samen seinen Raub gezahlt

Und aus der Saat des Lügners wuchs ein Lügner

Auf Skyros auch: du. Laß die Hand vom Speer.

Sei der du bist, ein Lügner, Mörder, Dieb

Du hast ein Schiff, mehr brauch ich nicht von dir

Und einen Platz auf deiner Ruderbank

Oder darunter. Hast du noch ein Schiff?

Nimm mir das Ausland von den Füßen, Grieche

Den Schatten meiner Geier aus den Augen.

Oder hat mir der Sturm dein Schiff zerbrochen

Und mit dir teilen soll ich meine Vögel

Und aufgebraucht ist uns die Mahlzeit vom

Zweifachen Hunger, eh das Grab gebraucht wird

Und grablos faulen wir in gleicher Sonne.

NEOPTOLEMOS

Achills Sohn bin ich, Neoptolemos.

Im Auftrag eigner sehr gekränkter Ehre

Nach Skyros heim, Troja im Rücken, fahr ich.

Für meinen Feind spar deinen Pfeil, dein Feind ists

Aus Ithaka, wo man die Hunde krönt.

PHILOKTET

Willkommen in der Narrheit, Sohn Achills.

Hast du den Griechen einen Dienst getan?

Sie sind gerecht, sie strafen dich dafür.

So sehr ein Narr kann nur ein Grieche sein

Daß er für einen Griechen eine Hand krümmt.

Red mir von anderm, sag mir meine Zeit

Wie lang der Krieg um Priams Stadt war, wen

Der Schuttplatz deckt von Lieben und Gehaßten.

Denn mit der ersten Flotte fuhr ich aus

Und wurde vor der ersten Schlacht besiegt

Wo mir kein Baum die Jahre zählen half

Die Sonne nur den immer gleichen Kreis geht

Der Mond im immer gleichen Wechsel seinen

Unter dem Gang der ferneren Gestirne

Dem Auge unverrückt, auf schwarzer Bahn.

Nach tausend Malen war ich müd zu zählen